Definition
Während sich ein Großteil der männlichen
Keimzelltumoren (KZT) innerhalb der Hoden bildet, kommt es in 2–5 % der Fälle zu einer Manifestation außerhalb der Hoden. Diese Tumoren werden als
extragonadale Keimzelltumoren bezeichnet (EGZT ) (Schmoll
2002; Stang et al.
2012). Nach einer aktuellen Untersuchung des finnischen Krebsregisters liegt die Inzidenz bei 0,18 pro 100.000 Einwohner (Pauniaho et al.
2012). Für die stadiengerechte Therapie der gonadalen KZT sind umfangreiche Empfehlungen der verschiedene Fachgesellschaften vorhanden, für die Behandlung von EGZT gibt es nur wenig differenziertere Anhaltspunkte. Die Behandlung der EGZT erfolgt daher in Analogie zu den Empfehlungen der fortgeschrittenen gonadalen KZT (Schmoll et al.
2004; Albers et al.
2011; Beyer et al.
2013; S3 Leitlinie Keimzelltumore
2018).
EGZT beinhalten die gleichen serologischen, histologischen und zytogenetischen Charakteristika wie gonadale KZT, manifestieren sich jedoch in der Regel auf der Mittelachse des Körpers retroperitoneal oder mediastinal, während sich in den Hoden palpatorisch, sonographisch und histologisch kein Tumorgewebe nachweisen lässt (Bokemeyer et al.
2002; Schmoll
2002). Dieser Umstand kann eine korrekte Diagnose erschweren und die damit verbundene notwendige Therapie verzögern.
Einige Unterschiede lassen sich bei genauer Betrachtung feststellen: EGZT weisen bei Diagnosestellung deutlich größere Tumormassen auf. Es gibt eine Prädominanz für das Auftreten im vorderen Mediastinum vor allem nichtseminomatöser Subtypen. Eine Häufung der EGZT ist bei Patienten mit
Klinefelter-Syndrom beschrieben (Nichols et al.
1987). Darüber hinaus sind EGZT des Mediastinums mit dem Auftreten hämatologischer Erkrankungen assoziiert (Nichols et al.
1985; Hartmann et al.
2000; Schmoll
2002). Diese Unterschiede könnten letztendlich für das schlechtere biologische Ansprechen dieser Subgruppe von KZT verantwortlich sein.
Theorien der Entstehung, Ursachen sowie Lokalisationen
Hinsichtlich der Entstehung von EGZT wird angenommen, dass es während der Embryogenese zu einer fehlerhaften Wanderung der Keimzellen entlang der urogenitalen Leiste kommt (Bokemeyer et al.
2002). Primordiale Keimzellen entwickeln sich aus dem Ektoderm und wandern entlang der Mittellinie in die Urogenitalleiste. Hier werden sie als Gonozyten bezeichnet. Je nach Konstitution des Geschlechtschromosoms und Umgebungseinflüssen differenzieren sich die Gonozyten entweder in Oozyten oder Präspermatogonien (Oosterhuis und Looijenga
2005; Stang et al.
2012). Störungen in diesem Entwicklungsprozess resultieren in einer fehlerhaften Lokalisation an unterschiedlichen Stellen entlang der Körpermittelachse. Eine
maligne Transformation dieser Zellen unter dem Einfluss der jeweiligen Umgebung führt dann zu EGZT mit unterschiedlichen histologischen Subtypen.
Zum anderen wird vermutet, dass sich EGZT im Rahmen einer
malignen Transformation aus Keimzellen entwickeln, die regelhaft in Leber,
Knochenmark und ins Gehirn verteilt werden, um dort an wichtigen regulatorischen, hämatologischen oder immunologischen Prozessen beteiligt zu sein (Friedman
1987).
