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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 19.04.2017

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Blut und Blutgerinnung

Verfasst von: Ralf Scherer
Den besten Hinweis auf eine Gerinnungsstörung liefern eine ausführliche Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung. Anamnestisch sollte im Rahmen einer strukturierten Blutungsanamnese nach einer familiären oder individuellen Blutungs- oder Thromboseneigung, einer Neigung zu Nasen- oder Zahnfleischbluten, inadäquater Hämatombildung nach Bagatelltraumen, Nachblutungen nach Operationen und Zahnbehandlungen, Wundheilungsstörungen sowie der Einnahme von Antikoagulanzien gefragt werden. Flächenhafte Hämatome oder Petechien weisen auf eine klinisch relevante Blutungsneigung hin. Während Defekte im plasmatischen Gerinnungssystem mit Hämatomen einhergehen, können Thrombozytopenien und -pathien häufiger zu petechialen Einblutungen und Bindehauteinblutungen führen. Intraoperativ sind „diffuse“ Blutungen aus Wundrändern, dem Subkutangewebe, Stichkanälen und Einstichstellen von Kathetern der erste Hinweis auf Defizite im Gerinnungssystem. Die Labordiagnostik lokalisiert den Defekt und dient der Steuerung einer Substitution.
Einleitung
Die häufigsten hämatologischen Erkrankungen sind Anämien (z. B. Tumor-, Infekt- oder Eisenmangelanämie). Die Patienten fallen u. a. durch Blässe, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Belastungsdyspnoe auf. Patienten mit Polyzythämie hingegen sind gehäuft von thrombembolischen Ereignissen betroffen.
Den besten Hinweis auf eine Gerinnungsstörung liefern eine ausführliche Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung. Anamnestisch sollte im Rahmen einer strukturierten Blutungsanamnese nach einer familiären oder individuellen Blutungs- oder Thromboseneigung, einer Neigung zu Nasen- oder Zahnfleischbluten, inadäquater Hämatombildung nach Bagatelltraumen, Nachblutungen nach Operationen und Zahnbehandlungen, Wundheilungsstörungen sowie der Einnahme von Antikoagulanzien gefragt werden [14, 23]. Flächenhafte Hämatome oder Petechien (punktförmige Einblutungen) weisen auf eine klinisch relevante Blutungsneigung hin. Während Defekte im plasmatischen Gerinnungssystem mit Hämatomen einhergehen, können Thrombozytopenien und -pathien häufiger zu petechialen Einblutungen und Bindehauteinblutungen führen. Intraoperativ sind häufig „diffuse“ Blutungen aus Wundrändern, dem Subkutangewebe, Stichkanälen und Einstichstellen von Kathetern der erste Hinweis auf Defizite im Gerinnungssystem. Die Labordiagnostik lokalisiert den Defekt und dient der Steuerung einer Substitution.

Blut

Blutvolumen und -bestandteile

Das Gesamtkörperwasser („total body water“, TBW) macht etwa 60 % des Körpergewichts aus (etwa 42 l bei 70 kgKG). Drei Flüssigkeitskompartimente lassen sich unterscheiden:
  • das intrazelluläre Flüssigkeitskompartiment („intracellular fluid“, ICF, etwa 28 l),
  • das extrazelluläre interstitielle Flüssigkeitskompartiment (ISF, etwa 11 l) und
  • das intravasale Flüssigkeitskompartiment („intravasal fluid“, IVF, etwa 5 l). Letzteres ist mit dem zirkulierenden Blutvolumen identisch.
Das Blutvolumen setzt sich bei einem Patienten mit 70 kgKG aus 3 l Plasmavolumen und 2 l Zellvolumen zusammen (Abb. 1, [18]).
Das Blutvolumen beträgt
  • beim Erwachsenen etwa 50–55 ml/kgKG (etwa 3,5 l),
  • beim 1-jährigen Kind etwa 85–90 ml/kgKG,
  • beim Neugeborenen etwa 95–105 ml/kgKG.

Physikalische Eigenschaften des Bluts

Fließeigenschaften

Das Strömungsprofil des Bluts im Gefäß ist normalerweise laminar. Blut durchströmt das Gefäß unterschiedlich schnell in konzentrischen, zylindrischen Schichten. Am schnellsten fließt es in der Mitte des Gefäßes. Zum Endothel hin verlangsamt sich der Blutstrom zunehmend und ist in direkter Nähe der Gefäßwand am langsamsten.
Erythrozyten sammeln sich im Zentrum des Blutstroms an, wo die Fließgeschwindigkeit am größten ist. Thrombozyten dagegen halten sich insbesondere in der Nähe des Endothels auf, weshalb sie bei ausbleibender endothelialer Prostazyklinsekretion oder bei Gefäßwandverletzungen sofort adhärieren und aggregieren können [6]. Eine Anämie kann die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen, da die Thrombozyten nicht mehr zum Endothel hin marginalisiert sind.

Determinanten der Strömungsgeschwindigkeit und -charakteristik

Ein höherer Hämatokritwert verlangsamt die Strömungsgeschwindigkeit, da die Viskosität zunimmt. Dies führt z. B. bei Patienten mit Polycythaemia vera aufgrund der massiven Deoxygenierung des Hämoglobins zur Zyanose. Mit steigender Viskosität steigt auch die ventrikuläre Nachlast.
Der Gehalt an Plasmaproteinen beeinflusst den Blutstrom in geringerem Maße.

Determinanten des Strömungswiderstands

Der Fließwiderstand ergibt sich bei laminarer Strömung nicht aus der Reibung zwischen der äußersten Fließschicht und der Gefäßwand, da die äußerste Flüssigkeitsschicht nahezu stationär ist. Vielmehr resultiert der Fließwiderstand aus Scherkräften zwischen den verschiedenen Strömungslaminae.
Die Determinanten des Strömungswiderstands R einer Newton-Flüssigkeit bei laminarem Flow durch einen geraden Zylinder sind dessen Länge (L) und Radius (r) und die Viskosität (ŋ). Ihren Zusammenhang beschreibt das Hagen-Poiseuille- Gesetz:
$$ R=\frac{8\times \upeta \times L}{\pi \times {r}^4} $$
Eine Vasokonstriktion, die den Radius um nur 16 % verkleinert, verdoppelt also den Fließwiderstand.

