Kernsymptome
Bei traumatischer Eröffnung des Gefäßlumens kommt es initial immer zur Blutung. Im Allgemeinen führen Quereinrisse an Arterien eher zu geringen Blutungen, während längsverlaufende Einrisse oder Einschnitte nur selten spontan zum Stillstand kommen. Eine innere Blutung kann bereits erhebliche Ausmaße annehmen, bevor Umfangsvermehrung oder Kreislaufschock auf eine Blutung aufmerksam machen. Eventuelle Ischämiezeichen in nachgeschalteten Versorgungsgebieten treten je nach Versorgungstyp und Kollateralisation sehr unterschiedlich ausgeprägt auf.
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An den Extremitäten kann eine schockbedingte Zentralisation zum Übersehen eines Gefäßschadens führen.
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Ischämien des Darms werden meist erst verspätet zwischen dem 2. und 6. Tag erkannt.
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Thrombosen als Folge stumpfer Traumata treten häufig verzögert nach einem beschwerdefreien Intervall auf. Typisch ist zum Beispiel die Thrombose der A. iliaca externa nach Schlag mit dem Motorradlenker in die Leistengegend.
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Ein A.-ulnaris-Verschluss an der Arbeitshand als Folge des Hämmerns mit der Hohlhand tritt bei Kfz-Mechanikern, Handwerkern und ähnlichen Berufsgruppen auf. Symptomatisch wird die Erkrankung durch eine Ischämie der ulnarwärtigen Finger.
Arbeiten mit Kettensägen, Presslufthämmern oder anderen Maschinen mit einer Vibrationsfrequenz um 125 Hz können nach einem typischen beschwerdefreien Intervall und einer vasospastischen Initialphase im Sinne eines
Raynaud-Phänomens zu irreversiblen akralen Durchblutungsstörungen bis hin zu Fingerkuppennekrosen führen.
Die wichtigste diagnostische Maßnahme zum Nachweis oder Ausschluss einer Gefäßverletzung ist die ausführliche Unfallanamnese.
Beim
Lokalbefund weisen Blutungen, Hämatome oder freie Flüssigkeit in Hohlräumen auf
Gefäßverletzungen hin. Zur Dokumentation des Schadens müssen
klinische Zeichen der Ischämie wie Blässe, fehlende aktive Innervation und fehlende oder verzögerte Kapillar- bzw. Venenfüllung geprüft und erfasst werden. Die
Ultraschall-Doppleruntersuchung ist durch vergleichende Messungen das sicherste und schonendste nichtinvasive Untersuchungsverfahren bei Verdacht auf eine Gefäßverletzung.
Bei jedem Verdacht auf eine Gefäßverletzung ist diese sicher auszuschließen. Hierfür ist oft eine direkte Angiografie oder – seltener – sogar eine operative Freilegung des Strömungsgebietes erforderlich. Die diagnostische Klärung muss binnen 6 h erfolgen, um Spätschäden zu vermeiden. Der Schaden eines Vibrationstraumas an den kleinen Gefäßen lässt sich mit dem elektrischen akralen Oszillogramm aufdecken.
Hinweis: Bei Zweifeln und offenen Zusammenhangsfragen ist eine Angiografie ausschlaggebend.
Therapieoptionen
Notfallmäßig kann neben einer Kompressionstherapie auch eine zeitlich begrenzte suprasystolische Abbindung der verletzten Extremität in Frage kommen. Bei der weiteren Versorgung sollte die Unterbindung des Gefäßes möglichst vermieden werden, weil die Amputationsrate immens hoch ist. Selbst die Unterbindung eines Gefäßes der doppelt angelegten Unterarm- oder Unterschenkelgefäße ist in einigen Studien mit einer fast 10 %igen Amputationsrate behaftet. Deshalb soll soweit als möglich eine Rekonstruktion des verletzten Gefäßes in Abhängigkeit von der Gesamtverletzungsschwere angestrebt werden.
In der Regel ist nach einer Gefäßrekonstruktion während der unmittelbaren postoperativen Immobilisationsphase eine Behandlung mit parenteralem Heparin unverzichtbar. Je nach Ausprägung des Traumas, des Operationsumfanges und der postoperativen Strömungsverhältnisse empfiehlt sich eventuell auch noch eine längerfristige Gabe von Antikoagulanzien.
Gutachtliche Bewertung
Der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und Gefäßverletzung ist bei penetrierenden Verletzungen als auch bei stumpfen Gewalteinwirkungen leicht zu entscheiden wenn es sich um gefäßgesunde Personen handelt. Probleme können dagegen bei Menschen mit einem degenerativ vorgeschädigten Gefäßsystem entstehen. Hier sind verschiedene Faktoren bei der Beurteilung zu berücksichtigen (Tab.
1).