Frühere Theorien, dass zu jedem scheinbaren EGZT auch ein gonadaler Ursprung gehört, selbst wenn dieser histologisch nicht mehr nachweisbar ist, wurden mittlerweile verlassen. Aktueller Konsens ist die oben genannte Definition. Bei den Lokalisationen der EGZT wird von zwei prinzipiell unterschiedlichen Möglichkeiten ausgegangen: Retroperitoneal und mediastinal, wobei auch weitere Lokalisationen möglich scheinen. Insbesondere mediastinal lokalisierte nichtseminomatöse EGZT werden aufgrund der mitunter komplexen multimodalen Therapie oft als separate Entität betrachtet (Nichols
1991; Albany und Einhorn
2013).
Histologische Subtypen
Mit einem Anteil von ca. 50–70 % kommen EGZT am häufigsten im vorderen Mediastinum vor. Die zweithäufigste Lokalisation ist mit ca. 30–40 % der Retroperitonealraum (Stang et al.
2012). Wesentlich seltenere Manifestationen sind die Glandula pienalis (Zirbeldrüse) und der Bereich des Kreuz- und Darmbeins (sakrokokzygeal). Sporadisch wurden auch Manifestationen von EGZT u. a. in der Prostata, der Harnblase und der Leber beschrieben (Kleinhans et al.
2001; Hanna et al.
2002). Im Folgenden werden die verschiedenen histologischen Entitäten der EGZT mit dem Schwerpunkt auf Tumoren der Erwachsenen vorgestellt.
Mediastinale EGZT
Mediastinale EGZT
treten fast ausschließlich bei Männern auf, wobei im Rahmen einer Fallserie von 322 Patienten mit gesichertem primär mediastinalen EGZT zwei weibliche Fälle berichtet wurden (Moran und Suster
1997). Von klinischer Bedeutung ist vor allem die Unterscheidung zwischen dem reinen Seminom
, Nichtseminom
und dem Teratom
. Das reife Teratom und das Seminom gehören hierbei zu den häufigsten Histologien mediastinaler EGZT. Beim Teratom kann zwischen einem reifen und unreifen Teratom unterschieden werden. Die reifen mediastinalen
Teratome gelten als benigne und werden nicht durch eine Chemo- oder
Strahlentherapie, sondern durch die alleinige chirurgische Resektion behandelt.
Etwa 43 % aller mediastinalen Tumoren enthalten Teratom-Anteile, wobei ein reifes Teratom in 63 % der Fälle, ein unreifes Teratom in 4 % und
Teratome, die andere maligne Komponenten wie
Sarkome oder andere KZT-Anteile enthalten, in 33 % der Fälle auftreten.
Maligne nicht teratomatöse mediastinale EGZT werden in Seminome und Nichtseminome unterschieden (Moran et al.
1997). Seminome stellen mit 40 % aller nicht teratomatösen mediastinalen EGZT den häufigsten Tumor dar, während alle anderen Entitäten ca. 60 % ausmachen. Der Anteil von Seminomen, der bei intraskrotalen KZT etwa 50 % beträgt, liegt bei EGZT dann bei insgesamt 20–24 %. Im Rahmen einer großen Fallserie mit 635 Patienten aus 11 Zentren mit mediastinalen und retroperitonealen EGZT konnte bei 104 Patienten ein reines Seminom und bei 524 Patienten ein Nichtseminom nachgewiesen werden (Bokemeyer et al.
2002).
Mediastinale Seminome infiltrieren häufig den Thymus, was zu einer zystischen Formation oder Hyperplasie des Thymusepithels führen kann. Die Histologie aller nicht teratomatösen Komponenten ist mit den gonadalen KZT identisch. Dabei können Nichtseminome histologische Komponenten wie Dottersacktumoren, embryonale Karzinome, Chorionkarzinome und gemischte KZT enthalten. Im Unterschied zu den gonadalen nicht seminomatösen KZT, enthalten mediastinale nicht seminomatöse EGZT seltener embryonale Karzinomanteile und dafür häufiger Dottersacktumoren. Im Rahmen einer Serie mit 64 Patienten war bei 60 % der Patienten eine reine Dottersacktumor-Histologie und bei 12 % der Patienten ein Chorionkarzinom nachweisbar. In 9 % der Fälle handelte es sich um einen reinen embryonalen Anteil.
