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Die Urologie
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Publiziert am: 31.03.2022

Harnblasentraumatologie, Beckentraumatologie und Urethratraumatologie

Verfasst von: Pia Bader
Verletzungen des Urogenitaltraktes sind beim polytraumatisierten Patienten in 5–10 % der Fälle und damit relativ häufig anzutreffen. Hierbei stehen die Nierenverletzungen zahlenmäßig im Vordergrund, gefolgt von Verletzungen der Blase oder der Urethra. Letztere treten vor allem im Zusammenhang mit Beckenfrakturen auf. Die Makrohämaturie ist das klassische Leitsymptom für Verletzungen des Urogenitaltraktes. Daher sollte bei der ersten orientierenden Untersuchung eines Polytraumas/Schwerverletzten der Meatus urethrae externus und ggf. ein bereits einliegender Blasenkatheter auf Blut hin inspiziert werden (S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirugie (DGU), Stand 7/2016, AWMF Register-Nr. 012/019).
Verletzungen des Urogenitaltraktes sind beim polytraumatisierten Patienten in 5–10 % der Fälle und damit relativ häufig anzutreffen. Hierbei stehen die Nierenverletzungen zahlenmäßig im Vordergrund, gefolgt von Verletzungen der Blase oder der Urethra. Letztere treten vor allem im Zusammenhang mit Beckenfrakturen auf.
Die Makrohämaturie ist das klassische Leitsymptom für Verletzungen des Urogenitaltraktes. Daher sollte bei der ersten orientierenden Untersuchung eines Polytraumas/Schwerverletzten der Meatus urethrae externus und ggf. ein bereits einliegender Blasenkatheter auf Blut hin inspiziert werden (S3-Leitlinie Polytrauma 2016).

Beckenfrakturen

Ca. 70 % aller Beckenfrakturen entstehen im Rahmen von Verkehrsunfällen. Ein Überrolltrauma ist in ca. 80 % mit einer Beckenfraktur verbunden. Beim Eintreffen eines Polytraumatisierten in die Klinik sollte zunächst eine akut lebensbedrohliche Beckenverletzung ausgeschlossen werden (Empfehlung Grad A, S3-Leitlinie Polytrauma 2016). Die klinische Untersuchung des Beckens auf seine Stabilität und äußeren Verletzungszeichen wird ergänzt durch die Sonografie zum Ausschluss einer massiven intraabdominellen Blutung. Begleitende Verletzungen des unteren Harntrakts sind in der Regel nicht akut lebensbedrohlich und können zunächst hinten angestellt werden.
Laut einer Multicenterstudie erreicht die klinische Untersuchung des Beckens für das Erkennen einer instabilen Beckenfraktur eine Sensitivität von 31,6 % bei einer Spezifität von 92,2 % (Wohlrath et al. 2015).
Im Rahmen der Diagnostik sollten eine Beckenübersichtsaufnahme und/oder eine Computertomografie (CT) durchgeführt werden (Empfehlung Grad A, S3-Leitlinie Polytrauma 2016). Dies erlaubt die Klassifikation der Beckenfraktur. Sie ist Grundlage der prioritätenorientierten Therapie. Üblich ist hierbei die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese, welche nach Tile (Tile 1996) 3 große Gruppen unterscheidet:
  • Typ A (stabile Beckenfraktur, Abb. 1a):
    • Stabile Beckenverletzungen mit Erhalt der osteoligamentären Integrität des hinteren Beckenrings.
    • Abrißfrakturen, Frakturen im Randbereich des Beckenrings (Os ileum, Os ischii, Os sacrum unterhalb des Iliosakralgelenks, Muskelansätze) oder am vorderen Beckenring
    • Intakter Beckenboden.
    • Das Becken kann physiologischen Belastungen ohne Dislokation widerstehen
  • Typ B (rotationsinstabile Beckenringfraktur, Abb. 1b und 2):
    • Der hintere Beckenring ist inkomplett unterbrochen.
    • Rotationsinstabile Beckenverletzungen mit partiellem Erhalt der osteoligamentären Integrität des hinteren Beckenrings.
    • Verschobenen Fraktur des vorderen Beckenrings oder Symphysensprengung, aber Stabilität der hinteren Strukturen, obwohl betroffen
    • Open book-Frakturen (bei zerstörter Symphyse oder vorderem Beckenring klappen die Beckenschaufeln nach außen auf)
    • Teilweise Erhalt des Beckenbodens.
  • Typ C (rotations- und vertikal instabile Beckenfraktur, Abb. 1c und 3):
    • Der hintere Beckenring ist komplett unterbrochen.
    • Komplett instabile Beckenverletzungen mit Verlust der osteoligamentären Integrität des hinteren Beckenrings.
    • Fraktur des Os sacrum oder Iliosakralgelenks bei gleichzeitiger Fraktur der vorderen Beckenrings oder Symphysensprengung (Malgaigne-Fraktur).
    • Alle posterioren Strukturen und der Beckenboden sind unterbrochen.
Die Mehrschicht-Spiral-CT hat eine hohe Sensitivität (82–97 %) und die höchste Spezifität (94–100 %) im Erkennen intraabdomineller Verletzungen und soll daher nach Abdominaltrauma durchgeführt werden (Empfehlung Grad A, S3-Leitlinie Polytrauma 2016).
Bei Verdacht auf Verletzung des Urogenitalsystems sollte beim hämodynamisch stabilen Patienten eine Spätphase (5–10 Minuten nach KM-Bolusgabe) erfolgen.
Als komplexe Beckenfrakturen bezeichnet man alle knöchernen Frakturen des Beckens mit einer gleichzeitig vorliegenden Verletzung von Hohlorganen des Beckens (Blase, Rektum, Vagina), Nerven, Gefäßen oder der Urethra.
Insgesamt betrachtet liegen begleitende Verletzungen der Blase und/oder der Urethra in 6 % aller Beckenfrakturen vor.
Wichtig
Das Risiko einer Urethraverletzung ist aufgrund der anatomischen Verhältnisse bei Männern mindestens doppelt so hoch ist wie bei Frauen bei gleicher Schwere der Beckenverletzung.
Der Grad der Beckeninstabilität lässt sich am besten erkennen an der Zerreißung und der Dislokation im Iliosakralbereich. Anteroposteriore und laterale Kompressionsfrakturen können stabil oder instabil sein. Vertikale Scherfrakturen – 1855 von Malgaigne beschrieben und klassifiziert – entsprechen einer Beckenfraktur Typ C und sind immer instabil. Sie beinhalten im vorderen Ring die Fraktur beider Rami ossis pubis in Kombination mit einer massiven hinteren Zerreißung, entweder des Os sacrum, des Iliosakralgelenks oder des Os ilium.
Stabile Beckenfraktur
Im Zusammenhang mit einer stabilen Beckenfraktur kann es nur dann zu einer Verletzung der hinteren Harnröhre kommen, wenn entstandene Knochenfragmente des vorderen Beckenrings zurückfedern und die Prostata mitreißen. Dadurch zerreißt die membranöse Harnröhre, welche im Beckenboden fixiert ist. Dies führt nahezu zwangsläufig zur Zerstörung des Sphinkterapparates.
Instabile Beckenfrakturen
Instabile Frakturen, welche aus einer Fraktur des vorderen Beckenrings in Kombination mit einer Fraktur des Iliosakralgelenks, des Os ilium oder des Os sacrum entstehen, können zu einer Verletzung der hinteren Harnröhre führen. Durch das Trauma kommt es zu Scherkräften, welche die membranöse Harnröhre und den Beckenboden zerreißen können.
Instabile Beckenringfrakturen oder beidseitige Frakturen der Rami ischiopubici bergen das höchste Risiko für eine Verletzung der hinteren Harnröhre, speziell die Kombination von Straddle-Trauma (stumpfes Trauma im Bereich des Perineums) und Auseinanderweichen des Iliosakralgelenks. Verletzungen des unteren Harntrakts finden sich in 16 % der Patienten mit einseitiger Fraktur des Ramus ossis pubis und in 41 % der Patienten mit beidseitiger Fraktur.
Klinische Kriterien einer Urethraverletzung sind Hämaturie und/oder Blutaustritt aus dem Meatus urethrae, Hämatombildung perineal/skrotal. Bei Patienten mit klinischen Zeichen einer Urethraverletzung sollte auf die transurethrale Katheterisierung verzichtet werden, bis die Diagnostik abgeschlossen ist. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass aus einer inkompletten Harnröhrenruptur eine komplette Ruptur wird. Ausserdem kann bei einer kompletten Urethraruptur eine Via falsa mit entsprechendem Infektionsrisiko des Beckenhämatoms verursacht werden.
Cave
Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (S3-Leitlinie Polytrauma 2016) sollte bei Verdacht auf eine Urethraverletzung eine präklinische transurethrale Blasenkathetrisierung unterbleiben (Empfehlung Grad B).
Beckenfrakturen sind mit einem erhöhten Risiko für intraabdominelle Organverletzungen verbunden, so dass die Indikation zur Durchführung einer Computertomografie besteht.

