Die Anästhesiologie
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Verfasst von:
Jürgen Schüttler und Helmut Schwilden
Publiziert am: 22.12.2017

Pharmakologische Grundlagen in der Anästhesiologie

Die pharmakologischen Grundlagen der Anästhesiologie sind neben der Physiologie einschließlich der Neurowissenschaften ein wissenschaftliches Fundament, die für eine optimale anästhesiologisch-perioperative Behandlung ausschlaggebend sind. Das Ziel diese Beitrags ist es daher, unabhängig von den speziellen Eigenschaften einzelner Substanzen, die jede für sich genommen ihr eigenes Profil an Wirkungen, Wirksamkeiten und Nebenwirkungen hat, pharmakologische Kenngrößen herauszuarbeiten, die substanzübergreifend eine quantitative Optimierung der anästhesiologisch-perioperativen Behandlung erlauben und den therapeutischen Zielerreichungsgrad mess- und dokumentierbar machen
Einleitung
Die pharmakologischen Grundlagen der Anästhesiologie sind neben der Physiologie einschließlich der Neurowissenschaften ein wissenschaftliches Fundament ihrer Grundprinzipien, „die für eine optimale anästhesiologisch-perioperative Behandlung ausschlaggebend sind“, um hier diesen Gesichtspunkt des Vorwortes zur 1 Auflage dieses Lehrbuchs zu zitieren. Das Ziel diese Beitrags ist es daher, unabhängig von den speziellen Eigenschaften einzelner Substanzen, die jede für sich genommen ihr eigenes Profil an Wirkungen, Wirksamkeiten und Nebenwirkungen hat, pharmakologische Kenngrößen herauszuarbeiten, die substanzübergreifend eine quantitative Optimierung der anästhesiologisch-perioperativen Behandlung erlauben und den therapeutischen Zielerreichungsgrad mess- und dokumentierbar machen.
Die pharmakologischen Grundlagen der Anästhetika in Bezug auf die „optimale anästhesiologisch-perioperative Behandlung“ darzustellen, ist dagegen nicht das Ziel dieses einleitenden Beitrags. Zwar hat es in den letzten 2–3 Jahrzehnten eine Vielzahl von Untersuchungen und eine Reihe von Untersuchungsbefunden von Wirkungen von anästhetisch wirksamen Substanzen auf zelluläre, subzelluläre und molekulare Strukturen gegeben [1, 5, 11], mit dem Ergebnis, dass bestehende „alte“ Theorien wie die „Pressure-reversal-Theorie“ oder die Unitaritätstheorie der Narkose aufgegeben wurden, ohne dass allerdings allgemein akzeptierte neue einheitliche Theorien der anästhetischen Wirkung und Wirksamkeit entstanden sind. Dies mag einerseits daran liegen, dass die Realität eben wesentlich komplexer ist, als dass sie mit vergleichsweise simplen Theorien wie „pressure reversal“ hinreichend genau beschrieben werden kann, zum anderen mag es am Untersuchungsgegenstand selber liegen. Einem Ionenkanal oder einer Lipidmembran ordnen wir überlicherweise nicht die Fähigkeit zu, Bewusstsein oder Schmerz besitzen zu können. Das heißt an diesen Objekten kann also nicht Anästhesie selbst, sondern können lediglich gewisse Wirkungen von Anästhetika studiert werden. Die systematische Verbindung dieser „molecular action“ zur anästhesiologischen Wirkung, Wirksamkeit oder gar Outcome scheint jedoch sehr komplex und noch sehr forschungsbedürftig zu sein. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es daher nicht geboten, den möglichen Link von der molekularen Wirkung zu den Grundprinzipien der optimalen anästhesiologisch-perioperativen Behandlung in Lehrbuchform zu kanonisieren [11].

Pharmakokinetik

Die optimale Anwendung und Verabreichung von Arzneimitteln erfordert die Beantwortung zweier grundsätzlicher Fragen:
  • Welche Konzentration bzw. welcher Partialdruck des Medikamentes am Ort der Wirkung führt zu dem gewünschten Effekt?
  • Wie kann diese Konzentration erreicht und aufrecht erhalten werden?
Schon im Jahre 1846 hatte Rudolf Buchheim (1820–1879) diese beiden Probleme im Vorwort zur deutschen Bearbeitung von Jonathan Pereira’s Handbuch der Heilmittellehre [2] angesprochen. Heute wird im englisch-sprachigen Schrifttum der bekannte Aphorismus zur Erläuterung der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik herangezogen.
Pharmacodynamics is what the drug does to the body and pharmacokinetics is what the body does to the drug.
Die Pharmakokinetik bietet somit den Rahmen, das Problem zu bearbeiten, wie ein Arzneimittel zu dosieren ist, um einen gegebenen Konzentrationsverlauf zu erzielen. Die Pharmakodynamik hilft die Frage zu beantworten, welche Konzentration angestrebt werden soll, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Grundlagen

Die Pharmakokinetik eines Arzneimittels wird im Wesentlichen durch 2 physiologische Grundprozesse bestimmt: Verteilung und Elimination.

Verteilung

Die Verteilung wird durch Transportprozesse bewirkt. Man unterscheidet zwischen dem konvektiven Transport durch das zirkulierende Blut zu den Geweben und dem Transport in die Gewebe und aus den Geweben.
Beim Transport in die Gewebe ist zu unterscheiden zwischen passivem Transport (z. B. Diffusion) und aktivem Transport durch spezielle Transportsysteme (Abb. 1).
Für viele nicht natürlicherweise im Körper vorkommende Substanzen (Xenobiotica) wie z. B. Inhalationsanästhetika wird man annehmen dürfen, dass der Transport vom Blut in die Gewebe passiv durch Diffusion erfolgt und aktive Transportprozesse nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Verteilung hängen von einer Reihe von Faktoren ab.
Transportprozess beeinflussende Faktoren
  • Perfusion
  • Anatomische Größe des Gewebes
  • Bindung des Medikaments an Plasma- und Gewebeproteine
  • Permeabilität der Gewebemembranen
  • Löslichkeit des Arzneistoffes in den verschiedenen Substanzen des Gewebes

Elimination

Unter Elimination werden die Mechanismen zusammengefasst, welche die Arzneistoffmenge im Körper reduzieren.
Hierunter fällt die Ausscheidung durch Urin und Fäzes, aber auch durch die Ausatemluft. Letztere ist ein besonders wichtiger Eliminationsweg für die Inhalationsanästhetika.
Voraussetzung für die Elimination vieler Arzneimittel ist die Metabolisierung. Hierbei steht die Leber als wichtigstes Organ im Vordergrund. Allerdings gibt es für einige Anästhetika auch extrahepatische enzymatische Eliminationwege wie z. B. Plasmacholinesterasen (Succinylcholin) oder unspezifische Plasma- und Gewebsesterasen (Remifentanil). Daneben existieren Substanzen, die auch durch chemische Reaktionen eliminiert werden. So wird z. B. Atracurium neben der Hydrolyse auch durch die sog. Hofmann-Elimination abgebaut.

Pharmakokinetische Modelle

Hinsichtlich der Pharmakokinetik kann man sich den Körper als eine parallele Anordnung der Organe und Gewebe vorstellen.
Abb. 2 zeigt eine Anordnung, wie sie von Davis u. Mapleson [3] vorgeschlagen wurde. Das Schema ist sowohl für intravenöse als auch für inhalative Anästhetika anwendbar.
Kennt man die Blutflüsse durch die Gewebe und die Transportmechanismen vom Blut in die Gewebe, so kann das Schema zur Computersimulation der Pharmakokinetik einer Substanz genutzt werden. Schon Mitte der 1980er-Jahre wurden Simulationsprogramme für den PC entwickelt – vornehmlich für die Inhalationsanästhetika. Größen wie Perfusion der einzelnen Organe, Verteilungskoeffizienten zwischen Blut und Geweben sowie quantitative Beschreibung des Transportmechanismus vom Blut in die Gewebe müssen dabei zuvor meist in einer Vielzahl von Untersuchungen gewonnen werden. Durch repetitiv gemessene Plasmakonzentrationen bzw. durch kontinuierliche Messung der in- und endexspiratorischen Konzentration von Inhalationsanästhetika lassen sich in der Regel nur Modelle mit erheblich geringerer Komplexität identifizieren und typischerweise nur 3–4 Verteilungsräume unterscheiden.

Pharmakokinetik der intravenösenAnästhetika

Die Pharmakokinetik eines i.v.-Anästhetikums wird heute meist durch ein pharmakokinetisches Modell und einen Satz von numerischen, pharmakokinetischen Parametern angegeben [8, 10]. Es gibt 2 pharmakokinetische Parameter mit hoher Relevanz für die Dosierung, das Verteilungsvolumen und die Clearance des Medikaments.

Verteilungsvolumen

Das Verteilungsvolumen stellt den Zusammenhang zwischen der Dosis und der Konzentration eines Pharmakons her.
$$ Volumen=\frac{Dosis}{Konzentration} $$
Bestimmung des Verteilungsvolumens
Ein typischer Ansatz zur Bestimmung des Verteilungsvolumens ist die Verabreichung einer intravenösen Dosis D als Bolus und die nachfolgende Messung der Blut- oder Plasmakonzentration c(ti) zu gewählten Zeitpunkten ti (Abb. 3).
Um aus diesen Messwerten ein Verteilungsvolumen bestimmen zu können, sind mehrere Annahmen erforderlich.
Voraussetzungen zur Bestimmung des Verteilungsvolumens
  • Blutprobe ist repräsentativ für das Volumen
  • Arzneistoff ist homogen verteilt
  • Die bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Volumen entfernte Arzneistoffmenge ist erfassbar
In aller Regel kennt man aber nicht die aus dem Volumen entfernte Menge und damit ist das Verhältnis Menge: Konzentration nicht bestimmbar.
Initiales Verteilungsvolumen
Nur am Anfang, also unmittelbar nach Applikation des Bolus zum Zeitpunkt t=0 ist die Menge gleich der Dosis D. Im Allgemeinen liegen zum Zeitpunkt t=0 jedoch keine Konzentrationsmessungen c0=c(0) vor, sodass c0 durch eine Extrapolation gewonnen werden muss. Das Volumen V, welches durch den Quotienten V=D/c0 bestimmt wird, heißt initiales Verteilungsvolumen. Es bezeichnet das offensichtliche Volumen, in dem sich das Anästhetikum anfänglich verteilt.
Beispiel
Bestimmt man nach der Gabe eines Bolus von Propofol von D=150 mg das c0 zu 5 μg/ml, so ergibt sich damit ein initiales Verteilungsvolumen von V=30 l.
Diese Abschätzung des initialen Verteilungsvolumens setzt voraus, dass das Medikament homogen verteilt ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Mischung durch die Blutzirkulation einige Zeit benötigt, sodass diese Abschätzung des Verteilungsvolumens über die Größe c0 nur eine grobe Näherung ist, die in einer Reihe von Fällen zu einer Unterschätzung der Größe des Verteilungsvolumens führen kann.
Cave
Das initiale Verteilungsvolumen ist im Allgemeinen der pharmakokinetische Parameter mit dem größten Bestimmungsfehler.
Daher ist es sinnvoll, das Verteilungsvolumen bei einer länger dauernden Dosierung zu bestimmen. Je länger jedoch die Applikation des Pharmakons erfolgt, umso wahrscheinlicher nähert man sich dem Fließgleichgewicht („steady state“).

