Frühabortus eines Mehrlings („vanishing twin“)
Im 1. Trimenon ist über den Effekt der Chorionizität im Zusammenhang mit dem Tod eines Fetus oder Embryos wenig bekannt.
Das Vanishing-twin-Phänomen wurde bei Zwillingen im frühen 1. Trimenon in 21 % der Schwangerschaften beobachtet. Generell wird über ein gutes Schwangerschafts-Outcome beim überlebenden Embryo berichtet.
In der Schwangerschaftswoche 11–14 ist bei dichorialen Zwillingsschwangerschaften signifikant häufiger ein Fetus tot als bei Einlingsschwangerschaften (6 %). Bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften waren in dieser Studie nur bei 3 % ein oder beide Feten tot. Bei 24 % kam es im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu einer Fehlgeburt der gesamten Schwangerschaft, darunter waren alle monochorialen Zwillinge.
Intrauteriner Fruchttod (IUFT)
Bei 3 % aller Zwillings- und bei 4 % aller Drillingsschwangerschaften kommt es zum Absterben eines Fetus (intrauteriner Fruchttod, IUFT) nach der 20. Schwangerschaftswoche. Es existieren einige wenige Berichte über Koagulopathien nach Versterben eines Fetus. Im Allgemeinen ist jedoch eine Gefährdung der Schwangeren nicht gegeben.
Das Outcome des überlebenden Zwillings wird maßgeblich von der Chorionizität bestimmt.
Bei dichorialen Zwillingen ist das Risiko für vorzeitige Wehen und
Frühgeburt erhöht, ansonsten ist der lebende Fetus unbeeinträchtigt. Bei monochorialen Zwillingen führt der Tod eines Fetus zu akuten Episoden von
Anämie mit konsekutiver
Hypoxämie beim überlebenden Zwilling. Dadurch kommt es bei 25 %-41 % zum Tod oder zu einer schweren neurologischen Schädigung beim zweiten Zwilling. Die Schädigung scheint innerhalb von 24 Stunden einzutreten (Senat et al.
2003). Sind beim überlebenden Zwilling danach keine Anämiezeichen darstellbar, ist eine Schädigung unwahrscheinlich. Ischämische Läsionen können im MR als Infarktareale dargestellt werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kozwilling stirbt, ist bei monochorialen 6-fach höher als bei dichorialen Zwillingen (
Odds-Ratio 6,04; 95 %-CI 1,84–19,87). Neurologische Defekte sind ebenfalls deutlich häufiger beobachtet worden (Odds-Ratio 4,07; 95 %-CI 1,32–12,51]) (Ong et al.
2006).
Nach dem Tod eines Fetus sollte demnach innerhalb der ersten Tage eine intensive Überwachung mittels
CTG und Doppler (Messung der V
max der A. cerebri media) stattfinden. Das weitere Prozedere wird vom Gestationsalter und vom Zeitpunkt des Versterbens des Zwillings bestimmt. Bei Anämiezeichen kann eine intrauterine
Bluttransfusion durchgeführt werden. In einer höheren Schwangerschaftwoche nach unmittelbarem Versterbens des 2. Fetus, wobei dieses Intervall relativ willkürlich mit 12–24 h angegeben wird, ist die Entbindung zu erwägen (Quarello et al.
2008). Ein fetales MRI kann eine mögliche Schädigung des Gehirns dokumentieren, allerdings ist die Interpretation in Bezug auf das neurologische Outcome mitunter schwierig.
Bei dichorialen Zwillingen nimmt der lebende Zwilling keinen Schaden, und Entbindungszeitpunkt und Entbindungsmodus müssen deshalb nicht geändert werden.
