Einleitung
Die außerklinische
Beatmung ist personalintensiv und teuer. Die Jahrestherapiekosten eines außerklinisch invasiv beatmeten Patienten können bis zu 300.000 Euro betragen. Die Anzahl der Ersteinleitungen steigt stetig, der weitaus größte Anteil entfällt hierbei auf die
nicht-invasive Beatmung. Ca. 40 % aller Patienten in Deutschland, welche aus einem Weaning-Zentrum entlassen werden, benötigen eine außerklinische Beatmung (Windisch et al.
2020).
Nach der Therapie einer akuten
respiratorischen Insuffizienz mittels
maschineller Beatmung können viele Patienten nur verzögert vom Respirator entwöhnt werden. Um ein erfolgreiches
Weaning zu erzielen, erfolgt die Verlegung dieser Patienten zunächst oft in spezialisierte Weaningzentren. Wenn trotz aller getroffenen Maßnahmen keine Entwöhnung vom Respirator möglich ist, muss eine außerklinische
Beatmung in Erwägung gezogen werden.
Auch Erkrankungen mit rasch progredienter
respiratorischer Insuffizienz wie z. B. eine
Amyotrophe Lateralsklerose erfordern ab einem gewissen Zeitpunkt eine außerklinische
Beatmung. Da mit Diagnosestellung der Grunderkrankung die Notwendigkeit einer Beatmungstherapie früh erkannt wird, kann die Organisation frühzeitig ins Auge gefasst werden.
Im Gegensatz dazu ist die Indikationsstellung für eine außerklinischen
Beatmung im Rahmen eines prolongierten
Weanings ein längerer Prozess. Hier ist die
respiratorische Insuffizienz meist multifaktoriell bedingt. Sie entsteht nach einer langen Folge von für sich genommen reversibler Krisen auf dem Boden einer vorbestehenden – häufig pulmonalen – Grunderkrankung (Windisch et al.
2020).
Generell gilt es zu beachten, dass Angehörige und Patient zu jedem Zeitpunkt in die Entscheidung für oder gegen eine Beatmungstherapie eingebunden werden müssen und die Entscheidung weder dem
Patientenwillen noch den Grundsätzen der Palliativmedizin widersprechen darf.
Um eine adäquate Versorgung der Patienten mit außerklinischer
Beatmung sicherzustellen ist eine umfassende Organisation mit Einbindung vieler Fachrichtungen und Spezialisten notwendig.
Nachvollziehbar, aber vielleicht nicht hilfreich ist, dass die Behandler nach ehrgeizigen Therapieversuchen ein Weaningversagen mit der Notwendigkeit einer sich anschließenden außerklinischen Beatmungstherapie als ein Scheitern ihrer Bemühungen verstehen. So gerät man als Behandlerteam schnell in ein medizinisches Dilemma: Wie soll man sich bei einer Abhängigkeit von
Beatmungsgeräten, aber inzwischen fehlendem Lebenswillen bzw. fehlender Möglichkeit, den eigenen Willen zu äußern verhalten?
Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie die Indikation für eine außerklinische
Beatmung nach intensivstationärer Behandlung gestellt werden kann und wie Barrieren, die einer erfolgreichen Aufnahme einer außerklinischen Beatmung im Weg stehen, frühzeitig erkannt und überwunden werden können.
Wann muss und sollte die Indikation für eine Heimbeatmung gestellt werden?
Im Falle eines erfolglosen
Weanings sollte vor Einleitung einer Heimbeatmung die Verlegung in ein qualifiziertes Weaningzentrum erfolgen. In einem derartigen Zentrum kann dann in bis zu 80 % der Fälle dennoch ein erfolgreiches Weaning erzielt werden (Bornitz et al.
2020).
Wurde ein Patient in ein qualifiziertes Weaningzentrum verlegt und konnte auch dort trotz aller Bemühungen, nach Ausschluss aller reversiblen Ursachen einer
respiratorischen Insuffizienz, kein stabiler pulmonaler Gasaustausch ohne eine
Beatmung erreicht werden, so muss ggf. eine außerklinische Beatmungstherapie in Betracht gezogen werden.
Für Erkrankungen mit meist elektiver Einleitung einer außerklinischen
Beatmung existieren unterschiedliche Kriterien zur Indikationsstellung je nach dem zugrundeliegenden Krankheitsbild. Grundvoraussetzung ist im Regelfall der Nachweis einer ventilatorischen Insuffizienz anhand einer chronischen Hyperkapnie tagsüber oder ein nächtlicher pCO
2-Anstieg.
Bei diesen chronischen Erkrankungen ist im Regelfall dauerhaft die Notwendigkeit einer außerklinischen
Beatmung gegeben.
Im Unterschied hierzu ist es bei Patienten nach Weaningversagen oder prolongiertem
Weaning mit Fortführung einer außerklinischen
nicht-invasiven Beatmung (NIV) auch möglich, dass sich im weiteren Verlauf noch ein Weaningpotential entwickelt (Schönhofer et al.
