Skip to main content
Die Gynäkologie
Info
Publiziert am: 13.07.2022

Normale und gestörte Pubertät: Diagnostik und Therapie

Verfasst von: Christoph Saner und Christa E. Flück
Unter Pubertät (von lat. Pubertas: Geschlechtsreife, pubescere: reif werden) versteht man den Zeitabschnitt, in welchem Jugendliche die Geschlechtsreife im Sinne von Fortpflanzungsfähigkeit erreichen und somit im weiteren Verlauf erwachsen werden. Das heißt, sie reifen somatisch wie auch emotional und sozial heran (Adoleszenz; adolescere: heranwachsen). Diese Zeit ist zweifelsfrei eine höchst sensible und vulnerable Phase im Leben eines jeden jungen Menschen. Die körperliche, seelische sowie soziale Entwicklung gilt es zu vereinen. Ein neues Welt- und Eigenbild muss heranwachsen und sich kräftigen. In diesem Kapitel wird das aktuelle Wissen über die Pubertätsentwicklung beim Mädchen hinsichtlich Normalverlauf, verfrühter sowie verspäteter Pubertät erläutert.

Einleitung

Unter Pubertät (von lat. Pubertas: Geschlechtsreife, pubescere: reif werden) versteht man den Zeitabschnitt, in welchem Jugendliche die Geschlechtsreife im Sinne von Fortpflanzungsfähigkeit erreichen und somit im weiteren Verlauf erwachsen werden. Das heißt, sie reifen somatisch wie auch emotional und sozial heran (Adoleszenz; adolescere: heranwachsen). Diese Zeit ist zweifelsfrei eine höchst sensible und vulnerable Phase im Leben eines jeden jungen Menschen. Die körperliche, seelische, sowie soziale Entwicklung gilt es zu vereinen. Ein neues Welt- und Eigenbild muss heranwachsen und sich kräftigen.
Pubertät
Pubertät bezeichnet die Transitionsperiode von Kindheit zum Erwachsenenalter und ist im somatischen Sinne durch die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale und das damit verbundene Erreichen der Geschlechtsreife/Reproduktionsfähigkeit definiert.
Die Pubertätsentwicklung verläuft in Stadien. Diese wurden von W. Marshall und J. Tanner 1969 publiziert (Marshall und Tanner 1969) (Abb. 1 und 2, Tab. 1 und 2). Das zeitliche Erreichen der verschiedenen Pubertätsstadien variiert bei den Mädchen sehr stark (Abb. 3).
Tab. 1
Tanner-Stadien und zeitliches Auftreten der Brustentwicklung
Stadium (Tanner)
Klinik
Alter bei Beginn (Mittelwert)
Alter bei Beginn (range 3.–97. Perzentile)
B1
Präpubertät, einzig die Papille ist erhöht
  
B2
Brustknospe: Leichte Erhebung der Brust und der Papille als kleine halbkugelige Erhebung. Areola gegenüber B1 im Durchschnitt vergrößert
11,0
8,5–13,6
B3
Brust und Areola, beide sind vergrößert und gegenüber B2 weiter angehoben, jedoch mit überfließenden Konturen
12,2
10,2–14,5
B4
Areola und Papille bilden eine zweite Erhebung, welche sich gegenüber derjenigen der Brust abhebt
13,1
10,8–15,8
B5
Voll entwickelte Brust: Zurückweichen der Areola in die allgemeine Kontur der Brust, sodass sich nur mehr die Papille abhebt
15,3
11,8–18,7
Tab. 2
Tanner-Stadien und zeitliches Auftreten der Schamhaarentwicklung (Pubesbehaarung)
Stadium (Tanner)
Klinik
Alter bei Beginn (Mittelwert)
Alter bei Beginn (range 3.–97. Perzentile)
P1
Präpubertät, die Behaarung der Genitalgegend ist gleich wie die des Abdomens, d. h. keine Pubesbehaarung
  
P2
Spärliches Wachstum von langen, leicht pigmentierten, geraden oder nur ganz leicht gelockten Haaren auf den großen Labien
10,4
8,0–13,6
P3
Wesentlich dunklere, dichtere und gekräuselte Haare über der Symphyse
12,1
9,8–14,4
P4
Haarstruktur vom Erwachsenentypus, jedoch noch keine dreieckförmige Verteilung über der Symphyse und kein Übergang auf die Oberschenkel
12,9
10,5–15,2
P5
Dreieckförmige Verteilung der Haare mit horizontalem Abschluss (klassisch feminine Verteilungsform). Übergang auf die Innenseite der Oberschenkel
14,4
12,2–16,7
P6
Weitere Verteilung: dreieckförmig auf die Linea alba gegen den Nabel (dieses Stadium wird bei 80 % der Männer und bei 10 % der Frauen erreicht)
  
Wichtige Schritte in der Pubertätsentwicklung sind:
  • Thelarche: Beginn der Brustentwicklung,
  • Pubarche: Pubertätsbedingte Schamhaarentwicklung. Cave: Nicht mit vorangehender Adrenarche gleichzusetzen,
  • Menarche: Erste Periodenblutung.

Klinische Meilensteine der Pubertätsentwicklung

Genitalentwicklung

Im Gegensatz zu Knaben wurde die Genitalentwicklung der Mädchen nie standardisiert definiert. Ein Merkmal des weiblichen Genitals ist der Feuchtigkeitsgrad, der im Zuge der Östrogenisierung nach dem Pubertätsstart zunimmt. Dieser lässt sich einerseits anamnestisch erfragen (Ausfluss?) oder bei der klinischen Untersuchung des äußeren Genitals beobachten. Während der präpubertären Zeit ist das Epithel von Vagina und Labien dünn und hellrot. Das Hymen ist straff und rigide. Im Verlauf der Pubertät wird es dann sukkulent und weich. Die Labien vergrößern sich. Die Östrogenwirkung auf das vaginale Epithel kann zur Bildung von weißlichem Ausfluss (Fluor) führen. Fluor beobachtet man in der Regel ca. 12 Monate vor der Menarche, der ersten Regelblutung.

