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Die Ärztliche Begutachtung
Info
Verfasst von:
Kurt Rasche, Maritta Orth und Gerhard Schultze-Werninghaus
Publiziert am: 14.08.2022

Schlafapnoe

Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) ist gekennzeichnet durch eine rezidivierenden Verlegung der oberen Atemwege im Schlaf mit daraus resultierenden Weckreaktionen und dadurch gestörten Schlaf mit der Folge einer erhöhten Tagesschläfrigkeit. Diagnose und Schweregradbeurteilung des OSAS erfolgen in der Zusammenschau klinischer und apparativer Untersuchungsmethoden. Ziel der Diagnostik ist es, raschen Aufschluss über die Dringlichkeit zu einer Schlaflaboruntersuchung zu erlangen, um die Therapieindikation stellen zu können. Die typischen Symptome des OSAS sind lautes und unregelmäßiges Schnarchen mit Atemstillständen im Schlaf in Verbindung mit exzessiver Tagesmüdigkeit und spontaner Einschlafneigung. Zur Erfassung des Schweregrades der Tagesschläfrigkeit werden standardisierte Fragebögen angewandt, die ebenso in der Verlaufskontrolle der Erkrankung eingesetzt werden. Die weitere Diagnostik umfasst klinische Untersuchungs- und Funktionstest, ambulante polygraphische Messungen und die kardio-respiratorische Polysomnographie. Sie stellt den Goldstandard in der Diagnostik, Differenzialdiagnostik und -therapie dar. Die Schweregradeinteilung des OSAS erfolgt primär nach dem Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI). Dieser ist aber alleine genommen für die Beurteilung des OSAS-Schweregrades nicht ausreichend. Vielmehr müssen bei der Schweregradeinschätzung andere Faktoren wie das Ausmaß der Schlafstrukturstörung und das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit berücksichtigt werden. Hierzu stehen neben standardisierten Fragebögen spezielle neurophysiologische und –psychologische Verfahren zur Verfügung. Ergänzt werden diese durch Aufmerksamkeits- und Vigilanztests bis hin zu Fahrsimulator-Untersuchungen.

Einleitung

Die obstruktive Schlafapnoe ist gekennzeichnet durch eine rezidivierende Obstruktion bzw. Okklusion der oberen Atemwege im Schlaf. Die hieraus resultierenden Weckreaktionen führen zu einem gestörten Schlaf mit der Folge einer erhöhten Tagesschläfrigkeit. Liegen Folgesymptome der obstruktiven Schlafapnoe vor, so spricht man von einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS).
Diagnose und Schweregradbeurteilung des OSAS erfolgen in der Zusammenschau klinischer und apparativer Untersuchungsmethoden, die in Tab. 1 aufgeführt sind (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017/2020). Ziel der Diagnostik ist es, raschen Aufschluss über die Dringlichkeit zu einer Polysomnographie (Schlaflaboruntersuchung) zu erlangen. Diese wiederum ermöglicht die Indikationsstellung zur Therapie (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020).
Tab. 1
Methoden der Diagnostik des obstruktiven Schlafapnoesyndroms
1. Anamnese/Fragebögen
2. Klinische Untersuchung und Funktionstests
3. Schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik:
 – 1- bis 3-Kanalsysteme
 – Polygraphie (PG)
 – Polysomnographie (PSG)

Anamnese/Fragebögen

Die in der Anamnese erfragbaren typischen Symptome eines OSAS sind lautes und unregelmäßiges Schnarchen mit fremdanamnestisch beobachteten Atemstillständen im Schlaf in Verbindung mit exzessiver Tagesmüdigkeit und spontaner Einschlafneigung. Die rein anamnestische Erhebung einer obstruktiven Schlafapnoe ist aber isoliert kein valides Diagnoseverfahren (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020).
Zur Erfassung des Schweregrades der Hypersomnie (Tagesschläfrigkeit) werden zusätzlich standardisierte Fragebögen angewandt, die ebenso in der Verlaufskontrolle der Erkrankung eingesetzt werden. Der am häufigsten benutzte Fragebogen im deutschsprachigen Raum ist die deutsche Übersetzung der Epworth Sleepiness Scale (ESS). Bei einem ESS-Score >10 ist von einer pathologischen Tagesschläfrigkeit auszugehen.