Urethraverletzungen

Klassifikation

Verletzungen der Harnröhre können durch spitze oder stumpfe Traumata, durch Manipulationen von außen oder innen, verursacht werden (Kitrey et al. 2020). Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Beckenfraktur und Urethraverletzung, wobei der Schweregrad der Beckenverletzung entscheidend ist. So ist bei Frakturen der Schambeinäste, insbesondere des unteren Schambeinastes, das Risiko einer Urethraverletzung deutlich erhöht. In Zusammenhang mit einer komplexen Beckenringfraktur (Typ C) steigt das Risiko enorm auf fast 100 % (Aihara et al. 2002).
Dabei reißt die Harnröhre entweder direkt oberhalb oder direkt unterhalb des Diaphragma urogenitale ab (supradiaphragmaler vs. infradiaphragmaler Harnröhrenabriss). Traumatische Verletzungen der weiblichen Harnröhre gehen meist einher mit blutenden Scheidenverletzungen.
In Bezug auf den Entstehungsmodus sollte daher bei Männern am besten zwischen Verletzungen der vorderen (penilen und bulbären) sowie Verletzungen der hinteren (membranösen und prostatischen, Abb. 4) Harnröhre unterschieden werden. Verletzung der weiblichen Urethra sind selten und entstehen meist im Zusammenhang mit Beckenringfrakturen oder als Folge operativer Eingriffe.
Eine Begleitverletzung der posterioren Harnröhre findet sich bei Männern in 3,5–19 % (Koraitim et al. 1996) aller Beckenfrakturen, eine Verletzung der weiblichen Harnröhre in 0–6 % (Hemal et al. 2000).
Ursachen für Verletzungen
1.
Vordere Urethra (penile und bulbäre Harnröhre)
  • Stumpfes oder spitzes Penistrauma, z. B. Penisfraktur mit Beteiligung der Urethra bzw. des Corpus spongiosum (in 15–20 % der Fälle, Falcone et al. 2018)
  • Strangulation des Penis, z. B. durch Penisringe (Cockringe)
  • Autoerotische Handlung mit Manipulationen in der Urethra
  • Traumatische Penisamputation
  • Straddle-Trauma der bulbären Harnröhre (stumpfes Trauma im Bereich des Perineums, z. B. durch Sturz auf Fahrradstange)
  • Iatrogen im Rahmen einer Kathetereinlage oder eines instrumentellen Eingriffs über die Urethra, z. B. Zystoskopie, Ureteroskopie etc.
 
