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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 14.03.2018

Anästhesie bei Patienten mit restriktiven Lungenerkrankungen

Verfasst von: Christoph Hofer, Isabel Marcolino und Andreas Zollinger
Restriktive Lungenerkrankung bezeichnen eine Vielzahl verschiedener Krankheiten, die sich in akute oder chronische Lungenfunktionsstörungen pulmonaler wie extrapulmonaler Genese unterteilen lassen. Gemeinsam ist allen restriktiven Lungenerkrankungen die Veränderungen der Atemmechanik. Die Besonderheiten, die sich hieraus für das anästhesiologische Vorgehen ergeben, sind Schwerpunkt dieses Kapitels.

Grundlagen

Einteilung und Epidemiologie

Unter dem Begriff restriktive Lungenerkrankung wird eine Vielzahl verschiedener Krankheiten zusammengefasst (Tab. 1), die sich in akute oder chronische Lungenfunktionsstörungen pulmonaler wie extrapulmonaler Genese unterteilen lassen. Restriktive Lungenerkrankungen sind im klinischen Alltag häufig. Die einzelnen Krankheitsbilder unterscheiden sich jedoch in ihrer Inzidenz z. T. erheblich.
Tab. 1
Restriktive Lungenerkrankungen
Genese
Akute Erkrankungen
Chronische Erkrankungen
Pulmonal
Lungenödem
• Kardial: Herzinsuffizienz
• Neurogen
• „Negative pressure“
• Höhenlungenödem
• Toxisch
Acute respiratory distress syndrome (ARDS)
Pneumokoniose
• Infektiös
• Aspiration
Lungenfibrose
• Medikamentösbedingt
• Strahleninduziert
• Idiopathisch
 
ARDS
 
Chronische Aspiration (gastroösophagealer Reflux)
 
Alveolarproteinose
 
Z. n. Lungenresektion
Extrapulmonal
Systemische Veränderungen und Erkrankungen
• Schwangerschaft
Erkrankungen des Bewegungsapparats
• Kyphoskoliose
• Spondylitis ankylosans
• Sternummalformationen
• Neuromuskuläre Krankheit
 
Pleuraerguss

Pathophysiologie

Allen restriktiven Lungenerkrankungen gemeinsam sind Veränderungen der Atemmechanik [1]. Die Lungenvolumina sind bei erhaltenem exspiratorischem Flow reduziert und die totale pulmonale Compliance nimmt ab („steife Lunge“; Verschiebung der Druck-Volumen-Kurve nach rechts). Die daraus resultierende erhöhte Atemarbeit führt zu Dyspnoe, objektiv imponiert eine oberflächliche Atmung mit erhöhter Atemfrequenz. Der Gasaustausch unterliegt Veränderungen entsprechend der Dynamik der Erkrankung. Zu Beginn einer restriktiven Lungenfunktionsstörung besteht oft eine Hypokapnie als Ausdruck einer hyoxämiebedingten alveolären Hyperventilation. Der paCO2 normalisiert sich aber mit zunehmender Schwere der Erkrankung. Eine reduzierte CO-Diffusionskapazität ist oft zu finden und ist eher als Ausdruck einer Verteilungs- denn einer Gasaustauschstörung zu werten.

Besonderheiten für die Anästhesie

Akute pulmonal-restriktive Erkrankungen

Die Verminderung der pulmonalen Compliance ist Folge einer Zunahme der extravaskulären Flüssigkeit in den Lungen: Ursache dafür ist einerseits ein erhöhter Druck in den Lungenkapillaren wie z. B. beim kardialen Lungenödem im Rahmen einer Linksherzinsuffizienz. Andererseits kann eine erhöhte Kapillarpermeabilität zur extravaskulären Flüssigkeitsansammlung beispielsweise bei einer akuten bakteriellen Pneumonie oder beim ARDS („acute respiratory distress syndrome“) führen (Tab. 1).
Cave
Bei akuten pulmonal-restriktiven Erkrankungen sollen auf Grund der Krankheitsdynamik mit schnell auftretenden Gasaustauschstörungen keine elektiven chirurgischen Eingriffe vorgenommen werden.
Bei notfallmäßigen Operationen muss die Ursache der Erkrankung präoperativ so gut wie möglich behandelt werden, d. h. eine Verminderung der extravaskulären Flüssigkeit ist anzustreben.
Maßnahmen zur Verminderung der extravasalen Flüssigkeit am Beispiel des kardialen Lungenödems
  • Primär
  • Sekundär
    • Intubation und Überdruckbeatmung mit PEEP
    • Kreislaufunterstützung mit Katecholaminen
Bei diesen Krankheitsbildern ist primär eine Allgemeinanästhesie mit Intubation indiziert; in Ausnahmefällen kann eine Regionalanästhesie erwogen werden. Die präoperativ eingeleitete Therapie muss intraoperativ weitergeführt werden. Aufgrund reduzierter Lungencompliance können die Beatmungsdrücke während mechanischer Ventilation und Verwendung von PEEP deutlich erhöht sein, es besteht die Gefahr eines Barotraumas. Deswegen müssen das Atemzugvolumen reduziert und – bei fehlender Obstruktion – die Beatmungsfrequenz erhöht werden. Eine kontinuierliche arterielle Blutdrucküberwachung ist zwingend erforderlich. Diese erlaubt für den gesamten perioperativen Zeitraum eine raschere und präzisere Reaktion auf häufige kardiopulmonale Komplikationen.
Bei sehr schwerem Krankheitsverlauf können im Operationssaal eingesetzte Respiratoren der älteren Generation mit meist nur einfachen Beatmungsmodalitäten ungeeignet sein. Frühzeitig ist deshalb an den Einsatz eines modernen Respirators oder eines intensivmedizinischen Beatmungsgeräts im Operationssaal zu denken.

