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Die Anästhesiologie
Info
Verfasst von:
Georg Laux
Publiziert am: 26.12.2017

Intubation bei Aspirationsrisiko

Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko stellen eine besondere Herausforderung bei der Intubation und Extubation dar. Das praktische Vorgehen wird in diesem Kapitel ebenso dargestellt wie die Risiken und Therapieoptionen nach Aspiration.

Einleitung bei Aspirationsrisiko

Video 1
Bei Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko (Kap. „Prä- und perioperative Aspirationsprophylaxe“) wird eine Einleitungssequenz mit schneller Intubation durchgeführt („rapid sequence induction“, Crash-Einleitung) [1].
Zwischenbeatmung mit der Maske und alle Allgemeinanästhesien ohne dichten Abschluss der Trachea (Maske, Larynxmaske, Spontanatmung ohne Schutz der Atemwege) sind kontraindiziert.
Die „rapid sequence induction“ ist immer eine i. v.-Einleitung.
Wegen ihrer kurzen Anschlagszeit werden Succinylcholin oder Rocuronium zur Muskelrelaxation benutzt.
Der Trachealtubus wird häufig mit einem Mandrin versehen und Ersatztuben, größer und kleiner, werden bereitgelegt. In jedem Fall sollte ein Mandrin bereit liegen, falls dieser benötigt wird. Ein leistungsstarker Sauger (dick, mit starkem Sog!) befindet sich eingeschaltet neben dem Kopf des Patienten. Eine 10-ml-Blockerspritze liegt bereit.
Durchführung der Einleitung bei Aspirationsrisiko
  • Patienten in der Längsachse 30° hoch oder tief lagern
  • Bei Vorliegen eines Ileus, Subileus, oberer gastrointestinaler Obstruktion oder Mageninhalt bei verzögerter Magenentleerung (Nachweis mittels Ultraschall) konstringierende Nasentropfen in die Nase geben, mit Lidocain-Spray 10 % Nase und Rachenhinterwand einsprühen und nasale Magensonde legen; Magen entleeren und Magensonde entfernen
  • Präoxygenierung über 4 min
  • Opiat und ggf. Präkurarisierung i. v. applizieren (auch Muskelfaszikulationen durch Succinylcholin erhöhen das Risiko der Aspiration)
  • Induktionshypnotikum i. v. applizieren
  • Unmittelbar anschließend Succinylcholin 1,0–1,5 mg/kgKG i. v. oder Rocuroniumbromid 0,9 mg/kgKG i. v. applizieren
  • Gfs. Krikoiddruck nach Bewusstseinsverlust durchführen
  • Keine Zwischenbeatmung durchführen
  • 45–60 s nach Succinylcholin bzw. 60–90 s nach Rocuronium: zügige Intubation und Cuff sofort blocken
  • Beatmung, Tubuslagekontrolle, Fixierung durchführen
  • Neue Magensonde legen

Lagerung

Eine Lagerung mit 30° erhöhtem Oberkörper reduziert die Häufigkeit von Regurgitation [2]. Eine Lagerung in Kopftieflage als Einleitungsposition hat den Vorteil, dass bei Regurgitation der Larynx über dem Mageninhalt steht [3]. Nachteilig ist, dass Regurgitation in Kopftieflage häufiger stattfindet, die Intubation schwieriger ist und die Lage von Patienten mit abdomineller Symptomatik schlecht toleriert wird.

Präoxygenierung

Eine ausreichende Präoxygenierung ist unverzichtbar, damit in der Apnoephase, in der man auf die Wirkung des Muskelrelaxans wartet, keine Hypoxie auftritt.
Ist eine Maskenventilation wegen Intubationsschwierigkeiten unvermeidbar, sollen möglichst niedrige Beatmungsdrücke und kleine Tidalvolumina zur Anwendung kommen.

Opiate

Opiate werden in reduzierter Dosis verabreicht. Es ist darauf zu achten, dass Kooperation und Schutzreflexe nicht vorzeitig unterdrückt werden.

