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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 10.05.2017

Anästhesie bei Patienten mit Suchterkrankungen

Verfasst von: Tim Neumann und Claudia Spies
Im operativ-chirurgischen Bereich besteht eine hohe Prävalenz von Suchterkrankungen. Substanzmissbrauch ist mit einer erhöhten Morbidität assoziiert. Dies bedingt einen häufigen Kontakt des klinisch tätigen Anästhesisten mit suchtkranken Patienten. Beim suchtkranken Patienten ist ein gezieltes diagnostisches Vorgehen erforderlich, da die Suchtdiagnose oft entweder erst anhand von Komplikationen im Verlauf gestellt wird oder die Intoxikation eine schwerwiegende Erkrankung verschleiert (z. B. Schädel-Hirn-Trauma und Alkoholintoxikation, Delir und Thiaminmangel, myokardiale Ischämie und Kokainabusus, Schmerzsyndrome und Opiatabusus). Viele Patienten nehmen mehr als eine Substanz ein (u. a. als Selbstmedikation bei Entzug oder psychiatrischen Erkrankungen). Die wichtigsten Aspekte werden in diesem Kapitel dargestellt.
Einleitung
Im operativ-chirurgischen Bereich besteht eine hohe Prävalenz von Suchterkrankungen. Substanzmissbrauch ist mit einer erhöhten Morbidität assoziiert. Dies bedingt einen häufigen Kontakt des klinisch tätigen Anästhesisten mit suchtkranken Patienten.
Beim suchtkranken Patienten ist ein gezieltes diagnostisches Vorgehen erforderlich, da die Suchtdiagnose oft entweder erst anhand von Komplikationen im Verlauf gestellt wird oder die Intoxikation eine schwerwiegende Erkrankung verschleiert (z. B. Schädel-Hirn-Trauma und Alkoholintoxikation, Delir und Thiaminmangel, myokardiale Ischämie und Kokainabusus, Schmerzsyndrome und Opiatabusus). Viele Patienten nehmen mehr als eine Substanz ein (u. a. als Selbstmedikation bei Entzug oder psychiatrischen Erkrankungen). Allgemein wird im Notfall symptomatisch behandelt. Ein Screening auf Substanzen (z. B. mit Atem- oder Urintests, oder „General Unknown Screening“) kann auch (un)erwarteten Beikonsum erfassen. Neben einer umfassenden Labordiagnostik sollte auch eine bildgebende Diagnostik inkl. Echokardiographie früh erwogen werden. Eine Unterscheidung zwischen Rausch, Entzug und körperlichen Erkrankungen kann schwierig sein, andere Ursachen für ein Delirium sollten ausgeschlossen werden.
Durch sekundär- bzw. tertiärpräventive Maßnahmen können beim suchtkranken Patienten erhöhte Risiken frühzeitig erfasst bzw. die Folgen nach eingetretener Erkrankung in ihrer Schwere gemildert werden. Diese beinhalten Screening, Diagnostik, Beratung, (Kurz-)Intervention beim Risikopatienten bzw. Abstinenztherapie, bedarfsangepasste Anästhesieformen, Prophylaxe von bzw. Substitution bei Entzugssymptomen, Maßnahmen der Stressreduktion, psychosoziale Therapie und ggf. komplexere interdisziplinäre Behandlungsstrategien beim Erkrankten. So können Patienten mit alkohol- und drogenbezogenen Störungen trotz eines erhöhten perioperativen Risikos ausreichend sicher im Rahmen eines interdisziplinären Konzepts behandelt werden. Wichtige Informationen über die Behandlung der Komplikationen nach Konsum illegaler oder unbekannter Drogen können Expertendatenbanken bieten, wie die des Giftnotrufs (Tel in D: 19240).
Weitere wichtige Hinweise zur Evidenz von Diagnostik und Therapie bei Suchterkrankungen finden sich in den Leitlinien zur Praxis der Suchttherapie (zu Alkohol und Tabak: www.awmf.org [1, 2]; zu Opiatabhängigkeit: www.dgsuchtmedizin.de, [6]), zu Methamphetamin: www.crystal-meth.aezq.de [54].
Operationalisierte diagnostische Kriterien
Abhängigkeit (ICD-10 F1x.2) Die u. g. Kriterien müssen mindestens einen Monat lang bestehen oder innerhalb von 12 Monaten wiederholt bestanden haben (wenn 3 der Kriterien erfüllt sind, kann operationalisiert die Diagnose „Abhängigkeit“ gestellt werden):
  • starkes Verlangen oder Zwang, die Substanz zu konsumieren,
  • verminderte Kontrolle über Beginn, Beendigung oder Menge,
  • körperliches Entzugssyndrom,
  • Einengung auf Substanzgebrauch, Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen, viel Zeit für Konsum und Erhöhung von Konsum,
  • anhaltender Substanzgebrauch trotz Wissen um eindeutig schädliche Folgen.
Schädlicher Gebrauch (ICD-10 F1x.1)
Die Diagnose eines schädlichen Gebrauchs nach ICD-10 (F1x.1) erfordert das Vorliegen einer tatsächlichen Schädigung der psychischen oder körperlichen Gesundheit des Konsumenten. Es müssen klar beschreibbare Schädigungen im Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch über einen Zeitraum von mindestens einem Monat oder mehrfach während 12 Monaten vorliegen. Diagnostische Hinweise für das Vorliegen eines schädlichen Alkoholkonsums können z. B. folgende körperlichen Beschwerden oder Verhaltensauffälligkeiten sein: „Filmrisse“ („black outs“), chronische Bauchschmerzen, Leberfunktionsstörungen sowie Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen oder depressive Verstimmungen.
Die Substanz selbst wird wie folgt kodiert (ICD-10):
  • F10.x: Alkohol,
  • F11.x: Opioide,
  • F12.x: Cannabinoide,
  • F13.x: Sedativa oder Hypnotika,
  • F14.x: Kokain,
  • F15.x: Stimulanzien einschließlich Koffein,
  • F16.x: Halluzinogene,
  • F17.x: Nikotin,
  • F18.x: flüchtige Lösungsmittel (Schnüffelstoffe),
  • F19.2: Polytoxikomanie,
  • .1: Intoxikation,
  • .2: schädlicher Gebrauch,
  • .3: Abhängigkeitssyndrom,
  • .4: Entzugssyndrom,
  • .5: Entzugssyndrom mit Delir,
  • .6: psychotische Störungen,
  • .7: amnestische Störungen,
  • .71: Persönlichkeitsstörung,
  • .72: affektives Syndrom,
  • .73: Demenz,
  • .8: Spätauftreten psychotischer Störungen,
  • .9: andere induzierte Geistes- oder Verhaltensstörungen.
Riskanter Alkoholkonsum/gefährlicher Gebrauch
Damit wird eine tägliche Trinkmenge oberhalb der „Gefährdungsgrenze“ von 30 bzw. 40 g/Tag bei Männern und von 20 g/Tag bei Frauen bezeichnet. Bei Betroffenen, die diesen angegebenen Grenzwert länger andauernd (wenn auch nur geringfügig) überschreiten, muss von einem erhöhten Risiko ausgegangen werden, auf Dauer alkoholbedingte körperliche und/oder psychische Beeinträchtigungen zu erfahren.
Relevanter täglicher Alkoholkonsum in der operativen Medizin
60 g Reinalkohol/Tag [810].

