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Die Urologie
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Publiziert am: 07.12.2022

Begutachtung in der Urologie: Unfallversicherung

Verfasst von: Walter Ludwig Strohmaier
Bei den Unfallversicherungen sind zwei Formen zu unterscheiden, die gesetzliche und die private. Die Aufgaben der gesetzlichen sind im Sozialgesetzbuch VII geregelt. Sie soll arbeitsbedingte Gesundheitsschäden verhindern und im Schadensfall entschädigen. Die für die urologische Begutachtung entscheidenden Begriffe, Bestimmungen und Kriterien sowie für die gesetzliche Unfallversicherung wichtige urologische Erkrankungen werden im Text erläutert. Die private Unfallversicherung unterscheidet sich wesentlich von der gesetzlichen. Hier gilt der Invaliditätsgrad und die Bemessung ausschließlich an medizinischen Kriterien.
Ein großer Teil urologischer Gutachten wird von den Trägern der Unfallversicherungen angefordert. Grundsätzlich müssen wir zwischen der gesetzlichen und der privaten Unfallversicherung. unterscheiden.

Gesetzliche Unfallversicherung (GUV)

Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII hat die gesetzliche Unfallversicherung die Aufgabe, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten. Im Schadensfall soll sie Versicherte bzw. Angehörige entschädigen. Die Entschädigung kann in Heilbehandlung, berufsfördernden und sozialen Leistungen zur Rehabilitation bzw. in Geldleistungen (z. B. Renten) bestehen. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften, die Unfallkasse des Bundes, der Eisenbahn, Post und Telekom bzw. die Unfallversicherungsverbände der Länder und Kommunen. Finanziert wird die GUV durch Umlagen der Arbeitgeber.
In der GUV gibt es zwei Formen des Versicherungsfalls: Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Arbeitsunfälle

Arbeitsunfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Sie stehen direkt mit der versicherten Tätigkeit in Zusammenhang. Dazu gehören auch Wegeunfälle, d. h. Unfälle, die sich beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges nach und vom Ort der Tätigkeit ereignen (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Abweichende Wege können nur ausnahmsweise (z. B. bei Fahrgemeinschaften, Bringen der Kinder zum Kindergarten) anerkannt werden.

Berufskrankheiten

Berufskrankheiten sind Erkrankungen, die in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) von 1997 aufgeführt sind. Sie unterscheidet 6 Hauptgruppen: chemische und physikalische Einwirkungen, Infektions- und Tropenkrankheiten, Erkrankungen der Atemwege/Lungen, des Rippen- oder Bauchfells, Haut- und sonstige Erkrankungen. Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten ist, dass eine Erkrankung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch Einwirkungen verursacht wird, denen die Versicherten bei ihrer Tätigkeit im erheblich höheren Grad ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Die Liste der Berufskrankheiten und ein Formblatt „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit“ findet sich z. B. bei Bichler (2004).

Wichtige Begriffe im Rahmen der Begutachtung in der GUV

Kausalitäten
Bei der Begutachtung für die GUV muss geprüft werden, ob die Erkrankung bzw. der Schaden durch den Unfall bzw. die berufliche Einwirkung im Rahmen der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Es wird zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität unterschieden.
Der kausale Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und dem Unfallereignis bzw. schädigender Einwirkung ist die haftungsbegründende, der Zusammenhang zwischen Unfall bzw. Einwirkung und dem Gesundheitsschaden/Tod die haftungsausfüllende Kausalität.
Ferner muss geprüft werden, ob eine Ursache wesentlich für die Entstehung des Schadens ist. Wichtig ist dabei die anerkannte Einschätzung der medizinischen Wissenschaft. Andererseits muss die Ursache nicht alleinige Ursache sein. Die Beurteilung muss immer am konkreten Fall erfolgen, eine Einschätzung im Allgemeinen ist nicht zulässig.
Zu unterscheiden ist auch zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Unfallfolge. Mittelbar sind Unfallfolgen, die im Rahmen der Behandlung des primären Unfallschadens oder durch einen Unfall, der sich infolge des primären Unfallschadens ereignet hat, entstehen.
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
Neben der Beurteilung der Kausalitäten spielt im Gutachten die Schadensbemessung eine wichtige Rolle. Es muss geprüft werden, inwieweit durch die gesundheitliche Beeinträchtigung (körperlich, geistig, psychisch) Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens gemindert sind. Dabei muss ermittelt werden, welche Tätigkeiten vor dem Ereignis verrichtet wurden und welche danach noch verrichtet werden können. Bei der Festlegung der MdE muss immer der Einzelfall berücksichtigt werden. Dennoch gibt es zur Orientierung Tabellen, die sich aus der Rechtsprechung heraus entwickelt haben (Tab. 1 und ausführlich z. B. in Bichler 2004 bzw. Anhang 2 in Brettel und Vogt 2018).
Tab. 1
Wichtige urologische Erkrankungen und ihr MdE-Wert in der GUV
Erkrankung
MdE (von Hundert)
Ausfall einer Niere bei gesunder anderer Niere
20–25
Ausfall einer Niere bei geschädigter anderer Niere
30–80
Niernfunktionsstörungen (in Abhängigkeit von der Kreatininclearance)
0–100
Nierensteinleiden
0–30
Chronische Harnwegsentzündungen
0–70
0–50
Harninkontinenz
0–100
10–50
0–40
Infertilität
20–50
Teilverlust/Verlust des Penis
10–50
Verlust/Schwund des Hodens bei gesundem anderem Hoden
0–10
Verlust/Schwund beider Hoden
10–50
Verlust eines Nebenhodens
0
Hydro-/Varikozele
0–20
An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass die MdE-Werte nicht mit dem Grad der Behinderung (GdB) aus dem sozialen Entschädigungsrecht verwechselt werden dürfen und darum auch nicht zwangsweise damit identisch sind.
Im Allgemeinen wird die MdE in Zehnerschritten als Bruchteil von Hundert (v. H.) angegeben (z. B. 10 v. H.).
Liegen mehrere einzelne MdE bei verschiedenen Beeinträchtigungen vor, muss für die Einschätzung der Gesamt-MdE ihr wechselseitiges Zusammenwirken beurteilt werden. Eine einfache Aufsummierung ist nicht angebracht.

