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Die Anästhesiologie
Info
Publiziert am: 04.05.2017

Periphere Regionalanästhesie: Distale Blockadetechniken

Verfasst von: Dietmar Craß, Florian Gerheuser und Ulrich Schwemmer
Distale Blockadetechniken umfassen ergänzende periphere Nervenblockaden sowie Blockaden im Bereich des Ellbogens, welche selten als eigenständige Anästhesietechnik indiziert sind. Sie eignen sich jedoch hervorragend zur Komplettierung partiell inkompletter Plexusblockaden. Blockaden der 3 Hauptnerven im Bereich des Handgelenks führen zu einer kompletten Anästhesie der Hand und werden bei entsprechender Indikation durchgeführt. Durch i.v.-Applikation des Lokalanästhetikums in eine blutleere Extremität nach proximaler Unterbrechung der Blutzirkulation kann eine sehr gute Analgesie erzielt werden. All diese Verfahren werden nachfolgend vorgestellt.

Nervenblockaden

Ergänzende periphere Nervenblockaden

Grundsätzlich darf in (teil)anästhesierten Gebieten nur mittels PNS oder Sonografie nachblockiert werden.

Blockade des N. musculocutaneus

Aufgrund des großen sensiblen Versorgungsgebiets im Bereich des radialseitigen Unterarms ist seine Blockade sehr wichtig (z. B. Radiusfrakturen, Cimino-Shunt).
Im Bereich der Axilla werden 5 ml eines Lokalanästhetikums in den M. coracobrachialis injiziert. Dieser liegt ventral der Gefäß-Nerven-Scheide und ist bei muskulösen Patienten gut tastbar. Ein Nervenstimulator ist hilfreich, jedoch nicht zwingend notwendig.

Blockade des N. cutaneus brachii medialis und der Nn. intercostobrachiales

Für die Tourniquet-Toleranz ist eine suffiziente Blockade des N. cutaneus brachii medialis und der Nn. intercostobrachiales notwendig; sie innervieren die mediale Seite des Oberarms. Diese Nerven ziehen – außerhalb der Gefäß-Nerven-Scheide – unmittelbar dorsal der A. axillaris zum Oberarm.
Im Bereich der Axilla werden dorsal der A. axillaris 5 ml Lokalanästhetikum subkutan injiziert.

N. ulnaris, N. medianus, N. radialis

Einzelblockaden werden am zweckmäßigsten im Bereich des Oberarms oder des Ellbogens durchgeführt (Abb. 1 und 2).

Nervenblockaden im Bereich des Ellbogens

Blockaden im Bereich des Ellbogens sind selten als eigenständige Anästhesietechnik indiziert. Sie eignen sich jedoch hervorragend zur Komplettierung partiell inkompletter Plexusblockaden (Tab. 1, 2, 3 und 4; Abb. 1, 2 und 3).
Tab. 1
Lokalanästhetika zur peripheren Nervenblockade
Lokalanästhetika
Beispiel
Anschlagzeit
Analgesiedauer
Mittellangwirksame
Prilocain 1 %, Mepivacain 1 %
5–10 min
ca. 4 h
Langwirksame
Ropivacain 0,5 %
5–10 min
ca. 10 h
Tab. 2
N.-ulnaris-Blockade (Ellbogen)
Lagerung
Arm abduziert, ca. 30° Beugung im Ellbogengelenk
Dosierung
5 ml
Land-marken
Sulcus nervi ulnaris zwischen Olecranon und Epicondylus medialis humeri
Technik
1–2 cm tiefe Injektion 1 cm oberhalb des Sulcus nervi ulnaris
Hinweise
Keine Injektion direkt in den Sulcus, um eine Nervenkompression zu vermeiden
Tab. 3
N.-medianus-Blockade (Ellbogen)
Lagerung
Arm abduziert, Unterarm supiniert
Dosierung
5–7 ml
Land-marken
A. brachialis, Epicondylus medialis et lateralis humeri
Technik
Ca. 1 cm tiefe Injektion 1 cm medial der A. brachialis in Höhe der interkondylären Linie
Hinweise
Merke: „Medianus medial der Arterie“
Tab. 4
N.-radialis-Blockade und N.-cutaneus-antebrachii-lateralis-Blockade (Ellbogen)
Lagerung
Arm abduziert, Unterarm supiniert
Dosierung
5–10 ml
Landmarken
Sehne des M. biceps brachii und M. brachioradialis, Epicondylus medialis et lateralis humeri
Technik
2–3 cm tiefe, senkrechte Injektion zwischen Sehne des M. biceps brachii und M. brachioradialis in Höhe der interkondylären Linie (ggf. Knochenkontakt mit dem Epicondylus lateralis), dann fächerförmige, streng subkutane Infiltration beim Zurückziehen der Nadel zur Blockade des Hautasts
Hinweise
N. cutaneus antebrachii lateralis ist der Endast des N. musculocutaneus
Distal einer (teil)anästhesierten Blockade kann ein Nerv problemlos und sicher mit einem Nervenstimulator lokalisiert und nachblockiert werden. Alle distalen Nerven lassen sich auch mit der Sonografie exzellent darstellen und sonographisch gesteuert blockieren.
Vor und während jeder Injektion muss mehrfach aspiriert werden, um eine intravasale Lage sicher auszuschließen.

