Geschichte und Anwendung der Akupunktur im alten China
Die historischen Anwendungen der Akupunktur haben eine lange Tradition in Asien, einschließlich China, Korea und Japan. Bei Ausgrabungen in China fand man die Vorläufer der Akupunkturnadel in Form von Steinnadeln datiert auf etwa 1700 v.Chr. Später wurden Knochen oder Bambusstäbe, ab 1600 v.Chr. dann die ersten Bronzenadeln zur Akupunkturbehandlung gefunden, die später durch
Eisen, Stahl, Gold- oder Silbernadeln ersetzt wurden.
In den unterschiedlichen Dynastien in China wurden je nach politischem System und Historie die Wirkweisen der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) entwickelt. Die frühesten Aufzeichnungen medizinischer Texte auf dem Gebiet der Gynäkologie gehen auf die Shang Dynastie (1500–1000 v.Chr.) zurück. Wichtige Pfeiler der historischen Entwicklung für die Geburtshilfe sind die Erkenntnisse der hormonellen Änderung der Frauen in 7-Jahres-Intervallen [Der gelbe Kaiser Klassiker des Inneren], die Behandlung durch Ärzte für „Erkrankungen unterhalb der Gürtellinie“, sowie das Buch „Klassiker vom Puls“ (Mai Jing, 280) worin die Identifikation einer Schwangerschaft oder eines Abortes anhand der Pulsqualität am Unterarm gemessen wurde (Wang
1988). Während der Han Dynastie (206 v.Chr.–220 n.Chr.) wurden verstärkt Kräuter und Rezepturen für die Geburtshilfe eingesetzt. Später nahm der Einfluss der Jahreszeiten oder die Disharmonie von Organen als Erklärung für Erkrankungen an Bedeutung zu. Während der Kulturrevolution (1967–1976) erlangte die TCM neben der Schulmedizin wieder zunehmend an Bedeutung.
Ab den 1960er-Jahren wurde in China verstärkt die Akupunkturanästhesie und Elektroakupunktur bei chirurgischen Eingriffen zur Analgesie verwendet (Beer
2000).
Grundlagen der traditionellen chinesischen Medizin (TCM)
Die TCM ist eine ganzheitliche Form der Medizin, die den Menschen in der Beziehung zu Natur und Universum betrachtet.
Das Leben unterliegt der philosophischen Theorie von Yin und Yang als komplementäre Gegensätze. Um diese Begriffe fassbarer zu machen, werden ihnen Attribute zugeordnet. So symbolisiert das Yin Struktur, Schwäche, Kälte, das Körperinnere, das Weibliche, Nacht und Schlaf. Im Gegensatz dazu steht das Yang als das dynamische, starke, nach außen gerichtete und männliche Element. Stehen Yin und Yang in einem harmonischen Verhältnis, dann befindet sich das Lebewesen in Gesundheit, wenn dieses Verhältnis ein Ungleichgewicht aufzeigt, dann ist das Lebewesen in Disharmonie bzw. krank. Die 4 Gegensatzpaare Yin-Yang; Innen-Außen; Mangel-Fülle und Kälte-Hitze spielen eine wesentliche Bedeutung bei der Einteilung von Zuständen in der TCM.
Während in der gesamten Natur das Tao die Kraft ist, die alles in Bewegung hält, wird beim Menschen noch das Vorhandensein des Qi, einer „Lebensenergie“, angenommen, die Befinden, Tatkraft, Organfunktion, Charakter und noch vieles mehr beeinflusst. Im menschlichen Körper sammelt sich das Qi in den Organen und fließt durch Kanäle, die, in Anlehnung an das Meridiansystem der Erde, Meridiane genannt werden. Selbstverständlich darf man hier nicht von der westlichen Organvorstellung ausgehen, da im antiken China keinerlei anatomische und physiologische Studien betrieben wurden und diese sogar verboten waren. Vielmehr handelt es sich bei diesem Modell um eine Zusammenstellung einer Vielzahl von Beobachtungen, die die Grenzen des westlichen Organverständnisses weit übersteigt.
Auch das Krankheitsverständnis der TCM ist nicht vergleichbar mit dem der westlichen Medizin. Als krank gilt, wer eine Störung im Qi-Fluss des Körpers hat. Deswegen kommt der Prophylaxe große Bedeutung zu, die u. a. in Qi Gong (Atemtherapie), Tai Qi (chinesisches Schattenboxen) und chinesischer Diätetik besteht.
Störungen des Qi werden hervorgerufen durch Mangel (Yin-Zustand), Überfülle (Yang-Zustand) oder Blockade der Lebensenergie. Dazu kann es sowohl durch klimatische Faktoren von außen kommen als auch durch innere, emotionale Faktoren. Neben der bipolaren Einteilung des Yin-Yang-Systems, wurde das System der 5 Elemente – auch das „System der 5 Wandlungsphasen“ genannt – eingeführt, um periodische Abläufe besser einordnen zu können. Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser stellen abstrakte Begriffe dar, denen zum besseren Verständnis von Organfunktionen und den Beziehungen unter den Organen erklärende Attribute zugeordnet sind.
So beinhaltet das Element „Feuer“ folgende Eigenschaften: „Feuer“ besitzt als zugehörige Organe das Herz und den Dünndarm. Diese Organe sind einerseits für die Qi-Speicherung in diesem „Organsystem“ verantwortlich, werden aber auch besonders durch die pathologischen Faktoren geschädigt, die zu dem Element „Feuer“ gehören. Schädigend wirken Hitze als äußerer Faktor und Aufregung als emotionaler Faktor. Das Ausdrucksorgan, an dem die Störungen zuerst sichtbar werden, ist die Zunge. Der Lebensabschnitt, der besonders unter dem Einfluss des Herzens steht, ist die Wachstumsphase. Ebenso sind der Tagesabschnitt von 11–13 Uhr, die Farbe Rot, der Geschmack bitter und die Jahreszeit Sommer dazugehörig.
