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Die Intensivmedizin
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Publiziert am: 22.03.2023

Teleintensivmedizin – Möglichkeiten und Grenzen einer Innovation

Verfasst von: Gernot Marx und Robert Deisz
Die Intensivmedizin wird durch den demografischen Wandel und zunehmende Behandlungszahlen, bei gleichzeitig bestehendem Ärztemangel, vor eine Herausforderung gestellt. Eine Möglichkeit, die Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten, stellt die Teleintensivmedizin dar. In den USA hat sich durch den Mangel an Intensivmedizinern in den letzten Jahren bereits eine umfassende teleintensivmedizinische Zusatzversorgung entwickelt; mittlerweile sind 11 % aller Krankenhäuser durch ein Telemedizinzentrum mitbetreut. Der positive Einfluss in Bezug auf Behandlungsqualität, Patientensicherheit und ökonomische Faktoren wurde in zahlreichen Multicenter-Studien bestätigt.
Durch teleintensivmedizinische Zusatzversorgung kann eine relevante Verbesserung intensivmedizinischer Behandlungsergebnisse, sowohl während des Krankenhausaufenthaltes, als auch im Langzeitergebnis bis zur Entlassung erreicht werden. Teleintensivmedizin ist weder ein Allheilmittel, noch ein arztersetzendes Verfahren, sondern eine neue Form ärztlicher Kooperation.

Hintergrund

Der demografische Wandel der Bevölkerung bedingt einen zunehmenden Bedarf an intensivmedizinischer Versorgung. Zu erwarten sind eine steigende Zahl von Krankenhausbehandlungen, mit überproportional hochbetagten Patienten und komplexeren Krankheitsbildern sowie daraus resultierend zunehmender Inzidenz der Sepsis (Michalsen und Hartog 2013). Es ist von enormer Wichtigkeit, die Versorgungsqualität bei zunehmender Komplexität der Intensivbehandlungen zu sichern (Brinkmann et al. 2015).
Die Teleintensivmedizin ist ein erfolgversprechendes Modell, auftretende Versorgungslücken zu schließen sowie Patientensicherheit, Qualität der Behandlung und ökonomische Faktoren positiv zu beeinflussen. In den USA hat sich durch einen Mangel an Intensivmedizinern, welche bisher nur für 10–20 % der Krankenhäuser zur Verfügung standen, bereits eine umfassende teleintensivmedizinische Zusatzversorgung, vor allem im ländlichen Raum, entwickelt (Marx et al. 2022). Mittlerweile sind 11 % der Intensivstationen durch ein Teleintensivprogramm mitbetreut; hierbei beträgt der Anteil betreuter Intensivstationen kleinerer Krankenhäuser, mit durchschnittlich 300 Betten, etwa 60 %. Der Anteil größerer Krankenhäuser mit größeren Intensivstationen, mit durchschnittlich 19 Betten, beträgt etwa 30 % (Lilly et al. 2014a).

Definition von Teleintensivmedizin

Die „American Telemedicine Association“ beschreibt Telemedizin als einen Austausch medizinischer Informationen zwischen 2 Orten durch elektronische Kommunikationsmittel, mit dem Ziel, den Gesundheitszustand eines Patienten zu verbessern. Kommunikationsmittel können hierbei Video- und Audioübertragung sowie elektronische Übermittlung von Vitalparametern und Untersuchungsbefunden sein. Zu betonen ist, dass Telemedizin nicht einheitlich definiert ist und Unterschiede in der Umsetzung bestehen.
Teleintensivmedizin beschreibt die Anwendung von Telemedizin auf der Intensivstation. Hierbei unterstützt und berät ein Telemedizinzentrum eine unterschiedliche Anzahl an Satellitenintensivstationen (Abb. 1). Ein kontinuierlicher Datenaustausch in Echtzeit ermöglicht regelmäßige Visiten sowie Konsultationen bei Bedarf, zwischen behandelnden Ärzten vor Ort und ihren Fachkollegen auf der Teleintensivstation. Zusätzlich können Experten unterschiedlicher Disziplinen beratend an den Visiten teilnehmen. Die Kombination aus Audio-/Videokonferenz, der Übertragung von Vitaldaten und elektronischer Dokumentation bietet eine gemeinsame, einheitliche Sicht auf den Patienten. Teleintensivmedizin ist jedoch nicht allein auf die technische Dimension begrenzt, sondern bietet ein komplexes Zusammenspiel aus technischer Kommunikationsinfrastruktur, erweiterten Monitoring-Algorithmen zur Entscheidungsunterstützung und auch Umsetzung von anerkannten Behandlungsbündeln zur Verstärkung der Leitlinienadhärenz.