2.
Hintere Urethra (membranöse und prostatische Harnröhre)
  • Beckenringfraktur mit oder ohne Symphysensprengung
  • Pfählungsverletzung, penetrierende Verletzung (Schuss- oder Stichverletzung)
  • Stumpfes Trauma des Perineums (Straddle-Trauma), z. B. durch Fußtritt
 
3.
Weibliche Urethra
  • Beckenringfraktur mit oder ohne Symphysensprengung
  • Pfählungsverletzung, penetrierende Verletzung (Schuss- oder Stichverletzung)
  • Iatrogen im Rahmen oder als Folge von Inkontinenzoperationen, z. B. nach Einlage von Harnröhrenbändern (Zödler-Band; TVT (tension free vaginal tape), transvaginales Band)
  • Autoerotische Handlung mit Manipulationen in der Urethra
  • Traumatische Geburt
 

Symptomatik

Typische Leitsymptomen und zu beachtende Besonderheiten (Tab. 1):
  • Blut am Meatus urethrae
    • Findet sich in 37–93 % bei Verletzungen der hinteren und in 75 % bei Verletzungen der vorderen Urethra (infradiaphragmale Verletzungen, Lim und Chng 1989; McAninch 1981).
    • Harnableitung mittels suprapubischer Zystostomie zu bevorzugen.
    • Vor dem Versuch der transurethralen Katheterisierung sollte unbedingt eine radiologische Abklärung der Urethra erfolgen (retrograde oder antegrade Urethrografie).
  • Blut am Introitus vaginae
    • Findet sich in mehr als 80 % der weiblichen Beckenfrakturen mit Urethralbeteiligung (Perry und Husmann 1992)
  • Hämaturie
    • Unspezifisches Zeichen, was auf eine Urethraverletzung hindeuten kann.
    • Grad der Hämaturie korreliert nicht mit dem Ausmaß der Harnröhrenverletzung (Scheimhautverletzung der Urethra bei Kontusion blutet ggf. stärker als ein kompletter Harnröhrenabriss).
  • Miktion schmerzhaft oder unmöglich
    • Deutet auf eine partielle oder komplette Urethradurchtrennung hin.
  • Hämatom perineal oder skrotal
    • Unspezifisches Zeichen, was aufgrund des Unfallhergangs auf eine Urethrabeteiligung (infradiaphragmal) hindeuten kann.
  • Hochstehende Prostata (bei der digital rektalen Untersuchung)
    • Hinweis auf das Vorliegen eines Beckenhämatoms mit Verlagerung der Prostata nach kranial (Hohenfellner und Santucci 2007).
    • Findet sich immer beim kompletten Abriss der hinteren Harnröhre (supradiaphragmal).
Tab. 1
Klassifikation, Präsentation und Therapie der männlichen Harnröhrenverletzung (mod. nach Moore et al. 1992)
Grad
Typ
Klinisches Erscheinungsbild
Therapie
I
Kontusion
Blut am Meatus urethrae
Kein KM-Austritt im RUG
Konservative Therapie: suprapubische Zystostomie oder transurethraler Katheter
II
Dehnungsverletzung
Dehnung der Urethra
Kein KM-Austritt im RUG
Keine Therapie erforderlich
III
Teilruptur
Im RUG KM-Austritt an der Verletzungsstelle, Übertritt von KM in proximale Harnröhre oder Blase
Konservative Therapie: suprapubische Zystostomie oder transurethraler Katheter (ggf. unter endoskopischer Kontrolle)
IV
Komplette Ruptur
Im RUG KM-Austritt an der Verletzungsstelle ohne Übertritt in die proximale Harnröhre oder die Blase
Suprapubische Zystostomie oder endoskopische transurethrale Harnröhren-Sondierung und -Schienung mit sekundärer operativer Versorgung im Intervall
V
(Teil-)Ruptur der Harnröhre mit gleichzeitiger Verletzung von Blasenhals, Rektum oder Vagina
Im RUG KM-Austritt an der Verletzungsstelle der Harnröhre
oder
Extravasation am Blasenhals beim Zystogramm
Primäre operative Versorgung
KM: Kontrastmittel, RUG: retrogrades Urethrogramm
Verletzungen der Harnröhre werden nach der American Association for Surgery of Trauma (AAST) entsprechend der Kontinuitätsverletzung in 5 Grade unterschieden.
Tab. 1 zeigt eine Übersicht über das klinische Erscheinungsbild der männlichen Harnröhrenverletzung und der entsprechend notwendigen Therapie.
Das Röntgenbild einer Dehnungsverletzung der Harnröhre sowie eines kompletten Harnröhrenabrisses findet sich in Abb. 5 bzw. Abb. 6.

