Einleitung
Abdominelle Traumen durch stumpfe oder penetrierende Verletzungen können zu Organperforation (Magen, Duodenum, Jejunum, Ileum, Kolon) und/oder Blutungen mit der Notwendigkeit der zeitnahen chirurgischen Intervention führen. Bei Ingestion starker Säuren oder Laugen stehen Verletzungen des Ösophagus im Vordergrund; Nekrosen bis hin zur Perforation des Magens sind jedoch möglich. Verletzungen des Pankreas sind in der Mehrzahl penetrierender Natur und die Schwere durch das Ausmaß Gangrupturen bestimmt. Der Grad der Schädigung orientiert sich am dauerhaften Funktionsverlust (
Kurzdarmsyndrom, Anus praeter, Stenosen, endokrine/exokrine Pankreasinsuffizienz).
Epidemiologie
75 % der stumpfen abdominellen Verletzungen sind auf Verkehrsunfälle zurückzuführen. Penetrierende Stich- oder Schussverletzungen kommen in Deutschland seltener vor. Durch die retroperitoneale bzw. von den Rippenbögen geschützte Lage sind traumatische Verletzungen des Pankreas und Magens die Ausnahme. Auch traumatische Verletzungen des Darmes sind mit 3–7 % aller abdominellen Traumen selten. Verätzungen durch starke Säuren oder Laugen betreffen vorwiegend den Ösophagus und nur ausnahmsweise den Magen oder distal gelegene Abschnitte des Verdauungstraktes.
Kernsymptome
Zeichen der Blutung (Schock) und Hohlorganperforation (
Peritonitis) stehen im Vordergrund, jedoch kann die Symptomatik insbesondere bei komatösen Patienten unspezifisch sein, sodass die Gefahr der verzögerten Diagnose besteht. Freie Luft ist bei der frischen Dünndarmperforation in der Regel nicht nachweisbar, da der Dünndarm kein Gas enthält. Ein Mesenterialein- oder -abriss verursacht eine intraabdominelle Blutung und/oder Infarzierung von Darmabschnitten; sekundär kann es hierbei auch zur Perforation kommen. Das Symptommuster nach kaustischen Verletzungen kann vielfältig sein und beinhaltet Heiserkeit, Stridor, Speichelfluss, Dys- und Odynophagie, epigastrische
Schmerzen oder Hämatemesis. Symptome eines Pankreastraumas entsprechen denen einer
akuten Pankreatitis. Im Falle einer Pankreasgangruptur kann es darüber hinaus zur Ausbildung von Flüssigkeitsverhalten (fluid collections),
Pseudozysten oder
Abszessen kommen.
Ätiopathognese
Beim stumpfen Bauchtrauma stehen Verletzungen der Milz, der Leber und der retroperitonealen Strukturen im Vordergrund. Kompression und Dezeleration sind die traumatisch wirksamen Kräfte. Bei gefülltem Magen kann es zur Berstung kommen. Einblutungen oder Perforationen des Dünn- oder Dickdarms sind ebenfalls typische Folgen. Bei Verletzungen des Duodenums und/oder des Pankreas im Rahmen eines direkten abdominellen Traumas (z. B. Aufprall auf das Lenkrad, Dezeleration durch Gurt) wirkt die Wirbelsäule als Widerlager und bestimmt die Lokalisation der meist retroduodenal liegenden Perforation.
Penetrierende Traumen (Stich- oder Schussverletzungen) führen häufiger zur Hohlorganperforation als stumpfe Traumen.
Die Ingestionen starker Laugen und Säuren können je nach Konzentration und Kontaktzeit zu Verätzungen und Magenwandnekrosen führen. Verletzungen des Ösophagus stehen hierbei jedoch im Vordergrund.
Therapieoptionen
Stabilisierende Maßnahmen wie Sicherung der
Atmung und Bekämpfung eines Schockzustands stehen initial im Vordergrund. Das weitere Vorgehen richtet sich nach den Befunden einer umfassenden klinischen und bildgebenden (
Sonographie, Röntgen, CT, MRT/MRCP) Diagnostik (Empfehlungsgrad B, Evidenzlevel 2b). Bei Fehlen schwerer Blutungen oder Organperforationen ist ein konservatives Vorgehen häufig möglich. Ansonsten ist eine zeitnahe Laparoskopie oder Laparotomie erforderlich. Bei größeren Gewebezerstörungen kann auch die Resektion von Teilen des Magens, des Dünn- oder Dickdarms indiziert sein (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 4).
Verletzungen des Pankreas, insbesondere des papillennahen Gangsystems, bedürfen häufig aufwendiger endoskopischer und rekonstruktiver Eingriffe mit dem Ziel, eine Whipple-Resektion zu vermeiden. Links der Arteria mesenterica superior gelegene Pankreasverletzungen sind dagegen anatomisch leichter resezierbar, bergen jedoch ein höheres Risiko eines pankreopriven
Diabetes.