Gegenwärtige Evidenz

Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Teleintensivmedizin (Abb. 2). Die größte Multicenter-Studie von Lilly et al. (2014b) untersuchte 107.432 Patienten auf 56 Intensivstationen in 32 Krankenhäusern in der Interventionsgruppe. Dabei betrug die durchschnittliche Dauer der teleintensivmedizinischen Versorgung, im Sinne einer Interaktion zwischen Teleintensivstation und lokaler Intensivstation, 1340 Tage (729–2056 Tage), sodass die Beobachtung von Kurzzeiteffekten eher unwahrscheinlich ist. Im Vergleich zur Kontrollgruppe führten telemedizinische Interventionen zu einer Reduktion der Krankenhaussterblichkeit – Hazard Ratio (HR) = 0,84; 95 %-iges Konfidenzintervall (95 % CI) 0,78–0,89; p <0,001 – sowie der Sterblichkeit auf der Intensivstation (HR = 0,74; 95 % CI 0,68–0,79; p <0,001). Darüber hinaus konnte die Liegedauer im Krankenhaus und auf der Intensivstation gesenkt werden.
Weitere große Studien von Sadaka et al. (2013) sowie Zawada et al. (2009) zeigen ebenfalls eine Reduktion von Sterblichkeit und Verweildauer auf der Intensivstation sowie im Krankenhaus. Eine Verlängerung der Krankenhausliegedauer in ersterer Studie erklären sich die Autoren dadurch, dass mehr Patienten den Intensivaufenthalt überlebten und somit längere Zeit im Krankenhaus verbrachten. Bei der Analyse von kleineren Krankenhäusern zeigte sich, dass durch telemedizinische Beratung seltener Patiententransporte in größere Einheiten notwendig waren. An Patienten, die an einer Sepsis litten, konnte gezeigt werden, dass sich durch Verlegungen zum Teil erhebliche Therapieverzögerungen ergeben können (Faine et al. 2015).
In einem Prä-post-Vergleich einer teleintensivmedizinischen Intervention konnte an rund 950 Patienten gezeigt werden, dass sowohl die Sterblichkeit (von 21,4 auf 14,7 %), als auch die risikoadjustierte Sterblichkeit (um 29,5 % im Vergleich zur Kontrollgruppe) signifikant gesenkt werden konnten (McCambridge et al. 2010). Bei Patienten der Interventionsgruppe war auch eine invasive Beatmung seltener notwendig. Die Unterschiede sind nach Ansicht der Autoren unter anderem dadurch erklärbar, dass in der Interventionsgruppe rund um die Uhr ein Intensivmediziner für die Behandlung der Patienten verfügbar war, wohingegen in der Kontrollgruppe eine 16-stündige Präsenz mit zusätzlichem Rufdienst gegeben war. Eine generelle Übertragbarkeit dieser positiven Ergebnisse auf alle teleintensivmedizinischen Kooperationsmodelle kann nicht angenommen werden, da Erkrankungsschwere, Organisationsform der intensivmedizinischen Versorgung und Akzeptanz einer externen telemedizinischen Betreuung beeinflussende Faktoren sind. Aufgrund der günstigen Ergebnisse von Studien mit großen Fallzahlen ist jedoch anzunehmen, dass schon bei durchschnittlicher Erkrankungsschwere positive Effekte überwiegen. Wie am Beispiel von Nassar (Nassar et al. 2014) an einer Matched-pair-Analyse zwischen Teleintensivmedizin und konventioneller Versorgung gezeigt, gibt es möglicherweise Einrichtungen, die aufgrund einer sehr günstigen Ausgangslage nur wenig von teleintensivmedizinischen Interventionen profitieren. Angepasste Versorgungskonzepte, wie z. B. eine Abdeckung von Spitzenauslastungen, Wochenenden und Nachtschichten könnten auch für diese Institutionen weitere Vorteile bringen.
Der günstige Einfluss ist nicht nur für kleine Intensivstationen oder entlegene Krankenhäuser nachweisbar, sondern lässt sich auch für größere Krankenhäuser und universitäre Einrichtungen reproduzieren. In einer Studie an 6290 Patienten auf 7 Intensivstationen eines akademischen Krankenhauses untersuchten Lilly et al. (2011) den Einfluss von Telemedizin auf vermeidbare Komplikationen durch leitliniengerechte Behandlung. In der Interventionsgruppe zeigte sich eine höhere Leitlinienadhärenz zur Prävention tiefer Venenthrombosen und Stressulzera. Das Auftreten von katheterassoziierten Infektionen und beatmungsassoziierten Pneumonien konnte signifikant reduziert werden. Durch tägliche Überprüfung der Beatmungsstrategie wurden mehr Patienten lungenprotektiv beatmet, während Beatmungszeit und Sterblichkeit gesenkt werden konnten (Kalb et al. 2014). Die Unterstützung durch einen Pharmakologen bewirkte einen signifikanten Anstieg der täglich durchgeführten Sedierungspausen (Forni et al. 2010). In systematischen Reviews und Metaanalysen konnten die Effekte auf Sterblichkeit und Liegedauer bestätigt werden (Wilcox und Adhikari 2012; Coustasse et al. 2014; Cummings et al. 2007). Des Weiteren zeigte sich eine verbesserte Patientensicherheit durch höhere Leitlinienadhärenz und Reduktion von Medikationsfehlern. Die Behandlungskosten konnten im Durchschnitt gesenkt werden.
Darüber hinaus sind positive Effekte nicht nur auf die Zeit des Krankenhausaufenthaltes begrenzt, sondern auch auf die nachfolgende Versorgungssituation der Patienten feststellbar (Lilly et al. 2011). Die Anzahl überlebender Patienten nimmt zu, gleichzeitig kommt es zu einem Rückgang des Anteils längerfristig pflegebedürftiger Patienten. Das dürfte sozialmedizinisch von großem Interesse sein.

