Präoperativ
Präoperativ sollten soweit möglich der Diabetestyp, die bestehende Therapie (Lebensstil, orale Antidiabetika, GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA),
Insulin inklusive Insulinschema) sowie Komorbiditäten, insbesondere
Nephropathie, Neuropathie, Retinopathie, kardiovaskuläre Erkrankungen und Lebererkrankungen, erfasst werden. Wichtig sind zudem Informationen zur Hypoglykämieneigung und -wahrnehmung. Eine besondere Gefahr im Krankenhaus besteht für Erwachsene und/oder übergewichtige Patienten mit Typ-1- oder Typ-3-Diabetes, die nicht selten fälschlich als Typ-2-Diabetes geführt werden. Weitere diabetesspezifische Komplikationen können auftreten wie (nach DDG-Positionspapier 2016) eine insbesondere bei länger bestehendem
Diabetes vorkommende Versteifung der Gelenke („stiff joint syndrome“), die zu Problemen bei der Intubation und bei der Lagerung führen kann. Bei Vorliegen einer autonomen Neuropathie besteht oft eine Magenentleerungsstörung, die für feste Nahrungsbestandteile ausgeprägter als für Flüssigkeiten ist, was zu einem erhöhten Aspirationsrisiko führen kann. Bei autonomer Dysfunktion kann es schon bei der Einleitung der Anästhesie zu einem Abfall des Blutdrucks kommen und im weiteren Verlauf zu einer hämodynamischen Instabilität. Aufgrund der oft bestehenden Gefäßveränderungen kann es durch den Blutdruckabfall und durch den Einsatz vasoaktiver Substanzen zu Perfusionsproblemen in allen Organen kommen. Bei Vorliegen einer peripheren sensorischen Neuropathie besteht zudem ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Druckulzera. Die Lagerung der Patienten muss so erfolgen, dass ein nur niedriger Auflagedruck auf der Unterlage besteht.
Eine wichtige Information ist zudem die Höhe des HbA
1c, mit dem nicht nur die Diagnose eines
Diabetes, sondern auch bei bekanntem Diabetes die Güte der Blutzuckereinstellung der letzten 3 Monate abgeschätzt werden kann. Keine valide Aussagekraft hat der HbA
1c allerdings bei akuten Blutungen, Hämolyse und
Bluttransfusionen. Auch eine fortgeschrittene Nierenerkrankung kann zu falsch niedrigen HbA
1c-Werten führen. Auch sind die Daten bezüglich HbA
1c und operativem Outcome widersprüchlich. Die genannten Informationen sind dennoch für die weitere Strategie relevant. Ist der Blutzucker aktuell gemessen als auch vom HbA
1c erheblich entgleist (z. B. > 10 %), sollte die Dringlichkeit der Operation und die Möglichkeit einer präoperativen Diabetesoptimierung nochmals evaluiert werden. Bei notfallmäßigen oder zeitkritischen Operationen spielt dies keine oder nur eine geringe Rolle.
Üblicherweise sollten alle
oralen Antidiabetika (OAD) als auch GLP-1-RA perioperativ sowie bei intensivmedizinisch behandelten Menschen
pausiert werden. Substanzspezifische unerwünschte Wirkungen sind die bekannte metforminassoziierte Laktatazidose,
Hypoglykämien unter Sulfonylharnstoffen sowie die euglykämische
Ketoazidose unter SGLT-2-Inhibitoren. GLP-1-RA können zudem zu einer vermehrten Übelkeit als auch Magenentleerungsstörung führen. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass DPP (Dipeptidylpeptidase)-4-Inhibitoren perioperativ sicher sind, wird auch hier eine Pausierung empfohlen. Üblicherweise sollten OAD und GLP-1-RA zumindest am Tag der Operation, wenn möglich bereits 24 h zuvor pausiert werden. Metformin muss bei einer Operation unter Allgemein-, Spinal- oder
Epiduralanästhesie abgesetzt werden. Die Therapie darf nicht früher als 48 h nach der Operation oder nach Wiederaufnahme der oralen Ernährung und nur dann wieder aufgenommen werden, wenn die Nierenfunktion erneut kontrolliert wurde und sich als stabil erwiesen hat.