Clearance

Bestimmung im „steady state“
Im „steady state“ ist die Menge, die pro Zeiteinheit dem Körper zugeführt wird, gleich der Menge, die aus dem Körper eliminiert wird.
Zur Aufrechterhaltung des „steady state“ ist die Dosierungsrate umso größer, je höher die Konzentration des Anästhetikums sein soll.
Bei der sog. linearen Pharmakokinetik besteht eine direkte Proportionalität zwischen Applikationsrate und Konzentration im „steady state“. Die lineare Pharmakokinetik ist dadurch charakterisiert, dass eine Verdopplung der Dosierung eine Verdopplung des Konzentrationsverlaufs bewirkt.
Den Proportionalitätsfaktor zwischen der Infusionsrate im „steady state“ und der Konzentration bezeichnet man als Clearance (Cl).
Infusionsrate = Clearance × Konzentration im steady state
Clearance ist somit das fiktive Blutvolumen, aus dem pro Zeiteinheit die Substanz vollständig eliminiert wird.
Das klinische bekannte Konzept einer Einleitungsdosis („loading dose“) und einer Erhaltungsdosierung („maintenance dose“) findet in dem Verteilungsvolumen und in der Clearance ihre quantitativen Determinanten. Als Prinzip kann man daher formulieren:
  • Einleitungsdosis = Verteilungsvolumen × gewünschte Konzentration
  • Erhaltungsdosis = Clearance × gewünschte Konzentration
Beispiel
Geht man für Propofol von einem initialen Verteilungsvolumen von V=30 l und einer Clearance von Cl=1,5 l/min aus und zielt auf eine gewünschte Konzentration von 3 μg/ml, so ergibt sich als Einleitungsdosis ein initialer Bolus von D=90 mg und eine Erhaltungsdosis von 4,5 mg/min.
Die Dosierung ist jedoch den klinischen Belangen anzupassen. Insbesondere zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen ist es häufig erforderlich, die gewünschte Konzentration durch Titration und nicht durch Bolusgaben anzustreben.
Zeitunabhängige Bestimmung
Die Clearance spielt also eine bedeutende Rolle für die Dosierung im „steady state“. Häufig ist es jedoch nicht möglich, „Steady-state“-Bedingungen herzustellen. Es ist deshalb nützlich, alternative Methoden zur Bestimmung der Clearance zu haben. Eine Möglichkeit ist die Bestimmung der Clearance über folgende Formel.
$$ CI=\frac{D}{AUC} $$
Hierbei bezeichnet AUC die Fläche unter der Blutspiegelkurve („area under the curve“), die durch die Gabe einer Gesamtdosis D erzeugt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, wie die Dosis D appliziert wurde, ob als einzelner Bolus, als konstante Infusion oder als repetitive Bolusdosierung.
Voraussetzung für die Gültigkeit dieser einfachen Beziehung zwischen Clearance, Dosis und AUC ist nicht nur die Linearität der Pharmakokinetik (Verdopplung der Dosis verdoppelt den Konzentrationsverlauf), sondern auch deren Zeitunabhängigkeit.
Zeitunabhängigkeit bedeutet, dass die Messergebnisse (z. B. des Konzentrationsverlaufs) unabhängig davon sind, wann die Messungen durchgeführt wurden. Im „steady state“ entspricht die pro Zeiteinheit eliminierte Menge dem Produkt aus Clearance und Konzentration. Aufgrund der Physiologie der Arzneimittelelimination trifft dies jedoch häufig nicht nur im „steady state“ sondern zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu. Dadurch ist es möglich, eine Massenbilanz zwischen der applizierten Menge, der insgesamt eliminierten Menge und der im Volumen V verbliebenen Menge aufzustellen.

