Humanalbumin
Als körpereigenes Kolloid wird
Albumin aus menschlichem
Plasma gewonnen, das zur Reduktion des Infektionsrisikos u. a. einer Virusinaktivierung unterzogen wird. Albumin ist das Protein mit der höchsten Konzentration im Plasma und hauptverantwortlich für die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks (KOD). Üblicherweise wird Humanalbumin als 5- oder 20- bis 25 %ige Lösung angeboten. Die 5 %ige Lösung ist isoonkotisch, und ein volumenexpandierender Effekt liegt nur bei einem erniedrigten Plasma-KOD vor. Die 20- bis 25 %ige Lösung ist hyperonkotisch und kann daher mit einem geringeren Infusionsvolumen das zirkulierende Volumen durch Flüssigkeitsverschiebungen in das Gefäßsystem effizient vergrößern, v. a. bei Patienten mit ausgeprägten
Ödemen. Die Häufigkeit allergischer Zwischenfälle wird mit einer Rate von 14/100.000 Infusionen angegeben.
Der Einsatz von Humanalbumin zur Volumentherapie bei kritisch kranken Patienten ist sicher (ob alle potenziell infektionsrelevanten Erreger im Herstellungsprozess tatsächlich eliminiert werden, ist bis heute nicht 100 %ig zu beantworten), im Vergleich zu Kristalloiden und künstlichen
Kolloiden jedoch mit höheren Kosten verbunden, und wird daher nicht empfohlen (Alderson et al.
2014).
Eine von Wilkes 2001 durchgeführte
Metaanalyse zeigte anhand von 55 Studien keinen Überlebensvorteil bei der Verwendung von Humanalbumin im Vergleich zu anderen Volumenersatzmitteln (Wilkes und Navickis
2001). In einer randomisierten doppelblinden Multicenterstudie wurde bei 7000 Intensivpatienten die Volumentherapie mit 4 % Humanalbumin und mit 0,9 % NaCl-Lösung verglichen. In dieser großen Studie (SAFE Study) konnte bezüglich Morbidität und Letalität im Vergleich von 4 % Humanalbumin zu 0,9 % NaCl-Lösung kein Unterschied gefunden werden (Finfer et al.
2004). In einer Untergruppe dieser Untersuchung wurden 460 SHT-Patienten über 24 Monate nach Randomisierung verfolgt. Es zeigte sich unter Einsatz von 4 % Albuminlösung ein schlechteres Outcome im Vergleich zu der Behandlung mit 0,9 % NaCl-Lösung. Die 28-Tage-Letalität betrug bei Patienten, die mit
Albumin behandelt wurden, 33,2 % und bei Patienten, bei denen NaCl-Lösung verwendet wurde, 20,4 %. Bei Patienten mit einem schweren
Schädel-Hirn-Trauma war der Unterschied sogar noch größer (41,8 % vs. 22,2 %) (Myburgh et al.
2007). Die in dieser Studie verwendete 4 %ige Albuminlösung ist hypoosmolar, sodass sich die Ergebnisse sicherlich nicht auf
Kolloide allgemein anwenden lassen, aber es zeigt sich zum wiederholten Mal, dass ein genauer Blick auf die Eigenschaften der verwendeten Volumenlösung die Anwendung deutlich sicherer machen kann.
Schortgen et al. (Schortgen et al.
2001) zeigten in einer multizentrischen europäischen Beobachtungsstudie, dass die Applikation von 20 % Humanalbumin mit einer erhöhten Inzidenz von Nierenschädigungen und sogar einer gesteigerten 28-Tage-Letalität assoziiert ist. Daher scheint die Verwendung von 20 % Humanalbumin bei kritisch kranken Patienten nicht von Vorteil zu sein.
