Einleitung
Arzthaftung ist keine Entdeckung erst unserer Tage. Prozesse wegen Kunstfehlern hat es schon im Altertum gegeben, und sie werden bzw. müssen auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen. Denn der Arzt steht bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit selbstverständlich nicht im rechtsfreien Raum, sondern unterliegt – wie jeder andere Staatsbürger auch – der Bindung an Recht und Gesetz. Eine nüchterne empirische Bestandsaufnahme bestätigt, dass die gegenwärtige Lage auf dem strafrechtlichen Sektor für die Anästhesisten und andere Ärztegruppen voller Risiken und daher verständlicherweise eine Quelle tiefer Besorgnis ist. Den Rat, „
nach seinem Gewissen zu handeln und bereit zu sein, auch vor Gericht für seine Überzeugung einzustehen“,
1 können wir daher in dieser uneingeschränkten Form keinem Arzt geben. Wir empfehlen ihm vielmehr, die Kollision von Eigen- und Fremdinteressen zu seinen Gunsten zu lösen, anders formuliert, das forensische Risiko bei der Krankenbehandlung stets zu bedenken und bei jeder Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen abzuwägen. Das mag „unärztlich“ erscheinen, ist aber für den, der ein Strafverfahren mit all seinen Belastungen und Unwägbarkeiten vermeiden will, eine unverzichtbare Konsequenz.
Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen und an seiner Strafverfolgung durch eigenes Tun mitzuwirken.
Dieser verfassungsrechtlich abgesicherte, von unserer Strafprozessordnung als selbstverständlich vorausgesetzte Grundsatz ist ein elementares Recht, aus dem sich folgender Rat ergibt:
Jeder möglicherweise von einem strafrechtlichen Vorwurf betroffene Anästhesist sollte sich gegenüber den Ermittlungsbehörden zunächst auf sein Schweigerecht berufen.
Darin liegt kein Aufruf zu Unwahrheit oder Vertuschung, keine Aufforderung, sich aus der Verantwortung zu stehlen, und kein Appell zur Selbstbegünstigung, sondern die Inanspruchnahme eines strafprozessualen Grundrechts.
Unverzichtbar ist ein rationales juristisches Krisenmanagement nach einem komplikativen Behandlungsverlauf oder einem Zwischenfall.
Leider kommt es immer wieder vor, dass Ärzte überhaupt nicht erkennen, dass ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen sie anhängig ist, oder sie glauben, erst im Falle einer förmlichen Anklage reagieren zu müssen. Dann aber ist es meistens schon zu spät, eine öffentliche Hauptverhandlung zu vermeiden, was das eigentliche Ziel einer wirksamen und kompetenten Strafverteidigung sein muss.
Was auf dieser Grundlage im Einzelnen nach Zwischenfällen in welcher Weise wann und wem gegenüber zu tun ist, muss sorgfältig überlegt und kann deshalb kaum ohne juristischen Beistand entschieden werden.
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Gespräch mit dem Patienten
Besonders wichtig ist die überlegte Aussprache mit dem Patienten bzw. seinen Angehörigen.
Ein unbedachtes Wort und vor allem fehlende Gesprächsbereitschaft sind häufig Ursache für Misstrauen, Verärgerung oder Gegnerschaft der Patientenseite und können in der Folge zu einer Strafanzeige und/oder der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen führen. Studien aus den USA belegen, dass viele Patienten vor allem aus Frustration darüber, keine überzeugende Erklärung für das Geschehene zu erhalten, den Rechtsweg beschreiten.
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Beispiel für das Verhalten der Angehörigen nach einer mit dem Tod der Patientin geendeten Operation im Krankenhaus:
Doch da waren ja noch die offenen Fragen. Die wollten wir geklärt haben. Deshalb haben wir in den folgenden Tagen viermal persönlich oder telefonisch versucht, einen Verantwortlichen zu sprechen. Doch vergeblich. Dann wurde es uns zu bunt: Wir gingen zur Polizei!
Ärztinnen und Ärzte sollten daher das Gespräch mit den Betroffenen nicht scheuen (zur etwaigen Verpflichtung zur „Fehleroffenbarung“ vgl. Abschn.
8). Es ist oftmals die entscheidende Weichenstellung für den weiteren Geschehensverlauf. Denn ein menschlich vertrauensvolles, einfühlsames Gespräch kann in vielen Fällen einen für alle Beteiligten belastenden Rechtsstreit, zumindest aber oft eine Strafanzeige verhindern.
In diesem – menschliche Zuwendung bekundenden – Gespräch sollte der Arzt auf die Fragen und Sorgen des Patienten bereitwillig eingehen, die Vorgänge, soweit möglich, erklären, offen die Fakten nennen, von sich aus Einsicht in die Unterlagen anbieten und seine Kooperationsbereitschaft deutlich machen. Nichts wäre falscher, als bei dieser Unterredung arrogant, „von oben herab“, „kämpferisch“ oder verärgert aufzutreten oder hektisch und unter Zeitdruck zu handeln.
Beispiel: Ein Kind hatte einen Sauerstoffmangelschaden erlitten, worauf die Mutter fragte, wie lange dieser Zustand gedauert habe. Originalantwort des Arztes: „Ich arbeite nicht mit der Stoppuhr. Ich habe schließlich noch andere Arbeiten zu tun.“
Auf keinen Fall sollte der Arzt Dinge vorspiegeln, die alsbald als unrichtig erkannt werden, auch kein Schuldanerkenntnis
abgeben.
4 Der Arzt sollte ferner weder Schuldzuweisungen
an andere vornehmen noch sich auf Wertungen
einlassen. Am besten ist es, in auch für den medizinischen Laien verständlicher Form die Fakten darzulegen. Bagatellisieren Sie den Schaden nicht und wecken Sie beim Patienten keine irrealen Hoffnungen.
Diese Ratschläge machen deutlich, dass das Gespräch mit dem geschädigten Patienten und/oder seinen Angehörigen nicht nur sehr schwierig, sondern auch eine zweischneidige Sache und häufig eine Gratwanderung zwischen Selbstbezichtigung und Selbstverteidigung mit der Gefahr der Fehldeutung und von Missverständnissen ist. Deshalb sollte diese Aussprache – aus Beweisgründen – niemals alleine stattfinden und, wenn möglich, gut vorbereitet werden. Zu oft werden nämlich Worte missverstanden oder aus bestimmten Formulierungen Schuldbekenntnisse abgeleitet, um sie später dem beschuldigten Arzt entgegenzuhalten.
Deshalb: Betrifft die Komplikation einen Oberarzt oder Assistenzarzt, ist der Chefarzt der Abteilung gefordert, das Gespräch mit dem Patienten oder seinen Angehörigen zu führen, zumindest aber daran teilzunehmen. Er muss auch darauf hinwirken, dass „mit einer Zunge“ gesprochen wird, d. h. keine unterschiedlichen Auskünfte von verschiedenen Personen gegeben werden, wobei natürlich keine Zeugenbeeinflussung erfolgen darf. Außerdem sollte man zum Inhalt des Gesprächs unbedingt Notizen machen.
Nach Zwischenfällen und bei drohender Auseinandersetzung mit einem unzufriedenen Patienten bzw. seinen Angehörigen hängt die weitere Entwicklung sehr oft entscheidend davon ab, wie sich der Arzt verhält. Deshalb: dem Gespräch mit dem Patienten nicht ausweichen, es auch nicht auf nachgeordnetes Personal delegieren, unbedingt Gesprächszeugen hinzuziehen und den Gesprächsinhalt dokumentieren. Sehen Sie in diesem Gespräch grundsätzlich von Wertungen und Hypothesen über den Ursachenverlauf und das Verhalten anderer ab.
Erstellung eines Gedächtnisprotokolls, Komplettierung der Krankenunterlagen und Anfertigung von Fotokopien
Jeder Betroffene sollte für sich persönlich genaue Aufzeichnungen über den Ablauf des Zwischenfalls bzw. der Komplikation, markante Zeitpunkte, die Länge bestimmter Zeitphasen, die beteiligten Personen, Besonderheiten in der Person des Patienten, Auffälligkeiten im Umfeld, Namen von Mitpatienten und dergleichen machen (Gedächtnisprotokoll). Da diese Unterlagen beschlagnahmefähig sind, müssen sie vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden sicher aufbewahrt werden. Sie gehören nicht zu den Behandlungsunterlagen, sondern sind persönliche Notizen des betroffenen Arztes.
Bei Komplikationen ist die umfassende sofortige Dokumentation aller Maßnahmen mit der sach- und zeitgerechten ärztlichen Reaktion manchmal nur schwer oder gar nicht zu vereinbaren. Gerade betreffend Notfallsituationen ist die Erfüllung der ärztlichen Dokumentationspflicht wegen der Haftungsträchtigkeit dieser Fälle prozessual jedoch von größter Bedeutung (vgl. insofern zivilrechtlich die Verpflichtung zu adäquater Dokumentation gem. § 630 f BGB sowie die Beweislastregel des § 630h, Abs. 3 BGB).
Umso wichtiger ist es daher, im unmittelbaren Anschluss an den Eintritt des Zwischenfalls, unverzüglich, d. h. „ohne schuldhaftes Zögern“, die Krankenakte zu vervollständigen, die fehlenden Eintragungen vorzunehmen und die Ereignisse exakt schriftlich in den Krankenblattunterlagen festzuhalten. Dies sollte in absoluter Ruhe und ohne jede Hektik unter Angabe des Datums geschehen.
Soweit Nachträge
oder Korrekturen erforderlich werden, weil man etwas vergessen oder unzutreffend dargestellt hat, sind diese entweder an der entsprechenden Stelle oder aber im fortlaufenden Text anzubringen, in jedem Falle aber durch Angabe des Eintragungsdatums als nachträglich geschrieben zu kennzeichnen, da anderenfalls der Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllt ist (vgl. dazu auch § 630f, Abs. 1 BGB: bei zu korrigierender – auch elektronischer – Dokumentation muss der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleiben; „Fälschungssicherheit“).
Stets sollten auch sofort Fotokopien der Behandlungsunterlagen und von Röntgenaufnahmen Duplikate anfertigen werden.
Denn wenn es zu einem Ermittlungsverfahren mit Beschlagnahme der Unterlagen kommt, erhält der Beschuldigte selbst keine Akteneinsicht, sondern kann diese nur über seinen Verteidiger erlangen. Ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht besteht sogar erst nach Abschluss der Ermittlungen, die Jahre dauern können.
Recht des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen
Gewähren Sie auf Wunsch des Patienten bereitwillig Einsicht in die
Patientenakte (vgl. § 630g BGB) und teilen Sie die Anschrift des Haftpflichtversicherers mit sowie die Nummer des Versicherungsscheins. Eine ablehnende Haltung des Arztes bzw. Krankenhausträgers oder gar eine Verweigerung des Einsichtsrechts hat oftmals schwerwiegende Folgen. Beispiel:
Soweit es die Information meines Mandanten betrifft, wurde ein „OP-Bericht bzw. ein Anästhesieprotokoll den weiterbehandelnden Ärzten bislang trotz Anforderung nicht zur Verfügung gestellt“.
Daraus zieht der Anwalt der Patientenseite die Konsequenz, Strafanzeige zu erstatten sowie Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung zu stellen, und schreibt in dem entsprechenden Schriftsatz:
„Auf die naheliegende Gefahr der Beseitigung von Beweismitteln weise ich ausdrücklich hin“.
Viele Strafverfahren gerade wegen fahrlässiger Körperverletzung wären vermeidbar, wenn dem Einsichtsverlangen des Patienten die Krankenunterlagen betreffend rasch und unbürokratisch Folge geleistet würde.
Der Arzt ist verpflichtet, diese Einsicht dadurch zu ermöglichen, dass er
Fotokopien sämtlicher Unterlagen herstellen lässt (§ 630g, Abs. 1 BGB), sie mit der schriftlichen Bestätigung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit versieht und dem Patienten aushändigt.
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Originale werden keinesfalls „herausgegeben“.
Der Anspruch des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen ist grundsätzlich nicht auf objektive Aufzeichnungen und Befunde beschränkt. Subjektive Bemerkungen und Verdachtsbeurteilungen dürfen im Einzelfall ausnahmsweise zurückgehalten oder vor Aushändigung von Kopien der Krankenunterlagen an den Patienten für ihn unkenntlich gemacht werden. Wir raten allerdings ab, davon Gebrauch zu machen, da dadurch leicht der Anschein einer Manipulation erweckt wird. Besonderheiten gelten für Patienten in psychiatrischer Behandlung (vgl. dazu auch § 630g, Abs. 1 BGB).
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Ärztliche Aufzeichnungen werden nicht mehr, wie nach früherer Auffassung, als „bloße Gedächtnisstütze“ des Arztes charakterisiert.
Verstöße gegen die ärztliche Dokumentationspflicht haben wegen der Beweislastregeln zugunsten des Patienten im Zivilprozess (vgl. § 630h, Abs. 3 BGB) erhebliche forensische Relevanz, wenngleich diese Verpflichtung in erster Linie therapeutischen Belangen dient. Es gilt allgemein in der Rechtsprechung der Grundsatz, dass einer vertrauenswürdigen zeitnahen ärztlichen Dokumentation bis zum Beweis der
Unrichtigkeit Glauben zu schenken ist. Sie hat die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich. Daraus folgt, dass bei der Beurteilung, ob ärztliches Handeln lege artis war, grundsätzlich der dokumentierte Behandlungsverlauf zugrunde gelegt wird.
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Erscheinen Ermittlungsbeamte zur Sicherstellung von Krankenunterlagen (Polizei/Staatsanwaltschaft), so empfehlen wir die freiwillige Herausgabe. Stellen Sie diese zur Vermeidung von Durchsuchungsmaßnahmen bereit. Behandeln Sie die Amtsträger höflich und ohne Unmut oder Arroganz. Die Bitte, im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht die Beschlagnahme auszusprechen und damit staatlichen Zwang auszuüben, halten wir nicht für erforderlich. Denn wenn die Staatsgewalt mit einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erschienen ist, kann sie jederzeit die Herausgabe erzwingen, sodass mit dem Hinweis auf Formalien im Grunde nichts gewonnen ist. Richtig ist allerdings, dass sich der Arzt im Hinblick auf seine Schweigepflicht vergewissern muss, dass die Aushändigung der Krankenunterlagen unabwendbar ist und auf hoheitlicher Anordnung beruht. Der Beschlagnahmebeschluss dient insoweit der Dokumentation bzw. Legitimation.
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Polizei und Staatsanwaltschaft handeln im Rahmen eines von der Strafprozessordnung gedeckten Auftrags. Der Arzt sollte im Falle einer Durchsuchung und Beschlagnahme sofort einen Anwalt verständigen und ihn bitten, den Ermittlungshandlungen beizuwohnen. Zwar kann auch der Anwalt die Zwangsmaßnahmen nicht verhindern, aber allein seine Anwesenheit kann dafür sorgen, dass die dem Arzt unbekannten Rechtsvorschriften peinlich genau beachtet werden. Im Übrigen kann der Anwalt natürlich durch Beratung zur Beruhigung und Versachlichung der Atmosphäre beitragen. Rechtsmittel gegen Zwangsmaßnahmen (Widerspruch, Beschwerde) haben keine aufschiebende Wirkung. Wir raten deshalb in aller Regel auch davon ab, da der Rechtsschutz in diesem frühen Stadium gänzlich ineffektiv und deshalb fast ausnahmslos nutzlos ist.
Mitteilungspflichten
Von größter Bedeutung ist die unverzügliche Meldung jedes Schadensereignisses, das Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte, an den Haftpflichtversicherer (im Krankenhaus unter Einhaltung des dafür vorgegebenen Meldewegs), selbst wenn man persönlich ein Fehlverhalten ausschließt. Ohne zeitgerechte Information der Haftpflichtversicherung
ist der Versicherungsschutz gefährdet!
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Es kommt also nicht darauf an, dass der Patient Forderungen geltend macht, ein Anwaltsschreiben oder eine Klage vorliegt oder feststeht, dass der Anspruch zu Recht besteht. Entscheidend ist vielmehr, ob konkrete Anhaltspunkte für die Erhebung von Ersatzforderungen gegeben sind.
Fertigen Sie eine schriftliche Stellungnahme zu der Komplikation bzw. den erhobenen Vorwürfen an, doch beachten Sie Folgendes: Da die Einleitung eines Strafverfahrens möglich ist, können sämtliche Unterlagen beschlagnahmt und die Adressaten des Berichts als Zeugen vernommen werden. Alles was der Arzt hier also freimütig und wahrheitsgemäß hier offenbart, kann auf diese Weise zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen und gegebenenfalls zu seinen Ungunsten verwandt werden.
Mitteilungen an die Haftpflichtversicherung (den Vorgesetzten und die Krankenhausleitung) sollten sich deshalb ausschließlich auf die Schilderung des Tatbestands – ohne alle Wertungen – beschränken, d. h. auf den tatsächlichen Geschehensablauf, die objektive Chronologie der Ereignisse, ohne eigene Beurteilung, subjektive Meinungsäußerungen, Vermutungen, Spekulationen, Schuldeingeständnisse oder Schuldzuweisungen, kurzum: auf reinen Tatsachenvortrag, wie er sich aus den Krankenunterlagen, dem Operationsbericht, dem Anästhesieprotokoll u. a. ergibt.
Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers
Gemäß Nr. 5.2 AHB (Allgemeine Haftpflichtbedingungen) gilt der Versicherer in Zivilsachen als bevollmächtigt, „alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben“. Der Versicherer ist also ermächtigt, alle mit der Schadensregulierung zusammenhängenden Maßnahmen zu treffen und den Versicherungsnehmer (Arzt) anzuweisen, sich entsprechend zu verhalten. Kraft seiner Regulierungsvollmacht hat der Haftpflichtversicherer das Recht, Schadensersatz zu leisten oder aber den Anspruch des Patienten nicht anzuerkennen und den Rechtsweg auszuschöpfen, also den Rechtsstreit durch mehrere Instanzen zu führen. Daher ist es verfehlt, insoweit selbständig tätig zu werden, vielmehr ist jegliche Korrespondenz mit dem Patienten bzw. dessen Anwalt dem Versicherer zu überlassen.
Die Einschaltung eines „eigenen“ Rechtsanwalts ist dem Arzt zwar nicht verboten, doch muss der Versicherer, wenn er damit sachlich oder im Hinblick auf die Person des anwaltlichen Beraters nicht einverstanden ist, die Anwaltskosten nicht übernehmen. Daher sollte sich der Arzt vor der Erteilung eines Mandats mit der Berufshaftpflichtversicherung abstimmen.
Die Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers gilt allerdings nur in Zivilsachen, nicht in Strafsachen, wo der Arzt in seiner Anwaltswahl völlig frei ist.
Schlichtungsstellen/Gutachterkommissionen
Die etwaige Einschaltung einer Schlichtungsstelle bzw. einer Gutachterkommission sollte bedacht werden: Wenn Differenzen mit dem Patienten drohen, kann dieser Weg Rechtsstreitigkeiten verhindern. Voraussetzung ist allerdings, dass sowohl der Patient als auch der Arzt mit dem „Schlichtungsweg“ einverstanden sind.
Die Zustimmung zu diesem Verfahren muss man mit dem Haftpflichtversicherer abstimmen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass das Ergebnis der Begutachtung durch die Schlichtungsstelle/Gutachterkommission weder den Patienten noch den Arzt und seine Haftpflichtversicherung bindet, vielmehr sind beide Seiten in ihrer Beurteilung der Sachlage und bezüglich ihres weiteren Vorgehens frei. Da die Entscheidung der Schlichtungsstelle/Gutachterkommission aber vielfach den weiteren Verlauf präjudiziert, ist eine professionelle Vertretung empfehlenswert.
Zivilprozessuales: Anwaltszwang, Information des Anwalts, Teilnahme an mündlichen Verhandlungen und Beweisterminen
Kommt eine Einigung zum von dem Patienten geltend gemachten Ersatzanspruch in den Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung nicht zustande und wird infolgedessen ein Zivilgerichtsverfahren – in der Regel vor dem Landgericht – anhängig, so muss der Arzt anwaltlich vertreten sein, denn vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Dabei haben die Haftpflichtversicherungen aufgrund ihrer schon erwähnten Regulierungsvollmacht bezüglich des Anwalts ein Benennungsrecht, d. h. die Prozessführung wird vom Haftpflichtversicherer durch Beauftragung eines Anwalts veranlasst.
Die Prozessführung liegt in der Hand des Rechtsanwalts, doch muss ihn der Arzt sorgfältig und rechtzeitig informieren. Der Arzt sollte daher die Schriftsätze auf korrekte Sachdarstellung überprüfen und zu gegnerischen Schriftsätzen alsbald und umfassend Stellung nehmen.