Pubertärer Wachstumsspurt und Knochenzuwachs

Der Beginn des pubertären Wachstumsspurts kann beim Mädchen im Vergleich zum Knaben grundsätzlich als indirekter, um nur wenige Monate verspäteter Marker für den Beginn der Pubertät herangezogen werden. Daher ist es äußerst wichtig, nicht nur die Wachstumskurve bezüglich Länge genau zu führen, sondern ebenso die Wachstumsgeschwindigkeit (in cm/Jahr) aus zwei standardisierten Längenmessungen im Intervall von mindestens 6 Monaten zu berechnen. Zeitpunkt und Ausmaß der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit (peak height velocity, PHV) sind spezifisch für Geschlecht, Alter und Tanner-Stadium.
Die maximale Wachstumsgeschwindigkeit wird beim Mädchen im mittleren Alter von 11,9 Jahren (range [3.–97. Perzentile]: 10,2–13,9 Jahren), bei einem Pubertätsstadium Tanner B2–3 erreicht.

Knochenzuwachs, Körperzusammensetzung

Kurz nach Erreichen der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit und etwa gleichzeitig mit der Menarche findet auch die höchste Rate an Knochensubstanzzunahme statt (Bailey et al. 1999). Diese ist wichtig für die maximale Knochensubstanz, die am Ende der 2., anfangs der 3. Lebensdekade erreicht wird und die ein bestimmender Faktor für das spätere Frakturrisiko darstellt (Rizzoli et al. 2010).
Vor der Pubertät sind die prozentualen Muskel-, Fett- und Skelettmassenanteile kaum geschlechtsabhängig. Aufgrund einer überproportionalen Zunahme der Fettmasse im Vergleich zur Skelettmuskelmasse verdoppelt sich bei Frauen der prozentuale Körperfettmassenanteil bis zum Abschluss der Pubertät beinahe (ca. 25 % bei Frauen versus 13 % bei Männern) (Loomba-Albrecht und Styne 2009).

Menarche, erste Periodenblutung

Die Menarche tritt gegen Ende der Pubertätsentwicklung, durchschnittlich 2–2,5 Jahre nach Beginn der Brustentwicklung (B2) auf.
Dieser Zeitraum kann bei Mädchen, die früh in die Pubertät eintreten, länger und bei „Spätentwicklerinnen“ kürzer sein. Typischerweise sind die ersten Zyklen nach der Menarche anovulatorisch und somit die Blutungsintervalle sehr unregelmäßig. Im 3. Jahr nach der Menarche sollten 60–80 % der Zyklen eine Dauer zwischen 3–6 Wochen aufweisen (WHO 1986). Im 5. Jahr nach der Menarche dauern 90 % der Zyklen 3–6 Wochen und ca. 80 % der Zyklen sind ovulatorisch (Treloar et al. 1967).
Da die Menarche sehr klar definiert ist und anamnetisch einfach erfragt werden kann, sind Daten zur Menarche aus Studien unterschiedlicher Länder, Bevölkerungsgruppen sowie Ethnizitäten bekannt. Wurde in nahezu allen Ländern eine deutliche Abnahme des Alters bei Menarche von 17–18 Jahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ca. 1950 beschrieben, hat sich dieser Trend in der jüngsten Zeit abgeschwächt (Delemarre-van de Waal 2005; Sorensen et al. 2012; CDC 2020; Wyshak und Frisch 1982).
In der Schweiz lag der Mittelwert des Alters bei Menarche um das Jahr 1830 bei 17,34 Jahren, um 1950 bei 13,8 Jahren und 1983 bei 13,2 Jahren (Lehmann und Scheffler 2016; Largo und Prader 1983). In Deutschland wie auch in nordeuropäischen Ländern ist das Menarchenalter über 30 Jahre stabil bei 12,5–13 Jahren geblieben (Gohlke und Woelfle 2009), was mit einem mittleren Menarchenalter von 12,8 Jahren in der 2003–2006 durchgeführten Kinder- und Jugendsurvey-Studie (KiGGS) bestätigt wurde (Kahl et al. 2007). Bei Mädchen mit Migrationshintergrund (mittleres Menarchenalter 12,5 Jahre) sowie bei Mädchen mit Adipositas (12,1 Jahre) tritt die Menarche oft früher auf. Untergewichtige Mädchen hingegen haben ihre Menarche deutlich verspätet (14,9 Jahre).
Nach der Menarche wachsen junge Frauen noch ungefähr 7 cm; die Großwüchsigen ein wenig mehr, die Kleinen entsprechend weniger. Davon fallen zwei Drittel dieses Restwachstums auf das 1. Jahr nach der Menarche und das restliche Drittel auf das 2. Jahr.
Mädchen sind bei der Menarche im Mittel 13,2 Jahre alt (range [3.–97. Perzentile]: 11,2–15,4 Jahre).
Generell ist beim Ausbleiben der Regelblutung bis zum 15. Lebensjahr (primäre Amenorrhoe) oder fehlender Pubertätsentwicklung stets nach deren Ursache zu suchen. Dies beinhaltet eine gründliche Anamnese, klinische Untersuchung, laborchemische und bildgebende Untersuchungen (Handröntgen und Sonografie kleines Becken mit der Frage nach Größe der Ovarien und Follikel; Größe, Form sowie Endometriumdicke des Uterus). Dies alles hat vor einer Therapie zu erfolgen)!

Säkularer Trend der Pubertätsentwicklung

Verschiedene Studien der vergangenen Jahre aus den USA und Europa haben gezeigt, dass die Brustentwicklung bei den Mädchen (B2) in der Regel früher aufzutreten scheint, das Menarchenalter aber eher gleich bleibt (Eckert-Lind et al. 2020; Cabrera et al. 2014; Aksglaede et al. 2009; Herman-Giddens et al. 1997). In nachfolgenden longitudinalen Studien konnte gezeigt werden, dass sich der Pubertätsbeginn umgekehrt zur Pubertätsdauer (gemessen von Tanner Stadium B2 bis zur Menarche) verhält, d. h. dass die Pubertätsdauer bei den Frühentwicklern länger, bei den Spätentwicklern kürzer ist (German et al. 2018) ohne Auswirkungen auf die Endlänge (Llop-Vinolas et al. 2004).
In einer dänischen Studie von 2009 wurde die Pubertätsentwicklung (Zeit zwischen B2 und Menarche) bei 1100 Mädchen aus den Jahren 1991–1993 mit 995 Mädchen aus den Jahren 2006–2008 verglichen. Das Durchschnittsalter bei Beginn der Brustentwicklung lag 1993 bei 10,88 Jahren, 2008 bei 9,86 Jahren, das durchschnittliche Alter bei Menarche lag 1993 bei 13,42, 2008 bei 13,13 Jahren (Resultate kontrolliert für den BMI) (Aksglaede et al. 2009). Die durchschnittliche Pubertätsdauer verlängerte sich folglich deutlich von 2,54 Jahren (1991–1993) auf 3,27 Jahre (2006–2008).
In einer belgischen Studie jedoch war der Pubertätsbeginn nur unwesentlich verfrüht (B2: 10,7 Jahre). Statistisch gesehen konnte aber gezeigt werden, dass der Pubertätsverlauf keine Normalverteilung (Gauß-Kurve) mehr darstellte, sondern sich in Richtung verfrühter Pubertät verschob; 3 % der Mädchen waren mit 7,7 Jahren in die Pubertät (B2) eingetreten (Roelants et al. 2009).
Abb. 4 zeigt schematisch dargestellt den Pubertätsstart bei Mädchen bezogen auf das chronologische Alter.

