Einleitung
Laparoskopische und robotisch-assistierte laparoskopische Operationen (RAOP) haben in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg erfahren. Dies gilt sowohl für die absoluten Zahlen als auch die relativen Anzahlen pro Eingriffsindikation im Vergleich zu offenen Operationen. Darüber hinaus hat sich das Eingriffsspektrum deutlich erweitert; von zuerst nur einigen wenigen Indikationen zu einem mittlerweile breiten Repertoire. Offenbar kam es zu einer Verschiebung in der Bewertung von Indikationen und Kontraindikationen des laparoskopischen als auch Roboter-assistierten (RA)-laparoskopischen Eingriffs und damit der allgemeinen Akzeptanz dieser Operationen seitens der Patienten, der behandelnden Ärzte und der Krankenhausträger, die deren Durchführung begünstigen. In der ersten Phase nach Einführung von RAOP wurden – aufgrund deren hoher Kosten – vorwiegend offene Eingriffe, die konventionell laparoskopisch nur schwer durchzuführen waren, durch RAOP ersetzt. Diese Eingriffe wurden damals mit dem Label „gute Indikationen“ versehen. Inzwischen haben jedoch eine verbesserte Studienlage und zunehmende Erfahrung mit robotisch-assistierten Eingriffen deren Vorteile deutlicher gezeigt: beispielsweise hinsichtlich der Arbeitsergonomie für den Operateur, oder des reduzierten Blutverlustes und der schnelleren Rekonvaleszenz für den Patienten. Diese Einsichten haben schleichend zu einer Änderung der Indikationsstellung geführt und einen zunehmend breiten Einsatz der Technik ermöglicht.
Indikationen
Der Begriff der Indikation umfasst heute ein weites, unscharf abgegrenztes Spektrum an Bedeutungen, wie etwa die ethische, sozialmedizinische, medizinische, rechtliche und ökonomische Indikation. Im Folgenden wird jedoch auf die medizinische Angemessenheit des Eingriffs fokussiert (Anschütz
1982).
Die Indikationsstellung hat insofern zunächst zu prüfen, welche Vor- und Nachteile sich für den Patienten mit Auswahl der RAOP ergeben; und muss dann kritisch abwägen, ob Vor- oder Nachteile individuell für den Patienten überwiegen. Die Vorteile der laparoskopischen Eingriffe liegen in dem geringeren Operationstrauma im Vergleich zum offenen Eingriff, das in verringertem perioperativem Blutverlust, reduziertem Schmerzmittelbedarf und schnellerer Rekonvaleszenz des Patienten resultiert. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wird diese Technik daher häufig als wenig belastend angesehen und daher schon aufgrund dieser allgemein als positiv dargestellten Attribute wie Knopfloch-Chirurgie favorisiert. Dem Operateur erleichtert die robotische Assistenz qualitativ hochwertige Eingriffe. Durch die Anlage eines Pneumoperitoneum wird die venöse
Blutungsneigung reduziert und es ergibt sich eine bessere Sicht auf Organstrukturen. Im Gegensatz zur offenen Operation, bei der mit dem Tragen einer Lupenbrille sowohl der Arbeitsabstand (Fokus der Lupenbrille) als auch die Vergrößerung über den ganzen Eingriff hinweg fixiert ist, hat der robotische Operateur die Möglichkeit, immer die angemessene und optimale Vergrößerung und Arbeitsdistanz zu wählen.
Jedoch bringt die RAOP auch Risiken für den Patienten mit sich. Bei der Indikationsstellung sollte unter anderem die Wahrscheinlichkeit einer Konversion des Eingriffs vom laparoskopischen zum offenen Vorgehen sehr niedrig sein, denn diese kann die Sicherheit des Patienten gefährden.