Muskelrelaxation

Die Präkurarisierung reduziert die Succinylcholin bedingte Muskelfaszikulation. Die Erhöhung des intraabdominellen Drucks durch Bauchdeckenkontraktionen bleibt aus. Gleichzeitig mit dem intraabdominellen Druck erhöht Succinylcholin aber auch den Ösophagusverschlussdruck, sodass der Nettoeffekt umstritten ist [4]. Präkurarisierung reduziert die Wirkung von depolarisierenden Muskelrelaxanzien. Die Dosis von Succinylcholin muss deshalb im höheren Dosisbereich, d. h mit 1,5 mg/kgKG berechnet werden. Aus den genannten Gründen ist die Präkurarisierung nicht obligat und wird kontrovers beurteilt [4] (Tab. 1).
Tab. 1
Dosierung von Muskelrelaxanzien zur Präkurarisierung
Muskelrelaxans
Präkurarisierungsdosis [mg/kgKG]
Vecuronium
0,01
Rocuronium
0,06
Atracurium
0,05
Cisatracurium
0,01
Pancuronium
0,01
Succinylcholin ist wegen seiner schnellen Anschlagzeit (0,5–1 min) und kurzen Wirkdauer immer noch das Medikament der Wahl für die „rapid sequence induction“ [5].
Die Alternative ist Rocuronium (Anschlagzeit 1,2–1,5 min). In hoher Dosierung (2- bis 3-fache ED95: 0,6–0,9 mg/kgKG i. v.) ist ein rasches Anschlagen gewährleistet, die Wirkdauer jedoch verlängert (40–90 min). Durch die Einführung des spezifischen Antagonisten für Rocuronium, Sugammadex, könnte aber in absehbarer Zeit eine Neubewertung erfolgen. Die muskelrelaxierende Wirkung von Rocuronium kann sogar nach hohen Intubationsdosen (1,2 mg/kgKG) innerhalb von 90 s mit 16 mg/kgKG Sugammadex aufgehoben werden. Damit steht erstmals eine Alternative eines schnell wirkenden Relaxans mit bedingter kürzerer Wirkdauer als Succinylcholin zur Verfügung [1, 6].

Krikoiddruck nach Sellick

Krikoiddruck nach Sellick ist eine Maßnahme gegen Regurgitation (Kap. „Endotracheale Intubation“). Richtig appliziert ist ein Verschlussdruck bis 100 mbar (10 kPa) zu erreichen [7]. Der Ringknorpel wird mit Daumen und Zeigefinger gefasst und gegen die Pharynxhinterwand gedrückt. Dabei wird Lumen des Hypopharynx komprimiert [1]. Druck auf den Schildknorpel oder den gesamtem Kehlkopf ist nicht effektiv und erschwert die Intubation. In der letzten Zeit ist zunehmend Kritik am Krikoiddruck geäußert worden, da letztlich kontroverse Ergebnisse bzgl. der Effektivität des Krikoiddrucks beschrieben wurden [8]. Trotz breiter Anwendung und scheinbar einleuchtender Mechanik [9], gibt es, abgesehen von der Erstbeschreibung, wenig Belege für die Effizienz dieser Maßnahme [10], allerdings auch kaum belegte Widersprüche. Unsachgemäß ausgeführt (unspezifischer Kehlknopfdruck) ist er eher hinderlich für die Intubation. Jedoch kann dieses Fehlmanöver, durch Anweisung des Intubierenden, schnell behoben werden und der Kehlkopf in eine, für dir Intubation günstige Position, geschoben werden.
Cave
Zur Vermeidung von Ösophagusrupturen muss der Krikoiddruck bei aktivem Erbrechen gelöst werden.

Cuffblockung

Die Cuffblockung muss vorbereitet sein und sofort durchgeführt werden. Die oft geforderte „angesetzte Blockerspritze“ kann jedoch bei ungenügender Koordination von Assistenz und Anästhesist auch zum Intubationshindernis werden.

Alternativen

Bei absehbaren Intubationsschwierigkeiten muss alternativ zur „rapid sequence induction“ eine Intubation des wachen Patienten als fiberoptische Intubation, als konventionelle wache Intubation oder als blind nasale Intubation durchgeführt werden.
Bei unerwarteten Intubationsschwierigkeiten muss die Maskenbeatmung unter Krikoiddruck nach Sellick durchgeführt werden, um eine Hypoxie zu vermeiden.

