Dispositionsfreiheit der Parteien
Der Klage gehen in der Regel Gespräche des Patienten mit dem Arzt, Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung und oft auch ein Verfahren vor den Schieds-/Gutachterstellen
der Landesärztekammern voraus voraus
1. Oft werden bereits in diesem Stadium Sachverständigengutachten sowohl vom Patienten als auch von der Versicherung eingeholt.
Der Patient entscheidet, ob er sich mit einer außergerichtlichen Erledigung (Vergleich über einen Teilbetrag bzw. Ablehnung seines Anspruchs durch die Versicherung) zufrieden gibt oder ob er Klage erhebt. Er kann den Prozess durch mehrere Instanzen führen, aber auch die Klage zurücknehmen oder einen gerichtlichen Vergleich schließen. Im Zivilprozess haben die Beklagten die gleiche Dispositionsfreiheit. Die meisten Schadenersatzansprüche werden außergerichtlich erledigt.
Im Zivilprozess (Schadenersatzprozess) nimmt der Patient (im Falle seines Todes seine Angehörigen/Erben) einen oder in der Regel mehrere der aus seiner Sicht für einen iatrogenen Schaden verantwortlichen Gesamtschuldner in Anspruch. Zuständig sind wegen der Höhe des Streitwerts meist die Landgerichte. Der Arzt muss sich vor dem Landgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.
Haftpflichtversicherung
Die Haftpflichtversicherung
des Arztes deckt den Schaden und die Prozesskosten
voll, soweit die mit der Versicherungsgesellschaft vereinbarte Deckungssumme reicht. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) empfiehlt inzwischen vorsorglich eine Deckungssumme von 10 Mio. €.
2 Die Versicherung ist nicht Prozesspartei.
Mit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Februar 2013 ist der Arzt nicht mehr nur nach der Berufsordnung verpflichtet, „sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zu versichern“, sondern ohne hinreichende Versicherung gefährdet er auch seine Approbation (§ 6 Bundesärzteordnung, BÄO). In aller Regel wird der Krankenhausträger seine Mitarbeiter versichern – ein gesetzlicher Zwang dazu besteht nicht. Jeder Anästhesist ist gut beraten, seinen Versicherungsschutz zu überprüfen. Der BDA bietet hierzu Hilfestellung.
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Hat der Krankenhausträger sich selbst und seine Mitarbeiter einschließlich eines evtl. Regresses versichert, so entfällt die interne Auseinandersetzung um Regresse und Freistellungsansprüche sowie der Streit, welchem der an der Behandlung beteiligten Ärzte ein Behandlungsfehler zuzurechnen ist. Ein ähnlicher Effekt wird erreicht, wenn sich die leitenden Ärzte im Rahmen einer Anschlussversicherung bei derselben Gesellschaft versichern wie der Krankenhausträger. Die Anschlussversicherung ist meist auch wesentlich prämiengünstiger als der Abschluss einer gesonderten Haftpflichtversicherung durch den Arzt für seine liquidationsberechtigte Tätigkeit.
Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten hat einen speziellen Rahmenvertrag für die Haftpflichtversicherung
seiner Mitglieder abgeschlossen. Der Rahmenvertrag legt die Bedingungen fest, unter denen jedes einzelne Mitglied einen individuellen Versicherungsvertrag abschließen kann.
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Darlegungs- und Beweislast beim Behandlungsfehler
Im Zivilprozess muss der Kläger die Tatsachen darlegen und beweisen, auf die er seinen Schadenersatzanspruch stützt. Geht es um den Vorwurf des schuldhaften Behandlungsfehlers, auf den der Patient seine Ansprüche im Regelfall primär stützt, so muss er darlegen und beweisen:
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einen iatrogenen Schaden,
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das Handeln (Tun oder Unterlassen des Arztes), das den Vorwurf des Sorgfaltsmangels begründen soll, und
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die Ursächlichkeit dieses Sorgfaltsmangels für den Gesundheitsschaden (schadensbegründende Kausalität).
Beweiserleichterungen beim Behandlungsfehler
Der Kläger gerät aufgrund dieser Ausgangssituation oft in evidente Beweisnot. Die Rechtsprechung räumt ihm deshalb unter dem Postulat der „Waffengleichheit von Arzt und Patient im Schadenersatzprozess“ weitgehende Beweiserleichterungen ein.
Umkehr der Beweislast
Die Rechtsprechung hat einen sich Schritt für Schritt erweiternden Katalog von Fakten entwickelt, bei deren Vorliegen sich die Beweislast zum Nachteil des Arztes umkehrt, so z. B. bei grober Fahrlässigkeit hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Schaden, bei Vernichtung von Beweismitteln in Kenntnis ihres Beweiswerts, bei voll beherrschbaren Risiken, bei Mängeln in der Dokumentation, die dem Kläger die Beweisführung erschweren, und bei Gerätemängeln.
