Jedem therapeutischem Konzept bei neurogener Blasenfunktionsstörung liegen folgende Ziele zugrunde:
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Schutz des oberen Harntraktes,
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Verbesserung der Kontinenzsituation,
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Verbesserung, idealerweise Wiederherstellung der Funktion des unteren Harntrakts,
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Beachtung individueller Besonderheiten des Patienten, Komplikationsmöglichkeiten
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Bei der NLUTD
steht der Schutz des oberen Harntrakts im Ziel des ärztlichen Bemühens.
Nierenversagen war in der Vergangenheit der Hauptfaktor für die Mortalität von Patienten mit
Querschnittlähmung,
die das initiale Trauma überlebt hatten. Aus dieser Erkenntnis resultiert die zentrale Forderung der Neuro-Urologie: Wahrung eines akzeptablen Detrusordrucks während der Speicher- und Entleerungsphase der Harnblase. Ein Blaseninnendruck von 40 cm H
2O sollte nicht überschritten werden, neben Druckspitzen während Detrusorüberaktivitäten ist hierfür vor allem auch eine Low-compliance-Situation bedeutsam. Das konsequente Verfolgen und Erreichen dieses Therapieziels hat nachweislich signifikant die Mortalitätsraten urologischer Komplikationen in der Gruppe von Patienten mit
neurogenen Blasenfunktionsstörungen allgemein und der von querschnittgelähmten Patienten im Besonderen gesenkt.
Das Erzielen einer Harnkontinenz ist für die
Lebensqualität und die soziale Rehabilitation der Patienten von zentraler Bedeutung. Kontinenz stellt ebenfalls einen wichtigen Faktor in der Vermeidung von wiederkehrenden Harnwegsinfekten und Infekten des äußeren Genitales dar. Kann das Ziel der Kontinenz nicht vollends erreicht werden, sollte dem Patienten ein Inkontinenzmanagement in einer sozial akzeptierten Form angeboten werden.
Zusammenfassend ist es das therapeutische Ziel des Neuro-Urologen, eine instabile Harnblase mit nierengefährdenden intravesikalen Hochdrücken in ein harmloses Niederdruckreservoir zu überführen, sei dies zum Preis von bislang nicht vorliegender Restharnbildung und entsprechenden Folgemaßnahmen. Bei
Blasenentleerungsstörungen stehen die Reetablierung einer restharnfreien Entleerung und die Vermeidung einer chronischer Blasenüberdehnung im Vordergrund.
Konservative, nichtinvasive Therapien
Unvollständige Blasenentleerung mit Restharnbildung ist ein Risikofaktor für Harnwegsinfekte, welche zu intravesikalen Hochdrücken in der Füllungsphase und Harninkontinenz führen können. Extern forcierte Blasendruckerhöhung durch Valsalva-Manöver oder den sog. Credé-Handgriff, um
Urin herauszupressen, sind obsolet.
Bei Patienten mit Läsion des oberen Motoneurons kann eine Stimulation der sakralen und lumbalen Dermatome durch Beklopfen (Triggern) des Unterleibs oder der suprapubischen Region eine Reflexkontraktion des Detrusors herbeiführen. Um hierbei eine sog. balancierte Reflexmiktion zu erzielen, muss oftmals eine zusätzliche Zerstörung des Sphinkter externus (Sphinkterotomie) durchgeführt werden. Schlussendlich ist die getriggerte Reflexmiktion nur unter strenger urodynamischer Kontrolle und Verlauf indiziert.
Ebenfalls können Behandlungsversuche mit sog. Blasentraining durchgeführt werden. Hierbei wird der Patient aufgefordert, den Harndruck immer weiter hinauszuzögern, bis sich normale Miktionsvolumina und -frequenzen ergeben. Mehrere Studien konnten eine deutliche Verbesserung der Kontinenz hierunter im Vergleich zur Nicht-Intervention offenbaren. Diese Verfahren können jedoch in der Behandlung querschnittverletzter Patienten oftmals infolge sensomotorischer Defizite nicht angewendet werden. Mithilfe externer (ggf. in Kombination mit
Biofeedback), aber auch intravesikaler Elektrotherapie kann versucht werden, die Miktionscharakteristika und Blasenentleerung zu optimieren und die Detrusorüberaktivität zu kupieren. Studien konnten belegen, dass hiermit sowohl ein Anstieg der Blasenkapazität, die Optimierung der Compliance-Situation als auch der Anstieg des Blasenfüllungsgefühls bei Patienten mit inkomplettem Querschnitt oder Meningomyelozele erzielt werden konnten. Umgekehrt kann bei
Detrusorhypokontraktilität mittels intravesikaler Elektrotherapie die Detrusorkraft gestärkt und Restharn reduziert werden.
