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Die Urologie
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Publiziert am: 25.05.2022

Epispadie, Blasenekstrophie

Verfasst von: Wolfgang H. Rösch und Raimund Stein
Die Epispadie und die Blasenekstrophie sind die wohl bekanntesten und klinisch am häufigsten auftretenden Formen des sog. Blasenekstrophie-Epispadie-Komplexes (BEEK). Lange Jahre konzentrierte sich die Entwicklung rekonstruktiver Techniken allein darauf, möglichst rasch gute kosmetische und funktionelle Ergebnisse im Hinblick auf den Verschluss der Blase, die Harnröhrenrekonstruktion und die Harnkontinenz im Kleinkind- und Schulkindalter zu erreichen. In den letzten Jahren wurde jedoch der Fokus des klinischen und wissenschaftlichen Interesses auf die Langzeitergebnisse gelegt und wir wissen heute, dass im Hinblick auf Blasenwachstum und -funktion, Fertilität, Sexualität und psychosoziale Entwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen moderne Therapiekonzepte erforderlich sein werden, die diese Aspekte von Anfang an soweit wie möglich mitberücksichtigen.
Die Epispadie und die Blasenekstrophie sind die wohl bekanntesten und klinisch am häufigsten auftretenden Formen des sog. Blasenekstrophie-Epispadie-Komplexes (BEEK). Lange Jahre konzentrierte sich die Entwicklung rekonstruktiver Techniken allein darauf, möglichst rasch gute kosmetische und funktionelle Ergebnisse im Hinblick auf den Verschluss der Blase, die Harnröhrenrekonstruktion und die Harnkontinenz im Kleinkind- und Schulkindalter zu erreichen. In den letzten Jahren wurde jedoch der Fokus des klinischen und wissenschaftlichen Interesses auf die Langzeitergebnisse gelegt und wir wissen heute, dass im Hinblick auf Blasenwachstum und -funktion, Fertilität, Sexualität und psychosoziale Entwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Umdenken bei den modernen Therapiekonzepten für diese Patienten unabdingbar ist.

Definition

Der BEEK umfasst ein Spektrum unterschiedlich stark ausgeprägter Fehlbildungen des Mittellinien-Missbildungskomplexes mit fließenden Übergängen von der Epispadie als leichtester Form über die untere und obere Fissur bis zum Vollbild der klassischen Blasenekstrophie. Die Extremform stellt die Kloakenekstrophie (syn.: vesikointestinale Fissur) dar, die durch die evertierte Kloake neben der Blase auch den Dickdarm (das sog. „hindgut“) in die Fehlbildung mit einbezieht. Neben den klassischen Ausprägungsformen (Epispadie, Blasenekstrophie, Kloakenekstrophie) unterscheidet man noch „atypische“ Formen, die sog. BEEK-Varianten (Abschn. 6).

Epidemiologie

Für Populationen europäischer Abstammung wird die Prävalenz von BE und Epispadie in den Jahren 2011 bis 2017 mit 6,3 unter 100.000 Neugeborenen angegeben (EUROCAT 2020). Hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses wurde für die Epispadie eine Verteilung von 1,8:1 für Männer zu Frauen beschrieben, wobei eine relativ hohe Dunkelziffer an inkontinenten Mädchen mit nicht korrekt diagnostizierter Epispadie angenommen wird. Für die klassische Ekstrophie liegt das Verhältnis von männlich zu weiblich bei 2,4:1. Die Kloakenekstrophie wird heute mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1,0 pro 200.000 Lebendgeburten angegeben (Siffel et al. 2011).
Obwohl familiäre Häufung bislang sehr selten ist, wurden bislang 35 Familien mit mehrfach Betroffenen beschrieben. Das Wiederholungsrisiko für Kinder betroffener Eltern ist 400-fach höher gegenüber der Allgemeinbevölkerung.

Teratogene Einflüsse

Als prädisponierende Risikofaktoren für die Entstehung einer Blasenekstrophie gelten aufgrund der bislang vorliegenden Daten: männliches Geschlecht, Rasse und fortgeschrittenes Alter der Eltern (Siffel et al. 2011). Daneben wurden unterschiedlichste teratogene Umwelteinflüsse u. a. vor allem aktives und passives Rauchen, aber auch verschiedene Medikamente und Infektionen, vor allem zum Zeitpunkt der Empfängnis diskutiert. Während mütterliches Rauchen oder eine Strahlenexposition im ersten Trimester mit einem erhöhten Risiko für eine kloakale Ekstrophie einherzugehen scheint kann eine perikonzeptionelle Folsäure-Prophylaxe gravierendere Ausprägungsgrade des BEEK verhindern (Reutter et al. 2011) Dagegen rückte die Bedeutung der assistierten Reproduktion in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund. Unterstützt wird diese Vermutung durch die aktuellen Daten aus der deutschlandweiten CURE-Net-Studie, die zeigen, dass das Risiko für eine Fehlbildung aus dem BEEK bei Kindern nach in-vitro-Fertilisation als auch nach intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) signifikant erhöht ist. Unklar bleibt jedoch, ob das Folge der assistierten Reproduktion per se ist oder der Ätiologie der Invertilität/Subvertilität zugrunde liegt (Zwink et al. 2013).

Molekulargenetische Aspekte

In der Vergangenheit ging der BEEK mit einer deutlich eingeschränkten Reproduktionsfähigkeit einher. Daher ging man davon aus, dass diese Fehlbildung bei einer nicht unerheblichen Zahl von Patienten durch Neumutationen (de novo-Ereignisse) verursacht wird. Diese Vermutung wird durch zahlreiche aktuelle Daten gestützt, die auch dem nicht-syndromalen BEEK eine multifaktorielle genetische Ursache zu Grunde legen.
Übereinstimmend wird in der Literatur ein Wiederholungsrisiko für eine klassische Blasenekstrophie für Geschwister mit 0,3 bis 2,3 % angegeben und mit 1,4 % für die Nachkommen betroffener Eltern, was einem etwa 400-fach höheren Wiederholungsrisiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung entspricht. Einen starken genetischen Einfluss legen auch die unterschiedlichen paarweisen Konkordanzraten bei monozygoten und dizygoten BEEK-Zwillingspaaren nahe (Reutter et al. 2007).
Neben diesen epidemiologischen Beobachtungen konnten durch die Einführung neuer molekular Untersuchungstechniken erste grundlegende Schritte vollzogen werden, um die molekulare Basis dieser heterogenen Malformation zu entschlüsseln. Besonders hervorzuheben ist dabei zum einen das Insulin-gene-enhancer-Protein (ISL-1) auf dem Chromosom 5q11.1, das möglicherweise als Suszeptilitäts-Gen für die Entstehung des BEEK fungiert (Draaken et al. 2015). Zum anderen das SLC20A1-Gen, das ein Membran-Transport-Protein codiert und inzwischen als eines der Krankheits-Gene (disease-gene) für die Entstehung des BEEK gilt (Rieke et al. 2020).

Embryologie und Pathogenese

Bereits zwischen der 4.–8. Schwangerschaftswoche kommt es zur Unterteilung des frühembryonalen gemeinsamen Ausgangs für den Magen-Darm-Trakt und den Urogenitaltrakt, der Kloake, durch das Septum urorectale. Dieses Septum ermöglicht in den folgenden Schwangerschaftswochen die getrennte Entwicklung der zwei Abschnitte Rektum und Sinus urogenitalis.
Im weiteren Verlauf verklebt das Septum urorectale mit der Kloakenmembran, wobei dorsal die Analmembran und ventral die Membrana urogenitalis entsteht. Ein voranschreitender Rückzug der Kloakenmembran ermöglicht ein Einsprossen mesodermalen Gewebes sowie die Formierung der Unterbauchregion und Verschmelzung der Genitalhöcker. Das Mesoderm differenziert sich später zur muskulären Bauchwand und zu den zugehörigen Faszien. Eine kritische Entwicklungsphase ist das parallel ablaufende Einsprossen neuronalen Gewebes in die glatte Muskelschicht, was eine Voraussetzung für die spätere ungestörte Innervation ist.
Verschiedene Tiermodelle führten zu der Hypothese, dass der BEEK aufgrund einer Disruption oder Störung der Kloakenmembran in der frühen Embryogenese entsteht.
Neuere anatomische und embryologische Untersuchungen am Kaninchen-Modell von Beaudoin weisen darauf hin, dass die Entstehung des BEEK nicht mit der Entwicklung der kloakalen Membran in Zusammenhang steht, sondern auf eine Störung in der sekundären Gastrulation zurückzuführen sei.

