Neuroleptika
Neuroleptika sind Substanzen, die eine antipsychotische Wirkung besitzen, ohne das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten wesentlich zu beeinflussen. Treten bei Schwangeren
psychomotorische Erregungszustände, Angst und Trugwahrnehmungen auf, dann lässt es sich oft nicht vermeiden, die Medikation mit Neuroleptika auch in der Gravidität fortzusetzen. Eine niedrig dosierte Monotherapie sollte bevorzugt werden.
Je potenter ein Neuroleptikum ist, desto ausgeprägter zeigen sich aufgrund der Beeinflussung des Dopaminstoffwechsels extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen. Diese können nicht nur die Mutter, sondern auch das Neugeborene beeinträchtigen, sodass beim Kind post partum auf derartige Veränderungen geachtet werden muss.
Die pränatale Exposition gegenüber
Antipsychotika scheint nach der aktuellen Datenlage die Rate schwerer kongenitaler Anomalien oder anderer fetaler Komplikationen nicht bedeutsam zu erhöhen.
Für einzelne
Antipsychotika, insbesondere Risperidon, sind jedoch weitere Studien erforderlich.
Die Daten zur Bewertung der langfristigen Entwicklungsergebnisse der exponierten Kinder sind unzureichend. Die meisten Studien haben gezeigt, dass es abgesehen von einigen kurzfristigen Entwicklungsverzögerungen keine Hinweise auf langfristige Probleme gibt. Allerdings wurden in den meisten dieser Studien die möglichen Einflüsse der psychischen Erkrankungen der Mütter nicht vollständig berücksichtigt.
In einer Kohortenstudie bezüglich des Auftretens von Frühgeburtlichkeit, geringem Geburtsgewicht, Autismus oder
ADHS zeigte sich für
Antipsychotika kein erhöhtes Risiko. Lediglich der Umstand einer psychischen Erkrankung der Mutter steigerte die Wahrscheinlichkeit für Autismus oder ADHS bei den Nachkommen (Wang et al.
2021).
Postpartal können nach intrauteriner Langzeitexposition beim Neugeborenen z. T. über Wochen anhaltende extrapyramidale Symptome auftreten. Außerdem wird über
Anpassungsstörungen mit geringer Sedierung oder motorischer Unruhe berichtet.
Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft liegen auch für Fluspirilen vor. Erfahrungen mit neueren Vertretern dieser Klasse (Benperidol, Bromperidol, Droperidol, Melperon, Pipamperon, Trifluperidol, Pimozid) sind eher gering, sodass bei Therapieplanung auf die erprobteren Substanzen zurückgegriffen werden sollte.
Nach einer Langzeittherapie mit höheren Dosen ist beim Neugeborenen mit extrapyramidalen Symptomen sowie
Anpassungsstörungen (Unruhe, Sedierung, Trinkschwäche) zu rechnen.
In einem aktuellen Review zum Einsatz von
Clozapin in der Schwangerschaft ergaben sich keine Hinweise auf ein erhöhtes Potenzial für teratogene Effekte oder Schwangerschaftskomplikationen, jedoch ist wegen möglicher Agranulozytosen bei Mutter und Kind insgesamt Vorsicht geboten (Beex-Oosterhuis et al.
2021).
Da
Olanzapin Glukosetoleranzstörungen auslösen kann, ist besonders in der 2. Schwangerschaftshälfte auf die Entwicklung eines
Gestationsdiabetes zu achten.
Bei schweren Psychosen muss die Medikation mit atypischen
Antipsychotika u. U. beibehalten werden, um eine in der Schwangerschaft unerwünschte Exazerbation der Grunderkrankung zu vermeiden.
Antidepressiva
Beim Vorliegen von Depressionen während einer Schwangerschaft kommt es zu einer erhöhten Stressbelastung der betroffenen Frauen sowie der Feten. Dies führt zu einer vermehrten Ausschüttung proinflammatorischer
Zytokine, was u. a. über epigenetische Veränderungen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung nehmen kann (Osborne et al.
2022).