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Der Verdacht auf eine Harnröhrenverletzung liegt bei entsprechender Anamnese, insbesondere bei einer Beckenfraktur, einem äußeren Penistrauma, einer perinealen Verletzung oder nach urethraler Manipulation immer nahe.
Wichtig
Fehlender Nachweis von Blut am Meatus urethrae schließt eine Harnröhrenverletzung weitgehend aus.
Die notwendigen Untersuchungen und deren Interpretation werden in Tab. 2 Tab. zusammengefasst.
Tab. 2
Tab. Klinische Präsentation, erste Interpretation und weitere Schritte
Untersuchung
Befund
Interpretation
Weitere Maßnahmen
Anamnese (beim wachen Patienten)
Unfallhergang
Lokalisation der Urethraverletzung
RUG
Hämaturie, Dysurie oder abgeschwächter Harnstrahl
V. a. Teilruptur der Urethra
RUG
Keine Miktion möglich bei voller Blase
V. a. kompletten Harnröhrenabriss
RUG und zusätzlich CT Abdomen/Becken mit KM
Inspektion
Blut am Meatus, Hämatom penil oder perineal
V. a. Urethraverletzung
Keine transurethrale Katheterisierung ohne vorheriges RUG
DRU
Prostata nicht palpabel, da nach kranial luxiert, Rektum intakt
Kompletter Abriss der membranösen Harnröhre (supradiaphragmal)
oder
großes Hämatom perineal oder im kleinen Becken
CT Abdomen/Becken mit KM zur Beurteilung des Ausmaßes der Beckenverletzung,
suprapubische Zystostomie,
keine transurethrale Katheterisierung ohne RUG
DRU: digital rektale Untersuchung, HR: Harnröhre, KM: Kontrastmittel, RUG: retrogrades Urethrogramm, CT: Computertomografie
Falls die Inspektion und die digital rektale Untersuchung (DRU) unauffällig sind oder bei instabilem Patienten keine weitere Diagnostik erfolgen kann, ist der Versuch der transurethralen Katheterisierung vertretbar. Bei Widerstand in der Urethra, sollte jegliche weitere Manipulation unterbleiben und grundsätzlich die Einlage einer suprapubischen Zystostomie erfolgen. Bei geringer Blasenfüllung oder durch Hämatom verlagerter Blase ist die Zystostomieinlage unter sonografischer Sicherung indiziert. Die weitere radiologische Abklärung erfolgt dann sobald der Patient klinisch stabilisiert ist. Kann eine Katheterisierung transurethral problemlos erfolgen, sollte die Lage des Katheters bzw. des Ballons sonografisch oder radiologisch überprüft werden.
Nach einem Unfall macht das Fehlen einer urethralen Blutung bzw. eines Penishämatoms eine Verletzung der penilen Harnröhre sehr unwahrscheinlich. Der Versuch einer transurethralen Kathetereinlage kann gerechtfertigt sein. Umgekehrt sollte beim Vorhandensein einer urethralen Blutung vor einer Katheterisierung oder Zystoskopie immer eine radiologische Abklärung der Harnröhre mittels retrogradem Urethrogramm (RUG) erfolgen. Im Falle einer partiellen Ruptur der Urethra besteht bei einer transurethralen Manipulation das Risiko des kompletten Abrisses.
Cave
Ist ein einziges klinische Zeichen vorhanden, das auf eine Harnröhrenverletzung hinweist (Tab. 2), so ist eine komplette Harnröhrenabklärung (RUG!) erforderlich und eine transurethrale Manipulation sollte so lange unterbleiben.

Bildgebung

Das retrograde Urethrogramm (RUG, Tab. 3) ist der Goldstandard zur Abklärung einer Harnröhrenverletzung (Lynch et al. 2005). Die Untersuchung erfolgt klassischerweise in Halbschräglage mit ausgedrehter Hüfte (sog. Lauenstein Lagerung). Dies ist nach Beckenfraktur mit Gefahr der Dislokation selten möglich und erfolgt daher meist in Rückenlage mit Streckung des Penis zur Seite und Aufnahme von oben (a. p.). Nach einer Leeraufnahme werden 20 ml wasserlösliches Kontrastmittel in einer 20-ml-Spritze mit Hilfe eines Aufsatzes – einer sogenannten Olive – direkt in den Meatus urethrae appliziert. Der Penis wird dabei mit Hilfe einer Schlinge oder Klemme nach lateral gestreckt, so dass die komplette Urethra mit Übergang zur Blase erkennbar ist.
Tab. 3
Möglichkeiten der Bildgebung, deren Nutzen und klinische Konsequenz
Untersuchung
Nutzen
Sonografie
Volle Blase, Miktion nicht möglich → suprapubischer Katheter erforderlich
RUG (Goldstandard !)
Erkennung und Klassifikation der Urethraverletzung (Tab. 1) → Entscheidung transurethraler oder suprapubischer Katheter → Planung der weiteren Therapie
CT Abdomen/Becken mit KM bei Polytraumen
Erkennen von Begleitverletzungen wie Beckenfrakturen, Blasenverletzungen, Nierenverletzungen, Hämatome etc.; kein Stellenwert in der Primärdiagnostik der Harnröhrenverletzung
MZU und RUG (>3 Monate nach Trauma) vor Harnröhrenrekonstruktion
Darstellung der Länge der Harnröhrenverletzung/-striktur und Funktion des Blasenhalses → Planung der weiteren Therapie
Endoskopie (Zystoskopie)
Kein Stellenwert in der Primärdiagnostik, aber ggf. in der Primärtherapie (endoskopische HR-Schienung als Realignment, Abschn. 2.5.2
RUG retrogrades Urethrogramm, CT Computertomografie, KM Kontrastmittel, MZU Miktionszysturethrogramm, HR Harnröhre
Eine Computertomografie mit Kontrastmittel ist häufig erforderlich – insbesondere bei polytraumatisierten Patienten – um Begleitverletzungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Hierbei bietet eine zusätzliche Spätphase/Sekretionsphase mit Darstellung des Nierenhohlsystems und der Blase in der CT die Möglichkeit Nieren-, Harnleiter- oder Blasenverletzungen mit Urinextravasation erkennen und insbesondere von einem Hämatom abgrenzen zu können. Alternativ kann im Anschluss an die CT (20–30 min nach KM-Gabe) auch eine konventionelle Abdomenleeraufnahme als Spätbild bzw. Ablaufbild angefertigt werden. CT und MRT wie auch die Zystoskopie haben keinen Stellenwert in der primären Abklärung einer Harnröhrenverletzung.
Besteht der Verdacht auf eine Verletzung der hinteren Harnröhre bzw. des Blasenhalses, so wird ein suprapubischer Katheter eingelegt und ein Zystogramm, ggf. verzögert ein Miktionszystourethrogramm (MZU), durchgeführt.
Erfolgt eine verzögerte operative Therapie eines kompletten Harnröhrenabrisses, so kann durch simultane Durchführung eines retrograden Urethrogramms (RUG) und eines Miktionszysturethrogramms (MZU) die Länge der Harnröhrenverletzung und die Funktion des Blasenhalses abgeklärt werden. Gelingt hier keine zuverlässige Aussage, so kann zusätzlich eine endoskopische Abklärung über den suprapubischen Zugang und/oder eine MRT des Beckens erfolgen.
Die verschiedenen Bildgebungsmodalitäten sowie deren Nutzen und klinische Konsequenz sind in Tab. 3 aufgelistet.