Kompartimentmodelle

In der Abb. 4 sind die Mengenverhältnisse eines Anästhetikums im zeitlichen Verlauf dargestellt.
Massenbilanz
Das Massenerhaltungsgesetz erfordert, dass zu jedem Zeitpunkt die Gesamtdosis D gleich der Summe der Substanz im Körper plus der kumulativ eliminierten Substanzmenge ist. Subtrahiert man von der Gesamtdosis die exponentiell abfallende Menge im Volumen V und die kumulativ eliminierte Menge, so verbleibt der in Abb. 4 fett dargestellte Mengenverlauf, der sich weder in V befindet noch ausgeschieden wurde. Offensichtlich handelt es sich hier um eine Menge, die sich in einem anderen Teil des Körpers befindet als das durch V repräsentierte Volumen.
Die Konsequenz dieser Massenbilanz ist, dass wir den Körper pharmakokinetisch als ein System mehrerer Verteilungsvolumina aufzufassen haben. Man wird auf diese Weise zu dem Ansatz der sog. Mehrkompartimentmodelle geführt. Diese Modelle machen zusätzliche spezifische Annahmen darüber, wie das Medikament zwischen den Kompartimenten verteilt und wie es eliminiert wird.
Die verbreitetsten pharmakokinetischen Modelle für i.v.-Anästhetika sind mammilläre 2- oder 3-Kompartiment-Modelle, die aus einem zentralen Kompartiment oder Verteilungsvolumen und einem oder 2 peripheren Kompartimenten oder Verteilungsvolumina bestehen.
Mammillär bedeutet, dass in das zentrale Verteilungsvolumen dosiert wird, die Elimination des Anästhetikums nur aus diesem Kompartiment erfolgt, und die peripheren Kompartimente nur mit diesem Kompartiment verbunden sind und nicht untereinander.
Pharmakokinetische Differenzialgleichungen
Im Rahmen dieser Modellstruktur wird ferner die Annahme gemacht, dass die Pharmakonmenge, die pro Zeiteinheit von einem Kompartiment i in ein Kompartiment j transferiert wird, ein konstanter Bruchteil der im Kompartiment i befindlichen Pharmakonmenge ist. Dieser konstante Bruchteil pro Zeiteinheit wird als sog. Transferkonstante bezeichnet und mit kij abgekürzt. In dieser Systematik wird die Bezeichnung k10 benutzt, um die Elimination der Substanz aus dem zentralen Kompartiment, das typischerweise die Nummer „1“ erhält, zu bezeichnen. Eine andere Bezeichnung ist auch kel.
Betrachtet man nunmehr ein typisches 3-Kompartiment-Modell (Abb. 5) mit den Anästhetikamengen m1 im zentralen Kompartiment, m2 im sog. „flachen“ oder schnell äquilibrierenden peripheren Kompartiment und m3 im sog. „tiefen“ oder langsam äquilibrierenden peripheren Kompartiment, so folgen aus dem Massenerhaltungsgesetz für die Änderung der Mengen dmi/dt in den 3 Kompartimenten die 3 Differenzialgleichungen.
$$ \frac{dm_1}{dt}=-\left({\mathrm{k}}_{10}+{\mathrm{k}}_{12}+{\mathrm{k}}_{13}\right){\mathrm{m}}_1+{\mathrm{k}}_{21}{\mathrm{m}}_2+{\mathrm{k}}_{31}{\mathrm{m}}_3+\mathrm{l}\left(\mathrm{t}\right) $$
$$ \frac{dm_2}{dt}={k}_{12}{m}_1-{k}_{21}{m}_2 $$
$$ \frac{dm_3}{dt}={k}_{13}{m}_1-{k}_{31}{m}_3 $$
Dabei wird angenommen, dass die Dosierung I(t) des Medikamentes in das zentrale Kompartiment „1“ erfolgt. I(t) bezeichnet die zum Zeitpunkt t in das Verteilungsvolumen V1 verabreichte Menge pro Zeiteinheit. Eine Bolusgabe zum Zeitpunkt t=0 entspricht dabei einer Idealisierung, nämlich der Gabe der Bolusmenge in einer beliebig kleinen, infinitesimalen Zeiteinheit.
Beispiel
Bei Vorliegen folgender Transferkonstanten k12=0,3/min, k21=0,08/min, k13=0,09/min, k31=0,004/min und k10=0,06/min wird nach Gabe eines Bolus von 100 mg in der 1. min eine Menge von ungefähr (0,06+0,3+0,09)×100 mg = 45 mg aus dem Verteilungsvolumen V1 entfernt und 0,3×100 mg = 30 mg und 0,09×100 mg = 9 mg den Volumina V2 bzw. V3 zugeführt.
Aus den Differenzialgleichungen ergibt sich, dass die Änderung der gesamten Menge im Körper (m1+m2+m3) durch die Differenz zwischen Zufuhr I(t) und Elimination k10m1 gegeben ist.
$$ \frac{d\left({m}_1+{m}_2+{m}_3\ \right)}{dt}=I(t)-{k}_{10}\ {m}_1 $$
Betrachtet man diese Beziehung im „steady state“, wenn m1=c1V1 konstant und I(t) konstant sind und die linke und rechte Seite der obigen Gleichung gleich 0 ist, so ergibt sich, dass zwischen V1, k10 und der Clearance Cl folgender Zusammenhang besteht.
$$ Cl={k}_{10}{V}_1 $$
Natürlich sind die Mengen m1, m2, m3 ohne besondere Vorkehrungen praktisch nie messbar. Im Regelfall ist die Konzentration im Blut bzw. Plasma die einzig messbare Größe. Die Mengen in den verschiedenen Verteilungsvolumina werden deshalb rechnerisch mit Hilfe des Verteilungsvolumens V1 und weiterer Annahmen über virtuelle Verteilungsvolumina ermittelt.
Virtuelle Verteilungsvolumina
Entsprechend der Beziehung m1=V1×c1 lassen sich fiktive oder auch sog. virtuelle oder offensichtliche Verteilungsvolumina („apparent volume of distribution“) für die peripheren Kompartimente „2“ und „3“ über die Beziehungen m2=V2×c2 und m3=V3×c3 definieren. Da im Allgemeinen aber keine der 3 Größen mi, Vi, ci i=2 bzw. 3 messbar ist, sind diese Beziehungen zunächst wenig hilfreich. Erst durch weitere Annahmen kann man zu einer Schätzung für die Volumina V2 und V3 gelangen.
Man nimmt an, dass im »steady state« die Konzentration in allen Kompartimenten identisch ist.
Mit den Bezeichnungen der obigen Gleichungen liegt der „steady state“ dann vor, wenn die Änderung der Mengen in den Kompartimenten (dmi/dt) = 0 ist. Dann gilt:
$$ 0={k}_{12}{m}_1{-} {k}_{21}{m}_2 $$
$$ 0={k}_{13}{m}_1{-} {k}_{31}{m}_3 $$
Setzt man in diese Gleichungen die Beziehungen mi= Vi×ci ein und bedenkt, dass im „steady state“ die Konzentration in allen Kompartimenten als gleich angesehen wird (c1=c2=c3), so folgt:
$$ {V}_2=\frac{k_{12}}{k_{21}}{V}_1 $$
$$ {V}_3=\frac{k_{13}}{k_{31}}{V}_1 $$
Die Summe der 3 Volumina ist das offensichtliche Gesamtverteilungsvolumen, es wird auch als das Verteilungsvolumen im „steady state“ Vss bezeichnet.
$$ {V}_{ss}={V}_1+{V}_2+{V}_3 $$
Meist sind die peripheren Verteilungsvolumina V2 und V3 erheblich größer als das zentrale Verteilungsvolumen V1.
Verteilungsvolumina sind weniger durch die Anatomie bestimmt als vielmehr durch das Verteilungsverhalten der Substanzen. Die physikochemische Löslichkeit der Substanz in den verschiedenen Geweben ist eine maßgebliche Determinante für die Größe des Verteilungsvolumens.
Die anatomischen Korrelate der verschiedenen Verteilungsvolumina können deshalb erheblich andere Größenordnungen aufweisen. Initiale Verteilungsvolumina liegen größenordnungsmäßig für viele i.v.-Anästhetika zwischen einigen wenigen l und einigen 10 l. Die Verteilungsvolumina im „steady state“ (Vss) sind maßgeblich durch die Lipophilie der Substanzen geprägt.
Eine Reihe von neueren Muskelrelaxanzien haben kleine Vss z. B. ca. 8 l für Atracurium. Unter den Opiaten hat Remifentanil mit ca. 20 l das kleinste Vss. Fentanyl reicht mit ca. 200 l schon an die Größenordnung von Propofol mit einem Verteilungsvolumen von Vss=240 l heran. Die größten Verteilungsvolumina weisen Inhalationsanästhetika mit bis zu einigen 1000 l auf.
Interkompartimentelle Clearance
Formt man die vorstehenden Definitionsgleichungen für V2 und V3 um,
$$ {k}_{21}{V}_2={k}_{12}{V}_1 $$
$$ {k}_{31}{V}_3={k}_{13}{V}_1 $$
kann man, in Analogie zur oben stehenden Formel für die Clearance, die Größen links und rechts des Gleichheitszeichens als Clearancegrößen interpretieren.
Die Größen Cl2 = k12V1 und Cl3 = k13V1 nennt man interkompartimentelle Clearance im Unterschied zur totalen Clearance Cl. Diese sind ein Maß für den Umfang des Anästhetikumtransfers zwischen den Kompartimenten, das unabhängig von der Konzentration ist. In gleicher Weise beschreibt die totale Clearance die Eliminationsfähigkeit des Körpers unabhängig von der Konzentration.
Von den Größen Clearance, Verteilungsvolumen und Transferkonstanten sind nur die Clearance und das initiale Verteilungsvolumen mit relativ einfachen Methoden zu quantifizieren. Die für eine vollständige pharmakokinetische Beschreibung erforderliche Quantifizierung der Mikro- oder Transferkonstanten setzt kompliziertere mathematische Anpassungsprozeduren voraus.
Polyexponentielle Dispositionsfunktion
Wie in Abb. 6 dargestellt, fallen die Konzentrationen im Blut nach Gabe eines Bolus D polyexponentiell ab.
Den Blutspiegelverlauf nach einem Bolus bezeichnet man auch als Dispositionsfunktion.
Die Anzahl der verschiedenen Exponenten, die zur adäquaten Beschreibung des Blutspiegelabfalls c(t) benötigt wird, stimmt mit der Anzahl der Kompartimente des unterlegten Kompartimentmodells überein. Für ein 3-Kompartiment-Modell (Abb. 5) ergibt sich somit ein triexponentieller Blutspiegelverlauf c(t).
$$ c(t)=\frac{D}{V_1}\left({Ae}^{- at}+{Be}^{-\beta t}+{Ce}^{-\gamma t}\ \right);A+B+C=1 $$
Es ist eine Konvention, dass die Exponenten α, β, γ der Größe nach geordnet werden, γ ist der kleinste Exponent und damit die langsamste Zeitkonstante.
Den Parametersatz (A, B, C, α, β, γ) bezeichnet man auch als pharmakokinetischen Hybridparameter. Dabei ist es unerheblich, ob man sich zur Beschreibung der Pharmakokinetik der Hybridparameter oder der Transferkonstanten bedient, da sie sich jeweils ineinander umrechnen lassen.
Mit jedem Exponenten werden üblicherweise verschiedene Prozesse assoziiert. Mit dem ersten Exponenten (α-Phase) wird die schnelle Verteilung in das flache periphere Kompartiment verbunden und mit der β-Phase die Verteilung in das tiefe periphere Kompartiment, während die γ-Phase mit der Elimination in Verbindung gebracht wird (Abb. 6).
Die Fläche unter der Kurve (AUC) kann wie folgt berechnet werden:
$$ AUC=\frac{D}{V_1}\left(\frac{A}{\alpha }+\frac{B}{\beta }+\frac{C}{\gamma}\right) $$

