Zum einen muss die kutane Symptomatik als solche, zum anderen muss auch die klassifizierte Gruppe betrachtet werden, um letztlich eine individuell auf die Patientin zugeschnittene Therapiestrategie entwickeln zu können.
Ernährungsphysiologische und bewegungsfördernde Maßnahmen
Solche Maßnahmen sind für die Gruppen FAS III und IV, aber auch für die adipösen „b“-Untergruppen der Gruppen FCA und FAS II als Erstlinientherapien einzustufen, insbesondere, wenn neben der
Adipositas noch eine Hyperinsulinämie (Insulinresistenz), eine Glukoseintoleranz, ein gestörter Nüchternglukosewert oder gar ein Typ-2-Diabetes mellitus bestehen (Geisthövel et al.
2008,
2015a; Geisthövel und Wetzka
2012; Moran et al.
2011). Dies gilt auch, wenn systemisch inflammatorische Prozesse und/oder eine Leberbeteiligung (s. unten) nachzuweisen sind. Hier spielt der FAI-Wert (Freier-Androgen-Index)
eine besondere Rolle, der oft durch eine SHBG-Senkung infolge von Adipositas und/oder Hyperinsulinämie erhöht ist. Auch muss bei langandauernder schwerer Hyperinsulinämie die
Acanthosis nigricans (s. oben und unten) beachtet werden. Gerade weil das hier besprochene Patientinnenkollektiv v. a. jüngere Frauen betrifft, sollte der präventive Gedanke besondere Gewichtung erhalten unter dem Aspekt, dass das Risiko für Komorbiditäten des Typ-2-Diabetes mellitus umso höher ausfällt, je früher dieser
Diabetes auftritt (Hamann
2020).
Im Sinne von SMART („specific, measurable, achievable, realistic and timely“) (Teede et al.
2018) sollten vernünftige Zielsetzungen gegeben werden. In Abhängigkeit vom BMI (bei Frauen) bzw. von den Körpergewichtsperzentilen (bei Adoleszentinnen) ist eine Kalorienbeschränkung
im Mittel auf <1500 kcal erforderlich. Eine isolierte Reduzierung einzelner Nahrungskomponenten im Sinne von „low carb“ oder „low fat“ sollte vermieden und stattdessen eine kalorienreduzierte Mischkost, der sogenannte
„mediterrane“ Ernährungsstil vorgezogen werden
. Frische, unverpackte, regionale Kost sollte Vorrang vor verpackten, vorgefertigten oder konservierten Produkten und Imitaten haben. Der Kohlenhydratanteil sollte vorwiegend in „komplexer“ Form – z. B. in Frischobst (2-mal eine Handvoll/Tag), Nüssen, Vollkornreis bzw. -nudeln, Kartoffeln und Vollkornprodukten – vorkommen; die „einfachen Zucker“ z. B. in Marmelade, Gelees, Sirup, Honig, Bonbons, Schokolade, Schokoriegel, Pralinen, Nougat, Eis, Keksen, Backwaren, Kuchen, Brötchen, Croissants, Weißbrot, Laugengebäck, Brot aus feingemahlenem Mehl, Snacks, Chips, Ketchups und Fruktosezusätzen sollten hingegen reduziert bzw. besser möglichst weggelassen werden.
Zur Prävention eines Typ-2-Diabetes sollte nicht mehr als 25 g reiner Zucker/Tag aufgenommen worden. Der Fettanteil sollte <30–35 % der Nahrung/Tag bzw. <0,5–1 g/Körpergewicht/Tag – d. h. 30–60 g/Tag – und der Anteil gesättigter Fette <10 % der Gesamtenergie ausmachen. Der Anteil der Ballaststoffe solle >15 g/1000 kcal betragen. Die Zufuhr reinen Alkohols sollte bei Frauen <10 g/Tag liegen (Hauner
2021). Informationen zur Lebensstilumstellung finden sich auch im Diabetespräventionsportal
http://www.diabinfo-vorbeugen.de (Glaser et al.
2020).
Die ungesättigten, pflanzlichen
Fettsäuren, z. B. in Lein-, Sonnenblumen- und Olivenöl sowie in Nüssen, Mandeln, Körnern, Oliven, Fisch und „weißem“ Fleisch (Geflügelfleisch), sollten den gesättigten, mehr tierischen Fettsäuren vorgezogen werden, die prozentual stärker z. B. in „weißen“ gehärteten Fetten, Mayonnaisen, „rotem“ Fleisch (Schweine-, Rinderfleisch), Wurst, Schinken, Speck, Würstchen, Bratensoßen, Paniertem, Gesottenem und Frittiertem vorkommen (Empfehlung: <300–600 g Fleisch/Wurst/Woche). Unter den Fetten sollte der Anteil der gesättigten Fettsäuren <10 % sein. Unterstützt wird die günstigere Ernährungsart durch die ausreichende Zufuhr von Ballaststoffen (mindestens 30 g/Tag) in Frischobst mit einem eher geringeren Zuckeranteil (z. B. Beeren, Wassermelone, Orange, Kiwi), Rohkost (Möhren, Blumenkohl), Nüssen, Körnern, Gemüsen (besonders Hülsenfrüchten; mindestens drei Handvoll-Portionen/Tag) und Salaten. Die Kost sollte vitaminreich (Obst, Direkt[obst]säfte, Gemüse, Salate) und kalziumreich (z. B. Milchprodukte wie [Hart]Käse, Joghurt, Quark, Milch) sein und reich an Antioxidanzien (z. B. grüner Tee, Kaffee, Zartbitterschokolade, Frischobst).