Klinische Pathomorphologie der Blasenekstrophie

Beim Vollbild der Blasenekstrophie sind durch die engen embryologischen Verbindungen und die räumliche Nähe nicht nur die harnableitenden Organe und das männliche bzw. das weibliche Genitale betroffen, sondern auch die Anorektalregion, die mesodermalen und muskuloskelettalen Anteile des Beckens und Unterbauchs sowie gelegentlich der Intestinaltrakt (Abb. 1 und Abb. 2).
Von der Pathologie der klassischen Blasenekstrophie betroffene Organsysteme
  • Skelettsystem mit Spaltbecken
  • Bauchdeckendefekt mit dreiecksförmiger Unterbauchhernie
  • Beckenboden mit gestörter Puborektalisschleife
  • Hohe Inzidenz an bilateraler indirekter Leistenhernie mit offenem Processus vaginalis
  • Anorektalregion mit kurzem, breitem Damm und Antepositio ani
  • Männliches Genitale: Dorsal gelegene epispade Harnröhrenrinne mit Dorsalflexion und Verkürzung der Penisschwellkörper
  • Weibliches Genitale: Kurze, aber meist normal weite Vagina, häufig Introitusstenose, stets anteriore Fehlposition der gespaltenen Klitoris
  • Harnblasenschleimhaut mit unterschiedlich ausgeprägten polypoiden Wucherungen. Größe und Dehnbarkeit der Blasenplatte individuell verschieden
  • Typische Angelhakenform der terminalen Abschnitte der meist refluxiven Harnleiter

Spaltbecken

Ursächlich ist eine Malrotation der Ossa innominata in der Sagittalebene im Bereich der Iliosakralgelenke. Weiterhin kommt es zur Außenrotation der beiden Schambeinäste im Bereich der Gelenkverbindung mit den Darmbeinen auf beiden Seiten. Das Sacrum ist im Volumen um über 40 %, seitens der Oberfläche um fast 25 % größer.
Die Dehiszenz und Rotationsstörungen des knöchernen Beckens sind bekanntlich für die Penisverkürzung zumindest mit verantwortlich und begründen auch den sog. Watschel- oder Entengang mit der charakteristischen Außenrotation der Beine.

Beckenbodendefekte

Als Pathologie der Levator-ani-Muskulatur bei Ekstrophien findet sich eine vermehrt posteriore Position. Die Levatorplatte ist um über 15° nach außen rotiert. Die Folgen sind eine überwiegend flache statt konische Puborektalisschleife. 3-D-Modelle von CT-Scans bei Kindern mit klassischer Blasenekstrophie lassen erkennen, dass der Beckenboden mit der Puborektalisschleife durch die pathologische Konfiguration doppelt so großer Belastung ausgesetzt ist im Vergleich zum normal angelegten Beckenboden.

Bauchwanddefekte

Die vorzeitige Ruptur der Kloakenmenbran führt zu einem dreieckigen Bauchwanddefekt, der durch die ekstrophe Blasenplatte gedeckt wird.
Die kraniale Begrenzung des dreieckigen Bauchwanddefekts ist der Nabel. Die Position der Nabelschnur ist bei der Ekstrophie weit kaudal am Oberrand der Blasenplatte und verkürzt damit optisch den Unterbauch. Im Gegensatz zur Kloakenekstrophie findet sich bei der klassischen Blasenekstrophie nur selten eine Omphalozele.
Indirekte Leistenhernien mit offenem Processus vaginalis werden bei der klassischen Blasenekstrophie in 80–100 % der Fälle beobachtet und sind in den weit offenen und klaffenden Leistenringen ohne entsprechenden schrägen Verlauf des Leistenkanals begründet.

Anorektale Fehlbildungen

Die Dammregion ist kurz und breit, der Anus ist unmittelbar hinter dem Diaphragma urogenitale, weit nach ventral disloziert und stellt die hintere Begrenzung des Fasziendefekts dar. Der anale Sphinktermechanismus ist gleichfalls fehlerhaft positioniert.
Der divergierende Musculus levator ani kann in Verbindung mit der oben beschriebenen Pathologie der Sphinktermuskulatur auch bei der klassischen BE Ursache analer Inkontinenz und/oder eines Rektumprolapses sein.

Begleitanomalien von Spinalkanal, Gastrointestinal- und Herz-Kreislauf-System

Im Gegensatz zur kloakalen Ekstrophie sind bei der klassischen Blasenekstrophie assoziierte Fehlbildungen des Spinalkanals sehr selten und werden in der Literatur mit knapp 7 % angegeben. Gleiches gilt für gastrointestinale Begleitanomalien wie Duodenalatresie, Malrotationen oder Duplikationen, die auf wenige Einzelfälle beschränkt bleiben und in erster Linie klassische Begleitfehlbildungen der Kloakenekstrophie darstellen. Mit einer Häufigkeit von 17–19 % sind milde und moderate Formen kongenitaler Herzvitien auch bei der klassischen Blasenekstrophie deutlich häufiger im Vergleich zu nicht ekstrophen Neugeborenen, bei denen die Prävalenz in Deutschland mit 1,08 % angegeben wird (CURE-Net 2012).

Pathomorphologie der Blasenplatte

Zahlreiche basiswissenschaftliche Arbeiten der vergangenen Jahre befassen sich mit der Ultrastruktur und der Innervation der Blasenplatte beim BEEK. So scheint eine erhebliche Vermehrung des kollagenen Bindegewebes, die fast ausschließlich auf der Vermehrung des Kollagens vom Typ III beruht, die Ursache für eine verminderte Dehnbarkeit der Blasenwand zu sein. Obwohl nach erfolgreicher Rekonstruktion eine gewisse Reversibilität der quantitativen Gesamtkollagenvermehrung beobachtet wurde, wird die fortbestehende Verschiebung zu Gunsten des Typ-III-Kollagens als eine der wesentlichen Ursachen für die oft urodynamisch nachweisbare verminderte Dehnbarkeit der Blasenwand im Langzeitverlauf angesehen. Elektronenmikroskopisch konnten zudem intrazelluläre Anomalien der glatten Muskelfasern des Detrusors nachgewiesen werden, die eine gewisse Koordination zur späteren Blasenfunktion aufweisen. Studien zur Innervation der Blasenmuskulatur zeigten zwar im Gegensatz zur Kloakenekstrophie zunächst keine grobmorphologischen Strukturdefekte, fanden jedoch sowohl für die klassische Blasenekstrophie als auch für die Epispadie eine quantitative und strukturelle Vermehrung M3-positiver Nervenfasern im Vergleich zur altersentsprechenden normalen Blasenwand (Rösch et al. 2012).
Obwohl diese Daten klinische Besonderheiten der ehemals ekstrophen Blasen, wie verminderte Dehnbarkeit der Blasenwand oder die verstärkte Neigung zu Blasenkrämpfen erklären können, erlauben sie zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch keine prognostischen Aussagen über das spätere Blasenwachstum und die Blasenfunktion.

Pathomorphologie des weiblichen Genitales

Klitoris und Mons pubis sind komplett gespalten. Dabei ist der gesamte Introitus vaginae stets nach anterior verlagert. In 2/3 der Fälle besteht zudem eine Introitusstenose. Die Vagina selbst ist stets kürzer als normal, weist jedoch einen altersentsprechenden Durchmesser auf. Der Uterus trifft an der Vorderwand auf die Scheide, sodass die Cervix an der Scheidenvorderwand zu finden ist und dadurch der Abstand zum Introitus verkürzt ist. Im Gegensatz zur Kloakenekstrophie weisen Uterus und Adnexe nur sehr selten anatomische oder funktionelle Störungen auf. Die bereits beschriebenen Defekte des Beckenbodens und des knöchernen Beckens stellen mit großer Wahrscheinlichkeit eine Prädisposition für den häufig zu beobachtenden Uterusprolaps bei Blasenekstrophie-Patientinnen in jungem Alter dar. Möglicherweise trägt auch das in 50 % der Fälle beschriebene Fehlen der Ligamenta cardinalia zu diesem Prolapsgeschehen bei.