Modellbasierte Dosierungsprinzipien

Mit dem zentralen Verteilungsvolumen V1 und der Clearance Cl sind wichtige Größen für die Bestimmung der Dosierung eines i.v.-Anästhetikums gegeben.
Bolus- und Erhaltungsdosis
Möchte man für ein gewisses Anästhetikum eine Blutkonzentration von c0 einstellen, kann dies durch die Gabe eines initialen Bolus der Größe D0 = V1c0 erreicht werden.
Für die Aufrechterhaltung ergibt sich eine konstante Infusionsrate I0 = Clc0.
Beispiel
Legt man die in Abb. 6 dargestellten, pharmakokinetischen Größen von Propofol [10] zugrunde, so ist V1= 22,5 l und die Cl = 1,3 l/min. Um eine Konzentration von c0 = 3 μg/ml zu erzielen, ist mithin ein Bolus von 67,5 mg und eine Erhaltungsdosierung von 3,9 mg/min erforderlich.
Führt man eine Computersimulation dieser Dosierungsstrategie durch, erzielt man den in Abb. 7 dargestellten Konzentrationsverlauf.
Zwar wird initial der erwünschte Blutspiegel erreicht, aber die konstante Infusionsrate ist über lange Zeit nicht in der Lage, die steil abfallenden Blutspiegel zu kompensieren. Die Konzentration steigt sehr langsam. Die Ursache ist, dass unmittelbar nach dem Bolus das Medikament in die peripheren Kompartimente verteilt wird, die im Vergleich zum zentralen Kompartiment ein ungleich größeres Reservoir darstellen. Diese Reservoirs nehmen die Substanz solange auf, bis Gleichgewichtsbedingungen hergestellt sind.
Zum Vergleich: Wenn im vorgestellten Beispiel bei einer Konzentration von 3 μg/ml 67,5 mg Substanz in V1 vorhanden sind, dann befindet sich unter „Steady-state“-Bedingungen in den peripheren Kompartimenten V2 und V3 ungefähr das 25-fache. Im „steady state“ sind also bei einem Blutspiegel von 3 μg/ml ca. 67,5 mg + 25×67,5 mg = 1,755 mg gespeichert. Dieser sog. „body load muss dem Körper zugeführt werden, wenn man den Gleichgewichtszustand erreichen will.
Soll der Gleichgewichtszustand schnell erreicht werden, muss diese Menge der systemischen Zirkulation auch schnell zugeführt werden.
Cave
Da die gesamte Menge in allen Kompartimenten über das kleine, zentrale Verteilungsvolumen zugeführt werden muss, sind die induzierten Maximalblutspiegel umso höher, je schneller dies geschieht.
Mit der Höhe der Blutspiegel nehmen jedoch auch die unerwünschten Wirkungen zu. Hinsichtlich der Dosierung stellt sich also ein Optimierungsproblem.
BET-Schema
Um eine konstante Blutkonzentration c0 von Anfang an zu erzielen und aufrecht zu erhalten, wurde das sog. BET-Schema (Bolus-Elimination-Transfer) entwickelt [14, 15].
Es ging von folgenden Überlegungen aus: Um die Konzentration c0 in einem Volumen V1 zu erzielen, muss diesem Volumen eine Substanzmenge D0= c0×V1 zugeführt werden. Wird die Menge als Bolus appliziert, so sind in der Folgezeit diejenigen Prozesse zu kompensieren, die die Substanz veranlassen dieses Volumen zu verlassen; das ist einmal die Elimination aus dem Körper und zum anderen der Transfer aus dem zentralen Verteilungsvolumen in die peripheren Verteilungsvolumina. Wenn die Menge D0 im Volumen V1 konstant bleibt, dann wird pro Zeiteinheit die konstante Menge k10D0 eliminiert. Diese Größe muss also substituiert werden, um die Menge und damit die Konzentration in V1 konstant zu halten.
Der Nettotransfer von Kompartiment 1 nach Kompartiment 2 weist pro Zeiteinheit die Größe D0k12exp(-k21t) auf, ein analoger Ausdruck gilt für den Transfer von Kompartiment 1 nach Kompartiment 3. In der Summe folgt:
$$ \mathrm{I}\left(\mathrm{t}\right)={\mathrm{D}}_0\ \left(\updelta \left(\mathrm{t}\right)+{\mathrm{k}}_{10}+{\mathrm{k}}_{12}{\mathrm{e}}^{-{\mathrm{k}}_{21}\mathrm{t}}+{\mathrm{k}}_{13}{\mathrm{e}}^{-{\mathrm{k}}_{31}\mathrm{t}}\ \right) $$
Der Transferterm fällt exponentiell ab; d. h. in dem Maße, in dem das System dem Gleichgewichtszustand entgegen strebt, verringert sich der Nettotransfer vom zentralen Kompartiment in die peripheren Kompartimente. Abb. 8 zeigt eine grafische Darstellung dieses Applikationsschemas als Funktion der Zeit.
Das BET-Schema ist der Ausgangspunkt für weitergehende Dosierungsüberlegungen wie die sog. „target controlled infusion“ (TCI).
Konzentrationsabfall und Halbwertszeiten
Nach Beendigung der Zufuhr eines Pharmakons fällt die Konzentration im Blut polyexponentiell ab. Dabei bestimmt der jeweils kleinste Exponent den terminalen Abfall, also der β-Term beim 2-Kompartiment-Modell oder der γ-Term beim 3-Kompartiment-Modell. Nach Abklingen der schnelleren Exponentialterme kann also das Abfallverhalten durch einen einzigen Exponentialterm beschrieben werden.
Zur Charakterisierung der Geschwindigkeit des Abfalls bedient man sich der Kenngröße „Halbwertszeit“ („half life“), die üblicherweise z. B. für die γ-Phase durch t1/2γ abgekürzt wird.
Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der eine Exponentialfunktion um 50 % abgefallen ist.
Die Halbwertszeit ist für monoexponentielle Kurven eine universelle Größe. Von jedem Ordinatenwert c auf der Exponentialkurve dauert es immer die Zeitspanne t1/2γ, bis die Exponentialfunktion auf die Hälfte von c abgefallen ist (Abb. 3).
Bei polyexponentiellen Dispositionfunktionen gilt das nicht. Nach Abfall der schnellen Phasen (α- und ggf. β-Phase) gilt das jedoch annähernd für die γ-Phase. Die damit verbundene Halbwertszeit heißt auch terminale Halbwertszeit.
Die Halbwertszeit ist damit ein attraktiver Indikator zur Charakterisierung der endgültigen Elimination eines Pharmakons aus dem Blut. Über viele Jahre wurde diese Größe in der Anästhesiologie zur Beschreibung der Geschwindigkeit des Aufwachverhaltens nach Anästhetikaapplikation verwendet. Allerdings wurde an der klinischen Relevanz dieser Größe schon Anfang der 1980er-Jahre Kritik geübt [13], weil die überaus lange terminale Halbwertszeit von Inhalationsanästhetika (typische Größenordnung 1.000–3.000 min) nicht mit den relativ kurzen Aufwachzeiten korrespondierte.
Das folgende Beispiel verdeutlicht diese Kritik. Der Konzentrationsabfall nach einem Bolus bzw. nach Erreichen des „steady state“ wird durch folgende polyexponentielle Funktion beschrieben.
nach Bolus:
Ae−αt + Be−βt + Ce−γt
mit den Beispieldaten gemäß Abb. 6:
0,88e−0,51t + 0,10e−0,027t + 0,02e−0,0015t
nach „steady state“:
mit den Beispieldaten gemäß Abb. 6:
1,8e−0,51t + 3,7e−0,027t + 13,3e−0,0015t
Nach Bolusapplikation sind also für 98 %
$$ \left(=\frac{0,88+0,10}{0,88+0,10+0,02}\right) $$
des Konzentrationsabfalls die beiden schnelleren α- und β-Phasen verantwortlich, während nur 2 % durch die terminale γ-Phase mit einer Halbwertszeit von 460 min bestritten werden.
Aus dem „steady state“ heraus beträgt der Anteil der α- und β-Phase dagegen nur ca. 29 %
$$ \left(=\frac{1,8+3,7}{1,8+3,7+13,3}\right), $$
der Anteil der terminalen γ-Phase jedoch beträgt ca. 71 % des Gesamtabfalls (Abb. 9).
Die Bedeutung der terminalen Abfallphase für das Aufwachen aus der Narkose wird durch die terminale Halbwertszeit in hohem Maße überschätzt. Ihr jeweiliger Anteil hängt davon ab, wieweit während der Narkose ein „steady state“ eingetreten ist.
Nicht immer entspricht die terminale Abfallphase einem exponentiellen Abfall. Vielmehr wurden insbesondere für Fentanyl postoperative Wiederanstiege des Blutspiegels gefunden, die zu dem gefürchteten Reboundphänomen mit sekundärem Atemstillstand geführt haben [19]. Ein solches Reboundphänomen stellt letztlich eine Verletzung der Zeitunabhängigkeit dar, die die praktische Voraussetzung aller pharmakokinetisch-pharmakodynamischen Modellbildungen ist. Die klinischen Phänomene der Tachyphylaxie und Toleranzentwicklung stellen weitere Beispiele einer Verletzung dieser wichtigen Voraussetzung dar. Inwieweit sie pharmakokinetische oder pharmakodynamische Ursachen hat, hängt vom Einzelfall ab und ist bisher in vielen Fällen unbekannt.
Mittlere Verweildauer
In der Literatur werden andere, weniger spezielle Größen zur Abschätzung der Wirkdauer herangezogen wie z. B. die mittlere Verweildauer der Substanz im Körper MRT („mean residence time“). Sie ist definiert durch:
$$ MRT=\frac{\int_0^{\infty } tc(t) dt}{\int_0^{\infty }c(t) dt} $$
wobei c(t) den Konzentrationsverlauf nach Bolusgabe bezeichnet.
Bei der Konstruktion solcher zeitlicher Parameter ist zu bedenken, dass für die Wirksamkeit nicht so sehr die Verweildauer im Körper relevant ist, als vielmehr die Verweildauer am Ort der Wirkung. Viele (v. a. lipophile) Pharmaka werden lange im Fettgewebe gespeichert und nur sehr langsam aus dem Körper eliminiert. Da sie sich aber an einem pharmakodynamisch inerten Ort befinden, ist das für die Dauer z. B. der Aufwachphase vollkommen irrelevant. Typische Vertreter solcher Pharmaka sind die halogenierten Inhalationsanästhetika. Die sehr lange Verweildauer im Körper spielt dann für die Dauer der Aufwachphase praktisch keine Rolle, sie kann aber unter toxikologischen Gesichtspunkten relevant werden.
Effektive Abfallzeit und kontextsensitive Halbwertszeit
Es wurde deshalb vorgeschlagen, eine effektive Abfallzeit (EZ) der Konzentration auf einen gewissen Prozentsatz vom Ausgangswert als Substitut für die Halbwertszeit heranzuziehen. Wie in Abb. 9 dargestellt ist, wird diese Zeitdauer maßgeblich dadurch bestimmt, bis zu welchem Grad der „steady state“ erreicht wurde. Dies hängt u. a. von der Applikationsdauer ab. Abb. 10 zeigt die effektive Abfallzeit auf 20 % vom Ausgangswert (EZ20) als Funktion der Applikationsdauer für einige Inhalationsanästhetika und Etomidate [13].
Die EZ50, also der Abfall der Pharmakonkonzentration im Blut auf 50 % vom Ausgangswert, wird heute als kontextsensitive Halbwertszeit [6] bezeichnet.

Pharmakokinetik der Inhalationsanästhetika

Grundlagen

Die Beschreibung der Pharmakokinetik der Inhalationsanästhetika folgt meist anderen Darstellungsweisen als die der i.v.-Anästhetika. Dies liegt daran, dass die Inhalationsanästhetika nicht unmittelbar in die systemische Zirkulation appliziert werden und dass die Applikationsgeräte für die Verabreichung von Inhalationsanästhetika (Verdampfer, Beatmungsgerät) technisch erheblich komplexer sind als eine Verweilkanüle mit manueller Spritze. Zudem ist die Verabreichung der Inhalationsanästhetika unmittelbar mit einem physiologischen Prozess verknüpft, nämlich mit der Atmung bzw. Beatmung und dem Gasaustausch.
Prä- und postalveoläres System
In erster Näherung kann das Gesamtsystem „Mensch plus Applikationsgerät (Narkosegerät)“ in ein prä- und postalveoläres System aufgegliedert werden.
Das präalveoläre System umfasst den Teil, in dem das Inhalationsanästhetikum gas- oder dampfförmig vorliegt (im Folgenden wird kurzerhand nur von der Gasphase gesprochen, obwohl bei den volatilen Anästhetika ein Dampf vorliegt). Das postalveoläre System bezeichnet den Teil, in dem das Anästhetikum im Blut gelöst vorliegt sowie alle nachgeschalteten Prozesse der Verteilung und Elimination.
Die weitere Darstellung betrachtet die Pharmakokinetik der Inhalationsanästhetika ab dem Einwaschprozess der inspiratorischen Gas- bzw. Dampfkonzentration cinsp in das alveoläre Volumen VA. Dieses Volumen kann als Analogon zu dem zentralen Verteilungsvolumen der i.v.-Anästhetika angesehen werden, weil in dieses Volumen das Gas verabreicht wird, von dort aus das Gas auch eliminiert wird und aus diesem Volumen der Transfer in die systemische Zirkulation erfolgt.