Weiterhin sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mehr als 1,5 l/Tag in Form von z. B. Leitungswasser, kallziumreichem, natriumarmem Mineralwasser, mit Wasser verdünnten Obst(direkt)säften, grünem Tee/Kräutertee und Milch geachtet werden, wobei Getränke mit hohem Zuckeranteil, z. B. Cola, Fanta sowie Obstsäfte mit Zuckerzusatz (oft in Konzentraten und Nektaren) sowie alkoholische Getränke (nicht mehr als 2 Drinks/Tag) eingeschränkt werden sollten.
Behilflich für die Auswahl von Nahrungsmitteln und Getränken ist eine in verschiedenen europäischen Ländern, auch in Deutschland, eingeführte Nährwertkennzeichnung („Nutri-Score“), die bereits von einigen Lebensmittelkonzernen angewendet wird.
Alle diese detaillierten ernährungsphysiologischen Empfehlungen stehen im Einklang mit jenen, die von der AE-PCOS Society (Moran et al.
2011) – allerdings deutlich weniger detailliert – gegeben worden sind. Die International Evidence-based-Guideline for
PCOS (Teede et al.
2018) empfiehlt eine Energiereduktion zum bisherigen Ernährungsstil von 30 %. Mahlzeiten sollten auf 3-mal/Tag und auf einen Zeitraum bis zu 10 h/Tag begrenzt werden (Scherbaum
2020).
Ob neben der Beachtung der Zusammensetzung und der Kalorienmenge der zugeführten Nahrung ein zeitabhängiger Nahrungsaufnahmemodus („intermittierendes Fasten“; „time restrictive feeding“) präventive Effekte zeigt, ist für das hier besprochene Kollektiv nicht untersucht worden.
In jedem Falle sollten
ernährungsphysiologische Maßnahmen mit
sportlichen Aktivitäten zur Erhöhung des Kalorienverbrauchs und Verbesserung metabolischer Abläufe verbunden sein (Teede et al.
2018). Schon mit simplen, alltäglich sich wiederfindenden körperlichen Aktivitäten und Übungen (Geisthövel und Wetzka
2012) lassen sich eine Verbesserung des Gesamtmetabolismus und damit unterstützende Effekte zur Gewichtsabnahme erzielen (Diel et al.
2015). Dieser kontinuierliche Verbrauch – unabhängig vom Grundumsatz und nicht mit eigentlich sportlichen Übungen verbunden – wird als „nonexcercise activity thermogenesis“ (NEAT) bezeichnet und kann von nahezu jedem genutzt werden (Villablanca et al.
2015). Die Zeitspanne sitzender Tätigkeiten sollte verkürzt werden.
Hierbei mögen Apps, welche die tägliche Schrittzahl, den Kalorienverbrauch oder den Kaloriengehalt von Produkten messen und angeben oder auch eine rezeptpflichtige digitale Gesundheitsanwendung unterstützend wirken.
Die ausführliche Exploration des Lebensstils (Geisthövel et al.
2015a) ist Grundlage individueller Empfehlungen. Das Ziel ernährungsphysiologischer und sportiver Maßnahmen ist eine moderate Gewichtsreduktion von 5–10 % (Teede et al.
2018). Präventive Effekte, z. B. gegen die Konversion einer gestörten Glukosetoleranz zum Typ-2-Diabetes, sind gesichert (Alberti et al.
2007; Dannecker et al.
2020).
Erfolge einer Gewichtsabnahme
kann man leicht biochemisch nachweisen und der Patientin auch präsentieren: Der sensitivste Parameter ist der 60-min-Insulinwert im oGTT, der als erster deutlich abfällt (eigene Beobachtungen). Diese positive Antwort ist sehr gut zu überprüfen, z. B. bei schlanken FAS-IIIb-Patientinnen (definitionsgemäß müssen diese hyperinsulinämisch sein). Bei diesen Frauen fällt diagnostisch eine Senkung des SHBG-Werts (Anhebung des FAI-Werts) auf. Bei der Lebensstilexploration (Geisthövel et al.
2015a) ergibt sich, dass ein Großteil der eigentlich normokalorischen Ernährung aus freien Kohlenhydraten, d. h. aus Makronutrients mit hohem glykämischen Index (z. B. Schokolade, Schokoriegel, zuckerhaltige Getränke) besteht, wodurch sich eine kompensatorische Überfunktion des Pankreas einstellt (Geisthövel
1998; Abschn.
7, Punkt 15).
In der Konsequenz ist bei Senkung des FAI-Werts (durch Anstieg des SHBG) auch mit einer Verbesserung der kutanen Androgenisierung mittelfristig zu rechnen. Selbst eine
Acanthosis nigricans bei FAS-III- und FAS-IV-Patientinnen kann im Rahmen einer deutlichen Senkung der Insulinwerte à la longue verbessert werden (Abschn.
7, Punkt 15). Bei Normalisierung des Insulinwerts wechseln schlanke FAS-IIIb-Patientinnen automatisch in den FAS-Ia-Status über – als eines von weiteren möglichen Beispielen, welche die Flexibilität und Dynamik des gesamten Nomenklatur- und Klassifikationssystems deutlich macht.
Weiterhin wird das Einstellen des
Rauchens empfohlen (Escobar-Morreale et al.
2012).