Pubertätsentwicklung bei Mädchen mit SGA

Eine ungenügende intrauterine Versorgung kann zu einem entsprechenden Untergewicht/Kleinwuchs für das Gestationsalter bei Geburt führen und wird als SGA-Situation klassifiziert (SGA: short for gestational age). Eine SGA-Situation scheint die Androgenachse (Adrenarche) verfrüht zu stimulieren (Ibanez et al. 1999) und – im Vergleich mit Kindern mit Normalgewicht für das Gestationsalter (AGA: appropriate for gestational age) – auch die Pubertätsentwicklung und deren Dauer (Hvidt et al. 2019; Deng et al. 2017), wenn auch innerhalb normaler Grenzen. Als Folge davon wurde eine reduzierte Endgröße beschrieben (Lazar et al. 2003). Das postnatale Aufholwachstum (catch-up growth) spielt dabei eine wesentliche Rolle. Kinder mit frühem Aufholwachstum, insbesondere diejenigen mit erhöhter Gewichtszunahme, neigen zu früherer und beschleunigter Pubertätsentwicklung (Hvidt et al. 2019) und zu metabolischen Abnormalitäten im jungen Erwachsenenalter (wie Insulinresistenz, erhöhter Körperfettanteil) (Mericq et al. 2017).

Adrenarche und Pubarche

Die androgenen Steroide, hauptsächlich das Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Androstendion, sowie die 11-oxy-Androgene der Nebennieren, spielen eine signifikante Rolle für die Entwicklung der Schambehaarung (Pubarche) beim Mädchen.
Als Adrenarche bezeichnet man die funktionelle Aktivierung der Androgenproduktion in der dritten Zone (Zona reticularis, ZR) der Nebennierenrinde. Die Adrenarche tritt im Alter von ca. 6–8 Jahren auf. Die Entwicklung der Zona reticularis geschieht unabhängig von der Gonadenachse, d. h. der Reifung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. Unter physiologischen Bedingungen spielt die Adrenarche keine Rolle bezüglich der Pubertätsentwicklung. Unter speziellen Bedingungen jedoch, z. B. bei kongenitaler Nebennieren-Hyperplasie (sog. Adrenogenitales Syndrom [AGS]; kongenitale adrenale Hyperplasie/CAH), aber auch bei adrenalen Karzinomen, kann eine übermäßige Produktion von Androgenen der Nebennierenrinde (v. a. nach deren enzymatischer Umwandlung in Östrogene in der Peripherie) zu einer peripheren (nicht zentralen) (Pseudo-)Pubertas praecox führen. Diese peripheren Hormone unterdrücken – solange untherapiert – den Beginn der zentralen Pubertät. Wird dann ein Mädchen therapiert und der periphere Hormonüberschuss blockiert, kann diese periphere (Pseudo-)Pubertas praecox in eine Pubertas praecox centralis übergehen (Parent et al. 2003).

Genetik

Zeitpunkt sowie Dauer der Pubertätsentwicklung sind überwiegend genetisch kodiert und entsprechend familiär vererbt. 50–80 % der Variabilität des Pubertätsablaufs scheinen genetisch bedingt zu sein (Gajdos et al. 2010). In vielen Studien wurde die Rolle einzelner Gene bereits gezeigt. Gemäß einer GWAS (genome wide association study) im Jahre 2014 wurden 123 Signale in 106 Gen-Loci als wichtig für die Pubertätsentwicklung bestätigt (dabei z. B. die Gene MKRN3, KISS1, GPR54, LIN28B, PCSK1, PCSK2, ANOS1, FGFR1, LEPREAP-1, der GnRH-Rezeptor, und Transkriptionsfaktoren für die Entwicklung der Hypophyse wie HESX1, PROP1, LHX3 u. a.) (Cousminer et al. 2014). Dabei sei vermerkt, dass für die genetische Kodierung der Pubertät nicht nur einzelne Gene eine wichtige Rolle spielen, sondern auch das Zusammenspiel dieser in einem Netzwerk und deren Regulation. Somit spielen polygenetische Konstellationen und Gen-Polymorphismen eine Rolle. Zusätzlich können auch die Non-coding-RNAs eine Rolle bei der Regulation der Pubertätsentwicklung spielen; so gezeigt am Beispiel der Genvariabilität des LIN28B-Gens (Ong et al. 2009). Weitere Studien etablierten eine Rolle von epigenetischen Prozessen für die Regulation der Pubertätsentwicklung (Lomniczi et al. 2015).
Es ist zu erwarten, dass mit den Methoden der modernen Molekularbiologie weitere Gene und Regulationsmechanismen bekannt werden, die unser Verständnis für die normale Pubertätsentwicklung und deren Pathologien maßgeblich erweitern werden.

Ernährung

Das Gewicht und die Ernährung (insbesondere die Kalorienaufnahme) scheinen einen wichtigen Einfluss auf den Pubertätsverlauf zu haben. In großen Observationsstudien konnte gezeigt werden, dass ein höherer BMI insbesondere bei Mädchen mit einer früheren Pubertät einhergeht. Dabei führte eine Erhöhung um 1 kg/m2 zwischen 2–8 Jahren zu einem um 0,11 Jahren früheren Pubertätsbeginn (He und Karlberg 2001). Als Mediatoren (Vermittler) der BMI-Wirkung auf die zentrale Pubertätssteuerung wurde unter anderem das fettspezifische Hormon Leptin entdeckt. Dabei scheint Leptin via GABA-erge sowie Kisspeptin/Neuropeptid-Y-Neurone auf die GnRH-Neurone zu wirken.