Akute extrapulmonal-restriktive Erkrankungen

Dies sind akute Pleuraergüsse (Hämato-, Sero- und Infusothorax), Pneumothorax sowie Ileus mit Zwerchfellhochstand infolge des erhöhten intraabdominellen Drucks. Sie alle führen durch Behinderung der Lungenausdehnung zu Störungen des Gasaustauschs. Es gelten die gleichen anästhesiologischen Überlegungen wie für die akut pulmonal-restriktiven Krankheiten.
Eine Verbesserung der Oxygenation und Ventilation ist bei Vorliegen von Pleuraerguss oder Pneumothorax mit deren Punktion und Drainage zu erreichen.

Chronische pulmonal-restriktive Erkrankungen

Die Reduktion der pulmonalen Compliance bei den sog. interstitiellen Pneumopathien ist auf chronisch entzündliche Prozesse im Bereich der Alveolen und der damit einhergehenden progredienten Fibrose zurückzuführen. Beispiele sind Pneumokoniosen, Sarkoidose (M. Boeck), Lungenfibrose nach Chemo- oder Radiotherapie und idiopathische Lungenfibrose (Tab. 1). Die Fibrosierung kann auf die Lunge begrenzt oder auch Ausdruck einer Systemerkrankung sein.
Radiologisch imponiert typischerweise ein retikulonoduläres Bild, das sich mit fortschreitender Erkrankung und zunehmender Zerstörung des Lungengewebes zur „Wabenbildung“ („honey-combing“) wandelt. Die Therapie besteht in der Ausschaltung möglicher Noxen (Pneumokoniosen, medikamentös induzierte Lungenfibrose) und einer Immunsuppression (Sarkoidose, idiopathische Lungenfibrose).
Der Schweregrad der Erkrankung muss präoperativ erfasst werden: Grad der Dyspnoe, Veränderungen des Thoraxröntgenbilds, der Lungenfunktion und der arteriellen Blutgasanalyse sind zu quantifizieren. Die eingesetzte Therapie muss perioperativ weitergeführt werden; insbesondere ist bei Patienten unter Glukokortikoiden auf eine adäquate Substitution zu achten. Wie bei anderen chronischen Lungenerkrankungen ist eine Lokal- oder Regionalanästhesie der Allgemeinanästhesie mit Intubation vorzuziehen. Die ausgeprägte Tendenz zur Hypoxämie aufgrund der verminderten funktionellen Residualkapazität (FRC) ist zu berücksichtigen.
Die erniedrigte FRC ist verantwortlich für das besonders rasche An- und Abfluten volatiler Anästhetika.

Chronisch extrapulmonal-restriktive Erkrankungen

Beispiele für diese seltene Form der Lungenerkrankung sind schwere Skelettanomalien (Kyphoskoliose, Trichterbrust) und ein chronisch massiver Zwerchfellhochstand (Aszites, Adipositas per magna; Tab. 1). Wie bei der akuten Form stehen die Störungen des Gasaustauschs durch Behinderung der Lungenausdehnung im Vordergrund.
Cave
Häufig entwickelt sich eine sekundäre pulmonalarterielle Hypertonie.
Grundsätzlich gelten die gleichen anästhesiologischen Überlegungen wie für die chronisch pulmonal-restriktiven Krankheiten.
Literatur
1.
Groeben H (2004) Strategies in the patient with compromised respiratory function. Best Pract Res Clin Anaesthesiol 18:579–594CrossRefPubMed