Aufnahme, Verteilung und Elimination

Massenbilanz
Liegt im Alveolarvolumen VA eine Konzentration cA vor, so ist die Substanzmenge gegeben durch mA=VAcA.
Die Änderung dieser Menge über die Zeit ist gleich der Differenz zwischen der mit der alveolären Ventilation (\( {\dot{\mathrm{V}}}_{\mathrm{A}} \)) zugeführten, abzüglich der ausgeatmeten und der vom Körper aufgenommenen (Aufnahmerate) Gasmenge.
$$ \frac{dm_A}{dt}={\dot{\mathrm{V}}}_{\mathrm{A}}{\mathrm{c}}_{\mathrm{insp}}-{\dot{\mathrm{V}}}_{\mathrm{A}}{\mathrm{c}}_{\mathrm{A}}-\mathrm{Aufnahmerate} $$
Die Gesamtaufnahme („uptake“) ist durch die Summe der Aufnahme der einzelnen Organe gegeben.
\( {\dot{\mathrm{Q}}}_{\mathrm{i}} \) steht für den HZV-Anteil, mit dem ein Organ i perfundiert wird, ca bezeichnet die arterielle Konzentration und cvi die Konzentration im venösen Blut. Die Änderung der in dem Organ befindlichen Anästhetikummenge mi ist durch das Massenerhaltungsgesetz gegeben.
$$ \frac{dm_A}{dt}={\dot{Q}}_i{c}_a-{\dot{Q}}_i{c}_{vi} $$
Blut-Gewebe-Verteilungskoeffizient
Ohne zusätzliche Annahmen lassen sich aus dieser Beziehung keine weiteren Schlüsse ziehen.
Der Physiologe Zuntz machte 1897 zur Beschreibung der Kinetik von Stickstoff [23] die Annahme, dass der Partialdruck im venösen Blut gleich dem Partialdruck im Gewebe selbst ist. Hiermit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die kurze Zeit der Gewebepassage ausreicht, um das Gleichgewicht zwischen Blut und Gewebe zu erreichen. Dieser Vorschlag wurde später auf die Inhalationsanästhetika übertragen und bildet nunmehr seit Jahrzehnten die Grundlage zur Beschreibung der Pharmakokinetik der Inhalationsanästhetika [9].
Die Annahme, dass die Partialdrücke im venösen Blut und im Gewebe gleich sind, bedeutet, dass die Konzentration im Gewebe ci proportional ist der Konzentration im Blut. Der Proportionalitätsfaktor wird üblicherweise mit λi abgekürzt. Diese Größe wird auch als Blut-Gewebe-Verteilungskoeffizient bezeichnet.
Steht Vi für das anatomische Verteilungvolumen, so ergeben sich folgende Beziehungen:
$$ {c}_i={\lambda}_i{c}_{vi} $$
$$ {m}_i={\lambda}_i{c}_{vi}{V}_i $$
Bei den Inhalationsanästhetika nennt man die Größe λiVi virtuelles Verteilungsvolumen.
Aufnahme und Aufnahmerate
Wenn die arterielle Konzentration ca von Anfang an konstant ist und sich vor dem Beginn der Dosierung kein Anästhetikum im Gewebe befindet, dann ist die kumulative Aufnahme Ui und die kumulative Aufnahmerate \( {\dot{U}}_i \) gegeben durch:
$$ {U}_i={c}_a{\lambda}_i{V}_i\left(1-{e}^{-\frac{{\dot{Q}}_i}{\lambda_i{V}_i}t}\right); Aufnahme $$
$$ \frac{dU_i}{dt}={\dot{U}}_i={c}_a{\dot{Q}}_i{e}^{-\frac{{\dot{Q}}_i}{\lambda_i{V}_i}t}; Aufnahmerate $$
Der Zusammenhang zwischen der arteriellen Konzentration ca und der alveolären Konzentration cA wird durch den Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten λ (ohne Index) geliefert.
$$ {c}_a=\lambda {c}_A $$
Die Gesamtaufnahme, der Uptake, ist damit die Summe der Aufnahmen der einzelnen Organe und Gewebe Ui. Entsprechend ist die Uptake-Rate die Summe der einzelnen Aufnahmeraten. Damit erhalten wir für die Änderung der Menge im Alveolarraum:
$$ \frac{dm_A}{dt}={\dot{V}}_A{C}_{insp}-{\dot{V}}_A{C}_A-\lambda {c}_A\sum \limits_i{\dot{Q}}_i{e}^{-\frac{{\dot{Q}}_i}{\lambda_i{V}_i}t} $$
Hinsichtlich der Dosierung (inspiratorische Konzentration im Alveolarraum) VAcinsp zur Erreichung und Aufrechterhaltung einer konstanten alveolären Konzentration cA, kann nun vollständig analog zum BET-Schema vorgegangen werden. Zunächst ist das Alveolarvolumen mit der Menge VAcA auszustatten und dann sind die Elimination und Transferprozesse zu kompensieren. Damit erhält man:
$$ {\dot{V}}_A{C}_{insp}={V}_A{C}_A\delta (t)+{\dot{V}}_A{C}_A+\lambda {c}_A\sum \limits_i{\dot{Q}}_i{e}^{-\frac{{\dot{Q}}_i}{\lambda_i{V}_i}t} $$
Severinghaus hatte 1954 bemerkt [18], dass der komplizierte Summenausdruck sich für Stickoxidul durch den einfacheren Ausdruck annähern lässt.
$$ \frac{\dot{\mathrm{Q}}}{\sqrt{\mathrm{t}}}\approx \sum \limits_i{\dot{Q}}_i{e}^{-\frac{{\dot{Q}}_i}{\lambda_i{V}_i}t} $$
Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Zeit t in min auszudrücken ist und nur diese Zahlen in die Wurzel einzusetzen sind und nicht etwa die dimensionsbehaftete Größe. Lowe [9] hat später diese Approximation auch auf die volatilen Anästhetika übertragen. Bei der Ableitung der mathematischen Formel für obiges Dosierungsschema und dessen Zusammenhang mit der „1-durch-Wurzel-t“-Regel
$$ \left(\frac{1}{\sqrt{t}}\right) $$
wurde zur Vereinfachung auf die Einbeziehung der in der Abb. 2 dargestellten Blutpools verzichtet. Das führt dazu, dass die initiale Dosis höher zu wählen ist als die in der Formel dargestellte Menge VAcA.
Die vorstehenden Betrachtungen setzen eine konstante arterielle Konzentration voraus.
Ist die arterielle Konzentration nicht konstant, kann die „1-durch-Wurzel-t“-Regel zur Beschreibung der Aufnahme von Inhalationsanästhetika nicht angewandt werden.
Vergleich der modellbasierten Dosierungskonzepte für intravenöse und inhalative Anästhetika
Stellt man nun die Dosierungen für eine konstante Konzentration c1 im zentralen Kompartiment V1 der i.v.-Anästhetika der Dosierung für eine konstante Konzentration cA im Alveolarraum VA gegenüber, so ergibt sich folgender Vergleich:
Applikationsrate Inhaltionsanästhetika
$$ {\dot{V}}_A{C}_{insp}={V}_A{C}_A\delta (t)+{\dot{V}}_A{C}_A+{c}_A\left\{{\dot{Q}}_1\lambda {e}^{\frac{{\dot{Q}}_1}{\lambda_1{V}_1}t}+{\dot{Q}}_2\lambda {e}^{\frac{{\dot{Q}}_2}{\lambda_2{V}_2}t}+\dots \right\} $$
Bolus Elimination Transfer
$$ {V}_1{c}_1\delta (t)+{V}_1{k}_{el}{c}_1+{c}_1\left\{{V}_1{k}_{12}{e}^{-{k}_{21}t}+{V}_1{k}_{13}{e}^{-{k}_{31}t}+\dots \right\} $$
= Infusionsrate i.v.-Anästhetika
Aus dieser Gegenüberstellung lassen sich die folgenden korrespondierenden Größen ableiten:
$$ {V}_1\leftrightarrow {V}_A;{k}_{el}\leftrightarrow \frac{{\dot{V}}_A}{V_A} $$
$$ {k}_{12}\leftrightarrow \frac{{\dot{Q}}_1\lambda }{V_A};{k}_{21}\leftrightarrow \frac{{\dot{Q}}_1}{\lambda_1{V}_1} $$
$$ {k}_{1i}\leftrightarrow \frac{{\dot{Q}}_{i-1}\lambda }{V_A};{k}_{i1}\leftrightarrow \frac{{\dot{Q}}_{i-1}}{\lambda_{i-1}{V}_{i-1}} $$
Die sog. Mikrokonstanten kij der Pharmakokinetik der i.v.-Anästhetika werden bei den Inhalationsanästhetika durch biologische und physikochemische Größen wie Perfusion, anatomische Gewebegröße, Blut-Gas- und Blut-Gewebe-Verteilungskoeffizienten ausgedrückt.
Metabolismus
Die obige Gegenüberstellung ist für die Inhalationsanästhetika insofern idealisiert, als dass die Elimination ausschließlich die unveränderte Ausatmung der Substanz, nicht jedoch die Metabolisierung berücksichtigt.
Tatsächlich werden die neueren Inhalationsanästhetika (z. B. Isofluran, Sevofluran und Desfluran) zu wenigen Prozent der aufgenommenen Gesamtmenge, die älteren Inhalationsanästhetika (z. B. Halothan oder Methoxyfluran) zu 20–50 % metabolisiert.
Aus pharmakokinetischer Sicht kann daher bei den neueren Inhalationsanästhetika die Metabolisierung vernachlässigt werden. Dies ist als Vorteil der Inhalationsanästhetika gegenüber i.v.-Anästhetika bewertet worden, die typischerweise zu bis zu über 90 % metabolisiert werden.
Hinsichtlich der toxikologischen Implikationen ist aber eine quantitative Mengenbetrachtung angezeigt. Nach der Formel von Severinghaus (s. oben) ist die aufgenommene Menge an Dampf eines Inhalationsanästhetikums, wenn für die Zeit t die alveoläre Konzentration cA aufrechterhalten wurde, größer als die Menge 2λcA\( \dot{\mathrm{Q}}\mathrm{t} \)1/2.
Beispiel
Wählt man beispielhaft einen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten λ=1, eine alveoläre Konzentration von 1 %, ein Herzzeitvolumen von 6/min und eine Applikationsdauer von 120 min, so ergibt sich eine aufgenommene Menge von mindestens ca. 1,3 l Anästhetikumdampf. Das entspricht idealtypisch ca. 6,5 ml Flüssigkeit oder einem Gewicht von ca. 10 g. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Umrechnung von Anästhetikumdampf in Flüssigkeit und Gewicht von Anästhetikum zu Anästhetikum unterscheidet.
Das Beispiel soll lediglich darauf hinweisen, dass die aufgenommenen Inhalationsanästhetikummengen im 2-stelligen Grammbereich liegen können. Abhängig vom Metabolisierungsgrad kann die metabolisierte Menge somit durchaus in der gleichen Größenordnung liegen wie bei i.v.-Anästhetika.
Cave
Aus der prozentual geringeren Metabolisierung der Inhalationsanästhetika gegenüber den i.v.-Anästhetika kann nicht unmittelbar auf günstigere toxikologische Eigenschaften der Inhalationsanästhetika geschlossen werden.