Prädiktion, Prävention und Therapie der Frühgeburt
Etwa 10 % aller frühgeborenen Kinder sind Mehrlinge, obwohl insgesamt nur 3 % aller Kinder Zwillinge sind und 0,1 % Drillinge. 12 % aller Mehrlingsschwangerschaften entbinden vor SSW 32 + 0 und 3,4 % vor SSW 28 + 0 – im Vergleich dazu entbinden nur 0,9 % aller Einlinge vor SSW 32 + 0 und 0,3 % vor SSW 28 + 0. Über 25 % der Frühgeborenen vor SSW 28 + 0 sind Mehrlinge. Anhand einer großen Neugeborenendatenbank (n = 51.388) konnte gezeigt werden, dass in jedem Gestationsalter Mortalität und Überleben ohne Morbidität bei Mehrlingen gleich sind wie bei Einlingen. Der bestimmende Faktor für Probleme ist also auch bei Mehrlingsschwangerschaften die Unreife (Garite et al.
2004).
Das mediane Gestationsalter bei Geburt beträgt bei Zwillingen 35,3 Schwangerschaftswochen, bei Drillingen 32,2 Schwangerschaftswochen und bei Vierlingen 29,9 Schwangerschaftswochen (Martin et al.
2012a).
3 % aller Kinder sind Zwillinge, aber über 25 % der Frühgeborenen vor SSW 28 + 0 sind Mehrlinge.
Für die Prädiktion der
Frühgeburt spielt die Chorionizität eine wichtige Rolle: Das Risiko für eine spontane Frühgeburt vor 32 SSW ist bei monochorialen Zwillingen doppelt so hoch wie bei dichorialen (9 vs. 5,5 %) (Sebire et al.
1997).
Ein wichtiger Prädiktor spontaner
Frühgeburten bei Zwillingen ist die Zervixlänge in SSW 20–24. Eine Studie von 1.200 Zwillingsschwangerschaften zeigte, dass die Zervixlänge der einzige unabhängige Prädiktor der spontanen Frühgeburt ist (To et al.
2006). Bei symptomatischen Patientinnen wird zusätzlich die Messung des fetalen Fibronektins zur Prädiktion des Frühgeburtsrisikos innerhalb der nächsten 7 Tage herangezogen (Conde-Agudelo und Romero
2010).
Frühzeitige Entbindungen aufgrund anderer Schwangerschaftskomplikationen sind bei Mehrlingen ebenfalls häufiger als bei Einlingen. Eine britische Studie zeigte, dass die Inzidenz der Präeklampsie bei Zwillingsschwangerschaften mit 6–27 % deutlich höher ist als bei Einlingsschwangerschaften, bei Drillingsschwangerschaften beträgt sie 5–46 % (Savvidou et al.
2001). Eine rezente Studie aus Österreich zeigte eine Präeklampsierate von 9 % bei Zwillingsschwangerschaften (Klein et al. 2011).
Die Rate an Wachstumsrestriktionen ist bei Zwillingen ebenfalls höher als bei Einlingsschwangerschaften. So ist bei 1,7 % aller dichorialen und bei 7,5 % aller monochorialen Zwillinge das Geburtsgewicht beider Kinder unter der 5. Perzentile (Sebire et al.
1997). Das Risiko eines vorzeitigen Blasensprungs ist bei Zwillingen doppelt so hoch wie bei Einlingsschwangerschaften (Myles et al.
1997).
Bettruhe senkt weder die Frühgeburtsrate noch die
perinatale Mortalität bei Mehrlingsschwangerschaften (Crowther und Han
2010). Der Einsatz einer Cerclage zeigte bei Zwillingsschwangerschaften mit verkürzter Zervix sogar eine Verdoppelung der Frühgeburtenrate (Berghella et al.
2005).
Progesteron senkt bei Einlingsschwangerschaften mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko (Zustand nach
Frühgeburt bzw. verkürzte Zervix) die Frühgeburtsrate. Bei Zwillingen führt die wöchentliche Injektion von 17α-Hydroxyprogesteron zur keiner Reduktion der Frühgeburtsrate (Rouse et al.
2007; Combs et al.
2011, Senat et al.
2013). Eine Studie mit 67 Zwillingen zeigte eine Reduktion der Frühgeburtsrate vor SSW 37 durch die Gabe von vaginalem Progesteron (Cetingoz et al.
2011). Größere Studien bestätigten dies jedoch nicht (Norman et al.
2009; Rode et al.
