Die Ärztliche Begutachtung
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Verfasst von:
Peter Dirschedl
Publiziert am: 28.05.2022

Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung

Die Frage, ob Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegt, betrifft nicht nur die Gutachterinnen und Gutachter, sondern auch die einweisenden und die im Krankenhaus aufnehmenden Ärztinnen und Ärzte. Erfolgt vollstationäre Krankenhausbehandlung, ohne dass die medizinische Notwendigkeit dazu vorliegt, verliert das Krankenhaus ganz oder teilweise seinen Anspruch auf das entsprechende Entgelt. Die Begutachtung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit setzt sowohl hohe Aktualität des medizinischen Wissens als auch die Kenntnis rechtlicher Grundlagen und vertraglicher Regelungen voraus. Die Gutachterinnen und Gutachter brauchen ebenso gute praktische Erfahrung, um sich anhand der dokumentierten Informationen in die Situation der behandelnden Krankenhausärztinnen und -ärzte hineinversetzen, deren Entscheidungen nachvollziehen und dann die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bewerten zu können.

Einführung

Die Frage, ob Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegt, betrifft nicht nur die Gutachterinnen und Gutachter, sondern auch die einweisenden und die im Krankenhaus aufnehmenden Ärztinnen und Ärzte. Erfolgt vollstationäre Krankenhausbehandlung, ohne dass die medizinische Notwendigkeit dazu vorliegt, verliert das Krankenhaus ganz oder teilweise seinen Anspruch auf das entsprechende Entgelt. Die Begutachtung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit setzt sowohl hohe Aktualität des medizinischen Wissens als auch die Kenntnis rechtlicher Grundlagen und vertraglicher Regelungen voraus. Die Gutachterinnen und Gutachter brauchen ebenso gute praktische Erfahrung, um sich anhand der dokumentierten Informationen in die Situation der behandelnden Krankenhausärztinnen und -ärzte hineinversetzen, deren Entscheidungen nachvollziehen und dann die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bewerten zu können. Es ist dafür Sorge tragen, dass alle hierfür erforderlichen Informationen vorliegen.

Wirtschaftliche Bedeutung für die Sozialversicherung

Die vollstationäre Krankenhausbehandlung stellt im Regelfall die kostenintensivste Behandlungsform dar. Entsprechend ist die angemessene Nutzung vollstationärer Krankenhauskapazitäten seit vielen Jahren Gegenstand zahlreicher internationaler Untersuchungen und kontroverser Diskussionen. Erste Untersuchungen zu diesem Thema gehen bis in die 1960er-Jahre zurück (Dirschedl 1999). Sowohl bei einer Vergütung der Krankenhausbehandlung nach tagesgleichen Pflegesätzen als auch in pauschalierten Entgeltsystemen (zum Beispiel den German Diagnosis Related Groups, G-DRG – seit 2020 bezeichnet als aG-DRG-System, da die Kosten für die Pflege ausgegliedert wurden) ist die Frage der Notwendigkeit und Dauer von Krankenhausbehandlung von erheblicher Bedeutung.
Entsprechend der sozialrechtlichen Vorgaben zur Finanzierung der Gesundheitsversorgung (Wirtschaftlichkeitsgebot) sind sowohl die Sozialleistungsträger als auch die Leistungserbringer verpflichtet, die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung zu überprüfen. Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung werden die dazu erforderlichen Begutachtungen durch den Medizinischen Dienst (MD) durchgeführt.

