Die Anästhesiologie
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Verfasst von:
Stefanie Förderreuther
Publiziert am: 14.03.2018

Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (vormals „Hirntod“)

Der IHA ist definiert als irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Gehirns. Dabei werden die Atmung und die Herz- und Kreislauffunktion durch die Intensivtherapie künstlich aufrechterhalten. Der IHA ist ein sicheres Todeszeichen. Da jedoch die allgemein bekannten sicheren Todeszeichen fehlen, erfordert die Feststellung des IHA besondere Kenntnisse und intensivmedizinische Erfahrung. Im Transplantationsgesetz wurde festgelegt, dass die Feststellung des IHA nach der aktuell gültigen Richtlinie der Bundesärztekammer, die den Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft wiedergibt, erfolgen muss. Die Richtlinie regelt nicht nur den Ablauf der Todesfeststellung, sondern auch die Qualifikationsanforderungen an die Ärzte, die die klinische Untersuchung durchführen und die apparative Zusatzdiagnostik beurteilen, sowie die Verantwortlichkeit der Klinik eine Arbeitsanweisung für die Abläufe zu erarbeiten.
Einleitung
Mit der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) wird unter intensivmedizinischen Bedingungen ein sicheres Todeszeichen und damit der eingetretene Tod nachgewiesen. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf der von der Deutschen Bundesärztekammer verbindlich festgelegten aktuell gültigen 4. Fortschreibung der „Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG“ im Folgenden kurz „Richtlinie“ genannt [4].

Definition und Pathogenese

Der IHA ist definiert als irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Gehirns. Dabei werden die Beatmung und die Herz- und Kreislauffunktion durch die Intensivtherapie künstlich aufrechterhalten.
Die Häufigkeit, mit der es zur irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Gehirns kommt, ist nicht bekannt, da nicht bei allen Patienten mit entsprechend schweren Hirnverletzungen die notwendige formale Untersuchung gemäß der Richtlinie der Bundesärztekammer erfolgt und anhand retrospektiver Krankenblattauswertungen die Häufigkeit des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) nicht ermittelt werden kann.
Der IHA entwickelt sich in der Folge einer schwerwiegenden strukturellen Hirnschädigung, die in aller Regel mit einer zunehmenden und schließlich therapierefraktären Erhöhung des intrakraniellen Drucks einhergeht. Dabei kommt es meist zum Perfusionsstillstand (s. u.). Die neurologischen Ausfallsymptome entsprechen zunächst dem ursprünglichen Schädigungsort und spiegeln im Weiteren die zunehmende Hirnschädigung durch die Steigerung des Hirndrucks wider. Übersteigt der intrakranielle Druck schließlich den arteriellen Mitteldruck, sistiert die zerebrale Perfusion, und es resultiert der vollständige Infarkt des Organs. Bei ursprünglich supratentoriellen Hirnschäden kann zuweilen die von rostral nach kaudal fortschreitende Druckschädigung des Hirnstamms beobachtet werden. Dabei kommt es zunächst zur Lichtstarre der Pupillen, dann zum Erlöschen weiterer Hirnstammreflexe bis zum Ausfall der Hustenreaktion beim Absaugen und des Atemantriebs. Strecksynergismen gehen in eine Muskelhypo- bis -atonie über.
Der bevorstehende IHA kündigt sich auch durch eine therapieresistente Steigerung der intrakraniellen Druckwerte und durch eine intermittierend fehlende EEG-Aktivität („burst-suppression“) an.
Die Entwicklung des IHAs vollzieht sich im Einzelfall unterschiedlich rasch. Sie ist von vegetativen Symptomen begleitet (Kap. „Spenderkonditionierung und Organentnahme“).
Als Ursachen sind alle schwerwiegenden strukturellen (primären) und metabolischen (sekundären) akuten Hirnschäden zu nennen (Kap. „Spenderkonditionierung und Organentnahme“). In Deutschland überwiegen unter postmortalen Organspendern derzeit die atraumatischen intrakraniellen Blutungen und die ischämisch-hypoxischen Hirnschäden.
Für den Ablauf der Todesfeststellung muss überprüft sein, ob eine primäre supratentorielle, eine primäre infratentorielle, eine sekundäre oder eine kombinierte Hirnschädigung vorliegt, da man bei primären infratentoriellen Schädigungen mit initialem Ausfall der Hirnstammfunktion die Großhirnfunktion nicht klinisch beurteilen kann. Aus diesem Grund erfordern Hirnschädigungen mit begleitenden primären strukturellen infratentoriellen Läsionen stets apparative Zusatzuntersuchungen zur Beurteilung der Großhirnfunktion (EEG oder Perfusionsuntersuchung).

Vorgehen bei der Feststellung des IHAs

Die Feststellung des IHAs erfordert gemäß seiner Ätiopathogenese drei Schritte:
1.
Zunächst die Überprüfung der diagnostischen Voraussetzungen,
 
2.
dann der Nachweis der klinischen Ausfallsymptome des Gehirns,
 
3.
abschließend der Nachweis ihrer Irreversibilität (Tab. 1).
Tab. 1
Nachweis der Irreversibilität
Alter
Art der Schädigunga
Mindestdauer der Beobachtungszeit
apparative Verfahren
0–28 Tage
Jede Art der Schädigung
Obligat 72 h
Obligat EEG oder AEPb oder Doppler/Duplex an beiden Untersuchungszeitpunkten oder
SPECT nach dem 2. klinischen Untersuchungsgang
29 Tage bis 2 Jahre
Obligat 24 h
Ab dem 3. Lebensjahr
Primär supratentoriell
12 h ohne weiteres ergänzendes Verfahren
EEG oder SEP oder AEP oder Nachweis des Perfusionsstillstandes zur Verkürzung der Beobachtungszeit
Sekundär
72 h ohne weiteres ergänzendes Verfahren
Primär infratentoriell
-
EEG oder Nachweis des Perfusionsstillstandes
abei kombinierten Schädigungen ab dem 3. Lebensjahr gilt die jeweils höhere Anforderung für den Irreversibilitätsnachweis
bnicht bei infratentoriellen Schäden
 
Änderungen, die sich für die Feststellung des IHA mit dem Inkrafttreten der 4. Fortschreibung der „Richtlinie“ im Juli 2015 ergeben haben, sind in Tab. 2 zusammengefasst.
Tab. 2
Änderungen hinsichtlich der Feststellung des IHA nach Inkrafttreten der 4. Fortschreibung der „Richtlinie“ im Juli 2015
 
Neuerung
Untersuchungsablauf
Reihenfolge der Untersuchungsschritte muss eingehalten werden
Klinisch-synoptische Beurteilung von Medikamenteneffekten
Mindesttemperatur von 35 °C gefordert.
Prüfung der Hirnnervenreflexe nicht vollständig möglich
Ergänzendes apparatives Verfahren erforderlich
Apnoetestung nicht möglich/valide
Nachweis des Perfusionsstillstands erforderlich
Apnoetestung
Ausgangs paCO2 muss temperaturkorrigiert zwischen 35 und 45 mmHg liegen
Apnoetestung bei Kindern
Körpertemperatur >35 °C gefordert
CT-Angiografie
Neue Methode, Anwendung erst ab dem 18. Lebensjahr unter Beachtung von Kontraindikationen möglich
Duplexsonografie
Neue Methode
Dopplersonografie
Geänderte Anforderungen an die Untersuchung
Dokumentation
Neue Protokollbögen, abschließende Todesfeststellung erfordert 2 Unterschriften
Befunde der ergänzenden Untersuchungen
Endbefund muss den Protokollbögen beigefügt werden
Qualifikationsanforderung an die Untersucher
Dokumentation der Qualifikation auf dem Protokollbogen, 2 Fachärzte mit mehrjähriger Intensiverfahrung, davon ein Neurologe oder Neurochirurg
Bei Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr ein Neurologe/Neurochirurg plus ein Pädiater oder ein Neuropädiater plus ein weiterer qualifizierter Facharzt
Verantwortlichkeit der Klinik
Etablierung geeigneter Verfahren zur Qualitätssicherung und Überprüfung auf Weiterentwicklungsbedarf

Diagnostische Voraussetzungen

Die Überprüfung der diagnostischen Voraussetzungen erfordert die Beurteilung der gesamten Krankengeschichte im Verlauf einschließlich der neuroradiologischen Befunde und den Ausschluss von reversiblen Ursachen für die klinischen Ausfallsymptome des Gehirns.
Reversible Ursachen zerebraler Ausfallsymptome sind:
  • Intoxikationen und Medikamenteneffekte,
  • Schockzustände,
  • metabolisches Koma,
  • primäre Hypothermie,
  • entzündliche Erkrankungen wie z. B. eine Hirnstammenzephalitis oder kraniale Polyneuritis.
Die Bedeutung der intensivmedizinischen Analgosedierung und der Barbituratbehandlung für die Hirnbefunde bereitet in der klinischen Praxis die meisten Schwierigkeiten. Es müssen neben der Leber- und Nierenfunktion v. a. auch die Körpertemperatur während der Behandlung berücksichtigt werden, da der Abbau von Medikamenten bei Hypothermie verzögert ist. Gemäß den „Richtlinie“ [4] können Medikamenteneffekte unabhängig von der aktuellen Körpertemperatur beurteilt werden durch:
  • die Gabe von Antidota in ausreichender Dosierung (bis zu 10 mg Naloxon für Opioide, bis zu 1 mg Flumazenil für Benzodiazepine),
  • Perfusionsbefunde des Gehirns und
  • bei primären supratentoriellen und sekundären Schädigungen durch medikamentös nicht unterdrückbare neurophysiologische Befunde (evozierte Potenziale, nicht EEG).
Bei Körpertemperaturen ≥35 °C zum Untersuchungszeitpunkt kann die Bedeutung zentral dämpfender Medikamente für die Ausfallsymptome zusätzlich beurteilt werden durch:
  • die Synopse der Anamnese, ggf. des Protokolls notärztlicher Maßnahmen sowie der bei der Aufnahme auf die Intensivstation dokumentierten Befunde und deren Entwicklung seither,
  • die Zuordnung der verabreichten Medikamente zur dokumentierten Befundentwicklung.
Besteht der Verdacht auf eine relevante Intoxikation, so ist toxikologische Diagnostik erforderlich. Allerdings gibt es für die klinischen Effekte von zentral wirksamen Substanzen bei Patienten mit Hirnschädigungen der hier diskutierten Schwere keine ausreichenden Daten zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen. Die Beurteilung der Medikamentenspiegel im Blut kann nur zusammen mit den anderen Beurteilungsmethoden zur Überprüfung der diagnostischen Voraussetzungen für die IHA-Feststellung eingesetzt werden. Medikamentenspiegel müssen auf einem qualitativ spezifischen und quantitativ sicheren Nachweisverfahren beruhen und von einem in der Anwendung des jeweiligen Medikaments erfahrenen Arzt ggf. gemeinsam mit entsprechend erfahrenen Toxikologen, Anästhesisten und/oder Pharmakologen beurteilt werden [2, 4]. Medikamentenspiegel sind grundsätzlich keine unverzichtbare und definitiv nicht die einzige Beurteilungsgrundlage, zumal nicht für alle Substanzen quantitative Bestimmungen möglich sind.
Eine sekundäre Hypothermie entwickelt sich häufig als Folge der erloschenen zentralen Temperaturregulation. In der angelsächsischen Literatur wird für die Feststellung des IHA empirisch eine Mindestkörpertemperatur von 32 °C gefordert. Diese Empfehlung stützt sich nicht auf wissenschaftliche Untersuchungen. In der Richtlinie der Bundesärztekammer wird nur bei Kindern vor Vollendung des 2. Lebensjahres eine Körperkerntemperatur von mindestens 35 °C zum Zeitpunkt des Apnoetestes gefordert.
Bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, muss der zerebrale Zirkulationsstillstand nachgewiesen werden [4], da das Sistieren der zerebralen Perfusion unabhängig von metabolischen oder medikamentösen Einflüssen stets den Infarkt des gesamten Gehirnparenchyms zur Folge hat [3].

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung ist für die Feststellung des IHA obligat und erfordert stets den Nachweis von:
  • tiefer Bewusstlosigkeit,
  • fehlender spontaner und reflektorischer zerebraler Motorik einschließlich der „Hirnnervenreflexe“,
  • fehlenden Vitalfunktionen des Hirnstamms.
Können nicht alle Hirnnervenreflexe geprüft werden, so muss obligat ein ergänzendes Verfahren angewendet werden.
Fehlende spontane zerebrale Motorik bedeutet: Keine epileptischen Anfälle, keine extrapyramidale Hyperkinese, kein Rigor, keine Spastik, keine Spontanbewegung der von Hirnnerven innervierten Muskeln.
Fehlende reflektorische zerebrale Motorik bedeutet: Keine Adversivbewegungen der Augen nach einem Reiz, kein Saug- oder Schnauzreflex, kein Greifreflex, keine Lichtreaktion bei mittelweiten bis weiten Pupillen, keine Kornealreflexe, keine Reflexe des Gleichgewichtsorgans, keine mimische Reaktion bei Schmerzreizen, keine Haltungsregulation, kein Würgereflex, keine Hustenreaktion bei endotrachealer Absaugung.
Fehlende Vitalfunktionen des Hirnstamms besagt: Keine zirkadiane Schwankung der Körpertemperatur, sondern häufig Entwicklung einer sekundären Hypothermie, keine Herzfrequenz- und Blutdruckänderung durch Schmerzreize in trigeminal innervierten Dermatomen sowie durch Karotissinus- oder Bulbusdruck. Kein Anstieg der Herzfrequenz bei i.v.-Gabe von 2 mg Atropin, kein Atemantrieb bei Testung mittels akuter Hypoventilation (z. B. 1–2 Züge/min) ausgehend von einem normalen paCO2-Wert und Erreichen von paCO2-Werten ≥60 mmHg (temperaturkorrigierte Bestimmung). Liegt eine kardiopulmonale Vorerkrankung mit Adaptierung an einen paCO2 von >45 mmHg vor, ist die oben beschriebene Testung des Atemantriebs nicht validiert. In diesen Fällen und in Fällen bei denen der Apnoetest nicht durchführbar ist, muss der Ausfall der Vitalfunktionen des Hirnstamms durch den Nachweis des zerebralen Perfusionsstillstandes erbracht werden.
Eine noch fehlende sekundäre Hypothermie oder eine erhöhte Körpertemperatur, ein fehlender Diabetes insipidus, ein ohne Katecholamine noch ausreichender Blutdruck widersprechen nicht der klinischen Feststellung des Hirnausfalls.
Diagnostisch verwirren können:
  • spinale motorische oder vegetative Phänomene,
  • scheinbar erhaltener Atemantrieb durch geringe Luftbewegungen in der Trachea infolge des Herzschlags, die sogar ausreichen können, den Respirator zu triggern oder Apnoeprogramme des Respirators (daher Diskonnektion vom Respirator während der Apnoetestung empfohlen),
  • ein falsch-positiver Atropintest durch Injektion über die Katecholaminzuleitung,
  • postmortale Pupillenverengung als mechanisches Phänomen infolge von Flüssigkeitsverlust aus dem Auge.
  • Erhaltene zerebrale Perfusion: Bei einer vorbestehenden ausgeprägten Hirnatrophie, einer sekundären Hirnschädigung und immer dann, wenn die Kalotte nicht vollständig geschlossen ist (z. B. offene Hirnverletzungen, nach Entlastungstrepanation), kann es zu der Konstellation kommen, in der die Funktionen von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm irreversibel erloschen sind, ohne dass ein vollständiger Perfusionsstillstand vorliegt. In diesen Fällen resultiert der irreversible Ausfall der Hirntätigkeit aus der direkten Gewebeschädigung. Bei entsprechenden klinischen Konstellationen empfiehlt es sich, den Irreversibilitätsnachweis durch Verlaufsuntersuchungen oder neurophysiologische Methoden zu erbringen. Selten kann es auch bei bereits wieder fallendem Hirndruck zu einer Rekanalisierung von Gefäßen kommen.
Spinale unterscheiden sich von zerebralen motorischen Phänomenen durch den Ort ihrer Auslösung und die fehlende Beteiligung ausschließlich von Hirnnerven innervierter Muskeln. Spinale Bewegungen sind oft auf die untersuchte Extremität begrenzt und können in der Regel schon durch – verglichen mit einem trigeminalen Schmerzreiz – relativ milde Stimuli ausgelöst werden. Sie sind nur zeitweilig, mit zunehmendem Zeitabstand zum Eintritt des IHAs jedoch eher häufiger nachweisbar. Zerebral gesteuerte Bewegungen treten nach Eintritt der Apnoe praktisch nicht mehr auf.
Spinale vegetative Reaktionen wie ein Blutdruckanstieg durch Schmerzreize im Peritonealbereich lassen sich nicht durch trigeminale Schmerzreize hervorrufen. Spinale Störungen der Sudomotorik sind in der Regel topographisch begrenzt. Blutdruckanstiege bei Diskonnektion vom Respirator während der Apnoetestung beruhen auf der verbesserten kardialen Pumpfunktion in Folge des verringerten intrathorakalen Drucks.
Können klinische Phänomen nicht eingeordnet werden, so muss weiter beobachtet und behandelt oder der zerebrale Perfusionsstillstand nachgewiesen werden [4].

Nachweis der Irreversibilität

Bei primären supratentoriellen oder bei sekundären Hirnschädigungen muss die Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome entweder durch weitere klinische Beobachtungen während angemessener Zeit oder durch ergänzende Untersuchungen nachgewiesen werden. [4].
Bei primären infratentoriellen Läsionen und bei Kindern vor Vollendung des 2. Lebensjahrs ist immer apparative Zusatzdiagnostik für den Nachweis der Irreversibilität erforderlich.
Kein apparatives Verfahren belegt für sich allein den Ausfall der Hirnfunktionen. Apparative Verfahren können eine wertvolle Ergänzung zur klinischen Untersuchung sein und dem Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome dienen.
Mindestbeobachtungszeiten
  • Bei Erwachsenen und Kindern ab dem 3. Lebensjahr mit primären supratentoriellen Hirnschäden beträgt die Mindestbeobachtungszeit 12 h, mit sekundären Hirnschäden 72 h. Bei erneutem Nachweis des Ausfalls der Gesamtfunktion des Gehirns durch 2 qualifizierte Untersucher kann der IHA ohne weitere Zusatzuntersuchungen festgestellt werden.
  • Bei Kindern ab der 5. Woche bis zum vollendeten 2. Lebensjahr beträgt die Mindestbeobachtungszeit immer 24 h und es müssen zu beiden Untersuchungszeitpunkten apparative Zusatzuntersuchungen erfolgen.
  • Bei reifen Neugeborenen und Säuglingen bis zur vollendeten 4. Lebenswoche beträgt die Mindestbeobachtungszeit immer 72 h und es müssen zu beiden Untersuchungszeitpunkten apparative Zusatzuntersuchungen erfolgen.
Apparative Zusatzuntersuchungen
Apparative Verfahren ersetzen nicht die klinische Untersuchung. Jeder einzelne der folgenden apparativen Befunde schließt nach allgemeiner Erfahrung und nach der „Richtlinie“ [4] die Erholung einer krankheits- oder schädigungsbedingt fehlenden Gesamtfunktion des Gehirns aus (Wiederholungen der apparativen Verfahren sind nur bei Kindern vor Vollendung des 2. Lebensjahrs erforderlich).
  • Fehlende bioelektrische Großhirnaktivität im kontinuierlich über mindestens 30 min abgeleiteten, standardisierten EEG (hierbei müssen Medikamenteneffekte ausgeschlossen sein).
  • Fehlende akustisch oder somatosensibel evozierte Hirnpotenziale, wobei die somatosensibel evozierten Potenziale auch am kraniospinalen Übergang fehlen müssen (Anwendung der evozierten Potenziale nur, wenn eine primäre infratentorielle Hirnschädigung ausgeschlossen ist. Die somatosensibel evozierten Potenziale sind erst ab dem 3. Lebensjahr validiert).
  • Nachweis des zerebralen Perfusionsstillstandes bei standardisierter 2-maliger doppler- oder duplexsonographischer Untersuchung der hirnversorgenden Arterien im Abstand von wenigstens 30 min.
  • Fehlende intrakranielle 99mTc-HMPAO-Isotopenaktivität im Perfusionsszintigramm.
  • In der standardisiert durchgeführte CT-Angiographie fehlende Kontrastierung der A. basilaris, beider M1-Segmente der Aa. cerebri mediae, der A1-Abschnitte der Aa. cerebri anteriores, der P1-Abschnitte der Aa. cerebri posteriores, bei erhaltener Kontrastierung beider Aa. carotides communes, der Aa. carotides externae und ihrer Äste, insbesondere der Aa. temporales superficiales (Anwendung ab dem 18. Lebensjahr).
  • Stillstand des injizierten Kontrastmittels an der Hirnbasis oder im Anfangsteil der großen Hirnarterien im Angiogramm.
Bei den Zusatzuntersuchungen sind die in der „Richtlinie“ [4] vorgeschriebenen Ableitbedingungen und Qualifikationsanforderungen an die Untersucher einzuhalten. Für die zerebrale Angiographie gilt: Sie muss selektiv erfolgen; die Indikation zu dieser Untersuchung „setzt Möglichkeiten therapeutischer Konsequenzen voraus“ [4].
Alle Vorgehensweisen zum Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome bei Patienten ab dem 3. Lebensjahr mit primären supratentoriellen und sekundären Hirnschädigungen sind gleich sicher. Apparative Untersuchungen dienen in dieser Altersgruppe lediglich der Verkürzung der Beobachtungsdauer. Wenn das Ergebnis einer ergänzenden Untersuchung nicht dem für den Irreversibilitätsnachweis geforderten Befund entspricht, muss entweder eine weitere apparative Untersuchung durchgeführt werden oder auf das Verfahren von klinischen Verlaufsuntersuchungen nach den vorgeschriebenen Mindestbeobachtungszeiten übergegangen werden. Ein Wechsel der Methodik zum Nachweis der Irreversibilität kann allerdings zu Verunsicherungen beim ärztlichen und nichtärztlichen Personal wie den Angehörigen führen und sollte daher nicht ohne klärende Erläuterungen vollzogen werden.

Formale Hinweise

Jeweils zwei Fachärzte müssen unabhängig voneinander die diagnostischen Voraussetzungen der IHA-Feststellung überprüfen und die klinischen Ausfallsymptome des Gehirns feststellen. Bei Anwendung apparativer Verfahren zum Irreversibilitätsnachweis ist die Beurteilung durch einen Untersucher ausreichend. Die Diagnose des IHAs ergibt sich als übereinstimmendes Resultat der unabhängigen und getrennt dokumentierten Untersuchungen einschließlich des Irreversibilitätsnachweises. Die abschließende Diagnose IHA ist durch die Unterschriften der beiden (letzten) Untersucher zu dokumentieren.
Beide Ärzte müssen Facharzt sein und über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit entsprechend schweren akuten Hirnschädigungen verfügen. Einer der für jeden Untersuchungsgang geforderten zwei Ärzte muss Neurologe oder Neurochirurg sein. Bei Kindern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres muss die Untersuchung von einem Pädiater und einem Neurologen oder Neurochirurgen vorgenommen werden. Nur wenn ein Untersucher Neuopädiater ist, muss der 2. Untersucher nicht Neurologe oder Neurochirurg sein. Das Transplantationsgesetz schreibt vor, dass die Untersucher im Fall einer Organ- oder Gewebespende weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe des Spenders beteiligt sein dürfen. Sie dürfen auch nicht Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist.
Als Todeszeit wird diejenige Uhrzeit registriert, zu der erstmals die Kriterien des IHAs nachgewiesen sind, also die Uhrzeit, zu der die zweite Untersuchung abgeschlossen und die Irreversibilität der Ausfallsymptome nachgewiesen und dokumentiert ist. Die Protokolle zur Feststellung des IHA ersetzen nicht die amtliche Todesbescheinigung.
Jeder der beiden Ärzte muss bei jedem Untersuchungsgang einen der in der „Richtlinie“ verbindlich vorgeschriebenen Protokollbögen zur IHA-Feststellung ausfüllen. Die Protokollbögen für Kinder bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres und für Patienten ab dem 3. Lebensjahr sowie der vollständige Text der „Richtlinie“ können über die Internetseite der Bundesärztekammer (http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/irrev.Hirnfunktionsausfall.pdf) abgerufen werden. Nach § 5 Abs. 2 des Transplantationsgesetzes (TPG) „ist dem nächsten Angehörigen … Gelegenheit zur Einsichtnahme zu geben“, wozu er eine Vertrauensperson hinzuziehen kann. Nach eigener Erfahrung empfiehlt es sich, den Angehörigen anzubieten, nach vorheriger Instruktion selbst die Untersuchungen zu beobachten.
Krankenhäuser, in deren Auftrag eine IHA-Feststellung erfolgt, sind gehalten ein geeignetes Verfahren zur Qualitätssicherung der Todesfeststellung in einer Arbeitsanweisung zu etablieren und regelmäßig auf Weiterentwicklungsbedarf zu überprüfen.
Das TPG verpflichtet die Krankenhäuser dazu, potenzielle Organspender bei der regionalen Organisationszentrale der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO; http://www.dso.de/) oder dem örtlichen Transplantationszentrum zu melden. Dies kann bei Bedarf auch schon vor der endgültigen Feststellung des IHAs in Form eines anonymen Spenderkonsils erfolgen, um ggf. vor Einleitung einer rein organerhaltenden Therapie zu klären, ob der betroffene Patient überhaupt für eine Organentnahme in Frage käme.