2011). Subanalysen zeigten, dass die Gabe von vaginalem Progesteron bei Hochrisikopatientinnen (Zwillingsschwangere mit anamnestischer Frühgeburt oder verkürzter Zervix) das Frühgeburtsrisiko nicht signifikant senkt (Fonseca et al.
2007; Klein et al. 2011). Eine
Metaanalyse zeigte durch die Anwendung von vaginalem Progesteron eine signifikante Reduktion des Auftretens eines kombinierten Outcome-Parameters, der neonatale Mortalität und Morbidität beinhaltet (Romero et al.
2012). Der Effekt von vaginalem Progesteron bei Zwillingsschwangerschaften mit verkürzter Zervix wird derzeit in einer großen Studie untersucht.
Die Diagnose der drohenden
Frühgeburt ist im Zeitraum von SSW 24 + 0 bis 33 + 6 von besonderer Bedeutung. Verdacht auf eine drohende Frühgeburt besteht, wenn eines oder mehrere folgender Symptome auftreten:
Diagnostisch eingesetzt werden die Messung der Zervixlänge, die Bestimmung des fetalen Fibronektins im Vaginalsekret, immunchromatographische Tests zum Fruchtwassernachweis und die Kontrolle der Infektionsparameter zur Einschätzung eines Amnioninfektionssyndroms (Asrat
2001; Tsoi et al.
2003; Cousins et al.
2005; Gomez et al.
2005; Singer et al.
2007).
Bei drohender
Frühgeburt wird auch bei Mehrlingsschwangerschaften die Durchführung einer
Tokolyse bis zum Erreichen der Lungenreifung empfohlen. Oxytozinantagonisten stellen aufgrund der erhöhten kardiorespiratorischen Belastung bei Mehrlingsschwangerschaften das Mittel der 1. Wahl dar (Kap. Frühgeburt: Pränatale und intrapartale Aspekte).
Fetale Wachstumsrestriktion
Zwillinge haben ein niedrigeres Geburtsgewicht als Einlinge, im Schnitt um 800 g. Das ist bedingt durch die Frühgeburtlichkeit und durch die höhere Rate an Wachstumseinschränkungen. Diese stellt einen bedeutenden Faktor in der neonatalen Morbidität von Zwillingen dar, und es besteht eine 2,5-fach höhere Mortalität im Vergleich zu eutrophen Zwillingen. Häufig ist nur einer der beiden Zwillinge betroffen. Die Angaben zum diskordanten Wachstum reichen in der Literatur von 4–23 %. Die extreme Wachstumsdiskordanz stellt bei monochorialen Zwillingen ein besonderes Problem dar (Abschn.
6.2).
Mögliche Ursachen der Wachstumseinschränkung sind wie bei Einlingen Plazentainsuffizienz, Infektionen sowie chromosomale und konstitutionelle Faktoren (Kap.
Fetale Wachstumsrestriktion (FGR)).
Bei Zwillingsschwangerschaften besteht im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften eine höhere Rate an intrauteriner Wachstumsrestriktion (12–47 % vs. 5–7 %). Die Plazentainsuffizienz oder genauer gesagt die fetale Mangelversorgung scheint bei Mehrlingen häufiger zu sein und auch rascher zu bedrohlichen Zuständen für den Fetus zu führen.
Für die Beurteilung des intrauterinen Wachstums von Zwillingen wird vom ACOG empfohlen, dass
Wachstumstabellen heranzuziehen sind, die auf Mehrlingsschwangerschaften basieren. In einer großen retrospektiven Untersuchung waren erst ab der 36. SSW Unterschiede im Wachstum von Einlings- und Zwillingsfeten zu verzeichnen (Luke et al.
1993). Basierend auf diesen Ergebnissen können Normkurven für Einlingsgraviditäten verwendet werden. Der Fundusstand stellt keine geeignete Methode dar, um eine Wachstumsrestriktion oder ein diskordantes Wachstum festzustellen.
Bei beginnender Wachstumseinschränkung ist bei normaler Morphologie des Fetus von einer Plazentainsuffizienz auszugehen und eine entsprechende weitere Überwachung einzuleiten (Kap. „Fetale Wachstumsrestriktion (FGR)“).