Besonderheiten des Flusses im Kapillargebiet

Im Kapillargebiet herrscht kein laminarer Flow mehr, da der Durchmesser der Kapillaren mit 5–6 μm kleiner als der eines Erythrozyten (8 μm) ist. Die Erythrozyten müssen sich verformen, um durch die Kapillare zu gelangen. Das zwischen ihnen „gefangene“ Plasma strömt mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Zellen hindurch. Dieses Phänomen wird als „bolus flow“ bezeichnet [11]. Von großer Bedeutung für den Blutfluss und die Permeabilität im Kapillargebiet ist die endotheliale Glykokalix. Hierunter versteht man die auf der intravasalen Oberseite von Endothelzellen liegende Schicht von Proteoglykanen und Glykosaminoglykanen, die an Strukturen der Zellmembran angeheftet sind. Antithrombin bindet an die Glykosaminoglykane und kann erst so eine Konformationsänderung durchmachen, die seine antikoagulatorische Aktivität (besonders gegenüber Thrombin und Faktor Xa) drastisch steigert. Die Glykokalix ist ein spezifisches Erkennungsareal der Endothelzelle und ermöglicht auch die Interaktion mit anderen Zellen, z. B. Leukozyten. Durch bestimmte Infusionslösungen oder bei bestimmten Krankheitsbildern wie der Sepsis kann die Glykokalix strukturell geschädigt werden und damit Teile ihrer Funktion einbüßen [10, 25].

Blutzellen

Die Blutzellen stammen von einer gemeinsamen, pluripotenten Stammzelle ab. Aus ihr werden myelo- und lymphopoetische Stammzellen gebildet. Aus der myelopoetischen Stammzelle entwickeln sich Erythrozyten, Leukozyten (Granulozyten = segmentkerniger Leukozyt, Monozyten/Makrophagen, eosinophile Granulozyten) und Thrombozyten. Aus der lymphopoetischen Stammzelle entwickeln sich die T- und B-Zellen (Abb. 2).

Erythrozyten

Die Vermehrung der Vorläuferzellen der Erythropoese wird durch das Hormon Erythropoetin reguliert, das in der Niere gebildet wird. Bei normaler Knochenmarkfunktion sowie ausreichendem Eisen- und Proteinangebot kann die Erythropoese bis zum 10-fachen der Norm gesteigert werden. Erythropoetin bewirkt auch die weitere Differenzierung der Erythrozyten mit Induktion der Hämoglobinsynthese. Erythrozyten (Ø8 μm) sind nach der Kernausstoßung voll ausgereift und zirkulieren etwa 110 Tage in der Blutbahn, bevor sie durch Makrophagen der Milz und des Knochenmarks abgebaut werden.

Leukozyten

Granulozyten phagozytieren freie oder antikörperbedeckte (opsonierte) Bakterien und lösen sie mithilfe ihrer lysosomalen Enzyme auf.
Makrophagen sind Monozyten, die die Blutbahn verlassen haben. Im Rahmen der Immunantwort liefern sie den Lymphozyten Informationen über phagozytierte Antigene. Sie phagozytieren Antigen-Antikörper-Komplexe und produzieren bei Aktivierung („angry macrophage“) Zytokine.
Lymphozyten differenzieren sich zu T- oder B-Lymphozyten.
T-Lymphozyten sind die Funktionszellen der zellulären Immunität. Die zytotoxische Zellinteraktion wird durch die Freisetzung von Lymphokinen (z. B. IL-2, Interferon-γ) unterstützt. Sie können sich weiter differenzieren und dann die Funktion der B-Zellen stimulieren (T-Helferzellen) oder supprimieren (T-Suppressorzellen). Funktionelle T-Lymphozyten-Subpopulationen lassen sich anhand von Proteinen bestimmen, die Clustern der Differenzierung (CD) zugeordnet werden können. Helfer- und Suppressorzellen werden deshalb auch als CD4- bzw. CD8-Zellen bezeichnet [15]. B-Lymphozyten (B-Zellen) zeigen eine Spezialisierung auf je ein bestimmtes Antigen. Bei Kontakt mit diesem Antigen kommt es zur Proliferation der Zelllinie mit Reifung zur Plasmazelle. Plasmazellen bilden Antikörper gegen das spezifische Antigen und sind die Funktionszellen der humoralen Immunabwehr.

Thrombozyten

Thrombozyten sind die Funktionszellen der Hämostase, also der primären Blutstillung. Sie beeinflussen u. a. die plasmatische Fibrinbildung und den Kontraktionszustand der Gefäße. Thrombozytenfunktionen sind die Adhäsion, die Aggregation, die Sekretion prokoagulatorischer Substanzen und damit die prokoagulatorische Aktivität und Gerinnselverfestigung.
In ihren α-Granula enthalten die Thrombozyten Gerinnungsfaktoren [1, 2].
Gerinnungsfaktoren der Thrombozyten
  • Faktor V
  • v.-Willebrandt-Faktor (vWF)
  • Heparin neutralisierender Plättchenfaktor 4 (bindet an endotheliale Glykosaminoglykane und verhindert so die Antithrombinaktivierung)
  • β-Thromboglobulin

Blutgruppen

Die Oberflächen der Blutzellen tragen Antigene, die sich bestimmten Gruppen zuordnen lassen.

