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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 17.06.2022

Toxische Lebererkrankungen

Verfasst von: Thorsten Brechmann
Fremdsubstanzen können das gesamte Spektrum akuter und chronischer Lebererkrankungen hervorrufen. Dabei wird die direkt toxische von der immunvermittelten idiosynkratischen bzw. hypersensitiven Leberschädigung unterschieden. Medikamentös-toxische Effekte werden bei ungefähr jedem 1000. Patienten beobachtet; Einflussfaktoren sind hierbei Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Komorbiditäten. Akute Verlaufsformen werden selten mit Ikterus und Leberausfall manifest.

Einleitung

Fremdsubstanzen können das gesamte Spektrum akuter und chronischer Lebererkrankungen hervorrufen. Dabei wird die direkt toxische von der immunvermittelten idiosynkratischen bzw. hypersensitiven Leberschädigung unterschieden (Tab. 1). Medikamentös-toxische Effekte werden bei ungefähr jedem 1000. Patienten beobachtet; Einflussfaktoren sind hierbei Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Komorbiditäten. Akute Verlaufsformen werden selten mit Ikterus und Leberausfall manifest.
Tab. 1
Differenzierung zwischen toxischer und idiosynkratisch/hypersensitiver Hepatopathie
Charakteristikum
Toxische Hepatopathie
Idiosynkratisch/hypersensitive Hepatopathie
Vorhersehbarkeit
Ja
Nein
Dosisabhängigkeit
Ja
Nein
Reproduzierbarkeit (Tierexperiment)
Ja
Nein
Assoziierte Schädigungen
Möglich
Selten

Pathogenese

Die Leber ist das erste Organ, das mit intestinal aufgenommenen Substanzen konfrontiert wird, und stellt nicht nur auf diesem Wege das zentrale Stoffwechsel- und Entgiftungsorgan dar. Zwei wesentliche Pathomechanismen sind zu differenzieren. Einerseits können hepatotoxische Substanzen nach Aufnahme aus dem Gastrointestinaltrakt direkte, vorherseh- und reprodzierbar toxische Wirkungen entfalten. Auf der anderen Seite steht die häufigere idiosynkratische, hypersensitive Leberschädigung mit Substanzakkumulation in der Hepatozytenmembran und immunogener Aktivierung des zytotoxischen T-Zellsystems.

Symptomatik

Häufig bleibt die toxische Hepatitis symptomlos und wird erst durch eine Routinelaborkontrolle detektiert. Wenn der hepatotoxische Leberschaden sich symptomatisch äußert, geschieht dies insbesondere im Sinne einer ikterischen Verlaufsform. Zudem können unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und diffuser abdomineller Schmerz vorliegen. Durch die immunologischen Reaktionen sind bei der idiosynkratischen Leberschädigung unspezifische Begleitsymptome wie febrile Temperaturen, Gelenkschmerzen, Exantheme und Blutbildveränderungen möglich.
Bestehen die Symptome dokumentiert länger als 6 Monate, ist die Definition einer chronischen Lebererkrankung erfüllt. Bei toxischer Leberschädigung ist eine eindeutige Diagnosestellung oft erst durch Verlaufsbeobachtung nach selektivem Absetzen von Pharmaka oder Meidung von Noxen möglich; ein beweisender Reexpositionsversuch gestaltet sich im Allgemeinen schwierig.