Ausleitung bei Aspirationsrisiko

Um postoperative Aspiration zu vermeiden, bleibt der Patient bis zum vollständigen Erwachen und zur Rückkehr der Schutzreflexe intubiert.
Vor der Extubation werden Magensonde, Mund- und Rachenraum gründlich abgesaugt. Nach Möglichkeit liegt der Patient postoperativ in Seitenlage [11]. Die Magensonde ist geöffnet und wird über einen Beutel dräniert.

Vorgehen bei erfolgter Aspiration und Mendelson-Syndrom

Finden Regurgitation oder Erbrechen trotz entsprechender Vorsichtsmaßnahmen statt, so muss bei initialer 30°-Oberkörperhochlagerung die Lage sofort in eine Kopf-tief- und Kopf-zur-Seite-Lagerung umgewandelt werden [3, 11]. Der Oropharynxbereich wird dann sofort, wenn immer möglich unter direkter laryngoskopischer Sicht, mit einem dicken Sauger abgesaugt.
Symptome der Aspiration
  • Erscheinen von Mageninhalt im Mund- und Rachenraum
  • Sättigungsabfall, Zyanose
  • Bronchospasmus, Giemen
  • Feuchte Rasselgeräusche, blasige RG
  • Schaumiges Sputum und Trachealsekret, Aspiratreste tracheal
  • Erhöhter Beatmungsdruck und vermindertes Hubvolumen
  • Regional fehlende Atemgeräusche, Atelektase
  • Tachykardie, Hypotonie, Schock

Therapie

Oberstes Ziel ist die Sicherung der Oxygenierung. Es wird schnellstmöglich intubiert. Möglichst vor Beginn der Beatmung wird endotracheal abgesaugt.
Absaugung, Beatmung, Bronchoskopie
Die Beatmung wird mit 100 % O2, PEEP 5–7 mbar (0,5–0,7 kPa) und verlängertem Exspirium eingestellt. Danach wird wiederholt tracheal abgesaugt und Aspirat zur pH-Bestimmung und mikrobiologischen Diagnostik gesichert. Anschließend wird bronchoskopisch abgesaugt. Eine Bronchiallavage ist nicht indiziert. Sie führt nur zur weiteren intrapulmonalen Verteilung des Aspirats, hat wegen des schnellen Schädigungsmechanismus keinen therapeutischen Effekt, reduziert die Compliance und steigert den intrapulmonalen Shuntanteil. Lediglich zum Entfernen fester Sekretreste und Partikel aus den Segmentbronchien kann unter bronchoskopischer Sicht mit 5–10 ml NaCl 0,9 % angespült und abgesaugt werden.
Zur Erleichterung der Beatmung wird der Bronchospasmus behandelt (Kap. „Akute und chronische Schäden nach Intubation“). FIO2, PEEP und Atemminutenvolumen werden anhand von arteriellen Blutgasanalysen und Beatmungsdrücken eingestellt. Steroide sind zur Behandlung des Mendelson-Syndroms nicht indiziert. Sie werden bei Bedarf nur zur Therapie des Bronchospasmus eingesetzt.
Antibiotika
Im normalen Mageninhalt ist die Keimzahl durch die Magensäure gering. Eine antibiotische Therapie ist daher nur bei Infektionszeichen im Verlauf indiziert [12]. Die Wahl der Antibiotika richtet sich nach der Erreger- und Resistenzbestimmung aus dem Aspirat. Ist jedoch eine hohe Keimkontamination wahrscheinlich (kotiges Aspirat), ist eine primäre, breite Antibiotikatherapie unter Berücksichtigung aerober und anaerober Keime indiziert.
Kreislaufstabilisierung
Begleitend zu den respiratorischen Maßnahmen wird der Kreislauf mit Volumen und Katecholaminen stabilisiert.
Postoperative Maßnahmen
Elektive Eingriffe werden je nach Ausmaß der Aspiration verschoben. Postoperativ wird der Patient auf eine Intensivstation verlegt. Mit einer postoperativen Thoraxröntgenaufnahme werden Befund und Verlauf dokumentiert und nach Atelektasen gesucht. 12–24 h später sollte die Thoraxröntgenaufnahme wiederholt und auf pneumonische Reaktionen untersucht werden. Bei unauffälligen Befunden ist eine postoperative Extubation möglich. In jedem Fall muss die Atemfunktion (SpO2) für 24 h und die Körpertemperatur für 72 h intensiv überwacht werden.