AB0-System

Das Plasma enthält natürliche – also von Geburt an vorliegende und nichterworbene – Antikörper gegen fremde Oberflächenblutgruppenantigene im AB0-System der Erythrozyten: Anti-A und Anti-B. Diese können zu einer lebensbedrohlichen, intravasalen Soforthämolyse führen. Sie gehören der IgM-Klasse an und haben die Fähigkeit zur vollständigen Komplementaktivierung.
Cave
Transfusionszwischenfälle im AB0-System sind einfach durch Einhalten der vorgeschriebenen Sicherheitsstandards vermeidbar. Ihre häufigste Ursache sind Verwechslungen und Nichtbeachten von Transfusionsvorschriften wie z. B. die Unterlassung des Bedside-Tests.

Weitere Blutgruppensysteme

Weitere Antikörper, die hämolytische Sofortreaktionen herbeiführen können, richten sich z. B. gegen Antigene der Blutgruppensysteme Lewis (Anti-Lea, -Leb), MNS (Anti-M, -N), Rhesus (Anti-C, -c, -D, -E, -e), Kidd (Anti-Jka, -Jkb), Kell (Anti-K, -k) und Duffy (Anti-Fya, -Fyb). Diese Antikörper führen zu extravasalen Soforthämolysen, die in der Regel weniger dramatisch verlaufen als die intravasalen Formen.

Transfusion

Erythrozytenkonzentrate sollen AB0-identisch transfundiert werden.
Im Notfall können auch plasmaarme, mit einem Additivum wie z. B. Sag-Mannitol stabilisierte Erythrozytenkonzentrate transfundiert werden, die lediglich die sog. „Majorkompatibilität“ aufweisen (Spendererythrozyten werden nicht durch Empfängerantikörper agglutiniert (Tab. 1)).
Tab. 1
Notfall-AB0-Kompatibilität bei der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
 
Empfänger
A
B
AB
0
Spender
A
ja
nein
ja
nein
B
nein
ja
ja
nein
AB
nein
nein
ja
nein
0
ja
ja
ja
ja
Innerhalb des Rhesus-Systems sollte wegen seiner starken Immunogenität das Merkmal D immer berücksichtigt werden.
Die Auswahl von gerinnungsaktivem Frischplasma zur Transfusion richtet sich nach der Kompatibilität im AB0-System. In der Regel soll AB0-blutgruppengleich transfundiert werden.
Von dieser Regel kann im Notfall (Tab. 2) abgewichen werden. Auf keinen Fall jedoch darf das transfundierte Plasma Antikörper gegen die Oberflächenantigene der Empfängererythrozyten enthalten.
Tab. 2
Notfall-AB0-Kompatibilität bei der Transfusion von gerinnungsaktivem Frischplasma
 
Empfänger
A
B
AB
0
Spender
A
ja
nein
nein
ja
B
nein
ja
nein
ja
AB
ja
ja
ja
ja
0
nein
nein
nein
ja
Bei der Auswahl der Präparate zur Thrombozytentransfusion ist zu beachten, dass die Blutplättchen Träger der AB0-Blutgruppenantigene, der HLA-Antigene der Klasse I und plättchenspezifischer Blutgruppensysteme sind.
Unter der Bedingung fehlender Immunisierung ist die Bereitstellung von AB0-kompatiblen Plättchenkonzentraten ausreichend.
Von dieser Regel kann jedoch im Notfall abgewichen werden, sofern die Minorkompatibilität durch den Nachweis eines Isoagglutinintiters von <1:50 im Spenderplasma garantiert ist.
Cave
Bei einer AB0-inkompatiblen Transfusion muss allerdings mit einer verminderten „Recovery“ (Anteil der zugeführten Thrombozyten im Empfängerkreislauf 20 min nach Transfusion) gerechnet werden.
Auf den Thrombozyten sind keine Merkmale des Rhesus-Systems vorhanden. Dennoch sollte der Rhesusfaktor D berücksichtigt werden, da Thrombozytenkonzentrate mit Erythrozyten kontaminiert sein können.

Diagnostik von Störungen der Blutzusammensetzung

Blutbild

Das korrekt abgenommene, ausgewertete und interpretierte Blutbild (Kap. Klinisch-chemische Diagnostik in der Anästhesiologie) kann ein breites Spektrum von Störungen erfassen, z. B. Störungen der O2-Transportkapazität (Hämoglobin, Hämatokrit) und der Gerinnung (Thrombozytenzahl) oder entzündliche Prozesse (Leukozytenzahl).

Kolloidosmotischer Druck

Alle kleineren Moleküle und Elektrolyte können das Endothel frei passieren, nicht jedoch die Proteine. Diese, insbesondere Albumin, sind auf den Intravasalraum beschränkt und üben dort einen onkotischen Druck (kolloidosmotischen Druck, KOD) von etwa 25 mmHg oder 1,2 mosm/kgKG aus. Dieser wirkt der Abfiltration von Flüssigkeit im Kapillargebiet durch den hydrostatischen Druck entgegen.

Albumin

Albumin generiert etwa 60–80 % des Plasma-KOD. Die Leber synthetisiert etwa 9–12 g Albumin täglich. Dies resultiert normalerweise in einer Plasmakonzentration von 40 g/l. Die Halbwertszeit des Albumins beträgt etwa 18 Tage. Bei gesteigerter Gefäßpermeabilität kann es den Intravasalraum verlassen und über die Lymphgefäße dorthin zurückgelangen. Albumin wird durch die Serumeiweißelektrophorese bestimmt. Die normale Gesamteiweißkonzentration des Erwachsenen beträgt 66–83 g/l.