Retroperitoneale EGZT
Diese Tumoren gelten als sich klinisch den intraskrotalen KZT sehr ähnlich verhaltende Variante. Die Genese retroperitonealer EGZT
bleibt hierbei kontrovers diskutiert. Sicher ist eine häufigere Assoziation zwischen retroperitonealen EGZT und prämalignen Läsionen in einem oder beiden Hoden. Einer der ersten Nachweise von pathologisch verändertem Hodengewebe eines Patienten mit retroperitonealen EGZT geht bereits auf das Jahr 1927 zurück. Im Rahmen einer neueren retrospektiven Analyse zeigte die klinisch urologische Untersuchung von 26 Patienten mit retroperitonealen EGZT bei 11 Patienten (42 %) einen unauffälligen Befund. Bei 14 Patienten (54 %) zeigte sich der Hoden atrophiert und/oder induriert, und bei einem Patienten war der Hoden vergrößert. Die Ultraschalluntersuchung zeigte bei 20 von 20 untersuchten Patienten einen suspekten Befund. Schließlich erfolgte bei 25 von 26 Patienten eine histologische Untersuchung des Hodengewebes. Diese ergab Narbengewebe bei 12 Patienten (48 %), Sklerose bei 3 (12 %), Sklerose und
Fibrose bei einem (4 %), Fibrose bei 2 (8 %), eine intratubuläre Neoplasie bei 4 (16 %) sowie vitales Tumorgewebe bei 3 Patienten (12 %). Anschließend wurde durch die Autoren diskutiert, ob überhaupt primär retroperitoneale EGZT existieren oder stets mit einem pathologischen intraskrotalen Befund assoziiert sind (Scholz et al.
2002).
Pineale Keimzelltumoren
Das Auftreten pinealer
Keimzelltumoren konnte im Rahmen einer Analyse dreier großer
Datenbanken beschrieben werden. Allein durch eine Datenbankabfrage wurden 44.251 Fälle von Patienten mit
Gehirntumoren identifiziert, wovon 335 (0,76 %) im Bereich der Glandula pinealis lokalisiert waren. Bei 370 Patienten (2,04 %) konnte ein KZT histologisch nachgewiesen werden, von denen 196 (53 %) in der Pinealregion lokalisiert waren. Die Analyse zweier weiterer Datenbanken zeigte passend dazu einen Anteil von KZT in der Pinealregion von 39,4 % bzw. 48 %. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten lag hierbei zwischen 14,3:1 und 21,4:1 zugunsten der männlichen Population. Je nach Datenbank lag bei 73 %, 85 % und 80,9 % der KZT ein Germinom vor. Bei Germinomen handelt es sich um KZT des ZNS, deren Histologie dem Dysgerminom des Ovars und dem Seminom des Hodens entspricht. Die KZT aus den 3 Datenbanken wurden in einem Alter zwischen 0 und 86 Jahren diagnostiziert mit einem Manifestationshöhepunkt in der 2. Lebensdekade. Nur wenige Fälle wurden noch nach dem 30. Lebensjahr diagnostiziert. Gemischte KZT hatten das niedrigste Manifestationsalter von 14,3 Jahren, während sich Germinome im Schnitt in einem Alter von 19,2 Jahren manifestierten. Insgesamt konnte eine Inzidenz von 0,025/100.000 Einwohner für pineale KZT errechnet werden. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag bei 73,7 % (Villano et al.
2008).
Sakrokokzygeale EGZT
Sakrokokzygeale EGZT
werden als seit der Geburt bestehend betrachtet. In den häufigsten Fällen wurden bei Erwachsenen reife
Teratome beschrieben. Aber auch nicht teratomatöse KZT wurden dokumentiert. Das häufige Auftreten reifer, gutartiger Teratome im Erwachsenenalter steht im Gegensatz zu den sakrokokzygealen EGZT im Kindesalter mit deutlich schlechterer Prognose. Es wird davon ausgegangen, dass sich die aggressiveren Tumoren bereits im Kindesalter klinisch manifestieren, während indolentere Verläufe erst im Erwachsenenalter klinisch auffallen. Eine
Transformation des Teratoms in bösartige Tumoren wurde beschrieben. Allerdings handelt es sich hierbei häufiger um die Entwicklung nicht germinaler Tumoren. Dabei entwickelten Patienten sowohl nach inkompletter Resektion neonataler Teratome im Kindesalter als auch aus bestehenden reifen Teratomen im Erwachsenenalter stets Adenokarzinome.