Für die restlichen 4 Elemente gibt es ähnliche Schemata, die so aufgelistet zusammenhanglos wirken, jedoch dem Therapeuten eine Einteilung in chinesische Syndrome und deren Therapie ermöglichen.
Da das Qi in einem ständigen Kreislauf den Körper Organ für Organ durchfließt, können sich Störungen der Energetik weiter fortpflanzen. Diese Verknüpfung macht sich jedoch auch der Therapeut zunutze, indem er Qi aus einem anderen Organsystem ableiten kann, wo es in Überfülle ist, um es dem Organ zukommen zu lassen, welches gerade einen Mangelzustand aufweist.
Genauso wie in der westlichen Medizin muss vor dem Beginn der Therapie entsprechende Diagnostik betrieben werden. Auch in der Akupunktur bildet eine ausführliche Anamnese den wichtigsten Grundpfeiler der Diagnosefindung, wobei körperliche Symptome ebenso wie die Psyche einfließen. Dabei wird der Patient intensiv beobachtet und Körperbau und -haltung, Hautkolorit, Ausdruck, mentaler Zustand und entsprechende Auffälligkeiten beurteilt. Bei der Zungendiagnostik wird die Zunge in verschiedene Areale unterteilt, die den einzelnen Organen zugeordnet sind. Auch Größe, Feuchtigkeit und Belag der Zunge werden bewertet. Zudem wird der Puls des Patienten analysiert (Pulsdiagnostik).
Akupunktur
Die Akupunktur ist eine Therapieform der TCM. Der Begriff „Akupunktur“ besteht aus (lat. Acus = Nadel und pungere = stechen). Durch Stechen der Nadel in einen Punkt kann der Qi Fluss wieder in Gang kommen und somit zur Harmonisierung beitragen und den Gesundheitszustand harmonisieren.
Meridiane
Die Lebensenergie durchfließt die Organsysteme einmal innerhalb von 24 h komplett. Die Verbindung zwischen den einzelnen Organen stellen die Meridiane her, die als Qi-Kanäle fungieren. Auf ihnen liegen die Punkte, die über Akupunktur beeinflussbar sind. Auf der
Körperoberfläche befinden sich
12 paarige Hauptmeridiane und
2 unpaarige, außerordentliche Meridiane. Die 12 paarigen Organmeridiane sind entweder einem parenchymatösen Organ (Yin-Organ) oder einem Hohlorgan (Yang-Organ) zugeordnet. Lediglich ein Organmeridian fällt aus dem Rahmen, da es für den „dreifachen Erwärmer“ keinerlei anatomisches Korrelat gibt. Die beiden unpaarigen Meridiane sind keinem Organ zugeordnet. Sie besitzen eine übergeordnete Funktion auf den Energiefluss der einzelnen Organsysteme. Die Reihenfolge des Qi-Durchflusses wird streng nach Yin- und Yang-Organen getrennt: Erst wird ein Yin-Meridian durchflossen, dann 2 Yang-Meridiane und wieder ein dem Yin zugeordneter und so fort.
Akupunkturpunkte
Die klassischen Akupunkturpunkte liegen auf den Meridianen am Körper. Die Anzahl der Punkte am Körper ist im Laufe der Jahrhunderte durch empirisches Suchen von 160 auf über 364 angewachsen. Das Auffinden der Akupunkturpunkte wird durch wichtige „anatomische Landmarken“ wie Knochenvorsprünge, Sehnen oder ähnliche topografischen Merkmale erleichtert. Häufig gibt auch der chinesische Name einen Hinweis darauf, wo der Punkt zu suchen ist. Daneben wird auch noch ein Körpermaßstab benutzt, der sich z. B. an der Daumenbreite des Patienten (Cun) orientiert. Die Körperakupunkturpunkte sind gegenüber ihrer Umgebung durch einen erniedrigten Hautwiderstand und eine veränderte Tast- oder Druckempfindlichkeit zu identifizieren.
Lou et al. (
2012) haben die Besonderheit an einem Akupunkturpunkt in Form eines anatomisch-histologischen Korrelats eines
Gefäß-Nervenbündels durch eine Faszienlücke beschrieben.
Beim Stechen eines Akupunkturpunkts wird von dem Patienten ein „De-Qi“ Gefühl verspürt.
Jeder Meridian enthält Punkte, die vergleichbare Funktionen aufweisen. So gibt es Sedierungspunkte, die den Energiefluss auf dem jeweiligen Meridian vermindern, und analog Punkte zur Tonisierung. Yuan-Punkte (Quellpunkt) ziehen Energie vom Meridian des gekoppelten Organs ab. Dazu wird dann der Luo-Punkt (Durchgangspunkt) des gekoppelten Organs genadelt, um den Energiefluss dorthin zu optimieren. Bei einer akuten Erkrankung sind die Alarmpunkte (Mu-Punkt) schmerzhaft verändert und somit gut als Diagnostikum verwendbar. Auf der anderen Körperseite findet sich dazu der korrespondierende (Zustimmungs-) Shu-Punkt. Jeder Meridian beinhaltet auch einen Meisterpunkt, über den man das jeweilige Organ besonders gut und nachhaltig beeinflussen kann. Daneben gibt es noch die antiken Punkte. Sie sind als einzige wieder den 5 Elementen zugeordnet und besonders zur Behandlung von klimatisch bedingten Störungen geeignet. Eingedrungene Kälte kann so über den Feuerpunkt (Hitze) behandelt werden. Teilweise unterliegen die Punkte auch einer doppelten Funktion. So kann ein Meisterpunkt gleichzeitig ein Tonisierungspunkt sein.
Somatotopie
Der französische Arzt Nogier konnte nachweisen, dass alle Organe des Körpers als Reflexzonen am Ohr repräsentiert sind. Er erkannte auch, dass aktive Ohrpunkte, also solche, die auf eine Pathologie am Körper hinweisen, einen erniedrigten Hautwiderstand und eine verstärkten Druckempfindlichkeit am Ohr zeigen. Somit konnten die Ohrkarten mit vielen Akupunkturpunkten entstehen (Nogier
2014).