Pharmakodynamik

Die Aufgabe der Pharmakodynamik ist die Beschreibung der Beziehung zwischen der Konzentration eines oder mehrerer Anästhetika und der Intensität eines Effekts.

Konzentrationswirkungsbeziehungen

Konzentrationswirkungs­beziehungen für stetige Effekte

Konzentrationswirkungskurven
Viele Systeme weisen eine sigmoide Konzentrationswirkungskurve auf. Solche sigmoiden Kurven sind aus der elementaren Physiologie (z. B. Hämoglobin-Sauerstoff-Bindungskurve) bekannt und in vielen anderen Bereichen der belebten und unbelebten Natur vorhanden. Sie können durch die sog. Hill-Gleichung beschrieben werden:
$$ E(c)={E}_0\frac{c^{\gamma }}{c_0^{\gamma }+{c}^{\gamma }} $$
Abb. 11 zeigt mehrere solcher Kurven für verschiedene Werte von c0 und γ. E(c) bezeichnet den Effekt bei der Konzentration c. Die Effektgröße wird so normiert, dass der Ausgangswert unter Normalbedingungen (c=0) willkürlich auf Null gesetzt wird und der maximal erreichbare Effekt mit E0 abgekürzt wird.
3 Bereiche der Kurve
  • Der Bereich kleiner Konzentrationen (c<c0): Hier ist der Logarithmus des Effekts proportional dem Logarithmus der Konzentration (log[E/E0] ≈ log[c/c0])
  • Der Bereich großer Konzentrationen (c>c0): Hier führen große Konzentrationssteigerungen nur zur geringen Effektsteigerungen (E ≈ E0)
  • Der Bereich um c0 herum: Hier ist die Abhängigkeit des Effekts von der Konzentration am stärksten. Für die Konzentration c=c0 ist der Effekt halbmaximal E(c0)= E0/2, weshalb die Größe c0 je nach Kontext auch als EC50, IC50 oder ED50 abgekürzt wird
Typische therapeutische Ziele können in unterschiedlichen Bereichen der Konzentrationwirkungskurve angesiedelt sein: Bei den Muskelrelaxanzien z. B. liegt der typische therapeutische Effekt bei 90 % oder mehr des Maximaleffekts. Die Sedierung beim Intensivpatienten hingegen könnte bei ca. 50 % des Maximaleffekts (anästhetische Wirkung) angesiedelt sein, während sich die Spurendosentoxizität von Inhalationsanästhetika im Bereich minimaler Effekte befindet.
Viele in der Anästhesie verwendete Substanzen haben ein optisch aktives Zentrum und können deshalb als Moleküle mit unterschiedlicher Händigkeit (Chiralität) vorliegen, die als optische Isomere (Enantiomere) bezeichnet werden. Ketamin liegt z. B. als Racemat des rechts- und linksdrehenden Enantiomers vor.
Es konnte gezeigt werden, dass die Enantiomere unterschiedliche Konzentrationswirkungskurven aufweisen [12].
Das hat dazu geführt, eine Formulierung von Ketamin zu entwickeln, die nur das potentere S(+)-Enantiomer enthält.
Steuerbarkeit
Die Steuerbarkeit der jeweiligen Substanz ist am besten um c0 herum, weil hier die Abhängigkeit des Effekts von der Konzentration am stärksten ist. Allerdings ist hier die Steuerung auch am schwierigsten.
Bei sehr kleinen und sehr großen Effekten ist die Steuerbarkeit gegenüber der Steuerbarkeit bei halbmaximalem Effekt herabgesetzt.
Einfluss auf die Beendigung der Wirkung
Die Steilheit der Kurve hängt, wie in Abb. 11 dargestellt, vom Exponenten γ ab und kann wichtige Einflüsse auf das Aufwachverhalten haben. Bei den Muskelrelaxanzien z. B. wird die Zeit, die erforderlich ist, um von einem Effekt von 75 % des Maximaleffekts auf 25 % abzufallen, als „recovery index“ bezeichnet. Je steiler die Konzentrationseffektkurve ist, umso geringer fällt die Konzentrationsspanne aus, die durchschritten werden muss. Umso kürzer wird also die Zeit sein, die erforderlich ist, um z. B. von 75 % des Maximaleffekts auf 25 % des Maximaleffekts abzufallen. Eine Versteilerung der Konzentrationswirkungskurve kann also zu einer rascheren Beendigung der Wirkung führen.

Konzentrationswirkungsbeziehungen für diskrete Effekte

Konzentrationswirkungskurven für diskrete Ja-nein-Effekte, wie z. B. wach oder nichtwach, Bewegung oder keine Bewegung werden als kumulative Häufigkeiten bzw. relative Häufigkeiten innerhalb einer gegebenen Population untersucht.
Das bekannteste Beispiel in der Anästhesie ist die Modellierung der relativen Häufigkeit p der Bewegung auf Hautschnitt hin in Abhängigkeit von der alveolären Konzentration cA eines Inhalationsanästhetikums. 1-p ist folglich die relative Häufigkeit für Nichtbewegung. Da p bzw. 1-p eine Zahl zwischen 0 und 1 ist, kann man die Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit p von der Konzentration c analog der obigen Formel für den Effekt modellieren:
$$ 1-p=\frac{c_A^{\gamma }}{c_0^{\gamma }+{c}_A^{\gamma }}\ oder\ p=1-\frac{c_A^{\gamma }}{c_0^{\gamma }+{c}_A^{\gamma }} $$
Die Konzentration zu halbmaximalem Effekt in dieser Formel wurde seinerzeit von Eger u. Saidman et al. [4] als „minimum alveolar concentration“ (MAC) bezeichnet.
Der MAC-Wert wurde als ein Maß vergleichender Potenz für die Inhalationsanästhetika eingeführt. Im Prinzip unterscheidet er sich konzeptionell nicht von Größen wie ED50, EC50 oder IC50, die für andere Konzentrationswirkungsbeziehungen für Ja-nein-Effekte eingeführt worden sind.
Um den Parameter MAC-Wert für ein gegebenes Inhalationsanästhetikum zu bestimmen, ist es nicht erforderlich, für eine Reihe von bestimmten vorgegebenen Konzentrationen ci, i=1..n die jeweiligen relativen Häufigkeiten pi zu schätzen, um daraus durch Kurvenanpassungsmethoden die besten Parameter zu bestimmen. Es reicht vielmehr aus, eine hinreichende Anzahl von Ja- und Nein-Einzeleffekten bei geeignet gestreuten Konzentrationswerten ci gemessen zu haben.

Biophase und Effektkompartiment

Der Pharmakologe Segré hatte schon frühzeitig beobachtet [17], dass die Erhöhung des Blutdrucks dem Verlauf des Blutspiegels von Noradrenalin nur verzögert folgt. Der Anästhesist C.J. Hull [7] beobachtete ein solches Verhalten für die Muskelrelaxation und den Blutspiegel des Muskelrelaxans Pancuronium. Dieses Problem wurde durch die Einführung einer sog. „Biophase“ gelöst, einem zusätzlichen Kompartiment, in das sich das Muskelrelaxans verteilt und in dem der Wirkort angenommen wird. Für den einfachen Fall eines pharmakokinetischen 1-Kompartiment-Modells wurde zu der pharmakokinetischen Differenzialgleichung eine weitere Gleichung für die Konzentration in der Biophase hinzugefügt, welche die Verzögerung berücksichtigt.
$$ \frac{dm_1}{dt}=-{k}_{10}{m}_1+i(t); $$
$$ \frac{dc_b}{dt}={k}_{e0}\left({c}_1-{c}_b\right) $$
Im Wesentlichen stellt das hinzugekommene Effektkompartiment nichts anderes dar, als eine Methode, den Blutspiegelverlauf c1(t) durch exponentielle Mittelung zu „verschmieren“, denn es gilt:
$$ {c}_b(t)={k}_{e0}\underset{0}{\overset{t}{\int }}{dt}^{\acute{\mkern6mu}}{e}^{-{k}_{e0}\left(t-{t}^{\acute{\mkern6mu}}\right)}{c}_1\left({t}^{\acute{\mkern6mu}}\right) $$
Abb. 12 zeigt beispielhaft, wie für verschiedene Transferkonstanten für den Transfer zur Biophase ke0 der Konzentrationsverlauf in der Biophase dem Blutspiegelverlauf nacheilt. Je langsamer der Transfer zur Biophase erfolgt, d. h. je kleiner ke0 ist, desto später wird die Maximalkonzentration in der Biophase erreicht und desto niedriger fällt das Maximum aus.
Die zeitliche Verzögerung des Konzentrationsverlaufs in der Biophase gegenüber dem im Blut wird auch als Hysterese bezeichnet.
Die Stelle des Maximums liegt dabei immer auf dem Schnittpunkt mit der Blutspiegelkurve, da zum Zeitpunkt maximaler Biophasekonzentration der Blutspiegel und die Biophase im Fließgleichgewicht sind.
Eine Methode, den Parameter ke0 zu bestimmen, ist, nach einem Bolus der jeweiligen Substanz die Zeitdauer bis zum maximalen Effekt zu messen. Aus der Pharmakokinetik der Substanz und der Zeitdauer lässt sich ke0 bestimmen. Bei der Anwendung von Infusionen kommt man mit dieser Methode nicht zum Ziel; hier sind Prozeduren für die Minimierung, sog. Hystereseschleifen, anzuwenden.