In der Schwangerschaft eingenommene
Antidepressiva erhöhen per se nicht das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen beim Kind, wie eine große Kohortenstudie aus den USA zeigte (Suarez et al.
2022). Eine für die Praxis bedeutsame Erkenntnis aus dieser Studie besteht darin, dass man auf Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Antidepressiva genommen hatten, später besonders aufpassen muss, und zwar nicht primär wegen der mütterlichen Medikation, sondern weil sie aufgrund anderer
Einflussgrößen wie der mütterlichen Grunderkrankung, Umgebungsbedingungen familiärer Art bis hin zu sozioökonomischen Faktoren unter gewissen Entwicklungsstörungen bis zu doppelt so häufig leiden.
Die Einnahme von TCAs während der Schwangerschaft scheint nicht mit Störungen der embryonalen bzw. fetalen Entwicklung verbunden zu sein. Es konnten weder eine Zunahme größerer kongenitaler Anomalien noch langfristige Probleme bei der neurologischen Entwicklung nachgewiesen werden. Anpassungsschwierigkeiten beim Neugeborenen sind bekannt, was eine aufmerksame Überwachung des Neugeborenen in den ersten postpartalen Tagen rechtfertigt (Ornoy et al.
2017). Eine Monotherapie mit lange eingeführten Präparaten wie
Amitriptylin, Desipramin, Imipramin oder
Nortriptylin ist bei entsprechender Indikation akzeptabel.
Bei hoch dosierter Therapie ante partum können beim Neugeborenen folgende Symptome auftreten: Tachyarrhythmie, Tachypnoe, Zyanose, Tremor, Trinkschwäche, Konvulsionen, Harnverhalt.
Eine
Metaanalyse auf der Basis von 29 Kohortenstudien mit über 9 Mio. Geburten ermittelte ein leicht erhöhtes Risiko für schwere kongenitale Anomalien (RR 1,11; 95 % KI 1,03–1,19) und kongenitale Herzfehler (RR 1,24; 95 % KI 1,11–1,37). Bei Beschränkung auf Frauen mit einer psychiatrischen Diagnose bestand jedoch kein signifikanter Unterschied. Ähnliche Zusammenhänge fanden sich bei Evaluation der Einzelsubstanzen. Die Erkenntnisse sprechen gegen eine wesentliche teratogene Wirkung von SSRIs (Gao et al.
2018). Auf der Grundlage von Fallkontrollstudien wird seit langem ein Zusammenhang zwischen der Anwendung von SSRI in der 2. Schwangerschaftshälfte und der Entwicklung einer neonatalen
pulmonalen Hypertonie diskutiert. Eine Metaanalyse auf der Basis von 11 Studien mit insgesamt 156.978 Schwangerschaften unter mütterlicher Therapie mit SSRIs bzw. SNRIs fand eine persistierende
pulmonale Hypertonie des Neugeborenen bei 452 exponierten Nachkommen, was einer Inzidenz von 2,9 Fällen pro 1000 Lebendgeburten und einer „number needed to harm“ von 1000 entspricht. In der Metaanalyse wies Sertralin das geringste Risiko für eine persistierende pulmonale
Hypertonie des Neugeborenen auf (Masarwa et al.
2019). Nach präpartaler SSRI-Medikation wurden vorübergehende
Anpassungsstörungen wie Zittrigkeit, Übererregbarkeit, erhöhter Muskeltonus, Atem- und Ernährungsstörungen, Krampfanfälle, Unruhe und anhaltendes Schreien festgestellt. Daher sollte in den ersten Lebenstagen auf entsprechende Symptome geachtet werden. Eine umfassende Metaanalyse zeigte ein häufigeres Auftreten bei exponierten Neugeborenen in Bezug auf niedrige APGAR-Scores sowie kurzfristige Probleme der neuromuskulären und autonomen Regulierung. Die klinische Relevanz bleibt aufgrund der geringen Datenqualität in diesem Forschungsbereich ungeklärt (Kautzky et al.
2022).
Eine Fortsetzung der Behandlung wäre bei Eintritt einer Schwangerschaft unter Venlafaxin oder Duloxetin durchaus vertretbar.