Abgrenzung zu anderen Tumorentitäten
Bei mediastinalen Tumoren können je nach Lokalisation Raumforderungen des vorderen, mittleren oder hinteren Mediastinums unterschieden werden. Zu den häufigen malignen Tumorentitäten des vorderen Mediastinums gehören
Lymphome, das Thymuskarzinom, Schilddrüsentumoren sowie EGZT. Neurogene Tumoren treten häufig im hinteren Mediastinum auf. Gutartige Raumforderungen des vorderen Mediastinums können z. B. durch ein Thymom oder eine Zyste des Thymus verursacht werden. Als gutartige Raumforderung in jedem Teil des Mediastinums kann sich eine bronchiogene Zyste und im hinteren Teil des Mediastinums (paraösophageal und gastroösophageal) eine enterische Zyste manifestieren. Eine durch Entzündung verursachte Schwellung sowie die gutartige Lymphknotenhypertrophie z. B. im Rahmen eines Morbus Castlemann stellen ebenfalls mögliche Differenzialdiagnosen dar.
Auch retroperitoneale Raumforderungen werden durch gut- oder bösartige Prozesse verursacht. Raumforderungen können hierbei von dort lokalisierten Organen wie dem Pankreas, den Nieren oder Nebennieren ausgehen oder durch primäre Prozesse im Retroperitoneum verursacht werden. Hierbei können sich primär gut- oder bösartige Tumoren wie das Lipom und das Liposarkom als mesenchymale Tumoren manifestieren. Weitere Tumoren wie das Schwannom oder das Ganglioneuroblastom können sich als gutartige Tumoren vom Nervengewebe ausgehend manifestieren, während sich
Schwannome oder
Neuroblastome als bösartige Tumoren des Nervensystems im Retroperitoneum manifestieren können. Durch vergrößerte Lymphknoten verursachte Raumforderungen können z. B. auf dem Boden eines Lymphoms, durch eine posttransplantations-lymphoproliferative Erkrankung oder durch Lymphknotenmetastasen anderer Malignome entstehen.
Diagnostisches Vorgehen
Am häufigsten treten EGZT im Retroperitoneum oder Mediastinum auf, jedoch sind auch weitere seltene Lokalisationen möglich (Hypophyse, sakrokokzygeal, gastrointestinal, Leber, Orbita, Prostata). Die Lokalisation im Retroperitoneum kann bei Vorliegen von testikulärem Narbengewebe zu der Frage führen, ob es sich hierbei tatsächlich um einen echten EGZT handelt oder um einen primär testikulär lokalisierten, jedoch lokal „ausgebrannten“ und metastasierten KZT (Schmoll
2002).
Das klinische Erscheinungsbild der EGZT variiert stark. In einer großen
Metaanalyse an 635 Patienten mit EGZT konnten Bokemeyer et al. zeigen, dass bei Vorliegen einer mediastinalen Lokalisation vor allem Symptome wie Dyspnoe (25 %), Brustschmerzen (23 %),
Husten (17 %),
Fieber (13 %) sowie ein Vena-cava-Okklusionssyndrom oder Fatigue im Vordergrund stehen (Bokemeyer et al.
2002). Patienten mit EGZT im Retroperitoneum berichteten vor allem von
Schmerzen im Bereich des Abdomens (29 %) oder Rückens (14 %) gefolgt von Gewichtsverlust (9 %), Fieber (8 %) sowie Thrombosen der V. cava oder anderen Lokalisationen (9 %). Alle weiteren Symptome traten in <10 % der Fälle auf (Bokemeyer et al.
2002).