Nutzennachweis teleintensivmedizinischer Interventionen in Deutschland

Zusätzlich zum Wirksamkeitsnachweis in internationalen Studien wurden auch in Deutschland die Übertragbarkeit des Konzepts sowie eine Verbesserung des Behandlungsergebnisses belegt.
In einer observationalen multizentrischen Studie (Deisz et al. 2019) zur teleintensivmedizinischen Unterstützung bei der Diagnostik und Therapie wurden bei 196 Patientinnen und Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock eine Steigerung der Leitlinienadhärenz zum 3-h- und 6-h-Bundle der Surviving Sepsis Campaign sowie eine Reduktion der Sterblichkeit nachgewiesen.
In der bislang größten Telemedizinstudie (Marx et al. 2022) in Deutschland, Telnet@NRW wurde in einem clusterrandomisierten kontrollierten Stepped-wedge-Design bei über 10.000 intensivmedizinisch behandelten Patientinnen und Patienten die Chance einer leitlinienkonformen Therapie der schweren Sepsis und des septischen Schocks erhöht – Odds Ratio (OR) 6,8 – und gleichzeitig eine Senkung der Sepsissterblichkeit um 5 % demonstriert. Für stationär behandelte Patientinnen und Patienten wurde die Chance einer empfehlungskonformen Diagnostik und Therapie einer Staphylococcus-aureus-Bakteriämie erhöht (OR 4,0).
Das in dieser Studie geschaffene sektorenübergreifende Netzwerk wies eine hohe Nutzerakzeptanz auf und wurde auch wegen seiner robusten technologischen Funktion und des belegten medizinischen Nutzens während der Coronapandemie in eine Vorstufe des Virtuellen Krankenhauses NRW überführt.
Im Bereich der Teleintensivmedizin des Virtuellen Krankenhauses war während der COVID-19-Pandemie in der Gruppe der beatmeten Patientinnen und Patienten mit zusätzlichen telemedizinischen Konsilen die Sterblichkeit mit 34,2 % (Dohmen et al. 2021) niedriger als 53 % in einer bundesweiten Vergleichsgruppe ohne teleintensivmedizinische Konsile (Karagiannidis et al. 2020).Damit konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass Teleintensivmedizin durch die digitale Vernetzung rasch auf neue Versorgungsbedarfe reagieren und die Versorgung von COVID-19-Patienten verbessern kann.