Klinische Pathomorphologie der Epispadie

Männliche Epispadie

Grundsätzlich assoziiert ist die Epispadie mit der klassischen Blasenekstrophie. Die isolierte Form der Epispadie dagegen ist auch beim männlichen Geschlecht sehr selten und wird mit einer Inzidenz von 1:117.000 Neugeborenen angegeben. In den meisten Fällen (etwa 70 %) handelt es sich dabei um sog. komplette Formen mit dorsaler Spaltbildung des gesamten Penis bis in den Blasenhals hinein und damit verbunden auch kompletter Inkontinenz. Diese Form entspricht dem Grad III (Abb. 3). Davon unterschieden werden der Grad I mit Spaltung nur im Bereich der Glans (Abb. 4) und der Grad II, bei dem die Spaltbildung bis maximal an die Symphyse heranreicht. Obwohl diese sog. distalen Formen früher als kontinent galten, zeigt sich im Langzeitverlauf nicht selten eine zumindest partielle Inkontinenz. Ursache dafür ist ein bindegewebiger Strang, der sich vom Beginn der tubularisierten Harnröhre nach proximal bis in den Blasenhals zieht und so einen unterschiedlich breiten morphologischen und damit auch funktionellen Sphinkterdefekt bedingt.
Alle Formen der Epispadie weisen durch die dorsal verlaufende Harnröhrenrinne mit ihrem pathologisch veränderten Corpus spongiosum eine unterschiedlich stark ausgeprägte Dorsalverkrümmung des Penis auf. Die Symphysendiastase ist meist nur bei der kompletten Form nachweisbar.

Weibliche Epispadie

Die isolierte weibliche Epispadie tritt extrem selten auf (1:484.000). Nicht zuletzt deshalb wird die isolierte Epispadie bei den Mädchen im Neugeborenenalter gelegentlich übersehen oder fehlinterpretiert und oft erst im Vorschul- oder Schulalter aufgrund der persistierenden Inkontinenz diagnostiziert.
Die klassische Form der weiblichen Epispadie ist die komplette dorsale Spaltbildung der Urethra bis in den Blasenhalsbereich hinein mit stets gespaltener bifider Klitoris. Das Mons pubis scheint mittig oft etwas eingezogen und weist an dieser Stelle eine auffällig weiche, oft glänzende Haut auf, die nicht haartragend ist. Dieser Hautstreifen setzt sich zwischen den Klitoralhälften bis zur Urethra fort und zieht dort in die Blasenhalsregion.
Die Symphyse ist wie auch bei der männlichen Epispadie meist geschlossen.

Blasenekstrophie-Epispadie-Komplex-Varianten

Der Ekstrophie-Komplex repräsentiert ein ganzes Spektrum teratogenetisch eng verwandter Anomalien mit fließenden Übergängen von der Epispadie, der unteren und oberen Fissur bis zum Vollbild der Blasenekstrophie. Die sog. Varianten der Minimalformen treten mit einer Inzidenz von 1:400.000 bis 1:500.000 Lebendgeburten deutlich seltener auf als die klassische Blasenekstrophie.
Ekstrophie-Varianten
  • Pseudo-Ekstrophie Unterschiedlich stark ausprägtes Spaltbecken, Rektusdiastase, tief stehender Nabel. Unterer Harntrakt funktionell und morphologisch normal.
  • Gedoppelte Ekstrophie („duplicate exstrophy“) Symphysendehiszenz mit Rektusdiastase; ekstropher Blasenwandanteil unterschiedlichen Ausmaßes am Unterbauch zwischen Nabel und Symphyse; in der Tiefe jedoch normal entwickelte geschlossene Blase; Veränderungen des äußeren Genitales variieren vom Normalbefund bis zur kompletten Epispadie.
  • Obere vesikale Fissur oder obere Blasenspalte („superior vesical fissure“) Minimalform der klassischen Blasenekstrophie mit typischen muskuloskelettalen Fehlbildungen, aber nur minimaler Öffnung und Eventration von Blasengewebe. In Einzelfällen nur feiner Fistelgang zwischen Blasenwand und Bauchdecke. Äußeres Genitale und Blasenhals normal entwickelt.
  • Gedeckte Ekstrophie („covered exstrophy“) Symphysendehiszenz und Rektusdiastase; isoliertes ektopes Ileum- oder Kolonsegment an der Bauchdecke nahe des Genitales. Typischerweise hat dieses Segment keine erkennbare Verbindung zum Gastrointestinaltrakt, zur Blase oder zu dem normal oder epispad entwickelten Genitale.

Diagnostik

Pränatale Diagnostik

75–80 % aller kongenitalen Anomalien können heute mit Hilfe der hoch auflösenden Real-time-Sonografie bereits vor der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) diagnostiziert werden. Abgesehen von der Kloakenekstrophie, die wahrscheinlich auch aufgrund der Begleitfehlbildungen signifikant früher und häufiger erkannt wird als die anderen Formen des BEEK, wird die klassische Blasenekstrophie meist erst im 3. Trimester diagnostiziert. Der fehlende Nachweis einer flüssigkeitsgefüllten Blase bei mehrfachen Untersuchungen sowie der Nachweis einer vermehrt echoreichen Struktur im Bereich des Unterbauches, die der Blasenplatte entspricht, gelten als zuverlässigste Kriterien für den Nachweis einer klassischen Blasenekstrophie (Cromie et al. 2001).
Pränatale Sonografiebefunde bei Blasenekstrophie in abnehmender Häufigkeit
  • Fehlender Nachweis einer uringefüllten Blase
  • Tief inserierende Nabelschnur
  • Auffällige Symphysendehiszenz
  • Auffällig kleines Genitale beim Jungen
  • Echoreiche Raumforderung im Bereich der Unterbauchwand, die mit fortschreitender Schwangerschaft an Größe zunimmt
Abhängig vom Ausmaß des Defekts und auch von der Erfahrung des Untersuchers, sind diese Kriterien bereits zwischen der 15. und 32. SSW zu verifizieren.

Präoperative Diagnostik

Die klinische Untersuchung ist wegweisend, sowohl für die richtige Klassifizierung als auch für die Festlegung des weiteren therapeutischen Vorgehens.
Wesentliche klinische Befunde für die OP-Planung
  • Größe und Qualität der Blasenplatte
  • Ostienkonfiguration und -lage
  • Weite der Symphysendehiszenz
  • Beim Jungen: Penisgröße, Hodenlage und Persistenz der offenen Processus vaginales
  • Bei der männlichen Epispadie: Beurteilung der Defektlänge und insbesondere Ausschluss einer Urethra duplex
  • Beim Mädchen: Inspektion des äußeren Genitales mit Beurteilung des Introitus vaginalis
  • Der Ausschluss neurologischer Stigmata, einschließlich der analen Sphinkterreaktion dient zum ersten groben Ausschluss von assoziierten Fehlbildungen
Die Sonografie gehört zur Basiserstuntersuchung und schließt assoziierte Fehlbildungen des oberen Harntraktes aus. Derlei Fehlbildungen treten bei BEEK-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht gehäuft auf. Das sonografische Hüftscreening ist auch für die BEEK-Patienten selbstverständlich, ist aber mit zunehmender Symphysenweite schwerer interpretierbar. Eine Röntgenübersichtsaufnahme ist nur bei geplanter Osteotomie oder bei einer klinischen Symphysenweite über 7–8 cm erforderlich. Da Herzvitien bei BEEK-Patienten vermehrt gefunden werden (Abschn. 4.5) ist auch eine präoperative Echosonografie des Herzens aus unserer Sicht sinnvoll.
Mit Ausnahme der kloakalen Ekstrophie besteht ansonsten bei keiner Form eine Indikation für eine weiterführende radiologische oder MR-tomographische Bildgebung. Gleiches gilt für hämatologische und laborchemische Untersuchungen. Auch ein genetisches Routinescreening des Patienten und seiner Eltern außerhalb klinischer Studien wird derzeit nicht empfohlen.