Alkohol

Klinische Relevanz

Jeder 5. Patient, der in ein Krankenhaus aufgenommen wird, hat eine alkoholkonsumbezogene Störung [9]. Die Prävalenz kann in einzelnen Patientengruppen höher liegen und wird zudem oft nicht erkannt [11]. Bei Patienten mit Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts und bei polytraumatisierten Patienten liegt das Missbrauchspotenzial sogar über 50 % [8, 9].
Chronisch erhöhter Alkoholkonsum schädigt fast alle Organsysteme, insbesondere Herz, Leber, Knochenmark und Gehirn (Tab. 1). Die direkt toxische Wirkung des Alkohols wird oft durch eine Mangelernährung (Kap. Anästhesie bei Patienten mit schwerer Mangelernährung) aggraviert.
Tab. 1
Auswirkungen und Komplikationen durch chronisch erhöhten Alkoholkonsum. (Nach: [1, 8, 9, 1217])
(Organ)systeme
Auswirkungen
Komplikationen
Nervensystem
• Wechselnde neuronale Erregbarkeit
• Neurotoxizität
Demenz
Delir
• Autonome Dysregulation
Herz
• Verringerung der Ejektionsfraktion
• (Präklinische) Kardiomyopathie
• Arrhythmien
Lunge
• Veränderung der lungenspezifischen Abwehr
• Nikotinmissbrauch
• „Adult respiratory distress syndrome“ (ARDS)
• Infektionen
Gastrointestinaltrakt
• Leberparenchymschädigung (u. a. Verminderung von Syntheseleistung und Enzymaktivitäten, portale Hypertension)
• Gastritis
• Enterale Translokation
• Medikamenteninteraktionen
• Erhöhte Toxizität von Pharmaka
• (Gastrointestinale) Blutungen
• Infektionen
Blutgerinnungssystem
• Verminderung der Thrombozytenzahl
• Einschränkung der Thrombozytenfunktion
• Verminderung der plasmatischen Gerinnung (Leber)
• Blutungen
Immunsystem
• Verminderung von Lymphozytenmigration und -adhäsion
• Verringerte Th1/Th2- und Tc1/Tc2-Ratio
• Abschwächung von Typ-IV-Immunreaktionen
• Imbalance pro- und antiinflammatorischer Zytokine
• Splenomegalie
• Infektionen
Knochenmark
• Leukopenie
• Thrombopenie
• Makrozytose
• Infektionen
• Blutungen
Patienten mit einem Alkoholkonsum über 60 g/Tag haben eine 2- bis 5-fach erhöhte postoperative Morbidität und Letalität im Vergleich zu Nichtakoholikern. Es besteht eine erhöhte Inzidenz von Infektionen, kardialen Komplikationen und Nachblutungen. Ungefähr die Hälfte aller alkoholkranken Patienten auf einer Intensivstation entwickelt ein Alkoholentzugssyndrom [9, 16].
Kurzinterventionen mit einem nichtkonfrontativen, eine Ambivalenz akzeptierenden, aber direktiven Gesprächsstil können bei Patienten mit alkoholbezogenen Störungen zu einer Reduktion des Alkoholkonsums führen. Damit ist eine deutliche Risikoreduktion verbunden. Es sind nicht nur kurze Beratungsgespräche (Länge von 15–40 min) im Sinne des „Motivational Interviewing“ effektiv, sogar eine individuelle computergestützte Beratung und Feedback führte nach 6 Monaten zu einer deutlichen Reduktion des Alkoholkonsums [1, 8, 18]. Auch Patienten mit riskantem Alkoholkonsum sollten diese effektiven Maßnahmen nicht vorenthalten werden, ggf. sind weitere medizinische und psychosoziale Maßnahmen einzuleiten.

Alkoholintoxikation, Alkoholentzugssyndrom und Wernicke-Enzephalopathie

Alkoholintoxikation

Die akute Alkoholintoxikation geht mit Enthemmung und Agitation einher, gefolgt von einer Dämpfung der zentralnervösen Aktivität. Elektrolytstörungen, Hypoglykämien, respiratorische Insuffizienz, Aspiration, Störungen der Temperaturregulation und eine kardiovaskuläre Symptomatik wie Tachykardie und Hypotonie können akut lebensbedrohlich sein. Bei eingeschränkter Kooperation müssen andere Delirursachen sicher ausgeschlossen werden, z. B. ein (Neuro)trauma [9, 14].

Alkoholentzugssyndrom

Das Alkoholentzugssyndrom ist eine Ausschlussdiagnose. Erste Zeichen sind vegetative Symptome wie Schwitzen, Tremor, Übelkeit, Angst und Unruhe. Grand-mal-Anfälle können auftreten. Beim Prädelir kommen produktiv-psychotische Symptome in Form von Halluzinationen hinzu. Das Delirium tremens ist durch örtliche und zeitliche Desorientiertheit, Halluzinose, Ataxie, vegetative Störungen und Tremor charakterisiert [9].

Wernicke-Enzephalopathie

Bei alkoholkranken Patienten sollte immer an eine mögliche Wernicke-Enzephalopathie gedacht werden, die nur in 10 % der Fälle mit Ataxie, Nystagmus und Bewusstseinsstörungen einhergeht. Im Akutfall bzw. schon bei Verdacht auf eine mögliche Wernicke-Enzephalopathie sollte eine i.v.-Thiamingabe in hohen Dosen (täglich 3-mal 200–250–500 mg i.v. [10, 12]) erfolgen, da die Diagnose gerade beim Alkoholintoxikierten erst zu spät gestellt und eine entsprechende Therapie zu spät eingeleitet wird [10, 12].
Eine orale Substitution ist initial nicht ausreichend. Alkoholkranke mit offensichtlicher oder anzunehmender Mangelernährung und Malabsorption sollten mit Thiamin substituiert werden. Patienten sollten Thiamin spätestens mit der i.v.-Glukosegabe (z. B. zum Ausgleich von Hypoglykämien oder zur Behandlung der alkoholischen Ketoazidose) erhalten. Zudem sollten Vitamingaben sowie ein Flüssigkeits-und Elektrolytausgleich (Magnesium!) unter adäquater Überwachung erfolgen [10, 12, 14].

Metabolismus und Medikamenteninteraktionen

Nur ein geringer Anteil des aufgenommenen Ethanols wird bereits präsystemisch im Magen metabolisiert. Der größte Teil wird durch die Alkoholdehydrogenase zu Azetaldehyd oxidiert (und weiter via Azetaldehyddehydrogenase zu Azetazetat), während der Rest durch die Katalase oder das Cytochrom P450-2E1 (CYP 2E1) umgesetzt wird. Ein kleinerer Teil wird nichtoxidativ verstoffwechselt, z. B. glukuronidiert.
Ethanol stellt nicht nur ein Substrat für CYP 2E1 dar, sondern induziert es [19]. Damit beeinflusst Ethanol die Metabolisierung von Pharmaka und chemischen Verbindungen des Phase-I-Metabolismus (Cytochrom-P450-assoziierte Reaktionen). Andere wichtige CYP 2E1-Induktoren sind Isoniazid, Imidazol, Ketonkörper, Übergewicht und Diabetes mellitus. Akuter Alkoholkonsum führt zu einer Hemmung von CYP 2E1 durch direkte Kompetition und schränkt daher den Metabolismus über CYP 2E1 ein [14].
Cave
Beim chronisch erhöhten Alkoholkonsum kann es bei abfallendem Alkoholspiegel bereits bei sonst nichttoxischen Paracetamoldosen (2,5–6 g) zu einer vermehrten Bildung des hepatoxischen Metaboliten NAPQI (N-Azetyl-p-Benzochinonimin) kommen [20].
Eine Aggravation durch Fasten und Mangelernährung wird vermutet. Ein vorübergehender Anstieg des Serumfluoridspiegels nach Sevofluranenarkose ohne relevante klinische Effekte ist beschrieben [21]. Es ist anzunehmen, dass dies durch eine CYP 2E1-Induktion verstärkt wird. Auch Isofluran und Desfluran werden deutlich weniger, aber eben auch durch CYP 2E1 verstoffwechselt.
Ferner sind weitere pharmakokinetisch bedingte Medikamenteninteraktionen zu beachten. Im Einzelfall ist die Fachinformation zu konsultieren. Einige Medikamente (z. B. Disulfiram, Kalziumkarbimid, Sulfonylharnstoffe der ersten Generation, Cephalosporine mit einem N-Methylthiotetrazol-Ring, Metronidazol, Mepacrin, Procarbazin, Furazolidin, Quinacrin, Chloramphenicol, Griseofulvin) können ein Antabus-Syndrom (Azetaldehydintoxikation durch Hemmung der AlDH) mit u. a. Hypotension, Tachykardie, Flush, Schwitzen, Kopfschmerz und Erbrechen auslösen. Die Trichloressigsäure als aktiver Metabolit des Chloralhydrats ist ein kompetitiver Hemmstoff der ADH und selbst Substrat dieses Enzyms. Weiterhin hemmt Ethanol die Glukuronidierung der Trichloressigsäure, und Chloralhydrat selbst ist Substrat der ALDH und hemmt so den Azetaldehydabbau. Bei chronisch erhöhtem Alkoholkonsum sind weitere Interaktionen beschrieben, z. B. mit Tolbutamid (Spiegel erniedrigt), Phenytoin (Spiegel erniedrigt) und Warfarin (Halbwertszeit reduziert), während z. B. bei bestehender Warfarinmedikation die akute Aufnahme von Alkohol die antikoagulatorische Wirkung verstärkt. Verapamil verlängert die Alkoholelimination und verstärkt die Alkoholeffekte.

