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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 14.03.2018

Postoperative Schmerztherapie: Neurophysiologische Aspekte von Schmerz

Verfasst von: Robert Angster
Die neurophysiologischen Aspekte von Schmerz werden in diesem Kapitel dargestellt. Hierbei werden das nozizeptive System, die Kodierung afferenter Schmerzreize sowie die subkortikalen und kortikale Schmerzzentren erläutert.

Das nozizeptive System

Das sensorische Nervensystem erkennt die Umwelt durch Stimulation von Rezeptoren in der Peripherie des Körpers. Der Begriff Nozizeption bedeutet neuronale Kodierung der Information über noxische Reize am und im Körper. Art und Stärke dieser Stimuli werden durch periphere Sensoren als elektrische Signale kodiert (Transduktion) und mittels spezifischer Nervenbahnen (primär afferentes Neuron) zunächst zum Hinterhorn des Rückenmarks geleitet. Dort wird der Impulsstrom synaptisch übertragen und moduliert (sekundäres Neuron, Interneuron) und von dort über nachgeordnete Neurone zu supraspinalen Gehirnstrukturen (Thalamus und Kortex) weitergeleitet (Transmission). Der dort eintreffende Impulsstrom wird dann im Kontext vorausgegangener Erkenntnisse und früherer Erfahrungen interpretiert (Perzeption).
In Anlehnung an den Begriff der Noxe werden neuronale Strukturen, die zur Verarbeitung schmerzhafter Stimuli dienen, als nozizeptives System bezeichnet (Abb. 1).
Die Bedeutung des nozizeptiven Systems für das Überleben des Organismus wird durch den hohen Anteil von Nozizeptoren an der Rezeptorpopulation erkennbar.
Etwa 50 % aller Axone einer Hinterwurzel des Rückenmarks leiten nozizeptive Signale.

Transduktion: Kodierung afferenter Schmerzreize

Die Rezeptoren peripherer sensorischer Neurone setzen die spezifischen Eigenschaften des Stimulus in eine definierte Folge von Aktionspotenzialen um. Die Interaktion zwischen Rezeptoren und Stimuli wird durch deren Art, Intensität, Dauer und Lokalisation bestimmt. Der Reiztyp wird durch den Rezeptortyp (z. B. Mechanorezeptor, Thermorezeptor, Nozizeptor) erkannt. Die Reizintensität beeinflusst die Frequenz der Aktionspotenziale und die Anzahl der erregten Nervenfasern. Die Reizdauer bedingt die Geschwindigkeit der Adaptation des nozizeptiven Systems (Abschn. 1). Die Lokalisation des Stimulus wird durch die Dichte des sog. rezeptiven Felds, d. h. des Areals, das von einem Nervenende innerviert wird, determiniert. Die rezeptiven Felder benachbarter Neurone überlappen (Redundanz).
Periphere sensorische Nervenfasern lassen sich entsprechend der Struktur ihrer freien peripheren Endigungen, Durchmesser, Myelinisierung sowie Leitungsgeschwindigkeit z. B. als Mechanorezeptoren (A-β-Fasern), Thermorezeptoren (A-δ- und C-Faser) sowie Nozizeptoren (A-δ- und C-Fasern) klassifizieren.