Rekonstruktionstechniken der Blasenekstrophie

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden erste operative Rekonstruktionsversuche zum Verschluss der ekstrophen Blase unternommen. Von Anfang an kristallisierten sich zwei wesentliche Strömungen heraus. Während die einen versuchten, die Blasen entweder zu decken oder zu verschließen, versuchten andere unterschiedlichste Formen der Harnableitung.
Diese beiden grundlegend unterschiedlichen Konzepte, um nicht zu sagen Philosophien, konkurrieren bis zum heutigen Tag. Dabei haben sich bis heute nur wenige Techniken wirklich etabliert, die in 3 Kategorien eingeteilt werden können:
  • die einaktige, komplette Rekonstruktion,
  • der sog. „staged approach“, also die geplant mehraktigen (2 oder 3 Schritte) Rekonstruktionstechniken,
  • die Entfernung der Blasenplatte und Anlage eines Rektumreservoirs als primäre Harnableitung.
Abgesehen von diesen 3 grundsätzlichen Behandlungskonzepten gibt es eine derzeit noch anhaltende Diskussion, ob der primäre Eingriff in den ersten 48 Lebensstunden oder erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt (sog. „delayed procedure“) 4–8 Wochen nach der Geburt erfolgen soll. Während früher in nahezu allen Lehrbüchern die initiale Operation am 1. oder 2. Lebenstag empfohlen wurde, geht der Trend heute weltweit zur „delayed procedure“. Nach den bislang vorliegenden Daten ergibt sich kein Hinweis, dass die Blasenmukosa in der Zeit bis zur Operation langfristig geschädigt wird, aufsteigende Harnwegsinfektionen können bei sonografisch unauffälligem oberen Harntrakt praktisch ausgeschlossen werden und die vermeintlichen Nachteile für die Rekonstruktion des knöchernen Beckens konnten bislang nicht bestätigt werden (Abschn. 9).
Vorteile des Delayed-procedure-Konzepts
  • Stabilisierte Nierenfunktion ab der 4. Lebenswoche
  • Allgemein besser stabilisierter Organismus, dadurch niedrigeres Narkoserisiko
  • Besseres Schmerzmanagement unter Verwendung des Periduralkatheters
  • Raschere postoperative Erholung
  • Stillen bereits vor dem Eingriff und kurze Zeit nach dem Eingriff wieder möglich
  • Psychologische Vorteile („early sensitive period“, Bonding)
  • Logistische Vorteile (Beratung, psychologische Unterstützung, Selbsthilfegruppe, „second opinion“)

Einaktige Konzepte („single-stage repair“)

In den frühen 1960er-Jahren gab es erste Versuche einer einzeitigen Totalrekonstruktion mit Blasenverschluss, Blasenhalsrekonstruktion und Epispadiekorrektur. Allerdings waren die Kontinenzraten meist schlecht und gravierende Komplikationen wie Infektionen und massive Obstruktionen des oberen Harntraktes traten in bis zu 90 % auf. Somit kam man zunächst von dem einaktigen Konzept ab und die durch Jeffs in Toronto und später am Johns Hopkins Medical Institute populär gewordene mehraktige Rekonstruktion der Blasenekstrophie setzte sich als Standardverfahren weltweit immer mehr durch.
Im deutschsprachigen Raum war es vor allem Schrott, der systematisch eine eigene OP-Strategie mit der Technik eines einaktigen Rekonstruktionsverfahrens entwickelte, wobei der möglichst das Trigonum schonende Zuschnitt des Blasenhalses im Vordergrund stand. Ab 1983 wurde diese Technik in Erlangen schließlich weitgehend standardisiert als einaktiges Verfahren konsequent durchgeführt (Schrott 1999).
Grady und Mitchell stellten 1999 ihr „complete primary repair“-Konzept (CPRE) mit primärem kompletten Blasenverschlusses mit gleichzeitiger Korrektur der Epispadie im Neugeborenenalter vor (Grady et al. 1999). Dieses Vorgehen basiert auf dem Grundgedanken, dass der primäre Defekt der Blasenekstrophie in erster Linie auf einer anterioren Herniation der Blase beruht. Deshalb werden Blase, Blasenhals und Harnröhre als untrennbare Einheit angesehen und behandelt und dabei komplett nach posterior, tief in das Becken hinein verlagert. Im Rahmen dieses primären Eingriffs erfolgt auch das sog. „penile disassembly“, bei dem Harnröhrenplatte mit Corpus-spongiosum-Anteilen und Corpora cavernosa mit den dazugehörigen Glanshälften komplett separiert werden, um dann funktionell rekonstruiert zu werden. Zweifellos erlaubt diese Technik eine besonders anatomiegerechte Rekonstruktion des gesamten unteren Harntraktes, sie stellt jedoch mit Abstand die anspruchsvollste und riskanteste Technik dar, die in den vergangenen Jahren auch in geübten Händen zu schwerwiegenden Komplikationen bis hin zum kompletten Penisverlust geführt hat.

Primär mehraktige Konzepte („staged approach“)

Die Strategie der mehraktigen Rekonstruktion geht zurück auf die Arbeiten von Jeffs und Cendron aus den frühen 1970er-Jahren. Bereits damals waren alle Anteile einer kompletten Rekonstruktion wie Blasenhalsplastik, Antirefluxplastik und Epispadiekorrektur enthalten.
Die heute weit verbreitete Modifikation, die sog. „modern staged repair“ (MSRE) wie sie vor allem von Gearhart propagiert wird, sieht als ersten Schritt der Rekonstruktion einen Verschluss der Blase, der hinteren Harnröhre und der Bauchdecke vor. Abhängig vom Alter und der Weite der Symphysendiastase wird in dieser Sitzung auch die Approximation des Beckenrings entweder mit oder ohne Osteotomie durchgeführt (Gearhart und Mathews 2012). Voraussetzung für den primären Verschluss ist nach diesem Konzept, dass die Blasenplatte groß genug ist, damit sie sich nach ausgiebiger Mobilisation auch zu einem Hohlorgan umformen lässt. Andernfalls empfiehlt Gearhart jedoch, bis zum 6. Lebensmonat zu warten, um den primären Verschluss durchzuführen.
Die Epispadiekorrektur erfolgt nach diesem Konzept in einer zweiten Sitzung, meist zwischen dem 1. und dem 2. Lebensjahr. Die Blasenhalsrekonstruktion wird erst durchgeführt, wenn eine Mindestkapazität von 60–70 ml erreicht wird. Gearhart beschreibt seine Blasenhalsplastik in einer modifizierten Technik nach Young-Dees-Leadbetter. Während früher eher kranial bis tief in das Trigonum inzidiert und mobilisiert wurde, wird heute eine mehr kaudal gelegene, das Trigonum schonendere Technik bevorzugt, die sowohl der Durchblutung als auch der Innervation der Blase Rechnung trägt.
Die sogenannte „radical soft tissue mobilization“ (RSTM) wurde 1995 erstmals von Kelly beschrieben und ist, wie der Name schon sagt, durch eine ausgiebige Mobilisation der Weichteile im Bereich des Beckenbodens und der vollständigen Ablösung der Corpora cavernosa von den aufsteigenden Schambeinästen gekennzeichnet. Nach erfolgreichem Primärverschluss der Blase ohne Osteotomie im Neugeborenenalter erfolgt die endgültige Rekonstruktionsoperation im Alter von 9 bis 12 Monaten. Die komplette Ablösung der Corpora cavernosa und die ausgedehnte Mobilisation im Bereich des Beckenbodens einschließlich des Nervus pudendus entlang seines Verlaufes im Alcoc’kschen Kanal erlaubt die Vereinigung der Schwellkörper auch im proximalen Bereich in der Mittellinie, was zu einer zusätzlichen ventralen Protrusion des gesamten Penisschaftes und damit zu einem sichtbaren Längengewinn führt. Die seitlich mobilisierten Anteile der Sphinktermuskulatur werden als Kontinenzmechanismus um die neu geschaffene Blasenhalsregion geschlungen und readaptiert. Durch die vollständige Mobilisation vom knöchernen Becken ist auch eine Readaptation der Symphyse für die Blasenrekonstruktion nicht erforderlich, deshalb verzichten nahezu alle Vertreter dieser Technik auf eine Osteotomie im Rahmen der Blasenhalsplastik und Epispadiekorrektur. Diese Technik wird seit 2007 in London standardisiert durchgeführt. Bemerkenswert ist dabei, dass grundsätzlich auf eine postoperative Immobilisation sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Sitzung verzichtet werden kann (Mushtaq et al. 2014). In den letzten Jahren wurde diese Technik von einigen Arbeitsgruppen dahingehend erfolgreich modifiziert in dem sie diese Form der Rekonstruktion einaktig im Rahmen einer delayed procedure im Säuglingsalter durchführen.