An Beweisterminen (z. B. Vernehmung von Zeugen, Anhörung des Sachverständigen) auch ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens in Abstimmung mit dem Rechtsanwalt nach Möglichkeit teilnehmen. Dasselbe gilt für mündliche Verhandlungen.
Zu Sachverständigengutachten sollte man sachlich, nötigenfalls auch „kritisch“ Stellung nehmen; eventuell ist ein weiteres Sachverständigengutachten zu beantragen oder ein Privatgutachten einzuholen.
Jeder Arzt sollte sich um „seinen Fall“ wirklich kümmern, ihn als seine ureigenste Angelegenheit behandeln und nicht glauben, mit der Einschaltung eines Rechtsanwalts das Erforderliche getan zu haben und damit diese „lästige Sache“ los zu sein.
Todesbescheinigung und Pflicht zur Fehleroffenbarung
Von Ausnahmen abgesehen ist niemand zur Aufdeckung eigenen Fehlverhaltens verpflichtet. Insoweit ist zunächst zu unterscheiden, welche Folgen eingetreten sind:
Keine Zeugenbeeinflussung und keine Unterdrückung oder Veränderung der Krankenunterlagen
(Potenzielle) Zeugen dürfen nicht beeinflusst werden. Davon abgesehen sollte derjenige, der polizeiliche bzw. staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen seine Person nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt für ausgeschlossen erachtet, äußerste Zurückhaltung im Gespräch mit Kollegen und dem nichtärztlichen Personal üben.
Es macht vor Gericht einen verheerenden Eindruck, wenn plötzlich bekannt wird, dass der Arzt versucht hat, auf Kollegen oder Pflegekräfte einzuwirken, damit sie diese oder jene Erklärung abgeben. Derartige Kontaktaufnahmen sind nicht nur „naiv“, sondern, wie ein Vorsitzender in einer Hauptverhandlung einmal sagte, „blödsinnig“.
Selbstverständlich darf man die vorliegenden schriftlichen Krankenunterlagen nicht nachträglich verfälschen bzw. Beweismittel vernichten oder beiseite schaffen. Anderenfalls kann der Vorwurf der Urkundenfälschung
bzw. Urkundenunterdrückung
erhoben und strafrechtlich geahndet werden (vgl. dazu Abschn.
2).
Unterschiedliche Rechte und Pflichten als Zeuge oder Beschuldigter
Umgang mit Medien
Sogenannte „Kunstfehlerprozesse“ rufen bereits bei der Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen vielfach außerordentliche Medienwirksamkeit hervor. Auch insofern ist seitens Kliniken bzw. ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie niedergelassener Ärztinnen und Ärzte ein professionelles Agieren geboten.
Generell ist Kliniken zu empfehlen, „schon in guten Zeiten eine vertrauensvolle Kommunikation zu Journalisten aufzubauen“.
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Äußerungen gegenüber Medienvertretern sollten allenfalls vorbereitet und koordiniert erfolgen. Beispielsweise sollte ausgeschlossen sein, dass sich betroffene oder sonstige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Klinik individuell äußern. Im Einzelfall kann zweckmäßig sein, mit einer Presseerklärung offensiv an die Öffentlichkeit zu treten, um Richtigstellungen vorzunehmen und veranlasste Maßnahmen darzustellen. Insofern ist es empfehlenswert, sich professioneller Unterstützung zu bedienen (ggf. Einschaltung der „Pressestelle“ bzw. Beiziehung eines Medienberaters etc.).
Persönlich Betroffene sollten sich gegenüber Medien überhaupt nicht äußern. „Notfalls“ ist auf den anwaltlichen Vertreter zu verweisen. Dieser muss dann im Einzelfall in Abstimmung mit seinem Mandanten entscheiden, ob und in welcher Weise medienwirksam reagiert wird. Grundsätzlich gilt es, möglichst jegliche Publizität zu vermeiden.
Resümee
Diese Verhaltensempfehlungen sind keine starren Regeln, sondern stellen in Gestalt eines „juristischen Notfallkoffers“ vielfach erprobte und in der Praxis bewährte allgemeine Hinweise dar, mit denen einer forensischen Auseinandersetzung nach Komplikationen oder Streitfällen vorgebeugt, ein Zivilprozess sinnvoll begleitet und die Verteidigung in einem eventuellen Strafverfahren vernünftig gestaltet werden kann.