Terminologie der „Fehlbelegung“

Der Begriff „Fehlbelegung“ beschreibt eine medizinisch nicht notwendige Krankenhausbehandlung im Sinne einer unangemessenen Nutzung vollstationärer Krankenhauskapazitäten. Dies bedeutet, dass das angestrebte Behandlungsergebnis auch unter Nutzung einer anderen, wirtschaftlicheren Versorgungsform hätte erzielt werden können (z. B. durch ambulante Behandlung).
Die sozialmedizinische Terminologie unterscheidet zwischen primärer und sekundärer Fehlbelegung:
  • Primäre Fehlbelegung bedeutet, dass bereits die vollstationäre Krankenhausaufnahme vermeidbar bzw. medizinisch nicht zwingend erforderlich war.
  • Sekundäre Fehlbelegung bedeutet, dass zwar eine Aufnahmenotwendigkeit gegeben, die vollstationäre Verweildauer jedoch unangemessen lange war (Dirschedl 1999; Dirschedl et al. 2010).
Diese Definitionen entsprechen den sozialrechtlichen Begriffen der Notwendigkeit (Frage der primären Fehlbelegung) und Dauer (Frage der sekundären Fehlbelegung) von Krankenhausbehandlung.
  • Über diese allgemein anerkannte Terminologie hinaus wird gelegentlich der Begriff tertiäre Fehlbelegung verwendet. Im weitesten Sinne bezeichnet er eine Situation, bei der die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit als solche zwar gegeben ist, die Behandlung aber durch ein anderes Fachgebiet oder in einem anderen Krankenhaus zweckmäßiger oder wirtschaftlicher gewesen wäre (Dirschedl 1999; Dirschedl et al. 2010).

Grundlagen der Begutachtung

Gesetzliche Grundlagen

Vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) regelt § 39 SGB V im Hinblick auf die vollstationäre Krankenhausbehandlung die Vorrangigkeit anderer Versorgungsformen:
„Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108), wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.“
Hierin enthalten ist die Verpflichtung des Krankenhauses, vor der stationären Aufnahme einer Patientin oder eines Patienten zu prüfen, ob die vollstationäre oder stationsäquivalente Krankenhausbehandlung überhaupt erforderlich ist. Die in § 39 SGB V ebenfalls genannten Möglichkeiten des Krankenhauses, in anderer Form zu behandeln (ambulant, vor- und nachstationär, teilstationär), sind für die Begutachtung von erheblicher Bedeutung. Neben Fragen zum ambulanten Operierens bzw. stationsersetzenden Maßnahmen nach § 115b SGB V ist für die Begutachtungspraxis ist die vorstationäre Behandlung nach § 115a SGB V relevant:
„Das Krankenhaus kann bei Verordnung von Krankenhausbehandlung Versicherte in medizinisch geeigneten Fällen ohne Unterkunft und Verpflegung behandeln, um 1. die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären oder die vollstationäre Krankenhausbehandlung vorzubereiten (vorstationäre Behandlung) oder 2. im Anschluss an eine vollstationäre Krankenhausbehandlung den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen (nachstationäre Behandlung).“
Dies bedeutet, dass das Krankenhaus beispielsweise in medizinisch unklaren Situationen die Möglichkeit hat, im Rahmen der vorstationären Behandlung nach § 115a SGB V „die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären“ und damit eine gegebenenfalls nicht erforderliche vollstationäre Aufnahme zu vermeiden. Darüber hinaus besteht bei geplanten stationären Aufnahmen die Möglichkeit, „die vollstationäre Krankenhausbehandlung vorzubereiten“. Für diese Versorgungsform legt das Gesetz bestimmte Fristen fest (die vorstationäre Behandlung ist auf längstens 3 Behandlungstage innerhalb von 5 Tagen vor Beginn der stationären Behandlung begrenzt, die nachstationäre auf maximal 7 Behandlungstage innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung der stationären Krankenhausbehandlung).
Die Begutachtung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt durch den MD. Die Prüfbefugnis ergibt sich aus § 275 SGB V:
„Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßem Abrechnung … eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen.“
Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist der MD befugt, erforderliche Sozialdaten zu erheben und/oder zwischen 8:00 und 18:00 Uhr die Räume der Krankenhäuser zu betreten, um dort die Krankenunterlagen einzusehen und, soweit erforderlich, den Versicherten untersuchen zu können (§ 276 Abs. 4 SGB V).

Vertragliche Grundlagen

Das Nähere zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer von Krankenhausbehandlung und der ordnungsgemäßen Abrechnung ist in der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV) gemäß § 17c Absatz 2 KHG geregelt. Sie ist für die Krankenkassen, den MD und die zugelassenen Krankenhäuser unmittelbar verbindlich und sieht bestimmte Fristen für alle am Prüfverfahren Beteiligten vor. Auf eine Darstellung der Inhalte wird an dieser Stelle verzichtet, da darin lediglich prozessuale, aber keine fachlichen Aspekte geregelt sind.