Nozizeptoren

Sinnesrezeptoren, die für noxische Stimuli (abgeleitet vom lateinischen Wort noxius: schädlich, verletzend) empfindlich sind, unterscheiden sich von anderen sensorischen Neuronen in Morphologie, Leitungsgeschwindigkeit und Empfindlichkeit auf Stimuli.
Diese sog. Nozizeptoren sind primär afferente Neurone mit nicht myelinisierten sensorischen Nervenendigungen und nicht myelinisierten Axonen (C-Fasern, Leitung unter 2,5 m/s) oder dünnen, schwach myelinisierten Axonen (A-δ-Fasern, Leitung mit 2,5–30 m/s). Die Zellkörper liegen in Spinalganglien bzw. bei Hirnnerven in den sensorischen Hirnnervenganglien.
Monomodale Nozizeptoren reagieren spezifisch nur auf eine Reizart, z. B. mechanische oder thermische Stimulation. Die meisten Nozizeptoren sind polymodal, sie besitzen Transduktionsmechanismen für noxische mechanische, thermische und chemische Reize. Die Spezifität der Information ist hier von untergeordneter Bedeutung. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der gefährdete Körperteil so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone entfernt wird.
Nozizeptoren haben über ihre afferent sensorische Funktion hinaus auch eine efferent sekretorische Funktion. Durch Freisetzung von Neuropeptiden in der Peripherie tragen sie zur Entwicklung einer sog. neurogenen Entzündung bei.
Schließlich existieren in allen Geweben noch sog. initial mechano-insensitive (stumme) Nozizeptoren. Solange das Gewebe nicht verletzt ist, antworten diese Nervenfasern selbst auf noxische mechanische oder noxische thermische Reize nicht. Sie werden ausschließlich durch Gewebeschädigung und Entzündung sensibilisiert und beginnen dann, auf chemische und mechanische Reize zu antworten.
Somatische Nozizeptoren
Somatische Nozizeptoren befinden sich in der Haut, der Skelettmuskulatur, im Sehnen- und Bandapparat, in Faszien und im Periost. In Abwesenheit von Gewebsverletzungen ruhen somatische Nozizeptoren unterhalb ihrer Reizschwelle. Mechanische, thermische (Temperatur über 45 °C) und chemische Reize hoher oder schädlicher Intensität aktivieren die Signalisierung des Stimulus und die Kodierung der Reizstärke.
Viszerale Nozizeptoren
Viszerale Nozizeptoren existieren in den großen Körperhöhlen (Thorax, Abdomen und Retroperitonealraum) und den entsprechenden parenchymatösen (außer in Gehirn und Leberparenchym) bzw. Hohlorganen sowie in der Wand von Arteriolen und Venolen. Die Axone folgen sympathischen (Herz, intraabdominelle Organe) bzw. vagalen (Lunge) Afferenzen des autonomen Nervensystems.
Erregung von Nozizeptoren
Im Vergleich zu anderen sensorischen Rezeptoren führen ausschließlich starke, d. h. gewebebedrohliche, potenziell schädigende Reize zur Aktivierung von Nozizeptoren (hohe Erregungsschwelle). Die Transduktion der Reizcharakteristik in eine Depolarisation der Zellmembran erfolgt vermutlich durch Aktivierung von membranständigen Natrium- und Kalziumionenkanälen und führt zur lokalen Freisetzung von proinflammatorischen Peptiden, z. B. Substanz P. Diese triggert die Ausschüttung von Histamin aus Mastzellen mit der Folge präkapillärer Vasodilatation und postkapillärer Plasmaextravasation (neurogenes Ödem) sowie die Freisetzung von Serotonin aus Thrombozyten. Dadurch bildet sich in unmittelbarer Umgebung der durch den Verletzungsreiz aktivierten peripheren Nozizeptoren eine Entzündungsreaktion aus.
Die chemische Nozizeptorerregung nach Trauma (Zerstörung von Zellen, Austritt von Blutbestandteilen aus verletzten Blutgefäßen ins Gewebe) wird durch die klassischen Mediatoren Bradykinin, Histamin, Eicosanoide (z. B. Prostaglandin E2, I2 u. a.) und Sauerstoffradikale in Gang gesetzt sowie durch Protonen synergistisch gesteigert (Gewebe-pH 6,9–6,1). Desweiteren gilt Hypoxie als relevanter Stimulus für somatische (Muskulatur) und viszerale Nozizeptoren (Intestinum; [1]). Die Aktivierung des Immunsystems (Einwanderung von Leukozyten, Makrophagen und Lymphozyten) generiert weitere Substanzen wie Leukotriene, Interleukine (IL-1, IL-6 und IL-8), Stickstoffmonoxid (NO) und den nerve growth factor (NGF) (Abb. 2).
Hyperalgetische Mediatoren (Abb. 3) triggern jedoch nicht nur die Erregung des Nozizeptors, sondern ändern auch dessen Charakteristik. Die normalerweise hohe Erregungsschwelle der Nozizeptoren sinkt ab und spontane Aktivität tritt auf. Jede Zunahme der Reizintensität steigert die Impulsfrequenz überproportional. Der afferente nozizeptive Impulsstrom erhöht sich langanhaltend. Zudem werden bisher nicht erregte Nozizeptoren und niedrigschwellige, nichtnozizeptive Mechanorezeptoren unverletzter, an das traumatisierte Areal angrenzender Körperregionen erfasst. Dadurch vergrößern sich Ausdehnung und Aktivität des nozizeptiven Areals über das ursprünglich traumatisierte Gebiet hinaus. Die Hochregulation der Synthese und Ausschüttung von Substanz P, Neurokinin A sowie „calcitonin gene related peptide“ (CGRP) verstärkt den neurogenen Entzündungsprozess.
Die Steigerung der Erregbarkeit von Nozizeptoren durch Schmerzreize wird als periphere Sensibilisierung bezeichnet, vermittelt durch Bindung biologisch aktiver Substanzen an spezifische Rezeptoren der Nozizeptormembran. Ein sensibilisierter Nozizeptor besitzt eine abgesenkte Reizschwelle und reagiert daher bereits auf schwache, normalerweise nicht schmerzhafte Reize (Abb. 3). Zudem produzieren und übertragen Nozizeptoren elektrische Impulse nicht starr, sondern modulieren den elektrischen Signalstrom auf dem Wege von der Peripherie zum Gehirn (Nozizeptordynamik).