Diskussion

Mögliche Wirkweise

Welche Einzelfaktoren zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse durch Teleintensivmedizin beitragen, kann aus den durchgeführten Interventionsstudien nur zum Teil erklärt werden. Allein das mögliche Interaktionsspektrum zwischen Intensivstation und Teleintensivstation sowie der Grad an Integration elektronischer Informationssysteme sind so unterschiedlich, dass eine systematische Analyse erschwert wird (Lilly et al. 2014c).
Eine Ursache könnte sich durch Volumeneffekte ergeben, d. h. dass Intensivstationen durch Assoziation mit einem Telemedizinzentrum zu einem Verbund zusammenwachsen und sich somit durch geteilte Expertise in Abläufen und Routine ein wechselseitiger Vorteil für die beteiligten Intensiveinheiten und konsekutiv auch für den Patienten ergibt. Sicherlich spielen auch die automatisch durchgeführten Überwachungsmaßnahmen eine Rolle, denn über intelligente Algorithmen werden die Patienten unabhängig von Arbeitsbelastung, Erfahrung und tageszeitlich schwankender Vigilanz kontinuierlich überwacht. Obwohl automatische Hinweise auf kritische Laborparameter sich auch außerhalb der Teleintensivmedizin als nützlich erweisen, um z. B. die Reaktionszeit zu verkürzen (Kuperman et al. 1999), ist in der Teleintensivmedizin zwischen hochintegrierten Systemen, die kontinuierlich Vitaldaten überwachen und diese mit automatischen Algorithmen auswerten und Installationen mit hoher Überwachungsintensität allein durch kontinuierliche Vitaldatenübertragung und regelmäßige Televisiten kein Unterschied in der Sterblichkeitsreduktion festzustellen (Wilcox und Adhikari 2012). Der entscheidende Einflussfaktor ist nach der Metaanalyse von Wilcox (Wilcox und Adhikari 2012) die Intensität der teleintensivmedizinischen Überwachung. Nur Systeme mit kontinuierlicher Vitaldatenübertragung (sog. „high-intensity passive systems“) und Systeme mit kontinuierlicher Überwachung und automatischen, algorithmenbasierten Alarmen (sog. „active systems“) waren in der Lage, zu einer Reduktion der Sterblichkeit beizutragen, wohingegen Systeme ohne kontinuierliche Datenübertragung (sog. „low-intensity passive systems“) keinen Einfluss hatten.
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Prognose der Patienten haben Aufnahmezeitpunkt und ärztliche Besetzung. Somit könnte ein weiterer Grund für die Effektivität der Teleintensivmedizin darin liegen, dass durch teleintensivmedizinische Zusatzversorgung auch in der Nacht und an Wochenenden die Versorgungsqualität konstant bleibt. Dies ist jedoch kein monokausaler Zusammenhang. In der Arbeit von Sadaka et al. (2013) wurden Patienten, die während des Tages aufgenommen wurden mit Patientin verglichen, die während der Nacht aufgenommen wurden. In beiden Gruppen war gleichermaßen eine Reduktion der Sterblichkeit in der teleintensivmedizinischen Interventionsgruppe nachweisbar.
Um Erklärungsmodelle zur Wirkungsweise der Intervention Teleintensivmedizin zu evaluieren, wurden prospektiv definierte Einzelfaktoren auf ihre Korrelation mit den Parametern Liegedauer und Sterblichkeit untersucht (Lilly et al. 2014b). Dabei konnten folgende Schlüsselfaktoren identifiziert werden:
  • Frühzeitige Überprüfung und Anpassung des Therapieplanes durch einen Intensivmediziner
  • Rasche Verfügbarkeit von Ergebnisdaten
  • Schnellere Reaktion auf Alarme
  • Höhere Adhärenz zu leitliniengerechter Therapie
  • Interdisziplinäre Visiten und regelmäßige Rückmeldung über Kennzahlen und Behandlungsergebnisse