Anästhesiologisches Vorgehen

Elektiveingriff

Prämedikation
Ein klinisch relevanter Missbrauch von Alkohol besteht in der operativen Medizin definitionsgemäß ab einer täglichen Trinkmenge von 60 g Alkohol [8, 9, 14, 17, 22, 23], wobei ein riskanter Konsum schon ab 30 g/Tag (Männer) bzw. 20 g/Tag (Frauen) beginnt [24]. Eine ausführliche Evaluation, insbesondere im Hinblick auf den Alkoholkonsum gefährdeter Patienten, sollte bei jedem Prämedikationsgespräch erfolgen.
Die Verwendung eines alkoholismusrelevanten Fragebogens wird empfohlen. Um auch andere Formen alkoholbezogenen Störungen wie z. B. einen riskanten Konsum zu detektieren, wird der „Alcohol Use Disorders Identification Test“ (AUDIT) oder seine Kurzform empfohlen [1, 11, 18, 25, 26]. Der 10-Fragen umfassende AUDIT fragt sowohl nach erhöhtem Konsum (Die 3 Fragen des AUDIT-Consumption: 1. Wie oft? 2. Wieviel? 3. Wie oft mehr als 6 Getränke), als auch nach Zeichen der Abhängigkeit und nach negativen Konsequenzen des Alkoholkonsums.
Ein Feedback über evtl. pathologische alkoholkonsumassoziierte Befunde kann zur Diagnosestellung beitragen [15]. Hier ist auf eine sachliche, bestimmte und empathische (bzw. nichtkonfrontative), aber direktive Gesprächsführung zu achten, um mit dem Patienten ein Arbeitsbündnis schließen zu können. Eine Aufklärung über das Risiko („Feedback“) sowie eine Einbeziehung des Patienten in therapeutische und risikovermindernde Maßnahmen („Responsibility“) mit klar formulierten Zielen („Aims“) und Maßnahmen („Menue of behavioural changes“) in einer direktiven, aber empathischen und wertschätzenden Gesprächsführung („Empathie“) mit Betonung der Selbsteffizienz (self-efficiacy) des Patienten können sich auf die FRAMES-Regeln der patientenorientierten Gesprächsführung stützen [14, 15]. Durch Kurzinterventionen und gesundheitsorientierter Gesprächsführung können auch längerfristige Änderungen der Motivation bezüglich des riskanten Drogen- oder Alkoholkonsums erreicht werden [1, 14].
Bestimmte Laborparameter gelten als Marker für eine akuten bzw. subakuten bzw. Alkoholkonsum bzw. intoxikation [1, 11, 15]:
  • Alkoholkonzentration im Blut, in der Ausatemluft und im Urin,
  • Ethylglukuronidkonzentration (EtG) im Urin.
Marker für den chronischen Alkoholkonsum sind [1, 11, 15]:
Diese Labormarker können zwar einen erhöhten Alkoholkonsum des Patienten aufdecken, nicht aber eine Abhängigkeit des Patienten nachweisen [1, 11].
Alkohol bezogene Störungen werden meist unterschätzt, insbesondere bei Frauen und jüngeren Patienten: In einer Studie in einer Anästhesieambulanz wurde bei einem von 14 Patienten mit einer alkoholbezogenen Störung diese von dem Anästhesisten während der präoperativen Visite diagnostiziert, mit einem elektronischen Fragebogen wurden einer von 6 Patienten detektiert [11]. Die Anwendung von Fragebögen wie dem AUDIT wird empfohlen, da sie mehr Patienten detektieren.
Die präoperative Strategie zur Detektion von Patienten mit alkoholbezogenen Störungen besteht aus einem Screening und einer anschließenden Evaluierung der im Rahmen des Screenings positiven Patienten [9, 15, 27]. Biologische Marker werden eingesetzt, wenn z. B. Selbstangaben nicht verlässlich oder nicht zu erheben sind. Ethylglukuronid kann zum Nachweis eines kurz zurückliegenden Alkoholkonsums (Zeitfenster von einem Tag) jenseits der Blutalkoholnachweiszeit dienen und Risikopatienten detektieren, die z. B. noch kurz vor einem operativen Eingriff trinken [1, 15]. Zum Nachweis von chronischem Alkoholkonsum kann ein Zustandsmarker (EtG in Haaren und PEth im Blut) oder eine geeignete Kombination von indirekten Zustandsmarkern (z. B. γGT, MCV und CDT) eingesetzt werden.
Die Patienten sollten über die zusätzlichen Risiken durch den erhöhten Alkoholkonsum und mögliche Konsequenzen aufgeklärt werden. Strategien zur Reduktion der erhöhten Morbidität sind bisher nicht umfassend evaluiert [1, 21, 23, 28]. Durch prophylaktische Maßnahmen wie eine pharmakologische Entzugsprophylaxe z. B. durch Stressachsen modifizierende Medikamente oder durch eine präoperative Abstinenz von 4 Wochen konnten jedoch die postoperative Morbidität und Infektionsrate nach elektiven Eingriffen verringert werden [9, 16, 23, 2830].
Eine Prämedikation sollte mit lang wirksamen Benzodiazepinen, z. B. Lorazepam, erfolgen. Einer perioperativen Entzugssymptomatik kann hiermit entgegengewirkt werden. Manche alkoholkranken Patienten können die Nüchternheitsgrenze nicht einhalten. In diesen Fällen empfehlen sich der präoperative Beginn einer Entzugsprophylaxe und die präoperative Aufnahme auf eine Überwachungsstation.
Auswahl der Anästhetika
Inhalationsanästhetika
Inhalationsanästhetika werden hauptsächlich über die Lunge ausgeschieden und nur zu einem geringen Anteil hepatisch metabolisiert. Sevofluran wird normalerweise zu <5 % über die Leber metabolisiert. Trifluorazetylierte Intermediärprodukte entstehen nicht. Eine Induktion von CYP 2E1 könnte zu einer erhöhten Bildung von Plasmafluoriden führen. Aufgrund der geringen intrarenalen Metabolisierung ist bei Sevofluran von keiner nephrotoxischen Nebenwirkung auszugehen, allerdings liegen keine dezidierten Untersuchungen zu alkoholkranken Patienten vor.
Isofluran und Desfluran stellen in Bezug auf die geringeren Fluoridspiegel eine sichere Alternative dar, da nur ca. 1 % dieser Substanzen hepatisch metabolisiert wird. Allerdings werden beim Abbau von Desfluran und Isofluran trifluorazetylierte Intermediärprodukte diskutiert [31], ohne dass es eindeutige klinische Nachweise gäbe. Durch die geringe Metabolisierungsrate im Vergleich zum Halothan dürften diese Intermediärprodukte nur eine geringe klinische Bedeutung besitzen.
Es besteht eine synergistische Wirkung von Alkohol und Inhalationsanästhetika auf zentrale γ-Amino-Buttersäure- (GABA)- und Glycinrezeptoren. [14, 32]. Beim akut intoxikierten Patienten sollte eine Dosisreduktion nach Wirkung erfolgen. Umgekehrt muss im Entzug die Dosis evtl. erhöht werden.
Propofol
Die Interaktionen von Propofol mit Alkohol sind nicht genau geklärt. Propofol wird hauptsächlich über für Alkohol nichtrelevante Untereinheiten des Cytochroms P450 abgebaut, jedoch kann es zu einer Unterdrückung der CYP 2E1-Aktivität durch Propofol kommen. Additive hypnotische Effekte von Ethanol und Propofol konnten nachgewiesen werden [32]. Eine Dosisreduktion nach Wirkung kann bei akuter Alkoholintoxikation notwendig sein.
Muskelrelaxanzien
Die Wirkung von Muskelrelaxanzien kann verlängert und verstärkt sein. Bei den nichtdepolarisierenden Relaxanzien Pancuronium, Rocuronium, Mivacurium und Vecuronium ist wie bei dem depolarisierenden Relaxans Succinylcholin, insbesondere bei Leberinsuffizienz, mit einer verlängerten Wirkdauer zu rechnen. Falls diese Medikamente trotzdem eingesetzt werden, ist ein neuromuskuläres Monitoring zu empfehlen. Alternativ bieten sich Atracurium und Cisatracurium als Relaxanzien an.
Narkoseführung
Die Inhalationsanästhesie mit Isofluran bzw. Desfluran oder Sevofluran und die totale intravenöse Anästhesie sind für den alkoholkranken Patienten gleichermaßen geeignet. Die erforderliche Dosis an Anästhetika sollte titriert erfolgen und über die klinische Wirkung bestimmt werden. Im Entzug kann so die Unterdosierung, bei Intoxikation die Überdosierung vermieden werden. Atracurium und Cisatracurium bieten sich als Relaxanzien an.