Therapie

Für die Therapie der Urethraverletzung gibt es keinen einheitlichen Standard und keine vergleichenden Studien (Barratt et al. 2018). Gründe hierfür sind die unterschiedlichen Verletzungsmuster, Begleitverletzungen und Behandlungsmöglichkeiten (Mundy und Andrich 2011). Auch spielt die Erfahrung des behandelnden Urologen eine große Rolle.

Verletzung der männlichen Harnröhre

Für alle Verletzungstypen gilt: Die suprapubische Kathetereinlage ist zu bevorzugen, da sie eine urethrale Manipulation vermeidet, die zu einer Vergrößerung der Harnröhrenverletzung führen kann. Die suprapubische Zystostomie ermöglicht im weiteren Verlauf die Prüfung der Miktionssituation (Uroflow, Restharnmessung). Bei komplettem Harnröhrenabriss kann vor einer geplanten Harnröhrenrekonstruktion im Intervall eine kombinierte radiologische Abklärung mittels RUG und MZU erfolgen (Abb. 7, Tab. 3).
Idealerweise erfolgt die Einlage eines suprapubischen Katheters unter sonografischer Kontrolle, insbesondere bei Vorliegen einer wenig gefüllten Blase oder zur Seite verlagerter Blase – bei einem Hämatom im kleinen Becken oder supradiaphragmalem Harnröhrenabriss. Die Harnableitung zusammen mit einer sofortige Antibiotikagabe reduziert das Risiko der Superinfektion eines pelvinen Hämatoms bzw. des periurethralen Gewebes durch Urinextravasation, welches ansonsten im weiteren Verlauf zur Ausbildung einer urethrokutanen Fistel oder eines periurethralen Divertikels führen könnte.
Liegt lediglich eine Dehnungsverletzung oder Kontusion der Harnröhre vor ohne Kontrastmittelextravasation in der radiologischen Abklärung (Abb. 5), so kann frühzeitig – sobald es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt – die Miktion wieder freigegeben werden.
Im Falle einer partiellen oder kompletten Harnröhrenruptur sollte primär eine Harnableitung mittels suprapubischem Katheter erfolgen (meist für 6 Wochen) um eine Spontanheilung der Urethra zu ermöglichen. In den ersten 14 Tagen kann bei weitgehend stabilem Patienten endoskopisch geführt eine transurethrale Kathetereinlage erfolgen mit dem Ziel die rupturierten Harnröhrenenden anzunähern (primäres Realignment). Dies vermindert das Risiko der Ausbildung einer Harnröhrenstriktur im Rahmen der Spontanheilung (Abschn. 2.5.3). Eine antibiotische Prophylaxe – insbesondere bei Begleitverletzungen im Beckenbereich – bis zum kompletten Abheilen der Urethra erscheint sinnvoll, da das Risiko der Sekundärinfektion eines Hämatoms im kleinen Becken bis hin zur Abszessbildung besteht. Ein MZU mit antegrader Harnröhrendarstellung während der Miktion erlaubt dann ohne weitere transurethrale Manipulation die Überprüfung der Intaktheit und Durchgängigkeit der Urethra. Bei fehlendem Nachweis eines Extravasats und restharnfreier Miktion kann der suprapubische Katheter wieder entfernt werden.
Eine Übersicht über die primäre Therapie der stumpfen Harnröhrenverletzung ist in Tab. 4 zu finden.
Tab. 4
Therapie der stumpfen Urethraverletzung
Verletzungsart
Primäre Therapie
Verzögerte Therapie
HR-Kontusion mit Blutung aus der Urethra
Suprapubische Zystostomie
Miktionsbeginn nach klinischer Stabilisierung
Partielle Ruptur der HR mit KM-Austritt im RUG
Suprapubische Zystostomie, ggf. kombiniert mit transurethraler HR-Schienung (endoskopisch geführt)
Harnableitung für 6 Wochen
MZU vor Miktionsfreigabe
Komplette Ruptur der HR mit KM-Austritt im RUG
Suprapubische Zystostomie, ggf. kombiniert mit transurethraler HR-Schienung (endoskopisch geführt)
Harnableitung für mindestens 6 Wochen
MZU, ggf. in Kombination mit einem RUG vor Miktionsfreigabe bzw. vor geplanter HR-Rekonstruktion
HR Harnröhre, KM Kontrastmittel, RUG retrogrades Urethrogramm, MZU Miktionszysturethrogramm
Spontane Rekanalisierung ohne funktionell wirksame Vernarbung erfolgt in ca. 50 % der Teilrupturen der Urethra. In allen anderen Fällen erfolgt ein Abheilen unter Ausbildung einer narbigen Striktur, deren Länge und Ausbildung das weitere Vorgehen bestimmt.
Kurzstreckige Strikturen können mittels Urethrotomia interna unter Sicht endoskopisch behandelt werden. Langstreckige Strikturen oder ein kompletter Harnröhrenverschluss erfordern eine offene Harnröhrenrekonstruktion (Kap. „Harnröhrenstrikturen“). Die Wahl eines geeigneten Verfahrens (End-zu-End-Anastomose, Mundschleimhaut-Onlay, Bengt-Johanson-Verfahren etc.) wird bestimmt von Länge und Lokalisation der Striktur, Vernarbung des umgebenden Gewebes und Erfahrung bzw. Präferenz des Operateurs. Eine End-zu-End-Anastomose ist im Allgemeinen im penilen Bereich bei einer Striktur bis zu 1 cm und im bulbären Bereich bei einer Striktur bis zu 2 cm möglich (s. Abb. 8). End-zu-End-Anastomosierung bei längerstreckigen Strikturen führt zu einer funktionell bedeutsamen Peniskurvatur nach ventral aufgrund der Vernarbung und Verkürzung des Corpus spongiosum. Daher erfordern alle übrigen Strikturen bzw. Verletzungen eine komplexe Harnröhrenrekonstruktion und -augmentation mittels Onlay aus Mundschleimhaut oder haarfreier Haut.
Bei einem partiellen oder kompletten Harnröhrenabriss sollte eine offene Harnröhrenrekonstruktion erst nach komplettem Abheilen des umgebenden Gewebes im Intervall von 3–6 Monaten erfolgen. Ausnahme hiervon ist die Penisfraktur mit begleitender Ruptur des Corpus spongiosum. Hier erfolgt die primäre Rekonstruktion und Schienung der Urethra mittels transurethralem Katheter zeitgleich mit der Naht der Corpora cavernosa. Sollte sich im Verlauf eine Penisdeviation ausbilden, so kann diese im Intervall von 3–6 Monaten mittels Penisraffplastik nach Schröder-Essed oder Nesbit korrigiert werden.
Offene Verletzungen der penilen Harnröhre wie Messerstich- oder Schussverletzungen sowie Hundebissverletzungen sind meist verbunden mit weiteren Verletzungen des Skrotums oder des Penis, so dass eine sofortige operative Freilegung und Inspektion der Verletzungen erforderlich ist. Im Rahmen dessen erfolgt meist die Freilegung und primäre Naht des Corpus spongiosum und der Urethra. Ist eine Verletzung sehr ausgedehnt (>1 cm) und eine primäre Naht nicht möglich, so sollte ein zweizeitiges Vorgehen gewählt werden. Dies beinhaltet die primäre Anastomosierung des proximalen Harnröhrenendes mit der Haut und die passagere Harnableitung mittels suprapubischer Zystostomie. Die endgültige Harnröhrenrekonstruktion kann im Intervall von 3–6 Monaten erfolgen. Bissverletzungen müssen ggf. nach Säuberung und Desinfektion zunächst offen konservativ behandelt und verzögert chirurgisch versorgt werden. Bei offenen Verletzungen sollte immer der Tetanusimpfstatus überprüft werden.