Hydroxyethylstärke (HES)
Bei Hydroxyethylstärke handelt es sich um ein künstlich hergestelltes Polymer, das aus Wachsmaisstärke und Kartoffelstärke gewonnen wird und somit vorwiegend aus Amylopektin, also verzweigten Glukosemolekülketten, besteht. Die Glukoseeinheiten sind teilweise hydroxyethyliert. Im Organismus wird HES hydrolytisch durch die α-Amylase gespalten und entweder metabolisiert oder durch das retikuloendotheliale System eliminiert oder renal ausgeschieden. Für die glomeruläre Filtration gilt ein Molekulargewicht der Spaltprodukte von 60–70 kDa als Nierenschwelle. Es gibt verschiedene HES-Präparate, die sich bezüglich ihres Molekulargewichts, ihrer Konzentration, ihres Substitutionsgrads und ihres Substitutionsmusters unterscheiden. In den letzten Jahren verwendete HES-Lösungen haben ein Molekulargewicht von 130–200 kDa. Gebräuchliche HES-Konzentrationen sind 6 %-ig (= isoonkotisch) und 10 %-ig (= hyperonkotisch). Unter dem Substitutionsgrad versteht man den Anteil der Glukoseeinheiten, der hydroxyethyliert ist. Üblich ist ein Substitutionsgrad von 0,4–0,5. Das Substitutionsmuster beschreibt das Verhältnis der in C2 und C6 Position substituierten Glukoseeinheiten. Im Handel befindliche HES-Lösungen haben ein Substitutionsmuster von 5:1 bis 9:1. Die initiale Volumenwirkung von HES ist im Wesentlichen proportional der Konzentration, die intravasale Verweildauer und somit die klinische Wirkdauer hingegen ist abhängig von der Molekülgröße und dem Substitutionsgrad bzw. Substitutionsmuster. Ein größeres Molekulargewicht und ein höherer Substitutionsgrad führen zu einer langsameren Elimination und nach wiederholter Gabe solcher Präparate zu einer vermehrten Akkumulation von HES im
Serum. Dies ist neben einer möglichen Beeinträchtigung der Gerinnung und der Nierenfunktion ein weiterer Aspekt, weswegen es zunehmend Sicherheitsbedenken gegenüber Hydroxyethylstärke gibt und ihr Einsatz bei kritisch kranken Patienten, vor allem in der
Sepsis, in den letzten Jahren intensiv diskutiert wird.
Früher waren die meisten HES-Produkte in 0,9 % NaCl als Trägersubstanz gelöst. Heute sind die aktuellen HES-Präparate in balancierten Trägerlösungen erhältlich, die genau wie balancierte kristalloide Infusionslösungen den Vorteil einer physiologischen Elektrolytzusammensetzung haben.
Kontroverse um den Einsatz kolloidaler Lösungen bei kritisch kranken Patienten
In den letzten Jahren war die Volumentherapie bei kritisch kranken Patienten, insbesondere über die Bedeutung und das Risiko kolloidaler Lösungen, Gegenstand einer erheblichen Diskussion. Vor allem die Frage, welches Volumenersatzmittel für die Flüssigkeitstherapie in der
Sepsis am besten geeignet ist, wurde kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite haben kolloidale Volumenersatzmittel den Vorteil eines effektiven und schnell verfügbaren Plasmaersatzes. Dies wurde vor Kurzem z. B. in einer klinischen Studie beobachtet, in der eine Therapie mit
Kolloiden sowohl bei septischen als auch bei nicht septischen Patienten bessere Werte für Herzfüllung, Herzzeitvolumen und Schlagkraft zur Folge hatte als die Behandlung mit Kristalloiden (Trof et al.
2010). Auf der anderen Seite wurde in vielen Studien der vergangenen Jahre vor allem die Sicherheit von Hydroxyethylstärke beim Einsatz in der Sepsis in Frage gestellt. Schortgen und Kollegen beschrieben 2001 in einer französichen Multicenterstudie den Gebrauch von 6 % HES 200/0,62 als unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten einer akuten Nierenschädigung bei Patienten mit schwerer Sepsis und im septischen Schock (Schortgen et al.
2001). Auch in der multizentrischen VISEP-Studie aus dem Jahr 2008 wurde eine signifikant höhere Rate an Nierenschädigungen bei Patienten, die im septischen Schock mit 10 % HES 200/0,5 behandelt wurden, im Vergleich zur Therapie mit Ringerlaktat beobachtet (Brunkhorst et al.
2008). Kritisiert wurde diese Studie vor allem aufgrund von zwei Aspekten: zum einen waren etwa 80 % der Patienten bei Studieneinschluss schon im Vorfeld im Rahmen der „Early Goal-directet therapy“ hämodynamisch stabilisiert. Zum anderen haben die infundierten Mengen an Hydroxyethylstärke die zugelassene Maximaldosis z. T. deutlich überschritten (Nohé et al.