Grundsätze der BSG-Rechtsprechung

Zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit gibt es eine umfangreiche Sozialrechtsprechung. Das Bundessozialgericht (BSG) hat hierzu wiederholt grundsätzliche Aussagen gemacht, die für die Begutachtung von hoher Relevanz sind. Einige wesentliche Aussagen werden im Folgenden dargestellt.
Zur Frage der Erforderlichkeit von Krankenhausbehandlung wurde bereits in den 1990er-Jahren eine richtungsweisende Aussage getroffen (B3 KR4/98R):
„Eine Krankenhausbehandlung ist dann erforderlich, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden kann. Hierzu zählen die spezielle apparative Ausstattung, das geschulte Pflegepersonal sowie die Rufbereitschaft und jederzeitige Eingriffsmöglichkeit eines Arztes …“
Zur Frage der Begutachtung bzw. nachträglichen Prüfung der Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung wurde in einer anderen Entscheidung das sog. „Ex-ante-Prinzip“ festgelegt (B3 KR2/96R):
„Stelle sich diese Entscheidung (Anmerkung des Autors: zur Krankenhausaufnahme) nachträglich als unrichtig heraus, ist die Krankenkasse an die Entscheidung des Krankenhausarztes nur dann nicht gebunden, wenn dieser vorausschauend hätte erkennen können, dass eine Krankenhausbehandlung nicht erforderlich war.“
Dies bedeutet, dass bei der Begutachtung immer vom Informationsstand des aufnehmenden Arztes zum Zeitpunkt der Aufnahme ausgegangen werden muss. Informationen, die vielleicht erst Tage später vorlagen, konnten selbstverständlich zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht berücksichtigt werden und sind damit auch bei der Begutachtung nicht als Argument gegen die stationäre Aufnahme zu werten.
Von grundsätzlicher Bedeutung sind auch die Fragen, welche Rolle die Notwendigkeit einer speziellen Unterbringung oder Betreuung im Zusammenhang mit vollstationärer Krankenhausbehandlung spielt und inwieweit die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung überhaupt gerichtlich uneingeschränkt überprüft werden kann. Hierzu fasste der Große Senat des Bundessozialgerichts am 25. 09. 2007 folgenden Beschluss (GS1/06):
„Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach medizinischen Erfordernissen. Reicht nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötigt und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung vorübergehend im Krankenhaus verbleiben muss … Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen. Es hat dabei von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen.“