Regensburger Konzept der Ekstrophie-Rekonstruktion

Der Eingriff erfolgt üblicherweise um die 6.–8. Lebenswoche, wenn sich der Säugling stabilisiert hat (Übersicht „Vorteile des Delayed-pocedure-Konzepts“).
Tipp
In der Zeit bis zur Operation bedürfen die Patienten keiner besonderen medizinischen Versorgung. Es besteht keine Indikation für einen längeren stationären Aufenthalt eines reifen Neugeborenen mit einer Blasenekstrophie, insbesondere kein Aufenthalt auf einer Frühgeborenen- oder Intensivstation. Weiterhin besteht keine Indikation für die Verabreichung eines Antibiotikums oder einer Low-dose-Chemoprophylaxe – ganz im Gegenteil, langfristig gesehen würde dadurch die Resistenzentwicklung erhöht und gleichzeitig das Risiko für eine Pilzinfektion im Urogenitalbereich erhöht werden. Zum Schutz der Blasenplatte werden salbengetränkte Kompressen (z. B. Adaptic® oder Jelonet) ohne Lokalantibiotika aufgelegt, die bei jedem Wickeln erneuert werden. Ein zusätzliches Anfeuchten der Blasenplatte ist nicht erforderlich.
Die Kombination von Allgemeinnarkose und Epiduralkatheter sollte heute Standard sein. Diese Kombination gewährleistet einen extrem niedrigen Opiatbedarf sowie eine optimale postoperative Analgesie und trägt wesentlich zur Prophylaxe von postoperativen Blasenkrämpfen bei. Optimales Schmerzmanagement und stabilisierter Organismus ab der 6. Lebenswoche erlauben die Kombination mehrerer Rekonstruktionsschritte bei gleichzeitig niedrigerem Risiko:
  • Blasenverschluss,
  • Leistenexploration beidseits mit Verschluss der offenen Processus vaginales bei männlichen Säuglingen,
  • Epispadiekorrektur bei männlichen Säuglingen,
  • Symphysenadaptation.
Die Blase wird von ihrer vorderen Fixation im Spaltbecken komplett befreit, um eine spätere Dehiszenz zu verhindern. Dazu werden die pubovesikalen und puboprostatischen Ligamente entlang der Schambeinäste komplett durchtrennt, bis der Beckenboden – die Levatorplatte – sichtbar wird. Diese Mobilisation wird nach kaudal auch im Bereich der prostatischen Harnröhre konsequent fortgesetzt. Dazu wird zur besseren Übersicht schon zu diesem Zeitpunkt die Penisschafthaut von den Schwellkörpern gelöst, um dann die Blasenhalsregion sowie die Corpora cavernosa schrittweise von der Symphyse bzw. den aufsteigenden Schambeinästen abpräparieren zu können. Erst die vollständige Mobilisation ermöglicht eine anatomiegerechte Verlagerung der Blase in die Tiefe des Beckens. Es erfolgt dann die Epispadiekorrektur in gleicher Sitzung in der in Abschn. 11.1 beschriebenen modifizierten Technik nach Cantwell-Ransley.
Aufgrund der hohen Inzidenz von Leistenhernien werden zudem stets beide Samenstränge dargestellt und die offenen Processus vaginales in dieser ersten Sitzung mitverschlossen, um den Patienten weitere Eingriffe zu ersparen. Vor der Rekonstruktion der Bauchdecke erfolgt schließlich der Beckenringschluss in der in Abschn. 9 beschriebenen Dreierzugtechnik. Dies ist in diesem Alter nahezu immer ohne Osteotomie möglich (Promm und Roesch 2019).
Die vom Urin benetzte Blase hat jetzt die Möglichkeit sich zu entwickeln. Wichtige Voraussetzungen für ein gutes Blasenwachstum sind:
  • Sorgfältige gefäß- und nervenschonende Präparation der Blasenplatte.
  • Vollständige Resektion des deutlich vermindert dehnbaren sog. paraekstrophen Gewebestreifens, der keinesfalls zum Verschluss der Blase mitverwendet werden sollte.
  • Vermeidung einer infravesikalen Obstruktion durch Blasenhalseinengung oder dünnkalibrige Urethralplastik (deshalb Tubularisierung der Urethralplatte über 10 Charr. anstreben). Entgegen der immer noch weit verbreiteten Meinung, dass eine gewisse infravesikale Obstruktion als Voraussetzung für ein Blasenwachstum erforderlich ist, muss heute davon ausgegangen werden, dass die vulnerable Blasenschleimhaut durch erhöhten intravesikalen Druck eher geschädigt wird und damit zu einer Fibrose der Blasenwand führen kann.
  • Durch die „Niederdruckableitung“ ist eine Harnleiterneuimplantation der stets refluxiven Ureteren nicht erforderlich, ebensowenig wie eine Low-dose-Dauerchemoprophylaxe bis zum Zeitpunkt der geplanten Blasenhalsplastik.
Die Blasenhalsplastik erfolgt unabhängig vom Alter erst dann, wenn eine Blasenkapazität von 100 ml erreicht ist. Wir verwenden dazu weiterhin die von Schrott entwickelte kontinente Blasenhalsrekonstruktion mit weitgehender Schonung des kranialen Trigonums und Tubularisierung des kaudalen Trigonumanteils (Schrott 1999). Das Prinzip beruht dabei auf einem bilateral kranialwärts gerichteten schrägen Zuschnitt der lateralen Blasenflügel bis an die Margo lateralis des unteren Hemitrigonums mit Tubularisierung des unteren Hemitrigonums zum muskulären kontinenten Blasenhals. Entscheidend ist hierbei die vaskuläre und nervale Schonung des Blasendreiecks. In gleicher Sitzung werden beide Harnleiter in der Technik nach Cohen antirefluxiv neu eingepflanzt.
Kommt es zu keinem ausreichenden Blasenwachstum nach dem Primärverschluss, so würde in dieser Sitzung gleichzeitig eine Ileozystoplastik sowie die Anlage einer kontinenten Vesikostomie (z. B. nach Mitrofanoff) durchgeführt werden, da auch nach Blasenhalsrekonstruktion nach dieser Zeit ein wesentliches Wachstum der Blase nicht mehr zu erwarten wäre.
Wichtig
Die wesentlichen Vorteile dieses Konzeptes sind aus unserer Sicht:
  • Kombination mehrerer Rekonstruktionsschritte bei gleichzeitig niedrigem Risiko möglich:
    • Blasenverschluss
    • Leistenexploration
    • Epispadiekorrektur
    • Symphysenadaptation
  • Nur zwei geplante Rekonstruktionsschritte:
    • Initiale OP in der 6.–8. Lebenswoche
    • Kontinente Blasenhalsplastik plus Harnleiterneuimplantation beidseits bei Erreichen einer Blasenkapazität von 100 ml

Bedeutung der Osteotomie

Unterschiedliche Formen der Beckenring-Osteotomie wurden im Laufe der Jahre entwickelt mit dem Ziel, eine möglichst spannungsfreie und vollständige Adaptation der Symphysenäste zu erreichen und damit auch die Spannung auf die verschlossene Bauchwand zu reduzieren. Weiterhin soll durch die Annäherung der großen Beckenbodenmuskeln im ventralen Anteil der Auslasswiderstand der proximalen Harnröhren erhöht werden.
Tatsache ist jedoch, dass es bis zum heutigen Zeitpunkt keine Form der Osteotomie gibt, die mittel- bis langfristig die Adaptation der Schambeinäste gewährleistet. Bereits nach 1–2 Jahren kommt es zu einer unterschiedlich stark ausgeprägten Re-Diastase, bei den posterioren Osteotomien oft sogar bis hin zur initialen Ausgangssituation. Weitere Nachteile der iliosakralen Osteotomie sind der höhere Blutverlust im Vergleich zu anderen Techniken, kosmetische Aspekte und die Notwendigkeit der aufwendigen Umlagerung des Kindes nach der Osteotomie, um dann die Rekonstruktion der Blase durchführen zu können.
Die heute am weitesten verbreitete Technik der Osteotomie ist die bilaterale kombinierte anteriore Os-coxae- und vertikale Os-iliaca-Osteotomie, wie sie vor allem von der Arbeitsgruppe in Baltimore propagiert wird (Gearhart und Mathews 2012). Tatsächlich führt diese Form der Osteotomie zu einer wesentlich besseren Mobilisation der Symphysenäste und ist deutlich weniger invasiv als die posteriore Form. Zudem kann der Patient ohne Veränderung der Lagerung komplett rekonstruiert werden. Nichtsdestotrotz bedeutet auch diese Form der Osteotomie eine nicht unerhebliche Zusatzbelastung des Neugeborenen oder Säuglings durch deutliche Verlängerung der OP-Zeit, vermehrten Blutverlust, Notwendigkeit der Osteosynthese und nachfolgend langer Immobilisationszeit.
Während viele Autoren den Beckenringverschluss ohne Osteotomie nur innerhalb der ersten Lebenstage und bei einer maximalen Symphysenweite von 4 cm für machbar halten, belegen Berichte anderer Arbeitsgruppen sowie unsere langjährigen eigenen Erfahrungen, dass ein Beckenringverschluss ohne Osteotomie in den ersten 10–12 Lebenswochen auch bis zu einer maximalen Symphysenweite von 6–7 cm problemlos durchführbar ist. Bei inzwischen über 180 primären Blasenekstrophie-Rekonstruktionen seit 1983 im Erlanger und Regensburger Krankengut kam es nur in einem Fall zu einem Schambeinausriss und in einem Fall zu einer Infektion im Bereich der Symphyse. In keinem einzigen Fall der primären Rekonstruktionen ist es zu einem Aufplatzen der Blasenwand oder einem erneuten Prolaps der ekstrophen Blase gekommen, obwohl Gearhart und Sponseler einen großen Teil der fehlgeschlagenen Ekstrophieverschlüsse auf eine fehlende Osteotomie zurückführen.
Die Beckenringadaptation erfolgt weiterhin in der von Schrott erstmals vorgestellten 3-Zug-Technik, die verbleibende interpubische Distanz sollte idealerweise unter 1 cm betragen und wird von 2–3 Zugnähten (PDS-Kordel von 1 mm Stärke) erreicht, die breit fassend tangential durch die horizontalen Schambeinäste gelegt werden (Abb. 5).
Die Immobilisation erfolgt bislang mit einem Meerjungfrauenverband, der zur Vermeidung von Hautläsionen jeden zweiten Tag gewechselt werden sollte und nur 10–14 Tage verbleibt. Eine Gipsschale ist unnötig (Schrott 1999).
Natürlich kommt es im Laufe der Zeit auch nach dieser Form der Beckenringadaptation zu einer erneuten Diastase, wobei der dann bestehende intersymphysäre Spalt nicht offen klafft, sondern durch einen derben bindegewebigen Strang überbrückt wird. Während der Verzicht auf jegliche Form der Symphysenapproximation signifikant häufiger zu einem Descensus uteri bis hin zum Prolaps führt, besteht dagegen kein Unterschied zwischen einer Symphysenadaptation mit oder ohne Osteotomie (Ebert et al. 2009b). Im Gegensatz zu bisherigen unauffälligen Langzeitverläufen nach Beckenringadaptation ohne Osteotomie mehren sich zudem in letzter Zeit die Berichte, über zum Teil schwerwiegende orthopädische Komplikationen im Erwachsenenalter nach initialer Osteotomie, die in den meisten Fällen wahrscheinlich durch ein asymmetrisches Beckenwachstum bedingt sind (Promm und Roesch 2019).

