Zum Einstieg
Weltweit ist eine Zunahme der Infektionen mit dem HI-Virus zu verzeichnen. In Deutschland wird die Zahl der HIV-Infizierten auf ca. 44.000 Menschen geschätzt, 1/4 davon Frauen, 80 % von ihnen sind im gebärfähigen Alter. Zunehmend werden Frauen HIV-positiv diagnostiziert, die keiner Risikogruppe zuzuordnen sind.
In Deutschland werden jährlich 200–250 Kinder HIV-positiver Schwangerer entbunden. Heute beträgt in der BRD die Rate der vertikalen HIV-l-Infektion nur noch 1–2 %. Diese niedrige Transmissionsrate wurde durch Kombination des Therapieprotokolls ACTG076 mit einer primären Sectio am wehenlosen Uterus erreicht. ACTG076 beinhaltet die Therapie der HIV-positiven Schwangeren in der Schwangerschaft mit Zidovudin
oral, während der Geburt i.v. und die Behandlung der Neugeborenen 6 Wochen mit Zidovudin oral.
Die Kinder dürfen nicht gestillt werden. Dieses Vorgehen wird im Rahmen einer regelmäßig stattfindeten, interdisziplinären Konsensuskonferenz weiter modifiziert und an neueste Erkenntnisse angepasst. Grundvoraussetzung jeglicher Prävention der HIV-Mutter-Kind-Übertragung ist jedoch das konsequente Angebot einer HIV-Testung im Rahmen der
Schwangerschaftsvorsorge entsprechend den gültigen Mutterschafts-Richtlinien an jede Schwangere.
Ziel geburtsmedizinisch-pädiatrischer interdisziplinärer Arbeit war in den vergangenen Jahren primär die Verhinderung der maternofetalen HIV-Transmission. Durch die therapeutischen Fortschritte in der antiretroviralen Therapie (ART) bei Erwachsenen (hochaktive antiretrovirale Therapie) können jedoch die gesundheitlichen Interessen der Mutter und die des Kindes divergieren, da die unerwünschten Langzeitwirkungen dieser Medikamente auf das Kind weitgehend unbekannt sind.
Einleitung
Epidemiologische und klinische Untersuchungen führten 1981 zur Definition des „acquired immuno-deficiency syndrome“ (
AIDS). In den Studien wurde deutlich, dass homosexuelle Männer, intravenöse Drogenkonsumenten und Empfänger von
Bluttransfusionen oder Blutprodukten ein hohes Risiko für diese Erkrankung haben. Die Ursache wurde 1983 isoliert und trägt heute, nach eindeutiger Identifikation als RNA-Retrovirus, die Bezeichnung humanes Immundefizienzvirus (
HIV). Das HIV2 verdankt seine späte Entdeckung dem Umstand, dass es im Vergleich zu HIV1 einen leichteren und längeren Verlauf nimmt und schwerer auf sexuellem oder perinatalem Weg übertragbar ist.
Durch verbesserte therapeutische Möglichkeiten ist die Reduktion der fetomaternalen Transmissionsrate des HI-Virus von ca. 15–20 % ohne Therapie auf unter 2 % in der westlichen Welt gelungen (Aebi-Popp et al.
2013; Briand et al.
2013a; Buchholz et al.
2009; European Collaborative
2003; European Collaborative et al.
2007).
Die
HIV-Infektion stellt heute keine Kontraindikation für die Austragung einer Schwangerschaft dar.
Klinische Symptome
Das
HIV verursacht das erworbene Immundefizienzsyndrom (
AIDS). Die Integration proviraler HIV-DNA in das Genom der Wirtszelle führt zu einer latenten Infektion. Eine Persistenz von HIV im lymphatischen Gewebe führt zu einem langsamen, aber stetig zunehmenden Funktionsverlust immunkompetenter Zellen. Im weiteren Verlauf kommt es durch eine pathologische Steigerung der aktivierungsinduzierten Lymphozytenapoptose zu einer globalen Funktionsstörung der Effektorzellen, was sich klinisch schließlich als Vollbild von AIDS manifestiert. Das Endstadium der Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine völlige Zerstörung der Struktur lymphatischer Organe mit einem Mangel an kompetenten immunregulatorischen Effektorzellen, der den Organismus für Infektionen mit opportunistischen Erregern, Autoimmunerkrankungen und Tumoren prädisponiert.