Über bestimmte Körperareale ist es möglich, reflektorische Beziehungen zu äußeren oder inneren Regionen für diagnostische oder therapeutische Maßnahmen zu nutzen. Synonyma sind „Repräsentationszone“ oder „Somatotopie“ (griechisch soma = Körper, topos = Ort) (Rubach
1995).
Am Ohr sind die zahlreichen Akupunkturpunkte durch einen
veränderten Hautwiderstand (
Impedanzwandlung) mittels
Suchgerät oder durch
RAC (Reflex-auriculo-cardiale) der Pulstastung zu identifizieren. Naturgemäß hat jedes Organ, jeder Wirbel, jedes Gelenk, jede Stelle am Körper einen korrespondierenden Punkt am Ohr und am Gehirn plus mindestens 35 psychische und funktionelle Punkte (Strittmatter
2001). Weitere Akupunkturverfahren verwenden nur einzelne Körperregionen wie die
Ohr-, Schädel-, Mund- oder Handregion (Hecker
1996).
Verschiedene Behandlungsmethoden
Die Akupunkturpunkte können mit unterschiedlichen Techniken behandelt werden.
Bei der Akupressur wird der Punkt manuell mit dem Finger gedrückt und leicht massiert. Diese Technik kann von der behandelnden Fachperson oder von der Patientin selbst z. B. zur Schmerzreduktion unter der Geburt durchgeführt werden. Am Ohr gibt es die Möglichkeit, den Druck mit kleinen aufgeklebten Samenkörnern oder mit Magnetkügelchen zu verstärken oder eine Dauer- oder Implantatnadel zu setzen.
Bei der
klassischen Akupunktur werden die Punkte am Körper oder am Ohr mit Nadeln aus Stahl,
Gold oder
Silber gestochen. Um eine zusätzliche Stimulation am Akupunkturpunkt zu ermöglichen, kann Wechselstrom in Form von
Elektroakupunktur an die Nadel angelegt werden.
Um dem Körper Energie und Wärme zuzuführen, kann auf die Akupunkturnadel eine Kugel mit glimmendem
Beifußkraut aufgespießt werden, oder es kann ein
Moxakegel direkt auf die Haut aufgeklebt werden. Die Methode der
Moxibustion mit der Moxazigarre am Punkt Bl 67 wird vor allem von Hebammen zur Wendung bei fetaler Beckenendlage genutzt.
In dem Buch von Bahr und Litscher werden neue Anwendungsmöglichkeiten der Laser-Akupunktur zur innovativen Lasermedizin beschrieben. Dabei wird der besondere Wert des Energiegewinns durch diese nicht-invasive Methode mit Laserphotonen dargestellt (Bahr und Litscher
2015). Die Laser- oder
Lasernadel-Akupunktur kann bei Kindern oder Patienten mit Nadelangst angewendet werden. Mit dieser nicht-invasiven Methode wird fotoelektrische Energie mit monochromatischem Laserlicht in den Akupunkturpunkt eingeschleust. Bei wunden Brustwarzen wird die
Lasertherapie lokal
mit dem Laser-Pen von Hebammen und Stillberaterinnen angewendet.
Als ausleitendes Verfahren ist das
Schröpfen mit erhitzten Glaskugeln über dem Akupunkturpunkt bekannt. In der Literatur wird auch die
Injektionsakupunktur mit Injektionen eines Medikaments in einen Akupunkturpunkt zur Analgesie beschrieben (Liu et al.
2015).
Stichtechnik der Akupunktur
Die Behandlung erfolgt grundsätzlich im Liegen oder Sitzen und bei Schwangeren zur Vermeidung eines Vena-cava-Syndroms bevorzugt in Linksseitenlage. Nach Identifikation und Auswahl des Akupunkturpunktes bzw. der Punktkombinationen wird dieser behandelt.
Um nun die aufgefundenen Punkte beeinflussen zu können, gibt es bei jedem Punkt generell die Möglichkeit, durch Wahl der Nadel und der Stichtechnik den Energiefluss zu tonisieren oder zu sedieren: Goldnadeln wirken per se tonisierend und Silbernadeln sedierend. Aus hygienischen Gründen werden jedoch heutzutage weitgehend Einwegstahlnadeln bevorzugt.
Liegt die Nadel in der richtigen Struktur, sollte der Patient einen schwachen, dumpfen Druck empfinden, das sogenannte
De-Qi-Gefühl. Um Nervenverletzungen zu vermeiden, sollte beim Vorschieben der Nadeln die Reaktion des Patienten berücksichtigt werden, der bei Berührung des Perineuriums einen stechenden
Schmerz angeben wird.
Wirkung und naturwissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur
Seitdem die Akupunktur immer größere Verbreitung in der westlichen Welt findet, steigt auch in der naturwissenschaftlichen Forschung das Interesse an der Untersuchung ihrer Wirkungsmechanismen.
Die Wirkweise der Akupunktur basiert in der Analgesie oder Schmerztherapie auf Neurotransmittern, über Strukturen des ZNS, Thalamus, Hypothalamus, Rückenmark, sympathische und parasympathische Reflexbahnen, sowie auf neurohumorale Mechanismen über die Hypophyse.
Verdrehungen von Kollagenfasern im Bindegewebe beim Stechen der Nadel bewirken eine Veränderung des Schmerzempfindens (Langevin et al.
2002).
Es konnte gezeigt werden, dass der größte Teil der Akupunkturpunkte über Lücken in der Körperfaszie liegt, durch welche kleine Blutgefäße, vegetative Nerven und Äste sensibler Nerven ziehen. Histologisch konnten diese
Gefäß-Nervenbündel nachgewiesen werden (Heine
1988; Lou et al.