Blutgerinnung

Physiologie des Gerinnungssystems

Das Blutgerinnungssystem wird durch den Gewebefaktor (tissue factor, TF), der auf Kollagen zu finden ist und auf der Oberfläche von Monozyten und Endothelzellen exprimiert werden kann, aktiviert und generiert kaskadenartig und verstärkt durch zahlreiche Rückaktivierungen Fibrin-Thrombozyten-Gerinnsel, welche eine Blutung rasch stillen können.
Gerinnungsvorgänge müssen zeitlich und örtlich begrenzt sein. Physiologische Gerinnungsinhibitoren wie z. B. Antithrombin (AT) und aktiviertes Protein C (APC) verhindern, dass die sehr schnell aktivierbaren und sich selbst potenzierenden prokoagulatorischen Prozesse örtlich oder zeitlich „übergreifen“, d. h. disseminieren, und so zur Thrombenbildung in nicht betroffenen Gefäßprovinzen führen. Während die physiologische Antikoagulation in großen Gefäßen sehr schwach ausgeprägt ist, nimmt sie aufgrund der Aktivitätskopplung der Inhibitoren an endotheliale Oberflächenstrukturen mit der Abnahme des Gefäßquerschnitts kontinuierlich zu (s. u.).
Fibringerinnsel können durch das Fibrinolysesystem wieder aufgelöst werden, um eine verschlossene Strombahn wieder zu eröffnen.
Im Gerinnungssystem besteht ein physiologisches Gleichgewicht zwischen Prokoagulatoren und Inhibitoren sowie zwischen Gerinnung und Fibrinolyse. Die Gerinnungsvorgänge spielen sich nicht frei im Plasma ab, sondern auf der Oberfläche von Zellen (Endothelzellen, Monozyten) und Membranbruchstücken (aktivierte Thrombozyten).
So ist das Gerinnungssystem Teil des „tissue repair“ , welches nach Verletzungen oder Infektionen die Gewebefunktion wiederherstellt. Es hat Verbindungen zum Kontaktaktivierungssystem (F XII) und zum Komplementsystem (Kallikrein, Bradykinin) und interagiert mit diesen Systemen.

Gerinnungsfördernde Mechanismen

Primäre Hämostase – Thrombozyten
Die primäre Hämostase wird überwiegend durch das Endothel reguliert: Intakte Endothelzellen synthetisieren Prostacyclin (PGI2). Dieses verhindert nach Bindung an spezifische Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche durch Beeinflussung des thrombozytären Kalziumstoffwechsels eine Thrombozytenaktivierung. Neben den Prostanoiden Prostaglandin (antikoagulatorisch) und Thromboxan (prokoagulatorisch) bestimmen die aus neutrophilen Granulozyten freigesetzten Rezeptoren für den plättchenaktivierenden Faktor (PAF), der v.-Willebrand-Faktor sowie die subendothelialen Kollagenfibrillen die Interaktion zwischen Endothel und Thrombozyten.
Wird das Endothel verletzt, so unterbleibt die lokale Produktion des PGI2 und das Blut kommt mit der subendothelialen mit TF beladenen Kollagenschicht in Kontakt. Die primären Hämostasemechanismen werden ausgelöst:
  • Vasokonstriktion,
  • Thrombozytenaggregation und die
  • thrombozytäre Sekretion prokoagulatorischer Substanzen
Mechanismen der Thrombozytenaktivierung
  • Erhöhung des zytoplasmatischen, freien Kalziums
  • Phosphorylierung von Proteinen
  • Formwandel der Thrombozyten („shape change“)
  • Expression prokoagulatorischer Aktivität auf der Thrombozytenoberfläche
  • Aggregation der Thrombozyten untereinander und mit Granulozyten
  • Sekretion prothrombotischer Substanzen aus den sekretorischen Organellen
  • Synthese von Thromboxan A2 (TXA2), einem besonders potenten sekundären Stimulus für die Aktivierung weiterer Thrombozyten und der plasmatischen Gerinnung [21]
Der v.-Willebrand-Faktor vermittelt die Thrombozytenadhäsion. Durch die Expression des thrombozytären Fibrinogenrezeptors GP-IIb/IIIa wird eine fibrinogenvermittelte Aggregation der Thrombozyten möglich. ADP und Serotonin werden aus den α-Granula freigesetzt und beziehen durch Bindung an spezifische Rezeptoren andere Thrombozyten in den thrombotischen Prozess mit ein [29].
Spezifische Rezeptoren sind:
  • Rezeptoren für Adrenalin, ADP (Blockade durch Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor), Thrombin, plättchenaktivierenden Faktor (PAF) und Thromboxan A2 (TXA2) führen zur Thrombozytenaktivierung (intrazellulärer Kalziumanstieg, Freisetzung prokoagulatorischer Substanzen aus den α-Granula, Expression der GP-IIb/IIIa-Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche).
  • Kollagenrezeptor (GP Ia/IIa) vermittelt die subendotheliale Adhäsion der Thrombozyten am Kollagen.
  • vWF-Rezeptor (GP Ib) interagiert nur mit gebundenem, nicht im Plasma gelösten vWF und vermittelt die primäre Adhäsion von Thrombozyten.
  • Fibrinogenrezeptor (GP IIb/IIIa), auch gleichzeitig vWF- und Vitronectinrezeptor, vermittelt die Aggregation der Thrombozyten über Fibrinogenbrücken. Angriffspunkt der GP-IIa/IIIb-Rezeptorenblocker Abciximab, Tirofiban und Eptifibatid [13].
Durch Fibrinbildung im plasmatischen Gerinnungssystem wird der Thrombozytenpfropf gefestigt, außerdem können weitere Thrombozyten durch Thrombin aus der plasmatischen Gerinnung aktiviert werden.
Plasmatische Gerinnungsfaktoren
Die Prokoagulatoren oder Gerinnungsfaktoren sind in der Regel Serinproteasen, die in einer inaktiven Form im Blut zirkulieren und durch Abspaltung eines kleinen Aktivierungspeptids aktiviert werden können. Dann wird ein aktives Zentrum frei, das zur Aktivierung eines anderen Faktors beiträgt.
Früher herrschte die Vorstellung, dass das Blutgerinnungssystem von außen („exogen“, durch eine Gewebsthrombokinase) und von innen („endogen“) aktiviert werden könnte.
Tatsächlich spielt perioperativ und bei Intensivpatienten nur der früher als exogen bezeichnete Weg eine Rolle.
Dieser besteht in einer Präsentation des TF subendothelial auf Kollagen oder bei pathologischer Gerinnungsaktivierung auf Zelloberflächen (Leukozyten, Endothel) [12] und der Bindung von Faktor VIIa. Dieser Komplex aktiviert weiteren Faktor VII und setzt so die Gerinnungskaskade durch die Aktivierung des Faktors X in Gang. Daran sind auch Phospholipide als Reaktionsmatrix (z. B. Membranbruchstücke aktivierter Thrombozyaten) und Ca2+ beteiligt (Abb. 3). Der letzte Schritt der Gerinnungskaskade ist die Spaltung des Fibrinogens (Faktor I) durch das Thrombin (Faktor IIa). Es entsteht das Fibrinmonomer, welches zu spontaner Aggregatbildung fähig ist (Abb. 4). Durch kovalente Quervernetzung wird das Fibringerüst unter dem Einfluss der Faktors XIIIa stabilisert.
Daneben gibt es eine weitere, TF-abhängige Aktivierungsreaktion: Faktor IX, der früher eigentlich dem „endogenen“ System zugerechnet wurde, wird ebenfalls durch den Faktor-VIIa-TF-Komplex sowie Phospholipid und Ca2+ aktiviert [16, 22].