Sport und Stress

Sport und körperliche Betätigung sind Teil eines gesunden Lebensstils. Wird jedoch Sport und das damit verbundene Training im Übermaß betrieben, kann dies weitreichende Konsequenzen haben. In der Sportwelt wird dies dann unter dem Ausdruck „female athlete triad“ zusammengefasst und beinhaltet mangelnde Kalorienzufuhr, Amenorrhoe und Osteoporose (Kim und Nattiv 2016; Matzkin et al. 2015).
Damit die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert werden kann, verlieren die meisten Mädchen an Gewicht. So kann ein anfänglich „normales“ Essverhalten gerne in eine Anorexie oder Bulimie umschlagen (Knapp et al. 2014). Übermäßiges Training, kombiniert mit einer ungenügenden oder falschen Energiezufuhr kann den normalen Pubertätsverlauf stören oder zu einer primären oder sekundären Amenorrhoe führen. Die Hormone, die für die Regulation des hormonellen Zyklus notwendig wären, werden dabei hypothalamisch abgeschaltet.
Es ist aber differenzialdiagnostisch wichtig, dass bei Mädchen die Regelblutung nach der Menarche unregelmäßig sein kann, und dass ein Ausbleiben der Periode nicht zwangsläufig ein Symptom der „female athlete triad“ sein muss. An eine mögliche Schwangerschaft ist zudem auch immer zu denken (De Souza et al. 2014).

Endokrine Umweltchemikalien (endocrine disruptors)

Umwelteinflüsse haben eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf den Pubertätsverlauf. In einer Vielzahl von Arbeiten werden auf die Bedeutung von sogenannten „endocrine disruptors“, wie beispielsweise DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) hingewiesen, die den Pubertätsverlauf und die Reproduktionsfähigkeit beeinflussen können (Parent et al. 2015). Unzählige weitere Umwelt „gifte“ mit direkter oder indirekter Hormonwirkung sind heute in der Literatur beschrieben.

Pubertas praecox

Einteilung

Die Pubertas praecox ist definiert mit dem Auftreten von sekundären Geschlechtsmerkmalen, sprich der Brustknospe B2 beim Mädchen, vor dem Abschluss des 8. Lebensjahrs.
Grundsätzlich ist der Pubertätsbeginn ein zentraler (Hirn-)Prozess (Terasawa und Fernandez 2001). Mittels unterschiedlicher Regelsysteme wird der GnRH-Puls-Generator aktiviert (Parent et al. 2003). Bei Pubertas praecox (PP) gibt es verschiedene Ursachen und Formen, die zu unterscheiden wichtig sind (Latronico et al. 2016):
  • Zentrale Pubertas praecox (ZPP): Nur bei 10–20 % der Mädchen mit Pubertas praecox kann eine Ursache gefunden werden (Mogensen et al. 2011). Die Prävalenz liegt bei 1:5.000 bis 1:10.000 und ist 5- bis 10-mal häufiger bei Mädchen als bei Knaben (Carel und Leger 2008; Prete et al. 2008).
  • Periphere Pubertas praecox, Pseudopubertas praecox (PPP): Diese Form kommt in ca. 10 % der Fälle vor. Die häufigsten Ursachen dafür finden sich in Erkrankungen der Nebennieren, Ovarien oder in hCG produzierenden Tumoren. Falls ein Tumor der Nebenniere oder Ovarien neben Östrogenen auch Androgene produziert, kann es zur iso- oder heterosexuellen Form der PPP kommen.
  • „Inkomplette“ Pubertät: In 50–60 % kommt es zu einer isolierten Entwicklung eines sekundären Geschlechtsmerkmals (prämature Thelarche, prämature Pubarche, prämature Menarche). Diese Formen gilt es im Verlauf klinisch und laborchemisch zu kontrollieren, um eine vorzeitige Pubertät und deren Konsequenzen nicht zu verpassen.