2012). Dadurch ergibt sich ein mögliches Erklärungsmodell für die Wirkung von Akupunktur über die
Head-Zonen. Durch die Nadelung eines peripheren Akupunkturpunkts wird ein oberflächlicher sensibler Nerv gereizt, der segmental im Rückenmark mit der Innervation eines inneren Organs zusammengeschaltet wird. Über viszerale Reflexbögen innerhalb des angesprochenen Rückenmarksegments werden nun Reize an das betreffende Organ geleitet, die es in seiner Funktion beeinflussen.
Die
Gate-control-Theorie von Melzack und Wall (
1965), die auch höhere zentralnervöse Strukturen wie Hypothalamus und Mittelhirn miteinbezieht, erklärt die Wirkung von Akupunktur bei Schmerzzuständen. Über das Stechen von Akupunkturpunkten werden segmental Rückenmarkabschnitte angesprochen, in denen zur direkten
Schmerzmodulation Endorphine und Dynorphine ausgeschüttet werden. Ebenso werden über den Tractus anterolateralis das Mittelhirn und der Hypothalamus stimuliert. Während die Reizantwort des Mittelhirns in einer
Enkephalinausschüttung besteht, die eine segmentale Freisetzung von
Serotonin und Noradrenalin bewirkt und so die Schmerzweiterleitung wieder auf einer unteren Ebene des Rückenmarks blockiert, erfolgt durch den Hypothalamus eine Endorphinausschüttung der Hypophyse. Da die Endorphinmenge, die dort ausgeschüttet wird, einen zu geringen Anstieg des Blutspiegels verursacht, als dass eine zur Schmerzstillung ausreichende Menge über die Blut-Hirn-Schranke in das ZNS gelangen könnte, wird daneben ein retrograder Transport über das Hypophysenpfortadersystem diskutiert. Für die Richtigkeit der Gate-control-Theorie spricht u. a. die Antagonisierbarkeit der analgetischen Akupunkturwirkung durch Naloxon (Mayer et al.
1977).
Die Akupunktur basiert auf Erklärungen zur
neuralen und neurohumoralen Wirksamkeit. Bei der neuralen Theorie spielen die Gate-control-Theorie, die deszendierende Hemmung, die Sympathikuswirkung und die Segmentwirkung eine Rolle. Bei der neurohumoralen Wirkung spielen
Serotonin und Endorphine eine entscheidende Rolle betreffend die Analgesie. Neben der Schmerzlinderung können vegetative, motorische,
immunmodulierende oder
psychische Wirkungen der Akupunktur verzeichnet werden. Neue funktionale MRI-Untersuchungen am Gehirn bestätigen den Effekt von Akupunktur (Litscher et al.
2004; Scheffold et al.
2015).
Nebenwirkungen und Kontraindikationen der Akupunktur
Die meisten Studien verzeichnen
keine Neben- oder unerwünschten Wirkungen oder Ereignisse durch Akupunktur (Ekdahl und Petersson
2010; Miranda-Garcia et al.
2019). Trotz aller Sorgfalt kann es unter Umständen zu Komplikationen kommen.
Zu den am häufigsten berichteten unerwünschten Ereignissen nach der Anwendung der Akupunktur gehörten
Blutungen, Hämatome, Nadelschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, vegetative Nebenwirkungen, Ohnmacht, Allergie gegen Nickel oder Verschlechterung der Symptome (Melchart et al.
2004).
Bei besonders empfindlichen und sensiblen Patientinnen oder bei der Behandlung mit zu vielen Nadeln, kann es zu einem
Kreislauf- oder Nadelkollaps mit Bewusstlosigkeit kommen. Bei wenigen „gefährlichen“ Punkten ist aufgrund der Nähe zu Organen Vorsicht geboten, damit es nicht zu einer Verletzung kommt. In der Literatur sind vereinzelt Fallberichte zu einem schwerwiegenden Ereignis wie
Pneumothorax oder
Perikardtamponade nach Akupunktur beschrieben (Lao et al.
2003; Ernst und White
2001).
Aus hygienischen Gründen werden heutzutage weitgehend Einwegstahlnadeln bevorzugt, um eine Infektion oder Infektionsübertragung zu vermeiden.
In einem systematischen Review von 17 Studien der Autoren Clarkson et al. (
2015) wurde die
Qualität der Meldung von „adverse events“ bei Schwangeren in Akupunkturstudien nach standardisierten Richtlinien im Allgemeinen als schlecht beurteilt.
Verbotene Punkte in der Geburtshilfe
Durch die breitere Anwendung der Akupunktur bei Schwangeren treten auch Fragen betreffend die Sicherheit von Mutter und Kind in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang wurden kontroverse Diskussionen über eventuell zu vermeidende („verbotene“) Akupunkturpunkte geführt und darüber, ob diese unerwünschte Nebenwirkungenen für den Feten und die Schwangere verursachen könnten.
Besonders wehenanregende Punkte wurden als „verbotene“ Punkte bezeichnet und daher als kontraindiziert in der Schwangerschaft verzeichnet. Diese Vorsichtsmaßnahme stammt aus der Akupunkturschule von Jajasuriya (Acupuncture Foundation of Sri Lanka) und ist umstritten, da auch gegenteilige Erfahrungen, also keine Gefährdung des Fetus, gemacht wurden und sich in der Literatur keine Hinweise auf ein Abortrisiko bei Nadelung dieser Punkte finden.
Als Hintergrund muss die geschichtliche Anwendung der Akupunktur bei Schwangeren im alten China in Betracht gezogen werden. In China wurden bestimmte Punkte zur Abortinduktion in der Frühgravidität mit Erfolgsraten von bis zu 75 % beschrieben (Betts und Budd
2011).
In dem Buch „Akupunkturtherapie in Geburtshilfe und Frauenheilkunde – Standortbestimmung in klinischer Forschung und praktischer Anwendung“ von Römer (
1998, S. 59–64), wird von C. Schulte-Uebbing Folgendes geschrieben: „Die Behauptung, bestimmte („verbotene Punkte“) dürften in der Schwangerschaft nicht behandelt werden, ist so nicht richtig und aus forensischen Gründen sogar gefährlich“. Nach Prof. Lian, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universitätsklinik für TCM in Tianjin, VR China, sind allein die richtige Indikation, Nadeltechnik und vor allem die große Erfahrung des Akupunkteurs entscheidend.
