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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 14.06.2022

Traumatische Herzschädigung – Begutachtung

Verfasst von: Ali Erdogan
Verletzungen des Herzens und der herznahen Gefäße sind oft eine prognosebestimmende Komplikation bei einem Polytrauma. Dabei kann zwischen penetrierenden und stumpfen Verletzungen unterschieden werden. Letztere können bei initial oft fehlender klinischer Symptomatik in der Akutversorgung eines Verletzten der Diagnostik entgehen und treten dann erst später durch Herzinsuffizienz oder persistierende Rhythmusstörungen zutage. Die Schädigungen der verschiedenen kardialen Strukturen gehen mit einer mehr oder minder typischen Klinik einher und bewirken charakteristische Veränderungen, die mittels moderner diagnostischer Methoden sicher dargestellt werden können. Ganz im Vordergrund steht dabei die Ultraschalldiagnostik, die unmittelbar und mobil am Bett oder im Schockraum verfügbar ist. Mittels Ultraschall lassen sich nicht nur Ergussbildungen und Klappenläsionen oder Aneurysmen, sondern auch funktionelle Befunde wie Kontraktilitätsstörungen bei Myokardkontusion direkt darstellen. Das EKG und die laborchemischen Untersuchungen sind nur in besonderen Fällen wegweisend.

Einleitung

Verletzungen des Herzens und der herznahen Gefäße sind oft eine prognosebestimmende Komplikation bei einem Polytrauma. Dabei kann zwischen penetrierenden und stumpfen Verletzungen unterschieden werden. Letztere können bei initial oft fehlender klinischer Symptomatik in der Akutversorgung eines Verletzten der Diagnostik entgehen und treten dann erst später durch Herzinsuffizienz oder persistierende Rhythmusstörungen zutage. Die Schädigungen der verschiedenen kardialen Strukturen (s. unten) gehen mit einer mehr oder minder typischen Klinik einher und bewirken charakteristische Veränderungen, die mittels moderner diagnostischer Methoden sicher dargestellt werden können. Ganz im Vordergrund steht dabei die Ultraschalldiagnostik (transthorakal bzw. ösophageal), die – im Gegensatz zu den radiologischen Verfahren wie CT und MRT – unmittelbar und mobil am Bett oder im Schockraum verfügbar ist. Mittels Ultraschall lassen sich nicht nur Ergussbildungen und Klappenläsionen oder Aneurysmen, sondern auch funktionelle Befunde wie Kontraktilitätsstörungen bei Myokardkontusion direkt darstellen. Das EKG und die laborchemischen Untersuchungen sind nur in besonderen Fällen wegweisend.