Primäre Hyperalgesie

Klinisch nehmen Hyperämie, Ödem sowie Ruhe- und Bewegungsschmerz zu. Selbst der schwache Gewebedruck des entzündlichen Ödems wird als Reiz wirksam, und eine leichte Berührung der unverletzten Haut um eine Operationswunde herum wird als schmerzhaft empfunden (taktile Allodynie).
Das von einem Trauma oder operativen Eingriff aktivierte Nozizeptorareal generiert und transportiert demnach nicht nur nozizeptive Signale, sondern reagiert mit einer Zunahme der Empfindlichkeit. Die resultierende primäre Hyperalgesie und Allodynie tragen der besonderen Schutzbedürftigkeit des geschädigten Gewebes Rechnung und können deswegen als adaptive Reaktion angesehen werden.
Demgegenüber entwickelt sich neuropathischer Schmerz nach Irritation, Läsion oder Durchtrennung von Neuronen des peripheren und zentralen Nervensystems. Die dabei entstehenden Aktionspotenziale breiten sich sowohl in Richtung des ZNS als auch in Richtung der Nervenendigung aus. Zentripetale Potenziale lösen Schmerzen und Missempfindungen aus, zentrifugale Potenziale setzen aus freien Nervenendigungen Neuropeptide frei. Zudem können primär unverletzte Nervenfasern, die in partiell geschädigten Nerven zusammen mit verletzten Nervenfasern laufen, an der Schmerzentstehung beteiligt sein. Wachstumsfaktoren, wie z. B. der „nerve growth factor“, die bei der Waller-Degeneration aus Markscheiden freigesetzt werden, können durch Ausschüttung von TNF-α (Tumornekrosefaktor-α) und durch Expression von Ionenkanälen und Rezeptoren, z. B. Natriumionenkanälen, TRPV1-Rezeptoren („transinent receptor potential vanilloid 1 rezeptor“) oder Adrenorezeptoren zu veränderten Eigenschaften an primär unverletzten Afferenzen führen. Die hohe Dichte von Natriumionenkanälen an Neuromen bzw. anderen verletzten Stellen im Verlauf eines Nerven kann zu spontanen, ektopen, elektrischen Entladungen mit nachfolgender Exzitation des Neurons führen. Klinisches Korrelat ist z. B. der neuropathische Attackenschmerz.
Für die Entstehung neuropathischer Schmerzen im peripheren und zentralen Nervensystem ist eine Vielzahl unterschiedlicher Pathomechanismen verantwortlich, die zu einer Veränderung von peripherer, spinaler und supraspinaler Signalverarbeitung führen.