2014). Auch hier ist wiederum die für die ventilatorische Insuffizienz zugrundeliegende Ursache ausschlaggebend. Im Falle einer critical-illness-Neuropathie kann unter Umständen durch konsequente Physiotherapie eine erfolgreiches Weaning erzielt werden.
Andererseits profitieren Patienten mit
COPD und persistierender Hyperkapnie >53 mmHg 2–4 Wochen nach Rückbildung der respiratorischen Azidose von einer
Beatmung, welche über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird. In dieser Konstellation senkt eine außerklinische
nicht-invasive Beatmung die Rehospitalisierungsrate (Murphy et al.
2017).
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die zugrundeliegende Erkrankung so optimal wie möglich behandelt wird. Darüber hinaus ist eine effiziente Behandlung der Begleiterkrankungen essenziell. Eine außerklinische invasive
Beatmung sollte u. a. dann eingeleitet werden, wenn eine NIV nicht toleriert wird, keine Spontanatmung mehr möglich ist, aber auch bei schwerer Dysphagie in Kombination mit undurchführbarem Sekretmanagement (Giesa et al.
2017).
Warum sind die eigene Wohnung oder eine qualifizierte Pflegeeinrichtung die am besten geeigneten Orte für eine außerklinische Langzeitbeatmung?
Primär ist eine Steigerung der
Lebensqualität sowie die maximal mögliche Integration der Patienten in ihr soziales Umfeld durch eine
Beatmung im häuslichen Umfeld erwünscht (Downes et al.
2007). Gerade bei außerklinisch invasiv beatmeten jungen Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen kann eine gute Lebensqualität (Huttmann et al.
2015) erreicht werden. Sekundäre Ziele sind eine Kostenminimierung sowie die Entlastung der Intensivstationen, um andere akut erkrankte Patienten versorgen zu können. Auch das Risiko einer Infektion durch
multiresistente Erreger kann durch eine Versorgung außerhalb des Krankenhauses gesenkt werden (MacIntyre et al.
2005). Aber auch hier stellen Infektionen eine häufige Komplikation mit Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung dar (Kun et al.
2012). Die Unterschiede aus Sicht der Patienten zwischen einer stationären und einer häuslichen Versorgung zeigt Tab.
1.
Tab. 1
Patienteneindruck Intensivstation vs. zu Hause. (Mod. nach (MacIntyre et al.
2005))
Lärm | Relativ ruhig |
Hell | Tag-und-Nacht-Rhythmus |
Eingeschränkte Sicht nach draußen | Außenwelt einfacher sichtbar und vielleicht sogar zugänglich |
Überfüllt und beengend | Geräumig |
Besucherzeiten eingeschränkt | Unterstützende Besuche erwünscht |
Immobilisation | Mobilität vergrößert |
Sterile Umgebung | Persönliche Dinge |
Wenig Selbstkontrolle | Mehr Unabhängigkeit |
Eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten | Mehr Zeit für Gespräche |
Hohe Abhängigkeit von Technik | Mehr Vertrauen auf Unterstützung durch die Familie |
Geringe Behandlungszeit durch Pflegepersonal | Liebevolle Pflege durch die Familie |
Nichtinvasive Beatmung versus Tracheotomie und invasive Beatmung
Die Vorteile der
nicht-invasiven Beatmung liegen in einer Steigerung der
Lebensqualität durch die Erhaltung des natürlichen Atemweges. Der Stimmapparat bleibt benutzbar. Außerdem wird das Risiko für Trachealverletzungen reduziert.
Trotz eines reduzierten Aspirationsrisikos steigt durch eine invasive Beatmungstherapie das Risiko von pulmonalen Infektionen. Zudem spielen ökonomische Aspekte eine Rolle, da die Kosten für die Betreuung invasiv beatmeter Patienten hoch sind.
Üblicherweise werden Patienten mit ausschließlich nächtlichem Beatmungsbedarf nicht-invasiv und Patienten mit einer Beatmungspflichtigkeit von mehr als 20 Stunden am Tag invasiv beatmet.
Tab.
2 zeigt eine Übersicht von Erkrankungen, die eine nicht-invasive oder auch invasive
Beatmung notwendig machen können.
Tab. 2
Erkrankungen mit ggf. vorhandener Option/Indikation zur Heimbeatmung (Mod. nach Make et al.
1998)
Erkrankungen des zentralen Nervensystems | – SHT – zerebrovaskuläre Erkrankung – angeborene oder erworbene zentrale Atemstörung – Meningomyelozele – Rückenmarktrauma |
Neuromuskuläre Erkrankungen | – Muskeldystrophien – Phrenikusparese – spinale Muskelatrophie – myotone Dystrophie |
Skeletterkrankungen | – Kyphoskoliose – Thoraxwanddeformitäten – Zustand nach Thorakoplastie |
Kardiovaskuläre Erkrankungen | – erworbene Herzinsuffizienz |
Atemwegserkrankungen | Obere Atemwege | – Pierre-Robin Syndrom – Stimmbandparese |
Untere Atemwege | – bronchopulmonale Dysplasie – Interstitielle Lungenerkrankungen |