2011). Im Gegensatz zu den Ergebnissen der VISEP-Studie stehen die Resultate einer Beobachtungsstudie an 3147 kritisch kranken Patienten auf europäischen Intensivstationen, bei denen unter anderem die Gründe für die Notwendigkeit einer
Nierenersatztherapie evaluiert wurden. Die 2007 von Sakr und Kollegen publizierten Daten zeigen eine signifikante Korrelation der Krankheitsbilder Sepsis, Herzversagen und maligne Bluterkrankungen mit der Notwendigkeit zur Nierenersatztherapie, wohingegen kein Zusammenhang mit dem Einsatz von HES-Präparaten nachgewiesen werden konnte (Sakr et al.
2007). Untersucht wurden in dieser Studie jedoch nicht nur septische Patienten und es wurden verschiedene HES-Lösungen verwendet. Ein wichtiger Unterschied im Vergleich zur VISEP-Studie war zudem die deutlich geringere kumulative Dosis an verabreichter Hydroxyethylstärke.
Die größten Bedenken richteten sich nach den Ergebnissen dieser Studien vor allem gegen den Gebrauch von hoch konzentrierten HES-Lösungen (10 %) mit einem Molekulargewicht von mehr als 200 kDa und einem Substitutionsgrad größer als 0,5, wobei die Frage, ob die HES-induzierte Nierenschädigung in der
Sepsis abhängig von der Konzentration, dem Molekulargewicht oder dem Substitutionsgrad der verwendeten HES-Lösung ist, genau wie der Pathomechanismus der HES-induzierten renalen Schädigung ungeklärt blieb. Diese älteren HES-Lösungen sind mittlerweile für den klinischen Einsatz durch moderne HES-Präparate der dritten Generation, die so genannte Tetra-Stärke, mit einem Molekulargewicht von 130 kDa und einem Substitutionsgrad von 0,4–0,42 ersetzt worden. Einige große klinische Studien der jüngeren Vergangenheit lieferten bezüglich deren Sicherheit z. T. unterschiedliche Ergebnisse. Auf der einen Seite haben z. B. Muller et al.
2012, die die Daten einer französischen Multicenterstudie im Hinblick auf Faktorenausgewertet haben, die mit dem Auftreten von Nierenfunktionsstörungen bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock im Zusammenhang standen, festgestellt, dass der Gebrauch von 6 % HES 130/0,4 nicht assoziiert war mit einer renalen Dysfunktion oder der Notwendigkeit einer
Nierenersatztherapie (Muller et al.
2012). Auch in der CRYSTMAS-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von 6 % HES 130/0,4 im Vergleich zu NaCl im Rahmen der hämodynamischen Stabilisierung von Patienten mit schwerer Sepsis untersucht wurde, hatte die Volumentherapie mit 6 % HES 130/0,4 keinen negativen Einfluss auf die Nierenfunktion (Guidet et al.
2012). Magder und Kollegen stellten in ihrer Studie an herzchirurgischen Patienten ebenfalls keine Unterschiede bezüglich der Nierenfunktion zwischen den Patienten, die postoperativ NaCl und denen, die Hydroxyethystärke als Volumenersatzmittel erhalten haben, fest. Weiterhin fielen ihnen eine signifikant verbesserte Hämodynamik und eine signifikant niedrigere Rate an
Pneumonien und Mediastinalinfektionen nach der Therapie mit Hydroxyethylstärke auf (Magder et al.
2010). Eine südafrikanische Studie, in der die Volumentherapie mit 6 % HES 130/0,4 und NaCl bei Patienten mit schwerem Trauma verglichen wurde, zeigte sogar eine bessere Nierenfunktion und Laktat-Clearance nach der Gabe der modernen HES-Lösung im Vergleich zu NaCl bei Patienten mit penetrierendem Trauma (James et al.
2011).
Im Gegensatz zu den gerade erwähnten Studien stehen die Ergebnisse der „Scandinavian Starch for Severe
Sepsis/Septic Shock (6S)“ Studie, in der die Inzidenz von Nierenschädigungen und die Notwendigkeit einer
Nierenersatztherapie nach der Volumentherapie mit 6 % HES 130/0,42 im Vergleich zu Ringer-Acetat bei Patienten mit schwerer Sepsis signifikant erhöht waren. Außerdem zeigte sich eine höhere 90-Tages-Letalität bei den mit Hydroxyethylstärke behandelten Patienten (Perner et al.