Transmission: Zentripetale Übertragung von Schmerzimpulsen

Der aus der Peripherie eintreffende elektrische Impulsstrom wird auf sensorische nozizeptive Neurone im Hinterhorn des Rückenmarks synaptisch übertragen (Transmission) und kann bereits dort moduliert werden. Die meisten dieser Hinterhornneurone sind durch Verbindungen zu anderen spinalen Neuronen innerhalb desselben Segments in motorische und vegetative Reflexbögen integriert. Dadurch können durch noxische Stimuli nozizeptive Reflexe ausgelöst werden.
Spinale neuronale Interaktionen in der Folge eines nozizeptiven Impulsstroms aus der Peripherie
Periphere Impulse werden im Rückenmark synaptisch übertragen auf
  • Interneurone, die sich ausschließlich durch afferente Impulse von Nozizeptoren aktivieren lassen, sog. nozizeptiv-spezifische Neurone des Rückenmarks. Sie übermitteln ausschließlich nozizeptive Schmerzimpulse. Ihre Anzahl ist klein.
  • Interneurone, die sich durch afferente Impulse von Nozizeptoren (A-δ- bzw. C-Fasern) und niederschwelligen nichtnozizeptiven Mechanorezeptoren (A-β-Fasern) aktivieren lassen, sog. „Wide-dynamic-range“- Neurone (WDR-Neurone); sie kodieren die Reizintensität durch ihre Entladungsfrequenz. Ihre Anzahl ist am größten.
  • Interneurone, die den ankommenden Impulsstrom verstärken oder abschwächen können (sog. exzitatorische oder inhibitorische Interneurone).
  • Neurone, die afferent zum Thalamus und zum Hirnstamm projizieren (Vorderseitenstrang).
  • Neurone, die motorisch efferent in die Peripherie führen (unbewusster Fluchtreflex).
  • Neurone, die sympathisch efferent in die Peripherie führen (vaso- und sudomotorische Reflexe).
Zahlreiche Hinterhornneurone projizieren zu höheren Gehirnzentren, hauptsächlich über den Tractus spinothalamicus (zum Thalamus), den Tractus spinoreticularis (zur Formatio reticularis), den Tractus spinomesencephalicus (zum Mesenzephalon) sowie den Tractus spinoreticulothalamicus (zum limbischen System). Im Hirnstamm erfolgt die Integration mit der Regulation von Kreislauf und Atmung (Steigerung von Herzfrequenz, arteriellem Blutdruck, Atemfrequenz). Die Aktivierung der Formatio reticularis erhöht die Vigilanz.
Die nächste übergeordnete Relaisstation ist der Thalamus. Die Wahrnehmung von Schmerz erfolgt in supraspinalen Gehirnregionen. Daraufhin werden von Mesenzephalon und Pons deszendierende Bahnen zur Schmerzhemmung aktiviert. Diese dem aszendierenden nozizeptiven Impulsstrom gegenläufigen, deszendierenden schmerzhemmenden neuronalen Bahnen enden wiederum an den spinalen Hinterhornneuronen. Das komplexe Zusammenspiel dieser neuronalen Komponenten im Hinterhorn des Rückenmarks ermöglicht die Modulation aller afferenten Impulse.
Pharmakologische Mechanismen der spinalen Impulsübertragung
Niedrig intensive Druck- oder Berührungsreize (A-β-Fasern) induzieren normalerweise eine nicht schmerzhafte Wahrnehmung. Hoch intensive, traumatische Stimuli (A-δ-Fasern, C-Fasern) werden als Schmerzen empfunden.
Der aus der Peripherie eintreffende nozizeptive Impulsstrom primär afferenter Neurone setzt an deren zentralen Endigungen im Hinterhorn des Rückenmarks Neurotransmitter frei. Für die Dauer von Millisekunden bis Sekunden werden präsynaptisch schnell transmittierende, exzitatorische Neurotransmitter (Glutamat und Aspartat) in den synaptischen Spalt ausgeschüttet.
Glutamat bindet rasch an glutaminerge Rezeptorsubtypen postsynaptischer Neurone des Rückenmarks. Deren Haupttypen sind nach ihren spezifischen Liganden als AMPA-Rezeptor [(±)-α-amino-3-hydroxy-5-methylisoxazol-4-propionic-acid-Subtyp], der einen Natriumionenkanal kontrolliert, und als NMDA-Rezeptor [N-methyl-D-aspartat-Subtyp] benannt worden. Der NMDA-Rezeptor reguliert einen Kalziumionenkanal, der unter Ruhebedingungen mit einem Magnesiumion verschlossen ist. Nur bei starker Depolarisation der Membran kann Glutamat diesen sog. Magnesiumblock aufheben und dadurch den Einstrom von Kalziumionen in die Nervenzelle auslösen. Kalziumionen sind universelle Trigger für eine große Zahl von Signaltransduktionswegen in Nervenzellen. Sie wirken somit als sekundäre Botenstoffe, die durch Aktivierung von Enzymen die Erregbarkeit des postsynaptischen Neurons, auch langfristig, verändern können.
Glutamat ist eine sog. exzitatorische Aminosäure aus C-Fasern zur raschen synaptischen Übertragung von konditionierenden Reizen (Schmerzreizen) auf Rückenmarkneurone.
Ein Teil der primär afferenten Nervenfasern synthetisiert und exprimiert stimulusabhängig weitere Neuropeptide, welche zusammen mit Glutamat im Rückenmark freigesetzt werden. Substanz P, Neurokinin A und das „calcitonin gene related peptide“ (CGRP) aktivieren korrespondierende Rezeptoren (z. B. Neurochininrezeptoren) auf prä- und postsynaptischen oder auch weiter entfernt gelegenen Zellmembranen. Dadurch erfolgt die räumliche und zeitliche Integration der Informationen über Lokalisation, Intensität und Dauer des nozizeptiven Impulses.
Die Bindung der genannten Transmitter an ihre Rezeptoren bewirkt einen Einstrom von Natrium- und Kalziumionen in die Nervenzelle. Der Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration ist der relevante Parameter für das Erreichen des Schwellenpotenzials.