Regionalanästhesieverfahren sollten nur bei adäquater Vigilanz und Kooperationsfähigkeit sowie laborchemisch unauffälliger Blutgerinnung eingesetzt werden. Limitation für die Regionalverfahren ist die Agitation des Patienten und die fehlende Sicherung der Atemwege. In der Phase der Intoxikation sind Regionalverfahren kontraindiziert.
Aufwachraum
Der Patient muss bei Verlegung aus dem Aufwachraum ausreichend vigilant, kardiopulmonal stabil und schmerzfrei sein. Drainageverluste sollten gut dokumentiert sein und frühzeitig an eine Gerinnungsstörung denken lassen. Eine regelmäßige Überwachung u. a. des Säure-Basen-Haushalts, der Elektrolytwerte und des Blutzuckerspiegels sind zu empfehlen, da Alkohol über eine Erhöhung des NADH-Spiegels zu einer Hypoglykämie, einem erhöhten Laktatspiegel sowie einer Störung des Zitronensäurezyklus und der β-Oxidation von Fettsäuren führt [20]. Elektrolytstörungen wie Hypokaliämien und Hypomagnesiämien können während des frühen Entzugs auftreten [9, 14].
Postoperative Nachbehandlung
Die Grenze zwischen Prophylaxe und Therapie des Alkoholentzugsyndroms ist fließend. Sowohl Prophylaxe als auch Therapie sollten zeitnah und symptomorientiert durchgeführt werden [1, 3, 9, 22, 30, 31, 33]. Alle Patienten sind deshalb engmaschig mittels der Revised Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale (Tab. 2; [9, 33, 34]) oder eines vergleichbaren Scores [36] zu überwachen. Alternativ bieten sich zur besseren intensivmedizinischen Therapiesteuerung die Confusion Assessment Method (CAM-ICU; [3638]) bei hypoaktivem Delir bzw. der Delirium Detection Score (DDS; [38]) bei hyperaktivem Delir an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die CAM-ICU einen hohen Schulungsaufwand mit sich bringt. Alternativ kann die Delirium Rating Scale (DRS; [30, 36]) verwendet werden.
Tab. 2
Postoperative Überwachung mittels des Revised clinical institute withdrawal assessment for alcohol scale (CIWA-Ar). (Nach: [34])
1) Übelkeit/Erbrechen
0 = keine, 1 = geringe Übelkeit ohne Erbrechen, 4 = intermittierende Übelkeit, trockene Hübe, 7 = konstante Übelkeit, Erbrechen
2) Tremor
0 = kein, 1 = nicht sichtbar, aber spürbar (Fingerspitzen), 4 = moderat (ausgestreckte Arme), 7 = schwer
3) Schwitzen
0 = kein, 1 = kaum fassbar (Handinnenflächen), 4 = Stirn, 7 = nassgeschwitzt
4) Angst
0 = keine, 1 = geringe, 4 = moderate, 7 = panische
5) Agitation
0 = normal, 1 = gesteigert, 4 = moderat, 7 = schwer
6) Taktile Halluzinationen (Juckreiz, Nadelstiche, Brennen, Taubheit)
0 = keine, 1 = sehr geringe, 2 = leichte, 3 = moderate, 4 = mittelschwere, 5 = schwere, 6 = extrem schwere, 7 = kontinuierliche
7) Akustische Halluzinationen
0 = keine, 1 = sehr geringe, 2 = leichte, 3 = moderate, 4 = mittelschwere, 5 = schwere, 6 = extrem schwere, 7 = kontinuierliche
8) Visuelle Halluzinationen
0 = keine, 1 = sehr geringe, 2 = leichte, 3 = moderate, 4 = mittelschwere, 5 = schwere, 6 = extrem schwere, 7 = kontinuierliche
0 = keine, 1 = sehr geringe, 2 = leichte, 3 = moderate, 4 = mittelgradige, 5 = schwere, 6 = extrem schwere, 7 = kontinuierliche
10) Orientierung
0 = serielles Addieren möglich, 1 = kann sich nicht konzentrieren, unsicher über das Datum, 2 = nicht orientiert zur Zeit um <2 Tage, 3 = nicht orientiert zur Zeit um >2 Tage, 4 = keine Orientierung zu Zeit und Raum
Ab einer CIW-Ar-Punktzahl [34] >10 bzw. im intensivstationären Bereich bei einem DDS-Wert [35] von ≥8 sollte eine frühzeitige und symptomorientierte Pharmakotherapie erfolgen. Ab einer CIWA-Ar-Wert von >20 ist in der Regel eine intensivstationäre Behandlung erforderlich [20]
Die für die Prophylaxe gebräuchlichen Medikamente sind Benzodiazepine, Clomethiazol (p.o.), α2-Agonisten und Haloperidol bzw. Risperidon [1, 3, 15, 22, 30]
Bei alkoholkranken Patienten kann nach operativem Stress bis zum 3. postoperativen Tage ein Hyperkortisolismus auftreten. Eine pharmakologische Intervention mittels Inhibition der HPA-Achse mit Morphin, niedrigdosiertem Ethanol und Ketokonazol konnte die bei Alkoholkranken prolongierte Kortisolantwort auf den operativen Stress im Vergleich zu Placebo verhindern und damit die Infektionsinzidenz reduzieren [29]. Zur Blockade der HPA-Achse und zur Reduktion von infektiösen Komplikationen empfiehlt sich perioperativ die Infusion von niedrigdosiertem Ethanol (0,5 g/kgKG/Tag i.v.) oder niedrigdosiertem Morphin (15 μg/kgKG/h; [29]). Bei perioperativer Alkoholgabe ist eine Abschätzung der Motivationslage bezüglich einer Änderung des Alkoholkonsums erforderlich. Ein Einverständnis zur Alkoholgabe sollte vorliegen. Wenn eine Prophylaxe erforderlich ist, kann jedes der genannten Therapeutika als Mono- oder Kombinationstherapie verwendet werden (s. unten).
Die Prophylaxe des Alkoholentzugssyndroms kann auf peripheren Stationen mit einer Monosubstanz erfolgen [1]. Hier werden auch andere Medikamente wie z. B. Antikonvulsiva eingesetzt [1]; für diese Medikamente gibt es für den intensivstationären Bereich aber noch keine ausreichende Evidenz [3, 30].
Eine postoperative Nachvisite auf der Station ist unbedingt erforderlich, ggfs. muss der Patient auf eine Überwachungs- oder Intensivstation verlegt werden. Wichtig ist die ausschleichende Dosierung der prophylaktisch eingesetzten Medikamente, da diese – bei nicht indizierter Fortsetzung der Behandlung – selbst ein Suchtpotenzial beinhalten [1, 9].
Medikamentöse Entzugsprophylaxe bei alkoholkranken Patienten
Alle Medikamente, die keine Zulassung in dieser Indikation haben, können verwendet werden, sind aber aufklärungspflichtig (nach: [1, 3, 9, 14, 22, 23, 30, 31, 33, 39])!
  • Medikament der ersten Wahl: Benzodiazepine
    • Diazepam i.v. oder p.o. alle 6 h; in Schritten von 1, 2, 5 und 10 mg titrieren
    • Chlordiazepoxid: alle 6 h 5–25 mg
    • Lorazepam i.v. oder p.o.: 0,25–2 mg (bei älteren Patienten zur Nacht)
  • Alternative Medikamente zu Benzodiazepinen:
    • Clomethiazol, Kps. à 192 mg: initial 2–4 Kps., Nach Wirkung weitere 2 Kps. nach 30–60 min bis max. 6–8 Kps. in den ersten 2 Stunden; max. Dosis auf peripheren Stationen: 8-mal 2 Kps./Tag (bei jüngeren Patienten); Kontraindikationen: Atemwegs- bzw. Lungenerkrankung, pulmonaler Infekt, (Bettlägerigkeit)
    • Ethanol: 0,5 g/kgKG/Tag i.v., zur Inhibition der HPA-Achse, additiv ein Benzodiazepin; Kontraindikationen: Infektion, Herzinsuffizienz, Entzug, Abstinenzwunsch. (Die Gabe von Ethanol zur Prophylaxe sollte nur erfolgen, wenn nach sorgfältiger Evaluierung der Motivationslage beim Patienten kein Abstinenzwunsch besteht.)
  • Monitoring des Patienten alle 4 h mittels RASS/DDS oder CIWA-Ar für 24 h:
    • Zielgröße: CIWA-Ar ≤10, DDS <8, RASS 0(−2)
    • adjuvante Medikation:
      • bei vegetativen Symptomen α2-Agonisten: Clonidin (initial 0,15–0,3 mg) oder Dexmedetomidin (initial 0,2–0,7–1,4 μg/kg/h)
      • bei produktiv-psychotischen Symptomen: u. a. Haloperidol (initial 0,5–1,5–3 mg) bzw. Risperidon (initial 0,125–0,5–1 mg)
Zur Therapie des Alkoholentzugssyndroms (AES) sind in der Regel höhere Dosierungen bzw. Medikamentenkombinationen erforderlich, die zeitnah und symptomorientiert verabreicht werden müssen. Frühzeitig ist an eine langsame Dosisreduktion zu denken. Ethanol ist zur Behandlung des AES nicht geeignet.