Zu Beginn der Einführung RAOP
kam es gelegentlich zu Konversionen
vom laparoskopischen Vorgehen zum offenen Vorgehen. Aufgrund verbesserter Möglichkeiten der Ausbildung zum robotischen Operateur, der Möglichkeit der
Simulation und der Möglichkeit der Begleitung durch Experten-Operateure in der Initialphase hat sich die Häufigkeit zur Konversion in den vergangenen Jahren jedoch drastisch reduziert, so dass Konversionen insbesondere in Zentren der Roboter-assistierten Operation nahezu keine Rolle mehr spielen.
Die Wahrscheinlichkeit einer Konversion verschiebt sich aufgrund verschiedener Faktoren in jedem Zentrum im Laufe der Zeit (Tab.
1).
Tab. 1
Verhältnis von Erfahrung des Operateurs und Komplexität eines Eingriffs zur Wahrscheinlichkeit einer Konversion
1 | Gering | Gering | Niedrig |
2 | Mittel | Gering | Nicht gegeben |
3 | Hoch | Mittel | Nicht gegeben |
4 | Experte | Hoch | Sehr niedrig |
5 | Experte | Sehr hoch | Niedrig |
Grundsätzlich muss die Erfahrung des Operateurs, die für eine Eingriffskonversion erforderlich ist, in die Entscheidung für oder gegen eine RAOP einbezogen werden. Zu Bedenken ist, dass eine Konversion typischerweise nur in zwei ungünstigen Situationen vorkommt. Erstens: der Eingriff ist laparoskopisch aufgrund der Komplexität nicht weiter fortzusetzen oder zweitens: die Konversion wird aufgrund von Komplikationen, die laparoskopisch nicht mehr zu beherrschen sind, erforderlich. Eine Konversion kann darüber hinaus für den Patienten von Nachteil sein, wenn beispielsweise die Lagerung eine Konversion nicht unterstützt oder der konvertierte Eingriff schwieriger als ein primär offenes Verfahren durchzuführen ist. Es muss weiterhin bedacht werden, ob eine zeitnahe Bereitstellung des im Falle einer Konversion kurzfristig benötigten Instrumentariums – auch von speziellem Instrumentarium – gewährleistet ist. Damit müssen bei Indikationsstellung auch technische, strukturelle und personelle Faktoren des jeweiligen Krankenhauses mit in Betracht gezogen werden.
Die alleinige Machbarkeit eines Eingriffs mit robotischer Unterstützung, die mittlerweile bei fast allen urologischen Eingriffen gegeben ist, kann eine Indikation zum RA-operativen Vorgehen nicht bestimmen. Auch Vorgaben zu jährlichen Eingriffszahlen durch den Krankenhausträger oder für ein Zertifizierungsverfahren sollten bei der Indikationsstellung außen vor bleiben. Nur wenn die Vorteile für den individuellen Patienten überwiegen, kann die Empfehlung zum Eingriff gegeben werden. Zudem ist in Deutschland zu prüfen, inwieweit ein Roboter-assistierter Eingriff die Kriterien des V. Sozialgesetzbuches erfüllt: danach muss eine Maßnahme ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig sein.
Wichtige Aspekte, die für die Indikationsstellung herangezogen werden sollten bzw. als Kontraindikationen bewertet werden können – und damit die Entscheidung für die Art des Eingriffs beeinflussen – sind in Tab.
2 gelistet.