Primäre Harnableitungen

Die primäre Harnableitung stellt in sehr seltenen Ausnahmefällen eine Alternative zum primären Blasenverschluss dar. Insbesondere bei Patienten, die für den primären Verschluss nicht geeignet erscheinen, z. B. Patienten aus medizinisch minderversorgten Gebieten, wo eine engmaschige Nachsorge nicht gewährleistet ist bzw. keine Option für einen intermittierenden Katheterismus besteht. Auch bei Patienten mit extrem kleiner Blasenplatte oder älteren Patienten mit deutlich veränderter Blasenplatte sollte die primäre Harnableitung erwogen werden.
Nach fehlgeschlagener Rekonstruktion des unteren Harntraktes mit Inkontinenz, gravierenden histologischen Veränderungen des Blasenrestes und Veränderungen des oberen Harntraktes sollte eine Harnableitung in Betracht gezogen werden, wobei die Funktion des oberen Harntraktes den limitierenden Faktor darstellt. So ist bei bereits deutlich eingeschränkter Nierenfunktion meist nur noch die Anlage eines Conduits möglich. Aufgrund der geringeren Komplikationsrate, insbesondere für den oberen Harntrakt, sollte die Anlage eines Kolon-Conduits mit der Option der späteren Konversion in eine kontinente Harnableitung nach renaler Konsolidierung erfolgen. Eine kontinente Harnableitung ist bei normaler Nierenfunktion Methode der Wahl. Ist der anale Sphinktermechanismus kompetent und sind die Ureteren ausreichend lang, so kann den Patienten ein Rekto-Sigma-Pouch angeboten werden (Rösch et al. 2012). Die häufig verdickten und fibrosierten Ureteren sollten nach der Technik von Abol Enein („serous-lined extramural tunnel“) implantiert werden, da hier die Komplikationsrate deutlich niedriger ist. Bei Patienten mit inkompetentem analen Schließmuskel bzw. Patienten, die keine rektale Harnableitung wünschen, kann eine kontinente kutane Harnableitung durchgeführt werden.
Bei weiblichen Patienten mit einer Fehlbildung aus dem BEEK wird im Rahmen der Harnableitung der Blasenrest und die Urethra entfernt, um späteren Komplikationen wie Blasenempyem oder einer Karzinomentwicklung vorzubeugen. Bei den männlichen Patienten wird die Blase so weit wie möglich reseziert und über der Prostata verschlossen. Es entsteht ein das Ejakulat aufnehmender kleiner Hohlraum – ein Rezeptakulum. Die Urethra dient nur noch der Ausleitung des Ejakulats.

Rekonstruktionstechniken der Epispadie

Männliche Epispadie

Während die Glansrekonstruktion und die Hautdeckung in erster Linie von kosmetischer Bedeutung sind, haben Penisdeflexion und Urethralplastik eine entscheidende funktionelle Bedeutung für das spätere Leben. Die unzureichende Korrektur der dorsalen Verkrümmung macht für viele betroffene Patienten den Geschlechtsverkehr unmöglich. Ein besonderes Augenmerk gilt auch der Urethra, die ausreichend weit und vor allem möglichst gerade verlaufen muss, um einerseits eine ungehinderte Miktion und antegrade Ejakulation, andererseits aber im Bedarfsfall einen intermittierenden Selbstkatheterismus via naturalis zu gewährleisten.
Wichtig
Die 4 wesentlichen Schritte zur Rekonstruktion eines funktionell und kosmetisch akzeptablen Penis sind:
  • Korrektur der dorsalen Verkrümmung,
  • Harnröhrenrekonstruktion,
  • Glansrekonstruktion,
  • adäquate, möglichste narbenfreie Hautdeckung des Penisschaftes.
Die modernen Epispadie-Rekonstruktionsverfahren sind durch eine wesentlich aggressivere Mobilisation der penilen Strukturen als früher gekennzeichnet, wo meist die Harnröhre in situ auf der Dorsalseite des Penis belassen wurde. Das Prinzip moderner Techniken besteht in einer langstreckigen Isolierung der Urethralplatte und konsequenten Beseitigung fibröser Anteile des minderwertig angelegten Corpus spongiosum (Chorda), um eine gerade oder noch besser nach unten gerichtete Orientierung der Penisachse im nicht erigierten Zustand zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür ist die heute weit verbreitete Cantwell-Ransley-Technik (Gearhart und Mathews 2012), bei der durch die komplette Mobilisation der Urethralplatte von den Corpora eine Verlagerung der Harnröhre zwischen bzw. unter die Corpora cavernosa möglich ist und gleichzeitig die Dorsalkurvatur effektiver korrigiert werden kann.
Bei einer weiteren Modifikation dieser Technik werden, nachdem die Urethralplatte vollständig mobilisiert wurde und nur noch an ihrem distalen Ende an der Glans fixiert ist, die Corpora cavernosa um 30–45° nach lateral und nicht wie früher üblich nach medial rotiert, um dann ohne zusätzliche Inzision mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial über der vorher rekonstruierten Neourethra readaptiert zu werden. Im vergleichsweise noch kurzen Beobachtungszeitraum sind keine Schwellkörperhypo- oder -atrophien bekannt (Ebert et al. 2009a).
Die Mitchell-Technik ist durch die komplette Dissektion der Urethralplatte nicht nur von den Corpora cavernosa, sondern auch von der Glans gekennzeichnet. Zudem wird die Glans nicht nur inzidiert, sondern komplett spatuliert (Mitchell und Bagli 1996). Häufig resultiert aus dieser vollständigen Harnröhrenmobilisation eine penile Hypospadie, die dann entweder sofort oder meist zu einem späteren Zeitpunkt in einer weiteren Sitzung korrigiert werden muss.
Die perineale Dissektion im Rahmen der RSTM ist die einzige Technik die zu einer Mobilisation der beiden Corpora cavernosa auf der gesamten Länge erlaubt. Durch diese mediane Rotation und den erheblichen Längengewinn ist die Urethralplatte meist verkürzend wirksam, weshalb sie ähnlich wie bei der Mitchell-Technik durchtrennt und ventralseitig hypospad ausgeleitet wird.
Allen Formen der modernen Epispadiekorrektur gemein ist die im Vergleich zu früheren Rekonstruktionstechniken exzessiven Mobilisation die eine minuziöse Präparation der anatomischen Strukturen unter Lupenbrillenvergrößerung und Mikroinstrumentarium voraussetzt um spätere Probleme wie erektile Dysfunktion oder eine Hypo-/Atrophie der Corpora cavernosa zu vermeiden.

