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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 19.05.2017

Intraoperativer Volumenersatz, Transfusion und Behandlung von Gerinnungsstörungen

Verfasst von: Oliver Habler
Sowohl der operative Eingriff als auch die Narkose führen zu Veränderungen des intravasalen Volumenstatus des Patienten. Ziele der perioperativen Flüssigkeits- bzw. Volumentherapie sind die Aufrechterhaltung des zirkulierenden intravasalen Volumen (Normovolämie), einer adäquaten Gewebeperfusion und -oxygenierung, des Gleichgewichts im Elektrolythaushalt sowie die Aufrechterhaltung der Normoglykämie.
Einleitung
Sowohl der operative Eingriff als auch die Narkose führen zu Veränderungen des intravasalen Volumenstatus des Patienten.
Die Prinzipien der perioperativen Flüssigkeitstherapie zur Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Flüssigkeitsbilanz (u. a. Ausgleich der präoperativen Flüssigkeitskarenz, Ersatz intraoperativer insensitiver Flüssigkeitsverluste) werden in Kap. Intraoperatives Flüssigkeitsmanagement abgehandelt.
Für den perioperativen Volumenersatz im Rahmen von Blutverlusten stehen kristalloide (z. B. balancierte Vollelektrolytlösungen mit verstoffwechselbaren Anionen) und kolloidale (Hydroxyäthylstärke, Gelatine, Humanalbumin) Infusionslösungen zur Verfügung (Kap. Volumenersatzlösungen).

Intraoperativer Volumenersatz

Ziele der perioperativen Flüssigkeits- bzw. Volumentherapie
  • Aufrechterhaltung des zirkulierenden intravasalen Volumen (Normovolämie)
  • Aufrechterhaltung einer adäquaten Gewebeperfusion und -oxygenierung
  • Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Elektrolythaushalt
  • Aufrechterhaltung von Normoglykämie

Bedeutung des intravasalen Volumens für Gewebeperfusion und -oxygenierung

Bereits der akute Verlust von 40 % des zirkulierenden intravasalen Volumens kann tödlich verlaufen, wenn keine adäquate Therapie mit Volumenersatzlösungen erfolgt. Dies verdeutlicht die besondere Empfindlichkeit des menschlichen Organismus gegenüber akuten Schwankungen des zirkulierenden Blutvolumens und die Bedeutung der Aufrechterhaltung von Normovolämie.

Normovolämie

Zur Aufrechterhaltung einer adäquaten Gewebeperfusion und -oxygenierung muss jeder perioperative Blutverlust unmittelbar durch Infusion von Volumenersatzlösungen ausgeglichen werden.
Bei Blutverlusten wird das verlorene Blut nicht sofort durch Eigen- oder Fremdbluttransfusion, sondern initial durch isotone, kristalloide Infusionslösungen im Verhältnis 3:1 bis 4:1 bzw. durch isoonkotische, kolloidale Infusionslösungen im Verhältnis 1:1 ersetzt.
Ziel dieses Vorgehens ist die Aufrechterhaltung des zirkulierenden intravasalen Volumens (Normovolämie) und damit einer adäquaten Organperfusion. Folge ist eine Verdünnung sämtlicher Blutbestandteile (Erythrozyten, Thrombozyten, Gerinnungsfaktoren und der Komponenten des Fibrinolysesystems), eine sog. Hämodilution.
Kompensationsmechanismen der „limitierten“, normovolämischen Hämodilution
Mit zunehmender Verdünnung der zirkulierenden Erythrozytenmasse fallen während einer normovolämischen Hämodilution die Hämoglobinkonzentration (Hb) und der Hämatokrit (Hkt) exponentiell ab. Die Beziehung zwischen Hb bzw. Hkt und arteriellem O2-Gehalt (CaO2) ist linear (Abb. 1).
$$ {C}_a{O}_2=\left( Hb\times {S}_a{O}_2\times 1,34\right)+\left({p}_a{O}_2\times 0,0031\right) $$
CaO2
arterieller O2-Gehalt
Hb
Hämoglobinkonzentration
SaO2
O2-Sättigung des Hämoglobin im arteriellen Blut
1,34
Hüfner-Zahl (ml Sauerstoff, die in 1 g Hb gebunden werden können)
paO2
O2-Partialdruck im arteriellen Blut
0,0031
O2-Löslichkeit im Plasma
Diese dilutionsbedingte Anämie wird durch einen Anstieg des Herzzeitvolumens (HZV) kompensiert.
Anfänglich ist dieser HZV-Anstieg proportional stärker ausgeprägt als der gleichzeitige Abfall des CaO2. Als Folge steigt das O 2 -Angebot (DO2) an die Gewebe – definiert als das Produkt aus HZV und CaO2 – während normovolämischer Hämodilution bis zu einem Hkt von ca. 30 % zunächst an.
Erst bei Hämodilution auf einen Hkt von ca. 25 % fällt es unter den Ausgangswert ab (Abb. 2).
Der kompensatorische Anstieg des HZV während einer normovolämischen Hämodilution bis zu einem Hkt von 20 % (sog. „limitierte“ normovolämische Hämodilution) erfolgt in Narkose ausschließlich über einen Anstieg des ventrikulären Schlagvolumens (SV). Die Herzfrequenz bleibt konstant.
Kompensationsmechanismen der Verdünnungsanämie bei normovolämischer Hämodilution
  • Steigerung des Herzzeitvolumens (HZV) durch
    • Anstieg des ventrikulären Schlagvolumens infolge
      • Ventrikuläre Vorlast
      • Ventrikuläre Nachlast
      • Myokardiale Kontraktilität
    • Anstieg der Herzfrequenz (extreme Hämodilution)
  • Steigerung der O2-Extraktion der Gewebe
Als Mechanismen der isolierten Erhöhung des ventrikulären Schlagvolumens (SV) während limitierter normovolämischer Hämodilution (bis Hkt 20–25 %) werden die Zunahme der linksventrikulären Vorlast bei gleichzeitiger Abnahme der linksventrikulären Nachlast sowie eine verbesserte myokardiale Kontraktilität diskutiert.
Mit zunehmender Hämodilution nimmt die Blutviskosität ab. Aufgrund der schnelleren Passage des Bluts durch das kapillare Strombett steigt der venöse Rückstrom zum Herzen und damit die ventrikuläre Vorlast. Dies führt über den Frank-Starling-Mechanismus zu einer Distension der Myofibrillen mit konsekutiver Steigerung der myokardialen Kontraktilität.
Gleichzeitig führt die Hämodilution über die Zunahme des Blutflusses zu gesteigerten Scherkräften am Endothel der Arteriolen und somit über eine direkte, Stickstoffmonoxid (NO) vermittelte Vasodilatation zu einer zusätzlichen Reduktion der linksventrikulären Nachlast.
Kompensationsmechanismen der „extremen“ normovolämischen Hämodilution
Bei Hkt-Werten unter 20–25 % (sog. „extreme“ normovolämische Hämodilution) kann das Herz die dilutionsbedingte Abnahme des CaO2 nicht mehr durch eine isolierte Erhöhung des ventrikulären Schlagvolumens kompensieren.
Die DO2 sinkt an diesem Punkt zwar unter ihren Ausgangswert (Abb. 3) vor Hämodilution ab, der O 2 -Verbrauch der Gewebe (VO2) bleibt jedoch zunächst trotz fallender DO2 konstant. Diese Konstanz des Gewebe-O2-Verbrauchs (VO2) reflektiert eine adäquate Versorgung der Organgewebe mit Sauerstoff.
Ursachen für die Konstanz von VO2 und Gewebe-pO2 trotz reduzierter DO2
  • Physiologische „Luxus DO2“; DO2 übersteigt VO2 um Faktor 3–4
  • Anstieg des nutritiven Organblutflusses
  • Homogenisierung des lokalen O2-Angebots
  • Erhöhung der Gewebe-O2-Extraktion
Mit dem Anstieg des HZV während normovolämischer Hämodilution steigt etwa im selben prozentualen Verhältnis auch die nutritive Organdurchblutung.
Ausnahmen bilden die während limitierter, normovolämischer Hämodilution unveränderte Nierenperfusion sowie die im Vergleich zum Gesamt-HZV überproportional gesteigerte Perfusion von Myokard und Splanchnikusorganen.
Zusätzlich verbessert die Hämodilution die zeitliche und räumliche Erythrozytenverteilung in der Mikrozirkulation und homogenisiert das bei normalem Hkt typischerweise heterogene, lokale O2-Angebot.
Myokardiale O2-Bilanz bei Hämodilution
Das Herz nimmt während normovolämischer Hämodilution eine Sonderstellung ein: Einerseits ist es „Motor“ der physiologischen Kompensationsmechanismen bei Verdünnungsanämie (Anstieg des HZV). Gleichzeitig stellt es aber auch das „kritische Organ“ dar (Steigerung der Kontraktilität bei gleichzeitiger Reduktion der myokardialen DO2).
Da die O2-Extraktion des Myokards bereits unter Normalbedingungen nahezu maximal ist, kann die Verdünnungsanämie nur über eine Steigerung des myokardialen Blutflusses kompensiert werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine maximale koronare Vasodilatation.
Wird das „kritische“ myokardiale O2-Angebot unterschritten, kann der myokardiale O2-Bedarf nicht mehr gedeckt werden und der wichtigste Kompensationsmechanismus der Verdünnungsanämie – die Steigerung der Organperfusion über die Steigerung des HZV – bricht zusammen. Folge ist eine generalisierte Organminderperfusion und Gewebehypoxie. Die kardialen Kompensationsmechanismen der Verdünnungsanämie sind bei sklerotisch veränderten Koronargefäßen und damit eingeschränkter Koronardilatation bereits bei höheren Hämatokritwerten erschöpft (Abschn. 2.3).

Hypovolämie

Veränderungen der Makrohämodynamik
Wird ein akuter Blutverlust infolge Operation oder Trauma nicht sofort durch eine adäquate Volumentherapie kompensiert, nimmt das zirkulierende intravasale Volumen ab (Hypovolämie). Die Folge ist eine Reduktion des Herzzeitvolumens (HZV) und des arteriellen Blutdrucks. Durch Erregung von Volu- und Barorezeptoren kommt es in Abhängigkeit von Alter, Konstitution und Geschwindigkeit des intravasalen Volumenverlusts zu einer gesteigerten Katecholaminfreisetzung aus dem Nebennierenmark. Als Folge dieser sympathoadrenergen Gegenregulation nehmen der periphere Gefäßwiderstand, die Herzfrequenz und die myokardiale Kontraktilität zu.
Während Hypovolämie bewirkt die unterschiedliche Verteilung der Adrenorezeptoren innerhalb der Gefäßstrombahn der einzelnen Organe eine inhomogene Verteilung der Vasokonstriktion. Die Folge ist eine „Zentralisation des Blutvolumens zugunsten von Herz und Gehirn. Im Gegensatz dazu nimmt die Perfusion der Splanchnikusorgane sowie von Niere, Haut und Muskulatur ab.
Im Kapillarstromgebiet kommt es zunächst zum Flüssigkeitseinstrom aus dem Interstitium in den Intravasalraum. Darüber hinaus aktiviert Hypovolämie das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und die Freisetzung von Vasopressin (antidiuretisches Hormon, ADH), was zu einer Natrium- und Flüssigkeitsretention führt. Durch diese Kompensationsmechanismen kann trotz eines Blutverlusts von bis zu 30 % des Blutvolumens Normotension aufrechterhalten werden (Abb. 4).
Störungen der Mikrozirkulation
Neben Veränderungen der Makrohämodynamik führt Hypovolämie zu Beeinträchtigungen im Bereich der mikrovaskulären Strombahn (Arteriolen, Kapillaren, Venolen). Die arterioläre und venuläre Konstriktion reduziert sowohl die Anzahl der mit Erythrozyten perfundierten Kapillaren (sog. „funktionelle Kapillardichte“) als auch die Strömungsgeschwindigkeit in den noch perfundierten Kapillaren. Dort kommt es zur Aggregation von Erythrozyten sowie zur Adhärenz von Leukozyten am Gefäßendothel gefolgt von einer weiteren Verringerung des Blutflusses bis hin zu kompletter Stase.
Neben der Reduktion des lokalen O2-Angebots (DO2) imponiert eine Abnahme der für die Diffusion des Sauerstoffs zur Verfügung stehenden Kapillaroberfläche.
Fallen der regionale Blutfluss und damit das regionale O2-Angebot (DO2) ab, kann der O2-Bedarf des Gewebes zwar vorübergehend durch eine Steigerung der Gewebe-O2-Extraktion aufrecht erhalten werden. Ist jedoch dieser Kompensationsmechanismus erschöpft, resultiert jede weitere Abnahme der DO2 in einer Abnahme des Gewebe-O2-Verbrauchs (VO2). Die Folge ist Gewebehypoxie.
Bei längerdauernder Hypovolämie und zunehmender Gewebeazidose (Laktazidose infolge anaerober Glykolyse) nimmt die Empfindlichkeit der arteriolären Sphinktern für Katecholamine ab. Folge ist eine arterioläre Dilatation bei fortbestehender venulärer Konstriktion. Es resultiert ein erhöhter transkapillärer Filtrationsdruck. Zusammen mit der hypoxiebedingten Zunahme der Kapillarpermeabilität für Proteine führt dieser zu einem gesteigerten transkapillären Verlust von Flüssigkeit, Proteinen und Elektrolyten aus dem Intravasalraum in das Zellinterstitium. Die konsekutive Endothelzellschwellung verschlechtert die Kapillarperfusion weiter.
Hypovolämischer Schock
Diese Veränderungen kennzeichnen den beginnenden hypovolämischen Schock . Im Rahmen der fortbestehenden Mikrozirkulationsstörung werden Mediatorsysteme (Komplement- und Kallikrein-Kinin-System) sowie der Arachidonsäuremetabolismus aktiviert. Die Aktivierung neutrophiler Granulozyten und Makrophagen sowie die konsekutive Freisetzung von Zytokinen (TNF-α, Interleukin 1) tragen zur Entstehung von Organdysfunktionen bei.
Der Darm ist durch Hypovolämie in besonderem Maße gefährdet. Gründe sind der bereits normalerweise hohe O2-Verbrauch der Darmmukosa sowie die ausgeprägte Blutflussreduktion im Rahmen der sympathoadrenerg induzierten Kreislaufzentralisation. Hohe Konzentrationen an Xanthindehydrogenase machen die Darmmukosa zusätzlich besonders anfällig für einen Reperfusionsschaden (Abschn. 1.4). Wird die Barrierefunktion der Darmmukosa zerstört, kommt es zur Translokation von Enterobakterien in das Blut mit Entwicklung einer systemischen inflammmatorischen Reaktion (SIRS) und dem Risiko der Entwicklung von Sepsis, schwerer Sepsis, septischem Schock und Multiorganversagen (MOV).

Intraoperatives Monitoring zur Beurteilung des intravasalen Volumenstatus

Das intraoperative Monitoring des intravasalen Volumenstatus richtet sich nach den erwarteten intravasalen Volumenschwankungen (Art des chirurgischen Eingriffs) sowie nach präexistenten kardiopulmonalen Erkrankungen des Patienten (Kap. Kardiozirkulatorisches und respiratorisches Monitoring).
Herzfrequenz
Bei nichtkompensierter Hypovolämie tritt Tachykardie ab dem Verlust von etwa 15 % des Gesamtblutvolumens auf und reflektiert dann häufig bereits eine manifeste Gewebehypoxie.
Bei normovolämischer Hämodilution erfolgt ein Anstieg der Herzfrequenz erst nach einem Ersatz von mehr als 50 % des Blutvolumens durch Infusionslösungen (Hkt 20–25 %). Die Tachykardie ist in dieser Situation ein Kompensationsmechanismus der Verdünnungsanämie und kein Symptom einer Gewebehypoxie.
Das Ausmaß der Tachykardie wird sowohl bei Hypo- als auch bei Normovolämie durch verschiedene Faktoren (Narkosetiefe, Pharmaka, z. B. β-Blocker, Clonidin) beeinflusst und gilt daher alleine als unzuverlässiger Parameter zur Beurteilung des Volumenstatus.
Arterieller Blutdruck
Während bei Aufrechterhaltung von Normovolämie ein Austausch eines gesamten Blutvolumens durch kristalloide und kolloidale Infusionslösungen (Abfall des Hkt auf 9 %) ohne Hypotension und ohne Zeichen einer Gewebehypoxie möglich ist, tritt bei inadäquater Infusionstherapie (Hypovolämie) ein Blutdruckabfall bereits bei einem Verlust von 30 % des Blutvolumens auf. Bei kontinuierlicher Ableitung einer intraarteriellen Druckkurve weisen deren atemabhängige Schwankungen auf intravasalen Volumenmangel hin.
Das gemeinsame Auftreten von Tachykardie und Hypotonie sollte intraoperativ immer als Zeichen eines absoluten oder relativen Volumenmangels gewertet werden.
Ventrikuläre Füllungsdrücke
Der Abfall des linksventrikulären enddiastolischen Volumen (LVEDV) ist ein Zeichen von Hypovolämie.
Cave
Der häufig zur Steuerung einer Volumentherapie herangezogene zentrale Venendruck (ZVD) variiert außer mit dem intravasalen Volumen auch mit dem Gefäßtonus, dem intrathorakalen Druck und der Volumendehnbarkeit (Compliance) der Ventrikel. Ein direkter Rückschluss insbesondere von hohen Absolutwerten auf den intravasalen Volumenstatus ist daher problematisch [1]. Bestenfalls können relative Veränderungen bei sonst unveränderten Rahmenbedingungen zur Beurteilung des Volumenstatus herangezogen werden. Gleiches gilt für den pulmonalkapillären Verschlussdruck (PCWP).
Wenn durchführbar, sollte zur Diagnose eines Volumenmangels bzw. zur Sicherung einer entsprechenden Volumenreagibilität ein Lagerungsmanöver zur Autotransfusion (Trendelenburg-Position, Anheben der Beine) durchgeführt werden. Zur Steuerung der Volumentherapie bei erwachsenen, insbesondere beatmeten Intensivpatienten sollten Überwachungsverfahren, die eine Einschätzung der Volumenreagibilität anhand flussbasierter (Schlagvolumen) und/oder dynamischer Vorlastparameter („stroke volume variation“, SVV) erlauben (Abschn. 1.3), statischen Parametern wie ZVD und PCWP vorgezogen werden [2].
PiCCO-Monitoring
Mit dem sog. PiCCO-Monitoring („pulscontour continuous cardiac output“) lassen sich Parameter ermitteln, die mit hoher Sensitivität Schwankungen des intravasalen Volumens aufzeigen (Kap. Kardiozirkulatorisches und respiratorisches Monitoring). Es handelt sich hierbei um die „stroke volume variation“ (SVV), das „intrathoracic blood volume“ (ITBV) und das „global enddiastolic volume“ (GEDV).
Zentral- und gemischtvenöse Blutgasanalyse
Nach Ausschluss von extremer Anämie und ventrikulärem Pumpversagen muss ein intraoperativer Abfall des O2-Partialdrucks (pvO2) bzw. der O2-Sättigung (SvO2) im zentral- bzw. gemischtvenösen Blut als Zeichen einer manifesten Hypovolämie gewertet werden. Gleichzeitig sinkt der Gesamtkörper-O2-Verbrauch (DO2) (Tab. 1).
Tab. 1
Veränderungen von arterieller O2-Sättigung (SaO2), gemischtvenöser O2-Sättigung (SO2) und O2-Extraktion (O2ER) mit zunehmender Hypovolämie
 
SaO2
SO2
O2ER
Normal
>95 %
>65 %
20–30 %
Hypovolämie
>95 %
50–65 %
30–50 %
Hypovolämer Schock
>95 %
<50 %
>50 %
$$ V{O}_2= H Z V\times \left({C}_a{O}_2-{C}_v{O}_2\right) $$
VO2
Gesamtkörper-O2-Verbrauch
HZV
Herzzeitvolumen
CaO2
arterieller O2-Gehalt
CO2
gemischtvenöser O2-Gehalt
Monitoring von regionaler DO2 und Gewebeoxygenierung
Die noninvasive Beurteilung von Gewebeperfusion bzw. -oxygenierung ist schwierig. Durch direkte Analyse der in- und exspiratorischen O2-Gehalts mit einem metabolischen Monitor kann ein Abfall des Gesamtkörper-O2-Verbrauchs VO2 als Zeichen einer globalen Gewebehypoxie detektiert werden (Abb. 3). Auf regionaler Ebene ist dies mit Hilfe von O2-sensitiven Oberflächen-, bzw. Stichelektroden möglich.
Ebenfalls in klinischer Anwendung ist die gastrointestinale Tonometrie (z. B. TONOCAP von Datex Ohmeda). Die Methode basiert auf der Annahme, dass es bei Hypoperfusion bzw. Hypoxie der gastrointestinalen Mukosa zu einem Anstieg des intramukosalen CO2-Partialdrucks (piCO2) und zu einem Abfall des intramukosalen pH-Werts (pHi) kommt. Das in der Mukosa produzierte CO2 diffundiert in einen speziellen, mit Kochsalzlösung gefüllten Ballonkatheter, welcher mit der Mukosa in Kontakt steht. Der pCO2 des Balloninhalts wird in einem Blutgasanalysegerät bestimmt. Anschließend wird aus dem pCO2 der Tonometrieflüssigkeit, der arteriellen Bikarbonatkonzentration, der Löslichkeit von CO2 in Kochsalz und einem Korrekturfaktor für die Äquilibrierungszeit zwischen Mukosa und Balloninhalt, der piCO2 und der pHi errechnet.
$$ ph=6,1+ log\frac{aHC{O}_3^{-}}{p_i C{O}_2} $$
pHi
intestinaler mukosaler pH-Wert
aHCO3
arterielle Bikarbonatkonzentration
piCO2
intestinaler mukosaler CO2-Partialdruck
Der Anstieg des piCO2 scheint dabei eine Hypoperfusion bzw. Hypoxie der gastrointestinalen Mukosa besser widerzuspiegeln als der Abfall des pHi. Mit Hilfe von fiberoptischen Sonden ist eine kontinuierliche Messung des piCO2 möglich.
Serumlaktatkonzentration
Laktat ist das Endprodukt der anaeroben Glykolyse. Unterschreitet das O2-Angebot den O2-Bedarf der Gewebe (Abb. 3), steigt als Zeichen einer Gewebehypoxie die Laktatproduktion. Die Serumlaktatkonzentration ist die Summe aus dem Zusammenfluss der Gefäßstromgebiete verschiedener Organe. Es ist daher denkbar, dass die Laktatproduktion eines hypoxischen Organgewebes unentdeckt bleibt, da es alleine nicht in der Lage ist, die Gesamtlaktatkonzentration im Serum zu erhöhen.
Zudem ist die Kinetik von Laktatproduktion und -metabolismus nur schwer abschätzbar. Bei eingeschränkter Leberfunktion oder Laktatproduktion durch enterale Mikroorganismen kann die Serumlaktatkonzentration ansteigen, ohne dass eine Gewebehypoxie vorliegt.
Basendefizit
Eine Zunahme des Basendefizits im arteriellen Blut trotz adäquatem Hkt gilt als Zeichen einer regionalen Gewebehypoperfusion. Bei Traumapatienten korrelierte die Höhe des Basendefizits mit dem Schweregrad der Hypovolämie. Ein Basendefizit >6 mmol/l ging mit einer erhöhten Inzidenz von ARDS und Multiorganversagen einher [3].