2012). In einer australischen Multicenterstudie wurden ebenfalls die Wirksamkeit und Sicherheit von 6 % HES 130/0,4 im Vergleich zu NaCl in einer heterogenen Population von über 7000 Intensivpatienten untersucht. Auch hier bedurften mehr Patienten, die mit Hydroxyethylstärke behandelt wurden, einer Nierenersatztherapie. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der skandinavischen Untersuchung hatte die Therapie mit Hydroxyethylstärke in dieser Studie aber keine erhöhte 90-Tages-Letalität zur Folge (Myburgh et al.
2012). Genau wie in der VISEP-Studie waren auch in diesen beiden Studien sehr viele Patienten bei Studieneinschluss ca. 10 Stunden nach Diagnose der Sepsis bereits hämodynamisch stabilisiert. Daher muss zum einen die Aussagekraft der Ergebnisse bezüglich der initialen Volumentherapie im septischen Schock kritisch hinterfragt werden; zum anderen ist ein Vergleich mit den Ergebnissen des vorliegenden Versuchs, in dem gerade diese ersten 12 Stunden der Sepsis untersucht worden sind, schwierig. Im Gegensatz zu den zuvor erwähnten Studien wurde in einer aktuellen französischen multizentrischen Studie, in der Annane und Kollegen den Einfluss von verschiedenen kristalloiden und kolloidalen Infusionslösungen bei ca. 3000 kritisch kranken Patienten verglichen haben, auch diese Frühphase der Volumenersatztherapie berücksichtigt. Die Daten dieser sogenannten CRISTAL-Studie zeigen keine signifikanten Unterschiede in der 28-Tages-Mortalität nach dem Gebrauch von kristalloiden oder kolloidalen Volumenersatzmitteln bei Patienten mit einem hypovolämen Schock und ergeben sogar eine erniedrigte 90-Tages-Mortalität nach der Behandlung mit kolloidalen Infusionslösungen (Annane et al.
2013). Aufgrund des erhöhten Risikos von Nierenschädigungen und eines erhöhten Mortalitätsrisikos hat das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der European Medicines Agency (EMA) Ende 2013 die Empfehlung ausgesprochen, dass Hydroxyethylstärke nicht mehr in der Sepsis, bei Verbrennungspatienten und kritisch kranken Patienten eingesetzt werden darf. In den aktualisierten und vor kurzem veröffentlichten internationalen Guidelines der Surviving Sepsis Campaign wird ebenfalls von dem Gebrauch von Hydroxyethylstärke zur Flüssigkeitstherapie in der Sepsis und im septischen Schock abgeraten (Evans et al.
2021). Auch die aktuelle deutsche S3 Leitlinie „Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen“ rät vom Einsatz von Hydroxyethylstärke bei Intensivpatienten ab (Marx
2020).
Für die Behandlung einer
Hypovolämie im akutem hämorrhagischem Schock ist HES aber weiterhin ausdrücklich zugelassen und die EMA betonte die Notwendigkeit neuer Studien auf diesem Gebiet. Auch die aktuellen europäischen Leitlinien zum Management akuter Blutungen und die deutsche S3-Leitlinie zur intravasalen Volumentherapie bei Erwachsenen empfehlen den Einsatz kolloidaler Lösungen als Volumenersatz zur Erreichung einer ausreichenden Gewebedurchblutung im hämorrhagischem Schock. Mehrere Studien unterstreichen nach wie vor die Indikation für den Einsatz künstlicher
Kolloide bei Traumapatienten. So konnten in einer
Metaanalyse Qureshi und Kollegen keine erhöhte Sterblichkeit im Zusammenhang mit der Verwendung von Kolloiden im Vergleich zu Kristalloiden bei kritisch kranken, Trauma- und chirurgischen Patienten feststellen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die derzeitigen allgemeinen Beschränkungen für die Verwendung von Kolloidlösungen nicht durch Beweise gestützt werden (Qureshi et al.
2016). Bisher gibt es noch keine eindeutige Evidenz, welche Volumenersatzlösung zur Stabilisierung von Pateinten im hämorrhagischem Schock bevorzugt werden sollte.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei der Volumentherapie vor jeder Volumengabe die Indikation geprüft und (z. B. bei Schock) zur Steuerung ein zielbasierter Algorithmus (wie z. B. Abb.
1) angewendet werden sollte, damit überwacht wird, wie der Patient auf die Volumengabe reagiert.
Das erste Ziel der Volumentherapie ist das Erreichen einer Normovolämie durch Hämodilution.