Methodische Grundlagen

Im Hinblick auf den medizinischen Sachverhalt, den die Gutachterin oder der Gutachter bei der Frage nach der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu bewerten hat, hat sich das aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammende „Intensity/Severity“-Prinzip bewährt. Es fokussiert auf die Intensität der Behandlung und die Schwere der Erkrankung als zentrale Inhalte der gutachterlichen Bewertung. Dies bedeutet, dass die Frage zu klären ist, ob entweder die Behandlung so intensiv war, dass diese nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden konnte, oder die Patientin oder der Patient so schwer erkrankt waren, dass ebenfalls eine Behandlung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses möglich war. Dieser Ansatz berücksichtigt also sowohl die medizinisch erforderlichen Leistungen als auch den Zustand der Patienten.
Um beides bewerten zu können, sind profunde medizinische Kenntnisse sowohl im Hinblick auf diagnostische und therapeutische Maßnahmen als auch im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Krankheitsbilder erforderlich. Auch die Dynamik des medizinischen Fortschritts ist zu berücksichtigen, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, welche medizinischen Maßnahmen mit welchen Risiken verbunden sind und ob ihre ambulante Durchführung vor diesem Hintergrund medizinisch vertretbar wäre. Dass eine sachgerechte Begutachtung vor diesem Hintergrund auch eine entsprechende praktische Erfahrung voraussetzt, ist selbstverständlich.
Um die Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit – über die individuelle Einschätzung der Gutachterin oder des Gutachters hinaus – auf eine vergleichbare Grundlage zu stellen, gab es international eine Reihe von Bemühungen, Kriterienkataloge zu definieren. In Deutschland wurde das German Appropriateness Evaluation Protocol (G-AEP) im Jahr 2004 für die damaligen Stichprobenprüfungen nach § 17c KHG eingeführt und später in die Verträge zum ambulanten Operieren nach § 115b SGB V übernommen. Es handelt sich dabei um eine deutsche Adaptation des Appropriateness Evaluation Protocol (AEP), einer US-amerikanischen Entwicklung aus den 1980er-Jahren (Dirschedl 1999; Gertman et al. 1981; Sangha et al. 1998).
Bei der Anwendung solcher Kriterienkataloge ist es wichtig zu wissen, dass diese im Regelfall (auch das G-AEP) eine sogenannte „Override Option“ enthalten. Sie besagt, dass die Notwendigkeit der Krankenhausaufnahme auch dann gegeben sein kann, wenn keines der Kriterien erfüllt ist oder umgekehrt die Notwendigkeit auch verneint werden kann, obwohl ein Kriterium erfüllt ist. Diese Option ist der Individualität medizinischer Sachverhalte geschuldet, die es unmöglich macht, mit einer überschaubaren Anzahl von Kriterien alle denkbaren medizinischen Fallkonstellationen abzubilden.
Das G-AEP beinhaltet 35 Kriterien, die entweder allein oder in Kombination (bestimmte Kriterien benötigen für ihre Gültigkeit ein Zusatzkriterium aus einer anderen Gruppe) eine vollstationäre Krankenhausaufnahme begründen können. Diese Kriterien sind in 6 Gruppen (A–F) zusammengefasst, die Aspekte der Schwere der Erkrankung, der Intensität der Behandlung, der durchgeführten Maßnahme, bestimmter Komorbiditäten, der postoperativen Betreuung und auch soziale Faktoren mit unmittelbarem Bezug zu den medizinischen Erfordernissen umfassen (Tab. 1).
Tab. 1
Kriterien des German Appropriateness Evaluation Protocol (G-AEP) (Deutsche Krankenhausgesellschaft und Spitzenverbände der Krankenkassen 2004)
Schwere der Erkrankung
In Verbindung mit Zusatzkriterium B
(Intensität der Behandlung)
A1
Plötzliche Bewusstseinsstörung oder akuter Verwirrtheitszustand
Nein
A2
Pulsfrequenz: <50/min oder >140/min
Ja
A3
Blutdruck:
– systolisch <90 oder >200 mmHg
– diastolisch <60 oder >120 mmHg
Ja
A4
Akuter Verlust der Sehfähigkeit oder des Gleichgewichtssinnes
Nein
A5
Akuter Verlust der Hörfähigkeit
Ja
A6
Akute oder progrediente Lähmung oder andere akute neurologische Symptomatik
Ja
A7
Lebensbedrohliche Infektion oder anhaltendes oder intermittierendes Fieber (>38,0 °C Kerntemperatur)
Ja
A8
Akute/subakute Blutung und/oder interventionsbedürftiger Hämoglobinabfall
Ja
A9
Schwere Elektrolytstörung oder Blutgasentgleisung oder aktuelle Entgleisung harnpflichtiger Substanzen