Zentrale Sensibilisierung

Mit fortschreitender Dauer und Intensität der peripheren Inflammationsreaktion ändern auch die Rückenmarkneurone ihre Reizantwortmuster auf die periphere Stimulation.
Ähnlich dem Prozess der peripheren Sensibilisierung steigert ein lang anhaltender Einstrom von Reizsignalen bzw. ein hochfrequenter Impulseinstrom die Erregbarkeit der Hinterhornneurone.
Die prolongierte Freisetzung der exzitatorischen Neurotransmitter Substanz P und Glutamat aus sensibilisierten nozizeptiven A-δ- und C-Fasern verstärkt postsynaptisch die Aktivierung von Natrium- und Kalziumionenkanälen.
Substanz P aktiviert G-Protein-gekoppelte NK1-Rezeptoren. Diese setzen Kalzium aus intrazellulären Speichern frei und aktivieren die Proteinkinase C (PKC).
Glutamat aktiviert NMDA-Rezeptoren und fördert so den Einstrom von Kalzium durch diese Kanäle.
Die ansteigende intrazelluläre Kalziumkonzentration verschiebt das Schwellenmembranpotenzial zur Auslösung von Aktionspotenzialen. Die sich entwickelnde Summation postsynaptischer Membranpotenziale entfernt den sog. Magnesiumblock am NMDA-Rezeptor und begünstigt so den Kalziumeinstrom weiter. Die zunehmende Aktivierung von NMDA-, metabotropen Glutamat- und NK1-Rezeptoren aktiviert Proteinkinasen, die synaptische Proteine, z. B. AMPA-Rezeptorkanäle, phosphorylieren (Abb. 5). Dadurch ändern sich die Eigenschaften der Rezeptoren nachhaltig. Der Nettoeffekt sind rasche (AMPA-rezeptorabhängige) und langsame (NMDA-rezeptorabhängige) exzitatorische postsynaptische Potenziale (EPSP) der Rückenmarkneurone von langer Dauer. Insgesamt führt die Öffnung der NMDA-gesteuerten Kanäle zu einer Erhöhung des synaptischen Stromflusses.
Starke und/oder lange andauernde Schmerzreize erhöhen die synaptische Übertragungsstärke. In der Folge wird jedes Aktionspotenzial mit einer gesteigerten Ausschüttung von Neurotransmittern beantwortet oder nozizeptive Hinterhornneurone werden sensibilisiert (Abb. 4).
Wenn dieser Zustand erreicht ist, reagieren sowohl nozizeptiv-spezifische Neurone als auch WDR-Neurone wesentlich empfindlicher auf geringe Impulse von hochschwelligen Nozizeptoren und niedrigschwelligen, taktilen Mechanorezeptoren.
Cave
Die synaptische Übertragung des peripheren nozizeptiven Impulsstromes im Rückenmark unterliegt dem Einfluss biochemischer Faktoren (Typ, Quantität sowie Metabolismus synaptischer Neurotransmitter), der räumlichen Dichte und Identität prä- und postsynaptischer Rezeptoren sowie der Besetzung dieser Rezeptoren mit Neurotransmittern (Tab. 1).
Tab. 1
Auswahl der wichtigsten Transmitter sowie deren Rezeptoren für die Aktivierung und Sensibilisierung von Nozizeptoren
Neurotransmitter
Ionotroper Rezeptor
Metabotroper Rezeptor
Effekt auf Nozizeptoren
Kleine Moleküle
   