Diagnostik

Es existieren keine spezifischen Laborparameter, die eine sichere Differenzierung zwischen hepatotoxischer und idiosynkratischer Leberschädigung ermöglichen. Hilfreich ist jedoch die richtige Interpretation klinisch-chemischer Parameter, vor allem der Aminotransferasen (AST), der alkalischen Phosphatase (AP) sowie des direkten und indirekten Bilirubins (Tab. 2).
Tab. 2
Laborchemische Diagnostik bei medikamentös toxischer Hepatopathie. (Nach Dancygier 2003)
Parameter
Hepatozellulärer Leberschaden
Cholestatischer Leberschaden
Gemischter Leberschaden
ALT
>2-fach oRB
<2-fach oRB
AP
>2-fach oRB
>2-fach oRB
ALT/AP
≥5
_
2–5
ALT, (= GPT) Alanin-Aminotransferase; AP, alkalische Phosphatase; oRB, oberer Referenzbereich
Auch histomorphologisch lässt sich bei einer großen Bandbreite klinischer Symptome oft keine eindeutige Charakterisierung des schädigenden Agens vornehmen: Unterschieden werden Leberparenchymalterationen vom hepatitischen, vom cholestatischen, vom granulomatösen und vom tumorösen Typ mit teils fließenden Übergängen. Wichtig ist die Klärung der Kausalität durch detaillierte Arzneimittel- und Fremdstoffanamnese, wobei die Latenz zwischen Ingestion der Fremdsubstanz und dem Auftreten einer Leberschädigung sehr variieren kann. Die Tab. 3 und 4 geben einen Überblick über Leberschädigungen durch gewerbliche Gifte und Pharmaka.
Tab. 3
Leberschädigungen durch gewerbliche Gifte
Manifestationsform
Agentien
Fettleber
Methylalkohol, Chrom, Arsen, Insektizide, Azofarbstoffe, Trinitrotoluol
Toxische Hepatitis
Halogenkohlenwasserstoffe, Phenole (Toluol, Kresol), Blei, Triorthokresylphosphat, Methylendianilin
Fettleber mit Zellnekrosen, Leberdystrophie
Tetrachlorkohlenstoff, Phosphor, Dinitrobenzol
Leberfibrose, Leberzirrhose
Methylalkohol, Vinylchlorid
Bösartige Geschwülste
Arsen, Vinylchlorid, Dimethylnitrosamin
Tab. 4
Pharmakainduzierte Leberschädigungen
Monoaminooxidasehemmer, Tuberkulostatika
Oxyphenistatin, α-Methyldopa
Granulomatöse Hepatitis
Sulfonamide, Antibiotika
Unspezifische Drogenhepatitis
Antirheumatika, Antiepileptika
Akute Leberzellnekrose, Leberdystrophie
Zytostatika, Paracetamol, Halothan
Intrahepatische Cholestase
Phenothiazine, anabole Steroide, Psychopharmaka, Ovulationshemmer, Diuretika, Antidiabetika, Ajmalin, Azathioprin
Leberverfettung, Fettleber
Steroide, Tetrazykline bei hoher Dosierung
Geschwülste der Leber (Hepatome)
Ovulationshemmer

Therapie

Als Hauptmaßnahme ist die Elimination der auslösenden Noxe zu nennen. Nur selten ist bei bekanntem schädigenden Agens eine spezifische Therapie mit Antidot möglich (z. B. mit Silibinin im Rahmen einer toxischen Leberschädigung durch α-Amanitin des Knollenblätterpilzes). Zu vermeiden sind leberschädigende Begleitfaktoren wie Alkoholkonsum oder Einnahme sonstiger hepatotoxischer Medikamente.

Gutachterliche Bewertung

Eine Anerkennung als Berufskrankheit kann erfolgen, wenn eine berufsbedingte Noxenexposition gesichert, ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zu eruieren (Tab. 1) und das histologische Schädigungsmuster mit der jeweiligen Noxe vereinbar ist (Tab. 3 und 4). Die einschlägige Berufskrankheit ist abhängig von der Noxe in der Liste der Berufskrankheiten zu identifizieren, z. B. ist für Toluol BK1304 einschlägig. Konkurrierende außerberufliche Hepatotoxine sind bei der Bewertung auszuschließen.
Der Grad der Behinderung (GdB) hat sich vor allem an der Schwere der Leberschädigung und der daraus resultierenden Einschränkung der Leberfunktion, dem Ausmaß der Beschwerden sowie der Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und ihren Auswirkungen für die gesamte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu orientieren. Subjektive Angaben über die Beschwerden müssen hierbei mit objektiven Parametern aus klinisch-chemischer, histologischer und apparativer Diagnostik korreliert werden.
Es besteht keine Einschränkung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit und damit auch kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente nach dem SGB VII liegt z. B. bei der häufig chronischen, unkompliziert verlaufenden alkoholischen Steatohepatitis vor; in der Akutphase der toxischen Leberschädigung kann jedoch passager eine Arbeitsunfähigkeit bestehen.
Literatur
Ahmad J, Friedman SL, Dancygier H (2014) Mount Sinai expert guides: hepatology, 1. Aufl. Wiley-Blackwell, HobokenCrossRef
Dancygier H (2003) Klinische Hepatologie: Grundlagen, Diagnosik und Therapie hepatobiliärer Erkrankungen, 1. Aufl. Springer, HeidelbergCrossRef
Francis P, Navarro VJ (2021) Drug induced hepatotoxicity. In: StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing, Treasure Island
Lee WM (2003) Drug-induced hepatotoxicity. N Engl J Med 349:474–485CrossRef
Manns MP (2016) Praxis der Hepatologie, 1. Aufl. Springer, HeidelbergCrossRef
Messmann H (2020) Klinische Gastroenterologie, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart
Riemann JF, Fischbach W, Galle PR, Mössner J (2019) Referenz Gastroenterologie, 1. Aufl. Thieme, Stuttgart
Sanyal AJ, Terrault NA, Boyer TD (2017) Zakim and Boyer’s hepatology: a textbook of liver disease, 7. Aufl. Elsevier, Amsterdam