Präoperative Visite
Zu den Aufgaben der präoperativen
anästhesiologischen Visite (Kap. Anästhesiologische Visite) gehört auch die medikamentöse Vorbereitung des Patienten, die sog. Prämedikation.
Durch das
persönliche Gespräch kann der Anästhesist die Angst des Patienten vor Operation und Narkose weiter vermindern, nach Ansicht mancher Autoren sogar effektiver als die Medikamente selbst [
4]. Welches der oben aufgeführten Prämedikationsziele beim Patienten im Vordergrund steht, wird im Rahmen der präoperativen
anästhesiologischen Visite festgelegt. Hiernach richtet sich die Auswahl und evtl. Kombination der Prämedikationssubstanzen.
Ohne vorherige Visite darf keine Prämedikation verordnet werden.
Auswahlkriterien der Substanzen
In der Vergangenheit wurden nahezu alle Medikamente mit sedierenden Eigenschaften auch zur Prämedikation eingesetzt, u. a.
Barbiturate,
Benzodiazepine und
Neuroleptika, aber auch Histamin-
1-(H
1-)Rezeptorantagonisten,
Opioide oder α
2-Agonisten.
Im klinischen Alltag sollte man sich aber – v. a. aus Sicherheitsgründen – auf einige wenige Substanzen beschränken, um die Prämedikationsverordnung für alle anderen Beteiligten (Stationsarzt, Krankenpflegepersonal) möglichst plausibel und nachvollziehbar zu gestalten.
Unabhängig von der verwendeten Substanz muss bei der Verordnung der Prämedikation Folgendes beachten werden:
Aktuelle Untersuchungen und die klinische Erfahrung lassen vermuten, dass der Nutzen der medikamentösen Prämedikation überschätzt wird. So konnte gezeigt werden, dass Lorazepam 2,5 mg p.o. bei unter 70-jährigen stationären Patienten nicht die Patientenzufriedenheit und kaum das individuelle Angstbefinden verbessert, dafür aber die Extubationszeiten verlängert, die kognitive Erholung verzögert und in einem deutlich höheren Maße zu perioperativer Amnesie führt [
5]. Zudem ist von ambulanten Patienten bekannt, dass diese meist sehr gut ohne eine Prämedikation auskommen. Daher ist es heute sicherlich akzeptabel, wenn auch bei stationären Patienten die medikamentöse Prämedikation sehr zurückhaltend und niedrig dosiert verordnet oder im Zweifelsfall ganz auf sie verzichtet wird.
Glycopyrronium (z. B. Robinul) besitzt gegenüber Atropin den Vorteil, dass es die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert und daher zentralnervöse Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind. Es ist allerdings teurer als Atropin und konnte sich bis heute nie richtig durchsetzen. Scopolamin wirkt stärker sedierend als Atropin und spielt als Anticholinergikum keine Rolle.
Während der Wert einer antiemetischen Prophylaxe vor Jahren noch umstritten war, setzt sich zunehmend die Ansicht durch, dass Patienten mit moderatem und hohem PONV-Risiko auf jeden Fall eine Prophylaxe mit Antiemetika erhalten sollten. Zur Prophylaxe und Therapie von Übelkeit und Erbrechen stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, u. a. Dexamethason (z. B. Fortecortin), 5-HT3-Rezeptorantagonisten (sog. Setrone, z. B. Ondansetron) oder Dimenhydrinat (z. B. Vomex A). Droperidol (z. B. Xomolix, 0,625–1,25 mg i.v.) ist ähnlich gut antiemetisch wirksam wie die 5-HT3-Antagonisten, kann aber die QT-Zeit verlängern und spielt – auch wegen des nach der Wiederzulassung höheren Preises – eine untergeordnete Rolle.
Antiemetika können gemeinsam mit der medikamentösen Prämedikation p.o. oder im Verlauf der Anästhesie i.v. gegeben werden (Tab.
2). Heute üblich ist die i.v.-Gabe:
Tab. 2
Antiemetika zur oralen Prämedikation oder intraoperativen i.v.-Gabe
Ondansetron (z. B. Zofran) | 4-mg-Schmelztablette | 4 mg i.v. |
Granisetron (z. B. Kevatril) | 2-mg-Tablette | 1 mg i.v. |
Dimenhydrinat (z. B. Vomex A) | 150-mg-Retardkapsel | 62 mg i.v. |
Metoclopramid (z. B. Paspertin)a
| 1 Filmtablette à 10 mg | 10 mg i.v. |
Dexamethason (z. B. Fortecortin) | 4-mg-Tablette | 4 mg i.v. |
Droperidol (z. B. Xomolix) | -- | 0,625–1,25 mg i.v. |
-
Dexamethason sollte nach der Anästhesieeinleitung frühzeitig gegeben werden. Die frühzeitige Injektion ist sinnvoll, um zum OP-Ende eine ausreichende Wirkung zu erreichen. Die i.v.-Gabe sollte aber erst nach der Anästhesieeinleitung erfolgen, weil ansonsten Patienten über Brennschmerzen im Geschlechtsbereich berichteten.
-
Ondansetron sollte am besten erst kurz vor OP-Ende injiziert werden.
Applikation und Dosierung, Überwachung des prämedizierten Patienten
Die Prämedikation erfolgt heute in der Regel oral, d. h. die Patienten können die verordneten Medikamente mit etwas klarer Flüssigkeit einnehmen. Danach sollte Bettruhe eingehalten werden.
Um eine Prämedikationswirkung sicherzustellen, müssen die Medikamente am Operationstag rechtzeitig eingenommen werden: Midazolam ca. 20–30 min, andere Substanzen ca. 60 min vor Beginn der Narkoseeinleitung.
Es gibt nur wenige
Kontraindikationen für eine orale Prämedikation, u. a. Notfallsituationen,
Ileus bzw. Stenosen des Magen-Darm-Trakts. Dagegen ist die früher übliche intramuskuläre Prämedikation heute nicht mehr zeitgemäß und sollte dem Ausnahmefall vorbehalten bleiben. Ist eine orale Prämedikation nicht möglich (Notfall, Ileus) oder nicht sinnvoll (kurze, ambulante Operation), so kann man entweder darauf verzichten oder z. B. im Anästhesieeinleitungsraum 1–2 mg Midazolam i.v. geben.
Nach i.v.-Prämedikation müssen die Patienten kontinuierlich überwacht werden. Besondere Vorsicht gilt bei Kombination mit
Opioiden.
Die für Erwachsene üblichen Benzodiazepindosierungen sind in Tab.
1 angegeben. Ältere oder geschwächte Patienten reagieren sensibler, entsprechend muss die Dosierung reduziert werden, evtl. wird ganz auf die Prämedikation verzichtet. Sehr vereinfachend gilt: Die
Halbwertszeit von Diazepam beträgt beim 20-Jährigen 20 h und beim 80-Jährigen 80 h.