Dieses unterschiedliche klinische Erscheinungsbild ist in aller Regel der Grund für die Vorstellung beim Arzt (Armstrong und Pollock
2013). Ein pathologischer Befund der Hoden liegt nicht vor. Die Symptome sind dabei durch die wachsenden Tumormassen bedingt und sollten nach bildmorphologischer Darstellung (zunächst Ultraschall, gefolgt von einer Schnittbildgebung per Computertomografie oder Magnetresonanztomographie) zwangsläufig histologisch gesichert werden. Dies kann je nach Lokalisation entweder als Feinnadel-Zytologie oder Histologie durch perkutane Punktion oder Medianoskopie erreicht werden (Schmoll
2002). Eine histologische Aufarbeitung in der Pathologie mit Hilfe von KZT-Markern sollte standardmäßig veranlasst werden, ebenso wie die Bestimmung der Serummarker α-Fetoprotein (AFP), β-humanes Choriongonadotropin (β-HCG) und Lactatdehydrogenase (LDH) zur korrekten Klassifikation nach den Kriterien der International Germ Cell Cancer Collaborative Group (IGCCCG) (IGCCCG
1997) und gemäß den aktuellen Leitlinienempfehlungen (Albers et al.
2011; Beyer et al.
2013; S3 Leitlinie
Keimzelltumore 2018).
Viele Patienten werden bei kleineren Befunden jedoch zunächst kaum oder keine Beschwerden entwickeln; bei einem gewissen Prozentsatz der Patienten fallen die Tumormassen im Rahmen von anderen Operationen als Zufallsbefund auf.
Die Frage, ob bei Vorliegen eines EGZT ein klinisch und sonographisch unauffälliger Hoden bioptiert werden sollte, wurde u. a. auf der Europäischen Konsensuskonferenz 2011 diskutiert. Eine Mehrheit der Experten sprach sich gegen eine Punktion aus, zumal eine Cisplatin-haltige Chemotherapie etwaige Vorläuferstadien testikulärer intraepithelialer Neoplasien (TIN) wirksam therapieren würde (Beyer et al.
2013). In der bereits erwähnten umfangreichen Serie von Bookemeyer et al. erhielten insgesamt 11 % der gesamten Patienten eine Hodenbiopsie , in 3 % dieser Fälle wurde ein Sertoli-Zell-Syndrom, bei 31 % atrophes oder fibrotisches Hodengewebe und in 9 % eine TIN festgestellt. Ein metachroner Hodentumor entstand vor allem bei seminomatösen EGZT mit einem kumulativen Risiko von etwa 10 % nach 10 Jahren (Bokemeyer et al.
2002). Dieses Risiko erscheint zunächst deutlich höher als bei anderen Serien mit metastasierten KZT, die testikulär lokalisierten metachronen Zweittumoren können jedoch einfach diagnostiziert und sehr gut therapiert werden (Schmoll
2002).
Therapie
Wie bereits oben erwähnt, wird die Therapie der EGZT analog zu den aktuellen Leitlinien- und Konsensusempfehlungen für fortgeschrittene KZT durchgeführt. Hierbei steht die Cisplatin
-basierte Polychemotherapie im Vordergrund (Albers et al.
2011; Beyer et al.
2013; S3 Leitlinie
Keimzelltumore 2018). Für die genauen Chemotherapie-Regime, die je nach klinischem Stadium und Histologie erfolgen sollten, verweisen wir auf die nachfolgenden Kapitel, insbesondere Kap. „Adjuvante Therapie beim Nichtseminom im klinischen Stadium I“ und Kap. „Therapie des metastasierten Hodentumors“.
Alle Patienten mit einem mediastinalen nicht seminomatösen EGZT werden als „poor prognosis“ eingestuft und dementsprechend mit 4 Zyklen Cisplatin, Etoposid und Bleomycin behandelt (PEB). Patienten mit einem retroperitonealen nicht seminomatösen EGZT werden nach ihrer prognostischen Klassifikation entsprechend den IGCCCG-Kriterien eingeteilt und analog den metastasierten intraskrotalen KZT mit 3 oder 4 Zyklen PEB therapiert.