Gerinnungshemmende Mechanismen

Während in den großen Gefäßen die Möglichkeit der suffizienten Blutstillung als wesentliche Aufgabe des Gerinnungssystems gelten kann, verhält es sich in der Mikrozirkulation ganz anders. Hier besteht praktisch keine ernsthafte Blutungsgefahr, sondern die wichtigste Anforderung an das Gerinnungssystems besteht darin, Gerinnselbildungen zur Aufrechterhaltung einer ungestörten O2-Versorgung und Nutrition der Organe in jedem Falle zu vermeiden. Dies wird durch die physiologischen Antikoagulationsmechanismen sichergestellt. Die mit abnehmendem Gefäßquerschnitt, abnehmendem Blutfluss und zunehmender endothelialer Kontaktfläche notwendige Steigerung der physiologischen regionalen Antikoagulation wird durch die Koppelung der Aktivität wichtiger Gerinnungsinhibitoren wie dem Antithrombin und dem Protein C an endothelzellständige Oberflächenstrukturen erreicht [7]. Zu diesen Oberflächenstrukturen gehören z. B. die Glykosaminoglykane (GAG; [5, 30]). Sie sind Teil der oberen intravasalen Schicht der Endothelzellen, der Glykokalix. Die Glykokalix bestimmt wesentlich die Fließeigenschaften des Bluts am Endothel und scheint auch in der Lage zu sein, Scherstress über eine Signalkette an die Endothelzellen weiterzuleiten, deren NO-Synthese zu erhöhen und auch einen wichtigen Teil zur biomechanischen Gefäßumstrukturierung („vascular remodeling“) beizutragen.
Antithrombin
Die an der Oberfläche der Endothelzellen zu findenden GAG sind die Rezeptoren für das AT. Nur wenn das AT mit abnehmendem Gefäßradius in immer stärkerem Maße an diese Strukturen bindet, macht es eine Konformationsänderung durch, die seine Aktivität gegenüber den Gerinnungsfaktoren bedingt. AT inaktiviert Gerinnungsfaktoren durch die Bildung von Komplexen, die in der Leber abgebaut werden. Dazu zählen insbesondere das Thrombin (es entsteht der Thrombin-Antithrombin-Komplex, TAT) und der Faktor Xa. Die Bindung des AT an den endothelialen GAG führt gleichzeitig zu einer Zunahme der endothelialen PGI2-Freisetzung in den Blutstrom mit den damit verbundenen thrombozyteninhibierenden und antiinflammatorischen Effekten.
Die gerinnungsinhibitorische Aktivität des AT wird 1000-fach akzeleriert, wenn es an Glykosaminoglykane (GAG) gebunden wird. GAG sind saure Mukopolysaccharide (Heparansulfat, Dermatansulfat, Keratansulfat). Heparin hat mit den GAG eine große strukturelle Ähnlichkeit (aus Gefäßen gewonnene tierische GAG), daher kann Heparin über eine Akzelerierung der AT-Aktivität antikoagulatorisch wirken.
Aktiviertes Protein C
Über einen Rezeptor für das Thrombin, das Thrombomodulin (TM), kann das prokoagulatorische Thrombin funktionell in ein partielles Antikoagulans verwandelt werden. Es wird der Thrombin-Thrombomodulin-Komplex gebildet, in welchem Thrombin einerseits kein Fibrinogen mehr zu Fibrinmonomeren spalten kann und andererseits einen Hemmer der Fibrinolyse (Plasminogenaktivator-Inhibitor PAI) hemmt und damit profibrinolytisch wirkt [20].
Der Thrombin-Thrombomodulin-Komplex hat insbesondere die Fähigkeit, einen wichtigen Gerinnungsinhibitor, das Protein C, zum aktivierten Protein C (APC) zu spalten. APC kann zusammen mit seinem Kofaktor, dem Protein S, die geschwindigkeitsbestimmenden aktivierten Kofaktoren der plasmatischen Gerinnung Va und VIIIa hydrolytisch spalten und damit die Thrombinentstehung stark hemmen. Es gab Hinweise darauf, dass die Substitution des APC bei schwerer Sepsis zu einer Verbesserung des Outcomes führt [3], was sich jedoch in nachfolgenden Studien nicht bewahrheitete [19].

Labordiagnostik der Gerinnungsstörungen

Für die Diagnostik der Gerinnungsstörungen hat sich die Beibehaltung der funktionell nicht existenten Einteilung in ein endogenes und ein exogenes Gerinnungssystem bewährt, denn die globalen Phasentests der Gerinnung überprüfen diese Wege getrennt. Damit ist die Lokalisierung eines Gerinnungsdefekts möglich (Abb. 5 und 6). Anders als bei den früheren koagulometrischen Verfahren, bei denen die Fibrinbildung als Messsignal diente, wird heute photospektrometrisch die Farbstoffbildung beim Umsatz chromogener Substrate, z. B. durch Thrombin, als Messgröße benutzt. Allerdings kann mit diesen Methoden keine genaue Aussage zur Gerinnselentstehung und -festigkeit getroffen werden, was jedoch durch die Thrombelastometrie gelingt.