Weibliche Epispadie

Bis zum heutigen Tag gilt die Rekonstruktion des weiblichen äußeren Genitales beim BEEK als vergleichsweise „einfach“. Nicht zuletzt deshalb findet man auch in der Literatur kaum Hinweise zu Rekonstruktionstechniken und deren (Langzeit-)Ergebnissen. Vor diesem Hintergrund wurde oft auf die Rekonstruktion des Mons pubis mit den entsprechenden haartragenden Anteilen kaum Wert gelegt und auch die bifiden Klitoralhälften wurden oft vorsichtshalber so belassen, um etwaige Nervenläsionen zu vermeiden. Neuere Studien zur psychosexuellen Entwicklung dieser Patientinnen im Jugendalter zeigen jedoch, dass diese Patientinnen unter diesen Problemen zum Teil erheblich leiden, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des „body image“ (Ebert et al. 2009a). Die Korrektur des äußeren Genitales sowohl bei der Epispadie als auch bei der Ekstrophie sollte die Vereinigung des Mons pubis und der Klitoris sowie die Rekonstruktion der kleinen Schamlippen beinhalten. Trotz oft sehr eng imponierendem Introitus ist in nahezu allen Fällen ein freier Sekretabfluss gewährleistet, deshalb sollte im Säuglingsalter auf eine Introitusplastik verzichtet werden. In etwa der Hälfte bis zwei Drittel der Fälle ist während oder nach der Pubertät eine zusätzlich erweiternde Introitusplastik z. B. mittels Fortunoff-Lappens notwendig, um einen ungehinderten oder schmerzfreien Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Eine Introitusplastik im frühen Säuglingsalter kann diesen Eingriff in der Regel nicht vermeiden, sondern verschlechtert durch bereits stattgehabte Narbenbildung die Ausgangssituation.

Konzepte bei fehlgeschlagenen Primäreingriffen

Grundsätzlich gilt, dass die initial erfolgreiche Rekonstruktion für den langfristigen Erfolg entscheidend ist! Unabhängig vom behandelnden Zentrum weisen weltweit alle Rezidiveingriffe deutlich schlechtere Langzeitergebnisse im Hinblick auf Kontinenz und Fertilität auf (Rösch et al. 2012). Abhängig vom Ausmaß bedürfen fehlgeschlagene Rekonstruktionsversuche stets einer sorgfältigen endoskopischen, radiologischen und urodynamischen Abklärung. Zur Festlegung eines erfolgreichen Konzepts, das eine möglichst hohe Lebensqualität für den Patienten bieten soll, müssen neben den medizinisch objektiven Parametern vor allem immer auch die individuellen sozialen und familiären Gegebenheiten mitberücksichtigt werden. Steht die eingeschränkte Blasenspeicherkapazität im Vordergrund, ist die Blasenaugmentation mit Ileum oder Sigma angezeigt. In der Mehrzahl der Fälle muss dann aber die Blasenentleerung über den (Selbst-)Einmalkatheterismus via naturalis oder besser über ein kontinentes Vesikostoma (z. B. nach dem Mitrofanoff-Konzept), gewährleistet sein. Ist dagegen der Blasenauslasswiderstand zu niedrig, ist in den meisten Fällen eine Rezidiv-Blasenhalsplastik unumgänglich. Es muss aber stets bedacht werden, dass die alleinige Erhöhung des Auslasswiderstandes bei gleichzeitig schlechter Blasenqualität (niedrige Compliance, kleine Kapazität, etc.) zu keiner Verbesserung der Kontinenzsituation führt, sondern den oberen Harntrakt gefährdet. Nur bei leichten, rein belastungsabhängigen Formen der Stressinkontinenz kann der Versuch einer minimalinvasiven Behandlung mit Injektion von sog. Bulking agents wie Dextranonomer/Hyaluronsäure oder Polyacrylat/Polyalkohol/Copolymer (PPC) am Blasenhals zu erwogen werden. Erfolgsraten um 50 % – meist jedoch nach mehrfachen Injektionen – wurden mit diesem Verfahren beschrieben. Bei ungünstigen anatomischen Verhältnissen im Blasenhalsbereich mit ausgedehnter Narbenbildung bleibt oft nur der Blasenhalsverschluss mit Anlage eines katheterisierbaren Stomas als definitive Lösung. Abhängig vom Zustand des oberen Harntraktes, der Nierenfunktion, des Alters des Patienten und nicht zuletzt von der Compliance der Eltern und des Patienten gilt es, in diesen Fällen sorgfältig zu prüfen, ob alternativ ein Sigma-Rektum-Pouch oder ein katheterisierbarer Ileozökalpouch als definitive Harnableitung in Frage kommt. Funktionell nicht Erfolg versprechende Operationen, die nur dem Ziel dienen, ein „Blasenrudiment“ zu erhalten, sollten nicht „um jeden Preis“ weiter verfolgt werden. Unter sorgfältiger Abwägung der Risiken profitieren diese Kinder enorm von einem rechtzeitigen Wechsel von einem rekonstruktiven zu einem ablativen Therapiekonzept einer Harnableitung.

Langzeitergebnisse und Prognose

Kontinenz

Obwohl zahllose Publikationen über die „Erfolge“ der Ekstrophie-Rekonstruktionstechniken existieren, erweist es sich letztendlich als extrem schwierig, die unterschiedlichen Methoden zu werten oder gar zu vergleichen. Ursachen dafür sind die unterschiedlichen Beobachtungszeiträume, unterschiedliche Wertung bzw. Berücksichtigung von Komplikationen und vor allem sehr differierende Definitionen des Begriffs „Kontinenz“. Objektive urodynamische Parameter fehlen meist ebenso wie Daten zur Fertilität, zu gynäkologischen und orthopädischen Problemen sowie zu psychosozialen und psychosexuellen Aspekten. Zudem ist inzwischen bekannt, dass die Blasenfunktion nach Ekstrophie-Rekonstruktion keineswegs ein Leben lang stabil bleibt. So wurde die Entwicklung einer Detrusoratonie im Erwachsenenalter nach langen Jahren guter Blasenfunktion sowohl in der Literatur beschrieben (Woodhouse et al. 2006) als auch im eigenen Patientengut beobachtet.
Die modernen Rekonstruktionstechniken erlauben, dass heute nahezu alle Blasenplatten erhalten und rekonstruiert werden können. Eine tatsächliche Spontanmiktion kann aber keineswegs garantiert werden. Für das Kleinkind- und Schulkindalter werden zwar Kontinenzraten bis zu 80 % angegeben (Tab. 1). Die tatsächliche Kontinenzrate über die Pubertät hinaus mit ausreichend großer Blasenkapazität und gleichzeitig weitgehend restharnfreier Blasenentleerung ohne Benutzung von Hilfsmitteln liegt aber realistisch bei 25–50 %! (Woodhouse et al. 2006; Maruf et al. 2020). Es muss dagegen nach dem Kindesalter damit gerechnet werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Patienten noch einer Blasenaugmentation bedarf, wobei die Blase dann über die Harnröhre oder ein kontinentes Vesikostoma mittels Selbstkatheterismus entleert werden muss (Rösch et al. 2012).
Tab. 1
Kontinenzraten nach Ekstrophie-Rekonstruktion
Publikation
Anzahl Patienten (n)
Kontinenzrate (%)
 
73
69
 
33
70
 
57
67
 
36
75
 
90
90
Gearhart und Mathews (2012)
88
74
 
47
72
 
80
45
Hohe Kontinenzraten von über 90 % tagsüber stellen einen Hauptvorteil der Harnableitung im Kindesalter dar. Aber auch bei diesen BEEK-Patienten muss im Erwachsenenalter mit einer Zunahme vor allem der nächtlichen Inkontinenz gerechnet werden, was für diese jungen Patienten bei der Vermischung von Stuhl mit Urin eine erhebliche Belastung bedeutet.