Zielgrößen der intraoperativen Volumentherapie

Eine adäquate Gewebeoxygenierung ist nicht an eine „normale“ Hb-Konzentration gebunden. Bei konstantem zirkulierenden Blutvolumen (Normovolämie) toleriert der gesunde Organismus sehr niedrige Hb-Konzentrationen, ohne dass es zu Gewebehypoxie kommt (Abschn. 2.3). Die perioperative Flüssigkeitstherapie hat daher initial ausschließlich mit kristalloiden und kolloidalen Infusionslösungen zu erfolgen. Die Transfusion von Erythrozyten ist erst erforderlich, wenn die Kompensationsmechanismen der normovolämischen Verdünnungsanämie erschöpft sind (Abschn. 2.3). Als Zielgrößen der perioperativen Volumentherapie können folgende klinische Parameter herangezogen werden.
Zielgrößen der intraoperativen Flüssigkeitstherapie
  • Stabile Herzfrequenz, stabiler arterieller Blutdruck
  • Stabile arterielle Druckkurve (Fehlen atemabhängiger Schwankungen)
  • ZVD = 10–15 mmHg (mit Einschränkungen; Abschn. 1.2)
  • PCWP = 10–12 mmHg (mit Einschränkungen; Abschn. 1.2)
  • pO2 > 38 mmHg
  • sO2 > 65 %
  • HI >3 l/min/m2
  • SVV <10 %
  • ITBVI 850–1000 ml/m2
  • O2-Aufnahme (VO2) >100 ml/min/m2
  • O2-Extraktion (O2ER) = 0,2–0,3
  • Laktatkonzentration <4 mmol/l
  • BD –3 bis +3 mmol/l
  • Intramukosaler pH >7,35
  • Capillary refill ≤3 s
  • Urinausscheidung >1 ml/kgKG/h

Unerwünschte Begleiteffekte der intraoperativen Volumentherapie

Reperfusionsschaden
Die Reduktion bzw. Unterbrechung der Gewebeperfusion (Ischämie) führt zum sog. ischämischen bzw. hypoxischen Gewebeschaden. Wird durch eine adäquate Infusionstherapie der Blutfluss in ischämischen Gewebebezirken wiederhergestellt, kommt zum ischämischen Gewebeschaden der durch Sauerstoffradikale mediierte Reperfusionsschaden hinzu. Sauerstoffradikale führen über Lipidperoxidation zu einer Schädigung der Zellmembranen. Endothelzellschwellung und gesteigerte Adhäsion von neutrophilen Granulozyten am Gefäßendothel reduzieren die mikrovaskuläre Perfusion („No-reflow“-Phänomen). Da das Ausmaß des Reperfusionsschadens von der Dauer der Gewebeischämie abhängt, gilt es die Ischämiezeit z. B. bei gefäßchirurgischen Eingriffen so kurz wie möglich zu halten.
Hypothermie
Die Infusion größerer Mengen kalter Flüssigkeit reduziert die Blut- und Körperkerntemperatur des Patienten.
Cave
Bereits eine milde Hypothermie (33–35 °C) beeinträchtigt die Blutgerinnung [4] und erhöht das Risiko postoperativer Wundinfektionen [5].
Um einer perioperativen Hypothermie vorzubeugen, können vorgewärmte Infusionen oder Infusionswärmesysteme eingesetzt werden.
Beeinträchtigung der Blutgerinnung
Cave
Außer durch die Verdünnung zirkulierender Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren (Abschn. 2.3) können Infusionslösungen die Blutgerinnung spezifisch beeinträchtigen (Kap. Volumenersatzlösungen).
Dextranlösungen verringern in hoher Dosierung (>1,5 g/kgKG) die Aktivität der Gerinnungfaktoren II, V und VIII. Außerdem wird bereits nach Infusion kleiner Volumina (100–150 ml) die Thrombozytenaggregation durch Umhüllung der Thrombozyten mit Dextranmolekülen (sog. „Thrombozyten- Coating“) gehemmt.
Hydroxyäthylstärke (HES) reduziert die Aktivität des v.-Willebrand-Jürgens-Faktors (vWF) alleine sowie des Faktor-VIII/vWF-Komplexes. Eine Störung der Thrombozytenfunktion tritt erst nach Infusion größerer Volumina (>1,5 l/Tag) auf. Weiterhin wird eine verminderte Stabilität des Fibringerinnsels infolge gestörter Fibrinpolymerisation diskutiert [6]. Bei niedermolekularen, niedrigsubstituierten HES-Lösungen (z. B. HES 130.000/0,4, HES 130.000/0,42) scheinen diese Effekte jedoch geringer ausgeprägt zu sein. Die Tageshöchstdosis beträgt für HES 200.000/0,5 33 ml/kgKG und für HES 130.000/0,4 50 ml/kgKG. Bei Infusion von HES-Präparaten während hoher, intraoperativer Blutverluste kann die Tageshöchstdosis erweitert werden, da durch die anhaltende Blutung auch Teile des infundierten Volumenersatzmittels wieder verloren gehen.
Wenn die Tageshöchstdosis für künstliche Kolloide erreicht ist, kann auf die Infusion von Humanalbuminlösungen zurückgegriffen werden.
Metabolische Azidose
Isotone Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %) und Ringer-Lösung weisen mit etwa 154 mmol/l unphysiologisch hohe Chloridionenkonzentrationen auf. Die rasche Infusion größerer Mengen (>30 ml/kgKG/h) dieser Lösungen führt daher zu einer hyperchlorämischen, metabolischen Azidose. Bei Anwendung sog. balancierter kristalloider Lösungen mit verstoffwechselbaren Anionen (z. B. Azetat, Malat oder Laktat) fehlt dieser Effekt weitestgehend [7]. Durch Verwendung von Ringer-Laktat (Chloridionenkonzentration 112 mmol/l) kann die Azidose vermieden werden (Kap. Volumenersatzlösungen).
Auch die Infusion von 6 % HES 200.000/0,5 (pH-Wert der Lösung 3,5–6,0), 6 % HES 130.000/0,4 (pH-Wert der Lösung 4,0–5,0) oder 5 % Humanalbumin kann direkt oder durch Verdünnung von Bikarbonat eine metabolischen Azidose bedingen.
Immunmodulation
Tierexperimentelle Studien deuten auf immunmodulatorische Wirkungen von Infusionslösungen hin. So kam es bei der Volumentherapie des hämorrhagischen Schocks nach Infusion von hypertoner Kochsalzlösung zu einer geringeren Aktivierung von neutrophilen Granulozyten und zu einer geringeren Rate an akutem Lungenversagen als nach Infusion von Ringer-Laktat-Lösung. Zudem erholte sich die im Schock supprimierte T-Lymphozyten Funktion deutlich schneller. Kolloidale Infusionslösungen (v. a. HES und Gelatine) scheinen die Produktion von Sauerstoffradikalen zu hemmen und so den Reperfusionsschaden zu reduzieren. Die klinische Relevanz dieser Effekte ist bislang unklar.

Fremdblutsparende Maßnahmen

Risiken der Fremdbluttransfusion

In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich etwa 4–6 Mio. Fremdblutkonserven (Synonym: „allogene“ oder „homologe“ Blutkonserven) transfundiert. Trotz ständiger Weiterentwicklung der Qualitätssicherungsverfahren ist die Fremdbluttransfusion nach wie vor mit einem Restrisiko für den Empfänger verbunden.
Potenzielle Risiken bei der Fremdbluttransfusion
1.
Transfusionsassoziierte Infektion
 
2.
Hämolysereaktion
  • Blutgruppeninkompatibilität („clerical error“)
  • Transfusion alter Konserven, thermische Schädigung (Blutwärmesysteme), bakterielle Kontamination
 
3.
Allergische Transfusionsreaktion
 
4.
Transfusionsbedingtes Lungenversagen
 
5.
Immunmodulation
 

Transfusionsassoziierte Infektion

Tab. 2 gibt einen Überblick über das mit der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten assoziierte Infektrisiko.
Tab. 2
Risiken einer Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (Nach: [812])
Risiken
Häufigkeit
1
Allergische Transfusionsreaktion
- Schwerer Verlauf
1:200 bis 1:2000
1:100.000
2
Transfusionsbedingtes Lungenversagen (TRALI)
- Bei Ausschluss von Spenderinnen mit Schwangerschaftsanamnese
1:10.000 bis 1:100.000
-
3
Kreuzblut-, Konservenverwechslung („clerical error“)
 
 
Akute hämolytische Raktion
- Letaler Verlauf
1:10.000 bis 1:100.000
1:500.000 bis 1:1 Mio
Verzögerte hämolytische Reaktion
- Letaler Verlauf
1:10.000 bis 1:100.000
1:1 Mio bis 1:2,5 Mio
4
Transfusionsassoziierte Infektion
 
Viral
Hepatitis-A-Virus
1:1 Mio
Hepatitis-B-Virus
1:360.000 bis 1:1 Mio
Hepatitis-C-Virus
<1:1 Mio
Zytomegalievirus
Einzelfälle
1:200
HI-Virus
<1:1 Mio
West-Nile-Virus
1:3000 bis 1:5000
Bakteriell
Yersinia enterodolitica, Serratia marcescens, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter
1:100.000 bis 1:1 Mio
Verdachtsfälle in Großbritannien
5
Immunmodulation/-suppression (TRIM)
unklar
6
Transfusionsbedingte Hypervolämie (TACO)
1:15
Anders als die Infektion mit dem „human immunodeficiency virus“ (HIV), die zwar bei Patienten besonders gefürchtet ist, aber sehr selten auftritt, stellen virale Hepatitiden die häufigste Form der transfusionsassoziierten Virusinfektionen in der BRD dar [9]. In mehr als 90 % der Fälle handelt es sich dabei um Infektionen durch das Hepatitis-B- und -C-Virus. Die Verabreichung einer HCV-infizierten Konserve führt beim Empfänger in jedem Falle zu einer Infektion mit Bildung spezifischer Antikörper. Etwa 50 % der infizierten Empfänger entwickeln eine chronische Hepatitis, die wiederum in ca. 20 % der Fälle in einer Leberzirrhose endet.
Aufgrund der hohen Durchseuchung der Bevölkerung (50–90 %) mit dem Zytomegalievirus (CMV) muss bei Personen ohne Risikofaktoren nicht auf die Transfusion von CMV-freiem Blut geachtet werden. Bei Feten, Frühgeborenen, Patienten mit angeborenem oder erworbenem Immundefekt sowie bei Organ- und Stammzelltransplantierten kann eine CMV-Infektion zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung führen.
Zwei Maßnahmen sind in der Prävention der transfusionsassoziierten CMV-Infektion wirksam (90 % Reduktion der Inzidenz): der Einsatz zellulärer Blutkomponenten von CMV-seronegativen Spendern und/oder die Leukozytendepletion zellulärer Blutkomponenten (seit 01.10.2001 in der BRD obligat). Die Effektivität der genannten Maßnahmen wird derzeit als gleichwertig eingeschätzt [8]. Nach Infusion von gefrorenem Frischplasma wurden CMV-Infektionen bislang nicht beobachtet.
Bakterielle Infektionen des Empfängers nach allogener Transfusion sind auf die Kontamination der Konserven infolge asymptomatischer Bakteriämie des Spenders zurückzuführen. Hauptsächlich betroffen sind die bei Raumtemperatur gelagerten Thrombozytenkonzentrate. Die wichtigsten Keime sind Yersinia enterocolitica, Serratia marcescens, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacter.

Nichtinfektionsbedingte Risiken bei der Übertragung von Fremdblut

Nichtinfektionsbedingte, hauptsächlich immunologisch vermittelte Reaktionen können entweder unmittelbar während oder in den ersten Tagen bis Wochen nach Transfusion auftreten (Tab. 2).
Hämolytische Transfusionsreaktionen
  • Immunologisch vermittelte Hämolysereaktionen: Die akute Reaktion vom Soforttyp wird in etwa 80 % der Fälle durch Transfusion blutgruppeninkompatiblen Bluts ausgelöst. Ursächlich sind häufig Ettikettierungsfehler von Blutgruppen-, bzw. Kreuzprobenröhrchen bzw. Verwechslung von Blutkonserven am Ort der Transfusion (sog. „clerical error“). Bei verzögerter Reaktion führt die erneute Transfusion eines durch frühere Transfusionen immunisierten Patienten zu einem verzögerten Auftreten von Alloantikörpern. Die konsekutive Hämolyse tritt erst deutlich nach der Transfusion (14 Tage oder später) auf.
  • Nichtimmunologisch vermittelte Hämolysereaktionen können nach Transfusion alter Erythrozyten, thermisch bedingt bei unkontrollierter Anwendung von Blutwärmern oder durch bakterielle Kontamination der Konserve auftreten. In der Regel verlaufen diese Reaktionen klinisch unbemerkt.
Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Krankheit (GvHD)
Ursache ist die Transfusion proliferationsfähiger T-Lymphozyten des Spenders auf einen immundefizienten Empfänger. In speziellen Situationen (u. a. Transfusion unter Blutsverwandten, intrauterine Transfusion, Austauschtransfusion des Neugeborenen, Transfusion vor und während autologer Stammzellentnahme bzw. Stammzell- und Knochenmarkstransplantation) ist zur Vermeidung einer GvHD die Transfusion von bestrahltem Blut (30 Gy) indiziert.
Allergische Transfusionsreaktionen
Zugrunde liegt eine IgE-vermittelte Histaminausschüttung aus Mastzellen des Empfängers. Die Präsenz von IgE-Antikörpern beim Empfänger gegen Plasmaproteine des Spenders oder gegen evtl. in der Konserve befindliche Allergene (z. B. Nahrungs-, Medikamentenspuren) scheint die Ursache zu sein. Die klinische Manifestation reicht von milden urtikariellen Reaktionen bis hin zum tödlich verlaufenden anaphylaktischen Schock.
Transfusionsbedingtes akutes Lungenversagen (TRALI)
Bei der Ausbildung eines TRALI („transfusion associated lung injury“) imponiert typischerweise innerhalb der ersten Minuten nach Transfusion eine Verschlechterung des pulmonalen Gasaustauschs. Radiologisch werden bilaterale alveoläre Infiltrate beobachtet, die sich in der Regel innerhalb von 3–4 Tagen vollständig zurückbilden. Die Pathophysiologie des TRALI ist nicht vollständig geklärt, scheint aber amehesten immunologisch vermittelt (transfundierte Antikörper gegen Empfänger-Antigene des HLA- bzw. HNA-Komplexes). Hauptauslöser stellt gefrorenes Frischplasma weiblicher Spender nach vorangegangener Schwangerschaft dar (Inzidenz 1:5000; [13]).
Transfusionsbedingte Hypervolämie (TACO)
Insbesondere bei kardial vorerkrankten Patienten (KHK, Herzinsuffizienz) führt die schnelle Transfusion bzw. Infusion größerer Volumina an Blut und Blutprodukten nicht selten zu kardialer Dekompensation mit der Entwicklung eines akuten Lungenödems („transfusion associated circulatory overload“, TACO; [14]).
Transfusionsassoziierte Immunmodulation (TRIM)
Die Transfusion von allogenem Blut kann zu einer unspezifischen Immunmodulation des Empfängers führen (transfusion-related immunomodulation, TRIM). So ist das Risiko für das postoperative Auftreten von Infektionen (v. a. Pneumonien und Wundinfektionen) nach allogener Transfusion signifikant höher als nach autologer Transfusion [15]. Dabei korrelierten Häufigkeit und Ausprägung der infektiösen Komplikationen mit der Menge an transfundiertem Fremdblut. Darüber gibt es Hinweise, dass die Rezidivrate maligner Tumoren mit der Menge an verabreichtem allogenem Blut zunehmen könnte [16, 17]. Der hierbei zugrunde liegende Pathomechanismus ist derzeit nicht vollständig geklärt. Aus medikolegaler Sicht ist die „vollständigen“ Aufklärung des Patienten über die Risiken und Konsequenzen einer TRIM (bis hin zu einer gesteigerten Letalität, s. unten) zu empfehlen.

Transfusionsassoziierte Letalität

In großen randomisierten Studien sowie in einer Reihe großer Observationsstudien bei Intensivpatienten, Patienten nach nichtherzchirurgischen operativen Eingriffen und Patienten mit gastrointestinaler Blutung, zeigte sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen einer großzügigen („liberalen“) Indikationsstellung zur Fremdbluttransfusion und der Lettalität der transfundierten Patienten. Die unnötige Fremdbluttransfusion muss mittlerweile als „unabhängiger Risikofaktor“ für das Überleben angesehen werden. Der zugrunde liegende Pathomechanismus ist derzeit noch nicht vollständig geklärt. Ein Zusammenhang mit der transfusionsassoziierten Immunmodulation (TRIM) wird diskutiert.

Kostenentwicklung im Transfusionswesen

Der Anteil von alten Menschen (>65 Jahre) an der Gesamtbevölkerung und damit auch die Zahl chirurgischer Eingriffe mit hohen Blutverlusten in dieser Altersgruppe nimmt stetig zu. Bei gleichzeitig rückläufiger Spendebereitschaft ist in Zukunft mit einem zunehmenden Defizit an allogenen Blutkonserven zu rechnen. Hinzu kommt, dass bis zu 5 % der Konserven aufgrund positiver Testung für virale Infektionen verworfen werden müssen. Was dies für die Kostenentwicklung im Transfusionswesen bedeuten wird, ist derzeit nicht abzusehen. Noch ist im europäischen Vergleich der Preis eines allogenen Erythrozytenkonzentrates in der BRD mit 75–80 € niedrig. Man geht jedoch davon aus, dass dieser in den kommenden Jahren national und international deutlich steigen wird [18].