Akzeptanz des Verfahrens

Telemedizin wird bei Patienten und Angehörigen nicht nur als wertvolle zusätzliche Versorgungsform wahrgenommen, sondern aktiv nachgefragt (Whitten und Mair 2000). Wie bei anderen telemedizinischen Verfahren, so ist auch bei der Teleintensivmedizin die Akzeptanz ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung. Eine Reihe von Publikationen untersuchte die Personalzufriedenheit und Akzeptanz von Teleintensivmedizin bei ärztlichem und pflegerischem Personal unterschiedlicher Intensivstationen. Selbst in personell gut ausgestatteten Intensivstationen war eine hohe Akzeptanz zu verzeichnen (Young et al. 2011; Romig et al. 2012). Die Einfachheit der Bedienung und der wahrgenommene Nutzen für den Anwender spielt hierbei eine erhebliche Rolle und trägt entscheidend zum nachhaltigen Gebrauch der telemedizinischen Interventionen bei. Ein weiterer entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Nutzung und positive Wahrnehmung von Telemedizin im klinischen Alltag ist die Umsetzung der technischen Komponente. Die eingeführten telemedizinischen Applikationen sollten sich im Idealfall einheitlich in das bereits bestehende Krankenhausinformationssystem einfügen und keine zusätzlichen Schnittstellen verursachen.

Grenzen des Verfahrens

Teleintensivmedizin ist kein universelles Verfahren, um die Sterblichkeit oder Verweildauer auf der Intensivstation zu reduzieren. Neben organisatorischen und qualitativen Rahmenbedingungen der telemedizinischen Versorgung haben die Ausgangslage und Strukturmerkmale der untersuchten Intensivstationen einen erheblichen Einfluss (Kahn 2011). So konnte bei Patienten mit nur geringer Erkrankungsschwere und niedrigem Sterblichkeitsrisiko im Gegensatz zu Patienten (Sadaka et al. 2013; Wilcox und Adhikari 2012) mit durchschnittlichem Sterblichkeitsrisiko durch Teleintensivmedizin keine signifikante Reduktion der Sterblichkeit und der Verweildauer auf der Intensivstation erzielt werden (Nassar et al. 2014). Möglicherweise ist die Beeinflussung der Intensivsterblichkeit bei niedriger, nichtrisikoadjustierter Sterblichkeit geringer ausgeprägt ist als bei hohen Sterblichkeitsraten. In der Arbeit von Thomas et al. (2009) ist eine Reduktion der Intensivsterblichkeit bei allen Patienten, eine Reduktion der Krankenhaussterblichkeit jedoch nur bei höherer Erkrankungsschwere nachweisbar.
Betont werden muss, dass die Situation US-amerikanischer Intensivstationen nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen werden kann. Bereits die Behandlung durch einen Intensivmediziner kann die Sterblichkeit um 40 % und die Verweildauer auf der Intensivstation um 14–51 % senken. In den USA steht demgegenüber nur für 10–20 % der Krankenhäuser tatsächlich ein Intensivmediziner zur Verfügung. Die Frage, wie die jeweiligen Qualitätsmerkmale der untersuchten Intensivstationen und somit die Ausgangssituation vor Beginn telemedizinischer Interventionen tatsächlich waren, kann letztendlich nicht sicher beantwortet werden. Denkbar wäre jedoch ein, je nach Ausgangslage, unterschiedlich großer Einfluss der telemedizinischen Versorgung auf das Behandlungsergebnis. Sicherlich ist jedoch davon auszugehen, dass eine konsequente Umsetzung von Präventionsmaßnahmen während des Behandlungsverlaufs positive Effekte auf die Patientenversorgung hat (Lilly et al. 2014b, 2011).
Weiterhin ist anzumerken, dass Teleintensivmedizin kein Mittel zum Personalabbau oder arztersetzendes Verfahren ist, sondern ein additives Versorgungs- und Organisationskonzept, welches beispielsweise im ländlichen Raum, bei Personalmangel oder zu Dienstzeiten in der Nacht und am Wochenende Unterstützung bieten kann (2011).