Dringlicher und Notfalleingriff

Bei schwertraumatisierten Patienten ist es oft aufgrund der Intubation und Beatmung nicht möglich, eine Alkoholanamnese zu erheben. Neben der Fremdanamnese können nur die genannten Laborwerte zur Orientierung eingesetzt werden. Die Möglichkeit einer präoperativen Abstinenz besteht hier nicht. Einem Entzug sollte vorgebeugt werden, da es durch Stress, Trauma, Operation sowie Intubation und Beatmung zu einer Exazerbation der Entzugssymptomatik kommen kann [8, 9, 16, 17, 23, 29, 33].

Intensivstationäre Behandlung

Muss der Patienten postoperativ auf die Intensivstation aufgenommen werden, kann eine Entzugsprophylaxe die Komplikationen reduzieren [14, 16, 29, 30, 33]. Bei der Entwicklung einer Enzephalopathie sollte der behandelnde Arzt die vital bedrohlichen Differenzialdiagnosen beachten [9]:
I WATCH DEATH
Infektionen, Withdrawal (Entzug), Akut metabolisch, Trauma, CNS (ZNS), Hypoxie, Deficiences (Mangelerscheinungen), Endokrinopathien, Akut vaskulär, Toxine/Drogen, Heavy metals (Schwermetalle)
Das Alkoholentzugssyndrom ist eine Ausschlussdiagnose. Falls ein Alkoholentzugssyndrom auftritt, ist ein kombinierter Einsatz von Medikamenten therapeutisch sinnvoll [1, 3, 9, 14, 22, 23, 30, 31, 33, 39, 40].
Der CIWA-Ar-Score liegt bei chirurgischen Intensivpatienten meist um ein Vielfaches höher als bei psychiatrischen Patienten, denn Narkose und postoperativer Stress können Transmitterimbalancen verstärken und eine erweiterte Therapie erforderlich machen. Als Mittel der ersten Wahl werden dabei wie in den evidenzbasierten Empfehlungen Benzodiazepine eingesetzt [1, 3, 9, 30]. Bei vegetativer Stimulation wird die Therapie mit α2-Agonisten (Clonidin, Dexmedetomidin), bei produktiv-psychotischen Symptomen mit Haloperidol ergänzt [1, 3, 9, 14, 22, 23, 30, 31, 33, 39, 40].
Cave
Wegen der mangelnden therapeutischen Breite ist Ethanol im manifesten Entzug obsolet [9].

Opioide

Klinische Relevanz

Opiatabhängige Patienten können Patienten mit einer erheblichen i.v.-Drogenkonsum assoziierten somatischen oder psychiatrischen Komorbidität sein oder auch chronische Schmerzpatienten, die mit Opioiden behandelt werden. Häufig besteht zusätzlich Drogen-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch [2, 4, 6, 22, 4143]. Opioide können i.v., s.c., p.o., inhalativ und nasal aufgenommen werden. Heroin mit seiner euphorisierenden Wirkung wird am häufigsten verwendet.
Die Atemdepression und konsekutive Hypoxie ist die häufigste Ursache von Morbidität und Tod nach akutem Opioidmissbrauch.
Kardiologisch stehen ST-Strecken-Veränderungen, tachykarde Rhythmusstörungen, Hypotension und dekompensierte Herzinsuffizienz im Vordergrund, neurologisch zerebrale und spinale Ischämien. Bei der akuten Intoxikation besteht die Gefahr einer Aspirationspneumonie. Lagerungsschäden und konsekutive Rhabdomyolyse können auftreten.
Entzugssymptome sind:
  • Tachykardie,
  • Diarrhö,
  • Hyperhidrosis,
  • Hyperthermie,
  • Dehydrierung und Gänsehaut, was auch als „cold turkey“ bezeichnet wird.
Schmerzpatienten, die mit Opioiden behandelt werden, können ebenfalls opioidabhängig und entzugsgefährdet sein [4, 6, 31, 44].

Wirkmechanismus und pharmakologische Interaktionen

Opioide wirken über unterschiedliche Rezeptoren:
  • Analgesie, Euphorie und Abhängigkeit werden über μ- Rezeptoren vermittelt,
  • Miosis und Sedation durch den κ-Rezeptor,
  • Dysphorie und Halluzinationen über den δ-Rezeptor.
Heroin ist ein synthetisches Morphinderivat und wird bei i.v.-Injektion innerhalb von 10–15 min über 6-Monoacetylmorphin zu Morphin umgewandelt. Heroin ist etwa doppelt so potent wie Morphin.
Über μ-Rezeptoren kommt es zur Analgesie, Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung, jedoch auch zu Atemdepression.
Heroin unterdrückt die Dopaminproduktion im mesolimbischen System über μ1-Opioidrezeptoren. Umgekehrt kommt es im Entzug zu einer überschießenden Dopaminproduktion, was Angstgefühle hervorrufen kann.
Additive Effekte von Ethanol und Opioiden sind bekannt und müssen berücksichtigt werden. Die Wirkungen und Nebenwirkungen der Opioide werden durch zentraldämpfende Pharmaka verstärkt.

Anästhesiologisches Vorgehen

Elektiveingriffe

Substitution
Eine bestehende Substitutionsbehandlung wird fortgeführt. Bei einer Neueinstellung beivorliegenden Indikation werden initial maximal maximal 30 mg Dextro-Levomethadon p.o., (entspricht 15 mg Levomethadon) gegeben, ggf. bei weiter bestehenden Symptomen 5–10 mg zusätzlich. Danach wird die Dosis um mindestens 10 mg D/L-Methadon pro Tag gesteigert, bis die Entzugssymptome verschwunden sind. Bei den meisten Patienten ist eine D/L-Methadondosis von 60–120 mg/Tag ausreichend, einige brauchen mehr.
Die Substitution mit partiellen Agonisten ist eine Alternative, die im perioperativen Kontext nicht immer primär erwogen werden kann [6]. Klinische Zeichen der Über- und Unterdosierung sind zu beachten. Vitalparameter und Entzugssymptome sollten regelmäßig dokumentiert werden. In klaren Algorithmen ist patientennah das Vorgehen schriftlich festzulegen:
  • bei Überdosierung: Kommandoatmung, O2-Gabe und Beatmung, ggf. Naloxon;
  • bei Unterdosierung: Opioidgabe.
Laxanzien (z. B. Laktulose) werden adjuvant verabreicht, bis sich die Stuhlkonsistenz normalisiert hat. Bei Hyperhidrosis (z. B. während des Entzugs) ist auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.
Vielfältige Medikamenteninteraktionen sind bei Methadon zu beachten [42, 43]. Teilweise komplexe Enzyminduktionen (Cytochrom) bzw. -inhibitionen betreffen u. a. eine antivirale Medikation, Carbamazepin, Phenytoin, Cimetidin und Rifampicin. Daneben haben pharmakodynamisch z. B. alle Benzodiazepine eine synergistische Wirkung auf die sedierende Wirkung und die Beinträchtigung des Atemzentrums. Die QT-Zeit muss initial und im Verlauf bestimmt werden. Die Dosierung von Methadon erfolgt nach der Wirkung [4, 6, 22, 31].
Evaluierung
Bei der Evaluierung sind Begleiterkrankungen wie Infektionen wie HIV, Hepatitis B und C, die seltene Rechtsherzendokarditis, der Venenstatus sowie psychiatrische Komorbidität und weiterer Substanzmissbrauch zu beachten. Opioidabhängige Patienten brauchen oft eine intensive psychosoziale Betreuung [6, 22, 31].
Narkoseführung
Bei der Narkoseführung ist mit einem erhöhtem Analgetikabedarf auch beim ausreichend substituierten Patienten zu rechnen. Die vom Patienten täglich eingenommene Menge sollte als „Baseline“ verstanden werden, zu der zusätzliche Opioide zur Analgesie hinzugefügt werden müssen.
Cave
Partialantagonisten (z. B. Buprenorphin) können eine Entzugssymptomatik auslösen und sind kontraindiziert [6, 22, 31].
Opioidabhängige Patienten sollten eine basale Substitution mit Methadon plus Opioide nach Bedarf unter Kontrolle der Vitalparameter bzw. Entzugsparameter erhalten. Bevorzugt sind Regionalanästhesieverfahren einzusetzen.
Postoperative Betreuung
In den ersten Tagen der postoperativen Phase wird die Opioidsubstitution fortgesetzt. Zusätzlich werden Opioide zur Analgesie verabreicht, wobei auch in der postoperativen Phase ein erhöhter Bedarf im Vergleich zum „opioidnaiven“ Patienten zu erwarten ist. Eine Schmerztherapie sollte bald zwischen dem behandelnden Team, dem Suchttherapeuten und dem Patienten abgestimmt werden [4, 6].
Betreuung ehemalig drogenabhängiger Patienten [4, 6, 22, 31]
Bei ehemaligen, rehabilitierten Drogenabhängigen sollten bevorzugt Verfahren der Regionalanästhesie mit Lokalanästhetika und evtl. Clonidinzusatz eingesetzt werden. Ist eine Allgemeinanästhesie erforderlich, kann z. B. eine tiefe Inhalationsnarkose mit Lachgas, Ketamin, Clonidin und nichtopioidhaltigen Analgetika (NSAR) kombiniert werden. Die zusätzliche postoperative Schmerztherapie sollte mit NSAR erfolgen (z. B. Metamizol oder Diclofenac).
Die Opioidgabe bedarf bei diesen Patienten aus forensischen Gründen wegen der Gefahr eines Rückfalls in die Drogenabhängigkeit einer strengen Abwägung. Auf jeden Fall sollte die Gefahr eines Rückfalls und mögliche Behandlungsoptionen mit dem Patienten präoperativ besprochen und in der Aufklärung dokumentiert werden.

Dringlicher- und Notfalleingriff

Im Notfall ist bei opioidabhängigen Patienten eine präoperative Umstellung auf Methadon nicht möglich. Die Patienten werden bei Bedarf und Vorliegen von Entzugssymptomen mit einem μ-Agonisten (z. B. Morphin, Fentanyl oder Piritramid) symptomorientiert behandelt [4, 6, 22, 31].
Ein Regionalanästhesieverfahren ist zu erwägen.
Nach den Folgen einer evtl. vorausgegangen Hypoxie bei drogeninduzierter Atemdepression bzw. Atelektasen und Aspiration, Lagerungsschäden, Komorbidität und Polytoxikomanie ist zu fahnden.
Wenn möglich, sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden:
  • EKG, Herzenzyme, ggf. eine Echokardiografie bei Verdacht auf Endokarditis,
  • Thoraxröntgenaufnahme,
  • Leberenzyme,
  • Nierenfunktionsparameter,
  • Kreatinkinase (Rhabdomyolyse),
  • eine neurologische Evaluierung, ggf. auch mittels Bildgebung,
  • psychiatrisches Konsil,
Bei Intoxikation und in besonderen Fällen zur Diagnostik kann Naloxon titriert gegeben werden. Die Halbwertszeit von Naloxon (HWZ = 60 min, Wirkdauer 30–60 min) ist deutlich kürzer als die der meisten Opioide. Das Auslösen von Entzugsstress bei Patienten mit eingeschränkter Organfunktion kann deletäre Folgen haben. Wiederholt sind Fälle mit Lungenödem nach Naloxongabe berichtet worden. Eine Intubation und Beatmung kann schonender und risikoärmer sein [4, 6, 22, 31].

Kokain

Klinische Relevanz

Kokain wird leicht durch die nasale Mukosa aufgenommen, kann aber auch i.v. appliziert oder in alkaloider Form als „Freebase-Kokain“ geraucht werden.
Symptome einer Intoxikation mit Kokain bzw. Komplikationen. (Nach: [7, 31, 41, 4549])
  • Zentralnervensystem: Verwirrtheit, Kopfschmerzen, zentralnervöse Stimulation, Mydriasis, Agitation, Hyperthermie, Tremor, Krampfanfälle, Migräne, Hirninfarkt, intrakranielle Blutungen (z. B. Subarachnoidalblutungen bei kleineren Aneurysmen), Selbst- und Fremdgefährdung, Verletzungen
  • Herz: Thoraxschmerzen, Tachykardie, Bra-dyarrhythmien, Hypertension, Myokardischämie, Koronarspasmus, (stummer) Myokardinfarkt, Atherosklerose, Myokarditis, Kardiomyopathie, Arrhythmien, arterieller Hypertonus, Endokarditis, Linksherzdekompensation, Synkopen
  • Atemwege: Thoraxschmerzen, Verlegungen der Atemwege, Bronchospasmus, thermische Verletzungen, Lungenödem, Pneumothorax (durch Valsalva-Manöver beim Inhalieren), Hämoptysen
  • Vaskulär: Aortendissektion/-ruptur, Vaskulitis, mesenteriale Ischämie, Thrombusbildung und Aggregationssteigerung
  • Urogenitalbereich und Geburtshilfe: Infarkt/Ischämie renal und an den Hoden, Abruptio placentae, Spontanabort, Frühgeburtlichkeit, Wachstumsretardierung des Ungeborenen
  • Muskuloskeletal, dermatologisch: Rhabdomyolyse, Hautischämie, Thrombose, Thrombophlebitis, Verletzungen
  • Sonstiges: Hyperglykämie, Hypokaliämie, Thrombopenie
Eine Unterscheidung zwischen Intoxikation, Entzug und neurologischem Insult ist oft schwierig. Differenzialdiagnostisch sollte u. a. eine ZNS- oder eine systemische Schädigung abgeklärt sein, bevor man z. B. die Diagnose eines Entzugssyndroms stellt.

Wirkmechanismus und pharmakologische Interaktionen

Kokain ist ein Alkaloid aus den Blättern der Kokapflanze.
Kokain blockiert präsynaptisch die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin.
Die Akkumulation dieser Transmitter führt zur Stimulation des sympathischen Nervensystems. Kokain blockiert als indirekter Dopaminagonist die Wiederaufnahme von Dopamin und hat als direkter Dopaminagonist eine hohe Affinität für den Dopaminrezeptor D1. Hieraus resultiert die verstärkte Wirkung des Dopamins auf das limbische System.
Durch den chronischen Gebrauch von Kokain kommt es zu einer Entleerung der dopaminergen Speicher und einer Abnahme der Dopaminrezeptoren D2. Dies ist mit Depressionen und dem sog. „Crash“ assoziiert.
Ein additiver Missbrauch von Amphetaminen oder anderen stimmungsaufhellenden Mitteln ist die Folge.
Die Pathogenese der kardialen Ischämie im Zusammenhang mit Kokainmissbrauch ist multifaktoriell: erhöhter O2-Bedarf bei fixierter oder begrenzter myokardialer O2-Zufuhr, myokardiale Vasokonstriktion und verstärkte Plättchenaggregationsneigung [7, 31, 4447].
Bei der Therapie von Patienten mit Brustschmerz und EKG-Veränderungen sind O2-Gabe, Benzodiazepine, Nitrate und Azetylsalizylat Mittel der ersten Wahl. Benzodiazepine können den erhöhten Blutdruck, die Tachykardie und die Angst mindern. Kalziumkanalblocker bzw. α-Rezeptoren-Blocker oder Natriumnitroprussid können ergänzend gegeben werden. Die Indikation zur thrombolytischen Therapie sollte zurückhaltend gestellt werden. Bei anhaltenden Beschwerden (über die Kokainwirkung hinaus) sind revaskularisierende Katheterverfahren sicherer [7, 31, 41, 4547, 49].
Cave
Für die Therapie der kokaininduzierten Hypertension und Tachykardie ist eine alleinige β-Blockade kontraindiziert, da sie zu einer Verstärkung der Koronarspasmen und zu einer erhöhten Letalität führt [7, 31, 45, 48].
Um eine Hypertonie und Tachykardie zu behandeln eignen sich z. B. Kalziumantagonisten, Sympatikolytike, z. B. Urapidil oder der selektive β1-Blocker Esmolol zusammen mit einer Infusion mit Natriumnitroprussid.

Anästhesiologisches Vorgehen

Elektiveingriff

Patienten mit Kokainmissbrauch haben ein erhöhtes Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung. Ferner kann der sympathomimetische Effekt über die eigentliche Intoxikationsphase hinaus anhalten. Auch ein Kokainentzug stellt ein Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis dar. Eine kardiopulmonale und neurologische Diagnostik sollte durchgeführt werden; intraoperativ erfolgt ein entsprechendes Monitoring. Ferner sollte eine Routinelabordiagnostik u. a. Nieren- und Leberwerte sowie Parameter des Säure-Basen-Haushalts umfassen, ferner Laktat-, Kalium- und Blutzuckerspiegel sowie Gerinnungsparameter inklusive der Thombozytenzahl.
Der Patient bedarf bei erhöhter Benzodiazepintoleranz einer ausreichenden Prämedikation [37].
Sympathikusstimulierende Inhalationsanästhetika sollten vermieden werden, da sie das Myokard für Katecholamine sensibilisieren können. Eine TIVA ist zu bevorzugen. Muskelrelaxanzien mit autonomen Nebenwirkungen wie Pancuronium sind kontraindiziert.

Dringlicher und Notfalleingriff

Kokain wird schnell metabolisiert und ist deswegen schwer im Blut nachzuweisen, kann aber im Urin bis zu 6 Tage nach Einnahme festgestellt werden. Der sympathomimetische Effekt kann über die eigentliche Intoxikationsphase hinaus anhalten. Eine kardiopulmonale und neurologische Diagnostik sollte durchgeführt werden [7, 46]. Dabei ist zu beachten, dass die Sensitivität des EKG nur 36 % bei einer Spezifität von 90 % beträgt. EKG-Befunde sind jedoch in 56–84 % der Fälle mit kokainassozierten Thoraxschmerzen abnormal. Es gibt eine hohe Rate falsch-positiver Myoglobin- und Kreatinkinasewerte, v. a. bei Rhabdomyolyse [7, 22, 45, 46]. Kardiales Troponin I oder T ist aussagekräftiger [7]. Bei der Evaluierung eines Notfallpatienten ist auf Folgen der Intoxikation zu achten (Abschn. 4.3). Ein DrogenScreening deckt einen Beikonsum auf.
Regionalanästhesien sind während einer Kokainintoxikation nicht empfehlenswert, da Lokalanästhetika ähnliche psychoseinduzierende Wirkungen aufweisen wie Kokain. Sie können deshalb die psychoseinduzierenden Effekte verstärken.
Bei einem dringlichen Eingriff muss eine Allgemeinanästhesie unter Vermeidung der potenzierenden Substanzen erfolgen.
Zu vermeidende Substanzen
Der sympathomimetische Effekt von Kokain kann die Beurteilung des intravaskulären Volumens, des Blutvolumens oder eines Blutverlusts erschweren, sodass vor Narkoseeinleitung auf eine hämodynamische Stabilisierung zu achten ist; evtl. muss ein erweitertes Monitoring mit blutiger Druckmessung, zentraler Venendruckmessung und Überwachung der Urinausscheidung erfolgen.
Im Rahmen der intensivstationären Behandlung sind mögliche Entzugssymptome zu beachten. Als Ursache wird eine Dysfunktion der dopaminergen Neurone und des D2-Rezeptors in Betracht gezogen. Der zerebrale Blutfluss ist vermindert. Erste Zeichen sind Blutdruckanstieg, Hypothermie und Miosis. Benzodiazepine und Clonidin eignen sich zur Therapie [31, 41, 4547, 49].

Synthetische Drogen

Klinische Relevanz

Die Prävalenz wird auf 4,1 problematische Drogenkonsumenten pro 1000 Einwohner im Alter von 15 bis 64 Jahren geschätzt. Es ist nicht möglich alle synthetischen Substanzen mit Missbrauchspotential und anästhesiologischer Relevanz im Rahmen dieses Kapitels zu besprechen. Synthetische Drogen werden jedoch zunehmend genutzt. Klinisch wichtig ist eine heterogene Gruppe von Substanzen mit stimulierender, entactogener („Berührung des Inneren“), halluzinogener und/oder hypnotischer Wirkung mit überlappenden Eigenschaften.
Derzeit breitet sich in Deutschland der Konsum von Methamphetamin („Crystal“, „ICE“, „Meth“) aus der Gruppe der Amphetamine von Südosten ausgehend aus. Es ist ein Stimulans und ein indirektes Sympathomimetikum. „Crystal“ ist eine hochpotente Substanz, das Risiko einer lebensgefährlichen Überdosierung ist sehr groß. Anzeichen einer Überdosierung sind: Hyperthermie (roter Kopf und Fieber, starkes Schwitzen), starke Kopfschmerzen, trockener Mund, Atemnot bis Atemstillstand, plötzlicher Blutdruckabfall bis zur kompletten Herz-/Kreislaufdekompensation, Schwindelgefühle, Übelkeit und Erbrechen, Tremor, Krämpfe, Paresen, Bewusstlosigkeit, Intoxikationspsychose, d. h. Realitätsverlust und Angst.
Andere Derivate der Metamphetaminreihe sind MDEA (3,4-Methylendioxy-N-Ethylamphetamin, Eve) und MDA (3,4-Methylendioxy-N-Amphetamin, Snowball;). MDMA (Ecstasy) führt zu Nystagmus, starkem Schwitzen, Nausea und Anorexie. Zudem können Tachykardie, Hypertonie, Schwindel, Muskelkrämpfe oder Panikattacken auftreten. Im Rahmen von Marathontanzveranstaltungen kann es zu Dehydrierung und Hyperthermie bis zu einer Körperkerntemperatur von 42 °C kommen [44, 50]. Es kann durch die pharmakologische antidiuretische Wirkung (ADH) und das Trinken von größeren Wassermengen auch zu signifikanten Hyponatriämien kommen [50].
Das Halluzinogen LSD (Wirkdauer: 6–12 h)führt in der ersten Phase nach der Einnahme zu einem Anstieg von Pulsfrequenz und Körpertemperatur, zu weiten Pupillen und es kommt es zu visuellen Illusionen.
Amphetamine beseitigen für mehrere Stunden nach der Einnahme Müdigkeit. Durch die sympathomimetische Wirkung kommt es zu Blutdruckanstieg und Tachykardie. Symptome einer LSD- und einer Amphetaminintoxikation können ähnlich sein. Ängstlichkeit, Panikattacken, Halluzinationen und die „Angst, verrückt zu werden“ [5, 22, 31, 49, 50, 52, 53].

Pharmakologische Wirkung und Interaktionen

MDMA verstärkt die Freisetzung von Serotonin in den synaptischen Spalt, hemmt die Wiederaufnahme in die präsynaptischen Vesikel und wirkt direkt an der postsynaptischen Bindungsstelle. Es kann ein sog. „Serotoninsyndrom“ induzieren, das durch Veränderungen des Bewusstseins, Unruhe, Myoklonien, Kältezittern, Tremor, Hyperreflexie und Hyperhidrosis charakterisiert ist. In der Folge können komatöse Zustände auftreten [19].
In hohen Dosen bindet MDMA auch an muskarine M12-Adrenorezeptoren und H1-Rezeptoren. Hieraus resultieren kardiovaskulären Effekte.
Amphetamine gehört zur Klasse der Stimulanzien. Sie bewirken peripher eine Ausschüttung von Norardenalin und Adrenalin. Zentral kommt es zur Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin. Die Wiederaufnahme dieser Stoffe in ihre Speichervesikel und deren enzymatischer Abbau durch die Monoaminooxidase werden durch Amphetamine gehemmt. Amphetamine können zu einer starken psychischen Abhängigkeit mit Toleranzentwicklung führen. Das Spektrum kardiovaskulärer Komplikationen und Nebenwirkungen ähnelt dem Kokain (myokardiale Vasokonstriktion, erhöhte O2-Bedarf bei fester bzw. begrenzter myokardialen O2-Versorgung und eine erhöhte Thrombozytenaggregationsneigung) [5, 31, 41, 49, 50, 52].
Stimulanzien können mit Stoffen wie LSD, Heroin, Strychnin, Ephedrin, Koffein, Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Mehl, Talkum und Milchzucker gestreckt sein.

Anästhesiologisches Vorgehen

Elektiveingriff

Prämedikation und Narkoseführung weisen im drogenfreien Intervall keine Besonderheiten auf. Auf Krampfanfälle, Einschränkungen der Leber- und Nierenfunktion sowie Gerinnungsstörungen ist zu achten. Dem gefährdeten Patienten sollten bei der Vorbereitung auf die Operation die zusätzlichen Risiken, denen er sich durch eine Einnahme dieser Drogen aussetzt, erläutert werden.
Patienten mit einer MDMA-induzierten Hyperthermie in der Vorgeschichte sollten eine triggerfreie Narkose erhalten [41, 49].

Dringlicher und Notfalleingriff

Bezüglich des Spektrums der kardiovaskulären Komplikationen und Nebenwirkungen sind Stimulanzien mit Kokain vergleichbar (myokardiale Vasokonstriktion, erhöhter O2-Bedarf bei fixierter oder begrenzter myokardialer O2-Zufuhr und verstärkte Plättchenaggregationsneigung; [41, 49, 50, 52]), sodass eine Überwachung mit erweitertem Monitoring einschließlich ST-Strecken-Monitoring und ggf. Echokardiographie sinnvoll ist.
Agitation und Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen, Hyponatriämie, Hyperthermie, Rhabdomyolyse werden neben der kardiovaskulären Symptomatik nach Ausschluss anderer Ursachen symptomatisch behandelt. Bei Notfalleingriffen sind Dehydrierung und Hyperthermie die gefährlichsten Symptome einer Ecstasy-Intoxikation. Sie können mit externer und interner Kühlung, Volumensubstitution mit kristalloiden Lösungen, Relaxierung, Antipyretika und ggf. antiserotinerg (5-HT2-Antagonisten), im Extremfall mit Dantrolen behandelt werden. Eine sedierende und antikonvulsive Therapie mit Benzodiazepinen ist indiziert. Bei zerebralen Krampfanfällen wurden Diazepam, Thiopental und Midazolam eingesetzt. Falls möglich, sollte präoperativ eine umfassende Diagnostik erfolgen. Eine Tachykardie sollte nicht isoliert mit β-Blockern behandelt werden. Bei Hypertonie eignen sich Urapidil und Clonidin. Im Notfall bzw. bei Intoxikation sollten die Patienten eine triggerfreie Narkose erhalten. 2016 wurde eine S3-Leitlinie zu Methamphetamin-bezogene Störungen mit Hinweisen auch zur Notfalltherapie publiziert. [5, 22, 31, 41, 49, 50, 52, 53, 54].
Cave
Letale Ausgänge einer MDMA-Intoxikation gehen oft mit den Symptomen einer fulminanten Hyperthermie, Krampfanfällen, disseminierter intravasaler Gerinnung, Rhabdomyolyse und akutem Nierenversagen einher [41].
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