Thromboplastinzeit (Quick-Wert)

Die Faktoren des „extrinsischen Gerinnungssystems“ (VII, X) und der gemeinsamen Endstrecke beider Systeme werden erfasst.
Als Bezugsgröße wird ein Normalplasmapool gewählt. Der Referenzbereich liegt bei 70–100 %. Die INR („international normalized ratio“) ist die Prothrombinratio und wird für die Vergleichbarkeit verschiedener Laborassays bei der Steuerung einer chronischen Antikoagulationstherapie genutzt.
$$ \begin{array}{ll}\hfill & INR\\ {} & =\frac{Thromboplastinzeit\ des\ Patientenplasmas}{Thromboplastinzeit\ des\ Refernzthromoplastins\ (Standardthromboplastin)der\ WHO}\hfill \end{array} $$
Der Quick-Wert ist insbesondere bei Synthesestörungen der Leber und bei der medikamentösen Antikoagulation mit Kumarinderivaten pathologisch.
Zu Messmethode, Interpretation und INR: Kap. Klinisch-chemische Diagnostik in der Anästhesiologie.

Partielle Thromboplastinzeit (PTT)

Die partielle Thromboplastinzeit erfasst die Faktoren des als „endogen“ bezeichneten Kaskadenteils und der gemeinsamen Endstrecke. Die PTT ist deshalb bei der Hämophilie A und B verlängert. Außerdem kann sie zur Steuerung einer Heparintherapie verwendet werden. Messmethode: Kap. Klinisch-chemische Diagnostik in der Anästhesiologie. Der Referenzbereich liegt je nach Reagens bei 26–36 s.

Thrombinzeit (TZ)

Bei der Messung der Thrombinzeit wird ein Überschuss an Thrombin und Kalzium dem Zitratplasma zugefügt und anschließend die Zeit bis zur Fibrinbildung gemessen. Nur die letzten Schritte der Gerinnungskaskade, Fibrinogenspaltung und Fibringerinnselaufbau und -stabilisierung (Faktor XIII), werden erfasst. Auch die Thrombinzeit ist heparinempfindlich. Der Referenzbereich liegt etwa bei 16–24 s.

Activated Coagulation Time (ACT)

Die ACT dient insbesondere der Steuerung einer Heparingabe beim kardiopulmonalen Bypass bzw. bei allen Verfahren, die eine therapeutische Heparinisierung erfordern. Sie ist als „Point-of-care“-Methode einfach und automatisiert bestimmbar. Vollblut wird mit einem Oberflächenaktivator vermischt und die Zeit bis zur Fibrinbildung gemessen. Der Referenzbereich liegt bei 110 ± 15 s. Die Methode ist aprotininempfindlich.

Fibrinogenkonzentration

Die Fibrinogenkonzentration ist ein Maß für das Hämostasepotenzial. Ihr kommt besondere Bedeutung zu, da das Fibrinogen sowohl das Ausgangsmolekül für die Fibrinbildung als auch das Brückenmolekül für die Thrombozytenaggregation darstellt. Der Referenzbereich liegt bei 2–3 g/l. Erniedrigte Fibrinogenkonzentrationen finden sich z. B. bei Lebererkrankungen, Dilution, erhöhtem Verbrauch und Verbrauchskoagulopathie. Perioperativ sind Konzentrationen >1,5 g/l ausreichend, solange keine klinisch diffuse Blutung vorliegt. Dann sollte eine Konzentration >2 g/l angestrebt werden. Die Beurteilung des Beitrags des Fibrinogens zur Gerinnselstabilität kann sehr gut durch die Vollblutthrombelastographie unter Ausschaltung des thrombozytären Effekts („FIBTEM“, [27]) vorgenommen werden.

Antithrombinaktivität

Die Antithrombinaktivität (Referenzbereich 70–100 %) gibt Aufschluss über das Inhibitorpotenzial der Gerinnung. Sie sollte im Vergleich zum prokoagulatorischen Potenzial (Quick, PTT) beurteilt werden, um einen isolierten Verlust (z. B. Verbrauch durch disseminierte Gerinnungsaktivierung) von einer ausgewogenen Mangelsituation im Gesamtsystem (z. B. Verlust durch Blutung oder hepatische Synthesestörung) abzugrenzen.

Protein-C-Aktivität

Auch die Protein-C-Aktivität gibt Aufschluss über das Inhibitorpotenzial der Gerinnung. Sie ergänzt die Beurteilung des Inhibitorpotenzials durch die AT-Aktivitätsmessung. Hereditäre Mängel des Protein C sind sehr selten; hier würde eine isolierte Aktivitätsminderung des Protein C zu finden sein.

Thrombozytenzahl

Die Thrombozytenzahl (Referenzbereich 150.000–450.000/μl) wird im Falle von Dilution und Verbrauch des Gerinnungspotenzials ähnlich wie beim Fibrinogen meist schon vor den Parametern der plasmatischen Gerinnung pathologisch. Deshalb ist in solchen Situationen eine engmaschige Verlaufskontrolle wichtig.
Die Thrombozytenzahl gibt keinen Aufschluss über die Funktionsfähigkeit der Thrombozyten. Deshalb ist bei einer Vorbehandlung z. B. mit einem Thrombozytenaggregationshemmer auch bei normaler Thrombozytenzahl mit einer erhöhten Blutungsneigung zu rechnen. Umgekehrt können funktionsfähige Thrombozyten auch bei erniedrigter Zahl (<150.000/μl, aber >50.000/μl) noch eine ausreichende Blutstillung für kleine bis mittlere Eingriffe gewährleisten.
Thrombozyten funktionstests wie z. B. kapilläre Flow-Analysatoren oder halbautomatisierte Aggregometrien stehen in der klinischen Routine nicht immer zur Verfügung, daher muss neben der Thrombozytenzahl auf die klinische Blutungsneigung geachtet werden.
Cave
Thrombozyten können in EDTA-Blut agglutinieren (sog. Pseudothrombozytopenie). Dies ist die häufigste Ursache einer falsch-niedrigen Messung. Bei Verdacht sollte eine Messung aus Zitrat- oder Heparinblut erfolgen.

