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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 21.04.2017

Anaphylaktische Kreislaufinsuffizienz

Verfasst von: Jan-Hinrich Baumert
Die systemische anaphylaktische Reaktion ist durch die massive Freisetzung von vasodilatorischen und die Gefäßpermeabilität erhöhenden Mediatoren (Histamin, Kinine) sowie von Adrenalin und Noradrenalin charakterisiert. Die Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie werden in diesem Kapitel erörtert.

Systemische anaphylaktische Reaktion

Die systemische anaphylaktische Reaktion ist durch die massive Freisetzung von vasodilatorischen und die Gefäßpermeabilität erhöhenden Mediatoren (Histamin, Kinine) sowie von Adrenalin und Noradrenalin charakterisiert.

Pathophysiologie

Abhängig vom Ort des Antigenkontakts (Haut, Respirationstrakt, Magen-Darm-Trakt) können lokale Symptome wie Hautrötung (Flush), Atemnot/Bronchospasmus oder Übelkeit und Erbrechen der generalisierten Anaphylaxie vorausgehen. Die Kreislaufreaktion ist durch Tachykardie, Arrhythmien sowie eine besonders ausgeprägte Vasodilatation gekennzeichnet. In der Initialphase kann es kurzfristig durch die positiv inotrope Wirkung der Katecholamine und des Histamins zum Anstieg des HZV kommen. Da im Verlauf die kardiale Vorlast durch Vasodilatation und Flüssigkeitsverlust in das Interstitium stark abnimmt, sinkt dann aber das HZV. Im Extremfall kann durch den Abfall des koronaren Perfusionsdrucks eine kardiale Ischämie auftreten. Diese Gefahr wird durch die häufige Hypoxämie aufgrund von Bronchospasmus und pulmonalem Ödem verstärkt. Es gibt Fallberichte über Myokardinfarkte im Rahmen der Anaphylaxie [1,3].

Diagnostik

Typisch für die Anaphylaxie ist der perakute Beginn der Symptome nach einem Antigenkontakt. Flush, Schleimhautschwellung, Laryngo- und Bronchospasmus weisen auf die Anaphylaxie hin, sind aber nicht immer vorhanden. Charakteristisch sind Tachykardie (evtl. auch Arrhythmien und Blockierung der AV-Überleitung), Hypotension und Hypovolämie. Falls eine invasive Überwachung vorhanden ist, finden sich stark reduzierte Werte für HZV und peripheren Widerstand, evtl. auch für den ZVD.
Da bei der Anaphylaxie wegen der Gefahr des anaphylaktischen Schocks ein schneller Therapiebeginn notwendig ist, muss die Diagnose überwiegend klinisch gestellt werden.
Die Differenzialdiagnosen akuter Asthmaanfall, Aspiration, Lungenembolie sowie in Einzelfällen akuter Myokardinfarkt können schwierig sein. Wegweisend sind die Evaluation von Vorerkrankungen und Risikofaktoren, sowie das Vorhandensein wahrscheinlicher Auslöser: außerhalb des Krankenhauses Insektenstiche (50 %) und Nahrungsmittel (25 %), im Krankenhaus NSAIDs und Antibiotika [5].
Epidemiologische Zahlen für den anaphylaktischen Schock sind in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich, liegen meist aber unterhalb von 10 Fällen pro 100.000 Einwohner und Jahr.

Therapie

Entscheidend für die Prognose der Anaphylaxie und des anaphylaktischen Schocks ist ein schneller Therapiebeginn. Es müssen sowohl der massive Volumenverlust durch die gestörte Kapillarpermeabilität ersetzt als auch kardiale Funktion und peripherer Vasotonus stabilisiert werden.

Volumentherapie

Eine schnelle Infusion kristalloider Lösungen muss sofort begonnen werden. Im weiteren Verlauf können Kolloide und Kristalloide im Verhältnis von etwa 1:3 kombiniert werden, aber auch hier ist ein Vorteil der Kolloide nicht belegt. Maßgeblich ist nach der initialen Blutdruckstabilisierung die Überwachung des weiteren Flüssigkeitsbedarfs, der anhand der Hämodynamik, der regelhaft vorhandenen Hämokonzentration und der Urinproduktion abgeschätzt werden muss. Bei besonders schweren Verläufen können die Messung von HZV, Füllungsdrücken und peripherem Widerstand hilfreich sein, obwohl auch hier die Echokardiografie als nichtinvasives Verfahren bevorzugt werden sollte.