Häufige urologische Erkrankungen im Rahmen der GUV

Bei den urologischen Berufskrankheiten steht ganz im Vordergrund das Urothelkarzinom. Als typische Noxe gelten aromatische Amine. Eine Exposition kann bei verschiedenen Berufsgruppen vorkommen. Entscheidend ist neben der exakten Arbeitsplatzanamnese auch die Einwirkungsdauer. Seltener kann auch eine Urogenitaltuberkulose berufsbedingt sein (z. B. bei Landwirten, Fleischern). Voraussetzung ist hier der Kontakt mit infizierten Tieren.
Bei den Arbeitsunfällen stehen nach einer großen Statistik der Urologischen Universitätsklinik Tübingen aus den Jahren 1975–2000 (Bichler 2004) neurogene Blasenfunktionsstörungen, Erektionsstörungen, Harnröhrenstrikturen/-verletzungen mit großem Abstand vor Harninkontinenz, Harnwegsinfekten, Nieren- und Hodenverletzungen und anderen urologischen Gesundheitsstörungen deutlich im Vordergrund.

Private Unfallversicherung (PUV)

Die PUV unterscheidet sich in einigen Punkten von der GUV. Die spezielle Berufstätigkeit eines Versicherten, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und sonstige außermedizinische Aspekte dürfen bei der Beurteilung nicht berücksichtigt werden (Hennies 1992).
Im Gegensatz zur GUV werden in der PUV dauerhafte Gesundheitsschäden auch nicht mit einer MdE bemessen. Hier kommt der sog. Invaliditätsgrad zur Anwendung. Seine Bemessung beruht auf den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 95). Es wird Bezug genommen auf die normale Leistungsfähigkeit eines Unversehrten gleichen Alters. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung gilt als dauerhaft, wenn sie nach ärztlicher Behandlung voraussichtlich mehr als 3 Jahre fortbestehen wird bzw. deren Ende nicht absehbar ist. Der Invaliditätsgrad wird in Prozent (%) angegeben. Für Schäden an Gliedmaßen bzw. Sinnesorganen wird der Invaliditätsgrad mit Hilfe der Gliedertaxe beurteilt. In allen anderen Fällen wird geprüft, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtig ist. Psychische Störungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie organische Ursachen am Nervensystem haben.

Zusammenfassung

  • Unterscheidung: Gesetzliche und private Unfallversicherung (GUV und PUV).
  • Aufgabe der GUV: Prävention von Arbeitsunfällen/Berufskrankheiten; Entschädigung im Schadensfall.
  • Träger: Berufsgenossenschaften/Unfallversicherungsverbände.
  • Versicherungsfälle: Arbeitsunfälle einschließlich Wegeunfälle, Berufskrankheiten.
  • Wichtige Begriffe bei der Begutachtung:
  • Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität.
  • Wesentlichkeit der Unfall- bzw. Krankheitsursache.
  • Unmittelbare und mittelbare Unfallfolge.
  • Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), Angabe in Zehnerschritten als Bruch vom Hundert (z. B. 10 v. H.), Berücksichtigung des individuellen Falls, bei Gesamt-MdE keine Addition von Teil-MdE, vielmehr Beurteilung des wechselseitigen Zusammenwirkens.
  • Häufige urologische Erkrankungen im Rahmen der GUV:
  • Berufskrankheiten: Urothelkarzinom, Urogenitaltuberkulose.
  • Arbeitsunfälle: Neurogene Blasenfunktionsstörungen, Erektionsstörungen, Harnröhrenverletzungen/-strikturen.
  • PUV: Beurteilung ausschließlich unter medizinischen Aspekten.
  • Bezug auf die normale Leistungsfähigkeit eines Unversehrten gleichen Alters.
  • Beurteilung des Invaliditätsgrades (%), nicht der MdE.
  • Psychische Auswirkungen im Allgemeinen unberücksichtigt.
Literatur
Bichler K-H (Hrsg) (2004) Das urologische Gutachten, 2. Aufl. Springer, Berlin
Brettel H, Vogt H (Hrsg) (2018) Ärztliche Begutachtung im Sozialrecht, 3. Aufl. Ecomed Medizin, Heidelberg
Hennies G (1992) Rechtsgrundlagen der Begutachtung im Rahmen der Privatversicherungen. In: Marx HH (Hrsg) Medizinische Begutachtung, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart