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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 22.09.2017

Der juristische Notfallkoffer

Verfasst von: Rolf-Werner Bock
Arzthaftung ist keine Entdeckung erst unserer Tage. Prozesse wegen Kunstfehlern hat es schon im Altertum gegeben, und sie werden bzw. müssen auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen. Denn der Arzt steht bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit selbstverständlich nicht im rechtsfreien Raum, sondern unterliegt – wie jeder andere Staatsbürger auch – der Bindung an Recht und Gesetz. Eine nüchterne empirische Bestandsaufnahme bestätigt, dass die gegenwärtige Lage auf dem strafrechtlichen Sektor für die Anästhesisten und andere Ärztegruppen voller Risiken und daher verständlicherweise eine Quelle tiefer Besorgnis ist. Daher empfehlen wir, das forensische Risiko bei der Krankenbehandlung stets zu bedenken und bei jeder Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen abzuwägen. Das mag „unärztlich“ erscheinen, ist aber für den, der ein Strafverfahren mit all seinen Belastungen und Unwägbarkeiten vermeiden will, eine unverzichtbare Konsequenz.
Einleitung
Arzthaftung ist keine Entdeckung erst unserer Tage. Prozesse wegen Kunstfehlern hat es schon im Altertum gegeben, und sie werden bzw. müssen auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen. Denn der Arzt steht bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit selbstverständlich nicht im rechtsfreien Raum, sondern unterliegt – wie jeder andere Staatsbürger auch – der Bindung an Recht und Gesetz. Eine nüchterne empirische Bestandsaufnahme bestätigt, dass die gegenwärtige Lage auf dem strafrechtlichen Sektor für die Anästhesisten und andere Ärztegruppen voller Risiken und daher verständlicherweise eine Quelle tiefer Besorgnis ist. Den Rat, „nach seinem Gewissen zu handeln und bereit zu sein, auch vor Gericht für seine Überzeugung einzustehen“,1 können wir daher in dieser uneingeschränkten Form keinem Arzt geben. Wir empfehlen ihm vielmehr, die Kollision von Eigen- und Fremdinteressen zu seinen Gunsten zu lösen, anders formuliert, das forensische Risiko bei der Krankenbehandlung stets zu bedenken und bei jeder Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen abzuwägen. Das mag „unärztlich“ erscheinen, ist aber für den, der ein Strafverfahren mit all seinen Belastungen und Unwägbarkeiten vermeiden will, eine unverzichtbare Konsequenz.
Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen und an seiner Strafverfolgung durch eigenes Tun mitzuwirken.
Dieser verfassungsrechtlich abgesicherte, von unserer Strafprozessordnung als selbstverständlich vorausgesetzte Grundsatz ist ein elementares Recht, aus dem sich folgender Rat ergibt:
Jeder möglicherweise von einem strafrechtlichen Vorwurf betroffene Anästhesist sollte sich gegenüber den Ermittlungsbehörden zunächst auf sein Schweigerecht berufen.
Darin liegt kein Aufruf zu Unwahrheit oder Vertuschung, keine Aufforderung, sich aus der Verantwortung zu stehlen, und kein Appell zur Selbstbegünstigung, sondern die Inanspruchnahme eines strafprozessualen Grundrechts.
Unverzichtbar ist ein rationales juristisches Krisenmanagement nach einem komplikativen Behandlungsverlauf oder einem Zwischenfall.
Leider kommt es immer wieder vor, dass Ärzte überhaupt nicht erkennen, dass ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen sie anhängig ist, oder sie glauben, erst im Falle einer förmlichen Anklage reagieren zu müssen. Dann aber ist es meistens schon zu spät, eine öffentliche Hauptverhandlung zu vermeiden, was das eigentliche Ziel einer wirksamen und kompetenten Strafverteidigung sein muss.
Was auf dieser Grundlage im Einzelnen nach Zwischenfällen in welcher Weise wann und wem gegenüber zu tun ist, muss sorgfältig überlegt und kann deshalb kaum ohne juristischen Beistand entschieden werden.2

Gespräch mit dem Patienten

Besonders wichtig ist die überlegte Aussprache mit dem Patienten bzw. seinen Angehörigen.
Ein unbedachtes Wort und vor allem fehlende Gesprächsbereitschaft sind häufig Ursache für Misstrauen, Verärgerung oder Gegnerschaft der Patientenseite und können in der Folge zu einer Strafanzeige und/oder der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen führen. Studien aus den USA belegen, dass viele Patienten vor allem aus Frustration darüber, keine überzeugende Erklärung für das Geschehene zu erhalten, den Rechtsweg beschreiten.3
Beispiel für das Verhalten der Angehörigen nach einer mit dem Tod der Patientin geendeten Operation im Krankenhaus:
Doch da waren ja noch die offenen Fragen. Die wollten wir geklärt haben. Deshalb haben wir in den folgenden Tagen viermal persönlich oder telefonisch versucht, einen Verantwortlichen zu sprechen. Doch vergeblich. Dann wurde es uns zu bunt: Wir gingen zur Polizei!
Ärztinnen und Ärzte sollten daher das Gespräch mit den Betroffenen nicht scheuen (zur etwaigen Verpflichtung zur „Fehleroffenbarung“ vgl. Abschn. 8). Es ist oftmals die entscheidende Weichenstellung für den weiteren Geschehensverlauf. Denn ein menschlich vertrauensvolles, einfühlsames Gespräch kann in vielen Fällen einen für alle Beteiligten belastenden Rechtsstreit, zumindest aber oft eine Strafanzeige verhindern.
In diesem – menschliche Zuwendung bekundenden – Gespräch sollte der Arzt auf die Fragen und Sorgen des Patienten bereitwillig eingehen, die Vorgänge, soweit möglich, erklären, offen die Fakten nennen, von sich aus Einsicht in die Unterlagen anbieten und seine Kooperationsbereitschaft deutlich machen. Nichts wäre falscher, als bei dieser Unterredung arrogant, „von oben herab“, „kämpferisch“ oder verärgert aufzutreten oder hektisch und unter Zeitdruck zu handeln.
Beispiel: Ein Kind hatte einen Sauerstoffmangelschaden erlitten, worauf die Mutter fragte, wie lange dieser Zustand gedauert habe. Originalantwort des Arztes: „Ich arbeite nicht mit der Stoppuhr. Ich habe schließlich noch andere Arbeiten zu tun.“
Auf keinen Fall sollte der Arzt Dinge vorspiegeln, die alsbald als unrichtig erkannt werden, auch kein Schuldanerkenntnis abgeben.4 Der Arzt sollte ferner weder Schuldzuweisungen an andere vornehmen noch sich auf Wertungen einlassen. Am besten ist es, in auch für den medizinischen Laien verständlicher Form die Fakten darzulegen. Bagatellisieren Sie den Schaden nicht und wecken Sie beim Patienten keine irrealen Hoffnungen.
Diese Ratschläge machen deutlich, dass das Gespräch mit dem geschädigten Patienten und/oder seinen Angehörigen nicht nur sehr schwierig, sondern auch eine zweischneidige Sache und häufig eine Gratwanderung zwischen Selbstbezichtigung und Selbstverteidigung mit der Gefahr der Fehldeutung und von Missverständnissen ist. Deshalb sollte diese Aussprache – aus Beweisgründen – niemals alleine stattfinden und, wenn möglich, gut vorbereitet werden. Zu oft werden nämlich Worte missverstanden oder aus bestimmten Formulierungen Schuldbekenntnisse abgeleitet, um sie später dem beschuldigten Arzt entgegenzuhalten.
Deshalb: Betrifft die Komplikation einen Oberarzt oder Assistenzarzt, ist der Chefarzt der Abteilung gefordert, das Gespräch mit dem Patienten oder seinen Angehörigen zu führen, zumindest aber daran teilzunehmen. Er muss auch darauf hinwirken, dass „mit einer Zunge“ gesprochen wird, d. h. keine unterschiedlichen Auskünfte von verschiedenen Personen gegeben werden, wobei natürlich keine Zeugenbeeinflussung erfolgen darf. Außerdem sollte man zum Inhalt des Gesprächs unbedingt Notizen machen.
Nach Zwischenfällen und bei drohender Auseinandersetzung mit einem unzufriedenen Patienten bzw. seinen Angehörigen hängt die weitere Entwicklung sehr oft entscheidend davon ab, wie sich der Arzt verhält. Deshalb: dem Gespräch mit dem Patienten nicht ausweichen, es auch nicht auf nachgeordnetes Personal delegieren, unbedingt Gesprächszeugen hinzuziehen und den Gesprächsinhalt dokumentieren. Sehen Sie in diesem Gespräch grundsätzlich von Wertungen und Hypothesen über den Ursachenverlauf und das Verhalten anderer ab.
Zur Klarstellung
  • Zutreffende tatsächliche Angaben gefährden den Versicherungsschutz nicht! Selbstverständlich ist es dem Arzt auch erlaubt, dem Patienten auf Befragen die Wahrheit zu sagen, selbst wenn dies das Eingeständnis eines Behandlungsfehlers bedeutet (vgl. dazu nochmals eingehend, Abschn. 8).
  • Sie sollten aber kein Schuldanerkenntnis abgeben, obwohl das Anerkenntnisverbot zum 01.01.2009 aufgehoben wurde (§ 105 VVGE), da sich aus der Anerkennung unbegründeter Ansprüche nachteilige Folgen für den Arzt (Eigenhaftung!) ergeben können.
  • Sie haben das Recht, ein „schuldhaftes“ Verhalten zu leugnen. Denn niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen und an seiner Strafverfolgung durch eigenes Tun mitzuwirken.
  • Ist bereits eine Strafanzeige erfolgt, erscheint das Gespräch mit den Angehörigen und/oder dem geschädigten Patienten nicht mehr sinnvoll, da dann die Amtsermittlungen anlaufen und der Fall der ausschließlichen Handhabung durch Arzt und Patient entzogen ist. Allerdings kann es sich auch in diesen Fällen für das weitere Verfahren günstig auswirken, wenn zu gegebener Zeit eine schriftliche Äußerung des Bedauerns oder – im Falle des Todes eines Patienten – einer Beileidsbekundung erfolgt. Der Text derartiger Briefe muss natürlich sorgfältig überlegt sein.

Erstellung eines Gedächtnisprotokolls, Komplettierung der Krankenunterlagen und Anfertigung von Fotokopien

Jeder Betroffene sollte für sich persönlich genaue Aufzeichnungen über den Ablauf des Zwischenfalls bzw. der Komplikation, markante Zeitpunkte, die Länge bestimmter Zeitphasen, die beteiligten Personen, Besonderheiten in der Person des Patienten, Auffälligkeiten im Umfeld, Namen von Mitpatienten und dergleichen machen (Gedächtnisprotokoll). Da diese Unterlagen beschlagnahmefähig sind, müssen sie vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden sicher aufbewahrt werden. Sie gehören nicht zu den Behandlungsunterlagen, sondern sind persönliche Notizen des betroffenen Arztes.
Bei Komplikationen ist die umfassende sofortige Dokumentation aller Maßnahmen mit der sach- und zeitgerechten ärztlichen Reaktion manchmal nur schwer oder gar nicht zu vereinbaren. Gerade betreffend Notfallsituationen ist die Erfüllung der ärztlichen Dokumentationspflicht wegen der Haftungsträchtigkeit dieser Fälle prozessual jedoch von größter Bedeutung (vgl. insofern zivilrechtlich die Verpflichtung zu adäquater Dokumentation gem. § 630 f BGB sowie die Beweislastregel des § 630h, Abs. 3 BGB).
Umso wichtiger ist es daher, im unmittelbaren Anschluss an den Eintritt des Zwischenfalls, unverzüglich, d. h. „ohne schuldhaftes Zögern“, die Krankenakte zu vervollständigen, die fehlenden Eintragungen vorzunehmen und die Ereignisse exakt schriftlich in den Krankenblattunterlagen festzuhalten. Dies sollte in absoluter Ruhe und ohne jede Hektik unter Angabe des Datums geschehen.
Soweit Nachträge oder Korrekturen erforderlich werden, weil man etwas vergessen oder unzutreffend dargestellt hat, sind diese entweder an der entsprechenden Stelle oder aber im fortlaufenden Text anzubringen, in jedem Falle aber durch Angabe des Eintragungsdatums als nachträglich geschrieben zu kennzeichnen, da anderenfalls der Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllt ist (vgl. dazu auch § 630f, Abs. 1 BGB: bei zu korrigierender – auch elektronischer – Dokumentation muss der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleiben; „Fälschungssicherheit“).
Stets sollten auch sofort Fotokopien der Behandlungsunterlagen und von Röntgenaufnahmen Duplikate anfertigen werden.
Denn wenn es zu einem Ermittlungsverfahren mit Beschlagnahme der Unterlagen kommt, erhält der Beschuldigte selbst keine Akteneinsicht, sondern kann diese nur über seinen Verteidiger erlangen. Ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht besteht sogar erst nach Abschluss der Ermittlungen, die Jahre dauern können.

Recht des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen

Gewähren Sie auf Wunsch des Patienten bereitwillig Einsicht in die Patientenakte (vgl. § 630g BGB) und teilen Sie die Anschrift des Haftpflichtversicherers mit sowie die Nummer des Versicherungsscheins. Eine ablehnende Haltung des Arztes bzw. Krankenhausträgers oder gar eine Verweigerung des Einsichtsrechts hat oftmals schwerwiegende Folgen. Beispiel:
Soweit es die Information meines Mandanten betrifft, wurde ein „OP-Bericht bzw. ein Anästhesieprotokoll den weiterbehandelnden Ärzten bislang trotz Anforderung nicht zur Verfügung gestellt“.
Daraus zieht der Anwalt der Patientenseite die Konsequenz, Strafanzeige zu erstatten sowie Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung zu stellen, und schreibt in dem entsprechenden Schriftsatz:
„Auf die naheliegende Gefahr der Beseitigung von Beweismitteln weise ich ausdrücklich hin“.
Viele Strafverfahren gerade wegen fahrlässiger Körperverletzung wären vermeidbar, wenn dem Einsichtsverlangen des Patienten die Krankenunterlagen betreffend rasch und unbürokratisch Folge geleistet würde.
Der Arzt ist verpflichtet, diese Einsicht dadurch zu ermöglichen, dass er Fotokopien sämtlicher Unterlagen herstellen lässt (§ 630g, Abs. 1 BGB), sie mit der schriftlichen Bestätigung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit versieht und dem Patienten aushändigt.5 Originale werden keinesfalls „herausgegeben“.
Der Anspruch des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen ist grundsätzlich nicht auf objektive Aufzeichnungen und Befunde beschränkt. Subjektive Bemerkungen und Verdachtsbeurteilungen dürfen im Einzelfall ausnahmsweise zurückgehalten oder vor Aushändigung von Kopien der Krankenunterlagen an den Patienten für ihn unkenntlich gemacht werden. Wir raten allerdings ab, davon Gebrauch zu machen, da dadurch leicht der Anschein einer Manipulation erweckt wird. Besonderheiten gelten für Patienten in psychiatrischer Behandlung (vgl. dazu auch § 630g, Abs. 1 BGB).6
  • Ärztliche Aufzeichnungen werden nicht mehr, wie nach früherer Auffassung, als „bloße Gedächtnisstütze“ des Arztes charakterisiert. Verstöße gegen die ärztliche Dokumentationspflicht haben wegen der Beweislastregeln zugunsten des Patienten im Zivilprozess (vgl. § 630h, Abs. 3 BGB) erhebliche forensische Relevanz, wenngleich diese Verpflichtung in erster Linie therapeutischen Belangen dient. Es gilt allgemein in der Rechtsprechung der Grundsatz, dass einer vertrauenswürdigen zeitnahen ärztlichen Dokumentation bis zum Beweis der Unrichtigkeit Glauben zu schenken ist. Sie hat die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich. Daraus folgt, dass bei der Beurteilung, ob ärztliches Handeln lege artis war, grundsätzlich der dokumentierte Behandlungsverlauf zugrunde gelegt wird.
  • Erscheinen Ermittlungsbeamte zur Sicherstellung von Krankenunterlagen (Polizei/Staatsanwaltschaft), so empfehlen wir die freiwillige Herausgabe. Stellen Sie diese zur Vermeidung von Durchsuchungsmaßnahmen bereit. Behandeln Sie die Amtsträger höflich und ohne Unmut oder Arroganz. Die Bitte, im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht die Beschlagnahme auszusprechen und damit staatlichen Zwang auszuüben, halten wir nicht für erforderlich. Denn wenn die Staatsgewalt mit einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erschienen ist, kann sie jederzeit die Herausgabe erzwingen, sodass mit dem Hinweis auf Formalien im Grunde nichts gewonnen ist. Richtig ist allerdings, dass sich der Arzt im Hinblick auf seine Schweigepflicht vergewissern muss, dass die Aushändigung der Krankenunterlagen unabwendbar ist und auf hoheitlicher Anordnung beruht. Der Beschlagnahmebeschluss dient insoweit der Dokumentation bzw. Legitimation.
  • Polizei und Staatsanwaltschaft handeln im Rahmen eines von der Strafprozessordnung gedeckten Auftrags. Der Arzt sollte im Falle einer Durchsuchung und Beschlagnahme sofort einen Anwalt verständigen und ihn bitten, den Ermittlungshandlungen beizuwohnen. Zwar kann auch der Anwalt die Zwangsmaßnahmen nicht verhindern, aber allein seine Anwesenheit kann dafür sorgen, dass die dem Arzt unbekannten Rechtsvorschriften peinlich genau beachtet werden. Im Übrigen kann der Anwalt natürlich durch Beratung zur Beruhigung und Versachlichung der Atmosphäre beitragen. Rechtsmittel gegen Zwangsmaßnahmen (Widerspruch, Beschwerde) haben keine aufschiebende Wirkung. Wir raten deshalb in aller Regel auch davon ab, da der Rechtsschutz in diesem frühen Stadium gänzlich ineffektiv und deshalb fast ausnahmslos nutzlos ist.

Mitteilungspflichten

Von größter Bedeutung ist die unverzügliche Meldung jedes Schadensereignisses, das Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte, an den Haftpflichtversicherer (im Krankenhaus unter Einhaltung des dafür vorgegebenen Meldewegs), selbst wenn man persönlich ein Fehlverhalten ausschließt. Ohne zeitgerechte Information der Haftpflichtversicherung ist der Versicherungsschutz gefährdet!7
Es kommt also nicht darauf an, dass der Patient Forderungen geltend macht, ein Anwaltsschreiben oder eine Klage vorliegt oder feststeht, dass der Anspruch zu Recht besteht. Entscheidend ist vielmehr, ob konkrete Anhaltspunkte für die Erhebung von Ersatzforderungen gegeben sind.
Fertigen Sie eine schriftliche Stellungnahme zu der Komplikation bzw. den erhobenen Vorwürfen an, doch beachten Sie Folgendes: Da die Einleitung eines Strafverfahrens möglich ist, können sämtliche Unterlagen beschlagnahmt und die Adressaten des Berichts als Zeugen vernommen werden. Alles was der Arzt hier also freimütig und wahrheitsgemäß hier offenbart, kann auf diese Weise zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen und gegebenenfalls zu seinen Ungunsten verwandt werden.
Mitteilungen an die Haftpflichtversicherung (den Vorgesetzten und die Krankenhausleitung) sollten sich deshalb ausschließlich auf die Schilderung des Tatbestands – ohne alle Wertungen – beschränken, d. h. auf den tatsächlichen Geschehensablauf, die objektive Chronologie der Ereignisse, ohne eigene Beurteilung, subjektive Meinungsäußerungen, Vermutungen, Spekulationen, Schuldeingeständnisse oder Schuldzuweisungen, kurzum: auf reinen Tatsachenvortrag, wie er sich aus den Krankenunterlagen, dem Operationsbericht, dem Anästhesieprotokoll u. a. ergibt.

Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers

Gemäß Nr. 5.2 AHB (Allgemeine Haftpflichtbedingungen) gilt der Versicherer in Zivilsachen als bevollmächtigt, „alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben“. Der Versicherer ist also ermächtigt, alle mit der Schadensregulierung zusammenhängenden Maßnahmen zu treffen und den Versicherungsnehmer (Arzt) anzuweisen, sich entsprechend zu verhalten. Kraft seiner Regulierungsvollmacht hat der Haftpflichtversicherer das Recht, Schadensersatz zu leisten oder aber den Anspruch des Patienten nicht anzuerkennen und den Rechtsweg auszuschöpfen, also den Rechtsstreit durch mehrere Instanzen zu führen. Daher ist es verfehlt, insoweit selbständig tätig zu werden, vielmehr ist jegliche Korrespondenz mit dem Patienten bzw. dessen Anwalt dem Versicherer zu überlassen.
Die Einschaltung eines „eigenen“ Rechtsanwalts ist dem Arzt zwar nicht verboten, doch muss der Versicherer, wenn er damit sachlich oder im Hinblick auf die Person des anwaltlichen Beraters nicht einverstanden ist, die Anwaltskosten nicht übernehmen. Daher sollte sich der Arzt vor der Erteilung eines Mandats mit der Berufshaftpflichtversicherung abstimmen.
Die Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers gilt allerdings nur in Zivilsachen, nicht in Strafsachen, wo der Arzt in seiner Anwaltswahl völlig frei ist.

