Einleitung
Die obstruktive Schlafapnoe ist gekennzeichnet durch eine rezidivierende Obstruktion bzw. Okklusion der oberen Atemwege im Schlaf. Die hieraus resultierenden Weckreaktionen führen zu einem gestörten Schlaf mit der Folge einer erhöhten
Tagesschläfrigkeit. Liegen Folgesymptome der obstruktiven Schlafapnoe vor, so spricht man von einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (
OSAS).
Diagnose und Schweregradbeurteilung des
OSAS erfolgen in der Zusammenschau klinischer und apparativer Untersuchungsmethoden, die in Tab.
1 aufgeführt sind (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017/2020). Ziel der Diagnostik ist es, raschen Aufschluss über die Dringlichkeit zu einer
Polysomnographie (Schlaflaboruntersuchung) zu erlangen. Diese wiederum ermöglicht die Indikationsstellung zur Therapie (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020).
Tab. 1
Methoden der Diagnostik des obstruktiven Schlafapnoesyndroms
1. Anamnese/Fragebögen |
2. Klinische Untersuchung und Funktionstests |
3. Schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik: |
– 1- bis 3-Kanalsysteme |
– Polygraphie (PG) |
– Polysomnographie (PSG) |
Anamnese/Fragebögen
Die in der Anamnese erfragbaren typischen Symptome eines
OSAS sind lautes und unregelmäßiges
Schnarchen mit fremdanamnestisch beobachteten Atemstillständen im Schlaf in Verbindung mit exzessiver Tagesmüdigkeit und spontaner Einschlafneigung. Die rein anamnestische Erhebung einer obstruktiven Schlafapnoe ist aber isoliert kein valides Diagnoseverfahren (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020).
Zur Erfassung des Schweregrades der
Hypersomnie (Tagesschläfrigkeit) werden zusätzlich standardisierte Fragebögen angewandt, die ebenso in der Verlaufskontrolle der Erkrankung eingesetzt werden. Der am häufigsten benutzte Fragebogen im deutschsprachigen Raum ist die deutsche Übersetzung der Epworth Sleepiness Scale (ESS)
. Bei einem ESS-Score >10 ist von einer pathologischen
Tagesschläfrigkeit auszugehen.
Klinische Untersuchung und Funktionstests
Bei der klinischen Untersuchung muss auf anatomische Risikofaktoren für ein
OSAS wie eine
Adipositas, einen kurzen Hals bzw. einen großen Halsumfang, eine Retro- bzw. Mikrognathie, eine Makroglossie sowie eine behinderte Nasenatmung geachtet werden. Ggfs. sollte eine ergänzende HNO- sowie zahnärztliche bzw. kieferorthopädische Untersuchung veranlasst werden. Darüber hinaus sollten Zeichen endokrinologischer Erkrankungen erkannt werden, die ein OSAS fördern können, etwa eine
Hypothyreose oder eine Akromegalie. Die klinische Untersuchung dient ebenfalls der Erkennung von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ventilations- und Gasaustauschstörungen sowie neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen.
Bei Verdacht auf eines dieser Krankheitsbilder sind zur Risikoabschätzung ergänzende klinische Funktionstests, also apparative und laborchemische Untersuchungen, sinnvoll, u. a. Röntgenaufnahme der Thoraxorgane, Laborchemie wie TSH basal, Lungenfunktion,
Blutgasanalyse, Atemmuskelfunktionsprüfung,
EKG,
Echokardiographie, Langzeitblutdruckmessung, Langzeit-EKG, Ergometrie (Empfehlungsgrad D; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020).
Schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik
Die sich hieran anschließende schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik des
OSAS wird mit abgestuftem Messaufwand mittels 1-Kanal- bis 3-Kanalsystemen, Polygraphie
(PG) oder
Polysomnographie (PSG)
durchgeführt. Auswertungen von Aufzeichnungen hoher Qualität können benutzt werden, um die Prätestwahrscheinlichkeit für die weitere Diagnostik mittels Polygraphie oder Polysomnographie zu erhöhen (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020). Die zur Polygraphie angewandten Geräte geben dagegen einen kompletten Überblick über den nächtlichen kardiorespiratorischen Befund, allerdings ohne Schlafanalyse. Sie erfassen den Atemgasfluss an Mund und Nase, die
Sauerstoffsättigung, die Herzfrequenz, die Atemanstrengung, Schnarchgeräusche sowie die Körperlage. PG-Geräte sollten nur von Ärzten mit einer qualifizierten schlafmedizinischen Weiterbildung angewandt werden (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020). Eine Sicherung der Diagnose des OSAS mittels PG ist nur dann möglich, wenn bei Patienten mit anamnestisch und klinisch hochgradigem Verdacht auf ein OSAS ein mittelgradiger bis ausgeprägter Befund zu erheben ist. In diesen Fällen kann u. U. auch ohne weitere Polysomnographie eine unmittelbare Therapieeinleitung in Erwägung gezogen werden (Empfehlungsgrad A). In allen anderen Fällen schließt sich stets die Polysomnographie (PSG) an.
Sie dient gleichsam auch zur differenzialdiagnostischen Erfassung anderer schlafmedizinischer Störungen. Mit einer PSG werden verschiedene physiologische Parameter während des Schlafs zeitgleich registriert und überwacht. Neben den o. g.