Bei den EGZT ist die Indikation zur Residualtumorresektion (RTR) nach Chemotherapie ebenfalls die gleiche wie bei den fortgeschrittenen KZT, nur dass bei der häufigeren mediastinalen Lokalisation komplexere chirurgische Interventionen in interdisziplinärer Zusammenarbeit notwendig sind. Auch hier sei auf Kap. „Adjuvante Therapie beim Nichtseminom im klinischen Stadium I“ und Kap. „Therapie des metastasierten Hodentumors“ verwiesen.
In einer Übersichtsarbeit zu EGZT empfehlen Albany und Einhorn der Indiana University bei mediastinal lokalisierten, nicht seminomatösen EGZT eine Chemotherapie bestehend aus 4 Zyklen VIP (Vinblastin, Ifosfamid, Cisplatin) aufgrund einer vermeintlich besseren pulmonalen Verträglichkeit verglichen mit Bleomycin-haltigen Regimen. Im Weiteren wird die RTR als integraler Bestandteil des Managements der nicht seminomatösen EGZT empfohlen, um das Ansprechen zu beurteilen, chemotherapieresistente Tumormassen zu beseitigen und ggf. weitere Chemotherapie durchzuführen. Angesichts der insgesamt eingeschränkten Prognose von Patienten mit nicht seminomatösen EGZT und fehlenden effektiven Salvage-Chemotherapiekonzepten wird von den Autoren eine RTR auch bei Vorliegen von erhöhten Markern empfohlen, weil davon auszugehen ist, dass der Patient von der Resektion des vitalen Tumorgewebes profitiert (Albany und Einhorn
2013). Die Nachsorge dieser Patienten wird aus Sicht der Autoren u. a. mit CT-Thorax-Untersuchungen alle 2 Monate im 1. Jahr, alle 4 Monate im 2. Jahr und alle 6 Monate in den Jahren 3–5 durchgeführt (Albany und Einhorn
2013). Dieses Vorgehen weicht von den zuletzt im deutschsprachigen Raum publizierten Nachsorgeempfehlungen ab (Cathomas et al.
2011; Hartmann et al.
2011; Souchon et al.
2011). Die aktuellste Nachsorgeempfehlung findet sich in der S3-Leitlinie Keimzelltumor des Hodens (S3 Leitlinie
Keimzelltumore 2018).
Die Therapie von mediastinal lokalisierten seminomatösen EGZT besteht aus 3 Zyklen PEB (Cisplatin, Etoposid, Bleomycin) oder 4 Zyklen PE (Cisplatin, Etoposid) bei „Good-risk-Konstellation“ und bedeutet für den Patienten eine exzellente Prognose. Eine chirurgische Resektion ist nicht erforderlich (Bokemeyer et al.
2001; Albany und Einhorn
2013).
Reife
Teratome sind die häufigsten KZT im Mediastinum. Bei Vorliegen von mediastinalen Teratomen im vorderen Mediastinum und normalen
Tumormarkern ist die Therapie der Wahl die chirurgische Resektion. Bei Vorliegen von erhöhten Tumormarkern sollte eine Polychemotherapie eingeleitet werden (Albany und Einhorn
2013).
Prognose
Reine Seminome haben eine bessere Prognose als Nichtseminome. Bei Seminomen kann hierbei eine Gesamtüberlebensrate von bis zu 90 % erreicht werden (Bokemeyer et al.
2001). Dies ist mitunter dadurch zu erklären, dass Seminomzellen unabhängig von ihrer Lokalisation gegenüber der Cisplatin-haltigen Chemotherapie sowie der
Strahlentherapie sehr sensibel sind. Im Rahmen einer Fallserie von 52 Patienten mit einem reinen retroperitonealen Seminom und 51 Patienten mit einem reinen mediastinalen Seminom lag die 5-Jahres-Progressions- und Gesamtüberlebensrate bei der gesamten Kohorte bei 87 % und 90 %. 75 % der Patienten konnten durch eine alleinige Chemotherapie erfolgreich behandelt werden. Analog zum Therapiestandard für ein Stadium-II-Seminom ist auch die Bestrahlung eines retroperitonealen Seminoms bei begrenzter Ausdehnung möglich.