Fremdblutsparende Konzepte zur Reduktion perioperativer allogener Bluttransfusionen („Patient Blood Management“ – PBM)

Der diskutierte Zusammenhang zwischen Fremdbluttransfusion und Morbidität bzw. Letalität sowie die zu erwartende Kostensteigerung im Transfusionswesen – zum einen bedingt durch Spendermangel, zum anderen durch die Behandlungspflicht transfusionsassoziierter Folgeerkrankungen (u. a. chronische Hepatitis, Leberzirrhose, Wundinfektion, Tumorrezidiv) – erhöhen den Stellenwert Fremdblut vermeidender bzw. reduzierender Maßnahmen in der operativen Medizin. Am erfolgversprechendsten erscheint dabei die sinnvolle, Kosten-Nutzen-orientierte Kombination präoperativer und intraoperativer Verfahren im Sinne eines konzeptionellen, interdisziplinär akzeptierten und praktizierten „Patient Blood Managements“ – PBM (Abb. 5).
Übersicht über prä- und intraoperative Maßnahmen zur Reduktion von Fremdbluttransfusionen
  • Präoperativ
    • Identifikation und Korrektur von präoperativer Anämie
    • Identifikation und Korrektur einer präoperativen Gerinnungsstörung
    • Eigenblutspende
    • Hämodilution
    • akute normovolämische Hämodilution (ANH)
    • akute hypervolämische Hämodilution (AHH)
  • Intraoperativ
    • Operatives Vorgehen
    • Anämietoleranz
    • Lagerung des Patienten
    • Wahl des Anästhesieverfahrens
    • Kontrollierte Hypotension
    • Maschinelle Autotransfusion
    • Temperaturmanagement
    • pH-Management
    • ZVD-Management
    • Antifibrinolytika
    • Desmopressin
    • Gerinnungsmanagement

Präoperative Maßnahmen

Identifikation und Korrektur von präoperativer Anämie
Bei Anwendung der derzeit geltenden WHO-Kriterien für die Diagnose von Anämie (prämenopausale Frauen: Hb <12 g/dl; Schwangere <11 g/dl; Männer: Hb <13 g/dl) variiert die Inzidenz einer präoperativen Anämie abhängig von Lebensalter und vorhandenen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Niereninsuffizienz, chronisch inflammatorischen Syndromen und onkologischen Erkrankungen. Häufig wird eine Anämie erstmals während der präoperativen Routinediagnostik entdeckt und bleibt bis zum Operationstermin unbehandelt.
Zwischen 15 und 40 % der operativen Patienten weisen präoperativ eine Anämie auf.
Präoperative Anämie geht mit erhöhter postoperativer Morbidität und Letalität einher. In einer retrospektiven Analyse an 1958 Zeugen Jehovas [19], die sich nichtkardiochirurgischen Eingriffen unterziehen mussten, war eine präoperative Hb-Konzentration von <10 g/dl mit einer signifikant erhöhten postoperativen Letalität verbunden, besonders ausgeprägt bei den 221 eingeschlossenen Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen. Die niedrigste Letalität fand sich bei herzgesunden Patienten mit einem perioperativen Hb-Abfall von ≤2 g/dl, die höchste Letalität bei kardialen Risikopatienten mit einem perioperativen Hb-Abfall von ≥4 g/dl.
Für eine optimale Vorbereitung ist die Vorstellung des Patienten 3–4 Wochen vor seinem geplanten Eingriff in der Prämedikationsambulanz erforderlich. Ziel ist es, eine zu diesem Zeitpunkt diagnostizierte Anämie weiter zu differenzieren (Eisenmangel, renale Anämie, „anemia of chronic disease“). Hierzu ist neben der Hb-Konzentration die Bestimmung von MCV, MCH, Transferrinsättigung, Serumferritinkonzentration und der Serumkreatininkonzentration erforderlich. In schwierigen Fällen kann der Anteil hypochromer Erythrozyten (%HYPO) und der Hb-Gehalt der Retikulozyten (CHr) differenzialdiagnostisch herangezogen werden (Abb. 6; [20]).
Eisenmangelanämie
Etwa ein Drittel der vor operativen Eingriffen als anämisch identifizierten Patienten weist einen signifikanten Eisenmangel auf. Laborchemisch hinweisgebend sind verringertes Hb, MCV und MCH (mikrozytäre, hypochrome Anämie), verringertes Ferritin (<30 μg/l) und Transferrinsättigung (<20 %) und verringertes retikulozytäres Hb (<28 pg). Unter effektiver Eisentherapie – aufgrund des Zeitdrucks häufig bevorzugt intravenös (z. B. niedermolekulares Eisen-III-hydroxid-Dextran oder -Saccharose, Eisencarboxymaltose) – sollte die Hb-Konzentration innerhalb weniger Tage signifikant ansteigen.
Anemia of chronic disease (ACD)
Die ACD tritt im Verlauf einer chronischen entzündlichen Erkrankung, Infektionskrankheit und bei malignen Tumoren auf. Ursächlich ist eine inadäquate Eisenfreisetzung aus häufig normal gefüllten Eisenspeichern. Laborchemisch hinweisend sind erniedrigtes Hb, normales MCV und MCH (normozytäre, normochrome Anämie). Die Transferrinsättigung ist verringert, das Serumferritin als Akut-Phase-Protein häufig erhöht. Die ACD kann nur durch die Verabreichung von rekombinantem humanen Erythropoeitin (rHuEPO) korrigiert werden.
Renale Anämie
Ursache einer renalen Anämie ist eine verminderte Synthese von Erythropoeitin in Kombination mit der toxischen Wirkung harnpflichtiger Substanzen. Hinweisgebend ist neben einer normochromen, normozytären Anämie eine Serumkreatininkonzentration von >1,5 mg/dl und eine Kreatininclearance von <40 ml/min/1,73 m2. Häufig liegt gleichzeitig ein Eisenmangel vor. Die Therapie der renalen Anämie erfolgt durch die Verabreichung von rekombinant hergestelltem, humanem Erythropoeitin (rHuEPO) ggf. in Kombination mit der oralen oder i.v.-Applikation von Eisen.
Identifikation und Korrektur einer präoperativen Gerinnungsstörung
Jeder operative Eingriff ist mit einem potenziellen Blutungsrisiko verbunden, welches durch eine unerkannte, präoperativ bereits existente Gerinnungsstörung erheblich erhöht werden kann. Plasmatische Globaltests (aktivierte partielle Thromboplastinzeit aPTT, Thromboplastinzeit TPZ bzw. Quick-Wert) und die Thrombozytenzahl besitzen für sich alleine betrachtet eine nur geringe Aussagekraft bezüglich der Prädiktion intraoperativer Blutungsprobleme.
Erforderlich ist die zusätzliche Erhebung einer individuellen Gerinnungs-, bzw. Blutungsanamnese anhand standardisierter und validierter Fragebögen [21].
Die Angaben des Patienten ermöglichen in der Mehrzahl der Fälle die Erkennung bzw. den Ausschluss einer hämorrhagischen Diathese sowie bereits eine grobe Abschätzung des Schweregrads. Bei entsprechendem Verdacht auf reduzierte Einzelfaktorenaktivitäten bzw. Thrombozytenfunktionsstörungen sollte die weitere präoperative Abklärung durch einen Hämostaseologen erfolgen.
Besonderes Augenmerk sollte auf die Medikamentenanamnese gelegt werden.
Viele Patienten nehmen im Rahmen einer internistischen oder analgetischen Dauertherapie, aber auch zur Stabilisierung ihrer Gedächtnisleistung (Ginkgo) gerinnungswirksame Präparate ein. Wenn möglich sollten die entsprechenden Pharmaka präoperativ mit ausreichendem zeitlichem Abstand zur Operation abgesetzt bzw. umgestellt werden. Eine Orientierungshilfe geben hierbei Empfehlungen zum Umgang mit Antikoagulanzien bei der Planung rückenmarknaher Anästhesien [22]. Insbesondere bei Patienten unter ASS 100 mg muss eine kritische Risiko-Nutzen-Abwägung bezüglich einer präoperativen Unterbrechung der Therapie erfolgen, da hieraus negative Auswirkungen auf die behandelte Grunderkrankung erwachsen können.
Präoperative Eigenblutspende
Bei der präoperativen Eigenblutspende wird dem Patienten in wöchentlichen Abständen Vollblut entnommen. Die maximale Lagerungszeit beträgt für CPDA-1-konserviertes Vollblut 35 Tage, kann aber durch Separierung von Erythrozyten und Plasma sowie durch Zusatz von Konservierungslösungen (SAG-Mannitol, PAGGS-Mannitol) auf 42–49 Tage ausgedehnt werden. Autologes Plasma kann tiefgefroren bis zu einem Jahr gelagert werden. Vor dem ersten Abnahmetermin wird der Eigenblutspender auf HIV, Hepatitis B und C getestet. Die entnommenen Konserven werden nach dem AB0- und Rhesus-Blutgruppensystem klassifiziert und durch Identifizierungscodes dem Spender verwechslungsfrei zugeordnet. Eine virologische Testung der Eigenblutkonserven erfolgt in der BRD nicht.
Wird dem Patienten wöchentlich eine Konserve entnommen, die letzte eine Woche vor dem Operationstermin, ergibt sich theoretisch ein frühest möglicher Spendebeginn 5–6 Wochen vor der Operation mit der Abnahme von maximal 5–6 Konserven. Die Entnahmemenge pro Eigenblutspende beträgt 450–900 ml Vollblut, bei maschineller Separierung sollten nicht mehr als 600 ml Eigenplasma pro Sitzung entnommen werden.
Patienten in Eigenblutspendeprogrammen weisen häufig präoperativ niedrigere Hb-Konzentrationen auf als andere Patienten. Dieser Effekt kann durch die subkutane Verabreichung von Erythropoeitin (rhuEPO) und/oder die orale oder i.v.-Verabreichung von Eisenpräparaten abgeschwächt werden. Allerdings sinkt dadurch die Kosteneffektivität der Eigenblutspende.
Die Eigenblutspende ist für elektive chirurgische Eingriffe bei Patienten mit einem präoperativen Hämatokrit >40 % und einer Transfusionswahrscheinlichkeit von mindestens 50 % geeignet [23]. Sie wurde auch bereits bei alten Menschen, Kleinkindern und schwangeren Frauen erfolgreich angewandt.
Malignome oder eine Hepatitis stellen keine Kontraindikation für eine Eigenblutspende dar.
Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovahs akzeptieren in der Regel die Eigenblutspende nicht (Abschn. 5).
Bei Eigenblutspendern ohne kardiopulmonale Vorerkrankungen gilt das Verfahren als sicher. In einer retrospektiven Analyse von 5600 Eigenblutspenden fanden sich keine tödlichen Zwischenfälle [24]. Milde vasovagale Reaktionen (Blässe, Schwindel, Übelkeit, Hyperventilation) traten bei 7,5 % von insgesamt 2091 Eigenblutspendern auf, kurz dauernde Bewusstlosigkeit in 0,1 % und lang dauernde Bewusstlosigkeit in 0,02 %. Bei kardialen Risikopatienten (Herzinsuffizienz, KHK) wird die Eigenblutspende dagegen kontrovers diskutiert. Zwischenfälle im Sinne von Hypotonie, Angina pectoris, Myokardinfarkt und Arrhythmien innerhalb der ersten 24 h nach Spende traten – je nach Untersuchung – bei 0–20 % der Eigenblutspender auf.
Cave
Bei Patienten mit instabiler Angina pectoris, signifikanter Hauptstammstenose der linken Koronararterie oder einem innerhalb der letzten 6 Monate vor dem ersten Spendetermin abgelaufenen Myokardinfarkt sollte keine Eigenblutspende durchgeführt werden.
Generell kann durch simultanen Ersatz des entnommenen Eigenbluts durch kristalloide oder kolloidale Lösungen eine Stabilisierung der Hämodynamik während der Spende erzielt werden.
In Abhängigkeit von der Art des operativen Eingriffs, der Transfusionswahrscheinlichkeit und der präoperativ noch verfügbaren Zeit, muss die Anzahl der Eigenblutspenden für jeden Patienten individuell festgelegt werden. Hilfestellung geben institutionseigene Transfusionsstatistiken sowie institutionsübergreifende, statistische Analysen des Transfusionsbedarfs bei verschiedenen chirurgischen Eingriffen (MSBOS: „maximum surgical blood ordering schedule“ [25]; SANGUIS: „safe and good use of blood in surgery“ [26]).
Ziel derartiger Analysen ist es, bei Eigenblutspendern allogene Transfusionen zu vermeiden, gleichzeitig aber auch unnötige Entnahmen von Eigenblut zu minimieren und damit die Kosteneffektivität zu wahren.
Die Übernahme ungenutzter Eigenblutkonserven zur allogenen Transfusion (sog. „crossover“) ist in der BRD verboten.
Durch die Kombination mit präoperativer Gabe von Erythropoetin, präoperativer Hämodilution und maschineller Autotransfusion (MAT) kann der Fremdblutbedarf bei Eigenblutspendern mit zu erwartenden großen Blutverlusten noch stärker reduziert werden. Die präoperative Eigenblutspende selbst ist dann jedoch nicht mehr kosteneffektiv.
Nach Entnahme und Aufbereitung wird das Eigenblut in einer dafür vorgesehenen Einrichtung für maximal 5–6 Wochen aufbewahrt. Wie bei allogener Transfusion besteht auch bei der Eigenbluttransfusion ein durch Verwechslung bzw. bakterielle Verunreinigung der Konserven bedingtes Transfusionsrisiko für den Empfänger.
Bei der Indikation zur Transfusion von Eigenblut gelten dieselben Grundsätze wie bei der Transfusion von Fremdblut (Abschn. 3.2). Zudem ist die direkt vor Transfusion durchgeführte Blutgruppenbestimmung (Beside-Test) von Empfänger- und Konservenblut vorgeschrieben.
Akute normovolämische Hämodilution
Während einer akuten normovolämischen Hämodilution (ANH) wird dem Patienten unmittelbar vor einem elektiven chirurgischen Eingriff – in der Regel zwischen Narkoseeinleitung und Hautschnitt – Vollblut entnommen und simultan durch kolloidale und/oder kristalloide Infusionslösungen ersetzt.
Bei Verdünnung des zirkulierenden Blutes auf Hämatokritwerte (Hkt) von bis zu 20 % spricht man von „limitierter“ANH, bei Hkt unter 20 % von „extremer“ ANH (Abschn. 1.1).
Da das intravasale Blutvolumen während ANH konstant bleiben muss (Normovolämie!), richtet sich das Verhältnis von entnommenem Blut zu infundierter Lösung nach der Art des verwendeten Diluens.
Bei der zu favorisierenden Dilution mit einem isotonen Kristalloid wird im Verhältnis 1:3 ausgetauscht, bei Verwendung eines isoonkotischen Kolloids (z. B. 6 % Hydroxyäthylstärke oder 5 % Humanalbumin), im Verhältnis 1:3.
Bei der Wahl des Diluens sind die derzeit geltenden Kontraindikationen für hydroxyäthylstärkehaltige Infusionslösungen zu berücksichtigen (Kap. Volumenersatzlösungen).
Das entnommene autologe Vollblut wird bei Raumtemperatur in nummerierten und beschrifteten Blutbeuteln (Patientenetikett, Abnahmeuhrzeit, Unterschrift des behandelnden Anästhesisten) mit CPDA-1-Stabilisatorlösung in direkter Nähe des Patienten gelagert.
Eine ANH kann bei elektiven chirurgischen Eingriffen erwogen werden, die im Regelfall die Transfusion von 2 oder mehr Erythrozytenkonzentraten erfordern. Die Menge des entnommenen ANH-Bluts wird an Größe und Blutungsrisiko des geplanten Eingriffs angepasst [27]. Bei zu erwartendem hohen Blutverlust muss ebenso wie bei geringem Ausgangshämatokrit ein niedrigerer Zielhämatokrit während ANH angestrebt werden, um genügend autologes ANH-Blut für perioperative Transfusionen zur Verfügung zu haben (Abb. 7; [28]).
Drei Faktoren für die Effektivität der ANH bei der Einsparung von Fremdblut
  • Ausgansgshämatokrit vor ANH
  • Zielhämatokrit der ANH
  • Perioperativer Blutverlust
Theoretisch könnte jede ANH primär bis zum individuellen kritischen Hkt (Hktkrit) (Abschn. 2.3) des Patienten durchgeführt und somit die maximal mögliche Menge autologen Bluts gesammelt werden. Im Falle eines akuten intraoperativen Blutverlusts bestünde dann jedoch keinerlei Sicherheitsbereich mehr für die Gewebeoxygenierung. Jeder weitere Abfall der DO2 würde zu einer sofortigen Abnahme der VO2 führen. Die Folge wäre eine Gewebehypoxie.
In der klinischen Praxis wird daher die ANH nicht bis zum Hktkrit durchgeführt, sondern bei herzgesunden Patienten auf einen Hkt von 21 % (Hb 7 g/dl) und bei alten Patienten mit eingeschränkter Herzfunktion (KHK, Herzinsuffizienz, chronische β-Rezeptorblockade) auf einen Hämatokrit von 30 % (Hb 10 g/dl) limitiert.
Die Überwachung des intravasalen Volumenstatus bei extremer Hämodilution (Hkt <20 %) ist schwierig und erfordert zumindest die kontinuierliche Messung des zentralen Venendrucks, ZVD, besser die kontinuierliche Bestimmung der Variation des ventrikulären Schlagvolumens, SVV, die intermittierende Messung des intrathorakalen Blutvolumens, ITBV, oder die Beurteilung der ventrikulären Füllung mittels transthorakaler oder transösophagealer Echokardiographie.
Bei Aufrechterhaltung von Normovolämie wird die iatrogene, dilutionsbedingte Anämie durch die in Abschn. 1.1 aufgeführten Mechanismen ohne die Gefahr von Gewebehypoxie und Organdysfunktion kompensiert. Eine durch die ANH bedingte, klinisch relevante Verschlechterung der Blutgerinnung ist bei einem angestrebten Ziel-Hkt zwischen 21 und 30 % unwahrscheinlich [27].
Die Wahl des Diluens bei der ANH scheint bezüglich der Blutgerinnung keine klinisch relevante Rolle zu spielen [29]. Insbesondere niedermolekularen HES-Lösungen mit niedrigem Substitutionsgrad interferieren nur in geringem Maße mit der Blutgerinnung. Die Anwärmung der Infusionslösungen ist jedoch in jedem Falle anzuraten – sowohl im Tierexperiment als auch bei Patienten beeinträchtigte Hypothermie die Blutgerinnung [4].
Eine ANH kann auch bei Kindern, alten Patienten, Patienten mit eingeschränkter kardialer Pumpfunktion sowie Patienten mit chronischer β-Rezeptorblockade durchgeführt werden. Auch Malignome stellen keine Kontraindikation für eine ANH dar. Zeugen Jehovas akzeptieren ANH unter der Voraussetzung, dass Patient, Schlauchsystem und Blutbeutel zu jedem Zeitpunkt ein geschlossenes System bilden (Abschn. 5).
Kontraindikationen für eine ANH
Im Falle eines Blutverlusts profitiert der Patient in zweierlei Hinsicht von einer ANH:
  • zum einen verliert er verdünntes Blut und damit bei gleichem Blutverlust weniger Erythrozytenmasse als ein Patient mit normalem Hkt (Tab. 3).
    Tab. 3
    Ausmaß des Hämoglobinverlusts bei identischem Blutverlust: Einfluss des Ausgangshämatokrits
     