Schlichtungsstellen/Gutachterkommissionen

Die etwaige Einschaltung einer Schlichtungsstelle bzw. einer Gutachterkommission sollte bedacht werden: Wenn Differenzen mit dem Patienten drohen, kann dieser Weg Rechtsstreitigkeiten verhindern. Voraussetzung ist allerdings, dass sowohl der Patient als auch der Arzt mit dem „Schlichtungsweg“ einverstanden sind.
Die Zustimmung zu diesem Verfahren muss man mit dem Haftpflichtversicherer abstimmen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass das Ergebnis der Begutachtung durch die Schlichtungsstelle/Gutachterkommission weder den Patienten noch den Arzt und seine Haftpflichtversicherung bindet, vielmehr sind beide Seiten in ihrer Beurteilung der Sachlage und bezüglich ihres weiteren Vorgehens frei. Da die Entscheidung der Schlichtungsstelle/Gutachterkommission aber vielfach den weiteren Verlauf präjudiziert, ist eine professionelle Vertretung empfehlenswert.

Zivilprozessuales: Anwaltszwang, Information des Anwalts, Teilnahme an mündlichen Verhandlungen und Beweisterminen

Kommt eine Einigung zum von dem Patienten geltend gemachten Ersatzanspruch in den Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung nicht zustande und wird infolgedessen ein Zivilgerichtsverfahren – in der Regel vor dem Landgericht – anhängig, so muss der Arzt anwaltlich vertreten sein, denn vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Dabei haben die Haftpflichtversicherungen aufgrund ihrer schon erwähnten Regulierungsvollmacht bezüglich des Anwalts ein Benennungsrecht, d. h. die Prozessführung wird vom Haftpflichtversicherer durch Beauftragung eines Anwalts veranlasst.
Die Prozessführung liegt in der Hand des Rechtsanwalts, doch muss ihn der Arzt sorgfältig und rechtzeitig informieren. Der Arzt sollte daher die Schriftsätze auf korrekte Sachdarstellung überprüfen und zu gegnerischen Schriftsätzen alsbald und umfassend Stellung nehmen.
An Beweisterminen (z. B. Vernehmung von Zeugen, Anhörung des Sachverständigen) auch ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens in Abstimmung mit dem Rechtsanwalt nach Möglichkeit teilnehmen. Dasselbe gilt für mündliche Verhandlungen.
Zu Sachverständigengutachten sollte man sachlich, nötigenfalls auch „kritisch“ Stellung nehmen; eventuell ist ein weiteres Sachverständigengutachten zu beantragen oder ein Privatgutachten einzuholen.
Jeder Arzt sollte sich um „seinen Fall“ wirklich kümmern, ihn als seine ureigenste Angelegenheit behandeln und nicht glauben, mit der Einschaltung eines Rechtsanwalts das Erforderliche getan zu haben und damit diese „lästige Sache“ los zu sein.