Hysterese und repetitive Dosierung

Die Hysterese zwischen Blutkonzentration und Effekt ist während der Narkoseeinleitung und während der repetitiven Dosierung von Anästhetika von großer Bedeutung für die klinische Praxis.
Narkoseeinleitung
So kann bei der gleichzeitigen Verabreichung eines Hypnotikums und eines nichtdepolarisierenden Muskelrelaxans zur Narkoseeinleitung die Anschlagzeit des Muskelrelaxans so lange dauern, dass zum Zeitpunkt der möglichen Intubation die Patienten zwar vollständig muskelrelaxiert sind, die Wirkung des Hypnotikums aber schon nachlässt und die Patienten unbeabsichtigt bei Bewusstsein intubiert werden.
Narkoseaufrechterhaltung
Bei der repetitiven Bolusdosierung zur Aufrechterhaltung der Narkose kann die Hysterese ganz maßgeblich die Praktikabilität der Dosierung bestimmen. Abb. 13 zeigt den Verlauf des Blutspiegels eines fiktiven Medikaments und den Konzentrationsverlauf in 2 verschiedenen Biophasen mit unterschiedlichen Transferkonstanten ke0. Diese wurden so gewählt, dass das Maximum in der Biophase nach 1 min und 5 min erreicht wird. Das Minimum der Konzentration bei der jeweils nächsten Bolusgabe wurde hier willkürlich auf 1 normiert.
Man erkennt, dass selbst bei einer Äquilibrierungszeit von 1 min eine erhebliche Reduktion der Blutspiegelschwankungen erreicht wird. Diese wird noch einmal deutlich verstärkt bei der längeren Äquilibrierungszeit von 5 min. Es ist offensichtlich, dass sich die Biophasekonzentration eines Anästhetikums mit einer solchen Äquilibrierungszeit durch repetitive Bolusgaben ohne große Ausreißer im therapeutischen Fenster halten lässt.
Wollte man die Variabilität der Biophasekonzentration bei einer Äquilibrierungszeit von nur 1 min ähnlich beschränken, müsste man wesentlich häufiger wesentlich kleinere Boli geben. Es ist dies ein wesentlicher Mechanismus, weshalb z. B. Fentanyl ohne Schwierigkeit durch repetitive Dosierung zur Narkoseaufrechterhaltung gegeben werden kann, während dies bei Alfentanil oder noch kürzer äquilibrierenden Opiaten erheblich schwieriger ist und die repetitive Dosierung dann häufig durch eine kontinuierliche Infusion ersetzt wird.
Die Verknüpfung des pharmakokinetischen mit dem pharmakodynamischen Modell führt zu einem integrierten, pharmakologischen Modell des Anästhetikums [14], welches hervorragend geeignet ist, Dosierungsprobleme und deren Optimierung zu studieren [10].

Interaktionen und Konzentrationswirkungsbeziehungen für mehrere Anästhetika

Allgemeinanästhesien mit nur einem Narkosemittel werden heute – mit Ausnahme von Notfällen – praktisch nicht mehr durchgeführt. Selbst für die Erhaltung der Narkose werden nahezu immer 2 oder mehrere Substanzen verabreicht, sei es in der reinen Inhalationsanästhesie, bei der über Jahrzehnte Stickoxidul eine Standardkomponente war und in Teilen noch ist, sei es in der sog. balancierten Anästhesie, bei der Inhalationsanästhetika mit i.v.-Anästhetika kombiniert werden. Auch bei der totalen intravenösen Anästhesie wird ein Hypnotikum mit einem Analgetikum kombiniert oder es sind ganz andere Kombinationen anzutreffen wie z. B. Ketamin mit Midazolam.
In Verallgemeinerung der Konzentrationwirkungsbeziehung E=E(c) für ein Medikament mit der Konzentration c hat man nun die quantitative Konzentration-Wirkung-Beziehung E=E(ca,cb) für 2 Medikamente A und B mit den jeweiligen Konzentrationen ca und cb aufzustellen [20, 21]. Wenn man zur zuverlässigen Abschätzung der Konzentration-Wirkung-Beziehung eines einzelnen Medikaments n Messwerte benötigt, so benötigt man zur zuverlässigen Abschätzung der Konzentration-Wirkung-Beziehung für die gleichzeitige Anwendung von 2 Medikamenten n2 Messwerte, was einen erheblichen Mehraufwand bedeutet und in vielen Fällen die Forschungsökonomie sprengen würde.

Isobole

Es ist deshalb eine jahrzehntelang geübte Praxis, die Konzentration-Wirkung-Beziehung zunächst dort zu untersuchen, wo sie besonders interessant ist, nämlich bei einem speziellen Wert der Wirkung, z. B. einem Wert, der in der Mitte des therapeutischen Bereiches der typischen Anwendung der beiden Medikamente liegt. Bezeichnen wir diesen speziellen Wert mit Et, so wird durch die Gleichung Et=E(ca,cb) implizit eine Beziehung zwischen ca und cb hergestellt.
Trägt man die Menge aller Konzentrationspaare (ca,cb), die zu dem gleichen Effekt Et führen, grafisch auf, so erhält man in der Regel eine Kurve, die man Isobole nennt.
Abb. 14 zeigt 3 mögliche typische Vertreter einer solchen Isobole. Die Kurve schneidet die Konzentrationsachse für das Medikament A bei der Konzentration ca0 und die Konzentrationsachse für das Medikament B bei der Konzentration cb0. Diese Konzentrationen sind somit diejenigen Konzentrationen, die erforderlich sind, wenn man den Effekt Et nur mit dem Medikament A bzw. nur mit Medikament B erreichen möchte. Es gilt mithin Et = E(ca0,0) = E(0,cb0). Betrachtet man nun ein beliebiges anderes Konzentrationspaar (ca,cb), welches zu dem Effekt Et führt und mithin auf der Isobole liegt, dann ist das Verhältnis ca/ca0 der Bruchteil der Konzentration ca0 des Medikamente A, der bei gleichzeitigem Vorliegen der Konzentration cb des Medikaments B gegeben werden muss, um den Effekt Et zu erzielen. Die Summe SR= ca/ca0+cb/cb0 ist also die Summe der Bruchteile von ca0 und cb0, die zusammen appliziert wieder zu dem Effekt Et führen.
Isobolentypen
In Abhängigkeit davon, welchen Wert SR annimmt, spricht man von einer additiven (SR=1), infraadditiven (SR>1) oder supraadditiven (SR<1) Interaktion.
Der Typ der Interaktion muss für die gesamte Isobole nicht überall gleich sein.
In Abb. 15 sind verschiedene Isobolen dargestellt. Allerdings nicht als Graph der Konzentrationspaare (ca,cb), sondern als Graph der Bruchpaare (ca/ca0,cb/cb0), sodass die Isobolen die jeweilige Achse bei 1 schneiden.
Interaktionstypen
1.
Gilt für eine Isobole an allen Stellen SR=1, so nennt man die Interaktion der beiden Medikamente bei dem untersuchten Effekt Etglobal additiv.
 
2.
Gilt für die Isobole überall SR>1, so nennt man die Interaktion „global infraadditiv.
 
3.
Für SR<1 „global supraadditiv.
 
Im angloamerikanischen Sprachraum wird der infraadditive Bereich der Interaktion häufig als „antagonistisch“ bezeichnet. Aus klinischer Sicht ist diese Begriffsbildung nicht zutreffend.
Beispiel
Man betrachte in Abb. 15 den Punkt P mit den beiden Konzentrationen (caP,cbP). Die Medikamente A und B seien Muskelrelaxanzien und der untersuchte Effekt sei Atemstillstand. Offensichtlich ist es so, dass mit der Konzentration ca0 bei ausschließlicher Verabreichung des Relaxans A ein Atemstillstand erzielt wird, entsprechend mit der Konzentration cb0 für das Relaxans B. Mit der Konzentration caP alleine ließe sich kein Atemstillstand erzeugen, weil caP<ca0 ist, erst durch Zugabe der Konzentration cbP des Relaxans B wird wieder ein Atemstillstand erzielt. Eine solche Form der Interaktion als „antagonistisch“ zu bezeichnen, entspricht sicherlich nicht dem klinischen Wortgebrauch. Anders sieht es mit dem Punkt Q aus. Bei Anwesenheit einer Konzentration caQ<ca0 erhöht sich die Konzentration cbQ, die erforderlich ist, um einen Atemstillstand zu erzielen auf Werte, die größer sind als cb0. Hier könnte man sagen, dass die Relaxanzien A und B antagonistisch miteinander interagieren.
Bestimmung des Isobolentyps
Die Bestimmung des Typs der Interaktion für ein gegebenes Konzentrationspaar (ca,cb), welches auf der Isobole liegt, ist mithin einfach, wenn man die Achsenabschnitte ca0 und cb0 kennt. Man bildet die Summe SR= ca/ca0+cb/cb0 und ermittelt, ob SR größer, gleich oder kleiner 1 ist.
Schwierigkeiten können dann auftreten, wenn die Größen ca0 und cb0 nicht bekannt sind. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn aus medizinischen oder ethischen Gründen die Alleingabe von Medikament A oder Medikament B nicht möglich ist. Hier steht man dann vor der Aufgabe, durch die gemessene Punktewolke von n Konzentrationspaaren (cai,cbi), bei denen sich der zu untersuchende Effekt Et eingestellt hat, eine Kurve zu legen und somit die Endpunkte ca0 und cb0 durch Anpassungsprozeduren zu bestimmen.
Abb. Abb. 16 zeigt publizierte Konzentrationen von Propofol und Alfentanil zum klinischen Endpunkt „Verlust des Lidrandreflexes“ [22]. Unter Anwendung des unten stehenden Ansatzes für die Isobolengleichung, wobei ca0, cb0 und ε als zu bestimmende Parameter aufzufassen sind, kommen die Autoren mit Hilfe von Kurvenanpassungsprozeduren zu der eingezeichneten supraadditiven Isobole. Da die ermittelte Isobole keinen Schnittpunkt mit der positiven Konzentrationsachse für Alfentanil aufweist, schlussfolgern die Autoren, dass es mit keiner Konzentration von Alfentanil möglich ist, den Lidrandreflex auszuschalten. Eine Reanalyse der veröffentlichten Daten mit anderen Methoden durch die Autoren dieses Beitrages [16] ergibt ein anderes Bild, nämlich eine additive Isobole und die Aussage, dass sich vermutlich bei hinreichend hohen Alfentanilkonzentrationen der Lidrandreflex ausschalten lässt. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig es ist, eine zuverlässige Abschätzung der Größen ca0 und cb0 zu erhalten, um den Typ der Interaktion zu bestimmen.
$$ \frac{c_a}{c_{a0}}+\frac{c_b}{c_{b0}}+\varepsilon \frac{c_a{c}_b}{c_{a0}{c}_{b0}}=1\to {c}_b={c}_{b0}\frac{1-\frac{c_a}{c_{a0}}}{1+\varepsilon \frac{c_a}{c_{a0}}} $$