Myokard

Die Erscheinungsformen myokardialer Läsionen sind vielfältig und verlaufen oftmals symptomlos oder symptomarm. Eine Commotio cordis weist definitionsgemäß keine morphologisch fassbaren Veränderungen auf und verläuft ohne Anstieg der herzspezifischen Enzyme. Die Verdachtsdiagnose sollte bei jeder Art von Rhythmusstörungen und Fehlen sonstiger pathologischer Veränderungen gestellt werden. Bei allen Ursachen der traumatischen Myokardschädigung reichen die Formen möglicher Rhythmusstörungen von ventrikulären und supraventrikulären Extrasystolien und Salven über interkurrentes, meist spontan sich limitierendes Vorhofflimmern/-flattern bis hin zu bedrohlichen ventrikulären Arrhythmien, in Einzelfällen sogar bis zum tödlichen Kammerflimmern.
Begünstigend wirken dabei ein Kreislaufschock, Hypoxien (Blutverlust, Oxygenierungsstörungen) sowie Elektrolytentgleisungen (Hypokaliämie) durch inadäquate Infusionstherapie und mechanische Alterationen durch zentralvenöse Katheter.
Bradykardien und intraventrikuläre Leitungsstörungen sind ebenfalls möglich und dann mitunter auf eine Läsion des Reizbildungs- und -leitungssystems zurückzuführen. Insbesondere ein Rechtsschenkelblock und Erregungsrückbildungsstörungen sind bei traumatischer Schädigung des Herzens häufig zu beobachten.
Die Contusio cordis kann mit präkordialen Schmerzen einhergehen und im Extremfall einen Herzinfarkt imitieren. Die thorakalen Beschwerden sind allerdings bei vorliegenden Begleitverletzungen in dieser Region nur schwierig abzugrenzen. Pathologisch-anatomisch lassen sich kleinere Blutungsherde bis hin zu ausgedehnten, traumatisch bedingten Nekrosen nachweisen. In diesem Fall kann es zur Ausbildung eines kardiogenen Schocks mit schlechter Prognose kommen.
Bei der Contusio cordis kommt der Laborbestimmung der Herzenzyme größere Bedeutung zu als bei der Commotio cordis. Die Bestimmung der herzspezifischen Troponine hat dabei Vorrang, da infolge meist gleichfalls vorliegender, z. T. erheblicher Skelettmuskelläsionen die Ergebnisse der CK-/CK-MB- sowie der ASAT/SGOT- und LDH- Bestimmung Interpretationsprobleme bereiten. Darüber hinaus kann mittels Echokardiografie weiterer Aufschluss über die pathomorphologischen Veränderungen (Kontraktilität, Aneurysmata, Perforation, Perikardtamponade etc.) gewonnen werden.
Szintigrafische Untersuchungsmethoden sowie die Positronenemissionstomografie stehen in der Akutdiagnostik meist nicht zur Verfügung, vermögen aber den residualen Schaden in der Posthospitalphase exzellent zu dokumentieren. Die Prognose einer myokardialen Kontusion wird von deren Ausmaß und Lokalisation sowie vom Vorliegen präexistenter kardialer Schäden und damit auch vom Alter des Patienten bestimmt.
Die Ausbildung einer Narbe nach ausgedehnter Myokardnekrose oder eines Aneurysmas kann eine erhebliche kardiale Beeinträchtigung zur Folge haben.
Größere Vorhof- und Ventrikelseptumdefekte führen ebenfalls zu einer hämodynamischen Belastung mit fatalen Folgen (Thrombenbildung mit konsekutiver Embolisation, Einblutung ins Perikard, Ruptur etc.).

Koronararterien

Die klinischen Symptome und die möglichen Komplikationen der traumatischen Koronarläsion entsprechen weitestgehend denen des „gemeinen“ Herzinfarkts bei der koronaren Herzkrankheit. Die Prognose ist bei den jüngeren Patienten mit geringem kardiovaskulären Risiko und wenigen Vorerkrankungen günstig. Sowohl diagnostisch als auch therapeutisch ändert sich am Vorgehen im Prinzip wenig. Falls die Patienten analgosediert und/oder beatmet sind, wird die Diagnostik im Vergleich zum konventionellen Myokardinfarkt erschwert. Die systemische Lysetherapie als etabliertes Therapieverfahren ist bei den meist polytraumatisierten Patienten kontraindiziert. Die Akut-PCI (perkutane Katheterintervention) vermag aufgrund verzögerter Diagnosestellung und logistischer Probleme beim Umgang mit Schwerverletzten nicht solche optimalen Ergebnisse wie beim konventionellen Infarktpatienten zu erreichen, sollte aber bei entsprechender Konstellation (EKG, Echokardiografie) unbedingt erwogen werden.

Herzklappen

Durch die Einwirkung stumpfer Gewalt können die Klappen selbst und/oder der Halteapparat geschädigt werden. In der Regel resultiert eine akute Klappeninsuffizienz, die jedoch nicht sofort manifest werden muss. Am häufigsten sind Aorten- und Trikuspidalklappen sowie vorgeschädigte Klappen von Läsionen betroffen.
Die Diagnose erfolgt am schnellsten und effektivsten mittels Echokardiografie. Oft imponiert die klinische Symptomatik in Form einer Herzinsuffizienz mit typischem Auskultationsbefund.