Protonen
ASICs, TRPV1
-
Aktivierung und Sensibilisierung
Acetylcholin
Nikotin. AChR
Muskarin. AChR
Aktivierung, z. T. auch Desensibilisierung
ATP
P2X
P2Y
Sensibilisierung
Biogene Amine und Aminosäuren
Noradrenalin
-
α1,2
Spontanaktivität nach Nervenschädigung
Serotonin (5-HT)
5-HT3
5-HT1, 2, 4
Aktivierung
-
H1, 2
Aktivierung
Glutamat
AMPA, Kainat, NMDA
metabotroper GluR
Aktivierung von Neuronen im Rückenmark und Gehirn
GABA
GABAA,C
GABAB
Hemmung von Neuronen im Rückenmark und Gehirn
Peptide
Substanz P
-
NK1
Sensibilisierung und Plasmaextravasation
Neurokinin A
-
NK2
Sensibilisierung
Bradykinin
-
BK1,2
Aktivierung und Sensibilisierung
CGRP
-
CRLR/RAMP1
Sensibilisierung und Vasodilatation
Neuropeptid Y
-
NPY1–5
Sensibilisierung
Endorphine
Dynorphin
Enkephalin
-
μ
κ
δ
Hemmung von Neuronen im Rückenmark und Gehirn. Dynorphin kann die synaptische Sensibilisierung verstärken
Arachidonsäurederivate
-
EP1–4
Aktivierung und Sensibilisierung
Leukotriene (LTB4)
-
BLTR
Sensibilisierung
Anandamid
TRPV1
CB1,2
CGRP-Ausschüttung über TRPV1
ASICs: acid sensing ion channels, TRPV1: transient receptor protein vanilloid 1, AChR: acethylcholin receptor, NK1: Neurokinin 1, CRLR: calcitonin-receptor-like receptor, RAMP: receptor-activity-modifying protein, CGRP: calcitonin gene-related peptide
Die Größe des postsynaptisch induzierten elektrischen Stroms korreliert mit der Intensität der synaptischen Übertragung. Durch starke Erregung von Synapsen kann die Stärke der synaptischen Übertragung langanhaltend zunehmen und bestehen bleiben. Dieses Phänomen wird als synaptische Langzeitpotenzierung („long-term potentiation“, LTP) bezeichnet. In diesem Fall kann jedes ankommende Aktionspotenzial die präsynaptische Freisetzung von Neurotransmittern erhöhen (präsynaptischer Mechanismus) oder die Empfindlichkeit der postsynatischen Membran für den Neurotransmitter steigern (postsynaptischer Mechanismus).
Einmal etabliert, ist eine LTP pharmakologisch bisher nicht reversibel.
Die Überführung des Rückenmarks von einem ruhenden in einen aktivierten Zustand mit starker Absenkung der Erregungsschwelle der spinalen Neurone wird als zentrale Sensibilisierung bezeichnet. Neuropeptide wie Substanz P, „calcitonin gene-related peptide“ (CGPR), spinale Prostaglandine u. a. verstärken und unterhalten die Sensibilisierung des Hinterhorns. Die Folge ist eine Steigerung segmentaler Reflexe, der Erregungsübertragung zum Gehirn und der Intensität der Schmerzempfindung. Dieser Mechanismus wird als Voraussetzung für das Phänomen der sekundären Hyperalgesie angesehen.