Herausforderungen

Technische Herausforderungen

Technische Herausforderungen, wie die Verfügbarkeit einer ausreichenden Übertragungsbandbreite, sind insbesondere im ländlichen Raum möglich, werden aber in Zukunft durch den weiteren Ausbau der Breitbandversorgung in Deutschland zu überwinden sein. Der Gesetzgeber hat mit dem 3. Juni 2020 beschlossenen „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ und dem am 29. Oktober 2020 in Kraft getretenen Krankenhauszukunftsgesetz mit einem Fördervolumen von 4,3 Milliarden € nicht nur ein klares Signal zur Stärkung der Krankenhäuser, sondern auch die Mittel bereitgestellt, die Chancen der Digitalisierung für die Krankenversorgung zu nutzen.

Datenschutz

Der wichtige Aspekt des Datenschutzes kann zum einen technologisch gelöst werden, indem eine gesicherte, End-zu-End-verschlüsselte Datenverbindung zwischen den Intensivstationen und der Teleintensivstation hergestellt wird. Besonderes Augenmerk ist, unabhängig von den telemedizinischen Anwendungen, für den Fall einer Datenspeicherung oder Auswertung außerhalb des Krankenhauses auf einen eventuell gesondert zustimmungspflichtigen Tatbestand der Auftragsdatenverarbeitung zu richten. Diese Auftragsdatenverarbeitung beschränkt sich jedoch nicht auf die Telemedizin, sondern ist z. B. zu Abrechnungszwecken rechtssicher in der Routine umsetzbar und umgesetzt.

Finanzierung

Außerhalb von öffentlichen Förderprojekten existiert in Europa derzeit noch kein allgemein übertragbares Vergütungsmodell, das die Gegenfinanzierung einer teleintensivmedizinischen Versorgung ermöglicht. Untersuchungen aus den USA über zusätzliche Ausgaben oder Kostenreduktion durch Teleintensivmedizin reichen vor allem aufgrund hoher Ausgangsinvestitionen, von zusätzlichen Krankenhauskosten von 5600 $ pro Patient bis zu einer Kostenreduktion von 3000 $ pro Patient (Kumar et al. 2013) im ersten Jahr.
Generalisierte Aussagen zur Übertragbarkeit der Kosteneffizienz der Teleintensivmedizin sind wegen der Abhängigkeit von der individuellen Ausgangslage und unterschiedlicher Vergütungssysteme derzeit noch nicht zu treffen. Es kann jedoch damit gerechnet werden, dass sich aus vermindertem Ressourcenverbrauch, wie dem Rückgang des Anteils beatmeter Patienten (McCambridge et al. 2010), weniger Organdysfunktionen durch schnellere Interventionen und vor allem reduziertem Bedarf an langfristiger Pflege (Lilly et al. 2011) eine günstige Kosten-Nutzen-Relation bei Betrachtung des Gesamtsystems bei gleichzeitig resultierender höherer Lebensqualität der Patienten ergibt. Aufgrund des langfristigen Nutzens für die behandelten Patienten mit reduzierten Behandlungs- und Folgekosten ist die Ausarbeitung von tragfähigen Finanzierungskonzepten auch für die Kostenträger interessant. Für zwei der aus dem Innnovationsfonds des G-BA (Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss) geförderten Projekten, TELnet@NRW (Marx et al. 2022) und ERIC sind mittlerweile nach der Evaluation klare Empfehlungen zur Verstetigung in Richtung der Gesundheitsministerien, der Selbstverwaltung sowie der Kostenträger ausgesprochen worden.1,2

Ausblick

Teleintensivmedizin ist mehr als eine technisch realisierbare Kommunikationsstruktur und zusätzliche Überwachungsmöglichkeit. Vielmehr ist Telemedizin als ärztliches Kooperationsmodell eine komplexe ergebnis- und qualitätsorientierte Intervention. Mittelfristig wird aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der Verpflichtung, auch im ländlichen Raum eine qualitativ exzellente Intensivmedizin zu erhalten, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit eine innovative Option gesucht. Teleintensivmedizin kann als neue Form der ärztlichen Kooperation zum Nutzen der Patienten einen wichtigen Beitrag leisten – unter dem Motto „Miteinander kompetenter“.
Literatur
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