Insulin ist das Mittel der Wahl für die Behandlung einer Hyperglykämie im stationären Bereich, insbesondere auch perioperativ und in der
Intensivmedizin. Fehler bei der Verschreibung und Anwendung von
Insulin sind jedoch häufig. Insulin gehört zu den TOP-5-Hochrisikomedikamenten bei stationären Patienten. Ein Drittel aller Medikationsfehler mit Todesfolge innerhalb von 48 h sind auf eine fehlerhafte Insulinverabreichung zurückzuführen. Eine ausreichende Schulung des Personals im Umgang mit Insulin ist daher essenziell.
Bei Patienten mit bereits
bestehender häuslicher Insulintherapie sollte die Dosis des lang wirksamen Basalinsulins (z. B. Glargin, Detemir) am Abend vor der Operation um 20–25 % reduziert werden. Wenn routinemäßig nur morgens Basalinsulin appliziert wird, sollte die reduzierte Dosis stattdessen am Morgen der Operation verabreicht werden. Patienten, die Glargin oder Detemir 2-mal täglich einnehmen, sollten die Dosis am Vorabend sowie am Morgen der Operation um 20–25 % reduzieren. Bei Patienten, die hohe Basalinsulindosen (> 60 % des täglichen Gesamtinsulins) applizieren oder bei denen die tägliche Gesamtinsulindosis mehr als 80 Einheiten beträgt oder die ein hohes Hypoglykämierisiko haben (ältere Menschen, Nieren- oder Leberinsuffizienz, frühere hypoglykämische Episoden) sollte die Basalinsulindosis um 50–75 % reduziert werden, um das Hypoglykämierisiko zu minimieren. Bei den ultralang wirkenden
Insulinen sollte aufgrund der langen
Halbwertszeit eine Dosisreduktion 3 Tage vor der Operation in Absprache mit einem Endokrinologen oder Diabetologen erfolgen. Bei intermediär wirkendem Insulin wie dem (Neutral Protamin Hagedorn) NPH-Insulin wird die übliche Dosis am Vorabend verabreicht und die Dosis am Morgen der Operation um 50 % reduziert. Patienten, die Mischinsuline (NPH/Normalinsulin bzw. Analoga 70/30, 75/25 usw.) erhalten, sollten vorzugsweise am Vorabend ein lang wirkendes Insulin anstelle ihrer vorgemischten Formulierung erhalten.
Während der perioperativen Nüchternphase wird das prandiale
Insulin pausiert und subkutanes Korrekturinsulin mit einer Blutzuckermessung alle 4 bis 6 Stunden begonnen. Die meisten Kliniken verfügen hierfür über standardisierte Korrekturtabellen, die auf unterschiedlichen Insulinsensitivitäten basieren. Bei
kritisch kranken Patienten ist die kontinuierliche intravenöse Infusion mit Normalinsulin die bevorzugte Therapie. Bei hämodynamischer Instabilität/
Hypothermie/peripherer Vasokonstriktion wird subkutanes Insulin schlecht oder nicht resorbiert, daher ist intravenös appliziertes Insulin aufgrund der besser vorhersagbaren
Pharmakokinetik das Mittel der Wahl. Darüber hinaus ermöglicht intravenöses Insulin eine einfache Dosistitration aufgrund einer kürzeren Wirkdauer. Die Anwendung des intravenösen Insulins sollte immer durch ein standardisiertes Protokoll geregelt werden mit Angaben zur Vorbereitung, Einleitung,
Titration und Überwachung der Infusion. Hierzu wurden in Deutschland evaluierte Protokolle publiziert (Hensen et al.
2007).
Die Behandlung von
Hypoglykämien (Blutzucker unter 70 mg/dl) erfolgt mit Glukosetabletten/-gelen oder intravenösen Dextroselösungen. Bei
schwerer Hyperglykämie (Blutzucker über 250 mg/dl) oder metabolischer Dekompensation (
diabetische Ketoazidose oder hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom) ist es ratsam, die Operation bis zu einer angemessenen Rekompensation zu verschieben.
Die perioperativen Zielblutglukosewerte werden kontrovers diskutiert. Grundsätzlich sollen jedoch Hypo- und schwere Hyperglykämien vermieden werden. Es ist daher begründet und vernünftig, die Blutzuckerspiegel zwischen 140–180 mg/dl (7,8–10 mmol/l) zu halten; selten sind niedrigere Werte sinnvoll.