    Ohne Hämodilution
    Limitierte ANH
    Extreme ANH
    Hkt (%)
    45
    21
    9
    Hb (g/dl)
    15
    7
    3
    Blutverlust (ml)
    500
    500
    500
    Hb-Verlust (g)
    75
    35
    15
  • Zum anderen steht bei Indikation zur Transfusion frisches, autologes Vollblut einschließlich sämtlicher Gerinnungsfaktoren und funktionsfähiger Thrombozyten zur Verfügung.
Die Retransfusion des ANH-Bluts sollte möglichst bis nach Abschluss der chirurgischen Blutstillung hinausgezögert werden, um einen hohen Prozentsatz des transfundierten Bluts im Patienten zu halten.
Muss dennoch während eines anhaltenden Blutverlusts mit der Retransfusion begonnen werden, so sollte dies in der umgekehrten Reihenfolge der Abnahme geschehen, um so die Transfusion des „besten Beutels“, d. h. des Beutels mit dem höchsten Hkt, wiederum bis nach Beendigung der Blutstillung hinauszuzögern.
Die Durchführung eines Bedside-Tests (Abschn. 3.3) ist nicht erforderlich. Die Transfusion des ANH-Blutes erfolgt über 170- bis 200-μm-Filter (Gerinnselbildung bei schlechter Durchmischung von Blut und Stabilisatorlösung).
ANH-Blut sollte wegen des potenziellen Bakterienwachstums bei Raumtemperatur nicht länger als 6–8 h gelagert werden. Für die Transfusion des ANH-Bluts gelten prinzipiell dieselben Kriterien wie für die Transfusion von Fremdblut (Abschn. 3.3).
Je nach Zustand des Patienten und Schweregrad einer intraoperativen Blutung wird ein intraoperativer Blutverlust wie folgt therapiert:
  • Sofortige Retransfusion von autologem ANH-Blut,
  • Infusion kristalloidaler und kolloidaler Lösungen, bis Transfusionstrigger (Abschn. 3.3) eine beginnende Gewebehypoxie anzeigen oder bis beim Herzgesunden ein Hkt von 18–21 % (Hb 6–7 g/dl) und beim alten bzw. kardial vorgeschädigten Patienten ein Hkt von 24–30 % (Hb 8–10 g/dl) erreicht ist [8, 30, 31].
Eine bei normovolämischer Anämie auftretende Gewebehypoxie ist meist bereits nach Transfusion von wenigen Millilitern des autologen ANH-Blutes reversibel.
In besonderen Fällen (mikrochirurgische Eingriffe, große Wundflächen, Knochenmarkeröffnung etc.) kann das ANH-Blut zur Verbesserung der Blutgerinnung transfundiert werden.
Während in einzelnen klinischen Studien bei abdominal-, herzchirurgischen, orthopädischen, gynäkologischen, urologischen und Mund-Kiefer-gesichtschirurgischen Eingriffen die Effektivität der ANH bei der Einsparung von Fremdblut wiederholt eindrücklich nachgewiesen werden konnte, war dieser Effekt nach Metaanalyse der in der Literatur vorhandenen Daten nicht eindeutig reproduzierbar [32, 33]. Eine der Hauptursachen hierfür dürfte das heterogene Transfusionsmanagement (Transfusionstrigger, Transfusionsvolumen etc.) in den einzelnen Studien sein, welches die Vergleichbarkeit der untersuchten Patientenkollektive erschwert. In vergleichenden Studien erwiesen sich ANH und präoperative Eigenblutspende bei urologischen (radikale Prostatektomie) und orthopädischen Eingriffen (Hüft- bzw. Knie-TEP) als gleichwertig.
Eine ANH ist jedoch deutlich kostengünstiger als eine präoperative Eigenblutspende.
Bei Patienten mit niedrigem Ausgangshämatokrit (z. B. Tumoranämie, renale Anämie) konnte die Menge an präoperativ gewonnenem ANH-Blut durch präoperative Verabreichung von rhEPO gesteigert werden. Die Kombination von ANH mit anderen fremdblutsparenden Maßnahmen (kontrollierte Hypotension, maschinelle Autotransfusion) reduzierte bei herzchirurgischen und orthopädischen Eingriffen den Fremdblutbedarf um 60–90 %. Neuere Studien zeigten, dass eine ANH bei Beatmung mit reinem Sauerstoff (sog. „hyperoxische ANH“) ohne die Gefahr einer Gewebehypoxie auf niedrigere Hkt-Werte durchgeführt werden konnte als bei Beatmung mit Raumluft. Noch ausgeprägter war dieser Effekt, wenn zur Hämodilution künstliche O2-Träger verwendet wurden (Abschn. 4).
Argumente für die Bevorzugung der ANH vor der präoperativen Eigenblutspende
  • Beide Verfahren können bezüglich ihrer Effektivität als gleichwertig betrachtet werden.
  • Bei der ANH entfallen die kostenintensiven Faktoren der Anfahrt sowie Personal-, Material- und Gerätekosten für Aufbereitung und Testung des Eigenbluts. In einer amerikanischen Studie wurde für eine Eigenblutkonserve ein Preis von 226 US-$, für eine ANH-Konserve ein Preis von 28 US-$ errechnet [34]. Eine deutsche Studie ergab vergleichbare Zahlen (Eigenblutkonserve € 200.-, ANH-Konserve € 12.-; [27]).
  • Die ANH ermöglicht eine flexiblere Planung des Operationstermins, da die aufwändige Logistik der präoperativen Eigenblutspende entfällt.
Insgesamt erlebt die lange Zeit in Vergessenheit geratene ANH derzeit eine Renaissance als kostengünstiges und effektives Verfahren zur Einsparung von Fremdbluttransfusionen bei elektiven operativen Eingriffen.
Akute hypervolämische Hämodilution (AHH)
Auch bei der präoperativen AHH wird eine Verdünnung des zirkulierenden Bluts angestrebt, um während eines intraoperativen Blutverlusts die pro ml Blutverlust verlorene Erythrozytenmenge zu reduzieren. Dies geschieht durch die Infusion von kolloidalen und kristalloiden Lösungen ohne gleichzeitige Entnahme von Vollblut. Dadurch nimmt das intravasale Blutvolumen zu.
In Analogie zur ANH wird die verdünnungsbedingte Abnahme des O2-Gehalts des Bluts hauptsächlich durch eine Erhöhung des Schlagvolumens kompensiert, während die Herzfrequenz konstant bleibt. Aufgrund der Zunahme des Blutvolumens steigen allerdings die enddiastolischen, ventrikulären Füllungsdrücke. Dies kann bei eingeschränkter ventrikulärer Pumpfunktion zum Lungenödem führen.
Die AHH wird daher nur für herzgesunde Patienten empfohlen, gilt dann aber auch bei Infusion von zusätzlich bis zu 3000 ml als sicher [35].
Eine Erhöhung der klinischen Blutungsneigung ist nicht beschrieben. Sowohl im mathematischen Modell als auch am Patienten wurde der Nachweis erbracht, dass durch präoperative AHH trotz großer intraoperativer Blutverluste Fremdbluttransfusionen vermieden werden können. Die AHH stellt somit bei herzgesunden Patienten eine zeitsparende und kostengünstige Alternative zu ANH dar [36].

Intraoperative Maßnahmen

Operatives Vorgehen
Die effektivste Maßnahme zur Vermeidung einer Fremdbluttransfusion ist schonendes, blutverlustarmes Operieren.
Bestandteile chirurgischer Strategien sind hierbei u. a. die Wahl des operativen Zugangswegs, atraumatische Gewebepräparation (z. B. Wasserstrahl-, Ultraschallresektoren), Drosselung der Perfusion des Operationsgebiets (z. B. Blutsperre, Pringle-Manöver) sowie der Einsatz technischer und pharmakologischer Hilfsmittel (z. B. Argon-Beamer, Fibrinkleber, lokale Hämostyptika) zur effektiven Stillung selbst kleinster Blutungen.
Anämietoleranz
Es besteht heute kein Zweifel mehr, dass der menschliche Organismus nicht auf seine „normale“ Hb-Konzentration angewiesen ist, sondern – Normovolämie vorausgesetzt – deutlich niedrigere Hb-Konzentrationen ohne Schädigung der Organfunktionen toleriert (Übersicht und ausführliches Literaturverzeichnis in [37]).
Der operative Patient profitiert in verschiedener Hinsicht von einer Nutzung seiner natürlicherweise vorhandenen Anämietoleranz:
1.
e ausgeprägter der Grad der normovolämischen Verdünnungsanämie, desto geringer die Reduktion der zirkulierenden Erythrozytenmasse mit jedem Milliliter Blutverlust.
 
2.
e vollständiger die Anämietoleranz des Patienten intraoperativ ausgeschöpft wird, desto länger kann der Transfusionsbeginn hinausgezögert werden – im Optimalfall bis nach erfolgreichem Abschluss der chirugischen Blutstillung. Zudem kann im Rahmen einer maschinellen Autotransfusion (MAT) das aus dem Operationsfeld abgesaugte Blut gesammelt werden und die darin enthaltenen Erythrozyten können nach Reinigung und evtl. hochenergetischer Bestrahlung (Tumorchirurgie) retransfundiert werden. Je ausgedehnter die Ausschöpfung der Anämietoleranz des Patienten, desto mehr autologe Erythrozyten können gesammelt und aufbereitet werden; je später mit der Retransfusion des MAT-Bluts begonnen wird, desto geringer der Nettoverlust an retransfundierter Erythrozytenmasse.
 
3.
Die „Anämisierung“ des Patienten kann bereits präoperativ, iatrogen im Rahmen einer sog. akuten normovolämischen Hämodilution (ANH) erfolgen. Je niedriger der Ziel-Hkt der ANH gewählt wird, desto mehr profitiert der Patient von den in 1. und 2. beschriebenen Mechanismen.
 
Ein anämischer Patient toleriert bei gleichem absolutem Hb-Abfall größere Blutverluste, als ein Patient mit normaler Hb-Konzentration, da er zunehmend „verdünntes Blut“ verliert.
Mechanismen der natürlichen Anämietoleranz
In Allgemeinanästhesie wird eine Verdünnungsanämie im Rahmen der Infusionstherapie eines akuten Blutverlusts bis auf sehr niedrige Hb-Konzentrationen bzw. Hkt-Werte ohne Gefährdung von Organperfusion, -oxygenierung und -funktion toleriert („natürliche Anämietoleranz“ des menschlichen Organismus). Die Kompensationsmechanismen einer normovlämischen Hämodilution sind in Abschn. 1.1 beschrieben. Sie können auch bei Säuglingen, Kindern, alten Patienten, kardial vorerkrankten Patienten und Patienten unter chronischer β-Rezeptorblockade nachgewiesen werden.
Grenzen der natürlichen Anämietoleranz – Konzept der kritischen DO2
Erst bei extremer Hämodilution wird ein Punkt erreicht, an dem sich O2-Angebot (DO2) und O2-Bedarf des Gesamtorganismus die Waage halten (Abb. 3). Man spricht von der sog. kritischen DO2 (DO2 krit). Das Unterschreiten von DO2 krit ist mit einem konsekutiven Abfall der VO2 als Zeichen einer beginnenden Mangelversorgung der Gewebe mit O2 und damit einer beginnenden Gewebehypoxie vergesellschaftet (sog. Angebotsabhängigkeit der VO2; Abb. 3). Der Organismus deckt jetzt seinen Energiebedarf zunehmend über anaerobe Glykolyse und als Folge dessen steigt die Serumlaktatkonzentration. Diejenige Hb-Konzentration bzw. derjenige Hkt-Wert, an dem diese physiologische Grenze der Anämietoleranz erreicht ist, wird als kritische Hb-Konzentration (Hbkrit) bzw. als kritischer Hkt-Wert (Hktkrit) bezeichnet. Ohne Intervention (hyperoxische Beatmung oder Transfusion) tritt bei Unterschreiten von Hktkrit innerhalb kurzer Zeit der Tod des Organismus ein.
Die kritische Hb-Konzentration, Hbkrit bzw. der kritische Hämatokrit, Hktkrit definieren den „point of no return“ einer normovolämischen Hämodilution. Bei Unterschreiten von Hbkrit bzw. Hktkrit imponiert eine Gewebehypoxie.
Die Anämietoleranz des Gesamtorganismus kann beeindruckende Dimensionen annehmen: bei gesunden, wachen Probanden war die kritische DO2 selbst nach Hämodilution auf Hb 4,8 g/dl nicht erreicht. Bei herzgesunden Versuchstieren und Patienten in Allgemeinanästhesie wurde die Grenze der Verdünnungsanämie bei einem Hkt zwischen 12 % und 3 %, entsprechend Hb-Konzentrationen zwischen 3,3 und 1,1 g/dl gefunden (Tab. 4; detaillierte Literaturangaben in [37]). Säuglinge (1–7 Monate) und ältere Kinder (12,5 Jahre) tolerierten Hb-Konzentrationen von 3 g/dl und niedriger, ohne dabei ihr kritisches O2-Angebot zu unterschreiten. Bei trächtigen Schafen blieb die fetale Gewebeoxygenierung bis zu einem mütterlichen Hkt von 15 % (Hb 5 g/dl) erhalten.
Tab. 4
Übersicht über kritische Hb-Konzentrationen (Hbkrit) bzw. kritische Hämatokritwerte (Hktkrit) im Tierexperiment und bei Patienten
Author
Spezies
Anästhesie
FiO2
Diluens
Identifikation von DO2 krit
Hktkrit (%)
Hbkrit (g/dl)
Fontana et al. 1995
Mensch (Kind)
Isoflurane, Sufentanil, Vecuronium
1,0
ST-Segment-Senkung
 
2,1
van Woerkens et al. 1992
Mensch (84 Jahre)
Enflurane, Fentanyl, Pancuronium
0,4
Gelatine
Abfall der VO2
12
4
Zollinger et al. 1997
Mensch (58 Jahre)
Propofol, Fentanyl,Pancuronium
1,0
Gelatine
ST-Segment-Senkung
 
Ca. 1,1
Cain et al. 1977
Hund
Pentobarbital
0,21
Dextran
Abfall der VO2
9,8
3,3
Perez-de-Sá et al. 2002
Schwein
Isofluran, Fentanyl,Midazolam, Vecuronium
0,5
Dextran
Abfall der VO2
 
2,3 ± 0,2
Meier et al. 2004
Schwein
Propofol, Fentanyl
0,21
HES
Abfall der VO2
 
3,1 ± 0,4
Pape et al. 2006
Schwein
Propofol, Fentanyl,Pancuronium
0,21
HES
Abfall der VO2
 
2,4 ± 0,4
Kemming et al. 2003
Schwein
Midazolam, Morphin, Pancuronium
0,21
HES
ST-Segment-Senkung
7,2 ± 1,2
2,6 ± 0,3
Meisner et al. 2001
Schwein
Diazepam, Morphin, Pancuronium
0,21
Albumin
ST-Segment-Senkung
6,1 ± 1,8
2,0 ± 0,8
Meier et al. 2007
Schwein
Propofol, Fentanyl,Pancuronium
0,21
HES
Abfall der VO2
 