Die vertikale Übertragung von
HIV kann prä-, peri- und postnatal erfolgen. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass mindestens die Hälfte aller vertikalen Transmissionen auf den Fetus unmittelbar perinatal stattfinden. Die mütterlichen Risikofaktoren, die mit einer erhöhten vertikalen Übertragungsrate einhergehen, sind Folgen einer fortgeschrittenen oder rasch fortschreitenden Erkrankung:
-
hohe Virusbeladung des Organismus mit hoher Plasmaviruslast,
-
Nachweis virulenter HIV-Isolate (SI-Varianten, „rapid/high“ Replikationsmuster, T-Tropismus),
-
niedrige T-Helferzellzahl und
-
fehlende TH1-Stimulation (Clerici et al.
2000).
Studienergebnisse aus Grundlagen- und klinischer Forschung haben ergeben, dass die HIV-Transmission eine multifaktorielle Genese hat und dass dementsprechend durch kombinierte Intervention das HIV-Transmissionsrisiko
auf unter 2 % reduzierbar ist (Burns et al.
1997; Mandelbrot et al.
1996; Rokos et al.
1998; Aebi-Popp et al.
2013; Mandelbrot
1997; Buchholz et al.
2009; European Collaborative et al.
2000).
Nach einer Inkubationszeit von 16–25 Tagen kann ein mononukleoseähnliches Krankheitsbild auftreten. Die Dauer der Erkrankung beträgt Tage bis Wochen, meist jedoch weniger als 14 Tage. Bei Personen mit möglicher Exposition sind folgende Symptome wichtig:
-
morbilliformes Exanthem (auch als makulopapulös beschrieben) besonders am Körperstamm (in 40–80 %);
-
-
mukokutane Ulzerationen der bukkalen Mukosa, an Gingiva, Gaumen, Ösophagus, Anus.
Bei etwa 20–30 % der vertikal infizierten Feten kann eine früh einsetzende schwere Verlaufsform mit einer hohen Viruslast bei Geburt, einem schnellen T-Helferzellen-Verlust, opportunistischen Infektionen und/oder einer schweren Enzephalopathie in den ersten 18 Lebensmonaten beobachtet werden (Shearer et al.
1997). Unbehandelt liegt die Lebenserwartung unter 5 Jahren.
Die durchschnittliche HIV-Prävalenz bei Schwangeren beträgt in Deutschland nur etwa 0,5–0,6/1000 in Großstädten und 0,1–0,2/1000 in den übrigen Regionen. Auch bei einer hohen Spezifität der beiden in Deutschland zugelassenen Schnelltests ist daher der Vorhersagewert eines positiven Schnelltestbefundes gering. Dies ist bei der Aufklärung der Schwangeren und der (vorläufigen) Befundmitteilung unbedingt zu berücksichtigen.
Diagnose
Als diagnostische Methoden bei einer
HIV-Infektion stehen Antikörper- und Antigennachweis sowie RT-PCR zu Verfügung. Als sog. Surrogatmarker spiegelt die Absolutzahl von T-Helferzellen im peripheren Venenblut die progrediente Schädigung des Immunsystems wider und wird zur klinischen Stadieneinteilung herangezogen.
Die virologische und immunologische Diagnostik der HIV-exponierten Neugeborenen und Säuglinge verfolgt wesentliche Zielsetzungen:
-
Früherkennung HIV-infizierter Neugeborener und Säuglinge, die den Einsatz entsprechender Prophylaxemaßnahmen erlaubt (Prophylaxe der Pneumocystis-carinii-Pneumonie, Immunglobulinsubstitution, Optimierung der Ernährung).
-
Identifikation von HIV-Infizierten Patienten mit hohem Risiko für einen rasch progredienten Krankheitsverlauf (Kandidaten für eine antiretrovirale Frühtherapie).
-
Identifikation von Nebenwirkungen der prä- und postpartalen Prophylaxe mit antiretroviralen Chemotherapeutika (z. B. Zidovudin) auch bei nicht HIV-infizierten Kindern.
Da vermehrt Infektionen mit Zidovudin
-resistenten HIV-Stämmen auftreten können, sollte vor einer Zidovudin-Gabe der genotypische Nachweis eines HIV-Wildtypus erbracht werden (Ausschluss einer genotypischen Resistenz) (Buchholz et al.
2009; Senise et al.
2011).
Therapie
Bei der Diagnosestellung sollte umgehend der Kontakt zu einem interdisziplinären Zentrum mit HIV-Schwerpunkt hergestellt und von nun an die Schwangere in einer engen Kooperation mit dem niedergelassenen Frauenarzt betreut werden. Eine geschickte Terminplanung gewährleistet dabei engmaschige Kontrollen.
Spätestens in den Zentren sollte jeder HIV-positiven Schwangeren eine psychosoziale Betreuung und die Kontaktaufnahme zu Frauengruppen der AIDS-Hilfegruppen angeboten werden. In den Zentren erfolgt die ausführliche Aufklärung der Patientin über das bestehende maternofetale Transmissionsrisiko und die aktuellen Möglichkeiten zu dessen Reduktion, die bestehenden Restrisiken, die möglichen Kurz- bzw. Langzeitwirkungen einer antiretroviralen Therapie auf das Kind in utero. Gemeinsam mit der Patientin sollte eine risikoadaptierte antiretrovirale Therapie entsprechend den aktuellen Deutsch-Österreichischen Richtlinien zur Therapie in der Schwangerschaft in Kooperation mit dem betreuenden Haus- und/oder Frauenarzt erarbeitet werden (Tab.
8). Therapieänderungen im Rahmen einer Schwangerschaft oder ein Therapiebeginn sollten nur nach Absprache mit einem mit der antiretroviralen Therapie vertrauten Arzt/Zentrum erfolgen.
Tab. 8
Antiretrovirale Medikamente und Einsatzmöglichkeiten in der Schwangerschaft: nukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI), nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI), Proteinasehemmer (PI), Fusionsinhibitoren, Nebenwirkungen. (Nach Vogler et al.
2011; Gingelmaier et al.
2010; Buchholz et al.
2009; Heidari et al.
2011)
NRTI | Zidovudin (ZDV) (NW: Anämie, Leukopenie, Übelkeit) Lamivudin (3TC) (NW: Anämie, Leukopenie, Übelkeit) | Abacavir (NW: Hypersensitivität) | Tenofovir (TNF) (Cave: Kreatininkontrolle) Emtrcitabin (FTC) | Kombination aus d4T und DDI wegen hoher mitochondrialer Toxizität mit Risiko der Laktatazidose |
NNRTI | Nevirapin (NVP) (NW: erhöhtes Risiko der Lebertoxizität bei CD4 > 250 c/μl; gehäuft Arzneiexantheme; Hypersensitivität) | | | Efavirenz (EFV) (NW Teratogenität) Delaviridin (DLV) (NW teratogenes, karzinogenes Risiko) |
PI | Nelfinavir (NFV) (als ungeboosterter PI nicht mehr empfehlenswert) Saquinavir (SQV) + Ritonavir (RTV) Lopinavir/Ritonavir (LPV/r) | Indinavir (IDV) + RTV (NW: Nierensteine, ggf. Kernikterus beim Neugeborenen) Anprenavir + RTV | Atazanavir (ATV) + RTV (NW: ggf. Kernikterus beim Neugeborenen) Fosamprenavir (FPV) + RTV | Ritonavir (RTV) wird nur als Booster in Kombination mit anderen PI gegeben |
Fusionsinhibitor | | | z.B Enfuvirtid (T20) und neuere Medikamente (erste Berichte zeigen gute Verträglichkeit, nicht plazentagängig) Salvage-Therapie | |
Reduktion der maternofetalen Transmission in der Schwangerschaft
Die Schwangerschaft einer HIV-infizierten Frau sollte engmaschig überwacht werden. Neben der möglichen antiretroviralen Therapie sollte ein monatliches Monitoring der klinisch-chemischen, immunologischen und virologischen Parameter (Lymphozytensubpopulationen, HIV-Viruslast) durch ein erfahrenes Labor erfolgen (Tab.
9). Mütter mit hoher Viruslast und/oder niedrigen T-Helferzellen übertragen häufiger
HIV auf ihre Kinder, sodass die erfolgreiche Therapie der Mutter auch für das Kind von Nutzen ist, aber zugleich ein Risiko darstellt. Die Risiken, die sich für das Kind aus einer lang dauernden intrauterinen Exposition gegenüber antiretroviralen Kombinationstherapien ergeben könnten, sind derzeit nicht abschließend kalkulierbar.
Tab. 9
Diagnostik im Verlauf der Schwangerschaft bei
HIV-Infektion (Friese et al.
2013; Buchholz et al.
2009; Gingelmaier und Friese
2005)
HIV-Antikörper- und ggf. HIV-Bestätigungstest | Routinemäßig im 1. Trimenon | Reduktion der vertikalen HIV-Transmission möglich |
CD4-Zellzahl und Viruslast | Mindestens alle 2 Monate | Verlaufskontrolle der HIV-Infektion Kontrolle der Wirksamkeit einer antiretroviralen Therapie (ART) |
Genotypischer Resistenztest | 1. Vor Therapiebeginn 2. Bei virologischem Therapieversagen einer ART 3. Bei nachweisbarer Viruslast gegen Ende bzw. 4–6 Wochen nach Absetzen einer HIV-Prophylaxe | 1. Ausschluss einer primären Resistenz 2. Optimierung eines Therapiewechsels 3. Dokumentation einer eventuellen Resistenzinduktion |
Hämoglobinwert | Monatlich | |
Laktatspiegel, Leberwerte, Nierenwerte | 1. Zu Beginn der Schwangerschaft 2. Nach Beginn Therapie/Prophylaxe 3. Bei Klinik 4. Monatlich im 3. Trimenon | Erkennung einer Laktatazidose (gehäuftes Auftreten im 3. Trimenon), Leber-, Nierentoxizität |
Oraler Glukosetoleranztest | Zwischen SSW 23 + 0 und 27 + 6 | |
pH-Wertbestimmung im Vaginalsekret, Nativpräparat | Bei jeder Vorsorgeuntersuchung | Erkennung und rechtzeitige Behandlung lokaler Koinfektionen, die das HIV-Transmissionsrisiko und das Frühgeburtsrisiko erhöhen können |
Mikrobiologische Kultur | Zu Beginn der Schwangerschaft und bei entsprechender Klinik | |
STD-Diagnostik: Chlamydien, Gonorrhö, Trichomonaden, Syphilis, Hepatitisserologie | Beginn der Schwangerschaft und bei entsprechender Klinik | |
Toxoplasmosescreening | Zu Beginn der Schwangerschaft sowie im 2. und 3. Trimenon | Zur Diagnose einer Neuinfektion oder Toxoplasmosereaktivierung |
Kolposkopie, zytologische Untersuchung auf vulväre, vaginale und zervikale Dysplasien | Zu Beginn der Schwangerschaft; bei Auffälligkeiten kolposkopische Kontrollen und ggf. Biopsie | Erhöhtes Dysplasierisiko bei HIV-Infektion |
| | |
Zusätzliche Schwangerschaftsrisiken erfordern eine intensivierte Prophylaxe. Bei geburtsmedizinischen HIV-Transmissionsrisiken ist die HIV-Transmissionsprophylaxe risikoadaptiert zu steigern.
Reduktion der maternofetalen Transmission am Entbindungszeitraum
Dies berechtigt – trotz eines verbleibenden Restrisikos einer intrauterinen Infektion in einer früheren Schwangerschaftswoche –, die medizinischen Maßnahmen zur Transmissionsprophylaxe bei einer selbst nicht behandlungsbedürftigen Frau auf das letzte Trimenon zu konzentrieren. Zur Verringerung des Übertragungsrisikos ist es wesentlich, den HIV-1-RNA-Spiegel auf <500–1000 Kopien/mm
3 zu senken (Friese et al.
2013; Buchholz et al.
2009; Gingelmaier und Friese
2005; Senise et al.
2011).
Therapie des Neugeborenen
Prophylaxe
Rund 30 % der Schwangeren erfuhren die Diagnose ihrer
HIV-Infektion im Rahmen der Mutterschaftsvorsorgeuntersuchung in der
Frühschwangerschaft. Dabei handelte es sich durchaus nicht nur um Frauen, die einem Risikokollektiv zugeordnet werden konnten, sondern ein zunehmender Anteil der Patientinnen hatte sich heterosexuell infiziert, ohne aus einem Hochprävalenzland zu stammen (Friese et al.
2013). Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass ein flächendeckendes HIV-Screening bei Schwangeren auch in Ländern mit einer niedrigen
Prävalenz als kosteneffektiv zu bewerten ist, da jedes infizierte Neugeborene extreme Kosten für das Gesundheitssystem verursacht.
Da trotz intensiver Bemühungen noch kein Impfstoff zu Verfügung steht, ist die Expositionsprophylaxe von entscheidender Bedeutung.