Sekundäre Hyperalgesie

Erreichen durch Druck oder Berührung induzierte Impulse niedriger Intensität über A-β-Fasern das sensibilisierte Hinterhorn des Rückenmarks, löst dies eine schmerzhafte Wahrnehmung aus (Übererregbarkeit der WDR-Neurone). Die Entwicklung einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit in gesundem, nicht geschädigtem Gewebe direkt um ein geschädigtes Areal herum wird als sekundäre Hyperalgesie bezeichnet [3]. Die klinische Symptomatik imponiert als taktile bzw. mechanische Allodynie.
Die zentrale Sensibilisierung ist einerseits an der Entwicklung der primären Hyperalgesie beteiligt, also der Hyperalgesie am Ort der Verletzung, andererseits an der Erweiterung des Hyperalgesieareals auf unmittelbar angrenzendes, jedoch gesundes Gewebe, also der sekundären Hyperalgesie. Zentrale Sensibilisierung kann so den Schutz des geschädigten Gewebes weiter erhöhen.
In vielen Fällen besteht die zentrale Sensibilisierung nur solange, wie der erhöhte nozizeptive Impulsstrom in das Rückenmark anhält. Jedoch wird diskutiert, dass in manchen Fällen die zentrale Sensibilisierung auch dann bestehen bleibt, wenn sich der Impulsstrom aus der Peripherie wieder normalisiert hat, z. B. nach Heilung einer Operationswunde. Die Persistenz der zentralen Sensibilisierung basiert vermutlich auf dem neuronalen Prozess der synaptischen Langzeitpotenzierung.

Neuronale Plastizität

Die o. g. Phosphorylierung (P) intrazellulärer Enzyme, z. B. von PKC und Strukturproteinen (beispielsweise Proteinkinasen), führt zur Expression von Transskriptionsfaktoren, sog. spezifischer „immediate early genes“ (IEG), z. B. c-fos und c-jun. Dies geschieht rasch: Versuchstiere zeigten innerhalb von einer Stunde Verhaltensänderungen.
IEG kodieren Transskriptionsfaktoren an Zielgenen für die Synthese verschiedener Rezeptoren und Neuropeptide. Dieser Prozess moduliert demnach die Präsenz bzw. Funktion intrazellulärer Proteine mittels Phosphorylierung oder Modifizierung der Genexpression in den nachgeschalteten sensorischen Neuronen. Diese strukturellen Umbauvorgänge ändern den Funktionsstatus der Nervenzelle möglicherweise langfristig im Sinne der Etablierung eines sog. Schmerzgedächtnisses auf zellulärer Ebene.
Ein lang anhaltender Impulsstrom hoher Intensität peripherer Nozizeptoren, die als Konsequenz einer Gewebeinflammation sensibilisiert sind oder infolge einer Irritation peripherer Nerven spontan feuern, kann zu einer ausgeprägten und lange anhaltenden zentralen Sensibilisierung führen. Die in deren Folge auftretenden funktionellen Veränderungen und strukturellen Umbauvorgänge in Hinterhornzellen des Rückenmarks sind als neuronale Plastizität bezeichnet worden (Abb. 5).
Infolge der zentralen Sensibilisierung können auch spontane elektrische Entladungen postsynaptischer sensibilisierter Neurone im Hinterhorn des Rückenmarks unabhängig vom peripheren afferenten Signalstrom auftreten. Dies wird als ein mögliches Korrelat für die Entwicklung eines sog. Schmerzgedächtnisses und des drohenden Übergangs von akutem zu chronischem Schmerz angesehen.