Messgrößen der PG sind dies das
Elektroenzephalogramm (
EEG), das
Elektrookulogramm (EOG) und das
Elektromyogramm (
EMG) zur Schlafstadienanalyse
und zur Erfassung von Beinbewegungen. Die in der Tab.
2 genannten Parameter sind Bestandteil einer Standardpolysomnographie. Die PSG soll von schlafmedizinisch qualifizierten Spezialisten durchgeführt werden.
Tab. 2
Messparameter einer Standardpolysomnographie
Elektroenzephalogramm (EEG) |
Elektrookulogramm (EOG) |
Elektromyogramm (EMG) (Kinn und Beine) |
Atemgasfluss |
Atmungsanstrengung |
|
|
Schweregradeinschätzung des OSAS
Die Schweregradeinschätzung eines
OSAS erfolgt u. a. mit Hilfe des Apnoe-Index (AI) bzw. Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI), Indizes, die die Anzahl von Apnoen (AI) bzw. Apnoe- und Hypopnoe-Episoden (AHI) pro Stunde Schlaf angeben. AI und AHI können somit nur bei gleichzeitiger Registrierung der Schlafstadien ermittelt werden. Da dies im Rahmen der PG nicht der Fall ist, spricht man bei dem hier berechneten respiratorischen Index vom
Respiratory-disturbance-Index (RDI). Er entspricht weitestgehend dem AHI. Ein AHI >20 ist u. a. wegen der signifikant ansteigenden kardiovaskulären Komplikationen mit erhöhter Mortalität ganz sicher behandlungsbedürftig (Empfehlungsgrad A). In der Tab.
3 sind die an Hand des AHI bestimmten OSAS-Schweregrade aufgeführt.
Tab. 3
OSAS-Schweregrade an Hand des AHI
Leichtgradiges OSAS: | AHI 5–15 |
Mittelgradiges OSAS: | AHI > 15–< 30 |
Schwergradiges OSAS: | AHI ≥ 30 |
AI, AHI und RDI sind aber alleine genommen nicht ausreichend für die Beurteilung des OSAS-Schweregrades. Vielmehr müssen bei der Schweregradeinschätzung andere Faktoren wie das Ausmaß der Schlafstrukturstörung – z. B. gemessen am Weckreaktionsindex (sog. Arousal-Index
) – und das Ausmaß der
Tagesschläfrigkeit (
Hypersomnie) berücksichtigt werden. Beim Arousal-Index handelt es sich um die polysomnographisch ermittelte Anzahl von Weckreaktionen pro Stunde Schlaf. Im Allgemeinen sind mehr als 10 Arousals pro Stunde pathologisch. Der Schweregrad der Hypersomnie wird subjektiv mit standardisierten Fragebögen und objektiv mit elektrophysiologischen und elektropsychologischen
Testverfahren ermittelt. Hierzu zählen der Multiple Schlaflatenztest (MSLT), der Multiple Wachbleibe-Test (MWT)
sowie verschiedene Tests für Wachheit
, Aufmerksamkeit
und Vigilanz
(z. B. Pupillographie
, Fahrsimulator
, Quatember-Maly-Test
, Wiener Determinationsgerät
), bei denen mit ausreichend langer Monotoniebelastung (>30 min) getestet werden soll (Empfehlungsgrad A; Mayer et al.
2017; Stuck et al.
2020; Orth und Kotterba
2009; Orth und Rasche
2020; Rasche und Orth
2020).
Diesbezügliche Indikationen ergeben sich insbesondere bei Gutachtenpatienten (z. B. in Bezug auf die Kraftfahreignung), bei Patienten mit fortbestehender
Tagesschläfrigkeit unter eingeleiteter Therapie, bei Berufskraftfahrern mit fraglichem Therapieerfolg und zur Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf eine
Hypersomnie zentral-nervösen Ursprungs wie der
Narkolepsie und der
idiopathischen Hypersomnie.
Die wichtigste gutachterliche Fragestellung bei der Begutachtung von OSAS-Patienten ist die nach der Kraftfahreignung
. Hier steht die Beurteilung des Ausmaßes und der Auswirkungen der OSAS-bedingten
Tagesschläfrigkeit im Fokus. Eine gesteigerte Tagesschläfrigkeit führt oft zu einer Einschränkung der Fahrtauglichkeit bzw. Kraftfahreignung. Es ist daher das wesentliche Ziel der schlafmedizinischen Begutachtung, das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit mit Auswirkungen auf Wachheit, Aufmerksamkeit und Vigilanz zu erfassen. Die Diagnostik erfolgt mittels Erhebung der Krankengeschichte anhand von standardisierten Fragebögen ergänzt durch neurophysiologische und – psychologische Mess- und Testmethoden. In Ausnahmefällen kann eine Fahrprobe
erforderlich sein. Hausarzt, Schlafmediziner, Arbeitsmediziner und Verkehrspsychologen sind integriert in eine
Stufendiagnostik, an deren Ende die Entscheidung über das Vorliegen oder Fortbestehen einer Kraftfahreignung steht. In den Handlungsempfehlungen und Leitlinien der verschiedenen Organisationen und Fachgesellschaften sind die Details der Begutachtung der Fahreignung beschrieben und werden auf den entsprechenden websites regelmäßig aktualisiert (Bundesanstalt für Straßenwesen –
www.bast.de –
2019, Deutsche gesetzliche Unfallversicherung –
www.dguv.de –
2010).