Funktionstests

Subaquale Blutungszeit
Es wird eine standardisierte Verletzung der Haut vorgenommen und der Zeitraum bis zur Blutstillung gemessen.
Die subaquale Blutungszeit ist ein globaler Parameter der Hämostase, in den Vorgänge der Vasokonstriktion, der Thrombozytenaggregation, der plasmatischen Gerinnung usw. eingehen.
Ihr Nutzen insbesondere in der präoperativen Einschätzung des Hämostasepotenzials ist umstritten. Sensitivität und Spezifität der Methode sind gering, da u. a. ihre Durchführung schwer zu standardisieren ist, und andere als Gerinnungsphänomene ihr Ergebnis beeinflussen, z. B. der Durchblutungszustand einer Extremität [24]. Bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen auf eine Gerinnungsstörung kann jedoch eine pathologisch lange Blutungszeit als Hinweis auf die Notwendigkeit einer präoperativen Therapie – etwa mit Desmopressin zur Erhöhung der von-Willebrand-Faktor-Konzentration – angesehen werden [14].
Für ein präoperatives Screening klinisch unauffälliger Patienten ist die Blutungszeit nicht geeignet.
Thrombelastogramm (TEG)
Das Thrombelastogramm überprüft den plasmatischen Gerinnungsablauf einschließlich der Thrombozytenfunktion und ggf. einer Fibrinolyse. Untersucht werden Nativblut oder Zitratblut nach Kalziumzugabe. In einem kleinen, mit Blut gefüllten Gefäß dreht sich ein Zylinder. Fibrinfäden behindern diese Drehung. Der Widerstand gegen die freie Drehbewegung wird zeitabhängig als Auslenkungen in 2 Richtungen dokumentiert. So entsteht das Bild des Thrombelastogramms (Abb. 7).
Automatisierte und wenig störanfällige Systeme erlauben eine „Bedside“-Anwendung (Point-of-care, POC), z. B. die Rotationsthrombelastometrie oder -graphie (ROTEM, ROTEG). Zusätzlich können im ROTEM wie bei den globalen Phasentests durch Inkubation mit intrinsischen oder extrinsischen Aktivatoren (INTEM, EXTEM) oder durch eine In-vitro-Inhibierung der thrombozytären Aggregation durch Cytochalasin (FIBTEM) differenziertere Aussagen zum Anteil bestimmter Komponenten des Gerinnungssystems – z. B. der Thrombozyten oder des Fibrinogens – an der Gerinnselfestigkeit getroffen werden.
Auswertung des TEG
  • Zeit von der Kalziumzugabe bzw. dem Einfüllen des Nativbluts bis zum Erreichen einer Amplitude von 2 mm (Reaktionszeit r bzw. coagulation time CT)
  • Zeit bis zum Erreichen einer Amplitude von 20 mm (Gerinnselbildungszeit k bzw. clot formation time CFT)
  • Maximal erreichte Amplitude (ma bzw. MCF)
Nimmt die Amplitude im Zeitverlauf wieder ab oder verschwindet sie ganz – wird also das Blut wieder ungerinnbar –, so liegt eine Fibrinolyse vor.
Blutflussanalysen als thrombozytenempfindliche Globaltests (z. B. PFA-100)
Vollblut strömt unter hohem Scherstress durch eine sehr kleine Öffnung (Standard 150 μm). Die Zeit bis zum Verschluss der Öffnung wird gemessen. Dieser Test erfasst insbesondere die Thrombozytenadhäsion und -aggregation. Er wird durch Heparin nur wenig beeinflusst, kann aber durch Zusatz unterschiedlicher Thrombozytenaktivatoren (Adrenalin, ADP, Thrombin) die Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern differenzieren und Acetylsalicylsäure quantifizieren [17]. Auch ein von-Willebrand-Syndrom kann erfasst werden.
Thrombozytenaggregometrie (z. B. Multiplate)
Auch die Durchführung klassischer aktivatorinduzierter Aggregometrien gestattet bettseitig die Beurteilung der Thrombozytenfunktion einschließlich der Differenzierung der Wirkungen der Acetylsalicylsäure, der ADP- (Clopidogrel) und der GP-IIb/IIIa-Inhibitoren (z. B. Abciximab; [8]).

Der Patient mit Störungen des Bluts und der Blutgerinnung

Untersuchung und Anamnese

Fremd-, Eigen- und Familienanamnese können Hinweise auf hereditäre Blutgerinnungsstörungen geben. Am besten erfolgt die Erfassung eines möglichen patientenbedingten Blutungsrisikos durch eine standardisierte Blutungsanamnese [23]. Bei Frauen sind Menorrhagien ein wichtiges Symptom, das quantifizierend (z. B. Tamponverbrauch) erfragt werden sollte. Leberfunktionsstörung und Urämie legen erworbene Gerinnungsstörungen nahe. Eine Medikamentenanamnese muss präoperativ erhoben werden. Von besonderem Interesse sind oft Kumarine, Heparin und seine Abkömmlinge, Hirudin und Thrombozytenaggregationshemmer wie Azetylsalizylsäure und Clopidogrel, aber auch nichtsteroidale Antiphlogistika und β-Lactam-Antibiotika. Besondere Aufmerksamkeit erfordern auch die neuen oral applizierbaren Antagonsiten des Thrombins (Dabigatran) und des Faktors Xa (Rivaroxaban, Apixaban). Für die Abschätzung einer ggf. erforderlichen Karenzzeit zwischen letzter Applikation und Operation spielen die Halbwertszeit einer Substanz und die aktuelle Nierenfunktion eine wichtige Rolle.
Klinische Blutungszeichen sind flächenhafte Hämatome als Hinweis auf einen plasmatischen Gerinnungsdefekt und Petechien als Zeichen einer thrombozytären Gerinnungsstörung (Abb. 8 und 9).
Bei Patienten mit einer antikoagulatorischen Vormedikation muss ein erhöhtes Blutungsrisiko insbesondere bei rückenmarksnahen Anästhesien bedacht werden. Hierzu gibt es dezidierte Empfehlungen der DGAI [9], die z. B. einzuhaltende zeitliche Sicherheitsabstände aufführen (Kap. Anästhesie bei Patienten mit Störungen der Blutgerinnung).

