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Die Intensivmedizin
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Publiziert am: 01.12.2022

Heimbeatmung und Überleitung in die Heimbeatmung

Verfasst von: Christopher Wagner, Sönke Wallis und Daniel Drömann
Dieses Kapitel beschreibt die Indikationen für eine Heimbeatmung und geht auch auf die organisatorischen Voraussetzungen ein. Es handelt sich um ein zunehmendes Patientenklientel in Deutschland.
Zudem wird auf verschiedene Beatmungsformen in der häuslichen Beatmung eingegangen. Ethische Aspekte der Beatmung und Heimbeatmung werden adressiert und die unbedingt erforderliche Beachtung des Patientenwillens.

Einleitung

Die außerklinische Beatmung ist personalintensiv und teuer. Die Jahrestherapiekosten eines außerklinisch invasiv beatmeten Patienten können bis zu 300.000 Euro betragen. Die Anzahl der Ersteinleitungen steigt stetig, der weitaus größte Anteil entfällt hierbei auf die nicht-invasive Beatmung. Ca. 40 % aller Patienten in Deutschland, welche aus einem Weaning-Zentrum entlassen werden, benötigen eine außerklinische Beatmung (Windisch et al. 2020).
Nach der Therapie einer akuten respiratorischen Insuffizienz mittels maschineller Beatmung können viele Patienten nur verzögert vom Respirator entwöhnt werden. Um ein erfolgreiches Weaning zu erzielen, erfolgt die Verlegung dieser Patienten zunächst oft in spezialisierte Weaningzentren. Wenn trotz aller getroffenen Maßnahmen keine Entwöhnung vom Respirator möglich ist, muss eine außerklinische Beatmung in Erwägung gezogen werden.
Auch Erkrankungen mit rasch progredienter respiratorischer Insuffizienz wie z. B. eine Amyotrophe Lateralsklerose erfordern ab einem gewissen Zeitpunkt eine außerklinische Beatmung. Da mit Diagnosestellung der Grunderkrankung die Notwendigkeit einer Beatmungstherapie früh erkannt wird, kann die Organisation frühzeitig ins Auge gefasst werden.
Im Gegensatz dazu ist die Indikationsstellung für eine außerklinischen Beatmung im Rahmen eines prolongierten Weanings ein längerer Prozess. Hier ist die respiratorische Insuffizienz meist multifaktoriell bedingt. Sie entsteht nach einer langen Folge von für sich genommen reversibler Krisen auf dem Boden einer vorbestehenden – häufig pulmonalen – Grunderkrankung (Windisch et al. 2020).
Generell gilt es zu beachten, dass Angehörige und Patient zu jedem Zeitpunkt in die Entscheidung für oder gegen eine Beatmungstherapie eingebunden werden müssen und die Entscheidung weder dem Patientenwillen noch den Grundsätzen der Palliativmedizin widersprechen darf.
Um eine adäquate Versorgung der Patienten mit außerklinischer Beatmung sicherzustellen ist eine umfassende Organisation mit Einbindung vieler Fachrichtungen und Spezialisten notwendig.
Nachvollziehbar, aber vielleicht nicht hilfreich ist, dass die Behandler nach ehrgeizigen Therapieversuchen ein Weaningversagen mit der Notwendigkeit einer sich anschließenden außerklinischen Beatmungstherapie als ein Scheitern ihrer Bemühungen verstehen. So gerät man als Behandlerteam schnell in ein medizinisches Dilemma: Wie soll man sich bei einer Abhängigkeit von Beatmungsgeräten, aber inzwischen fehlendem Lebenswillen bzw. fehlender Möglichkeit, den eigenen Willen zu äußern verhalten?
Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie die Indikation für eine außerklinische Beatmung nach intensivstationärer Behandlung gestellt werden kann und wie Barrieren, die einer erfolgreichen Aufnahme einer außerklinischen Beatmung im Weg stehen, frühzeitig erkannt und überwunden werden können.

Wann muss und sollte die Indikation für eine Heimbeatmung gestellt werden?