Hinsichtlich nichtinvasiver konservativer Verfahren zur Unterstützung der Blasenrehabilitation werden heute maßgeblich die elektrische oder magnetische Stimulation herbeigeführt. Eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit ist jedoch infolge fehlender prospektiver und vergleichender Studien schwierig.
Beim Ziel, den Patienten eine gesellschaftlich akzeptable Form des Inkontinenzmanagements anzubieten, sollte bei Männern die Anwendung von Kondomurinalen erwogen werden. Diese erzielen oftmals eine höhere Zufriedenheit hinsichtlich dermatologischer Probleme im Vergleich zu aufsaugenden Kontinenzprodukten (Vorlagen, Windelhosen). Penisklemmen, welche zu nicht kontrollierbaren und nicht abschätzbaren Drücken während der Füllphase führen können, sind kontraindiziert.
Konservative Pharmakotherapie der neurogenen Blasenfunktionsstörung
Im klinischen Alltag besitzt die Pharmakotherapie mit
Anticholinergika zur Detrusordämpfung große Bedeutung und ist hierfür als Erstlinientherapie anzusehen. Das Anticholinergikum hemmt kompetitiv das Ankoppeln des Neurotransmitters Acetylcholin an den entsprechenden Acetylcholin- oder Muskarinrezeptoren der Harnblase. Der Detrusor enthält deutlich weniger nervale Signale vom N. pelvicus (Parasympathikus), die Hyperexzitabilität wird kupiert, die Überaktivität sistiert und die intravesikalen Drücke fallen. Da dieses therapeutische Konzept genauso wenig singulär auf die Blase wirkt wie die Blase nicht alleinig mit Acetylcholinrezeptoren versorgt ist, kommt es vor allem unter den alten, hochwirksamen Präparaten zu Nebenwirkungen. Diese liegen in einer unerwünschten Lähmung der Darmmuskulatur mit resultierender
Obstipation. Mundtrockenheit,
Schwindel oder Sturzgefahr sind ebenso typische Nebenwirkungen wie Akkomodationsstörungen infolge einer Trägheit der Augenmuskulatur.
In jüngerer Zeit haben daher blasenselektivere, sog. M3-selektive
Anticholinergika an Bedeutung gewonnen. Diese können oftmals bei deutlich reduziertem Nebenwirkungsprofil ebenfalls zu einer suffizienten Blasendämpfung führen, diese jedoch eher bei idiopathischen Formen, für welche sie die Zulassung haben. Schwergradig neurogen gestörte Blasen mit entsprechender Hyperreflexivität profitieren oftmals von diesem therapeutischen Konzept nicht ausreichend. Eine anticholinerge Therapie sollte für mindestens 4–6 Wochen und mit mindestens 2 unterschiedlichen Präparaten durchgeführt werden. Kombinationstherapien z. B. mit Oxybutynin und Tolterodin oder Trospiumchlorid haben sich als effektiv und gut verträglich gezeigt und scheinen oftmals wirksamer als eine Monotherapie zu sein.
Eine sonografische Restharnkontrolle, ggf. auch durch Selbstkatheterisierung von Restharnmengen, ist erstrebenswert, um eine Detrusordekompensation zu offenbaren. Idealerweise werden wiederholte urodynamische Verlaufskontrollen während des therapeutischen Konzepts durchgeführt.
Tab.
1 listet u. a. die auf dem deutschen Markt erhältlichen
Anticholinergika auf. Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der unterschiedlichen Moleküle bei neurogener Blasenfunktionsstörung liegen vor, wenngleich die M3-selektiven Anticholinergika (Darifenacin, Solifenacin) nur Zulassung für die Therapie der idiopathischen überaktiven Blase besitzen. Dies gilt auch für Fesoterodin.