Klinische Untersuchung und Funktionstests

Bei der klinischen Untersuchung muss auf anatomische Risikofaktoren für ein OSAS wie eine Adipositas, einen kurzen Hals bzw. einen großen Halsumfang, eine Retro- bzw. Mikrognathie, eine Makroglossie sowie eine behinderte Nasenatmung geachtet werden. Ggfs. sollte eine ergänzende HNO- sowie zahnärztliche bzw. kieferorthopädische Untersuchung veranlasst werden. Darüber hinaus sollten Zeichen endokrinologischer Erkrankungen erkannt werden, die ein OSAS fördern können, etwa eine Hypothyreose oder eine Akromegalie. Die klinische Untersuchung dient ebenfalls der Erkennung von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ventilations- und Gasaustauschstörungen sowie neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen.
Bei Verdacht auf eines dieser Krankheitsbilder sind zur Risikoabschätzung ergänzende klinische Funktionstests, also apparative und laborchemische Untersuchungen, sinnvoll, u. a. Röntgenaufnahme der Thoraxorgane, Laborchemie wie TSH basal, Lungenfunktion, Blutgasanalyse, Atemmuskelfunktionsprüfung, EKG, Echokardiographie, Langzeitblutdruckmessung, Langzeit-EKG, Ergometrie (Empfehlungsgrad D; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020).

Schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik

Die sich hieran anschließende schlafmedizinisch spezifische apparative Diagnostik des OSAS wird mit abgestuftem Messaufwand mittels 1-Kanal- bis 3-Kanalsystemen, Polygraphie (PG) oder Polysomnographie (PSG) durchgeführt. Auswertungen von Aufzeichnungen hoher Qualität können benutzt werden, um die Prätestwahrscheinlichkeit für die weitere Diagnostik mittels Polygraphie oder Polysomnographie zu erhöhen (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020). Die zur Polygraphie angewandten Geräte geben dagegen einen kompletten Überblick über den nächtlichen kardiorespiratorischen Befund, allerdings ohne Schlafanalyse. Sie erfassen den Atemgasfluss an Mund und Nase, die Sauerstoffsättigung, die Herzfrequenz, die Atemanstrengung, Schnarchgeräusche sowie die Körperlage. PG-Geräte sollten nur von Ärzten mit einer qualifizierten schlafmedizinischen Weiterbildung angewandt werden (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020). Eine Sicherung der Diagnose des OSAS mittels PG ist nur dann möglich, wenn bei Patienten mit anamnestisch und klinisch hochgradigem Verdacht auf ein OSAS ein mittelgradiger bis ausgeprägter Befund zu erheben ist. In diesen Fällen kann u. U. auch ohne weitere Polysomnographie eine unmittelbare Therapieeinleitung in Erwägung gezogen werden (Empfehlungsgrad A). In allen anderen Fällen schließt sich stets die Polysomnographie (PSG) an.
Die Polysomnographie stellt den Goldstandard in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik der schlafbezogenen Atmungsstörungen dar (Empfehlungsgrad A).
Sie dient gleichsam auch zur differenzialdiagnostischen Erfassung anderer schlafmedizinischer Störungen. Mit einer PSG werden verschiedene physiologische Parameter während des Schlafs zeitgleich registriert und überwacht. Neben den o. g. Messgrößen der PG sind dies das Elektroenzephalogramm (EEG), das Elektrookulogramm (EOG) und das Elektromyogramm (EMG) zur Schlafstadienanalyse und zur Erfassung von Beinbewegungen. Die in der Tab. 2 genannten Parameter sind Bestandteil einer Standardpolysomnographie. Die PSG soll von schlafmedizinisch qualifizierten Spezialisten durchgeführt werden.
Tab. 2
Messparameter einer Standardpolysomnographie
Elektroenzephalogramm (EEG)
Elektrookulogramm (EOG)
Elektromyogramm (EMG) (Kinn und Beine)
Atemgasfluss
Atmungsanstrengung
Elektrokardiogramm (EKG)