Einen beweisrechtlich bedeutsamen Leitsatz hat das bereits erwähnte Urteil des BGH vom 10.03.1992 entwickelt. Er stellt die Facharztqualität weitgehend gleich mit der formellen Facharztanerkennung und kommt zu dem Ergebnis: Führen Ärzte in Weiterbildung einen chirurgischen Eingriff ohne Assistenz oder ohne unmittelbare Überwachung des Facharztes durch, so müssen sie beweisen, dass die gleiche folgenschwere Komplikation auch eingetreten wäre, wenn ein Facharzt operiert oder assistiert hätte. Im konkreten Fall assistierte ein Arzt mit fünfjähriger Weiterbildung in Chirurgie, der bereits 150 Appendektomien durchgeführt hatte, einem Weiterbildungsassistenten bei einer Appendektomie. Es entwickelte sich eine Stumpfinsuffizienz, die ebenso gut auf Fehlern bei der Stumpfversorgung als auf schicksalshaften Risiken beruhen kann. Kann weder das eine noch das andere bewiesen werden, so verliert den Prozess derjenige, dem die Darlegungs- und Beweislast obliegt.
Sachgerecht entschieden hat der BGH in dem gleichfalls bereits erwähnten Urteil vom 05.06.1993
5 (es betraf einen Anästhesisten), dass es darauf ankomme, ob er bereits ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen für die ihm übertragene Narkose hatte. Damit reduziert sich die Beweislast von Ärzten und Krankenhausträgern auf den Nachweis eines entsprechenden Weiterbildungsstandes.
Beweislastverteilung aufgrund des § 630h BGB
Allgemein gilt: Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Dies ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB. Nach dem Wortlaut des § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Patient die Pflichtverletzung des Arztes und ihre Ursächlichkeit für den Schaden zu beweisen, nach Satz 2 hat der Arzt zu beweisen, dass er die erforderliche Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB gewahrt hat, also nicht schuldhaft gehandelt hat; steht die Pflichtverletzung als Schadensursache fest, so wird nach Satz 2 sein Verschulden vermutet. Für das ärztliche Behandlungsverhältnis hatte die Rechtsprechung diese Grundsätze mit dem Ziel einer differenzierten, interessengerichteten und zumutbaren Beweislastverteilung modifiziert.
Das Patientenrechtegesetz versucht diese Grundsätze, die die Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht entwickelt hat, in Gesetzesform „zu gießen“. In § 630h BGB wird die Beweislast für Behandlungs- und Aufklärungsfehler abweichend von den in § 280 Abs. 1 BGB geregelten Grundsätzen verteilt:
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Ein Fehler des Arztes wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und zu einem Patientenschaden geführt hat.
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Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen den fachlichen Anforderungen nicht aufgezeichnet oder die Aufzeichnung nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er die Maßnahme nicht getroffen hat.
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War der Arzt für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt des Gesundheitsschadens ursächlich war.
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Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, einen Patientenschaden herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diesen Schaden ursächlich war.
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Dasselbe gilt, wenn der Arzt es unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, vorausgesetzt, der Befund hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis gebracht, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre.
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Außerdem hat der Arzt zu beweisen, dass er eine
Einwilligung eingeholt und zuvor entsprechend aufgeklärt hat; das Gesetz gibt dem Arzt allerdings die Möglichkeit, sich bei Aufklärungsfehlern darauf zu berufen, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung).
Beruft sich der Arzt auf diese hypothetische
Einwilligung, so hat die Rechtsprechung zumindest bislang dem Patienten den Einwand ermöglicht, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung aufgrund seiner persönlichen, unter Umständen auch unvernünftigen Erwägungen in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, sodass die von ihm behauptete Ablehnung der Einwilligung im damaligen Zeitpunkt verständlich erscheint; dies muss der Patient nach der Rechtsprechung nur plausibel darlegen. Wie er sich konkret entschieden hätte, ist nach der Rechtsprechung unbeachtlich.
Die gesetzlichen Vermutungen kann der Arzt durch den Beweis des Gegenteils entkräften. Für die zivilrechtliche Haftung des Arztes kommt es nicht auf ein individuelles Verschulden des Arztes, sondern auf die Wahrung der objektivierten medizinischen Sorgfaltsstandards an. Den Verstoß gegen die Standards, die Pflichtwidrigkeit des Handelns, nicht aber ein darüber hinausgehendes individuelles Verschulden hat der Patient zu beweisen. Die Pflichtwidrigkeit indiziert allerdings zugleich die Rechtswidrigkeit und das Verschulden. Aber: Allein die Tatsache, dass der Patient infolge der Behandlung einen Gesundheits- oder Körperschaden erlitten hat, reicht für den Beweis einer Pflichtwidrigkeit umso weniger aus, als der Arzt verpflichtet ist, den Patienten über die schicksalshaften, durch ärztliche Kunst nicht beherrschbaren Risiken und sicheren oder möglichen nachteiligen Folgen des Eingriffs aufzuklären. Mit der
Einwilligung in Kenntnis der Risiken und möglichen nachteiligen Folgen nimmt der Patient diese potenziellen Schäden in Abwägung gegen die Chancen des Heileingriffs in Kauf.