Anticholinergika | Oxybutynin (Dridase, Lyrinel, Spasyt) | bis 3-mal 5 mg p.o. oder Pflaster oder als flüssige Blaseninstillation | Restharnbildung, Obstipation, Akkomodationsstörung, Mundtrockenheit, Tachykardie, Rhythmusstörungen, Anstieg des Augeninnendrucks, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen Cave: Psychose bei Parkinson-Patienten |
Propiverin (Mictonorm) | bis 3-mal 15 mg p.o. | dito |
Tolterodin (Detrusitol) | bis 2-mal 2 mg p.o. | dito |
Fesoterodin (Toviaz) | 1-mal 4 oder 8 mg p.o. | dito |
Trospiumchlorid (Spasmex, Spasmolyt, Spasmo-Urgenin) | bis 3-mal 15–30 mg p.o. | Dito, quartäre Ammoniumverbindung. Daher schlechtere Passage der Blut-Hirn-Schranke. Geringere Inzidenz von zentralnervösen Nebenwirkungen |
Darifenacin (Emselex) | 1-mal 7,5 oder 15 mg p.o. | Dito, selektiver M3-Rezeptor-Antagonist. Daher geringere Inzidenz zentralnervöser Nebenwirkungen |
Solifenacin (Vesikur) | 1-mal 5 oder 10 mg p. o. | Dito, selektiver M3-Rezeptor-Antagonist. Daher geringere Inzidenz zentralnervöser Nebenwirkungen |
Alpha-Blocker | Doxazosin (Diblocin, Uriduct) | bis 1-mal 2–8 mg p.o. | |
Alfuzosin (Alfunar, Urion, UroXatral) | bis 3-mal 2,5 mg p.o. | dito |
Tamsulosin (Alna, Omnic, Tadin) | 1-mal 0,4 mg p.o. | dito |
Terazosin (Flotrin, Terablock, Terazoflo) | 1-mal 5–10 mg p.o. | dito |
Vasopressin-Analogon | Desmopressin (Minirin, Nocutil) | 10–40 μg nasal, 0,1–0,4 mg p.o. | |
Cholinergika | Bethanechol (Myocholine-Glenwood) | bis 4-mal 25–50 mg p.o. | Dyspnoe, Akkomodationsstörung, Kopfschmerzen, Übelkeit, Hitzegefühl |
Distigminbromid (Ubretid) | bis 2-mal 5 mg p.o. | Übelkeit, Erbrechen, Miosis |
Für Pat. mit neurogener Detrusorüberaktivität infolge Rückenmarkverletzung oder Spina bifida, die älter als 5 Jahre sind und bei denen orale
Anticholinergika zu keiner ausreichenden Blasendämpfung führen, besteht seit 2020 die Zulassung zur intravesikalen Instillationstherapie mit 0,1 %igen flüssigem Oxybutynin. Es gibt keine festen Regeln für das Dosierungsschema, da abhängig vom jeweiligen Patienten große Unterschiede hinsichtlich des Blasendrucks und der für die Besserung der neurogenen Detrusorüberaktivität erforderlichen Dosen bestehen. Das Dosierungsschema (Dosen und Zeitplan) muss daher individuell und entsprechend den Patientenanforderungen festgelegt werden. Der intermittierende Selbst- oder Fremdkatheterismus ist Voraussetzung zur Therapiedurchführung.
Weitere pharmakotherapeutische Ansätze
Cholinergika
, welche die Detrusorkontraktilität und Blasenentleerung fördern sollen (
Bethanechol und
Distigmin, Tab.
1) konnten infolge ihres ungünstigen Nutzen-Risiko-Profils keinen Eingang in die klinische Routine finden. Die Kombinationstherapie mit
Anticholinergika und gleichzeitiger Alpha-Blocker-Gabe, um den subvesikalen Widerstand zu reduzieren (z. B. Tamsulosin) hat sich erfolgreicher als die jeweilige Monotherapie gezeigt.
Zusammenfassend gibt es jedoch keine Evidenz für eine sinnvolle Pharmakotherapie des hypoaktiven Detrusors.
Zusammenfassung
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Schutz des oberen Harntrakts,
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Reduktion der Inkontinenz,
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Verbesserung der Funktion des unteren Harntrakts,
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Restharnbildung ggf. als kalkulierte Folge.
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Schaffung eines Niederdruckreservoirs ggf. durch Zerstörung des muskulären Blasenverschlusses (Sphinkterotomie).
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Inkontinenzmanagement optimieren (z. B. Kondomurinale).
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Detrusorhypo- oder -akontraktilität pharmakologisch nur schwer beeinflussbar.