2,4 ± 0,5
Cave
Eine Angabe allgemein gültiger Zahlenwerte für die minimal tolerable Hb-Konzentration eines Menschen ist unmöglich, da DO2 krit, Hbkrit und Hktkrit sowohl inter-, als auch intraindividuell unterschiedlich sind und von einer Reihe von Faktoren beeinflusst werden. Adäquate Narkosetiefe, Hyperoxämie, komplette Muskelrelaxierung und milde Hypothermie steigern die Anämietoleranz, Hypovolämie, eingeschränkte Koronarreserve, Herzinsuffizienz, zu tiefe Narkose, Polytrauma und Sepsis reduzieren sie.
Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass sich die Anämietoleranz des Gesamtorganismus von der Anämietoleranz einzelner Organe unterscheidet. Es wäre denkbar, dass einzelne Organe ihre organspezifische DO2 krit zu einem früheren Zeitpunkt, d. h. bei einer höheren Hb-Konzentration bzw. einem höheren Hkt-Wert erreichen, als der Gesamtorganismus. Dies birgt die Gefahr einer bereits manifesten spezifischen Organgewebehypoxie noch vor Auftreten entsprechender Veränderungen auf Ebene des Gesamtorganismus. In Narkose scheint sich die Anämietoleranz des Gesamtorganismus nicht von derjenigen des Gehirns, des Herzens mit intakter Koronarperfusion und des Splanchnikussystems zu unterscheiden.
Die Anämietoleranz des Herzens mit eingeschränkter Koronarreserve ist geringer ausgeprägt.
Im Tierexperiment traten bei narkotisierten Hunden mit einer experimentellen, hochgradigen (50–80 %) Koronarstenose myokardiale Ischämiezeichen und/oder eine Verschlechterung der Herzfunktion bei Hb-Konzentrationen zwischen 7 und 10 g/dl auf. In einer retrospektiven Kohortenanalyse an 1958 Zeugen Jehovas mit erhöhtem kardialen Risikoprofil (KHK, Herzinsuffizienz), die sich nichtkardiochirurgischen operativen Eingriffen unterziehen mussten, fand sich eine signifikant erhöhte postoperative Letalität, wenn eine postoperative Hb-Konzentration von 8 g/dl unterschritten wurde. Die Grenze der renalen Anämietoleranz lag im Tierexperiment bei gesunden narkotisierten Ratten zwischen 4 und 7 g/dl, in klinischen Studien bei herzchirurgischen Patienten bereits bei Hb-Konzentrationen zwischen 7 und 8 g/dl.
Cave
In der klinischen Praxis ist es schwierig, die Grenze der individuellen Anämietoleranz des Patienten zu identifizieren. Die Messung von VO2 ist apparativ aufwendig. Indirekte Hinweise für das das Erreichen von DO2 krit wie neu aufgetretene EKG-Veränderungen, regionale Wandbewegungsstörungen in der Echokardiographie, Laktazidose und Abfälle von gemischt- bzw. zentralvenöser O2-Sättigung sind unsicher.
Hilfestellung bei der Einschätzung einer perioperativ auftretenden Verdünnungsanämie quoad vitam leisten die Ergebnisse umfangreicher Patientenstudien, in denen der Zusammenhang zwischen postoperativer Anämie und Letalität der Patienten analysiert wurde. In der Regel stammen diese Daten von Zeugen Jehovas. Bis zu einer postoperativen Hb-Konzentration von 8 g/dl konnte auch bei alten Patienten mit kardiopulmonalen Vorerkrankungen sowie bei multimorbiden Intensivpatienten kein statistischer Zusammenhang mit einer erhöhten postoperativen Letalität hergestellt werden. Bei anämischen Patienten (Hb <8 g/dl), deren Tod kausal mit Anämie in Verbindung zu bringen war, lag die Hb-Konzentration immer unter 5 g/dl. In Einzelfällen wurden jedoch auch deutlich niedrigere Hb-Konzentrationen bis zu 1,5 g/dl ohne Transfusion überlebt (Übersicht in [38]).
Therapeutische Beeinflussung der Anämietoleranz
Im Falle unvorhergesehener Blutverluste und der Entwicklung einer potenziell lebensbedrohlichen Anämie kann die Anämietoleranz des Patienten durch verschiedene Maßnahmen effektiv gesteigert werden. Hierdurch kann Zeit bis zur chirurgische Kontrolle der Blutung gewonnen werden.
Maßnahmen zur akuten Steigerung der Anämietoleranz eines Organismus
  • Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von Normovolämie
  • Hyperoxische Beatmung (FiO2 1,0)
  • Adäquate Narkosetiefe
  • Kontinuierliche Noradrenalinapplikation
  • Muskelrelaxierung
Lagerung des Patienten
Durch Lagerung des Operationsgebiets auf oder über Herzhöhe kann der hydrostatische Druck in den Venen und damit der venöse Blutverlust effektiv reduziert werden (z. B. 20°-Trendelenburg-Lagerung, Seitenlagerung). Bei gleichzeitiger iatrogener Absenkung des ZVD muss die Gefahr einer Luftembolie beachtet werden.
Wahl des Anästhesieverfahrens
Das Anästhesieverfahren beeinflusst den intraoperativen Blutverlust.
Wenn möglich sollte ein Regionalverfahren in Spontanatmung einer Allgemeinanästhesie vorgezogen werden (geringere pharmakologische Vasodilatation, physiologische intrathorakale Druckverhältnisse; [39]). Kann eine Allgemeinanästhesie nicht vermieden werden, erscheint eine totale intravenöse Anästhesie (TIVA) der balancierten Anästhesie mit Inhalationsanästhetika überlegen.
Kontrollierte Hypotension
Unter kontrollierter Hypotension (KH) versteht man die pharmakologische Senkung des systolischen arteriellen Blutdrucks auf 80 mmHg bzw. des mittleren arteriellen Drucks auf 50 mmHg.
Eine KH kann durch Vasodilatation mit Inhalationsanästhetika, mit intravenös verabreichten vasoaktiven Substanzen (Nitroprussid-Na, Nitroglycerin, Hydralazine, Urapidil, Esmolol, Nicardipin, Prostaglandin E1, Magnesiumsulfat, Adenosin) oder mit einer Periduralanästhesie induziert werden. Durch Anwendung des Verfahrens lässt sich der arterielle Blutverlust aus dem Operationsgebiet signifikant reduzieren [40].
Voraussetzung für die gefahrlose Anwendung der KH ist die Aufrechterhaltung von Normovolämie. Folge von KH und gleichzeitiger Hypovolämie sind Umverteilungsstörungen im Bereich der Mikrozirkulation mit konsekutiver Organischämie und -hypoxie.
Sowohl KH als auch normovolämische Anämie lösen identische vaskuläre Kompensationsmechanismen aus (periphere Vasodilatation, Ausschöpfung der vaskulären Reserve). Daher tritt bei Kombination von KH und normovolämischer Hämodilution eine Verschlechterung der Gewebeoxygenierung (insbesondere Myokardischämie, -hypoxie) bereits bei einem höheren Hkt auf als bei Normotonie. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt, wenn zur Induktion der KH Substanzen verwendet werden, die das Herzzeitvolumen reduzieren (z. B. β-Blocker). Während KH sollte bei Patienten mit bereits manifester, generalisierter Gefäßsklerose die Hb-Konzentration nicht unter 8 g/dl abfallen. Zur frühzeitigen Erkennung einer Myokardischämie empfiehlt sich die kontinuierliche Analyse der ST-Strecke in den EKG-Ableitungen II und V5.
Cave
Während KH und gleichzeitiger normovolämischer Anämie (Hb <8 g/dl) stellt die ischämische Neuropathie des N. opticus bei Patienten mit manifester Gefäßsklerose bzw. entsprechenden Risikofaktoren (arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, exzessiver Nikotinabusus) eine gefürchtete Komplikation dar.
Bei Normovolämie und Vermeidung extremer normovolämischer Anämie bleiben während KH myokardialer und zerebraler Blutfluss sowie das O2-Angebot trotz Abfall der entsprechenden Organperfusionsdrücke konstant (Autoregulation des Organblutflusses). Zeichen einer Myokardischämie sowie zerebrale Funktionseinschränkungen wurden auch bei mehr als 2-stündiger KH postoperativ nicht beobachtet.
Cave
Im Gegensatz zu Herz und Gehirn wird die Grenze der Autoregulation der renalen Perfusion während KH unterschritten.
Die resultierende Abnahme von renalem Blutfluss, glomerulärer Filtrationsrate und fraktionierter Natriumexkretion ist jedoch nach Restitution eines normalen renalen Perfusionsdrucks reversibel.
Substanzen mit negativ inotroper Wirkung (β-Blocker) oder Vasodilatatoren mit steigernder Wirkung auf den myokardialen O2-Verbrauch (Reflextachykardie, z. B. durch Hydralazine) sollten nicht zur Induktion der KH eingesetzt werden. KH mit Nitroprussid-Na verschlechterte im Tierexperiment die Durchblutung und Oxygenierung des Skelettmuskels sowie des parietalen Hirnkortex. KH mit Inhalationsanästhetika beeinträchtigte ebenfalls im Tierexperiment die Durchblutung im Splanchnikusgebiet und die Koronarreserve.
Dagegen scheinen Urapidil und Nitroglyzerin die Organperfusion und Gewebeoxygenierung weniger zu beeinflussen [41]. Da zudem bei Verabreichung von Urapidil keine bzw. nur eine geringe Reflextachykardie auftritt, sollte dieser Substanz für die KH der Vorzug gegeben werden.
Bei Patienten mit eingeschränkter Autoregulation der Organperfusion (pAVK, KHK, arterieller Hypertonus, zerebralvaskulärer Insuffizienz, Hypovolämie, Anämie) sowie Patienten mit Nieren- bzw. Leberinsuffizienz sollte auf eine „klassische“ KH verzichtet und bestenfalls eine modifizierte KH mit deutlich moderateren Zielblutdruckwerten durchgeführt werden.
Maschinelle Autotransfusion
Unter maschineller Autotransfusion (MAT) versteht man die Reinigung und Retransfusion von direkt aus dem Operationsfeld aspiriertem Wundblut. Über einen Doppellumensauger wird Blut aus dem Operationsfeld abgesaugt, mit Heparin versetzt (15.000 E Heparin in 500 ml NaCl, langsam tropfend, Verhältnis zu Blut 1:5 bis 1:10) und in einem Reservoir gesammelt.
Der an das Reservoir angelegte Unterdruck sollte 150 mmHg nicht überschreiten, um die Hämolyserate der aspirierten Erythrozyten gering zu halten.
Nach Ansammlung von 800–1000 ml Blut wird der Inhalt des Reservoirs über ein geschlossenes Schlauchsystem mittels einer Rollerpumpe in eine Waschglocke gepumpt. Diese wird in Rotation (5000 U/min) versetzt. In der rotierenden Waschglocke ordnen sich die im Wundblut enthaltenen Erythrozyten an anderer Stelle an als noch vorhandene Gewebereste. Letztere können mit einer die Waschglocke durchströmenden Kochsalzlösung ausgewaschen werden. Nach dem Waschvorgang werden die gereinigten Erythrozyten in einen Beutel gepumpt und stehen für die Transfusion zur Verfügung. Die Transfusion erfolgt über einen 170–200 μm Filter.
Das nach Zentrifugation und Spülung entstandene „gereinigte“, autologe Erythrozytenkonzentrat besitzt – abhängig von der Dauer des Waschvorgangs und von der Art des verwendeten MAT-Systems – einen Hämatokrit von 60–70 %. Es enthält nur noch klinisch unbedeutende Spuren von Heparin, Leukozyten, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren. Der Anteil von freiem Hämoglobin (im aspirierten Wundblut 200–500 mg/dl) wird durch den Waschvorgang um 50–70 %, der Anteil des zugesetzten Heparins um 99 % reduziert. O2-Transport in sowie O2-Abgabe aus „gewaschenen“ Erythrozyten bleiben aufgrund einer stabilen 2,3-Diphosphoglycerat-Konzentration unbeeinträchtigt. Der pH-Wert von gewaschenem MAT-Blut liegt im alkalischen, die Elektrolytkonzentrationen im physiologischen Bereich.
Für den Einsatz der MAT geeignet sind elektive operative Eingriffe sowie Notfalleingriffe mit einem Blutverlust von mehr als 800–1000 ml.
Die Infusion von potenziell kontaminiertem gewaschenem Wundblut führte bei Patienten mit penetrierendem Abdominaltrauma nachweislich nicht zu einer Zunahme der Wundinfektionsrate. Umgekehrt können auch in aufbereitetem Blut aus nichtkontaminierten Wunden in 12,7 % aller Fälle Keime (z. B. Staphylococcus epidermidis) nachgewiesen werden.
Die ursprüngliche, absolute Kontraindikation der Autotransfusion von potenziell kontaminiertem Blut wurde auf Operationen mit Implantation von Fremdmaterial (künstliche Herzklappen, Gefäßersatz und Gelenkprothesen) beschränkt.
Bei tumorchirurgischen Eingriffen anfallendes Wundblut kann gereinigt und problemlos transfundiert werden, sofern die Möglichkeit zur hochenergetischen Gammabestrahlung (50 Gy) des gewaschenen Erythrozytenkonzentrats besteht [42]. Hierdurch ist die Reduktion von Tumorzellen um mehr als 10 Logstufen möglich. Allerdings muss auf die Einhaltung spezifischer medikolagaler Voraussetzungen (Verfügung über eine Arzneimittelherstellungserlaubnis) geachtet werden.
Die Aufbereitung von Blut aus sicher infizierten und mit Urin, Galle oder Darminhalt kontaminierten Wundgebieten sollte vermieden werden.
Während Applikation von Methylacrylat (Palakos), gerinnungsfördernden Substanzen (z. B. Fibrinkleber) sowie antibakteriellen Spüllösungen (z. B. Chloramin) sollte die Aspiration in das MAT-Reservoir unterbrochen werden. Bei Blutungen im Rahmen geburtshilflicher Maßnahmen und insbesondere bei der Sectio caesarea wird die bisher absolute Kontraindikation für MAT (Gefahr der Transfusion von Amnionzellen und fetalen Erythrozyten) zunehmend relativer gesehen [43].
Cave
Das dem aspirierten Wundblut zugesetzte Heparin wird durch den Schleuderwaschvorgang um 99 % reduziert. Trotzdem sollte bei Patienten mit bekannter Veranlagung zu heparininduzierter Thrombopenie (HIT) entweder ganz auf MAT verzichtet werden oder das aspirierte Wundblut mit Heparinersatzstoffen z. B. Danaparoid-Natrium (Orgaran) antikoaguliert werden.
Die MAT ist eine äußerst effektive, intraoperativ durchführbare Methode zur Einsparung von Fremdbluttransfusionen [44]. Durch Anwendung des Verfahrens kann die Fremdbluttransfusionsrate um 38 % gesenkt werden. Besonders eindrücklich sind die Ergebnisse bei orthopädischen und herzchirurgischen Eingriffen. Bei Kombination des Verfahrens mit der ebenfalls sehr kostengünstigen akuten normovolämischen Hämodilution (ANH) kann eine Fremdbluttransfusion auch bei chirurgischen Eingriffen mit hohem, intraoperativem Blutverlust häufig vermieden werden.
Temperaturmanagement
Die einzelnen Reaktionsschritte der Gerinnungskaskade und die Thrombozytenfunktion sind temperaturabhängig. Bereits milde Hypothermie (35,0 ± 0,5 °C) führt zu einer Zunahme des intraoperativen Blutverlusts. Entscheidend ist daher die Aufrechterhaltung von Normothermie durch die konsequente Wärmung von Infusionen und Patient.
pH-Management
Die Aktivität der Gerinnungsfaktoren ist pH-abhängig mit einem Aktivitätsoptimum im basischen Bereich. Ein Abfall des pH von 7,4 auf 7,2 führt zu einem 50 %-Abfall der Thrombingeneration. Azidose verstärkt darüber hinaus die gerinnungshemmenden Effekte von Hypothermie [45]. Eine Verbesserung der Blutgerinnung durch pharmakologische Korrektur der Azidose (z. B. Natriumbikarbonat oder TRIS-Puffer) konnte allerdings bisher weder im Tierexperiment noch bei Patienten nachgewiesen werden.
ZVD-Management
Da Lebervenen keine Venenklappen besitzen, pflanzt sich der Druck in der V. cava inferior unmittelbar in die Lebervenen fort. Während Leberteilresektionen führt die Absenkung des zentralen Venendrucks (Oberkörperhochlagerung, PEEP-Reduktion) zu einer signifikanten Reduktion des Blutverlusts [46].
Volumentherapie
Neben der Induktion einer Verdünnungskoagulopathie besitzen nahezu alle Infusionslösungen direkte Effekte auf die Blutgerinnung. Kristalloide Lösungen mit hohem Chlorid-Anteil (z. B. NaCl, Ringer-Lösung) führen bei hochvolumiger Applikation zu einer hyperchlorämischen Azidose und damit zu einer potenziellen Beeinträchtigung der Blutgerinnung (pH-Management). Bei Anwendung sog. balancierter kristalloider Lösungen mit verstoffwechselbaren Anionen (z. B. Azetat, Malat oder Laktat) fehlt dieser Effekt weitestgehend [7]. Hochmolekulare und -substituierte HES-Lösungen (z. B. HES 450.000/0,7, HES 200.000/0,62) reduzieren die Aktivität des von-Willebrand-Faktor, des Faktor VIII und der Thrombozyten. Weiterhin wird eine verminderte Stabilität des Fibringerinnsels infolge gestörter Fibrinpolymerisation diskutiert [6]. Bei niedermolekularem, niedrigsubstituierten HES-Lösungen (z. B. HES 130.000/0,4, HES 130.000/0,42) scheinen diese Effekte jedoch geringer ausgeprägt zu sein. Der direkte Effekt von Gelatine- und Humanalbuminlösungen auf die Blutgerinnung wird als vernachlässigbar eingestuft.
Antifibrinolytika
Antifibrinolytika hemmen die Plasminbildung. Klinische Unter‐suchungen liegen v. a. für die Substanzen Aprotinin, ε-Aminokapronsäure und Tranexamsäure vor (Tab. 5).
Tab. 5
Dosierung von Antifibrinolytika
Präparat
Dosierung
Tranexamsäure
Initial: 10–15 mg/kgKG
Danach: 1–5 mg/kgKG/h
ε-Aminokapronsäure
Initial: 100–150 mg/kgKG
Danach: 10–15 mg/kgKG/h
(Aprotinin) – derzeit nicht verfügbar
Initial: 1–2 Mio. E i.v.
Danach: 500.000 E/h
Durch Anwendung jeder dieser Substanzen ließ sich die Transfusion von Fremdblut reduzieren. Dabei war Aprotinin der Tranexamsäure und diese wiederum der ε-Aminokapronsäure überlegen. Aufgrund einer signifikant erhöhten Rate an Nierenversagen nach herzchirurgischen Eingriffen [47] setzte der Hersteller die Vermarktung von Aprotinin im Jahre 2008 aus. Eine kritische Neubewertung der Risikodaten führte jedoch dazu, dass die Substanz mittlerweile in einigen Ländern (u. a. Kanada) wieder zum Vertrieb freigegeben wurde.
Desmopressin
Desmopressin (Minirin) ist ein synthetisch hergestelltes Vasopressinanalogon. Nach i.v.-Infusion (0,3–0,4 μg/kgKG innerhalb von 30 min) führt Desmopressin zu einer sofortigen Knochenmarkfreisetzung von Thrombozyten sowie nach 4–12 h zu einer Steigerung der Plasmaaktivität von Faktor VIII und v.-Willebrand-Faktor (vWF). Bei urämischer Thrombozythopathie verbessert Desmopressin die Thrombozytenfunktion.
Mögliche Indikationen für Desmopressin zur Reduktion perioperativer Blutverluste sind:
Eindeutige Hinweise für die Reduktion perioperativer Fremdbluttransfusionen durch die Verabreichung von Desmopressin fehlen bislang.
Gerinnungsmanagement
Cave
Der Ersatz eines Blutverlusts durch kristalloide und kolloidale Infusionslösungen führt zu einer Verdünnung sämtlicher Komponenten des Gerinnnungs- und Fibrinolysesystems und letztlich zur Ausbildung einer Verdünnungskoagulopathie.
In Tierexperimenten und Untersuchungen an blutenden Patienten zeigte sich, dass während einer Hämodilution die Plasmafibrinogenkonzentration als erster prokoagulatorischer Faktor in einen substitutionsbedürftigen Bereich (<150 mg/dl) abfällt, gefolgt von der Aktivität von Gerinnungsfaktoren des Prothrombinkomplexes und zuletzt der Thrombozytenzahl [48]. Fibrinogen und Fibrin sind elementar für die Stabilität eines sich an der Blutungsquelle formierenden Thrombus. Das Fehlen von Fibrinogen führt zu labilen Thromben, die dem erhöhten Blutfluss in den geschädigten Gefäßstrombezirken nicht standhalten und eine Blutung nicht stoppen können. Hinzu kommt, dass die Fibrinogenkonzentration des Plasmas durch kolloidale Infusionslösungen auf der Basis von Hydroxyäthylstärke zusätzlich reduziert wird.
Die genaue Bestimmung von „kritischen“ Grenzwerten für einzelne Komponenten des Gerinnungssystems ist schwierig und in der klinischen Situation des stark blutenden Patienten ohne entsprechende Zeitverluste häufig unmöglich.
Bei moderater Dynamik des Blutverlusts kann ein differenziertes Gerinnungsmanagement auf der Basis sog. „Point-of-care“ (POC)-Monitoringverfahren (Rotationsthrombelastographie/-metrie, Thrombozytenaggregometrie) erwogen werden [49]. In Ermangelung dieser differenzierten Analysemethode und in Gegenwart stärkerer Blutverluste muss jedoch häufig frühzeitig und kalkuliert mit gerinnungsstabilisierenden Maßnahmen begonnen werden [21]. Nach Etablierung prokoagulatorischer Rahmenbedingungen (Normothermie, normaler pH-Wert) erfolgen in Abhängigkeit von Intensität und Dynamik des Blutverlusts sowie Qualität der Blutung (diffuse Blutungsneigung, Reaktivierung von Blutungen aus bereits „trockenen“ Blutungsquellen) auf der Basis eines Stufenplans (Abb. 8): die Substitution von Fibrinogenkonzentrat, PPSB, gefrorenem Frischplasma (GFP) bzw. lyophilisiertem Plasma und die Applikation eines Antifibrinolytikums (z. B. Tranexamsäure).
Die Applikation von Desmopressin führt zu einer Mobilisierung endogener Faktor-VIII-Reserven, einer Zunahme der Aktivität des von-Willebrand-Faktors sowie einer Stimulation der Thrombozytenfunktion. Zusätzlich kann die Stabilität des Thrombus durch die Applikation von Faktor-XIII-Konzentrat erhöht werden. Bei starken Blutungen sollte frühzeitig die Applikation von rekombinantem humanen Faktor VIIa („off-label-use“) in Erwägung gezogen werden, da die maximale Wirksamkeit der Substanz nur bei stabilen Rahmenbedingungen für die Blutgerinnung (Temperatur, pH, Thrombozytenzahl) erwartet werden kann (Tab. 6). Bei weiterhin eingeschränkter Gerinnung kann die Transfusion von Erythrozyten (Ziel-Hämatokrit 30 %, Ziel Hb-Konzentration 10 g/dl) in Erwägung gezogen werden.
Tab. 6
Dosierung gerinnungswirksamer Pharmaka bei massivem Blutverlust
Gefrorenes Frischplasma
>30 ml/kgKG
Ziel: Quick-Wert >30–40 %
Fibrinogenkonzentrat
2–4 g
Ziel: Serumfibrinogenkonzentration >150 mg/dl
Prothrombinkomplex-Präparate
20–25 IE/kgKG
Ziel: Quick-Wert >30–40 %
Tranexamsäure
Initialer Bolus: 10–15 mg/kgKG
Danach: 1–5 mg/kgKG/h
Desmopressin
0,3 μg/kgKG über 30 min
Faktor-XIII-Konzentrat
10–20 IE/kgKG
Rekombinanter humaner Faktor VIIa
90 μg/kgKG

Transfusion von Blutprodukten

Geschichte der Bluttransfusion

Blut wurde bereits sehr früh mit dem Wohlbefinden des Menschen in Verbindung gebracht. So wird im 7. Buch von Ovids Metamorphosen oder den Büchern Leviticus und Genesis des Alten Testaments häufig – allerdings auf einer eher mystischen Basis – über die verjüngende Wirkung von enteral verabreichtem Blut berichtet.
Die Grundlage für die Erforschung des therapeutischen Nutzens von transfundiertem Blut bei akuten und chronischen Blutverlusten stellt zweifellos die detaillierte Beschreibung des Blutkreislaufs durch William Harvey im Jahre 1613 dar. Dennoch dauerte es mehr als 300 Jahre, bis die Bluttransfusion als sichere und effektive Therapie bei akuter und chronischer Anämie anerkannt wurde. Im Folgenden sind die Meilensteine dieser Entwicklung dargestellt (Tab. 7).
Tab. 7
Historische Entwicklung der Bluttransfusion
1613
Beschreibung des Blutkreislaufs durch William Harvey
1666
Allogene Bluttransfusion beim Hund durch Richard Lower
15.06.1667
Erste xenogene Bluttransfusion (Kalbsblut) bei einem Menschen, durchgeführt von Jean Denis
22.12.1818
Erste allogene Bluttransfusion beim Menschen, durchgeführt von James Blundell
1900
Beschreibung der Isoagglutinine A, B und 0 durch Karl Landsteiner
1902
Beschreibung der Blutgruppe AB durch DeCastello und Sturli
1914
Antikoagulation von Blutkonserven mit Natriumzitrat durch Albert Hustin
1938
Einführung von Transfusionsfiltern
1940
Beschreibung des Rhesus-Faktors durch Landsteiner und Weiner
1957
Einführung von Zitrat, Phosphat, Dextrose und Adenin als Additiva zu Blutkonserven
Im Jahre 1666 – also 53 Jahre nach Harveys Erstbeschreibung des Blutkreislaufs – zeigte der englische Arzt Richard Lower, dass ein Hund den Verlust nahezu seines gesamten Blutvolumens überlebte, wenn ihm simultan das Blut eines anderen Hundes infundiert wurde. Am 23.11.1667 transfundierte Lower bei einem Mann namens Arthur Coga Schafsblut in der Absicht, die labile psychische Situation des manisch-depressiven Patienten zu verbessern. Die Transfusion verlief ohne Zwischenfälle, der therapeutische Effekt wurde hingegen als zweifelhaft beurteilt.
Etwa zeitgleich mit Lower veröffentlichte Jean Denis – Leibarzt am Hofe des französischen Königs Ludwig XIV. – seine Beobachtungen während einer Bluttransfusion, die vermutlich noch vor der Lower’s durchgeführt worden war. Am 15.06.1667 transfundierte Denis einen aufgrund multipler Aderlässe anämischen 15-jährigen Jungen mit Kalbsblut. Die Transfusion verbesserte den Allgemeinzustand des Jungen deutlich. Im selben Jahr transfundierte Denis mindestens 4 weitere Patienten. Bei der letzten, durchgeführt bei dem 34-jährigen psychisch kranken Antoine Mauroy kam es wohl zur ersten dokumentierten hämolytischen Transfusionsreaktion. Noch während der Kalbsbluttransfusion entwickelte der Patient eine Tachykardie, Schweißausbrüche und starke Nierenschmerzen, gefolgt von einer kurzdauernden Bewusstlosigkeit. Einige Stunden später fiel der Abgang von schwarzem Urin auf. Mauroy überlebte diesen Transfusionszwischenfall, verstarb aber wenige Monate später während einer zweiten Bluttransfusion.
Der Tod von Antoine Mauroy löste heftige Diskussionen über Sinn und Unsinn der Transfusion von Blut aus, die darin gipfelten, dass das Verfahren im Jahr 1678 zunächst vom englischen und französischen Parlament und im Jahre 1679 letztendlich vom Papst per Dekret offiziell verboten wurde. Für mehr als ein Jahrhundert ebbte das Interesse an Bluttransfusionen ab.
Die nächste wissenschaftliche Dokumentation einer Transfusion datiert erst wieder aus dem Jahr 1818, ist aber von herausragender Bedeutung. Am 22.12.1818 transfundierte der englische Arzt und Geburtshelfer James Blundell erstmals einen 35 Jahre alten Patienten mit ausgeprägter Kachexie infolge eines Magenkarzinoms mit menschlichem Blut. Nach kurzdauernder Verbesserung des Allgemeinzustands verstarb der Patient 56 h später. Weitere von Blundell durchgeführte Transfusionen bei Frauen mit schwerer postpartaler Blutung verliefen dagegen erfolgreich. 1840 beschrieb Blundell, dass nach einer operativen Strabismuskorrektur die Transfusion von frischem Vollblut die Blutungsneigung bei einem 11-jährigen Patienten mit Bluterkrankheit verringerte.
In der Folge bestimmten in erster Linie technische Verbesserungen die Weiterentwicklung im Transfusionswesen. 1835 empfahl Bischoff die Transfusion von defibriniertem Blut, 1860 tranfundierte Neudorfer zum ersten Mal Blut, das zuvor mit Natriumbikarbonat antikoaguliert worden war. Erst 1914 führte der Belgier Albert Hustin die Antikoagulation von Blut mit Natriumzitrat ein.
Die moderne Ära im Bluttransfusionswesen begann mit der Entdeckung der Isoagglutinine A, B und 0 im Jahr 1900 durch Landsteiner. 1902 wurde das AB0-Blutgruppensystem um die von DeCastello u. Sturli beschriebene vierte Blutgruppe AB erweitert. 1940 entdeckten Landsteiner u. Weiner den Rhesus-Faktor.
Bereits 1907 empfahlen Richard Weil u. Reuben Ottenberg vor jeder Transfusion die Testung des Transfusionsbluts auf seine Kompatibilität mit dem Blut des Empfängers. Ottenberg war auch der erste, der bei Kühlung die Möglichkeit der Lagerung von zitratantikoaguliertem Blut für mehrere Tage beschrieb.
Während des ersten Weltkrieges berichtete Oswald Robertson anlässlich der Schlacht von Cambrai im November 1917 über 20 erfolgreiche Transfusionen bei verwundeten Soldaten mit schwerem hämorrhagischem Schock. Robertson verwendete dabei ausschließlich Blut der Blutgruppe 0.
1943 wurde von Loutit u. Mollison ein Zitrat-Dextrose-Gemisch als Additiv zu konserviertem Blut eingeführt, welches 1957 durch Phosphat und Adenin ergänzt wurde.
1938 wurden Filter zur Transfusion empfohlen, zunächst aus Seide, später aus Baumwolle mit einer Porengröße von etwa 200 μm. 1960 wurden Mikroaggregatfilter mit einer Porengröße zwischen 20 und 40 μm und etwa zur selben Zeit die ersten Plastiktransfusionsbestecke eingeführt.