Ein 1968 von Dänemark ausgehendes Lithium-Babyregister legte einen Zusammenhang mit kongenitalen Herzfehlern nahe. 18 von 225 exponierten Kindern wiesen einen Herzfehler auf (8 %), wovon 6 Kinder unter einer
Ebstein-Anomalie litten, einem rechtsventrikulären Vitium, das sonst nur mit einer Inzidenz von 1:20.000 auftritt. Da bei einem Register retrospektiv vermehrt Auffälligkeiten gemeldet werden, während die gesunden Kinder nach Exposition unterrepräsentiert sind, muss man das reale Risiko eines Herzfehlers unter Lithiumexposition im 1. Trimenon sicher niedriger einstufen.
Nach neueren Auswertungen steigt das Gesamtrisiko für
Ebstein-Anomalien bei Kindern nach intrauteriner Lithium-Exposition auf 1:1500 an und liegt damit etwa zehnmal höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Eine Zunahme von Fehlbildungen anderer Organsysteme konnte nicht nachgewiesen werden (Ornoy et al.
2017).
Beim Absetzen der mütterlichen Lithiumtherapie in der Schwangerschaft ist eine hohe Rückfallquote zu bedenken. Bei Fortsetzung der Therapie während der Schwangerschaft sollten Kontrollen des Lithiumspiegels erfolgen, um die kindliche Exposition möglichst gering zu halten.
Sedativa/Hypnotika
Zu den Sedativa und
Hypnotika gehören die
Benzodiazepine und die
Z-Drugs (Zolpidem, Zaleplon, Zopiclon).
Benzodiazepine werden als
Tranquilizer, Schlafmittel und Antikonvulsiva eingesetzt. Im Laufe der letzten 40 Jahre wurden von der Muttersubstanz Diazepam zahlreiche Derivate entwickelt, die sich in ihren pharmakokinetishen Eigenschaften unterscheiden. Als kurz wirksame Präparate sind
Brotizolam, Flurazepam, Midazolam und
Triazolam überwiegend zur Narkoseeinleitung und als Schlafmittel in Gebrauch.
Mittellang wirksame Präparate wie
Alprazolam, Bromazepam, Flunitrazepam, Lorazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, Oxazepam und
Temazepam werden als Sedativa und
Hypnotika verwendet.
Als
Anxiolytika benutzt man überwiegend die lang wirksamen
Benzodiazepine Chlordiazepoxid, Clobazam, Diazepam, Dikaliumclorazepat, Medazepam und
Prazepam.
Anfängliche Berichte über eine Häufung von
Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten unter
Diazepam ließen sich bei therapeutischer Dosierung nicht bestätigen. In neuerer Zeit wurden jedoch Gesichtsdysmorphien, mentale Retardierung und Hyperkinesien bei Kindern beobachtet, deren Mütter während der gesamten Schwangerschaft einen
Abusus mit
Benzodiazepinen betrieben hatten.
Liegt ein Benzodiazepinabusus vor, ist eine ausführliche sonografische Diagnostik anzuraten.
Ob sich die pränatale Exposition gegenüber
Benzodiazepinen bzw. Z-Drugs auf die neurologische Entwicklung der Nachkommen auswirkt, kann aufgrund mangelhafter Langzeituntersuchungen bislang nicht eindeutig beurteilt werden (Wang et al.
2022).
Bei präpartaler Einnahme in höheren Dosen über längere Zeiträume (z. B. Diazepam 15–20 mg/Tag) muss man beim Neugeborenen mit einer Atemdepression rechnen. Im Rahmen einer
Entzugssymptomatik werden Unruhe, Tremor, Muskelhypertonie, Erbrechen, Diarrhö und
zerebrale Krampfanfälle beim Neugeborenen beschrieben. Ein weiteres Problem stellt die als
„Floppy-infant-Syndrom“ bekannte Symptomatik dar, die mit Muskelhypotonie, Lethargie, Temperaturregulationsstörungen und Trinkschwäche über Wochen bis Monate anhalten kann.