Perzeption: Subkortikale und kortikale Schmerzzentren

Die den Hinterhornneuronen nachgeschalteten Neurone steigen entweder im kontralateralen Vorderseitenstrang (Impulse von A-δ- und C-Fasern) oder im ipsilateralen Hinterstrang (Impulse von A-α- und A-β-Fasern) auf und erreichen nach erneuter synaptischer Umschaltung im Thalamus den somatosensorischen (Gyrus postcentralis) und den präfrontalen Kortex.
Sämtliche wichtigen sensorischen Nervenbahnen enden entweder im Thalamus oder werden dort synaptisch weitergeschaltet. Der Thalamus gilt deswegen als letzte Schwelle zur bewussten Schmerzempfindung.
Die engen Verbindungen vom ventrolateralen Thalamus (sensorisch diskriminative nozizeptive Neurone) mit dem somatosensorischen Kortex erlauben die Analyse des Schmerzreizes nach Lokalisation, Intensität und Dauer (sog. laterales thalamokortikales System). Die Projektion der medialen Thalamuskerne in die Insula, in den Gyrus cinguli anterior und in den präfrontalen Kortex sowie zum limbischen System trägt die emotional-affektive Schmerzkomponente (sog. mediales thalamokortikales System), die Aufmerksamkeit und Abwehr steuert. Kontakte zur Hypophyse sowie den Stammhirnkernen triggern endokrine und vegetative Reaktionsprozesse auf schmerzhafte Stimuli. Wenn die schmerzbezogenen Signale im somatosensorischen Kortex angekommen sind und über zahlreiche assoziative Bahnen den präfrontalen Kortex erreicht haben, wird Schmerz bewusst empfunden (Perzeption).
Persistierende Signalströme können ähnlich wie auf Nozizeptor- bzw. spinaler Ebene auch im Thalamus und Kortex zu neuroplastischen Prozessen führen.
Kontrollmechanismen des Schmerzes
Von Kerngebieten des Mittel- und Stammhirns ziehen deszendierende Nervenbahnen zu den Neuronen des Hinterhorns und gehen dort synaptische Verbindungen ein. In diesem absteigenden schmerzhemmenden System spielt das im Mesenzephalon lokalisierte zentrale Höhlengrau die wichtigste Rolle. Denn einerseits erhält es afferente Impulse vom limbischen System, Hypothalamus, präfrontalen Kortex und auch vom Rückenmark. Andererseits aktiviert es über absteigende Bahnen Kerngebiete der Formatio reticularis, den Locus coeruleus (noradrenerg) und den Nucleus raphe magnus (serotoninerg). Diese wiederum können über weiter absteigende Bahnen nozizeptive Projektionsneurone im Rückenmark hemmen, entweder direkt oder über inhibitorische Interneurone (enkephalinerg) indirekt.
Die körpereigene Schmerzabwehr reguliert die Übertragung afferenter nozizeptiver Signale prä- und postsynaptisch im Hinterhorn des Rückenmarks durch inhibitorische Neurotransmitter wie endogene Opioide, Noradrenalin und Serotonin, γ-Aminobuttersäure (GABA) und Glyzin.
Dieses Schmerzhemmsystem wird bei starken akuten Schmerzen für kurze Zeit hochaktiv. Vermutlich soll dadurch in lebensgefährlichen Angst- und Stresssituationen die Möglichkeit zur Flucht und/oder Gegenwehr durch Unterdrückung der Schmerzempfindung maximiert werden.
Opioidrezeptoren konnten nicht nur im zentralen Nervensystem, sondern auch auf peripheren sensorischen Nervenendigungen, meist C-Fasern, nachgewiesen werden. In unmittelbarer Nähe dieser peripheren Opioidrezeptoren fanden sich endogene Opioidpeptide. Letztere werden von Immunzellen, die im Falle einer lokalen Entzündung gezielt in das traumatisierte Areal einwandern, synthetisiert. Die peripheren Opioidrezeptoren werden in ähnlicher Weise wie nach externer Zufuhr eines Opioids besetzt und wirken dadurch der Aufrechterhaltung eines persistierenden Schmerzimpulses entgegen.
Interaktionen zwischen dem Immun- und dem Nervensystem können demnach sowohl zur Exzitation als auch zur Inhibition von Schmerzimpulsen beitragen.
Eine differenzierte postoperative Schmerztherapie sollte gezielt versuchen, Intensität und Dauer von Schmerz rasch und nachhaltig zu minimieren, damit sich ein Circulus vitiosus von peripherer und zentraler Sensibilisierung sowie primärer und sekundärer Hyperalgesie möglichst nicht dauerhaft etablieren kann. Moderne Akutschmerztherapie sollte als perioperative Prophylaxe einer Schmerzchronifizierung verstanden und praktiziert werden (z. B. Phantomschmerzprophylaxe).
Die bewusste Schmerzwahrnehmung ist kortikal verankert, die Schmerzempfindung bzw. Schmerzintensität werden individuell erlebt. Deren Kenntnis ist Grundlage und Voraussetzung für die Effektivität einer Schmerztherapie, da ausschließlich die Schilderung von Intensität, Lokalisation, Charakter und zeitlichem Verlauf der Schmerzen durch den Patienten selbst die Auswahl geeigneter Analgetika (Kombinationen), deren adäquate Dosierung und effiziente Terminierung, sowie nicht medikamentöser und invasiver Schmerzbehandlungsverfahren ermöglicht.
Literatur
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Schug SA, Torrie JJ, Fry RA (1994) Safety of an acute pain service – a four year survey. Anesth Intensive Care 22:478
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Tziavrangos E, Schug SA (2006) Regional anaesthesia and perioperative outcome. Curr Opin Anaesthesiol 19:521–525CrossRefPubMed