Mendelson-Syndrom

Eine Aspiration von saurem Mageninhalt führt bei ca. 50 % der Aspirationsereignisse zur Aspirationspneumonitis (Mendelson-Syndrom).
Als Schwelle für die Entstehung des Mendelson-Syndroms wird ein pH von <2,5 und eine Aspiratmenge von >20 ml angegeben.
Die Aspiration von Magensäure führt zur chemischen Alveolitis mit Schädigung der Alveolar- und Kapillarmembran, Exsudation in Interstitium und Alveolarraum, Hämorrhagien und Kapillarbrüchen. Zusätzlich kann eine bakterielle Kontamination der Lunge eine bakterielle Apirationspneumonie auslösen. Durch aspirierte Partikel und Reflexbronchospasmus werden kleinere und größere Atemwege partiell oder komplett verlegt (Atelektasen, Bronchospasmus). Schock und ARDS können den Verlauf komplizieren.
Die Letalität des Mendelson-Syndroms beträgt 3,5–12 % [12, 13].

Video/Audio

Video 1
Die Rapid Sequence Induction (WMV 8801 kb)
Literatur
1.
Di Filippo A, Gonnelli C (2009) Rapid sequence intubation: a review of recent evidences. Rev Recent Clin Trials 4(3):175–178CrossRefPubMed
2.
Leon A de, Thörn SE, Ottosson J, Wattwil M. Body positions and esophageal sphincter pressures in obese patients during anesthesia. Acta Anaesthesiol Scand. 2010;54(4):458-463. https://​doi.​org/​10.​1111/​j.​1399-6576.​2009.​02158.​x. Epub 2009 Nov 12
3.
Takenaka I, Aoyama K, Iwagaki T (2012) Combining head-neck position and head-down tilt to prevent pulmonary aspiration of gastric contents during induction of anaesthesia: a volunteer and manikin study. Eur J Anaesthesiol 29(8):380–385. https://​doi.​org/​10.​1097/​EJA.​0b013e328354a51a​CrossRefPubMed
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Casarotti P, Mendola C, Cammarota G, Della Corte F (2014) High-dose rocuronium for rapid-sequence induction and reversal with sugammadex in two myasthenic patients. Acta Anaesthesiol Scand 58(9):1154–1158. https://​doi.​org/​10.​1111/​aas.​12391. Epub 2014 Sep 3CrossRefPubMed
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8.
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Rice MJ, Mancuso AA, Gibbs C, Morey TE, Gravenstein N, Deitte LA (2009) Cricoid pressure results in compression of the postcricoid hypopharynx: the esophageal position is irrelevant. Anesth Analg 109(5):1546–1552. https://​doi.​org/​10.​1213/​ane.​0b013e3181b05404​CrossRefPubMed
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Algie CM, Mahar RK, Tan HB, Wilson G, Mahar PD, Wasiak J (2015) Effectiveness and risks of cricoid pressure during rapid sequence induction for endotracheal intubation. Cochrane Database Syst Rev (11):CD011656. https://​doi.​org/​10.​1002/​14651858. CD011656.pub2
11.
Takenaka I, Aoyama K (2016) Prevention of aspiration of gastric contents during attempt in tracheal intubation in the semi-lateral and lateral positions. World J Emerg Med 7(4):285–289CrossRefPubMedCentralPubMed
12.
Beck-Schimmer B, Bonvini JM (2011) Bronchoaspiration: incidence, consequences and management. Eur J Anaesthesiol 28(2):78–84. https://​doi.​org/​10.​1097/​EJA.​0b013e32834205a8​CrossRefPubMed
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