Rezeptorvermittelte Wirkungen

An nahezu allen humanen Lebensvorgängen sind Rezeptoren beteiligt. Eine Vielzahl dieser Rezeptoren und Rezeptorsysteme werden im Rahmen der anästhesiologischen Therapie tangiert.
Der Begriff des „Rezeptor“ geht auf J.N. Langley (1852–1926) zurück, der den Term „rezeptive Substanz“ prägte, als er die Effekte von Nikotin und Curare untersuchte und damit das bezeichnete, was wir heute als den nikotinischen Azetylcholinrezeptor begreifen. Das Konzept hinter dem Begriff „rezeptive Substanz wurde von Paul Ehrlich (1854–1915) formuliert, der zu dem Schluss kam:
Substanzen können nur dann wirken, wenn sie gebunden werden.

Rezeptoren

Rezeptoren als funktionelle Bestandteile der Zelle
Heute wird der Begriff des Rezeptors wesentlich allgemeiner gesehen als vor wenigen Jahrzehnten.
Im weitesten Sinne versteht man unter Rezeptoren Komponenten einer Zelle, die selektiv mit extrazellulären Substanzen in Wechselwirkung treten und dabei eine Kaskade von biologischen Prozessen auslösen. Die extrazellulären Substanzen (Liganden, z. B. Hormone oder Neurotransmitter) können dabei als Signale interpretiert werden.
Zu den definierenden Eigenschaften eines Rezeptors gehören die Erkennung und Weiterleitung (Transduktion) dieser Signale.
Der so charakterisierte Rezeptor, der an der physiologischen Regulation der Zellvorgänge beteiligt ist, wird auch als Zellrezeptor oder physiologischer Rezeptor bezeichnet. Diese sollten nicht verwechselt werden mit pharmakologischen oder Arzneimittelrezeptoren, die ganz allgemein als Wechselwirkungsort („site of drug action“) von Substanzen mit Makromolekülen angesehen werden.
Natürlich stellen die physiologischen Zellrezeptoren auch Angriffspunkte für Arzneimittel dar, sie gehören damit zu einer Untermenge der pharmakologischen Rezeptoren. Obwohl die physiologischen Rezeptoren überall in der Zelle anzutreffen sind, ist die weit überwiegende Anzahl jedoch transmembranös in Form hochmolekularer anregbarer oder aktivierbarer Proteine in der Zellmembran lokalisiert. Hierdurch wird eine Verbindung hergestellt zwischen extra- und intrazellulärem Raum. Diese Verbindungen können durch Ionenkanäle oder durch Konformationsänderungen hergestellt werden.
Rezeptortypen
  • Spannungsabhängige Ionenkanäle
  • Ligandenabhängige Ionenkanäle
  • G-Protein gekoppelte Rezeptoren
Rezeptoragonisten und Massenwirkungsgesetz
Die klassische Rezeptortheorie benutzt den Rezeptor R als ein Konstrukt, z. B. eine reale oder auch virtuelle Bindungsstelle für einen Agonisten A, um die Wirkung des Medikaments A quantitativ zu beschreiben. Häufig geht man davon aus, dass die Bindung von Rezeptor und Agonist reversibel ist. In diesem Fall ist das Massenwirkungsgesetz anwendbar. Dieses führt im Gleichgewicht zu einem bestimmten Verhältnis von besetzten und unbesetzten Rezeptoren.
$$ \left[R\right]+\left[A\right]\underset{k_2}{\leftarrow}\overset{k_1}{\to}\left[ RA\right] $$
k1 bezeichnet die Zeitkonstante für die Bildung des Rezeptoragonistkomplexes (Assoziation) und k2 die Dissoziation. [A] kennzeichnet die Konzentration des Agonisten, [R] die Konzentration des freien Rezeptors und [RA] die Konzentration der gebundenen Rezeptoren.
Folgende Größe heißt Dissoziationskonstante und wird in Einheiten von [A] gemessen.
$$ {K}_d=\frac{\left[A\right]\left[R\right]}{\left[ RA\right]}=\frac{k_2}{k_1} $$
Wenn die Konzentration von A so hoch gewählt wird, dass 50 % aller Rezeptoren besetzt sind, dann ist Kd=[A]. Ein niedriger Wert für Kd besagt also, dass nur eine geringe Konzentration erforderlich ist, um 50 % der Rezeptoren zu besetzen, also dass der Agonist A eine große Affinität zum Rezeptor besitzt. Den reziproken Wert von Kd bezeichnet man deshalb als Affinitätskonstante (üblicherweise mit Ka abgekürzt).
Wenn man annimmt, dass der Effekt E proportional der Konzentration der besetzten Rezeptoren ist, dann folgt
$$ E={E}_{max}\frac{\left[A\right]}{K_d+\left[A\right]} $$
Hierbei bezeichnet Emax den maximalen Effekt und Kd ist offenbar identisch mit der Konzentration zu halbmaximalem Effekt Emax/2. In vielen Fällen ist der gemessene Effekt jedoch nicht proportional zur Konzentration der besetzten Rezeptoren, sondern vielmehr zu einer Potenz γ derselben. In diesem Fall wird die obige Formel verallgemeinert zu:
$$ E={E}_{max}\frac{{\left[A\right]}^{\gamma }}{{K^{\gamma}}_d+{\left[A\right]}^{\gamma }} $$
Wobei γ irgendeine positive Zahl ist. Der Bezug zur Hill-Gleichung wird hier ganz augenfällig.
Andere Rezeptorliganden
Der Begriff des Rezeptoragonisten als eine Substanz, die den Rezeptor aktiviert, kann untergliedert und ergänzt werden.
Rezeptoragonisten
  • Vollständiger Agonist: ein Ligand, der eine maximale Rezeptoraktivierung bewirkt
  • Teilagonist: ein Ligand, der nur eine submaximale Rezeptoraktivierung bewirkt
  • Inverser Agonist: ein Ligand, der eine negative Aktivierung eines Rezeptors bewirkt, d. h. einen Effekt, der erst durch die Zusatzgabe eines Agonisten wieder das Ausgangsniveau erreicht
  • Antagonist: ein Ligand, der an den Rezeptor bindet, aber keine Aktivierung erzeugt und somit die Bindung eines Agonisten verhindert
  • Kompetitive Ligandrezeptorbindung: eine reversible Bindung, die die Bindung von anderen Liganden zulässt
  • Nichtkompetitive Ligandrezeptorbindung: eine i. Allg. irreversible Bindung, die die Bindung von anderen Liganden nicht zulässt
Rezeptorzustände
Die klassische Rezeptorvorstellung geht davon aus, dass der Rezeptor R im Ruhezustand durch die Bindung eines Agonisten, z. B. durch Konformationsänderungen, in einen aktiven Zustand R* verbracht wird. In diesem aktivierten Zustand kann der Rezeptor an intermediäre Proteine koppeln, die dann eine Kaskade von biologischen Vorgängen in Gang setzen.
Neuere Vorstellungen gehen davon aus, dass im Ruhezustand, ohne Anwesenheit eines Agonisten oder Antagonisten, beide Zustände R und R* vorliegen und im Gleichgewicht stehen. Man kann sich z. B. vorstellen, dass der größte Teil des Rezeptors in der R-Form vorliegt, während nur ein geringer Teil in der aktivierten Form R* vorliegt. Das bedeutet, der Zustand R* kann auch spontan entstehen. Man könnte sich auch vorstellen, dass es Zwischenzustände zwischen R und R* gibt. Die Bildung des aktivierten Zustandes R* erfolgt in einem gewissen Umfang spontan.
Die klassische Sichtweise, dass ein Agonist die Transformation von R nach R* herbeiführt, kann nun dahingehend uminterpretiert werden, dass die einzelnen Liganden gegebene Rezeptorzustände stabilisieren und damit das Verhältnis von R:R* beeinflussen. Ein Agonist könnte den Zustand R* stabilisieren und damit das Gleichgewicht nach R* verschieben, ein inverser Agonist kann umgekehrt R-Zustände stabilisieren und ein Antagonist beide Zustände R und R* in gleichem Maße, sodass das Ausgangsverhältnis unverändert bleibt.
Rezeptoren sind wichtige reale und gedankliche Konstrukte, die an der Schnittstelle von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik stehen. Die klassische Vorstellung der Wirkungsentfaltung an einem Rezeptor durch dessen Besetzung mit Agonisten und Antagonisten wird zunehmend durch die Vorstellung, dass Liganden das Gleichgewicht der verschiedenen Rezeptorzustände in die eine oder andere Richtung verschieben können, ersetzt.
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