Aorta

Die Aortenruptur stellt die häufigste Manifestationsform traumatischer Läsionen der großen herznahen Gefäße dar. Prädisponierend für diese Verletzung ist ein arteriosklerotisch vorgeschädigtes Gefäß. Im Wesentlichen werden 2 Formen unterschieden: das Aneurysma spurium und das Aneurysma dissecans. Die von einer traumatisch bedingten Aortenläsion betroffenen Patienten sind im Allgemeinen symptomatisch. Es wird ein heftiger thorakaler oder Interskapularschmerz geäußert; insbesondere beim Vorliegen einer Dissektion sollte mit einem Schockzustand gerechnet werden. Bei einem raumfordernden Hämatom können ein Stridor, Dysfonie als Zeichen einer Rekurrensparese, eine Horner-Trias sowie Husten und Hämopthysen auftreten. Ferner können Zeichen eines Hämatothorax sowie einer Perikardtamponade als primäres klinisches Bild imponieren.
Die Diagnostik erfolgt bei Schädigung der Aorta ascendens und des Aortenbogens mittels transthorakaler Echokardiografie, bei Schädigung der Aorta descendens mit transösophagealer Echokardiografie. Bei unsicheren Zeichen und zur genaueren Darstellung des Ausmaßes der Läsion oder von Begleitverletzungen empfiehlt sich eine Computertomografie mit Kontrastmittel oder Magnetresonanztomografie.

Gutachterliche Bewertung

Für die Beurteilung des Zusammenhangs einer Herzschädigung beim Zustand nach Herztrauma müssen die auch sonst üblichen Bedingungen erfüllt sein: adäquates Trauma, zeitlicher Zusammenhang bei der Akutbeurteilung bzw. Brückensymptome, wenn die Beurteilung und das traumatisierende Ereignis zeitlich weit auseinanderliegen, Fehlen anderer Ursachen einer Herzschädigung bzw. Vorliegen konkurrierender, unfallunabhängiger Herzkrankheiten.
Im Rahmen der Begutachtung werden durch detaillierte Untersuchungsmethoden (EKG, Langzeit-EKG, Echokardiografie, Röntgenuntersuchungen und Koronarangiografie, Rechtsherzeinschwemmkatheter) Aussagen zum myokardialen Funktionszustand abgefordert.
Die elektrokardiografischen Untersuchungen dienen dabei der Feststellung und Beschreibung von Herzrhythmusstörungen; echokardiografisch werden die Myokardkontraktilität und die Klappenfunktion beurteilt, mittels Einschwemmkatheteruntersuchungen können Aussagen zur Leistungsfähigkeit beim Zustand nach Herztrauma ermöglicht werden, und die ggf. durchzuführende Koronarangiografie kann Verletzungen der Koronararterien dokumentieren.
Die Koronarangiografie hat bei der Feststellung unfallunabhängiger koronarer Vorerkrankungen (stenosierende Herz-Gefäß-Erkrankung im Rahmen einer schicksalhaften allgemeinen Angiosklerose) ebenfalls große Bedeutung.
Die gutachterliche Beurteilung und Bemessung der durch eine traumatische Herzschädigung akut oder auf Dauer bewirkten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. Grad der Schädigungsfolge/Grad der Behinderung (GdS/GdB) orientiert sich an der kardial begründeten Leistungsbegrenzung und Symptomatik sowie an den objektiv festgestellten hämodynamischen Funktionseinschränkungen und den erhobenen morphologischen Daten. Die Abschätzung dieser MdE/GdS/GdB-Grade kann sich dabei an der NYHA-Klassifikation orientieren und variiert zwischen MdE 10 % bzw. GdS/GdB 10 (NYHA I) und MdE 80–100 % bzw. GdS/GdB 80-100 (NYHA IV) (Barmeyer und Machroui 2001). Im Versorgungsrecht sind zudem die gemeinsamen Grundsätze und Tabellenwerte bzw. Hinweise der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VermedV vom 10.12.2008) zu berücksichtigen.
Literatur
Barmeyer J, Machroui A (2001) Chronisches Cor pulmonale. In: Fritze E, May B, Mehrhoff F (Hrsg) Die ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. Steinkopff, Darnstadt, S 456–458