Laborparameter und Interventionsgrenzen

Ergibt sich bei der präoperativen klinischen Untersuchung und Blutungsanamnese eine Auffälligkeit, so sollten zur initialen Evaluation die folgenden Laborparameter bestimmt werden.
Laborparameter
  • Quick-Wert (INR bei chronischer Antikoagulation mit Kumarin) oder Thromboplastinzeit
  • Partielle Thromboplastinzeit (PTT)
  • Fibrinogenkonzentration
  • Thrombozytenzahl
  • Antithrombin (AT)
Cave
Durch die Bestimmung dieser Parameter werden Aktivitätsminderungen des Faktors XIII und die Funktion des v.-Willebrand-Faktors nicht erfasst.
Bei einzelnen pathologischen Ergebnissen empfiehlt sich eine Kontrolle. Außerdem soll die Rücksprache mit einem hämostaseologisch versierten Arzt erfolgen, um die Durchführung einer Thrombozytenfunktionsdiagnostik (PFA-100, Multiplate) und ggf. einer perioperativen Desmopressingabe [28] zu prüfen.
Cave
Da die gängigen Gerinnungsparameter bei 37 °C gemessen werden, ist der gerinnungshemmende Effekt einer Hypothermie laborchemisch nicht zu erfassen.
Klinische Hinweise auf eine Thrombozytenfunktionsstörung liefern Petechien oder Blutungen nach Bagatelltraumen (z. B. Absaugen). Hinweise auf eine Hyperfibrinolyse können sich aus der Klinik (Wiederauftreten vorher gestillter Blutungen) oder/und aus der Bestimmung des D-Dimer ergeben.
Ein spezifischer Parameter zur Diagnostik der Hyperfibrinolyse steht im Routinelabor nicht zur Verfügung, da das D-Dimer auch bei Gerinnungsaktivierung ohne Hyperfibrinolyse oder bei physiologischen Lysevorgängen alter Thromben erhöht sein kann.
Die Differenzialdiagnose zwischen disseminierter intravasaler Koagulopathie (Kap. Anästhesie bei Patienten mit Störungen der Blutgerinnung) und Verlust-/ Dilutionskoagulopathie lässt sich oft nur klinisch und über den zeitlichen Verlauf der globalen Laborparameter stellen.
Interventionsgrenzen hängen von der speziellen klinischen Situation ab – so z. B. von der Brisanz und Dynamik der Gerinnungsstörung oder der Lokalisation und dem Umfang der diffusen Blutung. Die folgenden Grenzwerte stellen empirische Interventionsgrenzen bei einer bestehenden, diffusen Blutung dar, die auf klinischer Erfahrung und nicht auf kontrollierten Studien beruhen (Tab. 3; [26]).
Tab. 3
Empirische Interventionsgrenzen (Substitutionsindikationen) bei klinisch diffuser nicht-chirurgischer Blutung
Quick-Wert
Substitutionstherapie bei Quick-Wert <40 %
Nicht bei Quick-Wert >70 %
PTT
Störanfälliger Parameter mit Heparinempfindlichkeit
Therapie bei Verlängerung des oberen Normwertes der PTT auf das 1,5-fache, nicht bei PTT im Referenzbereich
Nur zur Differenzierung einer Heparinüberdosierung (Alternative ACT, Heptem)
Therapie bei <150–200 mg/dl
Nicht bei >200 mg/dl, sofern keine fibrinogenmangelbedingte Thrombusinstabilität (ROTEM) vorliegt
Substitutionstherapie immer bei <10.000/μl, abhängig von der geplanten OP bei <50.000–80.000/μl, nicht bei >100.000/μl (Ausnahme: vermutete Thrombozytopathie). Thrombozytenzahlen <30.000/μl stellen beim frisch operierten Patienten auch ohne diffuse Blutung Substitutionsindikation dar
AT
Nur bei Verbrauchskoagulopathie zur Inhibierung des pathologischen Umsatzes. Die Anwendung ist umstritten. Substitution in den Normbereich (80 %)
F XIII
Therapie <30 %, nicht >60 %
Ionisiertes Kalzium
Bei Massivtransfusion und Beeinträchtigung der Leberfunktion. Substitution in den Referenzbereich (>0,9 mmol/l)
Obwohl hierüber keine verlässlichen Daten existieren, wird es als Gebot der klinischen Vorsicht angesehen, die perioperativ anzustrebenden Faktorenrestaktivitäten (Tab. 4) auch von Art, Lokalisation und Verlauf des Eingriffs abhängig zu machen.
Tab. 4
Perioperativ anzustrebende Mindestaktivitäten einiger plasmatischer Gerinnungsfaktoren
Faktor
Bemerkungen
Perioperativ anzustrebende Mindestaktivität
XI
Selten Blutungen
Unklar, kein Konzentrat
VII (Proconvertin)
 
>50 %, rFVIIa oder in PPSB
V
 
>20 %
X (Stuart-Prower)
Stärkere Blutungen
>50 %, in PPSB
Sehr selten
>50 %, in PPSB
 
>100–150 mg/dl
XIII
 
Unklar, eher >40 %
Deshalb werden z. B. für neurochirurgische Eingriffe höhere Aktivitäten als für abdominal- und thoraxchirurgische Eingriffe angestrebt, und bei letzteren sollte das Gerinnungspotenzial höher liegen als bei z. B. Eingriffen an den Extremitäten.
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