Ja
A10
Akute oder progrediente sensorische, motorische, funktionelle, zirkulatorische oder respiratorische oder dermatologische Störungen sowie Schmerzzustände, die den Patienten nachdrücklich behindern oder gefährden
Ja
A11
Dringender Verdacht oder Nachweis einer myokardialen Ischämie
Nein
A12
Behandlung mit onkologischen Chemotherapeutika oder anderen potenziell lebensbedrohlichen Substanzen
Ja
Intensität der Behandlung
In Verbindung mit Zusatzkriterium A
(Schwere der Erkrankung)
B1
Kontinuierliche bzw. intermittierende intravenöse Medikation und/oder Infusion (schließt Sondenernährung nicht ein)
Ja
B2
Operationen, Interventionen oder spezielle diagnostische Maßnahme innerhalb der nächsten 24 Stunden, die die besonderen Mittel und Einrichtungen eines Krankenhauses erfordert
Nein
B3
Mehrfache Kontrolle der Vitalzeichen, auch mittels Monitor, mindestens alle 4 Stunden
Ja
B4
Behandlung auf einer Intensivstation
Nein
B5
Intermittierende, mehrmals tägliche oder kontinuierliche, assistierte oder kontrollierte Beatmung
Nein
Operation/invasive Maßnahme (außer Notfallmaßnahmen)
In Verbindung mit Zusatzkriterium A, D, E oder F
C1
Operation/Prozedur, die unstrittig nicht ambulant erbracht werden kann
Nein
C2a
Leistungen, die gemäß des Vertrages nach § 115b Abs. 1 SGB V in der Regel ambulant erbracht werden sollen (mit [*]-Sternchen gekennzeichnete Leistungen aus dem aktuellen Katalog ambulanter Operationen und stationsersetzender Eingriffe nach Anlage 1) und ein Kriterium der allgemeinen Tatbestände gemäß § 3 Abs. 3 des Vertrages nach § 115b Abs. 1 SGB V erfüllen
Nein
Komorbiditäten in Verbindung mit Operationen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen
D1
Signifikant pathologische Lungenparameter
D2
Schlafapnoesyndrom:
Anamnestisch bekanntes mittelschweres oder schweres Schlafapnoesyndrom
D3
Blutkrankheiten:
Interventionsrelevante Gerinnungsstörung oder therapiepflichtige Blutkrankheit
D4
Manifeste Herzerkrankungen:
Angina pectoris Grad III oder IV (NYHA)
Manifeste Herzinsuffizienz Grad III oder IV (NYHA)
D5
Maligne Hyperthermie in der Eigen- oder Familienanamnese
D6
Patienten, bei denen eine besonders überwachungspflichtige Behandlung der folgenden Erkrankungen dokumentiert ist z. B.:
– Endokrine Erkrankungen (z. B. Diabetes)
– Obstruktive Lungenerkrankungen
– Schlaganfall und/oder Herzinfarkt
– Behandlungsrelevante Nieren-/Leberfunktionsstörung
– Schwere Immundefekte
– Bluthochdruck mit Gefahr der Entgleisung
Komorbiditäten in Verbindung mit Operationen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen
E1
Voraussichtliche Überwachungspflicht über 12 h nach Narkose- oder Interventionsende
E2
Amputationen und Replantationen
E3
Gefäßchirurgische Operationen (arteriell und/oder zentral)
E4
Einsatz und Entfernung von stabilisierenden Implantaten, ausgenommen z. B. nach unkomplizierten Hand-, Handgelenks- sowie Fuß-, und Sprunggelenksoperationen
E5
Einsatz von Drainageschläuchen mit kontinuierlicher Funktionskontrolle
E6
Kathetergestützte Schmerztherapie
Soziale Faktoren, aufgrund derer eine medizinische Versorgung des Patienten nicht möglich wäre, in Verbindung mit Operationen oder anderen krankenhausspezifischen Maßnahmen
F1
Fehlende Kommunikationsmöglichkeit, z. B. da der Patient allein lebt und kein Telefon erreichen kann
F2
Keine Transportmöglichkeit oder schlechte Erreichbarkeit durch Stellen, die Notfallhilfe leisten können
F3
Mangelnde Einsichtsfähigkeit des Patienten
F4
Fehlende Versorgungsmöglichkeiten
aKriterium C2 bezieht sich auf die Version des Kataloges nach § 115b SGB V vor dem Jahr 2005, in dem Kategorie-1-Leistungen noch mit einem Sternchen [*] versehen waren
Zur Anwendung des G-AEP in der Begutachtungspraxis ist kritisch anzumerken, dass dieser Kriterienkatalog in seiner ursprünglichen Form für die Anwendung durch nichtärztliches Personal vorgesehen war (Dirschedl 1999). Entsprechend sind die Kriterien sehr einfach gehalten und meist nicht geeignet, komplexe medizinische Sachverhalte adäquat abzubilden. Auch in der deutschen Adaptation aus dem Jahr 1998 wurden die Kriterien nur unwesentlich verändert (Sangha et al. 1998), eine relevante Anpassung an die medizinische Entwicklung hat zwischenzeitlich nicht mehr stattgefunden.