Operatives Vorgehen zur primär offenen Versorgung einer Harnröhrenverletzung im penilen oder bulbären Anteil

Zur primären Versorgung einer Harnröhrenverletzung ist eine gute Exposition erforderlich. Für den chirurgischen Eingriff sollte primär eine breite antibiotische Abschirmung erfolgen, welche bis zur Miktionsfreigabe als Prophylaxe fortgeführt wird.
Die Freilegung des Penisschafts kann dabei über einen subkoronaren Schnitt mit Zurückstreifen der Penisschafthaut bis zur Peniswurzel erfolgen oder über die Raphe penis. Zur Versorgung der bulbären Harnröhre ist ein perinealer Zugang erforderlich. Es erfolgt das Aufsuchen, Mobilisieren und Spatulieren der beiden Urethraenden, welche dann über einen transurethralen Katheter (14–18 CH) mittels monofilem Nahtmaterial der Stärke 5/0 in Einzelknopftechnik anastomosiert werden. Je nach Verletzungsausmaß wird der transurethrale Katheter nach 2–3 Wochen wieder entfernt und die Miktion freigegeben. Die Überprüfung der Anastomose ist im Allgemeinen nicht erforderlich, könnte aber mittels MZU und antegrader Urethrografie erfolgen.

Vorgehen zur Versorgung einer Harnröhrenverletzung im Bereich der membranösen Harnröhre