Nervenblockaden im Bereich des Handgelenks

Blockaden der 3 Hauptnerven im Bereich des Handgelenks führen zu einer kompletten Anästhesie der Hand (Tab. 5, 6, 7 und 8; Abb. 4, 5 und 6). Analog der Fußblockade bleibt auch hier die Willkürmotorik erhalten.
Tab. 5
Lokalanästhetika zur peripheren Nervenblockade am Handgelenk
Lokalanästhetika
Beispiel
Anschlagzeit
Analgesiedauer
Mittellangwirksame
Prilocain 1 %, Mepivacain 1 %
5–10 min
Etwa 4 h
Langwirksame
Ropivacain 0,5 %
5–10 min
Etwa 10 h
Tab. 6
N.-radialis-Blockade (Ramus superficialis)
Dosierung
5–8 ml
Landmarken
Tabatière, A. radialis, Sehne des M. palmaris longus
Technik
Subkutane Infiltration von Tabatière bis zur Mitte der dorsalen Handwurzel und volarseitig bis zur Sehne des M. palmaris longus
Tab. 7
N.-medianus-Blockade am Handgelenk
Lagerung
Handgelenk leicht überstrecken
Dosierung
3–5 ml
Landmarken
Sehne des M. palmaris longus und des M. flexor carpi radialis
Technik
ca. 1 cm tiefe, senkrechte Injektion zwischen o. g. Sehnen
Hinweis
In 10–20 % fehlt der M. palmaris longus ein- oder beidseitig
Tab. 8
N.-ulnaris-Blockade am Handgelenk
Lagerung
Aktiver Faustschluss vereinfacht die anatomische Orientierung
Dosierung
3–5 ml
Landmarken
Sehne des M. flexor carpi ulnaris
Technik
Etwa 1 cm tiefe, senkrechte Injektion unmittelbar radial der Sehne, ca. 2 Querfinger oberhalb der proximalen Handgelenksfalte, ggf. Infiltration unter die Sehne
  • Vor und während jeder Injektion muss mehrfach aspiriert werden, um eine intravasale Lage sicher auszuschließen.
  • Bei Blockaden in nichtanästhesierten Gebieten ist ein Nervenstimulator verzichtbar. Nach Auslösen von Parästhesien muss die Kanüle ca. 1 mm zurückgezogen werden.
  • Bei Blockaden in teilanästhesierten Gebieten wird ein Nervenstimulator empfohlen. Wegen der Gefahr von Nervenläsionen sollten keine Parästhesien ausgelöst werden: Parästhesien erfordern eine Nervenweiterleitung nach zentral, die durch einen partiellen Block beeinträchtigt sein kann. Der motorische Reiz eines Nervenstimulators führt zu einer Nervenweiterleitung nach peripher, die durch eine höher gelegene partielle Blockade nicht beeinträchtigt ist.
  • Nadeltyp: 5 cm, ca. 25G
Die Blockaden sollten in oben genannter Reihenfolge durchgeführt werden, da nach der Blockade des N. radialis der N. medianus und nach dessen Blockade der N. ulnaris schmerzfrei blockiert werden können.