Allgemeine Aspekte

Die Notwendigkeit den isolierten IHA für die ärztliche Todesfeststellung zu definieren, resultierte aus den in den 1950iger- und 1960iger-Jahren neu etablierten intensivmedizinischen Möglichkeiten der künstlichen Beatmung und verbesserten Pharmakotherapie – nicht dagegen aus der Notwendigkeit Organe zum Zwecke der Verpflanzung gewinnen zu können. Die Feststellung des isolierten IHAs ist keine prognostische Bewertung. Sie dient unabhängig von einer potenziellen Organspende ausschließlich der Feststellung des Tods. Ob der IHA tatsächlich dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist, ist immer wieder Gegenstand der Diskussion. Die Thematik wurde erst kürzlich umfassend im Deutschen Ethikrat diskutiert [1]. Die große Mehrheit der Mitglieder des Ethikrats beurteilt den IHA als Tod des Menschen. Eine Minderheit bewertet den Nachweis des IHA zwar als ethisch tragbare Voraussetzung für eine Organ- oder Gewebespende, nicht jedoch als sicheres Todeszeichen [1].
Die Bewertung des IHAs als sicheres Todeszeichen beruht auf der Bedeutung der Hirnfunktion für den Menschen als Lebewesen in individueller körperlich-geistiger Einheit. Diese Daseinsform ist das einzige gemeinsame Kennzeichen aller lebenden Menschen.
Dabei müssen zwei verschiedenartige Verständnisschwierigkeiten beachtet werden:
  • Zum einen erfordert der Nachweis des IHAs besondere medizinische Kenntnisse und Untersuchungen, sodass die Bundesärztekammer dazu eigene, nach dem Transplantationsgesetz verbindliche Richtlinien einschließlich einer definierten Qualifikationsanforderung an die untersuchenden Ärzte festgelegt hat. Die allgemein bekannten sicheren Todeszeichen fehlen bei IHA. Der scheinbar selbstverständliche Augenschein genügt nicht und kann nur allzu leicht verwirren.
  • Zum anderen erfordert das Verständnis für die Bedeutung des vorschriftsgemäß festgestellten IHAs als sicheres Todeszeichen die Erkenntnis, dass das eine Wort „Tod“ bei Lebewesen, Organen, Geweben und Zellen Verschiedenes bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen dem Ganzen als Einheit und dem Ganzen als Summe versteht sich nicht für jeden Menschen von selbst. Dazu kommen die Unterscheidung zwischen Todeszeichen und dem Tod sowie die Notwendigkeit, die verschiedenen Belange des Tods und des Umgangs der Lebenden mit den Toten zugleich auseinander- und zusammenzuhalten.
Die Bedenken und bis zur grundsätzlichen Ablehnung reichenden Einwände gegenüber der Bedeutung des IHAs als sicheres Todeszeichen lassen sich auf bestimmte Grundgedanken zurückführen:
Zweifel an der Vollständigkeit des Hirnausfalls
Der Hinweis auf vielleicht unbekannte und deshalb nicht überprüfbare Hirnfunktionen verkennt die pathophysiologischen und morphologischen Gegebenheiten des IHAs: Ein entsprechend schwer geschädigtes und schließlich nekrotisches Organ kann weder bekannte noch hypothetische Funktionen bewirken.
Zweifel an der Sicherheit der IHA-Feststellung
Scheinbare Widersprüche zwischen klinischen und apparativen oder auch zwischen einzelnen apparativen Befunden erklären sich pathophysiologisch durch den Untersuchungszeitpunkt im Gesamtverlauf des Geschehens: Mit der Abnahme der Hirnperfusion erlöschen zunächst die klinischen und dann die neurophysiologischen Befunde. Schließlich sistiert die Perfusion des Gehirns vollständig. Bei bestehenden Zweifeln an klinischen oder ergänzenden Untersuchungsbefunden muss selbstverständlich weiter beobachtet und behandelt werden. Unter Einhaltung der geltenden Richtlinien gibt es keinen dokumentierten Fall, bei dem nach Feststellung des IHAs die als erloschen dokumentierten neurologischen Funktionen zurückgekehrt wären. Es gibt jedoch Berichte von Todesfeststellungen, bei denen einzelne formale Vorschriften aus der „Richtlinie“ nicht eingehalten wurden. Die gutachterliche Überprüfung dieser Regelverstöße hat jedoch ergeben, dass keine Fehldiagnose gestellt worden war. Es gibt damit keinen Anlass die Zuverlässigkeit der geltenden Richtlinien in Frage zu stellen.