Hierbei ist eine iatrogene von einer unfallbedingten Verletzung der membranösen Harnröhre zu unterscheiden, da das therapeutische Vorgehen komplett differiert. Im Folgenden geht es zunächst um die Versorgung der unfallbedingten Verletzung. Die iatrogenen Harnröhrenverletzungen und deren Versorgung werden in Kap. 2.6 erläutert.
Traumatische Verletzungen der membranösen Harnröhre treten immer nur im Zusammenhang mit Beckenfrakturen oder Pfählungsverletzungen auf. Hierbei kommt es immer zu einer Distanzierung der beiden Urethraenden mit dazwischen liegendem Hämatom, welches im Verlauf des Heilungsprozesses in Narbengewebe umgebaut wird (s. Abb. 9).
Bei 20–60 % der Patienten tritt zusätzlich eine erektile Dysfunktion auf, deren Ursache in der Verletzung der Gefäßnervenbündel liegt, welche im membranösen Bereich beidseits die Urethra lateral flankieren (Martínez-Piñeiro et al. 1997; Malavaud et al. 2000; Metze et al. 2007). Hierbei kann es bei bis zu 21 % der Patienten im Verlauf von 2 Jahren wieder zur spontanen Regeneration der Nerven kommen.
Für Teilrupturen der membranösen Harnröhre gilt das Vorgehen analog zu Verletzungen der penilen und bulbären Harnröhre. Es sollte primär eine Harnableitung mittels suprapubischer Zystostomie erfolgen. Die Einlage eines transurethralen Katheters zur Schienung der Harnröhrenläsion kann möglicherweise während des Heilungsprozesses die Narben- und Strikturbildung reduzieren. Allerdings sollte die Einlage eines transurethralen Katheters entweder unter radiologischer oder endoskopischer Kontrolle erfolgen, da die Gefahr des kompletten Harnröhrenabrisses besteht.
Bei Vorliegen einer kompletten Harnröhrenruptur erfolgt zunächst als Sofortmaßnahme die Harnableitung mittels suprapubischer Zystostomie. Das weitere Vorgehen und die Entscheidung zur operativen Harnröhrenversorgung muss immer in Abhängigkeit von den Begleitverletzungen und dem daraus resultierenden operativen Vorgehen der Allgemein- und Unfallchirurgen erfolgen.
Primäres Realignment (Zusammenführen der rupturierten Harnröhrenenden)
Prinzipiell besteht für das akute Vorgehen (innerhalb der ersten 10–14 Tage) die Möglichkeit der endoskopischen oder offenen Harnröhrenschienung mittels transurethralem Katheter oder der primären offenen End-zu-End-Anastomose der Urethra. Voraussetzung ist, dass der Patient stabil ist und eine Anästhesie sowie die Lagerung in Steinschnittlage durchgeführt werden kann.
Ziel der endoskopische Harnröhrenschienung ist die Annäherung der dislozierten Strukturen und dadurch eine Reduktion des Distraktionstraumas. Da bei einer Ruptur der membranösen Harnröhre auch der Beckenboden- und Sphinkterbereich beeinträchtigt wird, kommt dem Blasenhals mit dem sog. Sphinkter urethrae internus eine wichtige Rolle beim Erhalt der Kontinenz zu. Eine Verletzung desselben im Rahmen eines endoskopischen Vorgehens zur Schienung der dislozierten Urethra sollte daher unbedingt vermieden werden. Nur ca. 30 % der Patienten entwickeln nach einer primären endoskopischen Harnröhrenschienung eine therapiebedürftige Striktur.
Eine offene Schienung der rupturierten Harnröhre mittels Katheter sollte nur bei gleichzeitigem operativem Vorgehen der Chirurgen zur Entlastung eines Hämatoms oder zur operativen Versorgung anderer betroffener Strukturen im selben Gebiet erfolgen.
Liegt neben einer Urethraverletzung noch begleitend eine Verletzung des Blasenhalses oder des Rektums vor, so sollte diese immer primär operativ versorgt werden, ggf. mit Anlage eines Anus praeter. Dabei werden Knochenfragmente aus dem verletzten Bereich entfernt und die betroffenen Hohlorgane primär genäht. Nur so können lebensgefährliche Infektionen vermieden und die Kontinenzrate verbessert werden. Es treten allerdings bei 50–100 % der Patienten im Verlauf therapiebedürftige Harnröhrenstrikturen auf (Koraitim 1999; Figler et al. 2012),
Vorteile der primären Harnröhrenschienung gegenüber einer alleinigen suprapubischen Harnableitung
  • Geringere Strikturrate (64 % vs. 100 %). Dadurch kann bei einem Drittel der Patienten eine Operation zur Harnröhrenrekonstruktion vermieden werden.
  • Im Falle einer primären Harnröhrenenge nach DK-Entfernung kann meist ein endoskopisches Verfahren zur Schlitzung oder Bougierung gewählt werden.
  • Falls eine offene Harnröhrenrekonstruktion im Intervall erforderlich wird, so ist diese technisch einfacher, wenn zuvor schon Urethra und Prostata mittels Katheter approximiert wurden.
Primäre End-zu-End-Anastomose
Die primäre operative Versorgung der rupturierten membranösen Harnröhre als End-zu-End-Anastomose ist verbunden mit einer erhöhten Inkontinenz- und Impontenzrate im Vergleich zum verzögerten Vorgehen (Impotenz 56 %, Inkontinenz 21 %, Strikturrate 49 %). Es sollte daher eine solches Vorgehen nur bei kombinierter Versorgung einer Blasenhals- oder Rektumverletzung erfolgen.
Primäre Harnröhrenaufbauplastik
Eine primäre Versorgung der Harnröhrenruptur im Sine einer offenen Harnröhrenaufbauplastik ist nicht indiziert, da das ödematöse und hämorrhagisch infarzierte Gewebe nach Trauma die Exposition und damit die Rekonstruktion technisch erschwert. Dementsprechend sind die funktionellen Ergebnisse deutlich schlechter als bei verzögerter Rekonstruktion im Intervall von 3–6 Monaten.
Verzögerte Harnröhrenrekonstruktion
Die verzögerte Harnröhrenrekonstruktion im Intervall von 3–6 Monaten ist aktuell der Goldstandard zur Behandlung der membranösen Harnröhrenverletzung mit kompletter Harnröhrenzerreißung. Das verzögerte Vorgehen ermöglicht das Abheilen des traumatisierten Weichgewebes sowie der knöchernen Begleitverletzungen. Beckenhämatome sind teilweise oder komplett resorbiert. Letzteres bringt Blase und Prostata wieder ihrer ursprünglichen anatomischen Lage näher, die dislozierten Harnröhrenenden nähern sich anatomisch wieder an, so dass die Rekonstruktion erleichtert wird.
Vorbereitung einer Harnröhrenrekonstruktion
  • Beckenübersichtsaufnahme zur Beurteilung der Dislokation des Beckenskeletts nach Symphysensprengung
  • Kombiniertes MZU und RUG zur Beurteilung der Dislokation der beiden Harnröhrenenden und der Funktion des Blasenhalses
  • Ggf. suprapubische Zystoskopie zur Beurteilung der Funktion des Blasenhalses
  • Ggf. Urethroskopie zur Beurteilung der penilen und bulbären Harnröhre
Der operative Zugang erfolgt über das Perineum. Bei einer Lücke zwischen Prostata und bulbärer Harnröhre von bis zu 2–3 cm kann diese – nach Mobilisation der beiden Harnröhrenenden – mittels End-zu-End-Anastomose überbrückt werden (Chapple und Png 1999).
Tab. 5 zeigt die funktionellen Ergebnisse der primären bzw. sekundären operativen Versorgung im Vergleich.
Tab. 5
Funktionelle Ergebnisse nach End-zu-End-Versorgung der membranösen Harnröhrenruptur (mod. nach Koraitim 1999)
Technik
Primäres Realignment durch Einlage eines transurethralen Katheters
Primäre End-zu-End-Anastomose
Primäre Einlage einer suprapubischen Zystostomie
Verzögerte Harnröhrenrekonstruktion nach 3 Monaten
Striktur
53 %
49 %
97 %
<10 %
Inkontinenz
5 %
21 %
4 %
 