Konzept der Therapie mit Blutkomponenten

Um einen Patienten nicht unnötig den Risiken einer Fremdbluttransfusion (Abschn. 2.1) auszusetzen, wird intraoperativ verlorenes Blut zunächst durch erythrozytenfreie Infusionslösungen (Kristalloide, Kolloide) ersetzt. Ziel dieses Vorgehens ist die Aufrechterhaltung des zirkulierenden Blutvolumens (Normovolämie) und damit einer adäquaten Organperfusion. Folge ist eine Verdünnung sämtlicher Blutbestandteile (Hämodilution).
Der wesentliche Unterschied zwischen dieser Vorgehensweise und der ANH (Abschn. 2.3) ist lediglich, dass eine ANH als geplante, fremdblutsparende Maßnahme vor Beginn des intraoperativen Blutverlusts durchgeführt wird. Das während einer ANH entnommene Blut steht somit in seiner Gesamtheit als Vollblut einschließlich funktionsfähiger Thrombozyten und sämtlicher Plasmaproteine (Gerinnungsfaktoren, Fibrinolysesystem) für die Retransfusion zur Verfügung.
Wird hingegen auf eine präoperative ANH verzichtet und der Patient während des intraoperativen Blutverlustes hämodiluiert, kann das verlorene Blut zwar ebenfalls gesammelt und für die Retransfusion wiederaufbereitet werden (Abschn. 2.3). Es enthält dann aber keine Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren in klinisch relevanter Menge.
Eine Hämodilution löst – unabhängig davon, ob sie präoperativ als ANH oder intraoperativ als Kompensation eines Blutverlusts durchgeführt wird – identische Kompensationsmechanismen aus (Abschn. 1.1).
Die Grenze der intraoperativen Hämodilution ist erreicht, wenn die Verdünnungsanämie den O2-Transport und die Gewebeoxygenierung beeinträchtigt (Abschn. 2.3) bzw. wenn Thrombozytopenie und reduzierte Aktivität der verschiedenen Komponenten des Gerinnungssystems zu einer klinisch manifesten Blutungsneigung führen. Erst dann ist die differenzierte Anwendung von Blutkomponenten indiziert.

Spezifische Eigenschaften der verschiedenen Blutkomponenten

Erythrozytenkonzentrate

Herstellung
Erythrozytenkonzentrate (EK) werden durch Zentrifugation aus frischem Vollblut eines Einzelspenders hergestellt. Zugelassene EK unterscheiden sich geringfügig im Gehalt an noch verbliebenen Thrombozyten, Plasma und additiver Lösung.
Zur Verfügung stehende Präparate
  • Leukozytendepletiertes EK in Additivlösung: Spezielle Leukozytenfiltration. Restleukozytenzahl <5 × 106 Zellen/EK. Durch den Einsatz von Additivlösung wird der Plasmagehalt stark reduziert. Seit 01.10.2001 „Standard-EK“ zur perioperativen Transfusion.
  • Gewaschenes EK: Entfernung von restlichen Plasmaproteinen und Thrombozyten aus leukozytendepletierten EK durch mehrmaliges Aufschwemmen und Zentrifugieren der Erythrozyten. Indikation bei Patienten mit seltener Antikörperkonstellation.
  • Kryokonserviertes EK: Nach Zusatz eines Gefrierschutzmittels (meist Glyzerin) bei –80 °C tiefgefrorenes EK. Enthält sehr geringe Mengen an Plasma, funktionsfähigen Leukozyten und Thrombozyten. Kann unter geeigneten Bedingungen für bis zu 10 Jahre gelagert werden. Wegen des hohen Aufwands werden kryokonservierte EK seltener Blutgruppen in wenigen nationalen und internationalen Blutbanken in begrenzter Menge vorrätig gehalten.
  • Bestrahlte leukozytendepletierte EK: Abschn. 2.1.
Der Hämatokrit eines Erythrozytenkonzentrats sollte zwischen 50 und 70 %, die Hämolyserate unter 0,8 % der Erythrozytenmasse liegen.
Konservierung und Lagerung
EK werden üblicherweise mit einer Stabilisatorlösung (CPDA-1): (Zitrat, Phosphat, Dextrose, Adenin) versetzt und können so bei +4 ± 2 °C für 35 Tage gelagert werden. Die Natriumzitratlösung dient hierbei als Antikoagulans, der Phosphatpuffer verhindert den zu schnellen Abfall des pH. Dextrose ist der Energielieferant für die Glykolyse der Erythrozyten, Adenin wird zur Produktion von Adenosintriphosphat (ATP) genutzt.
Durch Zusatz spezieller Additive (z. B. SAG-Mannitol, PAGGS-Mannitol) ist eine Verlängerung der Lagerungszeit auf bis zu 49 Tage möglich, bei Zusatz von Glyzerol und anschließender Kryokonservierung (–80 °C) auf bis zu 10 Jahre.
Einfluss von Konservierung und Lagerung
Die Lagerung eines EK führt zu spezifischen, strukturellen und funktionellen Veränderungen der enthaltenen Erythrozyten. Die anaerobe Glykolyse bedingt die Akkumulation von Wasserstoffionen (H+) und den Abfall des pH-Werts innerhalb der Konserve. Die Aktivitätsabnahme der Natrium-Kalium-Pumpe in der Erythrozytenmembran führt zu einem Kaliumverlust der Erythrozyten bei gleichzeitiger intrazellulärer Anreicherung von Natriumionen. Azidose und Hypokaliämie steigern die osmotische Fragilität der Erythrozytenmembran, ersichtlich an einer gesteigerten Hämolyserate bei zunehmenden Lagerungszeiten. Darüber hinaus nimmt die Verformbarkeit der Erythrozytenmembran ab. Das spiegelt sich nach Transfusion in einem ungünstig veränderten Fließverhalten innerhalb der mikrovaskulären Strombahn wider.
Die zunehmend rundlichen und steifen Erythrozyten embolisieren in Arteriolen und Kapillaren und reduzieren so die sog. funktionelle Kapillardichte (Anzahl mit Erythrozyten perfundierter Kapillaren) sowie das regionale O 2 -Angebot. Zudem nimmt mit zunehmender Lagerungsdauer der Konserven der intraerythrozytäre Gehalt an 2,3-Diphosphoglycerat (2,3-DPG) ab (Abb. 9). Folge ist eine gesteigerte O 2 -Affinität des Hämoglobinmoleküls.
Mindestanforderung an die Qualität eines gelagerten EK ist, dass nach der Transfusion 70 % der transfundierten Erythrozyten für mindestens 24 h im Blutkreislauf nachweisbar sind.
Infektionsrisiko
Abschn. 2.1
Indikation zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
Die Indikation zur intraoperativen Transfusion von Erythrozytenkonzentraten wird anhand sog. „Transfusionstrigger“ gestellt. Hierzu zählen Parameter des O2-Transports und der Gewebeoxygenierung (sog. physiologische Transfusionstrigger) sowie die Hb-Konzentration des Patienten (Übersicht in: [37]).
Physiologische Transfusionstrigger
Aus den Erläuterungen der (patho)physiologischen Grenzen einer Verdünnungsanämie (Abschn. 2.3) ergibt sich, dass die Transfusion von Erythrozyten zwingend erst bei extremer Hämodilution und kritischer Reduktion der O2-Transportkapazität des Bluts bzw. beginnender Gewebehypoxie notwendig ist (Abb. 3). Der kritische Abfall des O2-Angebots (DO2) an die Gewebe äußert sich dabei in einem Abfall des Gesamtkörper-O2-Verbrauchs (VO2; Abb. 3). Der Abfall der VO2 kann entweder durch direkte Messung (kontinuierliche Atemgasanalyse und indirekte Kalorimetrie z. B. mit Hilfe eines Deltatrac-Messgeräts) oder durch Berechnung aus arteriellem und gemischtvenösem O2-Gehalt und Herzzeitvolumen (Fick-Prinzip) identifiziert werden (Abb. 10).
Darüber hinaus wird eine Reduktion des Gesamtkörper- bzw. des myokardialen O2-Verbrauchs indirekt durch die in nachfolgender Übersicht aufgelisteten Veränderungen reflektiert [37].
Physiologische Transfusionstrigger
  • Ausgeprägte Tachykardie und Hypotension
  • Anstieg der Gesamtkörper O2-Extraktion (>50 %)
  • Abfall der zentral- bzw. gemischtvenösen Sättigung (<50–60 %)
  • Abfall des zentral- bzw. gemischtvenösen O2-Partialdrucks (<32 mmHg)
  • ST-Streckensenkung >0,1 mV in den EKG-Ableitungen II und/oder V5
  • Regionale Wandbewegungsstörungen in der transösophagealen Echokardiographie (TEE)
  • Laktazidose (Laktat >2 mmol/l)
Grundsätzlich müssen Änderungen von Narkosetiefe sowie eine Hypovolämie als Ursachen der genannten Veränderungen ausgeschlossen bzw. vor endgültiger Indikationsstellung zur Transfusion korrigiert werden.
Eine niedrige Hb-Konzentration stellt per se bei Anwendung des Konzepts der physiologischen Transfusionstrigger keine Indikation zur Transfusion dar.
Wegen der reduzierten kardialen Kompensationsfähigkeit treten die genannten Veränderungen bei kardial vorgeschädigten Patienten (Herzinsuffizienz, KHK) früher, d. h. bei geringerem Hämodilutionsgrad auf als bei Herzgesunden. Der Beginn der Transfusion erfolgt daher in der Regel bei dieser Patientengruppe bereits nach geringeren Blutverlusten. Grundsätzlich gelten jedoch die identischen Transfusionskriterien.
Hämoglobinkonzentration
Folgende Argumente können gegen die Wahl physiologischer Transfusionstrigger als Entscheidungskriterium für die intraoperative Transfusion von Erythrozyten angeführt werden:
  • Das wohl zuverlässigste Verfahren, die kontinuierliche Messung der VO2 mittels indirekter Kalorimetrie, ist technisch und finanziell aufwändig und wird intraoperativ hauptsächlich zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen eingesetzt; zudem kann das Verfahren bei Beatmung mit inspiratorischen O2-Konzentrationen >60 % aus technischen Gründen nicht mehr angewandt werden. Veränderungen der VO2 können daher bei Beatmung des Patienten mit reinem Sauerstoff nicht analysiert werden.
  • Das Platzieren eines Swan-Ganz-Katheters bei jedem elektivchirurgischen Patienten zur Identifikation eines physiologischen Transfusionstriggers erscheint nicht vertretbar. Zudem handelt es sich bei der Berechnung der VO2 nach dem Fick-Prinzip um eine diskontinuierliche Methode, d. h. der Zeitpunkt des VO2-Abfalls kann „verpasst“ werden. Vergleiche von gemessener und berechneter VO2 bei extremer Hämodilution lassen darüber hinaus eine systematische Unterschätzung der tatsächlichen \( \dot{\mathrm{V}} \)O2 durch die Berechnung nach dem Fick-Prinzip vermuten.
  • Tachykardie ist ein Kompensationsmechanismus der Verdünnungsanämie bei extremer Hämodilution und ist anfänglich noch kein Zeichen einer beginnenden Gewebehypoxie. Die Abgrenzung zu einer transfusionsbedürftigen Tachykardie ist somit nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung anderer physiologischer Parameter möglich, die wiederum den Einsatz eines Swan-Ganz-Katheters erfordert.
  • Die Sensitivität von ST-Segmentanalyse im EKG sowie der transösophagealen Echokardiographie (TEE) bei der Identifikation subendokardialer Myokardischämien beträgt 60 % bzw. 80–90 %, d. h. fehlende Veränderungen in EKG und TEE schließen eine Myokardischämie nicht sicher aus.
Da gerade während eines stärkeren, anhaltenden intraoperativen Blutverlusts immer ein Sicherheitsbereich für die Gewebeoxygenierung eingehalten werden sollte, wird ein Patient in dieser Situation nicht routinemäßig bis zum Auftreten von Gewebehypoxie hämodiluiert.
Nach Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften ist bei jungen, gesunden Patienten perioperativ eine Hb-Konzentration von 6 g/dl, bei alten bzw. kardial vorerkrankten Patienten eine Hb-Konzentration von 8–10 g/dl ohne Transfusion tolerabel [8].
Dies sind Hb-Konzentrationen, die intraoperativ ohne die Gefahr einer Gewebehypoxie tolerierbar sind (Normovolämie vorausgesetzt). Die angegebenen Konzentrationen stellen jedoch lediglich Richtwerte dar. Transfusionsbedarf kann daher bereits bei höheren Hb-Konzentrationen bestehen. Andererseits sind bei gesunden Patienten wesentlich niedrigere Konzentrationen (<3 g/dl) ohne Anzeichen von Gewebehypoxie beobachtet worden siehe (Abschn. 2.3).
Durchführung der Transfusion
Jeder geplanten Transfusion muss die Testung der Kompatibilität von Spender- und Empfängerblut durch die Blutbank bzw. durch einen dazu autorisierten Facharzt vorangehen.
Kompatibilitätstestung
  • Bestimmung der Blutgruppe des Empfängers (AB0-, Rhesus-System).
  • Durchführung einer sog. Kreuzblutprobe, d. h. einer „Testtransfusion“ im Reagenzglas (Spender-Erythrozyten + Empfänger-Serum) zum Ausschluss einer Inkompatibilität innerhalb des AB0-, Rhesus-Systems sowie der Kell-, Kidd- und Duffy-Blutgruppensysteme.
  • Spezieller Antikörpersuchtest (Empfänger-Serum + kommerziell angebotene Erythrozyten mit spezifischen Oberflächenantigenen).
Durch alleinige Blutgruppenbestimmung kann bei 99,8 % aller Transfusionen eine Blutgruppeninkompatibilität ausgeschlossen werden, bei zusätzlicher Durchführung von Kreuzprobe und Antikörpersuchtest in 99,95 %. Das Blut für die Kreuzprobe sollte an einem anderen Tag entnommen werden als das Blut für die Blutgruppenbestimmung. Durch den Blutgruppenvergleich in beiden Blutproben kann dann das Risiko einer Patienten- oder Probenverwechslung noch weiter reduziert werden.
Die Kreuzprobe hat ab dem Zeitpunkt der Blutabnahme nur für 72 h Gültigkeit. Bei vortransfundierten Patienten mit Immunisierung gegen Blutgruppenantigene kann eine erneute Transfusion und damit Antigenexposition – trotz fehlendem Antikörpernachweis – zu einer explosionsartigen Immunantwort („Boosterung“) führen.
EK werden AB0-gleich transfundiert. In Notfallsituationen sollte initial Blut der Blutgruppe 0, Rhesus-negativ verabreicht werden. Gleichzeitig wird Blut des Empfängers an die Blutbank gesandt und nach Abschluss der weiteren Austestung (Kreuzblutprobe, Antikörperscreening, blutgruppenkompatibles Blut transfundiert; Tab. 8).
Tab. 8
Mögliche Blutgruppenkombinationen bei der Transfusion von Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten
Blutgruppe des Patienten
Transfusion mit Konserven der Blutgruppe
A
A und 0
B
B und 0
AB
AB, A, B und 0
0
nur 0
Die Transfusion von Rhesus positivem Blut auf Rhesus negative Empfänger sollte nur in Notfallsituationen erwogen werden. In jedem Fall muss eine serologische Untersuchung 2–4 Monate nach Transfusion zur Feststellung evtl. gebildeter Antikörper (Immunisierung) erfolgen. Bei Patientinnen im gebährfähigen Alter kann eine Immunisierung durch Verabreichung von Anti-D-Immunglobulin (300 μg i.v.) verhindert werden.
Nicht sofort benötigtes Blut muss im OP-Bereich kühl und erschütterungsfrei gelagert werden.
Die Kühlkette gilt als unterbrochen, wenn die Temperatur der Konserve auf über 8 °C angestiegen ist. Dies ist bereits nach einer Zwischenlagerung von 15 min bei Raumtemperatur der Fall.
Einmal erwärmtes Blut darf für eine spätere Transfusion nicht mehr gekühlt werden, sondern ist nach Unterbrechung der Kühlkette innerhalb von 6 h zu transfundieren.
Im Operationssaal erfolgt die Transfusion erst nach erneuter AB0-Blutgruppentestung des Empfängers (Bedside-Test). Der Bedside-Test ist unabdingbar von einem Arzt selbst oder unter seiner direkten Aufsicht durchzuführen. Eine Testung der Konserve ist nicht erforderlich.
Cave
Die Unterlassung des Bedside-Tests oder die Unterlassung der Dokumentation des Ergebnisses sind per se ärztliche Kunstfehler.
Jedes EK muss unmittelbar vor der Transfusion vom transfundierenden Arzt einer optischen Qualitätsprüfung unterzogen werden (Unversehrtheit des Blutbeutels, Koagelbildung, Verfärbung, Herstellungs- bzw. Verfallsdatum). Die Transfusion des EK erfolgt über spezielle Transfusionsbestecke (170–200 μm Filter, DIN 58360 TG). Sie muss unter Beachtung von akut auftretenden Nebenwirkungen durch den transfundierenden Arzt eingeleitet werden. Empfohlen wird eine zügige Transfusion von 10 ml des EK gefolgt von einer 5- bis 10-minütigen Beobachtung des Patienten. Alle Blutprodukte müssen – auch bei Abbruch einer Transfusion – mit Konserven-, bzw. Chargennummer sowie der Uhrzeit der Transfusion auf dem Anästhesieprotokoll verzeichnet werden.
Der leere Blutbeutel muss nach erfolgter Transfusion für 24 h bei +4 ± 2 °C aufbewahrt werden. Nicht benötigtes Blut muss der Blutbank ohne Unterbrechung der Kühlkette zurückgegeben werden.
Seit dem 01.10.2001 dürfen nur noch leukozytendepletierte Blutprodukte transfundiert werden. Die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten über spezielle Leukozytenadhäsionsfilter ist seither unnötig.
Effektivität der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
Trotz Zusatz von Additivlösungen (CPDA-1, SAG-Mannitol, PAGGS-Mannitol etc.) führen der Abfall des pH-Werts und der ATP-Konzentration in gelagerten Blutkonserven bereits nach kurzer Zeit (3–5 Tagen) zu morphologischen und funktionellen Veränderungen der Erythrozyten (Bildung von Sphärozyten, reduzierte Verformbarkeit der Erythrozytenmembran, reduziertes 2,3-Diphosphoglycerat, gesteigerte O2-Affinität).
Die Wiederherstellung normaler 2,3-DPG-Konzentrationen und damit physiologischer O2-Transporteigenschaften benötigt nach Transfusion „alter“ EK (>7 Tage) zwischen 24 und 36 h. Es ist davon auszugehen, dass die transfundierten Erythrozyten in dieser Zeit nur unzureichend an der Gewebeoxygenierung teilnehmen. Die mangelnde Effektivität gelagerter Erythrozytenkonzentrate (>15 Tage) bei der Gewebeoxygenierung konnte bereits im Tierexperiment [52] und am Patienten [53] nachgewiesen werden. Neue Daten bringen bei herzchirurgischen Patienten die Transfusion gelagerter EK (>14 Tage) mit erhöhten Komplikationsraten (u. a. Nierenversagen, Sepsis) und erhöhter Letalität in Verbindung [54].
Bei akuter Anämie mit Gewebehypoxie sollte darauf geachtet werden, frische Erythrozytenkonzentrate (Alter <10–15 Tage) zu transfundieren.