Schweregradeinschätzung des OSAS

Die Schweregradeinschätzung eines OSAS erfolgt u. a. mit Hilfe des Apnoe-Index (AI) bzw. Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI), Indizes, die die Anzahl von Apnoen (AI) bzw. Apnoe- und Hypopnoe-Episoden (AHI) pro Stunde Schlaf angeben. AI und AHI können somit nur bei gleichzeitiger Registrierung der Schlafstadien ermittelt werden. Da dies im Rahmen der PG nicht der Fall ist, spricht man bei dem hier berechneten respiratorischen Index vom Respiratory-disturbance-Index (RDI). Er entspricht weitestgehend dem AHI. Ein AHI >20 ist u. a. wegen der signifikant ansteigenden kardiovaskulären Komplikationen mit erhöhter Mortalität ganz sicher behandlungsbedürftig (Empfehlungsgrad A). In der Tab. 3 sind die an Hand des AHI bestimmten OSAS-Schweregrade aufgeführt.
Tab. 3
OSAS-Schweregrade an Hand des AHI
Leichtgradiges OSAS:
AHI 5–15
Mittelgradiges OSAS:
AHI > 15–< 30
Schwergradiges OSAS:
AHI ≥ 30
AI, AHI und RDI sind aber alleine genommen nicht ausreichend für die Beurteilung des OSAS-Schweregrades. Vielmehr müssen bei der Schweregradeinschätzung andere Faktoren wie das Ausmaß der Schlafstrukturstörung – z. B. gemessen am Weckreaktionsindex (sog. Arousal-Index) – und das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit (Hypersomnie) berücksichtigt werden. Beim Arousal-Index handelt es sich um die polysomnographisch ermittelte Anzahl von Weckreaktionen pro Stunde Schlaf. Im Allgemeinen sind mehr als 10 Arousals pro Stunde pathologisch. Der Schweregrad der Hypersomnie wird subjektiv mit standardisierten Fragebögen und objektiv mit elektrophysiologischen und elektropsychologischen Testverfahren ermittelt. Hierzu zählen der Multiple Schlaflatenztest (MSLT), der Multiple Wachbleibe-Test (MWT) sowie verschiedene Tests für Wachheit, Aufmerksamkeit und Vigilanz (z. B. Pupillographie, Fahrsimulator, Quatember-Maly-Test, Wiener Determinationsgerät), bei denen mit ausreichend langer Monotoniebelastung (>30 min) getestet werden soll (Empfehlungsgrad A; Mayer et al. 2017; Stuck et al. 2020; Orth und Kotterba 2009; Orth und Rasche 2020; Rasche und Orth 2020).
Diesbezügliche Indikationen ergeben sich insbesondere bei Gutachtenpatienten (z. B. in Bezug auf die Kraftfahreignung), bei Patienten mit fortbestehender Tagesschläfrigkeit unter eingeleiteter Therapie, bei Berufskraftfahrern mit fraglichem Therapieerfolg und zur Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf eine Hypersomnie zentral-nervösen Ursprungs wie der Narkolepsie und der idiopathischen Hypersomnie.
Die wichtigste gutachterliche Fragestellung bei der Begutachtung von OSAS-Patienten ist die nach der Kraftfahreignung. Hier steht die Beurteilung des Ausmaßes und der Auswirkungen der OSAS-bedingten Tagesschläfrigkeit im Fokus. Eine gesteigerte Tagesschläfrigkeit führt oft zu einer Einschränkung der Fahrtauglichkeit bzw. Kraftfahreignung. Es ist daher das wesentliche Ziel der schlafmedizinischen Begutachtung, das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit mit Auswirkungen auf Wachheit, Aufmerksamkeit und Vigilanz zu erfassen. Die Diagnostik erfolgt mittels Erhebung der Krankengeschichte anhand von standardisierten Fragebögen ergänzt durch neurophysiologische und – psychologische Mess- und Testmethoden. In Ausnahmefällen kann eine Fahrprobe erforderlich sein. Hausarzt, Schlafmediziner, Arbeitsmediziner und Verkehrspsychologen sind integriert in eine Stufendiagnostik, an deren Ende die Entscheidung über das Vorliegen oder Fortbestehen einer Kraftfahreignung steht. In den Handlungsempfehlungen und Leitlinien der verschiedenen Organisationen und Fachgesellschaften sind die Details der Begutachtung der Fahreignung beschrieben und werden auf den entsprechenden websites regelmäßig aktualisiert (Bundesanstalt für Straßenwesen – www.bast.de2019, Deutsche gesetzliche Unfallversicherung – www.dguv.de2010).
Literatur
Bundesanstalt für Straßenwesen: Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung (2019) BASt, Bergisch Gladbach 28.12.2016. Fachverlag NW, Bremen. www.​bast.​de. Zugegriffen am 27.12.2021
Deutsche gesetzliche Unfallversicherung: Grundsatz 25 (Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten) (2010) DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Spitzenverband. Handlungsanleitung für die arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G25 „Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten“, BGI/GUV-I 504-25. www.​dguv.​de
Mayer G et al (2017) (DGSM): S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung, Kapitel „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“. Somnologie. (Teilüberarbeitung 2020) 20(Supp s2):S97–S180
Orth M, Kotterba S (2009) Schlafbezogene Atmungsstörungen. In: Nowak D, Kroidl RF (Hrsg) Bewertung und Begutachtung in der Pneumologie. Thieme, Stuttgart, S 197–204
Orth M, Rasche K (2020) Unfallrisiko und Fahrtauglichkeit – Schläfrigkeit im Straßenverkehr bei obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom. Atemw Lungenkrkh 46:596–611CrossRef
Rasche K, Orth M (2020) Begutachtung der Kraftfahreignung bei obstruktiver Schlafapnoe. Atemw Lungenkrkh 46:612–619CrossRef
Stuck BA et al (2020) (DGSM): Teil-Aktualisierung S3-Leitlinie „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“. AWMF-Registriernummer 063-00. Somnologie 24:176–208CrossRef