Tab. 2
Aspekte welche die Indikationsstellung beeinflussen können
Operateur-spezifische Faktoren | Ausbildung/Fortbildung Erfahrung, Eingriffsfrequenz Persönliche „skills“ |
Roboterspezifische Faktoren | Einfacher Roboter Komplexer Roboter 3 Arm-System 4 Arm-System Intraoperativer Ultraschall Spezielle Bildgebung wie z. B. Fire Fly Absaugung für infektiöse Gase vorhanden |
Eingriffsspezifische Faktoren | Komplexität des Eingriffs Tumorgröße Aggressivität des Tumors |
Allgemeine Patientenspezifische Faktoren | Alter Hirnorganische Leistung Glaukom Größe des Patienten insbesondere im Bereich Pädiatrie Abdominelle Voroperationen Kardiale Belastbarkeit Gerinnung |
Spezifische Patientenfaktoren | Hirndrucktoleranz Schwangerschaft erstes Trimenon Aktive virale Infektionen |
Krankenhausspezifische Faktoren | Präoperative Erfassung von Risikofaktoren Prähabilitation Eingriffsspezifische klinische Pfade Eingriffsspezifische Erfahrung des Anästhesisten Rehabilitation |
Kontraindikationen
Der robotisch-assistierte Eingriff birgt durch die besondere OP-Technik auch einige spezifische Risiken, die sich von den Risiken der offenen Operation unterscheiden. Obwohl oftmals als besonders „schonend“ angesehen, ist der robotische Einsatz für den Patienten – insbesondere perioperativ durch Lagerung in Kopftieflage – durchaus belastend. Allgemeine Risikofaktoren für eine erhöhte Morbidität (wie komplexe Eingriffe, abdominelle multi-Quadranten Eingriffe, bösartige Erkrankungen, BMI unter 30,
arterielle Hypertonie und Transfusion) sowie Risiken für erhöhte perioperative Mortalität (wie ASA > 3, Alter > 70 Jahre, kardiopulmonale und vaskuläre Komorbiditäten und zu erwartender Blutverlust von mehr als 500 ml) müssen deshalb bei weiteren relativen Kontraindikationen in besonderem Maße gewertet und berücksichtigt werden. Gerade abdominelle Voroperationen können den perioperativen Vorteil der RAOP schmälern und die Morbidität erhöhen. Damit verschieben sich die Verhältnisse in der Risiko-Nutzen-Analyse hinsichtlich des Eingriffs für den Patienten.
Spezielle Kontraindikationen für roboter-assistierte Operationen ergeben sich insbesondere aus den Ausschlusskriterien für eine Kopftieflagerung: dies betrifft vor allem zerebrale oder schwere kardiopulmonale Vorschädigungen sowie okuläre Risikofaktoren (schlecht eingestelltes Glaukom o. ä.). Zudem können sich Nachteile aus der Anlage eines Pneumoperitoneums ergeben. Bei aggressiven loko-regionären Tumoren muss beispielsweise das Risiko einer peritonealen Aussaat durch einen laparoskopischen Eingriff bedacht werden. Dabei spielt der aktuelle Kenntnisstand hinsichtlich alternativer kurativer Operationen ohne Pneumoperitoneum eine wichtige Rolle in der Entscheidung – der Wunsch des Patienten nach einem „wenig belastenden“ Eingriff darf hier bei der Beratung und medizinischen Indikationsstellung nicht führend sein und beispielsweise das Ergebnis der Tumor-Behandlung gefährden.
Schlussfolgerung
Indikationen und Kontraindikationen von laparoskopischen und RAOP unterlagen – und unterliegen weiterhin – erheblichen Veränderungen als auch einer kontinuierlichen Neubewertung im Verlauf der Zeit. Anzahl und Art der Eingriffe mit Indikationsstellung für RAOP sind maßgeblich gestiegen bzw. ausgeweitet worden. Patientenspezifische Vorerkrankungen werden zunehmend seltener als Kontraindikation insbesondere für eine RAOP gesehen, bestärkt durch die zunehmende Erfahrung in der urologischen Fachwelt und bessere Finanzierung im Gesundheitswesen. Die Indikationserweiterung aufgrund der reinen Machbarkeit, die zu einer unkritischen Steigerung nicht erforderlicher Eingriffe führt, ist jedoch strikt abzulehnen. Generell sind die Risiken einer laparoskopischen oder RAOP – besonders bei zerebral, kardiopulmonal und okulär vorerkrankten Patienten – in der Indikationsstellung zu berücksichtigen und eine Information und Aufklärung des Patienten in angemessener Art und Weise vorzunehmen. Nicht jeder Patient ist für eine RAOP geeignet bzw. profitiert ausreichend von dieser OP-Technik, deshalb ist eine sorgfältige individuelle Abwägung von Nutzen und Risiken unabdingbar.