Praktisches Vorgehen bei der Begutachtung

Wie in anderen Begutachtungsfeldern auch, erfordert eine sachgerechte Begutachtung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sowohl die umfassende Wertung des medizinischen Sachverhaltes als auch die Berücksichtigung der rechtlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen. Daraus ergeben sich bestimmte Fragen, zu denen die Gutachterin oder der Gutachter Stellung nehmen muss und die im Folgenden als eine Art „roter Faden“ für den Begutachtungsprozess empfohlen werden.

Frage 1

Konnte die medizinisch erforderliche Behandlung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden (Intensität der Behandlung)?
Die Beantwortung dieser Frage erfordert klare Informationen über die durchgeführte Behandlung, mit der das Krankenhaus die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung begründet (z. B. OP-Bericht) sowie über den Behandlungsverlauf (z. B. Entlassungsbericht, Tageskurve, Pflegebericht). Die Gutachterin oder der Gutachter müssen wissen oder recherchieren, ob diese Behandlung in anderen Versorgungsformen durchgeführt wird/werden kann und/oder ob vertragliche Regelungen existieren, die diese Behandlung im Regelfall einer anderen Versorgungsform zuordnen.
Beispiel
Stationäre Behandlung einer 43-jährigen, sonst gesunden Patientin mit Stammvarikosis am rechten Bein. Durchgeführte Operation: Varizenoperation mit Crossektomie und Stripping der Vena saphena magna.
Hierbei handelt es sich um eine Behandlung, die im Regelfall ambulant durchgeführt werden kann.

Frage 2

Hat der Zustand der Patientin oder des Patienten die vollstationäre Krankenhausbehandlung begründet (Schwere der Erkrankung)?
Zur Beurteilung dieser Frage sind alle relevanten Informationen zu berücksichtigen, die sich zur aktuellen Erkrankung und den in diesem Zusammenhang wichtigen Begleiterkrankungen ergeben. Für die Beurteilung der Notwendigkeit zur Krankenhausaufnahme ist hierzu im Regelfall der Entlassungsbericht ausreichend. Begründet das Krankenhaus die Dauer der Behandlung mit dem Zustand der Patientin oder des Patienten, erfordert eine sachgerechte Begutachtung häufig den zusätzlichen Einblick in die Tageskurve und den Pflegebericht.
Beispiel
Stationäre Aufnahme eines 25-jährigen Patienten, stark alkoholisiert, schläfrig. Er wurde auf der Straße liegend aufgefunden. Linkstemporal findet sich eine Beule. Verwertbare anamnestische Angaben sind von ihm nicht zu erhalten.
Die Notwendigkeit der stationären Aufnahme ergibt sich in diesem Fall unter Berücksichtigung des Ex-ante-Prinzips aus dem Zustand des Patienten bei zum Aufnahmezeitpunkt unklarer Situation bezüglich der Schwere der Erkrankung (vitale Gefährdung bei möglichem Schädel-Hirn-Trauma unter Alkoholeinfluss).

Frage 3

Gibt es mit der Behandlung zusammenhängende Gründe/Begleitumstände, die eine vollstationäre Behandlung erforderlich machen?
In dem oben erwähnten Beschluss des Großen Senates des Bundessozialgerichtes wurde darauf hingewiesen, dass eine Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes dann nicht zu tragen hat, wenn die Patientin oder der Patient aus Gründen, die nicht mit der Behandlung zusammenhängen, eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötigt. Umgekehrt bedeutet dies jedoch, dass Gründe, die mit der Behandlung zusammenhängen, zu berücksichtigen sind.
Beispiel
Angenommen, die im Beispiel zur Frage 1 erwähnte 43-jährige Patientin, die zur Behandlung ihrer Stammvarikosis stationär aufgenommen wurde, wäre alleinlebend, und die Operation wurde in Vollnarkose durchgeführt.
Nach einem in Vollnarkose durchgeführten Eingriff ist es medizinisch erforderlich, dass die Patientin bis zum Folgetag nicht alleine ist. Ist dies nicht zu gewährleisten, verbietet sich eine ambulante Durchführung des Eingriffs. Hierbei würde es sich also um einen „mit der Behandlung zusammenhängenden Grund“ handeln, der die vollstationäre Behandlung begründet.