Die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate primär mediastinaler nicht seminomatöser EZGT liegt zwischen 40 % und 45 % (IGCCCG
1997; Kesler et al.
2008). Patienten mit dieser Erkrankung werden daher gemäß der IGCCCG-Klassifikation als „poor prognosis“ eingestuft und dementsprechend behandelt. Empfohlen wird hierbei stets ein multimodales Therapiekonzept mit Chemotherapie und anschließender RTR. Die Effektivität dieses multimodalen Therapiekonzepts beim mediastinalen nicht seminomatösen EZGT konnte im Rahmen einer Fallserie mit 278 Patienten, von denen 97 % initial chemotherapeutisch behandelt wurden, ausgewertet werden. Eine komplette Remission unter der Chemotherapie konnte in 19 % und eine marker-negative partielle Remission in 45 % der Fälle erreicht werden. Bei 143 Patienten (50 %) erfolgte im Anschluss eine RTR. Das 5-Jahres-progressionfreie- und -Gesamtüberleben lag bei 44 % bzw. 45 %. Diese ungünstige Prognose kann u. a. durch die limitierten Therapieoptionen im Rezidivfall erklärt werden. Im Rahmen mehrerer Fallserien von Patienten mit rezidivierten primär mediastinalen EGZT schwankte das längerfristige krankheitsfreie Überleben nach erfolgter Chemotherapie zwischen 0 % und 11 %. Eine größere Fallserie mit 79 Patienten beschrieb ein langfristiges krankheitsfreies Überleben von 8 %, während bei Patienten mit einem primär retroperitonealen EGZT in 30 % der Fälle ein langfristiges krankheitsfreies Überleben erreicht werden konnte.
Die Therapieresultate primär retroperitonealer EGZT ähneln der Prognose metastasierter intraskrotaler KZT. Die Effektivität einer kombinierten Behandlung retroperitonealer nicht seminomatöser EGZT im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts durch kombinierte Cisplatin-haltige Chemotherapie und chirurgische Resektion wurde im Rahmen einer retrospektiven Analyse mit 227 Patienten analysiert. 98 % der Patienten wurden initial mit einer Chemotherapie behandelt. 101 dieser Patienten (45 %) erhielten anschließend eine RTR. Das 5-Jahres-progressionsfreie- und -Gesamtüberleben lagen hierbei bei 42 % und 65 % (Bokemeyer et al.
2002). Patienten, die nach der Erstlinienchemotherapie rezidivieren, erhalten in Analogie zu den gonadalen KZT eine Cisplatin-haltige Hochdosis-Chemotherapie. Im Rahmen einer großen Zusammenschau von Patienten mit rezidivierten retroperitonealen extragonadalen KZT konnte hierbei noch bei 30 % der Patienten eine dauerhafte Remission erreicht werden.
Wenn nach Chemotherapie eine RTR durchgeführt wird, gilt ein Anteil von vitalem Tumor <10 % im Resektat als prognostisch günstig (IGCCCG
1997). Als schlechte prognostische Faktoren bei einem reinen Seminom gelten Leber- oder nichtpulmonale viszerale Metastasen sowie Metastasen in zwei oder mehr unterschiedlichen Organsystemen (Bokemeyer et al.
2001). Die Prognose nicht seminomatöser EGZT kann zusätzlich durch die Assoziation mit hämatologischen Erkrankungen kompromittiert werden. Hierbei entwickeln 6 % der Patienten hämatologische Erkrankungen mit der akuten megakaryoblastischen Leukämie (AML M7) und dem myelodysplastischen Syndrom als häufigste Entität (Hartmann et al.
2000). Dabei konnten durch zytogenetische Analysen des
Knochenmarks in 38 % der Fälle eine mit KZT assoziierte Chromosomenaberration des Isochromosoms 12p nachgewiesen werden (Motzer et al.
1998). Die Ursache ist nicht abschließend erklärt. Als Hypothese werden zum einen eine Hämotopoese bzw. Leukämiogenese durch Teratomanteile, aber auch die Entstehung von Leukämiezellen durch den Dottersackanteil innerhalb der KZT diskutiert.