Gefrorenes Frischplasma

Herstellung und Lagerung
Gefrorenes Frischplasma (GFP oder „fresh frozen plasma“, FFP) wird aus dem Blut einer Einzelspende durch Zentrifugation gewonnen, separiert, innerhalb der ersten 6–8 h nach Abnahme tiefgefroren (–80 °C) und kann anschließend bei –30 bis –40 °C für 12–24 Monate gelagert werden. Eine Einheit GFP enthält etwa 200–350 ml Plasma einschließlich sämtlicher Gerinnungsfaktoren, Plasmaproteine (Fibrinolyseenzyme, AT, Protein C und S, α2-Makroglobulin, α2-Antiplasmin, Plasminogenaktivatorinhibitor), Blutfette, Mineralien und Spurenelemente. Gerade die im Fall einer größeren Blutung erforderlichen prokoagulatorischen Faktoren (z. B. Fibrinogen, Gerinnungsfaktoren) sind in GFP allerdings nur in subphysiologischer Konzentration enthalten.
Definitionsgemäß ist in 1 ml GFP je eine internationale Einheit aller Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren enthalten. Die tatsächliche Aktivität der in GFP enthaltenen prokoagulatorischen Komponenten ist jedoch subphysiologisch.
Der mittlere Proteingehalt beträgt 60 g/l, die Resterythrozytenzahl <1000/μl, die Restleukozytenzahl <500/μl und die Restthrombozytenzahl <20.000/μl.
Neben GFP sind in Deutschland zugelassen:
  • Solvent-Detergent behandeltes Plasma (SDP): wird aus 500–1600 Einzelspenderplasmen hergestellt und ist nach Ultrafiltration völlig zellfrei.
  • Methylenblau-Licht behandeltes Plasma (MLP): ist Einzelspenderplasma welches mit Methylenblau versetzt und mit Rotlicht (Wellenlänge 590 nm) bestrahlt wird.
  • Lyophilisiertes Humanplasma (LHP): ist Einzelspenderplasma, welches nach Quarantänelagerung und Zellfiltration lyophilisiert wird und erst kurz vor Anwendung aufgelöst wird.
Infektionsrisiko
Die Freigabe von Einzelspenderplasmen seitens der Blutspendedienste erfolgt nach einer derzeit 6-monatigen Quarantänelagerung, wenn bei einer nachfolgenden Blutspende oder Blutprobe die transfusionsrelevanten Infektionsmarker (Hepatitis-B, -C und HIV) weiterhin beim Spender nicht nachweisbar sind (sog. Quarantäneplasma). Durch dieses Vorgehen wird zum einen der potenziellen Gefahr einer manifesten Infektion trotz fehlender Infektionsmarker (sog. Virusreplikationsfenster) Rechnung getragen, zum anderen wird durch die „Doppeltestung“ die Wahrscheinlichkeit eines Testversagens reduziert.
SDP (Poolplasma) wird nach einer kurzen Sperrlagerung vor der Abfüllung in Therapieeinheiten einer Virusinaktivierung mit dem Solvent-Detergent-Verfahren unterzogen. Diese Methode verhindert mit hoher Sicherheit die Übertragung von lipidumhüllten Viren (Hepatitis-B, -C und HIV). Da ein großer Plasmapool durch wenige mit nichtlipidumhüllten Viren (Parvovirus-B-19, Hepatitis-A-Virus) infizierte Blutspender kontaminiert werden kann, setzen die Hersteller zu deren Ausschluss zunehmend molekulargenetische Verfahren zum Nachweis bzw. Ausschluss von Virusgenomen ein. Das Methylenblau-Licht-Verfahren inaktiviert die meisten klinisch relevanten Viren effektiv (Ausnahme Parvovirus-B-19).
Vom infektiologischen Standpunkt kann die Infusion von GFP als „weitgehend sicher“ betrachtet werden. Genaue Zahlen liegen diesbezüglich aber nicht vor.
Indikation zur perioperativen Verabreichung von GFP
Nach den Leitlinien des Vorstands und des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2008 [8] sowie den Praxisleitlinien der ASA-Task-Force [30] bestehen die in der Übersicht dargestellten Indikationen für die perioperative Verabreichung von GFP.
Verabreichung von GFP
  • Indikationen
    • Notfallbehandlung bei klinisch manifester (mikrovaskulärer) Blutungsneigung oder bei akuten Blutungen aufgrund einer komplexen Störung des Hämostasesystems, insbesondere bei schwerem Leberparenchymschaden mit Synthesestörung
    • Verbrauchskoagulopathie (DIC) mit Blutung
    • Verlust oder Verdünnungskoagulopathie bei Patienten mit exzessivem Blutverlust und Massivtransfusion (d. h. Blutaustausch >1 Blutvolumen) + erhöhte klinische Blutungsneigung
    • Substitution bei hereditärem Faktor-V- oder Faktor-XI-Mangel
    • Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, adultes hämolytisch-urämisches Syndrom
  • Keine Indikationen
    • Volumenersatztherapie
    • Albuminsubstitution
    • Ersatz von Gerinnungsfaktoren ohne klinisch manifeste Blutungsneigung oder akute Blutung
Evidenz für die Anwendung von GFP besteht allerdings lediglich im Rahmen einer Massivtransfusion und bei der Behandlung von Patienten mit Marcumar induzierter intrakranieller Blutung [55].
Verabreichung von GFP
Vor der Infusion von GFP ist weder eine Kreuzprobe noch ein Bedside-Test vorgeschrieben. Auch der Rhesusfaktor bleibt bei der Infusion von GFP unberücksichtigt. GFP enthält die Isoagglutinine des AB0-Blutgruppensystems und muss daher blutgruppenkompatibel (AB0-identisch bzw. AB0-verträglich) verabreicht werden. Im Notfall kann ohne vorherige Testung GFP eines Spenders mit der Blutgruppe AB infundiert werden (Tab. 9).
Tab. 9
Mögliche Blutgruppenkombinationen bei der Infusion von gefrorenem Frischplasma (GFP)
Blutgruppe des Patienten
Infusion von Plasma der Blutgruppe
A
A und AB
B
B und AB
AB
nur AB
0
0, A, B, und AB
Die Infusion von GFP sollte innerhalb von 30 min nach Auftauen der Konserve in 37 °C warmem Wasser (GFP-Schüttler) über ein spezielles Transfusionsbesteck (170–200 μm Filter) erfolgen. Die Infusion bei immunsupprimierten Patienten und onkologisch-chirurgischen Eingriffen erfordert keine Anwendung spezieller Leukozytenfilter. Bezüglich der Dokumentation der Anwendung gelten dieselben Richtlinien wie für Erythrozytenkonzentrate.
Dosierung
Die Infusion von einer Einheit GFP (ca. 200–300 ml) erhöht den Quick-Wert des Patienten bestenfalls um ca. 5–6 %. Diese Quick-Wert-Erhöhung pro Einzel-GFP-Transfusion nimmt mit jedem weiteren transfundierten GFP ab (Verdünnungseffekt). Zur Erhöhung des Quick-Werts z. B. von 20 % auf 40 % sind demnach mindestens 8 Einheiten GFP notwendig.
Die Applikation von 1 oder 2 Einheiten GFP – wie so oft vom Operateur zur Verbesserung der Blutgerinnung gefordert – ist als wenig wirksam anzusehen. Insgesamt wird der Einsatz von GFP zur Stabilisierung der Gerinnung im Rahmen schwerer Blutungskomplikationen zunehmend verlassen und durch die zielorientierte Verabreichung von Gerinnungsfaktorenkonzentraten (Fibrinogenkonzentrat, PPSB) ersetzt.

Thrombozytenkonzentrate

Herstellung
Thrombozytenkonzentrate (TK) werden entweder durch Zentrifugation aus frisch entnommenem Vollblut oder durch maschinelle Thrombozytenapherese gewonnen und mit Plasma des Spenders oder additiver Lösung aufgeschwemmt.
Zur Verfügung stehende TK-Präparationen
  • Gepooltes TK: Zusammenführung von 4–6 blutgruppenkompatiblen Einzelspenden. Standard-TK zur perioperativen Transfusion. 240–360 × 109 Thrombozyten in 200–350 ml Plasma oder einer Plasmaersatzlösung.
  • Thrombozytenapherese-TK: 200–400 × 109 Thrombozyten eines Einzelspenders in 200–300 ml stabilisiertem Frischplasma. Enthält meist auch Leukozyten (<1 × 106) und Erythrozyten (<3 × 109).
Lagerung
Einzelspende-TK können in speziell dafür vorgesehenen Einrichtungen bei +22 ± 2 °C und unter ständiger Bewegung („Thrombozytenschaukel“) für bis 5 Tage gelagert werden. Um ein optimales Transfusionsergebnis zu erzielen, ist eine möglichst kurze Lagerungsdauer (12 h nach Herstellung) anzustreben. Frische, nichtaktivierte transfundierte Thrombozyten lassen sich 7–10 Tage im Blut eines gesunden Empfängers nachweisen.
Cave
TK dürfen nicht gekühlt transportiert oder zwischengelagert werden, da dies innerhalb kurzer Zeit zum Funktionsverlust der Thrombozyten führt.
Infektionsrisiko
Für HIV, Hepatitis B und C besteht ein identisches Infektionsrisiko wie bei Erythrozytenkonzentraten. Zusätzlich besteht ein erhöhtes Risiko für HTLV- und bakterielle Infektionen (Lagerung bei Raumtemperatur!). Grundsätzlich ist das Infektionsrisiko bei gepoolten TK höher als bei aus Einzelspenden gewonnenen TK.
Indikationen zur perioperativen Transfusion von TK
Nach den Leitlinien der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2008 [8] sowie den Praxisleitlinien der ASA-Task-Force [30] sollten TK prinzipiell nur bei Thrombozytopenie (Trombozytenzahl <50.000/μl) und gleichzeitig klinisch manifester Blutungsneigung transfundiert werden. Bei neurochirurgischen (intrakraniellen) Operationen sollte eine Thrombozytenzahl >70.000–100.000/μl angestrebt werden.
Die prophylaktische Verabreichung von TK bei notfallmäßig durchzuführenden chirurgischen Eingriffen bleibt speziellen Patientengruppen vorbehalten (primäre oder sekundäre Knochenmarkinsuffizienz, manifeste disseminierte intravasale Gerinnung, iatrogene Inhibition der Thrombozytenfunktion mit Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten, z. B. Abciximab oder Acetylsalicylsäurepräparaten sowie heparininduzierte Thrombopenie). Bei Planung einer Periduralanästhesie wird eine Thrombozytenzahl von >80.000–100.000/μl empfohlen. Für die Spinalanästhesie gilt ein Grenzwert von 50.000/μl. Zentrale Venenkatheter (ZVK) können bei Patienten ohne Blutungsneigung bei einer Thrombozytenzahl bis zu 10.000/μl angelegt werden.
Indikation zur prophylaktischen Thrombozytentransfusion vor chirurgischen Eingriffen
  • Vor kleineren operativen Eingriffen bei vorbestehender thrombozytärer Blutungssymptomatik oder bei Thrombozytenzahlen ≤20.000/μl
  • Vor größeren operativen Eingriffen und Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko bei Thrombozytenzahlen ≤50.000/μl
  • Vor operativen Eingriffen mit sehr hohem Blutungsrisiko bei Thrombozytenzahlen ≤70.000–100.000/μl
Auswahl und Dosierung
Thrombozyten tragen AB0-Blutgruppen-Merkmale auf ihrer Zelloberfläche.
TK müssen demnach unter Berücksichtigung ihrer Kompatibilität im AB0-System ausgewählt werden (Tab. 8). Aufgrund der Kontamination aller TK-Präparate mit Erythrozyten ist auch auf die Rhesus-Kompatibilität der Konserve zu achten.
Bei Rhesus-negativen Frauen im gebärfähigen Alter sollte, wenn die Transfusion von Rhesus-positiven TK unvermeidlich ist, eine Prophylaxe mit Anti-D-Immunglobulin (300 μg i.v.) durchgeführt werden. Bei immunsupprimierten Patienten und onkologisch-chirurgischen Eingriffen sollten leukozytendepletierte TK transfundiert werden.
Die Dosierung einer TK-Transfusion kann nach folgender Formel abgeschätzt werden:
$$ \begin{array}{ll}\mathrm{Dosis}\ \left(\mathrm{Thrombozytenzahl}\right)=&\ \mathrm{gew}\ddot{\mathrm{u}} \mathrm{nschter}\ \mathrm{Anstieg}\ \left(\times \frac{10^9}{\mathrm{l}}\right)\hfill \\ {} \times \mathrm{Blutvolumen}\ \left[\mathrm{l}\right] \times 1,5\hfill \end{array} $$
Beispiel
Gewicht des Patienten: 80 kg (Blutvolumen: 80 kg × 66 ml/kgKG). Aktuelle Thrombozytenzahl 20 × 109/l.
Gewünschter Anstieg: 30 × 109/l.
Dosis = 30 × 109 × 5,3 × 1,5 = 239 × 109 = 24 × 1010. Entsprechend 4–5 50-ml-Einzelspender-TK-Einheiten.
Die Transfusion sollte rasch (innerhalb von 30 min) über ein Standardtransfusionsbesteck (Porengröße 170–200 μm) erfolgen. Bezüglich der Dokumentation der Anwendung gelten dieselben Richtlinien wie für Erythrozytenkonzentrate und GFP.

Prothrombinkomplex (PPSB)

Herstellung
PPSB-Konzentrate enthalten die Proenzyme der Faktoren des Prothrombinkomplexes (Faktor II, VII, IX und X), Protein C, S und Z sowie geringe Mengen an Heparin. In manchen Präparaten ist auch Antithrombin III enthalten.
Cave
Infusion bei Patienten mit heparininduzierter Thrombopenie (HIT)!
Die Faktoren werden aus großen Plasmapools durch Ionenaustauschchromatographie in Kombination mit verschiedenen Fällungsverfahren isoliert. PPSB-Konzentrate sind nur hinsichtlich des Faktor-IX-Gehalts standardisiert, d. h. die Angaben auf den verschiedenen Packungsgrößen 200, 250, 300, 500 und 600 Einheiten beziehen sich lediglich auf Faktor IX. Alle anderen in PPSB enthaltenen Komponenten unterliegen zum Teil erheblichen Schwankungen. Aktivierte Gerinnungsfaktoren und aktiviertes Protein C bzw. Plasmin sind in den heute verfügbaren PPSB-Präparaten nicht mehr enthalten (Ausnahme: FEIBA der Fa. Baxter enthält die Faktoren VII und VIII in aktivierter Form).
Infektionsrisiko
Durch Anwendung spezieller Verfahren zur Virusinaktivierung können PPSB-Präparate heute als weitestgehend sicher bezüglich der Infektion mit umhüllten Viren (z. B. HIV, Hepatitis B und C) sowie mit dem nichtumhüllten Hepatitis-A-Virus betrachtet werden. Für andere nichtumhüllte Viren wie z. B. Parvovirus B19 können die Verfahren zur Virusinaktivierung von nur eingeschränktem Wert sein (Cave: Risiko der fetalen Infektion bei Anwendung während Schwangerschaft).
Lagerung
PPSB ist bei +2 °C bis +8 °C aufzubewahren. Nach Auflösung der Trockensubstanz ist die Lösung sofort zu infundieren.
Indikation zur perioperativen Transfusion von PPSB
Hauptindikation für die präoperative Verabreichung von PPSB ist die rasche und mit geringer Volumenbelastung verbundene Anhebung der Faktoren des Prothrombinkomplexes vor notfallmäßigen chirurgischen Eingriffen bei markumarisierten Patienten. Zunehmend Einzug findet die Verabreichung von PPSB bei der Gerinnungstherapie im Rahmen massiver perioperativer Blutverluste als Ersatz bzw. Ergänzung der Infusion von GFP. Ziel hierbei ist die Anhebung bzw. Konsolidierung des Quick-Werts auf 30–40 % (kleinere Verletzungen oder operative Eingriffe) bzw. auf 60–80 % (schwere Verletzungen oder größere operative Eingriffe).
Dosierung
Als Faustregel für die zu applizierende Initialdosis gilt:
$$ \begin{array}{ll}\mathrm{Initialdosis}\ \left(\mathrm{Einheiten}\right) = & \mathrm{K}\ddot{\mathrm{o}} \mathrm{rpergewicht}\ \left(\mathrm{kg}\right)\ \hfill \\ {} & \times \mathrm{gew}\ddot{\mathrm{u}} \mathrm{nschter}\ \mathrm{Faktorenanstieg}\ \left(\%\right)\hfill \end{array} $$
Die Infusion muss langsam erfolgen. Nach Applikation der Initialdosis sollte jeder weiteren Applikation eine entsprechende Kontrolle der Gerinnungsparameter Quick und PTT vorangehen. Gemäß Transfusionsgesetz besteht für die Applikation von PPSB Dokumentationspflicht.
Akute, unerwünschte Wirkungen
Insgesamt gilt die Verabreichung von PPSB heute als sicher. Insbesondere die Gefahr von Thromboembolien, DIC und hyperfibrinolytische Blutungen – ehemals ausgelöst durch die Infusion aktivierter Gerinnungsfaktoren – ist bei Anwendung moderner Präparate weitestgehend gebannt. Selten werden allergische/anaphylaktoide Reaktionen beim Empfänger beobachtet.

Antithrombin (AT)

Herstellung
Aus großen Plasmapools durch Affinitäts- oder Ionenaustauschchromatographie hergestelltes Konzentrat von humanem Serinproteaseinhibitor. AT ist der wichtigste Inhibitor von Thrombin und Faktor Xa. In geringerem Maße werden auch die aktivierten Gerinnungsfaktoren VII, IX, XI und XII sowie Kallikrein, Plasmin und die C1-Esterase des Komplementsystems gehemmt. Die Inaktivierung der Gerinnungsfaktoren durch AT ist ein langsamer Prozess, der durch Heparin beschleunigt wird.
Infektionsrisiko
Durch spezielle Verfahren zur Virusinaktivierung kann AT heute als sicher bezüglich der Infektion mit HIV, Hepatitis B und C betrachtet werden.
Lagerung
AT kann als Trockensubstanz bei +2 °C bis +8 °C über Monate gelagert werden. Die Substanz muss nach Aufschwemmen mit Lösungsmittel sofort appliziert werden. Geläufige Packungsgrößen sind 500 und 1000 IE.
Indikation zur perioperativen Applikation von AT
Die wichtigste Indikation für die perioperative Verabreichung von AT ist die Verbesserung der Heparinantikoagulation:
  • bei erhöhter Thromboembolieneigung (z. B. chronischer Leberparenchymschaden, nephrotisches Syndrom),
  • dissiminierte intravasale Gerinnung (DIC) in Ergänzung zu GFP. Der Nachweis einer Reduktion der Letalität durch fehlt allerdings bislang,
  • hereditärer AT-Mangel.
Gemäß Transfusionsgesetz besteht für die Applikation von AT Dokumentationspflicht.
Dosierung
Als Faustregel gilt:
$$ 1\ \mathrm{Einheit}\ \frac{\mathrm{AT}}{\mathrm{kgKG}}\ \mathrm{hebt}\ \mathrm{die}\ \mathrm{A}\mathrm{T}-\mathrm{Aktivit}\ddot{\mathrm{a}} \mathrm{t}\ \mathrm{u}\mathrm{m}\ 1\hbox{--} 2\%\ \mathrm{an} $$
Bei entsprechender Indikation ist eine Anhebung der AT-Aktivität auf mindestens 80 % sinnvoll.
Akute Nebenwirkungen
Selten wurden anaphylaktoide Reaktionen nach AT-Applikation beobachtet.

Fibrinogenkonzentrat

Herstellung
Aus großen Plasmapools hergestelltes Konzentrat. Fibrinogen ist Substrat der plasmatischen Blutgerinnung und wesentlicher Ligand bei der Aktivierung und Aggregation von Thrombozyten. Daneben gehört Fibrinogen zu den Akut-Phase-Proteinen und steigt bei Infektionen in kurzer Zeit auf ein Vielfaches seines Normalwertes (1,5–4 g/l) an.
Infektionsrisiko
In Analogie zu PPSB kann Fibrinogenkonzentrat als weitestgehend sicher bezüglich der Infektion mit HIV, Hepatitis A, B und C betrachtet werden. Ein Restrisiko für eine Übertragung nichtumhüllte Viren wie z. B. Parvovirus B19 besteht. Fibrinogenkonzentrat sollte daher bei Schwangeren nicht eingesetzt werden.
Lagerung
Fibrinogenkonzentrat kann als Trockensubstanz bei +2 °C bis +8 °C über Jahre gelagert werden. Die Substanz muss nach Aufschwemmen mit Lösungsmittel sofort appliziert werden. Geläufige Packungsgrößen sind 1 g bzw. 2 g Fibrinogenkonzentrat.
Indikation zur perioperativen Applikation von Fibrinogenkonzentrat
Im Gegensatz zur Aktivität der Faktoren des Prothrombinkomplexes und der Thrombozytenzahl fällt die Serumfibrinogenkonzentration im Rahmen der Infusionstherapie eines massiven Blutverlusts bereits sehr früh verdünnungsbedingt ab. Ein ausreichendes Angebot an Fibrinogen ist allerdings für die Bildung stabiler Gerinnsel unerlässlich (Fibrin = „Kit im Clot“). Da ein adäquates Angebot durch die Infusion von GFP allein nicht realisierbar ist, kann bei massiven Blutverlusten und der Ausbildung einer diffusen Blutungsneigung (Verlust-, bzw. Verdünnungskoagulopathie) die Applikation eines Fibrinogenkonzentrates sinnvoll sein. Die Serumfibrinogenkonzentration sollte dann >1,5–2 g/l gehalten werden, was in der Regel die Verabreichung von 2–4 g Fibrinogenkonzentrat erfordert. Gemäß Transfusionsgesetz besteht für die Applikation von Fibrinogenkonzentrat Dokumentationspflicht.
Kontraindikationen
Bei disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC) kann die Infusion von Fibrinogenkonzentrat zu einer Zunahme der Mikrozirkulationsstörung und des Organversagens führen.
Dosierung
Faustregel:
$$ \begin{array}{ll}\mathrm{Fibrinogendosis}\ \left(\mathrm{g}\right) = &\ \mathrm{erw}\ddot{\mathrm{u}} \mathrm{nschter}\ \mathrm{Anstieg}\ \left(\mathrm{g}/\mathrm{l}\right)\ \hfill \\ {} \times \mathrm{Plasmavolumen}\ \left(\mathrm{l}\right)\hfill \end{array} $$
Cave
In mit Kolloiden versetztem Plasma werden mit den üblichen Analysegeräten falsch hohe Fibrinogenkonzentrationen bestimmt. Im Rahmen von massiven Blutungen sollte die Fibrinogenkonzentration direkt mit der Methode nach Clauss bestimmt werden.