Pharmakotherapie

Adrenalin
Die intramuskuläre Gabe von Adrenalin ist die primäre Therapie der anaphylaktischen Kreislaufinsuffizienz.
Die frühzeitige Behandlung mit Adrenalin kann die Eskalation der Schocksymptome verhindern und ist daher entscheidend für die Prognose. Da eine hochdosierte intravenöse Gabe zusätzliche Risiken durch zu hohe kardiale Konzentration birgt und daneben der Zeitverlust bis zum Erhalt eines venösen Zugangs das Ergebnis verschlechtert, wird in allen Leitlinien die primär intramuskuläre Gabe empfohlen [4]. Mit einer Dosis von 0,5 mg (also etwa 5–10 μg/kgKG bei Erwachsenen) wird neben der positiv inotropen Wirkung auch die notwendige Steigerung des peripheren Gefäßwiderstands erreicht. Zusätzlich ist die im Verhältnis zu anderen Katecholaminen ausgeprägte Wirkung auf β2-Rezeptoren therapeutisch bedeutsam, da über diese ein Bronchospasmus durchbrochen sowie die weitere Mediatorenfreisetzung gehemmt werden können.
Da intensivmedizinische Patienten immer mit intravasalen Zugängen versorgt sind, wird bei diesen eine sorgfältig dosierte i.v.-Gabe den Vorzug haben. Die Datenbasis dafür ist jedoch unzureichend, es gibt lediglich Hinweise, dass der Dosisbereich gegenüber älteren Empfehlungen auf 1,5–2 μg/kgKG pro Einzeldosis gesenkt werden sollte.
Beim schweren Bronchospasmus kann Adrenalin in gleicher Dosis in 10 ml Kochsalzlösung über einen Trachealtubus gegeben werden. Der Erfolg ist dann jedoch weniger vorhersagbar, und die Anwendung wird nicht mehr in allen Leitlinien empfohlen. Bei fortbestehendem Bedarf wird unter Kontrolle von EKG und Blutdruck nach Platzierung eines zentralvenösen Zugangs eine Adrenalininfusion von 0,1–0,5 μg/kgKG/min begonnen.
Dosierung
  • Anaphylaktischer Schock:
    • 0,5 mg Adrenalin i.m.-Bolus, evtl. nach 5 min wiederholen
    • 0,1–1,5 μg/kgKG/min Adrenalin als i.v.-Infusion
Cave
Auch nach Stabilisierung des Kreislaufs ist eine Überwachung für mindestens 24 h notwendig, da es nach initialem Therapieerfolg durch eine erneute Mediatorenfreisetzung („Spätreaktion“) zur Rückkehr der Schocksymptome kommen kann.
Im anaphylaktischen Schock sind tachykarde Rhythmusstörungen keine Kontraindikation für Adrenalin. Es gibt Hinweise darauf, dass diese durch die Therapie gebessert werden können. Allerdings müssen evtl. Ischämiezeichen im EKG berücksichtigt werden, da es nach der Gabe von Adrenalin zu einem überschießenden Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck und damit des kardialen O2-Bedarfs kommen kann. Einzelne Autoren sehen eine zu hohe initiale Adrenalindosis als mitverursachend für Myokardinfarkte im Rahmen der Anaphylaxie an. Daher werden nach anfänglicher intramuskulärer Gabe bei fortbestehender Indikation für die i.v.-Anwendung geringere Einzeldosen von 1,5–2 μg/kgKG bzw. die Dauerinfusion empfohlen.
Noradrenalin
Zur Behandlung der akuten Vasodilatation in der Anaphylaxie ist auch Noradrenalin in einer Dosis von 50–100 μg als Bolus bzw. 0,02–0,2 μg/kgKG/min als Dauerinfusion mit Erfolg eingesetzt worden. Wegen seiner geringen Wirksamkeit an β2-Rezeptoren ist Noradrenalin für die anaphylaktische Kreislaufinsuffizienz jedoch Medikament der 2. Wahl und – wie auch Vasopressin – allenfalls als Ergänzung zu Adrenalin indiziert [2]. Die übrigen Katecholamine sind in der Akuttherapie der Anaphylaxie nicht indiziert.

Adjuvante Therapie

Histaminrezeptorantagonisten stellen zwar keine eigentliche Kreislaufunterstützung dar, können aber im Verlauf der anaphylaktischen Reaktion Bronchospasmus und erhöhte Kapillarpermeabilität (H1-Antagonisten, z. B. Clemastin oder Dimetinden) sowie Tachykardie und kardiale Arrhythmien (H2-Antagonisten, z. B. Ranitidin oder Famotidin) bessern. Nach initialer Stabilisierung sind diese Substanzen für 24–48 h eine sinnvolle Ergänzung der Therapie.
Kortikosteroide sind wegen ihrer verzögerten Wirkung ebenfalls in der Akuttherapie nicht hilfreich. Sie sind jedoch im Verlauf gegen Ödembildung und Fortschreiten der Mediatorfreisetzung (Spätreaktion) wirksam und daher ebenfalls als Ergänzung sinnvoll. Für keines der verfügbaren Kortikosteroide ist ein spezieller Vorteil im Rahmen der Anaphylaxie belegt.
Cave
Berichte über eine zunehmende Zahl allergischer Reaktionen auf die Kortikoide selbst (speziell das häufig eingesetzte Methylprednisolon) deuten darauf hin, dass die Indikation im Einzelfall genau geprüft werden muss.
Abb. 1 zeigt ein Flussdiagramm zur primären Behandlung der anaphylaktischen Kreislaufinsuffizienz.
Literatur
1.
Barach EM, Nowak RM, Lee TG, Tomlanovich MC (1984) Epinephrine for treatment of anaphylactic shock. JAMA 251:2118–2122CrossRefPubMed
2.
Dewachter P, Raeth-Fries I, Jouan-Hureaux V et al (2007) A comparison of epinephrine only, arginine vasopressin only and epinephrine followed by arginine vasopressin on the survival rate in a rat model of anaphylactic shock. Anesthesiology 106:977–983CrossRefPubMed
3.
Larsen SL (2000) Acute myocardial infarction following a wasp sting in a patient with normal coronary vessels. Ugeskr Laeger 162:4819–4820PubMed
4.
Simons FE, Ardusso LR, Bilo MB et al (2014) International consensus on (ICON) anaphylaxis. World Allergy Organ J 7(1):9CrossRefPubMedPubMedCentral
5.
Worm M, Eckermann O, Dölle S et al (2014) Triggers and treatment of anaphylaxis: an analysis of 4000 cases from Germany, Austria and Switzerland. Dtsch Arztebl Int 111(21):367–375PubMedPubMedCentral