Andrologische Aspekte

Der enorme Einfluss, den kongenitale Genitalfehlbildungen auf die Lebensqualität im Erwachsenenalter haben können, ist inzwischen belegt. Penisgröße und Deviation und auch die Angst vor einer dadurch bedingten Ablehnung von einer Partnerin stellen die größten Probleme dar. Die modernen Genitalrekonstruktionstechniken erlauben heute zunehmend akzeptable funktionelle und kosmetische Ergebnisse.
Laut einer Literaturübersicht haben etwa 75 % der männlichen BEEK-Patienten unabhängig von der Rekonstruktionsart irgendeine Form der Ejakulation und bei etwa 50 % der Patienten sei eine Vaterschaft möglich (Woodhouse 2001). Eigene Langzeitdaten belegen jedoch, dass nach funktioneller Blasenhalsrekonstruktion mit anatomiegerechter Positionierung des Colliculus seminalis in der hinteren Harnröhre eine Ejakulationsrate von etwa 94 % erreicht werden kann (Ebert et al. 2010). Somit ist die primär erfolgreiche und anatomiegerechte Rekonstruktion nicht nur für die Kontinenz, sondern auch für den Ejakulationserhalt und die Fertilität entscheidend. Umgekehrt wirken sich chirurgische Komplikationen und Infektionen rasch desaströs auf die Fertilität dieser Patienten aus.
Nach Harnableitung dient die Urethra nur noch der Ausleitung des Ejakulats. In der Pubertät kommt es dann häufig zum zeitlich verzögerten, nur tropfenweisen Abgang des Ejakulats. Bei der aus dem Harntrakt ausgeschalteten Urethra besteht ein erhöhtes Risiko, dass es zur Urethrastriktur bis hin zum Verschluss und einer konsekutiven Ansammlung des Ejakulats im Rezeptakulum kommt. In einigen Fällen ist dann die Anlage einer präpubischen Öffnung zu diesem Rezeptakulum sinnvoll, um so einen guten Abfluss des Ejakulats zu gewährleisten und rezidivierende Epididymitiden zu verhindern (Rösch et al. 2012).

Gynäkologische Aspekte

Vaginal- und Uterusprolaps stellen ein Hauptproblem bei den weiblichen Patientinnen im Erwachsenenalter dar. Ein fehlender Beckenringschluss in Kombination mit Entfernung der Blasenplatte bei primärer Harnableitung scheint einen Hauptrisikofaktor für einen Uterusprolaps darzustellen. Mit zunehmender Diastase des Beckens, unabhängig von einer Schwangerschaft und unabhängig davon, ob eine Sakropexie durchgeführt wurde oder nicht, nimmt die Neigung zu einem Prolaps des inneren Genitales zu. Bei den teilweise noch sehr jungen Patientinnen stellt dieser Prolaps gerade bei Wunsch nach Geschlechtsverkehr und eigenen Kindern ein nahezu unlösbares therapeutisches Dilemma dar. Umgekehrt konnte jüngst gezeigt werden, dass die Symphysenadaptation mit oder ohne Osteotomie das Risiko eines Prolapses signifikant zu reduzieren scheint (Ebert et al. 2009b).
Narbenbildung und primär nicht anatomiegerechte Rekonstruktion des äußeren Genitales kann in bis zu 50 % der Betroffenen zu Dyspareunie führen. Darüber hinaus besteht nicht selten ein unbefriedigendes kosmetisches Resultat der Rekonstruktion, unter dem die Patientinnen zusätzlich leiden. Für eine effektive Korrektur ist in solchen Fällen ein interdisziplinäres Konzept notwendig, das (Kinder-)Urologen und Gynäkologen die mit dem BEEK vertraut sind, einbindet.

Sekundäre Tumoren

Alterationen der Blasenschleimhaut durch Infektionen, Konkrementbildung etc. können zu einer Cystitis glandularis vom intestinalen Typ führen. Inwieweit diese Veränderungen tatsächlich ein langfristig prämalignes Potenzial darstellen, ist derzeit noch umstritten. Abgesehen davon existieren einige Berichte über die Entstehung von Adenokarzinomen und Schaumzellkarzinomen auf nicht verschlossenen Blasenplatten, die lange Zeit den mechanischen Reizen ihrer Umgebung ausgesetzt waren. Besonders zu beachten ist auch, dass in den verbliebenen Blasenresten nach subtotaler Zystektomie im Rahmen einer Harnableitung Neoplasien beschrieben werden. Nach der aktuellen Datenlage muss von einem um das 700-Fache erhöhten Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung für eine Neoplasie in der Blase ausgegangen werden (Smeulders und Woodhouse 2001). Andererseits ergaben neuere DNA-Methylierungsanalysen keinen Hinweis auf eine primär (epi-)genetische Ursache, die für eine Assoziation von BE und Adenokarzinom verantwortlich sein könnte (Sharma et al. 2019).
Die Entstehung eines sekundären Karzinoms im Bereich der Ureterosigmoidostomie wurde inzwischen bei mehr als 200 Fällen beschrieben. 70 % der Tumoren sind Adenokarzinome. Die Latenzzeit für die Entstehung von benignen Adenomen beträgt 20 Jahre (2–48) und für Karzinome 26 Jahre (6–27) (Kälble et al. 2011). Eine jährliche endoskopische Kontrolle beginnend nach dem 10. postoperativen Jahr ist bei dieser Patientengruppe obligat. Durch den Einsatz verbesserter optischer Techniken und Erfahrung der Untersucher können unnötige Biopsien vermieden und suspekte Areale sicher identifiziert werden (Stein et al. 2010).

Psychosoziale und psychosexuelle Entwicklung

Unterstrichen wird die zentrale Bedeutung eines „möglichst normal aussehenden“ und funktionsfähigen Genitales sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen durch Untersuchungen zur psychosozialen und psychosexuellen Entwicklung dieser Patienten im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter.
Standardfragebögen belegen zwar oft erstaunlicherweise eine normale Lebensqualität, mit einem üblicherweise hohen sozialen Adaptationsgrad, außergewöhnlich guten schulischen Leistungen und einem damit verbundenen überdurchschnittlich hohen Ausbildungsstand. Ein sog. normales Leben, einschließlich sexuellen und familiären Beziehungen, Heirat, eigenen Kindern und beruflichem Erfolg ist bei diesen Patienten möglich.
Ein Teil der inzwischen erwachsenen Patienten, u. a. auch aus unserem eigenen Patientengut, wünscht sich jedoch, viele der Erinnerungen in Zusammenhang mit der Krankheit zu vergessen, und klagt über das Gefühl des Alleingelassenseins in bestimmten Situationen, insbesondere in der Pubertät. Einschränkungen im Bereich des täglichen Lebens und des Selbstbewusstseins fanden sich in etwa 25 % der Patienten. Partnerschaften waren durchaus vorhanden, jedoch betrieben viele stets einen enormen Aufwand, um ihre Anomalie im täglichen Leben zu verbergen (Ebert et al. 2005; Lee et al. 2006; Park et al. 2015).
Gerade das 1. Lebensjahr stellt für die Eltern oft eine große Herausforderung dar. Schwere Störungen in der Kind-Eltern-Beziehung oder massive Verdrängungsstrategien können die Folge sein. Es ist heute deshalb unabdingbar, dass allen betroffenen Eltern so früh als möglich eine psychologische Unterstützung angeboten wird. Idealerweise sollte in einem Zentrum stets ein multidisziplinäres Team zur Verfügung stehen, das sowohl den Eltern als auch den Patienten durch das gesamte Kindes- und Jugendalter zur Verfügung steht. Neben dem Kinderurologen/-chirurgen gehört dazu auch der Kinderorthopäde, der Kinderarzt, der urologisch erfahrene (Kinder-) Psychologe sowie BEEK-vertraute Kinderkrankenschwestern und -pfleger und Urotherapeuten.

Zusammenfassung

  • Der Blasenekstrophie-Epispadie-Komplex (BEEK) umfasst ein Spektrum seltener unterschiedlich stark ausgeprägter Fehlbildungen des Mittellinien-Missbildungskomplexes.
  • Im Gegensatz zur Kloakenekstrophie sind bei der klassischen Blasenekstrophie und bei der Epispadie Begleitfehlbildungen selten.
  • Zur Rekonstruktion der Blasenekstrophie konkurrieren weltweit einzeitige und mehraktige Techniken, die entweder bereits im Neugeborenenalter oder zeitversetzt in der 6.–10. Lebenswoche zur Anwendung kommen können.
  • Wenn möglich Osteotomie zur Symphysenadaptation vermeiden.
  • Harnableitung ist heute nur noch in sehr seltenen Ausnahmefällen primäre Option, in erster Linie Patienten nach frustranen Rekonstruktionsversuchen vorbehalten.
  • Ziel der männlichen Epispadie-Korrektur: vollständige Penisbegradigung (Deflexion) sowie Ventralverlagerung einer ausreichend weiten und gerade verlaufenden Urethra unter größtmöglicher Schonung der atypisch verlaufenden Gefäß-/Nervenbündel.
  • Funktionelle und kosmetische Aspekte bei der Rekonstruktion des weiblichen Genitales müssen mehr als in der Vergangenheit berücksichtigt werden.
  • Andrologische, gynäkologische und psychosoziale Langzeitergebnisse müssen bei der Entscheidung für eine Therapieempfehlung stets berücksichtigt werden.
  • Alle BEEK-Patienten bedürfen einer lebenslangen Betreuung durch ein multidisziplinäres Team, das mit diesem Fehlbildungskomplex vertraut ist.
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