Ein systematischer Review von Levett et al. (
2019) analysierte 8 randomisierte kontrollierte Studien an insgesamt 713 Schwangeren, die an „verbotenen Punkten“ zur Schmerzstillung von
Rückenschmerzen akupunktiert wurden. Der nach STRICTA und GRADE-Guidelines durchgeführte Review zeigte bei nur 2 Studien vorzeitige Wehentätigkeit (PTC) als primären Endpunkt. In 6 RCT wurden keine PTC gefunden.
Es kommt offensichtlich darauf an,
zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft welche Punkte gestochen werden. In der
Frühschwangerschaft sollte ein vorsichtiger Umgang mit wehenanregenden Punkten erfolgen, wohingegen wehenanregende Punkte zur
Geburtseinleitung in der Spätschwangerschaft ja durchaus gewünscht sind.
Wichtig ist die korrekte Anwendung der Akupunktur durch eine Fachperson und das Wissen über die Besonderheiten der Schwangerenbetreuung.
Anwendungsmöglichkeiten der Akupunktur in der Geburtshilfe
Die Akupunktur in der Geburtshilfe kann präpartal, intrapartal oder postpartal angewendet werden.
Auch in der
WHO-Liste sind Indikationen für die Geburtsvorbereitung,
Geburtseinleitung, Geburtserleichterung und die Behandlung von Laktationsstörungen aufgelistet.
Die Behandlung von Schwangeren mit Akupunktur erfordert besondere Kenntnisse und Fähigkeiten in Schul- und Komplementärmedizin sowie in der Anwendung der Technik. Eine lege artis durchgeführte Akupunktur sollte die Schwangerschaft nicht gefährden.
Grundsätzlich sollte möglichst eine sinnvolle Kombination aus Schulmedizin und Komplementärmedizin für die Behandlung genutzt werden und die Grenzen der Anwendungsmöglichkeiten unbedingt beachtet werden.
Grundsätzlich sollte die Behandlung im Liegen vorgenommen werden, da kreislaufwirksame Effekte auftreten können. Zur Vermeidung eines Vena-cava-Kompressionssyndroms ist es ratsam, die Schwangere in
leichter Linksseitenlagerung zu behandeln. Wesentliche Kontraindikation für die Akupunktur sind schwere
Blutungsneigungen oder Gerinnungsstörungen.
Präpartale Anwendungsmöglichkeit
In der Liste für die
Akupunkturanwendung in der Schwangerschaft finden sich unter anderem Schwangerschaftserkrankungen (Emesis und Hyperemesis), Schmerzzustände (
Rückenschmerzen, Iliosakralgelenksbeschwerden, Symphysenschmerzen,
Kopfschmerzen,
Migräne, Karpaltunnelsyndrom), psychische Probleme (Rauchentwöhnung, Suchtbehandlung,
Anpassungsstörungen) und gezielte Anwendungen zur Geburtsvorbereitung oder zur Wendung bei fetaler Beckenendlage.
Intrapartale Anwendungsmöglichkeit
Unter der Geburt wird die Akupunktur zur Unterstützung bei der
Geburtseinleitung, Wehenschmerzen, Zervixdystokie, Wehenregulationsstörungen und bei Plazentalösung beschrieben.
Postpartale Anwendungsmöglichkeit
Im Wochenbett sind Anwendungsmöglichkeiten bei Rückbildungsstörungen, Miktionsstörungen, postpartaler
Anämie, Laktationsstörungen, Mastitis puerperalis sowie bei postpartalen
Anpassungsstörungen dargestellt.
Akupunktur in Geburtshilfe und Gynäkologie
Der Akupunktur kommt in der Geburtshilfe und Gynäkologie eine zunehmende Bedeutung zu. In einer statistischen Analyse von Wu et al.
2021 wurde der aktuelle Anwendungs- und Forschungsstand von Akupunktur bei geburtshilflichen und gynäkologischen Erkrankungen untersucht. Die meisten Publikationen stammten dabei aus USA (25,5 %), China (14,0 %), Deutschland (7,6 %), Australien (7,3 %) und Schweden (7,1 %), wobei sich zunehmend internationale Forschungskooperationen bilden.
Besonders in den USA nimmt die Beliebtheit für Akupunktur zu. Die verfügbaren Daten zeigten, dass Akupunktur bei der Behandlung von Wehen,
Rückenschmerzen in der Schwangerschaft und
Dysmenorrhö von Vorteil ist (Bishop et al.
2019).
Akupunktur zur Geburtsvorbereitung
Eine
Verkürzung der Geburtsdauer durch Akupunktur wurde in der Vergangenheit kontrovers diskutiert (Kubista et al.
1973; Lyrenäs et al.
1987). Die aktuelle klinische Erfahrung zeigt jedoch signifikante Effekte auf die Dauer der Eröffnungsperiode bei Frauen, die im Rahmen der Geburtsvorbereitung akupunktiert wurden. Römer (Römer et al.
2000) konnte zeigen, dass sich bei Erstgebärenden nach geburtsvorbereitender wöchentlicher Akupunktur der Punkte Ma 36, Gb 34, MP 6 und Bl 67 ab der 36. SSW eine stärkere Zervixreifung im Vergleich zur nichtakupunktierten Kontrollgruppe verzeichnen lässt. Insgesamt verkürzte sich die Geburtsdauer um 2 h (470 ± 190 min vs. 594 ± 241 min).
Akupunktur bei Emesis und Hyperemesis
Schwangere leiden in der Frühgravidität häufig an Übelkeit und Erbrechen. In der TCM wird die Morgenübelkeit durch eine Störung der Mitte mit
ungünstig aufsteigender Energie im Chong Mai, begleitet von einer
schlecht absteigenden Energie im Magenmeridian, erklärt (Maciocia
2000). Es kommt zu einer gegenläufigen Energierichtung (rebellisches Qi), was dann in Form von Erbrechen und Übelkeit zum Ausdruck kommt.
