Oberstes Ziel bei der Anästhesie von Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung der Leber
ist die Aufrechterhaltung eines adäquaten Verhältnisses zwischen O2-Angebot und O2-Bedarf der Leber.
Prinzipiell kann eine Beeinträchtigung des O
2-Angebots an die Leber durch Störung der pulmonalen O
2-Aufnahme (hypoxische
Hypoxie), des O
2-Transports im Blut (anämische Hypoxie und ischämische, perfusionsabhängie Hypoxie) und auf zellulärer Ebene durch eine Verwertungsstörung für Sauerstoff (histotoxische Hypoxie) bedingt sein. Die beiden ersteren Formen einer Hypoxie können durch den Anästhesisten erkannt und therapiert werden, während es derzeit keine Möglichkeit gibt, eine histotoxische Hypoxie der Leber unter klinischen Bedingungen zu diagnostizieren.
Monitoring
Zur Überwachung des pulmonalen Gasaustauschs und der Herz-Kreislauf-Situation sowie der oftmals bei Erkrankung der Leber eingeschränkten Nierenfunktion sollten folgende Maßnahmen in Abhängigkeit von der Ausprägung bestehender Funktionsstörungen durchgeführt werden.
Eine invasive arterielle Blutdruckmessung empfiehlt sich bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Lebererkrankung, um eine Abnahme des arteriellen Blutdrucks frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Von der Anlage eines zentralvenösen Katheters profitieren insbesondere Patienten, bei denen ein resezierender Eingriff an der Leber durchgeführt wird. Bei Einhalten von ZVD-Werten kleiner 5 cm H
2O sind Blutverlust und Transfusionsbedarf signifikant geringer [
15]. Ergänzend oder alternativ dazu können nichtinvasive Verfahren zur Messung dynamischer Vorlastparameter wie die Schlagvolumenvariabilität SVV [
16] oder die transöphageale Dopplersonographie (TED) zur Bestimmung der aortalen Flussgeschwindigkeit für die Erkennung einer Volumenreagibilität bzw. die hämodynamische Steuerung eingesetzt werden [
17].
Die Verwendung eines Pulmonaliskatheters erscheint v. a. bei Patienten zur
Lebertransplantation sinnvoll, bei denen eine
pulmonale Hypertonie, Störungen des pulmonalen Gasaustauschs sowie schwere Einschränkungen der kardialen Pumpfunktion und der Nierenfunktion vorliegen. Alternativ zum Pulmonaliskatheter findet immer häufiger die transpulmonale Bestimmung des Herzzeitvolumens durch das PiCCO-System Anwendung, jedoch ist die Methode gegenüber dem Pulmonaliskatheter ungenauer [
18] und liefert keine Druck- und Widerstandswerte im kleinen Kreislauf. Bei Patienten mit kardialer Begleiterkrankung kann bei der Durchführung einer Lebertransplantation neben den genannten invasiven hämodynamischen Monitoringverfahren die
transösophageale Echokardiographie sinnvoll sein [
19], um insbesondere in der Phase der Reperfusion die Embolisation von Luft oder Blutkoageln in die Lunge zu erkennen.
Aufrechterhaltung derAllgemeinanästhesie
Bei allen anästhesiologischen Maßnahmen sollte stets das Konzept der Sicherung der O2-Versorgung der Leber berücksichtigt werden.
Eine balancierte Anästhesie mit einem volatilen Anästhetikum (z. B.) Sevo-/Desofluran in Kombination mit repetitiven i.v.-Gaben von Sufentanil ist etabliert. Lachgas steigert den Sympathikotonus und kann nach längerer Dauer durch Überblähung von Darmschlingen den intraabdominellen Druck steigern. Dieser Effekt kann die Durchblutung der Leber reduzieren. Halothan ist wegen seinen ungünstigen Wirkungen auf die Durchblutung der Leber und seinen nachteiligen metabolischen und immunologischen Effekten zu vermeiden.
Bei den meisten in der Anästhesie verwendeten Substanzen ist mit einer verlängerten Wirkung zu rechnen. Bei entsprechender Dosisanpassung treten jedoch keine nennenswerten klinischen Probleme auf. Zur
Titration der
Muskelrelaxanzien empfiehlt sich die Überwachung mittels Relaxometrie
.
Grundsätzlich muss auf eine ausreichende O2-Sättigung des arteriellen Bluts geachtet werden. PEEP
sollte zurückhaltend (<10 cm H2O) eingesetzt werden, da PEEP das Herzzeitvolumen reduzieren, den lebervenösen Abfluss behindern und damit die Gesamtperfusion der Leber vermindern kann.
So erhöht ein PEEP von 10 cm H
2O bei Patienten nach
Lebertransplantation den zentralen Venendruck um bis zu 24 % [
11], ohne jedoch die Gesamtperfusion der Leber zu verändern [
20,
21].
Um eine
Hypovolämie bedingte Minderperfusion der Leber zu vermeiden, muss auf eine adäquate Volumensubstitution geachtet werden. Hierfür können in Übereinstimmung mit der DGAI-S3-Leitlinie „Intravasale Volumentherapie“ [
22] synthetische
Kolloide unter Beachtung der Höchstmengen z. B. bei der Hemihepatektomie [
23] und der Leberlebendspende genauso sicher wie Humanalbumin eingesetzt werden [
24].
Der kritische
Hämatokrit bei Patienten mit Lebererkrankung ist nicht bekannt. Wenngleich im Tierexperiment die isovolämische Hämodilution mit einer Steigerung der arteriellen als auch der portalvenösen Perfusion der Leber einhergeht und die gesunde Leber selbst bei einem Hkt-Wert von 8 % noch keine Zeichen einer Schädigung aufzeigt, sollte beim Patienten mit Erkrankung der Leber ein Hkt-Wert von 21–25 % nicht unterschritten werden.