Frage 4

Welche Versorgungsform wäre anstelle der vollstationären Krankenhausbehandlung geeignet gewesen?
Wurde unter Berücksichtigung der vorgenannten Fragen die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung verneint, sollte im Gutachten eine Aussage dazu getroffen werden, welche Versorgungsform aus medizinischer Sicht ausreichend gewesen wäre. Hierbei kann es sich sowohl um den Verweis auf ambulante Behandlungsmöglichkeiten als auch – je nach Fallkonstellation – um den Verweis auf ambulante oder stationäre Pflege oder ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahmen handeln.

Frage 5

Wurden alle erforderlichen Informationen/Beurteilungsgrundlagen für die Begutachtung herangezogen?
Trotz der vermeintlichen Selbstverständlichkeit dieser Frage – die sich auch in anderen Begutachtungssegmenten stellt – sei an dieser Stelle vor dem Hintergrund praktischer Erfahrungen darauf hingewiesen, dass sich manche vermeintlich „klaren“ Fälle gelegentlich als wesentlich komplexer darstellen, wenn weitere Beurteilungsgrundlagen vorliegen. Die Frage, ob ein Krankenhausentlassungsbericht für die Begutachtung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit eine ausreichende Grundlage darstellt, ist primär abhängig von der Qualität des Entlassungsberichtes. In vielen Fällen bietet er tatsächlich eine ausreichende Grundlage, insbesondere wenn es um die Frage der primären Fehlbelegung geht. Bei Fragen zur sekundären Fehlbelegung, bei denen häufig der Zustand der Patientin oder des Patienten im Zeitverlauf eine entscheidende Rolle spielt, bieten Entlassungsberichte jedoch häufig nicht die notwendigen Informationen. Für eine sachgerechte Begutachtung muss deshalb immer berücksichtigt werden, ob alle erforderlichen Informationen vorliegen. Daraus kann sich durchaus die Notwendigkeit ergeben, die gesamte medizinische Dokumentation als Beurteilungsgrundlage heranzuziehen.

Fazit

Zusammenfassend muss damit ein sachgerechtes Gutachten zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit eindeutig dazu Stellung nehmen, ob
  • die erforderliche Behandlung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden konnte,
  • der Zustand der Patientin oder des Patienten die Krankenhausbehandlung begründet hat,
  • ob es andere Gründe/Begleitumstände gab, die mit der Behandlung medizinisch zusammenhingen und die vollstationäre Behandlung begründeten.
Falls alle drei Fragen verneint werden, muss im Gutachten dargelegt werden, welche andere Versorgungsform ausreichend gewesen wäre.
Literatur
Deutsche Krankenhausgesellschaft und Spitzenverbände der Krankenkassen (2004) Gemeinsame Empfehlungen zum Prüfverfahren nach § 17c KHG. Das Krankenhaus 5:342–348
Dirschedl P (1999) Fehlbelegungsprüfungen durch den MDK: Ein Beitrag zur Qualitätssicherung? In: Ekkernkamp E, Scheibe O (Hrsg) Qualitätsmanagement in der Medizin. Ecomed II-6.1:1–8
Dirschedl P et al (2010) Sozialmedizinische Begutachtung der Notwendigkeit und Dauer von Krankenhausbehandlung im G-DRG-System. Gesundheitswesen 72:433–442CrossRef
Gertman PN et al (1981) The appropriateness evaluation protocol: a technique for assessing unnecessary days of hospital care. Med Care 8:855–871CrossRef
Sangha O, Siebert H, Witte J (1998) Fehlbelegungsprüfung in der stationären Versorgung. Chirurg 37:211–216