Intravenöse Regionalanästhesie

Durch i.v.-Applikation des Lokalanästhetikums in eine blutleere Extremität nach proximaler Unterbrechung der Blutzirkulation kann eine sehr gute Analgesie erzielt werden.
Intravenöse Regionalanästhesie
  • Vorteile
    • Bei korrekter Durchführung sicheres Verfahren
    • Technisch einfach, keine spezifischen anatomischen Kenntnisse erforderlich
    • Gute Analgesiequalität: Erfolgsrate >95 %
    • Schnelle Anschlagzeit (5–10 min)
    • Gute Muskelrelaxation
    • Kurze Wirkdauer: günstig bei ambulanten Patienten
  • Nachteile
    • Bei inkorrekter Durchführung oder technischen Mängeln Gefahr der systemischen Toxizität
    • Operationen ausschließlich in Blutleere möglich
    • Auswickeln der Extremität mit Esmarch-Binde für die Blutleere ist schmerzhaft
    • Begrenzte Wirkdauer und somit begrenzte Operationszeit (ca. 1 h)
    • Tourniquet-Schmerz infolge Abklingen der Anästhesie
    • Keine suffiziente postoperative Analgesie: chirurgische Toleranz endet wenige Minuten nach Öffnen der Blutleere
Cave
Der Anästhesist muss die Gefahren einer i.v.-Applikation von Lokalanästhetika kennen und die Komplikationen beherrschen. Die Möglichkeit zu einer sofortigen Einleitung einer Allgemeinanästhesie muss gegeben sein.

Wirkort

Wirkort und Wirkmechanismus werden bis heute kontrovers diskutiert: periphere sensorische Nervenendigungen, Nervenstämme und neuromuskuläre Synapsen werden genannt. Nach Injektion am Handrücken fließt das Lokalanästhetikum rasch nach proximal und erreicht im Bereich des Unterarms und Ellbogens die höchsten Konzentrationen (Abb. 7). Die Anästhesieausdehnung erfolgt zuerst am anteromedialen Unterarm, denn die hierfür verantwortlichen N. ulnaris und N. medianus werden von zahlreichen großen (mit Lokalanästhetika gefüllten) Gefäßen begleitet und folglich rasch blockiert. Der posterolaterale Unterarm wird verzögert anästhesiert, da der verantwortliche N. radialis nur von wenigen (mit Lokalanästhetika gefüllten) Gefäßen umgeben ist. Mit Hilfe von 14C-markiertem Lidocain wurde nachgewiesen, dass sich die Lokalanästhetika vorwiegend in den Nerven und kaum in der Muskulatur anhäufen.

Indikationen und Kontraindikationen

Mögliche Indikationen sind Eingriffe mit abschätzbarer Operationsdauer (ca. 1 h). Die Analgesiequalität ist bei oberflächlichen und distalen Eingriffen besser als bei tiefen und proximalen Operationen.
Typische Indikationen sind Operationen an:
  • Unterarm oder Hand, bzw.
  • distalem Unterschenkel oder Fuß.
Kontraindikationen
  • Sichelzellanämie (Tourniquet!)
  • Lokale Infektionen
  • Kardiale Überleitungsstörungen
  • Gefäßerkrankungen (insbesondere Thrombophlebitis und pAVK)
  • Periphere Neuropathie

Medikamentenwahl und Dosierung

Cave
Das Lokalanästhetikum darf kein Konservierungsmittel enthalten, da dies zu Thrombophlebitiden führt.
Prilocain ist das Mittel der Wahl wegen seiner geringeren Toxizität. In über 26 Jahren wurde keine tödliche Komplikation beschrieben.
Unter Lidocain wurden neurologische Nebenwirkungen (Tinnitus, Schwindel, Muskelzuckungen) und EEG-Veränderungen beobachtet. Es wurden höhere Plasmaspiegel als nach Prilocain beschrieben.
Für Bupivacain wurde ebenfalls eine höhere Nebenwirkungsrate beschrieben als für Prilocain.
Die Dosierung ist abhängig vom „Volumen der Extremität“, nicht vom Körpergewicht.
Dosierung
  • Prilocain 3–4 mg/kgKG ohne Vasokonstriktorzusatz
  • Beispiel: Erwachsener, obere Extremität: 40 ml Prilocain 0,5 %
Unter dieser Dosierung ist keine klinisch relevante Met-Hb-Bildung zu erwarten.
Technik
  • Grundsätzlich müssen Instrumentarium und Medikamente zur Narkoseeinleitung griffbereit liegen (Cave: systemische Toxizität);
  • intravenöser Zugang (20G), Pulsoxymetrie, Blutdruckmanschette an der nicht zu operierenden Seite;
  • intravenöser Zugang (20G) an der zu operierenden Seite – möglichst auf dem Handrücken;
  • Funktionsüberprüfung der pneumatischen (Zweikammer)-Cuffmanschette (Breite 12–14 cm);
  • Polsterung der Haut und festes Anlegen der Manschette am Oberarm – zirkuläre Fixierung mit Pflaster;
  • Hochhalten der Extremität für ca. 3 min und anschließend straffes Auswickeln der Extremität mit einer Gummibinde von distal nach proximal bis zur Cuffmanschette („Exsanguination“);
  • Insufflation des proximalen Cuffs ca. 100 mmHg über systolischen Blutdruck; obere Extremität: 250–300 mmHg: der periphere Puls darf auf keinen Fall mehr tastbar sein!
  • Langsame Injektion des Lokalanästhetikums;
  • Massieren des Unterarms führt zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Lokalanästhetikums;
  • falls insuffiziente Analgesieausdehnung nach 3–5 min: Nachinjektion von 10 ml Prilocain 0,5 %;
  • nach 10 min: Insufflation des distalen Cuffs, der bereits in anästhesiertem Gebiet liegt, und Ablassen des proximalen Cuffs;
  • Entfernen des venösen Zugangs.
  • Cuff frühestens nach 30 min öffnen – unter Kontrolle von EKG, SpO2, Blutdruck und verbaler Kommunikation (Tinnitus? Metallischer Geschmack auf der Zunge? etc.).
Analgesie und Wirkdauer lassen sich durch eine exakt durchgeführte Blutleere steigern.