Tab. 1
Gesichtspunkte zum Zusammenhang zwischen Unfall und Gefäßschädigung
Zeitliches Auftreten | Unmittelbar mit dem Unfall (Frühsymptome) | Langes Intervall (Spätsymptomatik) |
Örtliches Auftreten | Im Bereich des Traumas | Entfernt vom Bereich des Traumas |
Risikofaktoren | Keine | |
Vorschädigung | Keine | |
Begleitschäden | An Nerven, Venen, Knochen | Keine Begleitschäden |
Spätschäden | Eindeutige Brückensymptome | Keine oder untypische Brückensymptome |
Unfallmechanismus | Geeignet (typisch) | Ungeeignet (untypisch) |
Bei Schäden, die erst Tage oder Wochen nach dem Unfall in Erscheinung getreten sind, ist die Zusammenhangsfrage sehr viel schwieriger zu klären. Hier kann häufig nur noch eine histologische Untersuchung eines Gefäßresektats zur Klärung des Unfallzusammenhangs beitragen, ein Eingriff, der selten angemessen ist und meist vom Patienten aus verständlichen Gründen abgelehnt wird.
Einseitige Verschlüsse der A. carotis interna können durchaus über Jahre asymptomatisch bleiben. Wenn nach einem Unfall mit Gewalteinwirkung im Halsbereich ein Karotisverschluss nachgewiesen wird, so bedarf es deshalb zur Beantwortung der Zusammenhangsfrage weitergehender Untersuchungen. Es kommt im Wesentlichen darauf an, mittels einer differenzierten neurologischen Untersuchung und einer Duplexsonografie, alte arteriosklerotische Karotisveränderungen zu erkennen bzw. nachzuweisen und in ihrer hämodynamischen Relevanz zu bewerten.
Ein Drittel aller Patienten mit kostoklavikulärem Syndrom bemerken die Symptome erstmals im Zusammenhang mit einer Unfallschädigung. Nur in Fällen mit sofort eintretender Verschlusssymptomatik ist die Gefäßschädigung eindeutig dem Unfallereignis anzulasten. Zusätzlich sprechen für einen ursächlichen Zusammenhang weitere, erhebliche posttraumatische Schäden des zervikalen Nervenplexus und lokale Weichteilschädigungen oder Hämatome.
Nach unfallbedingter Schädigung der A. renalis kann eine kurz nach dem Unfall neu aufgetretene, häufig schlecht einstellbare
renovaskuläre Hypertonie als Unfallfolge zu bewerten sein.
Die Ausbildung eines Aneurysmas der Aorta ist besonders bei älteren Patienten meist nicht im Zusammenhang mit einem Unfall zu sehen.
Problematisch ist jedoch die Bewertung einer Ruptur oder die Dissektion eines vorbestehenden Aortenaneurysmas im Zusammenhang mit einem Trauma. So können erhebliche Drucksteigerungen im Abdomen durch Sturz, Schlag oder negative Beschleunigungen (z. B. bei angelegtem Sicherheitsgurt im Auto) zu Verletzungen der Aorta führen. Wenn ein arteriosklerotisches Aneurysma rupturiert oder disseziert, so kann der Unfall immer nur Teilursache sein, da das Aneurysma als Primärschaden vorbestand. Im Rahmen von Gutachten für die gesetzliche Unfallversicherung ist in diesen Fällen zu klären, ob der Arbeitsunfall als wesentliche Teilursache und damit als ein versicherter Unfall bewertet werden kann, oder ob es sich nur um eine sogenannte Gelegenheitsursache bei nachgewiesener Vorschädigung handelte, die nicht versichert ist.
Kommt es durch ein Trauma oder therapeutische Maßnahmen zu einer messbaren Verschlechterung einer vorbestehenden arteriellen Verschlusskrankheit, so ist mit dem Unfall eine richtungsgebende Verschlimmerung der unfallunabhängigen Erkrankung anzuerkennen.
Die Zusammenhangsfrage bei Hypothenar-Hammer-Syndrom und beim Vibrationssyndrom ergibt sich entscheidend aus dem Zusammentreffen von positiver Arbeitsanamnese und typischem Krankheitsbild, allerdings erst nach Ausschluss aller differenzialdiagnostisch in Frage kommenden Ursachen für ein
Raynaud-Phänomen und eine Endangiitis. In solchen Fällen kann ein Arbeitsplatzwechsel notwendig werden. Wegen der akralen Ischämie sind Arbeiten in Kälte und Nässe sowie Arbeiten mit Schlag- oder Vibrationsexposition nicht weiter zumutbar.
Der Erfolg einer arteriellen Rekonstruktion kann mit allen Methoden der angiologischen Diagnostik dokumentiert werden. Am besten haben sich in diesem Zusammenhang die Dopplerdruckmessung und die Duplexsonografie bewährt. Können dabei Durchblutungsstörungen nicht eindeutig ätiologisch zugeordnet werden, so ermöglicht die angiographisch dargestellte Gefäßmorphologie die Unterscheidung zwischen traumatischen und degenerativen Veränderungen.