Dopamin
verbessert während abdominal- [
25] und herzchirurgischen [
26] Eingriffen die Perfusion der Leber. Im Vergleich zu Dopamin bietet die perioperative Applikation von Dopexamin
bei Patienten, die sich einer Hemihepatektomie unterziehen, keinen Vorteil [
27].
Vasopressin reduziert während der arteriell anhepatischen Phase einer
Lebertransplantation den portalvenösen Druck und den portalvenösen Blutfluss. Vereinzelt wurde
Vasopressin zur Therapie des katecholaminrefraktären hepatischen Postreperfusionssyndroms
erfolgreich eingesetzt und hierbei über mehrere Stunden mit 4 U/h ohne ernste Nebenwirkungen infundiert [
28]. Allerdings fanden sich bei Patienten mit septischem Schock unter der Therapie mit Vasopressin eine Abnahme der Leberperfusion um bis zu 23 % und eine Zunahme der Transaminasenaktivitäten sowie des Bilirubinspiegels [
29]. Vasopressin sollte daher nicht als Ersatz für
Katecholamine, sondern supplementär eingesetzt werden. Diesem Konzept folgend steigert Terlipressin zusätzlich zur Anwendung von katecholaminergen Vasopressoren bei der Lebendspenderlebertransplantation den systemvaskulären Widerstand und den arteriellen Mitteldruck und reduziert sowohl den hepatisch- und renalarteriellen Widerstand als auch den portalvenösen Fluss. Der Einsatz anderer vasoaktiver Substanzen wurde gesenkt und die postoperative Nierenfunktion verbessert. Die postoperative Leberfunktion wurde nicht beeinträchtigt [
30].
Auch eine metabolische Azidose
führt zu einer Abnahme der Gesamtdurchblutung der Leber. Protektiv hingegen wirkt sich eine Reduktion der Körpertemperatur durch Senkung des O2-Verbrauchs des Organs aus. Andererseits kann eine erniedrigte Körpertemperatur bestehende plasmatische Gerinnungsstörungen weiter verstärken.
Rückenmarknahe Regionalanästhesie
Rückenmarknahe Leitungsverfahren wie die kontinuierliche Periduralanästhesie
(PDA) bieten gegenüber patientenkontrollierten i.v.-Analgesieverfahren (PCA) eine überlegene postoperative Analgesie. Weitere Vorteile der PDA sind der postoperativ geringere Opioidbedarf mit verminderter Häufigkeit von Übelkeit, Erbrechen und intestinale Motilitätsstörungen. Nachteilig ist dagegen die Abnahme des arteriellen Blutdrucks mit Reduktion der Leberperfusion. Letztere ist mit der Ausdehnung der Periduralanästhesie verbunden [
31]. Bei thorakaler Periduralanästhesie ist die Leberperfusionseinschränkung noch ausgeprägter, wenn eine damit einhergehende arterielle Hypotension (MAP <60 mmHg) durch die Infusion von Noradrenalin therapiert wird [
32]. Die PDA-bedingte hepatische Minderperfusion scheint auszubleiben, wenn Dopamin niedrig dosiert kontinuierliche i.v. appliziert wird. Zudem wurde bei postoperativem Beginn einer thorakalen PDA über eine Zunahme der Leberperfusion berichtet [
33].
Voraussetzung für die Anlage einer Periduralanästhesie ist eine intakte Gerinnung. Für die Entfernung eines Periduralkatheters ist bei Patienten, die sich einem ausgedehnten leberresezierenden Eingriff unterzogen haben – z. B. nach einer Hemihepatektomie im Rahmen einer Lebendspende –, von Bedeutung, dass postoperativ die plasmatische Gerinnung und die Thrombozytenzahl im Blut eingeschränkt sein können. Nach Leberlebendspende wurde der niedrigste Quickwert (ca. 50 %) am ersten postoperativen Tag gemessen, ein Anstieg erfolgte bis zum 3. bzw. 4. postoperativen Tag [
34], sodass mit Normalisierung der Gerinnung (Quick >60 %,
Thrombozyten >100.000/μl) eine Entfernung des Periduralkatheters zu diesem Zeitpunkt unkompliziert möglich sein sollte.
Abzuraten ist jedoch von rückenmarknahen Verfahren bei Patienten vor leberresezierenden Eingriffen und bereits präoperativ deutlich eingeschränkter Lebersyntheseleistung, wobei das Ausmaß der postoperativen Koagulopathie v. a. von der Größe des resezierten Lebervolumens abhängt.
Kontrollierte Hypotension und Leberfunktion
Untersuchungen bei lebergesunden Patienten, die sich extraabdominellen Eingriffen unterzogen, ergaben keine nachteiligen Auswirkungen einer kontrollierten Hypotension
auf Parameter der Splanchnikusperfusion (pHi) und der Leberfunktion. Hierbei wurde der arterielle Mitteldruck auf ca. 55–60 mmHg durch Nitroglyzerin, Trimetaphan oder Prostaglandin E1 abgesenkt. Wurde das Verfahren der PgE1-induzierten kontrollierten Hypotension mit einer moderaten isovolämen Hämodilution kombiniert (Absenkung des Hkt-Werts auf 21 %), so blieb dies auch nach 80-minütiger Dauer ohne nachteilige Folgen für die Leber. Nach 120 min kombinierter Hypotension und Hämodilution nahmen die Transaminasen postoperativ signifikant zu. Diese Befunde zeigen, dass durch die kombinierte Beeinträchtigung zweier Determinanten der hepatischen O2-Versorgung selbst bei Patienten mit gesunder Leber und extraabdominellen Eingriffen postoperativ erkennbare Störungen der Leberfunktion auftreten können.