Vorrangiges Therapieziel einer Laugen- oder Säureningestion ist die Vermeidung einer weiteren Verschlechterung der Organverletzung und systemischer Komplikationen. Maßnahmen, die ein Risiko einer erneuten Ösophaguspassage oder Aspiration bergen (Lavage, Erbrechen), sind dringend zu vermeiden. Ebenso hat sich die Gabe von
Antibiotika oder systemischer
Glukokortikoide zur Vermeidung der Stenosebildung nicht bewährt. Supportive Therapiemaßnahmen wie Gabe von
Analgetika und parenterale Ernährung stehen daher im Vordergrund. Bei Ausbildung einer Wandnekrose sind Laparotomie mit Deckung oder Resektion notwendig. Strikturen als Spätfolge können endoskopisch bougiert oder ggf. operativ saniert werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzlevel 3b).
Gutachtliche Bewertung
Die Einschätzung von Grad der Behinderung bzw. Grad der Schädigungsfolge (GdB/GdS), vergleichbar auch die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in der gesetzlichen Unfallversicherung, orientiert sich generell an der verbliebenen Funktionsfähikgeit der Organe, dem Schweregrad der Störungen, Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme und dem allgemeinen Kräfte- und Ernährungszustand. Die u. g. Werte beruhen auf den aktuellen Angaben der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).
Ösophagus
GdB und GdS orientieren sich an der verbliebenen Funktionsfähikgeit des Ösophagus und damit verbundenen Behinderung der Nahrungsaufnahme.
• ohne wesentliche Behinderung der Nahrungsaufnahme | 0–10 |
• mit deutlicher Behinderung der Nahrungsaufnahme | 20–40 |
• mit erheblicher Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 50–70 |
Auswirkungen auf Nachbarorgane (z. B. Aspirationen) sind zusätzlich zu bewerten | |
Magen
Die Kompensationsfähigkeit nach partiellem oder vollständigem Magenverlust ist in der Regel groß. Zu den Folgen des partiellen oder totalen Verlustes des Magens zählen:
-
Syndrom des kleinen Magens,
-
Früh- und Spätdumping,
-
Syndrom der zuführenden Schlinge bei B2-Rekonstruktion,
-
Störung der Nahrungsmittelresorption (Vitamin B
12,
Calcium, Fette,
Eisen u. a.).
• Teilentfernung des Magens mit guter Funktion, je nach Beschwerden • Teilentfernung des Magens mit anhaltenden Beschwerden (z. B. Dumping-Syndrom, rezidivierende Ulcus jejuni papticum) | 0–10 20–40 |
• Totalentfernung des Magens ohne Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, je nach Beschwerden | 20–30 |
• Totalentfernung des Magens bei Beeinträchtigungen des Kräfte- und Ernährungszustandes und/oder Komplikationen (z. B. Dumping-Syndrom) | 40–50 |
Pankreas
Im Fokus stehen die klinischen Beschwerden (Häufigkeit und Ausmaß und
Schmerzen) sowie der Beeinträchtigung der exokrinen und endokrinen Funktion.
• Ohne wesentliche Beschwerden, keine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 0–10 |
• Geringe bis erhebliche Beschwerde, geringe bis mäßige Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 20–40 |
• Starker Beschwerden, Fettstühle, deutliche bis ausgeprägte Herabsetzung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 50–80 |
Funktionsbeeinträchtigungen z. B. bei Diabetes mellitus, Magenteilentfernung und Milzverlust sind zusätzlich zu bewerten | |
Dünndarm
Ein
Kurzdarmsyndrom kann im Kindesalter zu erheblichen Gedeih- und Entwicklungsstörungen führen.
• Dünndarmresektion bei Erwachsenen mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen (z. B. Durchfälle, Spasmen) | 20–30 |
• Dünndarmresektion bei Erwachsenen mit erheblicher Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 40–50 |
• Kurzdarmsyndrom im Kindesalter mit mittelschwerer Gedeih- und Entwicklungsstörung (Ausprägung) | 50–60 |
• Kurzdarmsyndrom im Kindesalter mit schwerer Gedeih- und Entwicklungsstörung (z. B. mit Notwendigkeit einer parenteralen Ernährung) Folgeschäden nach Abschluss der Entwicklung (z. B. Kleinwuchs) sind zusätzlich zu berücksichtigen. | 70–100 |
Kolon und Darm
• Ohne wesentliche Beschwerden und Auswirkungen | 0–10 |
• Mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen (z. B. Durchfälle, Spasmen) | 20–30 |
• Mit erheblicher Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes | 40–50 |
• Nach Anus-praeter-Anlage mit guter Versorgungsmöglichkeit | 50 |
• Nach Anus-praeter-Anlage bei Komplikationen (z. B. bei Bauchwandhernie, Stenose, Retraktion, Prolaps, ungünstige Position) | 60–80 |