Im Falle eines erfolglosen Weanings sollte vor Einleitung einer Heimbeatmung die Verlegung in ein qualifiziertes Weaningzentrum erfolgen. In einem derartigen Zentrum kann dann in bis zu 80 % der Fälle dennoch ein erfolgreiches Weaning erzielt werden (Bornitz et al. 2020).
Wurde ein Patient in ein qualifiziertes Weaningzentrum verlegt und konnte auch dort trotz aller Bemühungen, nach Ausschluss aller reversiblen Ursachen einer respiratorischen Insuffizienz, kein stabiler pulmonaler Gasaustausch ohne eine Beatmung erreicht werden, so muss ggf. eine außerklinische Beatmungstherapie in Betracht gezogen werden.
Für Erkrankungen mit meist elektiver Einleitung einer außerklinischen Beatmung existieren unterschiedliche Kriterien zur Indikationsstellung je nach dem zugrundeliegenden Krankheitsbild. Grundvoraussetzung ist im Regelfall der Nachweis einer ventilatorischen Insuffizienz anhand einer chronischen Hyperkapnie tagsüber oder ein nächtlicher pCO2-Anstieg.
Die Grenzwerte unterscheiden sich hierbei je nach zugrundliegender Erkrankung wie z. B. COPD, neuromuskuläre Erkrankungen, Obesitas-Hypoventilationssyndrom usw. (Windisch et al. 2017).
Bei diesen chronischen Erkrankungen ist im Regelfall dauerhaft die Notwendigkeit einer außerklinischen Beatmung gegeben.
Im Unterschied hierzu ist es bei Patienten nach Weaningversagen oder prolongiertem Weaning mit Fortführung einer außerklinischen nicht-invasiven Beatmung (NIV) auch möglich, dass sich im weiteren Verlauf noch ein Weaningpotential entwickelt (Schönhofer et al. 2014). Auch hier ist wiederum die für die ventilatorische Insuffizienz zugrundeliegende Ursache ausschlaggebend. Im Falle einer critical-illness-Neuropathie kann unter Umständen durch konsequente Physiotherapie eine erfolgreiches Weaning erzielt werden.
Andererseits profitieren Patienten mit COPD und persistierender Hyperkapnie >53 mmHg 2–4 Wochen nach Rückbildung der respiratorischen Azidose von einer Beatmung, welche über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird. In dieser Konstellation senkt eine außerklinische nicht-invasive Beatmung die Rehospitalisierungsrate (Murphy et al. 2017).
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die zugrundeliegende Erkrankung so optimal wie möglich behandelt wird. Darüber hinaus ist eine effiziente Behandlung der Begleiterkrankungen essenziell. Eine außerklinische invasive Beatmung sollte u. a. dann eingeleitet werden, wenn eine NIV nicht toleriert wird, keine Spontanatmung mehr möglich ist, aber auch bei schwerer Dysphagie in Kombination mit undurchführbarem Sekretmanagement (Giesa et al. 2017).

Warum sind die eigene Wohnung oder eine qualifizierte Pflegeeinrichtung die am besten geeigneten Orte für eine außerklinische Langzeitbeatmung?

Primär ist eine Steigerung der Lebensqualität sowie die maximal mögliche Integration der Patienten in ihr soziales Umfeld durch eine Beatmung im häuslichen Umfeld erwünscht (Downes et al. 2007). Gerade bei außerklinisch invasiv beatmeten jungen Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen kann eine gute Lebensqualität (Huttmann et al. 2015) erreicht werden. Sekundäre Ziele sind eine Kostenminimierung sowie die Entlastung der Intensivstationen, um andere akut erkrankte Patienten versorgen zu können. Auch das Risiko einer Infektion durch multiresistente Erreger kann durch eine Versorgung außerhalb des Krankenhauses gesenkt werden (MacIntyre et al. 2005). Aber auch hier stellen Infektionen eine häufige Komplikation mit Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung dar (Kun et al. 2012). Die Unterschiede aus Sicht der Patienten zwischen einer stationären und einer häuslichen Versorgung zeigt Tab. 1.
Tab. 1
Patienteneindruck Intensivstation vs. zu Hause. (Mod. nach (MacIntyre et al. 2005))
Intensivstation
Zu Hause
Lärm
Relativ ruhig
Hell
Tag-und-Nacht-Rhythmus
Eingeschränkte Sicht nach draußen
Außenwelt einfacher sichtbar und vielleicht sogar zugänglich
Überfüllt und beengend
Geräumig
Besucherzeiten eingeschränkt
Unterstützende Besuche erwünscht
Immobilisation
Mobilität vergrößert
Sterile Umgebung
Persönliche Dinge
Wenig Selbstkontrolle
Mehr Unabhängigkeit
Eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten
Mehr Zeit für Gespräche
Hohe Abhängigkeit von Technik
Mehr Vertrauen auf Unterstützung durch die Familie
Geringe Behandlungszeit durch Pflegepersonal
Liebevolle Pflege durch die Familie

Nichtinvasive Beatmung versus Tracheotomie und invasive Beatmung

Die Vorteile der nicht-invasiven Beatmung liegen in einer Steigerung der Lebensqualität durch die Erhaltung des natürlichen Atemweges. Der Stimmapparat bleibt benutzbar. Außerdem wird das Risiko für Trachealverletzungen reduziert.
Trotz eines reduzierten Aspirationsrisikos steigt durch eine invasive Beatmungstherapie das Risiko von pulmonalen Infektionen. Zudem spielen ökonomische Aspekte eine Rolle, da die Kosten für die Betreuung invasiv beatmeter Patienten hoch sind.
Üblicherweise werden Patienten mit ausschließlich nächtlichem Beatmungsbedarf nicht-invasiv und Patienten mit einer Beatmungspflichtigkeit von mehr als 20 Stunden am Tag invasiv beatmet.
Tab. 2 zeigt eine Übersicht von Erkrankungen, die eine nicht-invasive oder auch invasive Beatmung notwendig machen können.
Tab. 2
Erkrankungen mit ggf. vorhandener Option/Indikation zur Heimbeatmung (Mod. nach Make et al. 1998)
Erkrankungen des zentralen Nervensystems
– SHT
– zerebrovaskuläre Erkrankung
– angeborene oder erworbene zentrale Atemstörung
– Meningomyelozele
– Rückenmarktrauma
Neuromuskuläre Erkrankungen
– Muskeldystrophien
– Phrenikusparese
– spinale Muskelatrophie
– myotone Dystrophie
Skeletterkrankungen
– Kyphoskoliose
– Thoraxwanddeformitäten
– Zustand nach Thorakoplastie
Kardiovaskuläre Erkrankungen
– angeborene Herzinsuffizienz
– erworbene Herzinsuffizienz
Atemwegserkrankungen
Obere Atemwege
– Pierre-Robin Syndrom
– Stimmbandparese
Untere Atemwege
– bronchopulmonale Dysplasie
COPD
– Komplikationen von infektiösen Pneumonien
– Interstitielle Lungenerkrankungen

Zeitpunkt für die Entlassung eines beatmeten Patienten

Die Wahl des optimalen Zeitpunktes der Entlassung eines beatmeten Patienten bleibt eine individuelle Entscheidung.

Voraussetzungen

Grundvoraussetzung für eine Entlassung der Patienten ist die Zustimmung des Patienten und sein Wunsch nach einer außerklinischen Beatmungstherapie sowie eine entsprechende Ausstattung und Fachkompetenz des übernehmenden Beatmungsteams. Daneben sollte nicht nur eine adäquate ambulante Weiterbetreuung sichergestellt sein, sondern es sollte auch nach Entlassung die Anbindung an ein Weaning- und Beatmungszentrum sichergestellt sein. Dies ist nicht nur für die notwendigen Kontrollen und Therapieoptimierungen der Beatmung erforderlich, sondern auch für die Reevaluation des Weaningpotentials oder einer Dekanülierungsmöglichkeit. Gerade bei Patienten mit multifaktoriell bedingter ventilatorischer Insuffizienz nach intensivstationärer Behandlung entwickelt sich nach einem initial erfolglosen Weaning noch ein Weaningpotential. Dies ist insbesondere bei critical-illness-Neuropathie, der Stabilisierung von Komorbiditäten oder Regredienz einer Dysphagie möglich (Schönhofer et al. 2014).
Neben diesen Voraussetzungen muss auch die Versorgung mit den notwendigen Hilfsmitteln wie z. B. Ernährungspumpe, Absaugung, Sauerstoffversorgung, Pflegebett und vieles mehr erfolgen. Zu beachten ist insbesondere, dass bei Beatmungszeiten von >16 h die Verordnung eines zweiten Beatmungsgeräts erforderlich ist (Windisch et al. 2017).
Generell sind allgemein übliche Kriterien zur Entlassung aus dem Krankenhaus auch bei außerklinisch beatmeten Patienten zu beachten. Bei außerklinisch beatmeten Patienten sollten jedoch einige Punkte eine besondere Beachtung erhalten:
  • Möglichkeit zur Umstellung auf NIV wurde geprüft
  • Es existiert ein stabiler Atemweg
  • Die Beatmungssituation ist mit dem außerklinischen Beatmungsgerät stabil (Windisch et al. 2017)
In den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. werden keine allgemeingültigen Beatmungsparameter als Voraussetzung für die Krankenhausentlassung definiert (Windisch et al. 2017; Schönhofer et al. 2014). Weiterhin sollte ein funktionierendes Sekretmanagement etabliert sein. Insbesondere bei neuromuskulär erkrankten Patienten mit Husteninsuffizienz ist evtl. eine mechanische Hustenhilfe notwendig und indiziert (Windisch et al. 2017).

Überleitmanagement

Ist die Indikation zur außerklinischen Beatmung gestellt und liegt das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters vor, kann die Überleitung in die ambulante Versorgung in die Wege geleitet werden. Es empfiehlt sich ausreichend lange, spätestens 2 Wochen, vor der geplanten Entlassung mit dem Überleitprozess zu beginnen. Das Einberufen einer Überleitkonferenz zur Planung der Entlassung ist dringend zu empfehlen. Bereits im Vorfeld sollte ein frühzeitiges Einbinden der Kostenträger erfolgen um ein qualifiziertes Überleitmanagement zu gewährleisten.
An der Überleitkonferenz sollten idealerweise die weiter betreuende Pflegeinstitution, der Hausarzt/der weiter betreuende Vertragsarzt, der Kostenträger, der vertraglich ermächtigte Leistungserbringer und der MDK, aber auch die Angehörigen des Patienten sowie der Patient selbst teilnehmen (Randerath et al. 2011).
Literatur
Bornitz F, Ewert R, Knaak C, Magnet FS, Windisch W, Herth F (2020) Weaning from invasive ventilation in specialist centers following primary weaning failure: a prospective multi-center study of weanability in patients receiving prolonged domiciliary ventilation. Dtsch Arztebl Int 117(12):205–210. https://​doi.​org/​10.​3238/​arztebl.​2020.​0205CrossRefPubMedPubMedCentral
Downes JJ, Boroughs DS, Dougherty J, Parra M (2007) A statewide program for home care of children with chronic respiratory failure. Caring 26(9):16–8, 20, 22–3 passim
Giesa C, Wolter F, Ewig S (2017) Infektionen bei außerklinischer Beatmung. DMW – Dtsch Med Wochenschr 142(16):1211–1216. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0042-121788CrossRef
Huttmann SE, Windisch W, Storre JH (2015) Invasive home mechanical ventilation: living conditions and health-related quality of life. Respiration 89(4):312–321. https://​doi.​org/​10.​1159/​000375169CrossRefPubMed
Kun SS, Edwards JD, Davidson Ward SL, Keens TG (2012) Hospital readmissions for newly discharged pediatric home mechanical ventilation patients. Pediatr Pulmonol 47(4):409–414. https://​doi.​org/​10.​1002/​ppul.​21536CrossRefPubMed
MacIntyre NR et al (2005) Management of patients requiring prolonged mechanical ventilation: report of a NAMDRC consensus conference. Chest 128(6):3937–3954. https://​doi.​org/​10.​1378/​chest.​128.​6.​3937CrossRefPubMed
Make BJ et al (1998) Mechanical ventilation beyond the intensive care unit. Report of a consensus conference of the American College of Chest Physicians. Chest 113(5 Suppl):289S–344S. https://​doi.​org/​10.​1378/​chest.​113.​5_​supplement.​289sCrossRefPubMed
Murphy PB et al (2017) Effect of home noninvasive ventilation with oxygen therapy vs oxygen therapy alone on hospital readmission or death after an acute COPD exacerbation: a randomized clinical trial. JAMA 317(21):2177–2186. https://​doi.​org/​10.​1001/​jama.​2017.​4451CrossRefPubMedPubMedCentral
Randerath WJ et al (2011) Durchführungsempfehlungen zur invasiven außerklinischen Beatmung. Pneumologie 65(2):72–88. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0030-1256121CrossRefPubMed
Schönhofer B et al (2014) Prolongiertes Weaning. Pneumologie 68(01):19–75. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0033-1359038CrossRefPubMed
Windisch W et al (2017) S2k-Leitlinie: Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz – Revision 2017. Pneumologie 71(11):722–795. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0043-118040CrossRefPubMed
Windisch W et al (2020) Prolonged weaning from mechanical ventilation results from specialized weaning: centers – a registry-based study from the WeanNet initiative. Dtsch Arztebl Int 117(12):197–204. https://​doi.​org/​10.​3238/​arztebl.​2020.​0197CrossRefPubMedPubMedCentral