Der am häufigsten genutzte Akupunkturpunkt gegen Übelkeit und Erbrechen ist der Punkt Ks/Pe 6 am inneren Handgelenk zwischen den beiden Sehnen.
In klinischer Nutzung werden an dem Punkt Ks/Pe 6 verschiedene Formen der Übelkeit (postoperativ, in der Frühgravidität, bei Chemotherapie oder bei Seekrankheit) behandelt (Review Article Dundee und McMillan
1991). Leichte Formen der Hyperemesis können mit Akupressur, dem Sea-Bändchen, Akupunktur oder Laserpunktur behandelt werden, wohingegen schwere Formen üblicherweise eine Infusionstherapie benötigen. In einer Untersuchung von klinischen Studien von Enblom (Enblom und Johnsson
2017) bezüglich Nebenwirkungen der Akupunkturbehandlung am Punkt Pe 6, konnten die Autoren bei 1298 Behandlungen
keine schwerwiegenden Komplikationen verzeichnen. Es traten nur wenige und
milde Nebenwirkungen auf (leichte Blutungen 5,0 %, Müdigkeit 4,9 %, Taubheitsgefühl 4,5 %
Schwindel in 1,4 %). Fast 90 % der Probanden fanden Pe6-Akupunktur nicht schmerzhaft oder nur leicht schmerzhaft.
In dem systematischen Review von McParlin (McParlin et al.
2016) war bei der Behandlung mit Akupressur eine Symptomverbesserung bei leichten Fällen der Hyperemesis (Stufe A, Klasse IIa) zu verzeichnen. Für Akupunktur war der Nutzen unklar (Stufe A, Klasse IIb). In einem Cochrane Review von Matthews (Matthews und Haas
2015) dagegen wurde in einer Analyse von (Smith 2002) ein
guter Effekt der Akupunktur versus Placebo verzeichnet.
Nach schulmedizinischen Standards sind Akupunkturstudien häufig leider von schlechter Qualität und zeigen wenig repräsentative Ergebnisse bezüglich des Nutzens von Akupunktur.
Akupunktur bei Karpaltunnelsyndrom
Durch eine hormonell bedingte Wassereinlagerung im Karpaltunnel der Hand kommt es zu einem erhöhten Gewebsdruck auf den Nervus medianus unter dem Lig. carpale transversum nach palmar. Die klinischen Symptome des Karpaltunnelsyndroms in der Schwangerschaft sind Kribbeln, Taubheitsgefühl, Nachtschmerz und palmare Schwellung.
In der TCM gibt es den Begriff Karpaltunnelsyndrom nicht. Aufgrund der klinischen Symptome Schwellung,
Schmerz, Taubheitsgefühl wird es als
„Sehnenverletzung im Handgelenk“ verursacht durch Kälte oder Feuchtigkeit definiert (Beer
2000) und das Behandlungsprinzip beruht darauf, das Blut zu bewegen, die
Ödeme zu beseitigen und die Sehnen zu besänftigen.
Dabei können die Akupunkturpunkte
Ks/Pe 6, 7, direkt am Handgelenk mit klassischen Metallnadeln oder, bei Nadelangst, mit Lasernadeln behandelt werden (Stähler van Amerongen et al.
2007a,
b) oder es können die
Punkte entlang des Karpaltunnels am Unterarm wie z. B. in der prospektiven doppelblinden Studie von Chuan-Chih Chen (Chen et al.
2019) mit Low-level-Laser-Akupunktur behandelt werden.
In einer prospektiven randomisierten Studie (Tezel et al.
2019) konnte anhand der visuellen Analogskala (VAS) in der Studiengruppe, die mit Akupunktur und Nachtschiene behandelt wurde, gegenüber der Gruppe, welche nur eine Nachtschiene erhielt, eine
signifikante Schmerzreduktion (p = 0,007) verzeichnet werden. Die Ergebnisse bezüglich der
Lebensqualität (Nottingham Health Profile, NHP) und Funktion („Boston-Carpal Tunnel-Fragebogen“) waren jedoch nicht signifikant.
In einem systematischen Review (Choi et al.
2018) bezüglich der Akupunkturanwendung bei Karpaltunnelsyndrom wurden die Ergebnisse von 12 Studien mit insgesamt 869 Teilnehmern eingeschlossen. Dabei konnte gezeigt werden, dass bei der
Akupunktur keine schwerwiegenden Nebenwirkungen sondern nur leichte Beschwerden beim Stechen, lokale Parästhesien und vorübergehende Blutergüsse beschrieben wurden.
Akupunktur und Moxibustion bei Beckenendlage
Moxa ist der japanische Begriff für Artemisia vulgaris oder Beifuß(kraut). Bei der
Moxibustion wird das Beifußkraut angezündet und dadurch an dem jeweiligen Akupunkturpunkt pulsatil Wärme zugeführt. Der Behandlungsort zur Korrektur einer Beckenendlage ist der
Blasenpunkt Bl 67 am lateralen Fußnagel der kleinen Zehe. Die
Moxibustion (Erwärmung mit glimmender Beifußzigarre) des seitlichen Zehennagelwinkels wird ab Mitte der 34. SSW bei
Steißlagen durchgeführt, um eine
Wendung des Fetus in Schädellage zu bewirken (Kap.
38). Empfehlenswert ist das Hervorrufen eines intensiven Wärmegefühls über 10 min 2-mal täglich.
Der Erfolg dieser Behandlungsmethode beruht darauf, dass es dadurch bis zur 38. SSW zur Spontanwendung kommen kann, von der besonders Mehrgebärende profitieren (Cardini und Marcolongo
1993).
Eine spanische Studiengruppe (Miranda-Garcia et al.
2019) konnte in einem systematischen Review über 5 klinische Studien eine
positive Wirkung und keine Nebenwirkungen von Moxibustion zur Korrektur bei Steißlage verzeichnen.
Eine andere Forschergruppe aus Taiwan (Jian-An Liao et al.
2021) konnte in einem aktuellen systematischen Review mit Meta-Analyse die Wirksamkeit und Sicherheit von
Moxibustion und Akupunktur bei der Korrektur einer Steißlage zeigen. Dazu wurden 16 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 2555 Teilnehmern in die Studie eingeschlossen. Im Vergleich zur Kontrolle konnte gezeigt werden, dass
Moxibustion die zephale Präsentation bei der Geburt signifikant erhöht hat (RR = 1,39; 95 %-KI = 1,21–1,58). Moxibustion schien außerdem bessere klinische Ergebnisse in der asiatischen Bevölkerung hervorzurufen (RR = 1,42; 95 %-KI = 1,21–1,67) als in der nicht-asiatischen Bevölkerung (RR = 1,20; 95 %-KI = 1,01–1,43). Die Studienautoren kamen zu dem Schluss, dass
Moxibustion eine positive Auswirkung auf die Korrektur einer Steißlage verzeichnet.
Akupunktur zur Rauchentwöhnung und in der Suchttherapie
Akupunktur kann auch in der Schwangerschaft nebenwirkungsarm zur Rauchentwöhnung angewendet werden, beispielsweise durch kleine Dauernadeln am Ohr.
1985 verwendete Smith, der Leiter des National Acupuncture Detoxification Association (NADA) in New York, USA, nur 5 Punkte am Ohr, um Drogenmissbrauch zu behandeln (Smith und Khan
1988). Mit diesem standardisierten Punkteschema waren gute Behandlungsmöglichkeiten mit Akupunktur zu verzeichnen. In Deutschland wurde diese Akupunkturbehandlung mit den NADA-Punkten auch in der Behandlung von schwangeren drogenabhängigen Frauen mit positiven Erfolgen angewandt (Raben
2004a,
b).
Akupunktur unter der Geburt
Viele Frauen wünschen sich eine möglichst natürliche Geburt ohne zusätzliche pharmakologische oder invasive Methoden der
Schmerztherapie, sodass hier
komplementäre Therapiemöglichkeiten wie die Akupunktur infrage kommen. In geburtsvorbereitenden Informationsveranstaltungen können die Schwangeren (auch gemeinsam mit dem Partner) über die Akupunkturanwendung während der Geburt informiert werden. Diese Vorbereitung erhöht die Akzeptanz der Methode und fördert die Vermittlung von Wissen.
In der westlichen Welt hat sich die Akupunktur allgemein im Bereich der Schmerztherapie etabliert und ist von Patienten gut akzeptiert. Präpartal oder peripartal wird die Akupunktur durch Ärzte mit komplementärer Zusatzbezeichnung oder durch Hebammen mit spezieller Ausbildung für Akupunktur durchgeführt.
Die häufigsten Anwendungen der Akupunktur während der Geburt sind dabei Analgesie, Wehenanregung/-koordination, Angstbehandlung oder die postpartale Unterstützung der Plazentalösung.
Während der Geburt sind z. B. die Kontraktionen der Gebärmutter, die Öffnung der Zervix oder die Dehnung der Vagina und des Beckenbodens schmerzhaft. Der Einsatz der Akupunktur kann den Gebärenden helfen, den Kreislauf „Angst-Anspannung-Schmerz“ zu durchbrechen oder besser zu ertragen.
Es gibt schwach (Di 10), mittel (Ma 36) und stark (Di 4) wirkende analgetische Punkte. Die Kombination der Punkte Du Mai 20 und Di 4 hat sich unter der Geburt bewährt.
Die Akupunkturpunkte können von der Gebärenden selbst mit dem Finger oder in Form von Akupressur gedrückt werden, um eine sanfte Behandlung zu erreichen. Die klassische Akupunktur beinhaltet das Einstechen der Nadel in den Akupunkturpunkt. Mit modernen Therapiemöglichkeiten kann der Punkt auch mit Elektrostimulation oder mit dem nicht-invasiven Laser behandelt werden.
Während Du Mai 20 ohne Stimulation über einen gewissen Zeitraum belassen werden kann, sollte Di 4 intermittierend stimuliert werden. Eine Verstärkung der Effekte wird durch die Anwendung der Elektrostimulation oder Lasertherapie erreicht. Hierbei bieten sich ebenso z. B. die Punkte Naima, Waima oder Ma 36 am Unterschenkel an. Der Cochrane-Review von Smith (Smith et al.
2011) untersuchte 13 randomisierte kontrollierte Studien. Dabei zeigte sich, dass Akupunktur und Akupressur im Vergleich zu Standardbehandlung oder Placebo bei der Verringerung der Schmerzintensität und Anwendung pharmakologischer Schmerzlinderung sowie der Erhöhung der Entspannung und Zufriedenheit mit der Schmerzlinderung eine Rolle spielen. Sie fanden sogar eine signifikant niedrigere Rate an instrumenteller vaginaler Entbindung und Kaiserschnittentbindung.
2020 wurde von Smith et al. in einem systematischen Review die Analyse der Wirkungen von Akupunktur und Akupressur zur Schmerzbehandlung unter der Geburt aktualisiert. Für dieses Update wurden das Cochrane Pregnancy and Childbirth’s Trials Register, (25. Februar 2019) und das Cochrane Central Register of Controlled Trials (The Cochrane Library 2019, Issue 1) durchsucht und 28 Studien mit Datenberichten zu 3960 Frauen eingeschlossen. 13 Studien berichteten über Akupunktur und 15 Studien über Akupressur. Dabei wurde Folgendes festgestellt: Akupunktur kann im Vergleich zur Scheinakupunktur die Zufriedenheit mit der Schmerztherapie erhöhen und den Einsatz von pharmakologischer Analgesie reduzieren. Akupunktur hat möglicherweise wenig bis gar keinen Einfluss auf die Rate von Kaiserschnitten oder assistierten vaginalen Geburten.
Für die Akupunktur während der Geburt ist ein
rechtzeitiger Therapiebeginn wichtig, um die erzielbaren Effekte (Analgesie, Sedierung) in möglichst großem Umfang nutzen zu können. Als Behandlungsbeginn ist die frühe
Eröffnungsphase optimal geeignet, da bei noch geringem Endorphinspiegel ein großer Effekt zu erwarten ist. Durch die Nadelung von nur 2 Punkten ist es möglich, diesen Spiegel auf das 1,6- bis 1,8-Fache zu steigern. Mit dem Fortschreiten der Geburt erreicht die körpereigene β-Endorphinausschüttung irgendwann ein
Maximum. Ist die Schmerztoleranz der Gebärenden überschritten, kann bei maximalem Endorphinspiegel im
Serum die Akupunktur keine Wirkung mehr zeigen.
Akupunktur zur Plazentalösung
Obwohl die Nadelung der Punkte Ni 16 rechts und links des Nabels häufig zur Plazentalösung angewandt wird, gibt es bisher keine systematisch analysierten Belege für eine signifikante Verkürzung der Lösungszeit.
Postpartale Akupunktur an der Brust
Nach der TCM wird die Muttermilch durch
Transformation aus Blut (Xue) produziert und der Milchfluss wird von Qi getrieben. Deshalb kann bei Qi- oder Blut-Mangel nicht genügend Milch gebildet werden (
Milchbildungsstörung) (Maciocia
2000). Bei Milchstau liegt dagegen eine Qi-Stagnation vor, die mit Akupunktur gelöst werden kann. Die Magen-Leitbahn spielt eine wichtige Rolle für die Laktation, und die Brustdrüse und die Leber-Leitbahn spielen eine wichtige Rolle für die Brustwarze (Maciocia
2000).
In einem systematischen Review (Mangesi et al.
2020) über Behandlungsmöglichkeiten bei
Milchstau wurden 13 randomisierte Studien mit insgesamt 919 Frauen eingeschlossen. Die Studie untersuchte Anwendungen wie Kohlblätterauflage, Akupunktur, Ultraschall, Akupressur, Gua-Sha-Scraping, Kältepack, elektromechanische Massage, Medikamente, Protease und subkutane Oxytocininjektion
. Bei den Frauen der Akupunkturgruppe konnten weniger
Abszesse der Brust, weniger Symptome am 5. postpartalen Tag und weniger
Fieber verzeichnet werden.
Mastitis puerperalis ist nach der TCM als eine Erkrankung mit Leber-Qi-Stagnation und Magen-Hitze definiert, die durch Freimachen von Leber-Qi und Ausleiten von Hitze mittels Akupunktur behandelt werden kann. Zum Abstillen können die „Prolaktinhemmer“-Punkte Gb 37 und Gb 41 genutzt werden. Wunde Brustwarzen mit Rhagaden werden durch Hebammen oder Stillberaterinnen zunehmend mit dem Soft-Laser therapiert.
Akupunktur bei Obstipation und Blasenentleerungsstörungen
In einem Fallbericht von Sudhakaran (
2019) wird die gute Wirksamkeit bei postpartaler Blasenentleerungsstörung beschrieben. Akupunktur sei eine wirksame und sichere Alternative zur Katheterisierung bei Urinretention in Zusammenhang mit Schwangerschaft und
Wochenbett (Sudhakaran
2019).
Akupunktur zur Narbenbehandlung
Aus eigenen Erfahrungen können an Sectionarben, die durch Hypertrophie,
Schmerzen, Keloidbildung oder verminderte Elastizität Beschwerden verursachen, durch eine Behandlung mit Akupunktur oder
Laser positive Effekte beobachtet werden.
Akupunktur bei Neonaten
In unseren Studien an Neonaten (Stähler van Amerongen et al.
2008) haben wir aktive Ohr-Akupunkturpunkte bei Neugeborenen gefunden, wobei die vegetative Rinne, gefolgt von Organpunkten die häufigsten Punkte waren. Bei der Analyse von spontan Geborenen versus per Sectio entbundenen Neonaten konnte kein signifikanter Unterschied in der Anzahl der Punkte verzeichnet werden.
In dem Fallbericht über Drillinge mit feto-fetales Transfusions-Syndrom konnten wir dann zeigen, dass, je schlechter der klinische Zustand des Neugeborenen war, desto mehr aktive Ohrpunkte gefunden worden waren (Stähler van Amerongen et al.
2007b).
Die Hypothese bestätigte sich in unseren folgenden Studien an Neonaten von drogenabhängigen Müttern, bei denen mehr ear acupuncture points (EAP) gefunden wurden, als bei dem Kontrollkollektiv (Stähler van Amerongen et al.
2021). Die Anzahl gefundener Punkte korrelierte hoch signifikant mit dem Finnegan-Score (p = 0,0001). Bei den Neonaten von drogenabhängigen Müttern wurden zudem alle NADA-Punkte (Punkte die zur Suchtmittelabhängigkeit in der Therapie genutzt werden), verschiedene Organpunkte, Schmerzpunkte und psychische Punkte als aktive Ohr-Akupunkturpunkte identifiziert.
Akupunkturausbildung
Verschiedene Länder bieten entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten zur Akupunktur für Ärzte und Hebammen an. Mit einem entsprechenden Diplom können diese fachkompetenten Personen dann die Therapie über die Krankenkassen abrechnen.
Die Ausübung der Akupunktur sollte medizinisch geschultem Personal vorbehalten sein. Auch eine nebenwirkungsarme Therapie bedarf einer Indikationsstellung und Risikoabwägung. Ebenso ist die Kenntnis der menschlichen Anatomie und die Besonderheit der Betreuung von Schwangeren eine Vorbedingung für die Ausübung der Akupunktur an diesen Patientinnen.
Schlusswort
Mit der Akupunktur steht den Geburtshilfeabteilungen eine wirksame und nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, nach deren Anwendung zunehmend verlangt wird. Die Akupunktur kann als ergänzende Therapie in der Schwangerschaft, zur Geburtsvorbereitung, unter der Geburt oder im
Wochenbett eingesetzt werden.