Klinik und Diagnostik der Pubertas praecox

Vorerst gilt es, das Pubertätsstadium gemäß den Tanner-Stadien (Tab. 1 und 2) genau zu definieren. Es muss eine detaillierte Anamnese und Aufzeichnung des Entwicklungsverlaufs sowie ein kompletter Status, inklusive Neurostatus erhoben werden, um wichtige Schlüsse ziehen zu können. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen einer schnellen gegenüber einer langsamen Progression der Pubertät.
Merkmale der schnellen Progression und damit hinweisend auf ein erhöhtes Risiko für eine zugrunde liegende Pathologie sind:
  • Schnelles Durchlaufen einzelner Tanner-Stadien innerhalb von 3–6 Monaten,
  • eine Wachstumsgeschwindigkeit >6 cm/Jahr,
  • eine Knochenalter-basierte Endlängen-Prognose deutlich unter dem elterlichen Zielbereich,
  • eine verfrühte Reifung des Uterus in Volumen und Endometriumdicke sowie
  • erhöhte basale und stimulierte Gonadotropine.
Sind bei einem Mädchen im Alter von 6–8 Jahren mit Pubertas praecox centralis Anamnese und Untersuchung unauffällig, kann die Familie auch hinsichtlich der Sorge eines sich daraus resultierenden Kleinwuchses (im Verhältnis zum familiären Potenzial berechnet nach Bayley und Pinneau 1952) beruhigt werden. Bei gesunden Kindern stehen der Pubertätsstart und die Dauer der Pubertät (Tempo) in einem inversen Verhältnis (Marti-Henneberg und Vizmanos 1997). Informationen aus Anamnese und Klinik, sowie bei Bedarf aus Ultraschall und Labor sind äußerst wichtig zur Diagnostik und zur Beurteilung der Therapienotwendigkeit (Abb. 5).
Klinik und Diagnostik der Pubertas praecox
Anamnese:
  • Jetziges Leiden:
    • Auftreten der sekundären Geschlechtsmerkmale vor dem 8. Lebensjahr
    • Tempo der Entwicklung
    • Psychische Aspekte
  • Patientenanamnese:
    • Geburtsgewicht/-länge (SGA)
    • Entwicklung
    • Status nach Meningitis, Hydrozephalus, Bestrahlung, Umwelttoxine, Schädelhirntrauma
  • Familienanamnese:
    • Pubertätsentwicklung der Eltern/Alter der Menarche der Mutter
Status/Klinik/Untersuchungen:
  • Status:
    • Neurostatus, insbesondere Hirnnerven
    • Hautbefunde (Café-au-lait spots, Freckling, etc.)
    • Proportionalität des Wachstums
  • Knochenalter:
    • Beeinträchtigung der Endlänge
  • Ultraschall (Mazgaj 2013):
    • Uterusvolumen >1,8 cm3
    • Uteruslänge >3,5 cm
    • Endometrium (präpubertär <1 mm, postpubertär zyklisch 4–16 mm dick)
    • Uterusform verändert sich von tubulär zu birnenförmig
    • Größe und Struktur der Ovarien (Volumen >1 ml) (Cave: Anzahl und Größe der ovariellen Follikel sind sehr variabel)
  • MRT:
    • Neurologische Pathologie (kongenital oder erworben)
    • 10 % der Mädchen (Hydrozephalus, Hypothalamus-Hamartom, N.-opticus-Gliom, Astrozytome, Germinome, postinfektiös, etc.) (Latronico et al. 2016)
Labor (unter Verwendung ultrasensitiver Assays):
  • Basales LH, FSH und Östradiol (wobei Östradiol in ca. 40 % der Fälle bei Mädchen mit zentraler Pubertas praecox präpubertäre Werte zeigt [Carel und Leger 2008; Carel et al. 2009])
  • GnRH-Test (v. a. bei basalem LH ≤0,1 IU/l): LH >5 IU/l [Carel und Leger 2008], LH/FSH-Ratio: >0,6–1,0 (weniger sensitiv als stimuliertes LH (Latronico et al. 2016)
Differenzialdiagnosen:
  • Gonadotropin-abhängige (zentrale) Pubertas praecox (ZPP):
    • Neuropathologisch bedingt
    • Nicht neuropathologisch bedingt:
      • Idiopathisch
      • Genetisch (z. B. KISS1-Aktivierung)
      • Umweltfaktoren (endocrine disruptors)
  • Gonadotropin-unabhängige (periphere) Pubertas praecox:
    • Gonadale Läsionen:
    • Nebennierenrindentumor
    • hCG produzierende Tumoren
    • Exogene Steroidexposition (Phyto-Östrogene, Lavendel)
  • Inkomplette pubertas praecox:
Bei der zentralen Pubertas praecox ist eine Therapie sicher indiziert, wenn die Geschlechtsentwicklung extrem früh eingesetzt hat (1–5 Jahre). In dieser Situation ist das klinische Fortschreiten sehr schnell, die Beschleunigung des Knochenalters (KA) gegenüber dem chronologischen Alter von größter Relevanz, sodass schon im Kleinkindesalter nicht selten die Menstruation auftritt. Bei diesem frühen Stadium muss ein McCune-Albright-Syndrom und ein zentraler Prozess ausgeschlossen werden.
Wenn bei einem 6- bis 8-jährigen Mädchen eine langsam progrediente Form vorliegt, kann nach individueller Abwägung der Vor- und Nachteile einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung versus medizinischer Maßnahmen von einer blockierenden Therapie mit GnRH-Analoga abgesehen werden. In dieser Situation sollte man sich auf die psychosozialen Bedürfnisse der informierten Familie abstützen. Je nach familiärer und psychischer Situation ist eine Therapie hilfreich, auch wenn kein Effekt auf die Endlänge mehr zu erwarten ist.
GnRH-Analoga sind die Therapie der Wahl bei zentraler Pubertas praecox; diese GnRH-Derivate binden an den GnRH-Rezeptor, verunmöglichen die Pulsatilität der Sekretion und üben so eine blockierende Wirkung auf die Sexualhormonachse aus. Im Verlauf sind zur Kontrolle der Wirksamkeit der Therapie vor der blockierenden GnRH-Analoga-Injektion jeweils LH, FSH und E2 zu messen. Bei ungenügender Unterdrückung kann das Dosierintervall verkürzt werden. Die Therapie wird grundsätzlich so lange empfohlen, bis das Mädchen normalerweise die Pubertät starten würde (ca. im Alter von 9–10 Jahren).

Isolierte prämature Thelarche und Pubarche

Als spezielle Formen der „inkompletten“ Pubertas praecox sollen die isolierte prämature Thelarche und Pubarche erwähnt sein. Diese beiden Formen können als Normvarianten auftreten oder auch Korrelat einer Pathologie sein, wie z. B. Erstsymptome einer Pubertas praecox.
Isolierte, idiopathische prämature Thelarche
Prämatur ist die Thelarche (Tanner B2), die vor dem 8. Lebensalter auftritt. Die Brustentwicklung bei prämaturer Thelarche kann bilateral, unilateral oder auch asymmetrisch auftreten (Abb. 6). In ca. 60 % der Fälle zeigen die Mädchen ein B2, in 30 % ein B3 und in 10 % gar ein B4. Genital fehlt dabei definitionsgemäß eine Östrogenstimulation (Tab. 3).
Tab. 3
Isolierte, idiopathische prämature Thelarche
Parameter
Klassische Form
Variante
Beginn
<2 Jahre
>2 Jahre
Labor
FSH-stimuliert
Knochenalter normal
Ultraschall: Ovarien/Uterus präpubertär
Verlauf
Zyklisch
oft regredient innert 6 Monate
Nicht zyklisch
persistent
Progression in zentrale Pubertas praecox
Nein
In ca. 20 %
Prämature Adrenarche/Pubarche
Die prämature Pubarche ist wie folgt definiert: Isoliertes Auftreten von Schambehaarung (wobei oft auch eine Achselbehaarung vorkommen kann) vor dem Alter von 8 Jahren. Je jünger das Mädchen ist, desto wichtiger ist es, klinisch nach anderen Zeichen des Hyperandrogenismus zu suchen, wie: Akne, Schweißgeruch, Klitoris-Hypertrophie. Die Wachstumsgeschwindigkeit und das Knochenalter müssen bestimmt werden, da Androgene eine Reifungsbeschleunigung bewirken. Eine Nebennierenrinden-Problematik (wie z. B. ein nichtklassisches AGS) oder ein hormonaktiver Tumor der Nebennieren oder der Ovarien müssen ausgeschlossen werden. Entsprechend der erhobenen klinischen Befunde sind dazu ein Androgen-Work-Up mittels Plasma- und Urin-Steroidprofil und eine Bildgebung notwendig. Testungen mittels ACTH-Stimulation und Dexamethason-Hemmung können bei der Diagnostik hilfreich sein. Bei Verdacht auf AGS empfiehlt sich eine genetische Testung und Beratung.

Pubertas tarda

Die Verzögerung und/oder das Ausbleiben der Pubertätsentwicklung bedarf einer Abklärung, wenn die Brustentwicklung bis zum 13. Lebensjahr nicht eingetreten ist.