Todesbescheinigung und Pflicht zur Fehleroffenbarung

Von Ausnahmen abgesehen ist niemand zur Aufdeckung eigenen Fehlverhaltens verpflichtet. Insoweit ist zunächst zu unterscheiden, welche Folgen eingetreten sind:
Todesfall
Bei Todesfällen stellt sich die Frage, ob bzw. von wem gegebenenfalls die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen ist.
Es ist zunächst zwischen „natürlicher“ und „nicht natürlicher“ Todesursache zu unterscheiden. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird überwiegend der Tod bei oder nach einer Operation nur dann als „nicht natürlich“ angesehen, „wenn wenigstens entfernte konkrete Anhaltspunkte für einen Kunstfehler oder für sonstiges Verschulden des behandelnden Personals vorliegen“.8 Andere halten diese Auffassung für zu eng und sprechen immer schon dann von einem „unnatürlichen Tod“, wenn „keine sicheren Anzeichen für einen natürlichen Tod festzustellen sind“,9 anders formuliert: wenn ein unnatürlicher Tod nach Lage der Dinge nicht sicher auszuschließen ist.
Daraus folgt: Sicherlich ist nicht bei jedem Fall einer tödlich verlaufenden Komplikation oder sogar bei jedem Todesfall im Krankenhaus Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten, vielmehr ist wie folgt abzuwägen:
  • Verwirklicht sich beim Exitus in tabula das Risiko der Grunderkrankung oder das wegen ordnungsgemäßer Aufklärung und Einwilligung erlaubte Risiko der Operation und liegen keine Anhaltspunkte für ärztliches oder pflegerisches Fehlverhalten (oder das eines Dritten) vor, so handelt es sich um einen natürlichen Tod.
  • Eine Ausnahme hiervon besteht, wenn bereits die Grunderkrankung von rechtlich bedeutsamen äußeren Faktoren bestimmt war. Zu denken wäre z. B. an traumatische Verletzungen (Verkehrsunfall, Sturz etc.) oder länger wirkende, rechtlich bedeutsame Einwirkungen (z. B. Vergiftungen, Berufskrankheiten etc.).
  • Lässt sich der Tod, z. B. wegen fehlender präoperativer Diagnostik, nicht aus dem Krankheitsbild oder dem typischen Operationsrisiko erklären oder liegen Anhaltspunkte (nicht notwendig Beweise) für ein Fehlverhalten vor, so darf die Ankreuzung „natürlicher Tod“ auf dem Leichenschauschein nicht erfolgen, sondern als Todesart muss „ungeklärt“ oder „ungewiss“ angegeben werden. Die endgültige Feststellung bleibt dann dem Obduzenten bzw. Pathologen überlassen. Außerdem ist unter dieser Prämisse unverzüglich die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen.
Man kann nur mit Nachdruck davor warnen, trotz gegenteiliger Anhaltspunkte eine „natürliche“ Todesursache auf dem Leichenschauschein anzugeben, da dies sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann.10 Das Ausstellen einer unrichtigen Todesbescheinigung ist als solches zwar nur eine Ordnungswidrigkeit, kann aber unter dem Aspekt der Strafvereitelung (auch als Versuch) strafbar sein (§ 258 Abs. 1, Abs. 4 StGB). Die Versuchung, „Zweifel an einer natürlichen Todesursache zu unterdrücken“, ist insbesondere für den Arzt groß, der irgendwie in den Zwischenfall verwickelt ist und möglicherweise durch eine ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung den Tod (mit-)verursacht hat,11 doch muss ihr unbedingt widerstanden werden.
Im Hinblick auf diese Konfliktsituation fehlt in manchen Bundesländern eine generelle Anzeigepflicht unnatürlicher Todesfälle gegenüber der Polizei oder aber es wird dem Arzt das Recht eingeräumt, die Leichenschau zu verweigern, wenn sie ihn oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (z. B. Art. 2 Abs. 3 des Bayer. BestattungsG). Es gibt jedoch nach wie vor Bundesländer (z. B. Baden-Württemberg gemäß § 20 Abs. 2 BestattungsG), die jeden Arzt, der die Leichenschau vornimmt (vgl. dazu die Einschränkung gem. § 20, Abs. 3 B.-W. BestattungsG), im Falle eines nicht eindeutig natürlichen Tods – also auch im Falle einer „nicht aufgeklärten“ Todesursache – verpflichten, sofort eine Polizeidienststelle zu benachrichtigen.
Es sollte deshalb stets dafür Sorge getragen werden, dass, soweit irgend möglich, die Todesbescheinigung ein Arzt ausfüllt, der in den Zwischenfall nicht involviert, sondern sozusagen „neutral“ ist.
Fahrlässige Körperverletzung
In Fällen fahrlässiger Körperverletzung muss weder der betroffene Arzt noch im Krankenhaus etwa sein Dienstvorgesetzter oder ein anderer Arzt der Staatsanwaltschaft oder Polizei eine Meldung machen. Dies gilt auch in gravierenden Fällen.
Beispiel: Einem an Lungenkrebs erkrankten Mann wurden im Krankenhaus versehentlich Teile des gesunden Lungenflügels entnommen, der Tumor dagegen nicht entfernt. Hierüber unterrichtete die Krankenhausverwaltung „sofort die Familie des Patienten“ – was sicherlich richtig war –, aber auch die Staatsanwaltschaft, was zweifellos nicht notwendig und nicht einmal opportun war.
Fahrlässige Körperverletzung ist nämlich ein sog. relatives Antragsdelikt, d. h. Ermittlungen werden nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen aufgenommen, während sie im Grundsatz von einem Strafantrag des Verletzten abhängig sind, der auch selbst im Wege der sog. Privatklage die Strafverfolgung betreiben kann.
Pflicht zur Fehleroffenbarung
Gemäß Rechtslage bis zum Inkrafttreten des sogenannten Patientenrechtegesetzes am 26.02.2013 bestand für Ärztinnen und Ärzte zivil-, straf- und berufsrechtlich keine Pflicht, Patienten unaufgefordert über eigene Behandlungsfehler zu unterrichten, um ihnen eine Durchsetzung zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche zu ermöglichen. In der Literatur ist streitig, ob sich an dieser Rechtslage durch die Regelung des § 630c, Abs. 2, Satz 2 BGB etwas geändert hat.12 Die Vorschrift betrifft im Behandlungszusammenhang die sogenannte therapeutische bzw. „Sicherungsaufklärung“ des Patienten und ist von der – im eigentlichen Sinne – Eingriffs- bzw. Risikoaufklärung abzugrenzen. Sie lautet wie folgt:
Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese auf nach Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren.
Offenbarungspflichten aus therapeutischen Gründen („zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren“) resultierten – schon von je her – aus der Verpflichtung zur Schadensabwehr, wobei der Arzt „durch Hinweise, Ratschläge, Anweisungen und Empfehlungen an den Patienten alles in seinen Kräften stehende tun muss, um den Patienten vor vermeidbaren Gefahren und drohenden Schäden zu schützen“, wozu ggf. auch die Mitteilung von „Umständen“, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, gehört.13 Allerdings impliziert das Erfordernis zu entsprechender therapeutischer Mitteilung nicht die Qualifizierung eventuell erkennbarer Umstände als „Fehler“, die Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen etwaigem Fehler und Schädigung oder die Charakterisierung als „schuldhaftes“ Verhalten; entsprechende Wertungen sind für gebotene Behandlungsmaßnahmen unerheblich.14
In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen: Zwar soll insbesondere der Informant betreffend mitgeteilter Umstände im Sinne von § 630c, Abs. 2, Satz 2 BGB, dem selbst ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, durch ein Verwertungs- bzw. Verwendungsverbot in einem (insbesondere) gegen ihn gerichteten Straf- oder Bußgeldverfahren geschützt werden, doch gestaltet sich diese Regelung rechtssystematisch und absehbar rechtspraktisch unzulänglich.15
Offenbarungspflichten aus therapeutischen Gründen bedürfen somit stets der exakten Prüfung im konkreten Einzelfall, wobei u. E. nicht maßgebend ist, ob ein leichter oder grober Behandlungsfehler vorliegt,16 vielmehr kommt es ausschließlich auf das Ausmaß der drohenden Gesundheitsfolgen für den Patienten an. Zustimmung verdient deshalb die Entscheidung des OLG Koblenz,17 in der es heißt:
Ein Arzt, der damit rechnen muss, dass er seinem Patienten eine Gesundheitsschädigung zugefügt hat, ist auch nach Behandlungsende aus dem fortwirkenden Arztvertrag heraus verpflichtet, von sich aus alles zu tun, um die Auswirkung der Schädigung so gering wie möglich zu halten.18 Er ist verpflichtet, von den Komplikationen und einem drohenden weiteren Schaden19 den Patienten und dessen (Haus-)Arzt zu unterrichten, damit eine sachgerechte Nachbehandlung oder Vorsorge für den Fall des Eintritts des drohenden Schadens eingeleitet werden kann.20 Selbstverständlich aber ist die Komplikation (z. B. Perforation eines Gefäßes, der Trachea, eine Fehlintubation, ein Sauerstoffabfall u. a.) in den Krankenblattunterlagen zu vermerken (Dokumentationspflicht).
Dagegen muss der Arzt nicht fremde Behandlungsfehler aufdecken und melden,21 um etwa den Vorwurf der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) zu vermeiden.22 Allerdings resultiert aus § 630c, Abs. 2 Satz 2, BGB eine Verpflichtung gegenüber dem Patienten zur Unterrichtung über fremde Behandlungsfehler, wobei die gleichen Grundsätze wie hinsichtlich einer Offenbarung eigenen Fehlverhaltens gelten. D. h., dass dem Patienten die objektiv auf einen Behandlungsfehler hindeutenden Umstände, nicht eine damit einhergehende rechtliche Bewertung mitzuteilen sind. Dabei obliegt dem Arzt schon nach allgemeinen Regeln auch die Verpflichtung, in seiner Person alles zur adäquaten Weiterbehandlung des Patienten zu tun bzw. zu veranlassen.

Keine Zeugenbeeinflussung und keine Unterdrückung oder Veränderung der Krankenunterlagen

(Potenzielle) Zeugen dürfen nicht beeinflusst werden. Davon abgesehen sollte derjenige, der polizeiliche bzw. staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen seine Person nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt für ausgeschlossen erachtet, äußerste Zurückhaltung im Gespräch mit Kollegen und dem nichtärztlichen Personal üben.
Es macht vor Gericht einen verheerenden Eindruck, wenn plötzlich bekannt wird, dass der Arzt versucht hat, auf Kollegen oder Pflegekräfte einzuwirken, damit sie diese oder jene Erklärung abgeben. Derartige Kontaktaufnahmen sind nicht nur „naiv“, sondern, wie ein Vorsitzender in einer Hauptverhandlung einmal sagte, „blödsinnig“.
Selbstverständlich darf man die vorliegenden schriftlichen Krankenunterlagen nicht nachträglich verfälschen bzw. Beweismittel vernichten oder beiseite schaffen. Anderenfalls kann der Vorwurf der Urkundenfälschung bzw. Urkundenunterdrückung erhoben und strafrechtlich geahndet werden (vgl. dazu Abschn. 2).

Unterschiedliche Rechte und Pflichten als Zeuge oder Beschuldigter

Vernehmung bzw. „Befragung“ als Zeuge
Kommt es bereits unmittelbar nach einem Zwischenfall oder einer Komplikation zu sog. „informatorischen Befragungen“ durch die Polizei, ohne dass überhaupt schon feststeht, ob eine strafbare Handlung vorliegt bzw. gegen wen sich der Tatverdacht richten könnte, ist (auch) der in den Vorfall verwickelte Arzt zunächst Zeuge.
Ein Zeuge hat grundsätzlich die Pflicht, auszusagen, und zwar wahrheitsgemäß. Nach § 55 StPO kann er jedoch die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren wahrheitsgemäße Beantwortung ihn der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Obwohl der sog. „verdächtige“ Zeuge auf diese Bestimmung von Vernehmungsbeamten hinzuweisen ist, wird in der Praxis durchaus immer wieder hiergegen verstoßen, ohne dass sich daraus aber irgendwelche rechtliche Konsequenzen ergeben. Jeder möglicherweise von einem Fehlvorwurf betroffene Arzt ist daher gut beraten, im Frühstadium der Ermittlungen den Bereich des Auskunftsverweigerungsrechts weit zu ziehen, u. U. die Aussage im Hinblick auf § 55 StPO sogar ganz zu verweigern. Allerdings muss dieses Auskunfts- oder sogar Aussageverweigerungsrecht gem. § 55 Abs. 2 StPO „glaubhaft“ gemacht werden.
Unser Rat: Bei der Polizei stets schweigen, die schriftliche Formulierung der Fragen erbitten und ankündigen, dass eine Stellungnahme zur Sache bzw. eine Beantwortung dieser Fragen erfolgen wird. Denn unbedachte und vorschnelle, im Ergebnis belastende Angaben in diesem Stadium erschweren die Verteidigung oftmals außerordentlich, wenn der Arzt in die Rolle des Beschuldigten gerät und nun das früher Gesagte im weiteren Verfahrensverlauf gegen ihn verwendbar ist. Der Polizeibeamte macht über jede Beobachtung, jedes Wort eine Aktennotiz. Ein Erscheinens- und Aussagezwang bei der Kriminalpolizei besteht für den Zeugen nicht.
Vernehmung als Beschuldigter
Wer formell von der Staatsanwaltschaft mit dem Vorwurf konfrontiert wird, für den Tod oder die Körperverletzung eines Patienten verantwortlich zu sein, ist „Beschuldigter“. In dieser Position ist dringend davon abzuraten, mündliche Erklärungen zur Sache abzugeben. Wie nämlich die Erfahrung gezeigt hat, ist die Gefahr von Missverständnissen, Irrtümern und Ungenauigkeiten bei der Aufzeichnung der Angaben außerordentlich groß. Daraus resultiert die Empfehlung, stets nur durch einen zu beauftragenden Verteidiger schriftlich – nach Akteneinsicht und nach vorheriger rechtlicher Prüfung – zur Sache Stellung zu nehmen.
Dies ist mit Nachdruck – gegen manch anderen juristischen Rat – zu empfehlen, da mit einer substanziell fundierten, oftmals durch ein fachspezifisches Gutachten unterlegten Schutzschrift der weitere Gang des Verfahrens entscheidend in Richtung „Einstellung“ gefördert werden kann. Das Zurückhalten von Argumenten und Tatsachen oder die Aufbewahrung von vermeintlichen „Überraschungseffekten“ für die Hauptverhandlung ist in Arztstrafsachen nach unserer Erfahrung ein schwerer anwaltlicher „Kunstfehler“. Denn das Hauptziel der Verteidigung muss sein, die Erhebung der Anklage mit nachfolgender öffentlicher Hauptverhandlung mit allen zulässigen Mitteln zu vermeiden.

Umgang mit Medien

Sogenannte „Kunstfehlerprozesse“ rufen bereits bei der Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen vielfach außerordentliche Medienwirksamkeit hervor. Auch insofern ist seitens Kliniken bzw. ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie niedergelassener Ärztinnen und Ärzte ein professionelles Agieren geboten.
Generell ist Kliniken zu empfehlen, „schon in guten Zeiten eine vertrauensvolle Kommunikation zu Journalisten aufzubauen“.23
Äußerungen gegenüber Medienvertretern sollten allenfalls vorbereitet und koordiniert erfolgen. Beispielsweise sollte ausgeschlossen sein, dass sich betroffene oder sonstige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Klinik individuell äußern. Im Einzelfall kann zweckmäßig sein, mit einer Presseerklärung offensiv an die Öffentlichkeit zu treten, um Richtigstellungen vorzunehmen und veranlasste Maßnahmen darzustellen. Insofern ist es empfehlenswert, sich professioneller Unterstützung zu bedienen (ggf. Einschaltung der „Pressestelle“ bzw. Beiziehung eines Medienberaters etc.).
Persönlich Betroffene sollten sich gegenüber Medien überhaupt nicht äußern. „Notfalls“ ist auf den anwaltlichen Vertreter zu verweisen. Dieser muss dann im Einzelfall in Abstimmung mit seinem Mandanten entscheiden, ob und in welcher Weise medienwirksam reagiert wird. Grundsätzlich gilt es, möglichst jegliche Publizität zu vermeiden.

Resümee

Diese Verhaltensempfehlungen sind keine starren Regeln, sondern stellen in Gestalt eines „juristischen Notfallkoffers“ vielfach erprobte und in der Praxis bewährte allgemeine Hinweise dar, mit denen einer forensischen Auseinandersetzung nach Komplikationen oder Streitfällen vorgebeugt, ein Zivilprozess sinnvoll begleitet und die Verteidigung in einem eventuellen Strafverfahren vernünftig gestaltet werden kann.
Fußnoten
1
Wachsmuth/Schreiber, FAZ vom 03.10.1980, S. 10.
 
2
Ulsenheimer/Bock, Anästh Intensivmed 2013, 54: 585–599; Bock (2014) Verteidigung in Arztstrafsachen. In: Wiedmaier, Müller, Schlothauer (Hrsg), Strafverteidigung, 2. Aufl., S. 2003 ff.; s. dazu auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis. 5. Aufl. 2015, Rdnr. 1184 f.
 
3
Kilian, VersR 2000, 942.
 
4
Das sog. Anerkenntnisverbot ist zwar seit 01.01.2009 entfallen (§ 105 VVG), jedoch resultiert eine Eigenhaftung des Arztes, wenn er unbegründete Ansprüche anerkennt oder befriedigt.
 
5
OLG Köln, NJW 1982, 704.
 
6
BGH AHRS Kza 6450/6, OLG Köln, MDR 1995, 52, 53.
 
7
Vgl. Nr. 25.1 i.V.m. Nr. 1.1 AHB.
 
8
Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., München 2016, § 159, RN 2; Maiwald, NJW 1978, 563.
 
9
Geerds, MedR 1984, 173 m.W.N.
 
10
Zum Ganzen siehe Erlinger, Ausstellung von Leichenschauscheinen: Exitus in tabula – „natürlicher Tod“?, Der Chirurg BDC 1999, S. 288.
 
11
Kleiber, Der iatrogene Todesfall, 1988, S. 47.
 
12
Vgl. dazu eingehend Kett-Straub/Sipos-Lay, § 630c Abs. 2 Satz 2 BGB im Spannungsfeld von Patientenrechten und dem Nemo tenetur-Grundsatz, MedR (2014) 32:867–876; siehe auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, a.a.O., Rd-Nrn. 1195, 1203 ff.
 
13
Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, a.a.O.
 
14
Schelling/Warntjen, MedR 2012, 508.
 
15
Kett/Straub-Sipos-Lay, a.a.O.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, a.a.O.
 
16
In dieser Weise differenziert Glatz, der nur bei grobem Fehlverhalten des Arztes eine Offenbarungspflicht annimmt.
 
17
MedR 2000, 37, 39.
 
18
BGH AHRS 2900/1.
 
19
Konkret ging es um das Risiko einer Darmwandschädigung mit der Gefahr einer späteren Darmperforation.
 
20
vgl. auch OLG Hamm, VersR 1984, 91.
 
21
so mit Recht Glatz, a.a.O., S. 374 f.
 
22
so auch Schreiber, in: FS Dünnebier, 1982, S. 644; a.A. Brüggemeier, Deliktsrecht 1986, S. 405 Rdnr. 672.
 
23
Gerst, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 97, Heft 39, S. A2519.