Irrige Schlussfolgerungen aus einer intensivmedizinisch über die vorschriftsgemäße IHA-Feststellung hinaus erhaltenen Schwangerschaft
Die Meinung, eine Schwangerschaft widerlege die Bedeutung des IHAs als sicheres Todeszeichen, weil eine tote Frau nicht Leben weitergeben und erhalten könne, liegt menschlich verständlicherweise nahe, verkennt aber die biologische Wirklichkeit: Die Weitergabe des Lebens ist schon durch die Vereinigung von Ei- und Samenzelle erfolgt. Im weiteren Verlauf wird die vorgeburtliche Entwicklung des Embryo bzw. Fetus unabhängig vom Gehirn durch die Plazenta gesteuert. Die dafür notwendigen Nähr- und Wachstumsstoffe sowie die übrigen nötigen Reifungsbedingungen werden intensivmedizinisch durch den über den Tod der Mutter hinaus aufrecht erhaltenen Kreislauf und damit die Durchblutung der Gebärmutter gewährleistet.
Unabhängig von diesen biologischen Gegebenheiten muss natürlich auch beachtet werden, dass sich gerade mit der Schwangerschaft einer hirntoten Frau auch andere als biologische Fragen verbinden.
Fehldeutung spinaler, motorischer oder vegetativer Phänomene als Hirnbefunde
Siehe oben.
Verquickung oder Verwechslung medizinischer mit andersartigen Fragen des Tods
Mit dem Tod als einem existenziellen Phänomen verbinden sich nicht nur naturwissenschaftlich-medizinische Fragen, sondern auch weltanschaulich-religiöse, sozio-kulturelle, rechtliche, ethische, psychologische und individuelle Fragen, die die Menschen viel stärker bewegen. Die ärztliche Todesfeststellung befasst sich mit dem Tod als biologischem Lebensende des Menschen, nicht seiner Körperteile. Davon müssen Fragen, die sich mit dem Verhalten lebender Menschen zu den Toten oder mit dem Sinn von Leben, Sterben und Tod beschäftigen, unterschieden werden.
Der Arzt trifft keine prognostische Aussage, sondern weist den eingetretenen Tod nach. Der Tod ist kein Prozess wie das Sterben. Das Sterben ist das Enden, der Tod das Ende des Lebens. Dem Tod des Menschen kann der Tod von Organen, Geweben und Zellen vorausgehen und folgen. Ist der Tod festgestellt geht die chemische und physikalische Auflösung weiter, aber nicht ein „reduziertes“ oder „minimales“ Leben oder der Sterbeprozess des Menschen.
Wer aus welchen Gründen auch immer die Bedeutung des vorschriftsgemäß festgestellten IHAs als sicheres Todeszeichen ablehnt, hat den in Deutschland auch vom Grundgesetz geschützten Anspruch auf Achtung seiner persönlichen Überzeugung, sollte sie aber nicht naturwissenschaftlich-medizinisch unzutreffend begründen.
Der Arzt muss wissen, dass Laien seine Äußerungen fast immer für sachkompetent halten und nicht ohne weiteres Fragen des Wissens und Fragen des Gewissens auseinander halten. Auch für die Todesfeststellung durch den Nachweis des IHAs gilt die Maxime allen ärztlichen Handelns.
Literatur
1.
Deutscher Ethikrat: Hirntod und Entscheidung zur Organspende. http://​www.​ethikrat.​org/​dateien/​pdf/​stellungnahme-hirntod-und-entscheidung-zur-organspende.​pdf. Zugegriffen am 24. Februar 2015 17.05.2017
2.
Förderreuther S, Angstwurm H (2002) Toxichem Krimtech 69:121–124
3.
Monteiro LM, Bollen CW, van Huffelen AC et al (2006) Transcranial Doppler ultrasonography to confirm brain death: a meta-analysis. Intensive Care Med 32:1937–1944CrossRef
4.
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer (2015) Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte Fortschreibung. Deutsches Ärzteblatt 112:A1256