Rekombinanter Faktor VIIa (rFVIIa)

Herstellung
Rekombinanter Faktor VII wird unter Verwendung einer Nierenzellreihe von Baby-Hamstern hergestellt. Durch hydrolytische Spaltung des Proteins entsteht aktivierter Faktor VII . Das rFVIIa-Konzentrat enthält keine anderen aktivierten Gerinnungsfaktoren.
Infektionsrisiko
Durch spezielle Verfahren zur Virusinaktivierung kann rFVIIa-Konzentrat als sicher bezüglich der Infektion mit HIV, Hepatitis B und C betrachtet werden.
Lagerung
rFVIIa-Konzentrat kann als Trockensubstanz bei +2 °C bis +8 °C für 3 Jahre gelagert werden. Die Substanz muss nach Aufschwemmen mit Lösungsmittel sofort appliziert werden. Nicht sofort benötigter, aufgeschwemmter rFVIIa kann bei 2–8 °C 24 h gelagert werden. Geläufige Packungsgrößen sind 1,2 mg, 2,4 mg und 4,8 mg rFVIIa-Konzentrat.
Indikation zur perioperativen Applikation von rFVIIa-Konzentrat
Die Applikation von rFVIIa-Konzentrat ist in der BRD zugelassen für die Behandlung bzw. Prävention von Blutungen bei Patienten mit angeborener und erworbener Hemmkörperhämophilie, Thrombasthenie Glanzmann und angeborenem Faktor-VII-Mangel. Gemäß Transfusionsgesetz besteht für die Applikation von rFVIIa Dokumentationspflicht.
Die Anwendung im Rahmen massiver Blutverluste mit therapierefraktärer mikrovaskulärer Blutungsneigung entspricht einer Anwendung außerhalb zugelassener Indikationen (sog. „off-label-use“).
Zwar wurden in einzelnen Fallberichten spektakuläre Erfolge einer Therapie mit rFVIIa-Konzentrat bei der Blutungskontrolle berichtet. Kontrollierte Daten bezüglich einer Verbesserung des Überlebens fehlen bislang. Ebenso ist der optimale Zeitpunkt für die Applikation von rFVIIa bei massiven Blutverlusten unklar. Die Applikation erfolgt aber – nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten des Präparats – häufig spät, d. h. als „Ultima-ratio“-Therapie nach erfolgloser Ausschöpfung aller sonst vorhandenen Möglichkeiten.
Die erfolgversprechende Verabreichung von rFVIIa-Konzentrat erfordert folgende minimale Rahmenbedingungen: Kontrolle chirurgischer Blutungsquellen, Körpertemperatur >35 °C, Fibrinogenkonzentration >1,5 g/l, Thrombozytenzahl ≥50.000/μl, pH-Wert ≥7,2, ionisiertes Kalzium ≥0,9 mmol/l.
Kontraindikationen
Faktor VIIa führt über Komplexbildung mit dem in tiefen Gefäßwandschichten lokalisierten Gewebefaktor zu einer Aktivierung von Faktor X und wirkt hauptsächlich am Ort eines Gefäß- bzw. Gewebeschadens. Bei blutenden Patienten mit bekannten Thrombosen, koronarer Herzerkrankung oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit ist die Applikation von rFVIIa-Konzentrat kritisch abzuwägen.
Dosierung
Die optimale Dosierung von rFVIIa-Konzentrat ist bis dato unklar. Empfohlen wird eine Initialdosis von 90–120 μg/kgKG.

Faktor-VIII-, Faktor-VIII-/v.-Willebrand-Faktor und Faktor-IX-Konzentrat

Herstellung
Konzentrate der Faktoren VIII, VIII/v.-Willebrand-Faktor und IX werden aus Kryopräzipitaten – z. T. auch gentechnisch – hergestellt. Der Reinheitsgrad eines Faktorenkonzentrats wird als „spezifische Aktivität“ angegeben (Einheiten des wirksamen Faktors pro mg Gesamtprotein).
Infektionsrisiko
Durch Anwendung spezieller virusinaktivierender Verfahren gelten Faktorenkonzentrate heute als sicher bezüglich der Infektion mit HIV, Hepatitis B und C.
Lagerung
Faktorenkonzentrate können bei +4 °C bis +8 °C über Monate gelagert werden. Die gebrauchsfertige Lösung sollte sofort infundiert werden.
Indikationen zur perioperativen Anwendung
  • Faktor-VIII-Konzentrat: schwere (Faktor-VIII-Restaktivität <2 %) oder mittelschwere (Faktor-VIII-Restaktivität 2–5 %) Hämophilie A.
  • Faktor-VIII-/v.-Willebrand-Faktor: v.-Willebrand-Syndrom Typ II und III (funktionsgestörter oder fehlender vWF).
  • Faktor-IX-Konzentrat: schwere und mittelschwere Hämophilie B.
Bei milder Hämophilie A (Faktor-VIII-Restaktivität 15–50 %) sowie bei v.-Willebrand-Syndrom Typ I (Restaktivität 10–40 %) können die entsprechenden Faktoren durch das Vasopressinanalogon Desmopressin (DDAVP; oben) aus körpereigenen Speichern freigesetzt und dadurch deren Plasmakonzentrationen bis auf das 3-fache gesteigert werden.
Gemäß Transfusionsgesetz besteht für die Applikation der genannten Faktorenkonzentrate Dokumentationspflicht.
Dosierung
Als Faustregel für die Applikation von Faktor VIII, VIII/vWF und IX gilt:
  • die Verabreichung von 1 Einheit pro kgKG führt zum Anstieg des jeweiligen Faktors im Plasma um 1 %.
  • Vor Operationen mit großen Wundflächen und hoher Blutungsgefahr (einschließlich Tonsillektomie) sollten bei Risikopatienten 50–80 E/kgKG verabreicht werden;
  • vor Operationen mit kleinen Wundflächen 25–40 E/kgKG.
Akute, unerwünschte Wirkungen
Selten wurden nach Verabreichung der verschiedenen Faktorenkonzentrate anaphylaktoide Reaktionen oder eine Ausbildung von Antikörpern gegen die zugeführten Gerinnungsfaktoren (sog. Hemmkörperhämophilie) beobachtet.

Massivtransfusion

Definition
Werden innerhalb von 24 h Blut und Blutkomponenten in der Größenordnung eines Blutvolumens des Patienten transfundiert, spricht man von einer Massivtransfusion.
Ursache sind häufig große chirurgische Eingriffe bei bereits präoperativ pathologisch verändertem Gerinnungsstatus (z. B. Leberchirurgie, Polytrauma, Gestose bzw. HELLP-Syndrom). Folgende Probleme sind beim Umsatz von derart umfangreichen Transfusionsvolumina zu berücksichtigen.
Unerwünschte Wirkungen
Abfall der Körpertemperatur
Die Transfusion ungewärmter Blutkonserven mit einer Temperatur von 4 °C führt unweigerlich zu einem raschen Abfall der Körperkerntemperatur. Dadurch verschlechtert sich zum einen die Gerinnungssituation weiter, zum anderen steigt das Risiko maligner Herzrhythmusstörungen (<30 °C).
Bei Massivtransfusionen ist daher das Anwärmen der Blutkomponenten zwingend notwendig.
Verschlechterung der Blutgerinnung
Eine Verschlechterung der Blutgerinnung („diffuse“ Blutungsneigung) während Massivtransfusionen ist häufig Ausdruck der Verdünnung von Fibrinogen, Faktor V und VIII sowie Thrombozyten.
Aus ungeklärten Gründen tritt eine hämorrhagische Diathese bei akuter Entwicklung einer Thrombopenie bei höheren Thrombozytenzahlen auf als bei langsamer Entwicklung.
Initial kann die Verabreichung von Fibrinogenkonzentrat (2–4 g, Zielserumkonzentration von Fibrinogen >150 mg/dl) sinnvoll sein. Die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten und GFP/PPBS wird bei einer Thrombozytenzahl von 50.000/μl bzw. einem Quick-Wert von 30–40 % empfohlen. Bei extremen Blutverlusten sollten EK und GFP im Verhältnis 1:1 bis 1:2 transfundiert werden.
Weitere Ursachen einer Verschlechterung der Blutgerinnung während Massivtransfusion sind:
  • Verbrauchskoagulopathie im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC), ausgelöst durch die Freisetzung von Gewebsthromboplastin aus minderperfundierten, hypoxischen Gewebearealen.
  • Hämolytische Transfusionsreaktion bei Transfusion blutgruppeninkompatiblen Bluts.
Zitratintoxikation
Während einer Massivtransfusion mit CPDA-1-stabilisierten EK und GFP werden dem Patienten erhebliche Mengen Natriumzitrat als Bestandteil der Additivlösung infundiert. Natriumzitrat bindet ionisiertes Kalzium. Bei Infusion von mehr als 150 ml Blut/min kann bei einem 70 kg schweren Mann eine Hypokalzämie mit Hypotonie, gesteigertem zentralen Venendruck und EKG-Veränderungen (Verlängerung der QT-Zeit) resultieren. Aufgrund des raschen, hepatischen Abbaus des infundierten Zitrats zu Bikarbonat und sofortiger Freisetzung von Kalzium aus endogenen Speichern ist eine Kalziumgabe (z. B. 10 ml Ca-Glukonat 10 % pro 1000 ml EK bzw. GFP langsam i.v.) nur selten bei gleichzeitig bestehenden Leberfunktionsstörungen notwendig.
Bei Transfusion von SAG-Mannitol bzw. PAGGS-Mannitol stabilisierten EK besteht keine Gefahr einer Hypokalzämie.
Hyperkaliämie
Drei Wochen und länger gelagerte Blutkonserven enthalten Kalium in Konzentrationen zwischen 19 und 30 mmol/l. Bei Infusion von mehr als 120 ml Blut/min kann bei einem 70 kg schweren Mann eine Hyperkaliämie mit typischen EKG-Veränderungen (hohe, spitze T-Welle) resultieren. Die EKG-Veränderungen sind in der Regel nach Gabe von Kalziumchlorid (z. B. 10 ml CaCl2 0,5 mmol/ml langsam i.v.) reversibel.
pH-Verschiebungen
Die Lagerung von Erythrozytenkonzentraten führt zu einer Ansäuerung des Inhalts aufgrund der kontinuierlichen Produktion von Laktat (Glykolyse in Erythrozyten) und CO2. Der pH-Wert eines 3 Wochen alten EK liegt bei 6,9, der pCO2 bei 150–220 mmHg. Aufgrund der hepatischen Metabolisierung des gleichzeitig infundierten Natriumzitrates zu Bikarbonat führt eine Massivtransfusion jedoch eher zu einer metabolischen Alkalose als zu einer metabolischen Azidose.
Gewebehypoxie
Wie bereits weiter oben erwähnt, sinken mit zunehmender Lagerungsdauer von Erythrozytenkonzentraten die Verformbarkeit der Erythrozytenmembran sowie der intraerythrozytäre Gehalt an 2,3-DPG. Folge ist ein ungünstig verändertes Fließverhalten der transfundierten Erythrozyten in der mikrovaskulären Strombahn (Erythrozytenstase, Gewebehypoperfusion) und eine schlechtere Abgabe des an Hämoglobin angelagerten Sauerstoffs an die Gewebe (Abnahme des p50-Werts).
Bei Massivtransfusionen sollte daher bevorzugt Blut transfundiert werden, das nicht älter als 15 Tage ist.

Künstliche O2-Träger

Die zu erwartende Kostenexplosion im Transfusionswesen – zum einen bedingt durch Spendermangel, zum anderen durch die Behandlungspflicht transfusionsassoziierter Folgeerkrankungen (chronische Hepatitis, Leberzirrhose, Wundinfektion, Tumorrezidiv) – lässt erkennen, welch enormer sozioökonomischer Stellenwert der Entwicklung von synthetisch hergestellten „Blutersatzstoffen“ zukommt (Tab. 10). Bei entsprechender industrieller Massenproduktion könnte die Bereitstellung und Verabreichung derartiger Substanzen unabhängig vom Spendeverhalten der Bevölkerung werden; die besonders kostenbelastenden infektiologischen und immunologischen (AB0-Kompatibilität!) Kontrolluntersuchungen würden entfallen.
Tab. 10
Künstliche O2-Träger: Stand der klinischen Forschung
O2-Träger
Hersteller
Ursprung, Konzentration
Indikation
Klinische Prüfphase
Präparatname
Pyridoxiliertes, Polyoxyethylenglykol-konjugiertes Hb
Curacyte Health Sciences, BRD (ehemals Apex Bioscience Inc.)
Humanes Hb 8 g/dl
Kreislaufstabilisierung im septischen Schock
III
PHP
Diaspirin-gekoppeltes Hb
Baxter Healthcare Corp., USA
Humanes Hb 10 g/dl
Perioperative Reduktion von Fremdbluttransfusion
bis III, dann abgebrochen
HemAssist
Glutaraldehyd-polymerisiertes Hb
Biopure Corp., USA
Rinder-Hb 13 g/dl
Reduktion von Fremdbluttransfusion PTCA
III
Hemopure
Polyoxyethylenglykol‐konjugiertes Hb
Enzon Corp., USA
Rinder-Hb 6 g/dl
Steigerung der Radiosensitivität von Tumoren
I/II, dann abgebrochen
O-Raffinose-polymerisiertes Hb
Hemosol Inc., Kanada
Humanes Hb 10 g/dl
Reduktion von Fremdbluttransfusion
bis III, dann abgebrochen
Hemolink
Pyridoxiliertes, Glutaraldehyd-polymerisiertes Hb
Northfield Lab. Inc., USA
Humanes Hb 10 g/dl
Reduktion von Fremdbluttransfusion
bis III, dann abgebrochen
Polyhem
Polyoxyethylenglykol‐konjugiertes Hb
Sangart Corp., USA
Humanes Hb 4 g/dl
Reduktion von Fremdbluttransfusion
III
Hemospan
Rekombinantes Hb
Baxter Healthcare Corp., USA
E. coli 5–10 g/dl
Reduktion von Fremdbluttransfusion
I/II, dann abgebrochen
rHb-1.1, rHb-2.0
Perfluorooctylbromid
Alliance Pharmaceutical Corp., USA
Synthetisch 60 % (Gew./Vol.)
Reduktion von Fremdbluttransfusion
III, derzeit unterbrochen
Oxygent
Perfluorodichlorooctan
HemaGen Inc., USA
Synthetisch 40 % (Gew./Vol.)
Reduktion von Gas‐embolie während HLM
I, derzeit unterbrochen
OxyFluor
Perfluorodecaline/-paramethylcyclohexilpiperidine
Perftoran Corp.,Russland
Synthetisch 10 % (Gew./Vol.)
Reduktion von Fremdbluttransfusion
Seit 1996 in Russland zugelassen
Perftoran
Vermutlich wird eine künstlich hergestellte Infusionslösung niemals sämtliche physiologische Funktionen von Vollblut übernehmen können; daher wird vordringlich versucht, die O2-Transportfunktion der Erythrozyten zu ersetzen.
In den letzten 20 Jahren wurden zwei Substanzgruppen im Tierexperiment und in klinischen Studien auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei schwerer, transfusionsbedürftiger Anämie untersucht:
  • Lösungen auf der Basis von isoliertem Hämoglobin (sog. „hemoglobin based oxygen carriers“, HBOC) und
  • Perfluorokarbone (PFC; ausführliche Übersicht in [56]).
Infusionslösungen auf der Basis von isoliertem menschlichem und tierischem (bovinem) Hämoglobin wurden für den 1:1-Ersatz eines Blutverlusts konzipiert und zeigten in einzelnen Fallberichten auch ihre Effektivität bei der Therapie einer anämischen Hypoxie. Allerdings weisen HBOC neben ihrer Fähigkeit zum O2-Transport eine derzeit noch schwer kontrollierbare vasokonstriktorische Potenz auf, deren Bedeutung für Organperfusion und -funktion bislang nicht vollständig geklärt ist. Dennoch erhielt die Rinderhämoglobinlösung Hemopure (Biopure Inc., Cambridge, USA) als bisher einziger Vertreter dieser Lösungen im April 2001 die Zulassung in Südafrika.
Perfluorokarbon (PFC)-Emulsionen werden rein synthetisch hergestellt und erhöhen die Löslichkeit von Sauerstoff in Plasma. Immunsuppressive Effekte bei Hochdosisapplikation sowie die fehlende onkotische Eigenschaft verbieten den 1:1-Ersatz von Blutverlusten durch PFC. Als Supplement bei normovolämischer Hämodilution und Hyperoxie, konnte die niedrig dosierte Bolusanwendung der PFC-Emulsion Oxygent (Alliance Pharmaceutical Corp., San Diego, USA) die intraoperative Anämietoleranz steigern. 1996 wurde in Russland Perftoran 10 % (Perftoran Corp., Pushchino, Rußland) für den perioperativen Einsatz bei Patienten zugelassen.

Perioperatives Management bei Zeugen Jehovas

Selbst vor großen Operationen mit statistisch belegtem Transfusionsbedarf wird ein gläubiger Zeuge Jehovas seine behandelnden Ärzte auf seine Ablehnung von Frembluttransfusionen (allogene Erythrozyten, Plasma, Thrombozyten) hinweisen – auch für den Fall der Entwicklung einer letalen Anämie. Bei Abschluss eines Behandlungsvertrages muss der Wunsch des volljährigen Patienten respektiert und ein Weg gesucht werden, ihm eine therapeutische Option bei kalkulierbarem Risiko zu eröffnen. Hauptziel ist hierbei, den „point of no return“ einer sich entwickelnden Anämie bzw. Koagulopathie niemals zu erreichen (Übersicht in: [57]).
Präoperativ stehen die Optimierung des kardiopulmonalen Zustands des Patienten sowie die Diagnose und Korrektur einer Anämie oder Gerinnungsstörung im Vordergrund. Gerinnungswirksame Pharmaka sollten mit ausreichendem zeitlichem Abstand zur Operation abgesetzt werden. Entscheidend ist das Einholen einer detaillierten schriftlichen Einwilligung des Zeugen Jehovas in blutverlustreduzierende und fremdblutvermeidende Verfahren (Tab. 11). Während die klassische präoperative Eigenblutspende abgelehnt wird, werden eine akute normovolämische Hämodilution (ANH) und die maschinelle Autotransfusion (MAT) bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen (geschlossener Kreislauf zwischen Patient, Schlauchsystem und Sammelbeutel) akzeptiert. Gentechnisch hergestellte Präparate wie Erythropoetin und rekombinanter Faktor VIIa werden grundsätzlich akzeptiert, bei Humanalbuminpräparaten, Gerinnungsfaktorenkonzentrate (PPSB, Fibrinogen, Faktor XIII) und AT III kann sich der Zeuge Jehovas individuell nach seinem Gewissen entscheiden. Bei Unsicherheit des Patienten ist die Einschaltung des regionalen Krankenhausverbindungskomitees äußerst hilfreich.
Tab. 11
Akzeptanz und Ablehnung fremdblutvermeidender Maßnahmen durch Zeugen Jehovas
Verfahren
Akzeptanz durch Zeugen Jehovas
Präoperative Eigenblutspende
nein
Akute normovolämischeHämodilution (ANH)
(ja) Voraussetzung: geschlossenes System
Maschinelle Autotransfusion (MAT)
(ja) Voraussetzung: geschlossenes System
Bestrahlung von MAT-Blut
(ja) Individuelle Entscheidung
Rekombinantes humanesErythropoeitin (rHuEPO)
ja
Fibrinogenkonzentrat, PPSB, Faktor-XIII-Konzentrat
(ja) Individuelle Entscheidung
Rekombinanter humaner Faktor VIIa
ja
Antifibrinolytika, Desmopressin
ja
Hämoglobinlösungen (human/bovin)
(ja) Individuelle Entscheidung
Perfluorokarbonemulsionen
(ja) Individuelle Entscheidung
Intraoperativ sollten Maßnahmen zur Minimierung des Blutverlusts konsequent zum Einsatz kommen (blutungsarmes Operieren, Lagerung des Operationsgebiets über Herzhöhe, Bevorzugung von Regionalanästhesie und TIVA, Aufrechterhaltung von Normothermie und physiologischem pH-Wert, ZVD-Management, kontrollierte Hypotension, Auswahl möglichst gerinnungsinerter Infusionslösungen, bei beginnender diffuser Blutungsneigung frühzeitige Applikation von Fibrinogenkonzentrat, PPSB, Antifibrinolytika, Desmopressin, Faktor-XIII- und evtl. Faktor-VIIa-Konzentrat). Im Falle unvorhergesehener Blutverluste und der Entwicklung einer potenziell lebensbedrohlichen Anämie kann die Anämietoleranz des Patienten durch verschiedene Maßnahmen akut gesteigert werden (Aufrechterhaltung von Normovolämie, hyperoxische Beatmung, kontinuierliche Applikation von Noradrenalin, adäquate Narkosetiefe, komplette Muskelrelaxierung). Hierdurch kann Zeit bis zur chirurgische Kontrolle der Blutung gewonnen werden.
Bei schwerer postoperativer Anämie sollten die genannten Maßnahmen auf der Intensivstation fortgesetzt werden. In speziellen Fällen kann die Anämietoleranz zusätzlich durch die Induktion von Hypothermie gesteigert werden. Künstliche O2-Träger als Alternative zur Erythrozytentransfusion stehen in der BRD nicht zur Verfügung, können aber theoretisch aus Südafrika (Hemopure) und Russland (Perftoran) bezogen werden.
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