Methodenspezifische Hinweise

Die sensible Blockade ist stärker als die motorische Blockade. Nach Ablassen des Tourniquets kehrt sowohl die sensible als auch die motorische Funktion innerhalb von 5–10 min zurück.
Ein breites Tourniquet ist die beste Prophylaxe zur Vermeidung eines Kompressionsschadens, jedoch wird hierdurch die Gefahr einer Leckage erhöht.
Untere Extremität
Die Cuffmanschette wird am distalen Unterschenkel, nie in Höhe des Fibulaköpfchens angelegt, um Kompressionschäden des N. fibularis (peronaeus) zu vermeiden (Cuffdruck >350 mmHg).

Komplikationen

Bei exakter Anwendung ist die intravenöse Regionalanästhesie ein sicheres Verfahren mit einer Komplikationsrate von 0,011 %. Die häufigste und harmloseste Komplikation ist der Tourniquet-Schmerz infolge insuffizienter Analgesie im Bereich der Cuffmanschette. Cuffleckagen oder zu frühes Ablassen des Cuffdrucks sind verantwortlich für z. T. schwerwiegende Komplikationen.
Symptome der systemischen Toxizität von Lokalanästhetika
  • Zentralnervöse Symptome
    • Periorale Parästhesien
    • Unruhe, Angst
    • Zerebraler Krampfanfall
    • Bewusstlosigkeit
  • Kardiovaskuläre Symptome
    • Herzrhythmusstörungen (Bradykardie, Arrhythmie, Überleitungsstörungen)
    • Kreislaufdepression bis Kreislaufstillstand
    • Thrombophlebitis (infolge Zusatz von Methylparaben und Antioxidanzien)
  • Pulmonale Symptome
    • Dyspnoe bis Atemstillstand
Eine klinisch relevante Met-Hb-Bildung ist erst bei Dosierungen über 600 mg bzw. bei Säuglingen zu erwarten.
Cave
Auch bei korrekter Anwendung der Cuffmanschette wurden systemtoxische Reaktionen beobachtet.
Folgende Faktoren werden diskutiert: Abfluss des Lokalanästhetikums über intraossäre Venen, Abfluss des Lokalanästhetikums über „normale“ Oberarmvenen bei zu rascher Injektion oder bei Volumina über 60 ml.
Je mehr Restblut sich in der Extremität befindet, desto höher sind die Blutspiegel nach Öffnen des Tourniquets.
Empfehlungen zur intravenösen Regionalanästhesie
  • Möglichst komplettes Auswickeln der Extremität („Exsanguination“)
  • Benutzung einer breiten Cuffmanschette (20 % > Oberarmdurchmesser)
  • Langsame Injektion (mindestens 90 s)
  • Gesamtvolumen 40 bis max. 60 ml
  • Öffnen der Cuffmanschette frühestens nach 30 min
  • Keine Armbewegungen unmittelbar nach Öffnen des Tourniquets, da hierbei erhöhte Plasmaspiegel gemessen wurden
Eine Sonderform der intravenösen Regionalanästhesie ist die sog. Guanethidin-Blockade.
Literatur
1.
Cousins MJ, Bridenbaugh PO (1998) Neural blockade in clinical anesthesia and management of pain, 3. Aufl. Lippincott-Raven, Philadelphia