Einteilung

Bei Pubertas tarda muss ein hypogonadotroper Hypogonadismus (HH) von einem hypergonadotropen Hypogonadismus unterschieden werden (Abb. 7).
Bei hypogonadotropem Hypogonadismus sind die LH- und FSH-Werte niedrig; der Hypothalamus oder die Hypophyse sind ursächlich betroffen. Diese Form des HH kann auftreten bei einer bestehenden Neuropathologie, im Rahmen von multiplen hypophysären Hormonachsenausfällen oder bei chronischen Erkrankungen im Rahmen eines funktionellen HH.
Sind diese Ätiologien ausgeschlossen, gilt es den kongenitalen HH (zu 50 % mit Anosmie als Kallmann-Syndrom auftretend) von der konstitutionellen Verzögerung von Wachstum und Pubertät abzugrenzen (constitutional delay of growth and puberty, CDGP). Die Unterscheidung von kongenitalem, zentralem (KZHH) und CDGP – der häufigsten Diagnose für Pubertas tarda (Howard und Dunkel 2019) – ist primär nicht möglich. Für einen hypogonadotropen Hypogonadismus sprechen eine fehlende Pubertätsentwicklung mit zunehmendem Alter, eine fehlende familiäre Anamnese für eine Verzögerung und ein Knochenalter, welches konkordant mit dem biologischen Alter ist. Varianten identischer Gene konnten als Ursache beider Formen der Pubertas tarda (KZHH und CDGP) identifiziert werden (Saengkaew und Howard 2021).
Im Gegensatz dazu ist der hypergonadotrope Hypogonadismus als Ursache einer Pubertas tarda leicht abzugrenzen, da LH, FSH bei primär gestörter Gonadenfunktion erhöht sind (Abb. 7).
Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät
  • Normvariante
  • Familienanamnese:
    • Verzögerung in der Geschlechtsentwicklung
    • Verzögerte Menarche (>15. Lebensjahr)
  • Kleinwüchsig im Vergleich mit dem familiären Zielbereich
  • Knochenalter-korrigierte Endlänge im familiären Zielbereich
  • Wachstumsgeschwindigkeit normal in Relation zum Knochenalter
Die Entwicklung der Schambehaarung (Pubarche) kann das klinische Korrelat der Produktion von androgenen Nebennierenrinden-Hormonen (Adrenarche) sein und bedeutet nicht a priori, dass die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse aktiviert ist. Dabei gilt:
  • Pubarche: Erscheinen der ersten Schamhaare; normalerweise beim Mädchen nicht vor 8 Jahren (je nach Ethnizität früher).
  • Adrenarche: Nebennierenerwachen; Aktivierung der Produktion von Nebennieren-Androgenen in der Zona reticularis im Alter von 6–8 Jahren.

Hypogonadotroper Hypogonadismus

Die zentrale Insuffizienz der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse kann sowohl genetisch/kongenitale als auch erworbene Ursachen haben und auf der Ebene des Hypothalamus oder der Hypophyse vorkommen. Beispiele eines erworbenen, zentralen hypogonadotropen Hypogonadismus sind Folgen einer organischen Läsion (Tumor, Entzündung, Infektion, Gefäßanomalie, Trauma), die isoliert oder kombiniert mit anderen hypophysären Hormonausfällen auftreten können. Ebenso erworben sind funktionelle Störungen der pulsatilen GnRH-Ausschüttung bei chronischen Krankheiten, negativer Energiebilanz, Stress, Sport, Anorexie oder Bulimie (Howard und Dunkel 2019).
Speziell sollen hier die kongenitalen, zentralen Formen des hypogonadotropen Hypogonadismus (KZHH) hervorgehoben werden. Diese Formen stellen eine Rarität dar, erlauben aber den Einblick in die Embryologie, Reifung und Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. Ursächlich liegt eine Produktion-, Sekretion-, Wirkungsstörung des Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) vor. 2015 waren bereits mehr als 25 Gene bekannt, deren Alteration isoliert, homozygot, heterozygot, X-linked, aufgrund von Imprinting oder in Kombination für unterschiedliche Fehlentwicklungen verantwortlich sind (Boehm et al. 2015). Klinisch zeichnen sie sich durch ein Ausbleiben, eine Verlangsamung oder eine fehlende Progression der Pubertätsentwicklung mit möglicher Infertilität aus.
Der KZHH lässt sich primär in das Kallmann-Syndrom (KS), charakterisiert durch Anosmie oder Hyposmie, und in syndromale Formen unterteilen. Gelingt keine Diagnose, bleibt die idiopathische Form übrig. Die Riechstörung bei KS lässt sich embryologisch durch eine inkomplette Migration der GnRH-bildenden Neuronen erklären. Zusätzliche Hinweise wie das Vorliegen von Mittelliniendefekten (z. B. bei septo-optischer Dysplasie; HESX1 SOX2), von Kolobomen (z. B. bei CHARGE-Syndrom, CHD7), einer Nebenniereninsuffizienz (Kongenitale adrenale Hypoplasie, NROB1=DAX1) oder einer Innenohrschwerhörigkeit (Waardenburg-Syndrom, SOX10) können die Differenzialdiagnosen weiter einengen (Young et al. 2019) (s. Übersicht).
Patienten mit KZHH benötigen meist eine lebenslange hormonelle Substitutionstherapie; wobei erstaunlicherweise bei bis zu 20 % der Fälle eine spontane Erholung/Spätentwicklung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse beobachtet wurde (Sidhoum et al. 2014). Zur Ermöglichung der Fertilität bei Kinderwunsch bestehen differenzierte Behandlungsprotokolle der Reproduktionsmedizin, welche oft zielführend sind (Young et al. 2019). Übliche Charakteristika zur Einschätzung der Fertilität wie der Blutspiegel des Anti-Müller-Hormons oder die Follikelanzahl sind bei zentralem hypogonadotropem Hypogonadismus nicht aussagekräftig und sollten dazu nicht verwendet werden (Bry-Gauillard et al. 2017).
Formen des kongenitalen, zentralen hypogonadotropen Hypogonadismus (KZHH) und Differenzialdiagnosen
Formen:
  • Kallmann-Syndrom und Kallmann-like (GnRH-Mangel mit und ohne Störungen des Geruchsinns)
  • Syndromale Formen:
    • Septo-optische Dysplasie (De-Morsier-Syndrom)
    • CHARGE-Syndrom (Colobom, Herzfehler, Choanalatresie, Wachstumsrückstand [growth], Genitalanomalien, Gehörprobleme, Taubheit [ear])
    • Kongenitale Nebennierenhypoplasie
    • Bardet-Biedl-Syndrom
    • Weitere seltene Syndrome
  • Idiopathischer ZHH
Differenzialdiagnosen:
  • Neuropathologie:
    • Hypophysentumor (Kraniopharyngeom, Prolaktinom), Hirntumor (Germinom)
    • Rathke-Zyste
    • Hypophysen-, Hirnblutung
    • Bestrahlung
  • Multiple hypophysäre Hormonachsen-Ausfälle
  • Funktionelle Ursachen:

Hypergonadotroper Hypogonadismus

Erhöhte LH- und FSH-Werte weisen auf eine periphere Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse hin. Grundsätzlich muss man an eine Funktionsstörung der Ovarien denken. In dieser Situation ist jedoch neben einer genauen klinischen Untersuchung (Tanner-Stadium? weiblicher Phänotyp?) auch eine detaillierte Beurteilung des inneren Genitals (Ovarien, Uterus) mit einer Ultraschalluntersuchung des Unterbauchs notwendig. Auch eine zytogenetische Untersuchung zur Chromosomenanalyse kann wesentlich weiterhelfen, ist doch die Diagnose eines Turner Syndroms nicht selten die Ursache (Inzidenz 45,X0 in 1:2000–1:2500 lebendgeborenen Mädchen).
Formen des hypergonadotropen Hypogonadismus
  • Syndromale Gonadendysgenesie (Turner-Syndrom und Varianten)
  • XX- und XY-Gonadendysgenesie:
    • Sporadische und familiäre Formen der XX-Gonadendysgenesie und Varianten
    • Sporadische und familiäre Formen der XY-Gonadendysgenesie und Varianten
  • Andere primäre Störungen der Ovarienfunktion:
    • Prämature Menopause
    • Bestrahlung
    • Chemotherapie
    • Autoimmune Oophoritis
    • FSH-Rezeptormutation
    • LH/hCG-Resistenz
    • Polyzystisches Ovar-Syndrom
    • Trauma/Chirurgie
    • Noonan-Syndrom
    • Steroidbiosynthese-Defekte der Ovarien (z. B. Aromatase-Mangel)

Symptomatische Therapie des Hypogonadismus

Sexualhormonmangel sollte spätestens im Alter von 12–13 Jahren (wenn nicht ursächlich behandelbar) stufenweise substituiert werden. Ziel der Östrogensubstitution ist es, dem Mädchen eine mit der „peer-group“ vergleichbare Pubertätsentwicklung zu ermöglichen. Oral kann mit 0,5 mg 17β-Östradiol alle 2 Tage oder per Östrogen-Patch (ein Viertel Patch à 25 μg 17β-Östradiol 2-mal/Woche gewechselt) gestartet werden. Diese Substitution kann dann graduell über ca. 2 Jahre bis auf 2 mg oral oder 50 μg 17β-Östradiol pro Patch (2-mal/Woche gewechselt) aufgebaut werden.
Kommt es nach 2 Jahren aufbauender Pubertätsinduktion bei vorhandenem Uterus zur „Durchbruchblutung“, soll zusätzlich die Gestagensubstitution zur Einleitung der Regelblutung begonnen werden. Bei fehlender Durchbruchblutung wird bei vorhandenem Uterus die kombinierte Östrogen/Gestagen-Substitution zur Nachahmung einer geregelten Menstruationsblutung spätestens im Alter von 15–16 Jahren empfohlen.
Literatur
Aksglaede L et al (2009) Recent decline in age at breast development: the Copenhagen Puberty Study. Pediatrics 123(5):e932–e939CrossRefPubMed
Bailey DA et al (1999) A six-year longitudinal study of the relationship of physical activity to bone mineral accrual in growing children: the university of Saskatchewan bone mineral accrual study. J Bone Miner Res 14(10):1672–1679CrossRefPubMed
Bayley N, Pinneau SR (1952) Tables for predicting adult height from skeletal age: revised for use with the Greulich-Pyle hand standards. J Pediatr 40(4):423–441CrossRefPubMed
Boehm U et al (2015) Expert consensus document: European Consensus Statement on congenital hypogonadotropic hypogonadism – pathogenesis, diagnosis and treatment. Nat Rev Endocrinol 11(9):547–564CrossRefPubMed
Bry-Gauillard H et al (2017) Anti-mullerian hormone and ovarian morphology in women with isolated hypogonadotropic hypogonadism/kallmann syndrome: effects of recombinant human FSH. J Clin Endocrinol Metab 102(4):1102–1111CrossRefPubMed
Cabrera SM et al (2014) Age of thelarche and menarche in contemporary US females: a cross-sectional analysis. J Pediatr Endocrinol Metab 27(1–2):47–51PubMedPubMedCentral
Carel JC, Leger J (2008) Clinical practice. Precocious puberty. N Engl J Med 358(22):2366–2377CrossRefPubMed
Carel JC et al (2009) Consensus statement on the use of gonadotropin-releasing hormone analogs in children. Pediatrics 123(4):e752–e762CrossRefPubMed
CDC, C.o.D.C. (2020) Trends and patterns in menarche in the United States: 1995 through 2013–2017. Natl Health Stat Rep (146)
Cousminer DL et al (2014) Genome-wide association study of sexual maturation in males and females highlights a role for body mass and menarche loci in male puberty. Hum Mol Genet 23(16):4452–4464CrossRefPubMedPubMedCentral
De Souza MJ et al (2014) 2014 female athlete triad coalition consensus statement on treatment and return to play of the female athlete triad: 1st international conference held in San Francisco, California, May 2012 and 2nd international conference held in Indianapolis, Indiana, May 2013. Br J Sports Med 48(4):289CrossRefPubMed
Delemarre-van de Waal H (2005) Secular trend of timing of puberty. Endocr Dev 8:1–14CrossRefPubMed
Deng X et al (2017) Association between small fetuses and puberty timing: a systematic review and meta-analysis. Int J Environ Res Public Health 14(11):1377
Eckert-Lind C et al (2020) Worldwide secular trends in age at pubertal onset assessed by breast development among girls: a systematic review and meta-analysis. JAMA Pediatr 174(4):e195881CrossRefPubMedPubMedCentral
Gajdos ZK et al (2010) Genetic determinants of pubertal timing in the general population. Mol Cell Endocrinol 324(1–2):21–29CrossRefPubMedPubMedCentral
German A et al (2018) Outcomes of pubertal development in girls as a function of pubertal onset age. Eur J Endocrinol 179(5):279–285CrossRefPubMed
Gohlke B, Woelfle J (2009) Growth and puberty in German children: is there still a positive secular trend? Dtsch Arztebl Int 106(23):377–382PubMedPubMedCentral
He Q, Karlberg J (2001) Bmi in childhood and its association with height gain, timing of puberty, and final height. Pediatr Res 49(2):244–251CrossRefPubMed
Herman-Giddens ME et al (1997) Secondary sexual characteristics and menses in young girls seen in office practice: a study from the Pediatric Research in Office Settings network. Pediatrics 99(4):505–512CrossRefPubMed
Howard SR, Dunkel L (2019) Delayed puberty-phenotypic diversity, molecular genetic mechanisms, and recent discoveries. Endocr Rev 40(5):1285–1317CrossRefPubMedPubMedCentral
Hvidt JJ et al (2019) Size at birth, infant growth, and age at pubertal development in boys and girls. Clin Epidemiol 11:873–883CrossRefPubMedPubMedCentral
Ibanez L et al (1999) Exaggerated adrenarche and hyperinsulinism in adolescent girls born small for gestational age. J Clin Endocrinol Metab 84(12):4739–4741CrossRefPubMed
Kahl H, Schaffrath Rosario A, Schlaud M (2007) [Sexual maturation of children and adolescents in Germany. Results of the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS)]. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 50(5–6):677–685
Kim BY, Nattiv A (2016) Health considerations in female runners. Phys Med Rehabil Clin N Am 27(1):151–178CrossRefPubMed
Knapp J, Aerni G, Anderson J (2014) Eating disorders in female athletes: use of screening tools. Curr Sports Med Rep 13(4):214–218CrossRefPubMed
Largo RH, Prader A (1983) Pubertal development in Swiss girls. Helv Paediatr Acta 38(3):229–243PubMed
Latronico AC, Brito VN, Carel JC (2016) Causes, diagnosis, and treatment of central precocious puberty. Lancet Diabetes Endocrinol 4(3):265–274CrossRefPubMed
Lazar L et al (2003) Pubertal course of persistently short children born small for gestational age (SGA) compared with idiopathic short children born appropriate for gestational age (AGA). Eur J Endocrinol 149(5):425–432CrossRefPubMed
Lehmann A, Scheffler C (2016) What does the mean menarcheal age mean?-An analysis of temporal pattern in variability in a historical swiss population from the 19th and 20th centuries. Am J Hum Biol 28(5):705–713CrossRefPubMed
Llop-Vinolas D et al (2004) Onset of puberty at eight years of age in girls determines a specific tempo of puberty but does not affect adult height. Acta Paediatr 93(7):874–879CrossRefPubMed
Lomniczi A, Wright H, Ojeda SR (2015) Epigenetic regulation of female puberty. Front Neuroendocrinol 36:90–107CrossRefPubMed
Loomba-Albrecht LA, Styne DM (2009) Effect of puberty on body composition. Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes 16(1):10–15CrossRefPubMed
Marshall WA, Tanner JM (1969) Variations in pattern of pubertal changes in girls. Arch Dis Child 44(235):291–303CrossRefPubMedPubMedCentral
Marti-Henneberg C, Vizmanos B (1997) The duration of puberty in girls is related to the timing of its onset. J Pediatr 131(4):618–621CrossRefPubMed
Matzkin E, Curry EJ, Whitlock K (2015) Female athlete triad: past, present, and future. J Am Acad Orthop Surg 23(7):424–432CrossRefPubMed
Mazgaj M (2013) Sonography of abdominal organs in precocious puberty in girls. J Ultrason 13(55):418–424CrossRefPubMedPubMedCentral
Mericq V et al (2017) Long-term metabolic risk among children born premature or small for gestational age. Nat Rev Endocrinol 13(1):50–62CrossRefPubMed
Mogensen SS et al (2011) Diagnostic work-up of 449 consecutive girls who were referred to be evaluated for precocious puberty. J Clin Endocrinol Metab 96(5):1393–1401CrossRefPubMed
Ong KK et al (2009) Genetic variation in LIN28B is associated with the timing of puberty. Nat Genet 41(6):729–733CrossRefPubMedPubMedCentral
Parent AS et al (2003) The timing of normal puberty and the age limits of sexual precocity: variations around the world, secular trends, and changes after migration. Endocr Rev 24(5):668–693CrossRefPubMed
Parent AS et al (2015) Developmental variations in environmental influences including endocrine disruptors on pubertal timing and neuroendocrine control: revision of human observations and mechanistic insight from rodents. Front Neuroendocrinol 38:12–36CrossRefPubMed
Pedicelli S, Alessio P, Scirè G, Cappa M, Cianfarani S (2014) Routine screening by brain magnetic resonance imaging is not indicated in every girl with onset of puberty between the ages of 6 and 8 years. J Clin Endocrinol Metab 99(12):4455–4461CrossRefPubMed
Prete G et al (2008) Idiopathic central precocious puberty in girls: presentation factors. BMC Pediatr 8:27CrossRefPubMedPubMedCentral
Rizzoli R et al (2010) Maximizing bone mineral mass gain during growth for the prevention of fractures in the adolescents and the elderly. Bone 46(2):294–305CrossRefPubMed
Roelants M, Hauspie R, Hoppenbrouwers K (2009) References for growth and pubertal development from birth to 21 years in Flanders, Belgium. Ann Hum Biol 36(6):680–694CrossRefPubMed
Saengkaew T, Howard SR (2021) Genetics of pubertal delay. Clin Endocrinol (Oxf). 2021 Oct 7. https://​doi.​org/​10.​1111/​cen.​14606. Online ahead of print
Sidhoum VF et al (2014) Reversal and relapse of hypogonadotropic hypogonadism: resilience and fragility of the reproductive neuroendocrine system. J Clin Endocrinol Metab 99(3):861–870CrossRefPubMed
Sorensen K et al (2012) Recent secular trends in pubertal timing: implications for evaluation and diagnosis of precocious puberty. Horm Res Paediatr 77(3):137–145CrossRefPubMed
Terasawa E, Fernandez DL (2001) Neurobiological mechanisms of the onset of puberty in primates. Endocr Rev 22(1):111–151PubMed
Treloar AE et al (1967) Variation of the human menstrual cycle through reproductive life. Int J Fertil 12(1 Pt 2):77–126PubMed
WHO (1986) World Health Organization multicenter study on menstrual and ovulatory patterns in adolescent girls. II. Longitudinal study of menstrual patterns in the early postmenarcheal period, duration of bleeding episodes and menstrual cycles. World Health Organization Task Force on Adolescent Reproductive Health. J Adolesc Health Care 7(4):236–244CrossRef
Wyshak G, Frisch RE (1982) Evidence for a secular trend in age of menarche. N Engl J Med 306(17):1033–1035CrossRefPubMed
Young J et al (2019) Clinical management of congenital hypogonadotropic hypogonadism. Endocr Rev 40(2):669–710CrossRefPubMed