Impotenz
36 %
56 %
19 %
5 % OP-bedingt
Der Goldstandard ist die verzögerte Harnröhrenrekonstruktion nach frühestens 3 Monaten als einzeitiger Eingriff über einen perinealen Zugang.
Kurzstreckige Strikturen nach primärer End-zu-End-Versorgung der Harnröhre können mittels transurethraler Urethrotomie interna unter Sicht inzidiert werden. Hierbei ist gelegentlich ein Rendez-vous-Verfahren erforderlich mit gleichzeitiger, meist flexibler Zystoskopie und Sondierung des Blasenhalses bzw. der prostatischen Harnröhre über einen suprapubischen Zugang kombiniert mit einem transurethralen Vorgehen. Hierbei erfolgt die Schlitzung der Harnröhrenenge auf das Licht des suprapubischen Instruments zu. Allerdings besteht eine hohe Rezidivrate (80 %), weshalb die verzögerte offene Harnröhrenrekonstruktion zu bevorzugen ist.
Die Überbrückung eines größeren Abstandes zwischen prostatischer und bulbärer Harnröhre (bis zu 8 cm Abstand) bzw. eine Restenose nach verzögerter End-zu-End-Anastomose machen ausgedehntere Rekonstruktionen der membranösen Harnröhre erforderlich (Zinman 2002; Mundy und Andrich 2010). Diese erfolgen meist zweizeitig entweder mit Hilfe von Hautlappen aus dem perinealen oder skrotalen Bereich, oder mit Hilfe von Spalthaut bzw. Mundschleimhaut. Allerdings liegen bezüglich der funktionellen Ergebnisse keine ausreichenden Daten vor, um den bestmöglichen Standard definieren zu können.

Folgen eines ausgedehnten Traumas der hinteren männlichen Harnröhre oder deren Versorgung

Fistelbildung
Beim Auftreten einer Fistel zwischen Urethra und Rektum muss diese operativ korrigiert werden. Die erfolgt meist durch ein kombiniertes abdominelles und perineales Vorgehen mit Interpositionierung eines Peritoneallappen oder des Omentum majus. Bei kleiner und sehr tief gelegener Fistel kann alternativ ein rein perineales Vorgehen mit Interpositionierung von gestieltem oder freiem Tunica vaginalis Lappen aus dem Skrotum gewählt werden.
Harninkontinenz
Zum Erhalt der Kontinenz beim Mann reicht ein intakter Blasenhals mit einem intakten Sphinkter urethrae internus aus. In allen anderen Fällen ist nach Ausschöpfung aller konservativer Maßnahmen (Beckenbodentraining, Elektrostimulation zur Sphinkteraktivierung, medikamentöse Therapie mit Duloxetin (cave: off-label-use)) und nach Ablauf von 1–2 Jahren die Einlage eines artifiziellen Sphinkters zu empfehlen. Dieser sollte außerhalb des Vernarbungsbereichs platziert werden (üblicherweise im Bereich der bulbären/proximal penilen Harnröhre). Gelegentlich ist eine Doppelmanschette erforderlich.
Restenosierung
Wenn nach einer verzögerten Harnröhrenrekonstruktion eine Restrukturierung auftritt, entsteht diese meist in den ersten 6 Monaten postoperativ. Für die Behandlung einer solchen Striktur gelten die gleichen Prinzipien wie für die verzögerte Versorgung einer Harnröhrenverletzung selbst (bei kurzstreckiger Striktur evtl. endoskopisches Vorgehen, ansonsten offene Harnröhrenplastik).

Iatrogene Harnröhrenverletzungen

Harnröhrenverletzungen durch Katheter und endoskopische Eingriffe

Die iatrogene Harnröhrenverletzung ist die häufigste Art eines urethralen Traumas (Tab. 6). Ursache ist meist eine instrumentelle Verletzung der Urethra im Rahmen der Endoskopie (Zystoskopie, TURB [transurethrale Elektroresektion der Blase] oder TURP [transurethrale Elektroresektion der Prostata], Ureteroskopie) oder einer Kathetereinlage. Als Folge entsteht eine Narbe aus der eine Harnröhrenstriktur resultiert. 32 % aller Harnröhrenengen gehen auf eine traumatische oder Langzeit-Katheterisierung zurück (Fenton et al. 2005; Kashefi et al. 2008). Meist betreffen sie die bulbäre Harnröhre. Die Verletzungen reichen von einer leichten Schleimhautläsion bis hin zur Via falsa oder Drucknekrose der Urethra (z. B. bei in der Harnröhre geblocktem Katheterballon).
Tab. 6
Häufigste Ursachen für eine iatrogenes Harnröhrentrauma (mod. nach Summerton et al. 2012)
Eingriff
Rate an Urethraverletzungen
Katheterisierung
Ursache für 32 % aller iatrogenen HR-Strikturen (davon 52 % bulbär)
TURB oder TURP
2,2–9,8 % HR-Strikturen
Radikale Prostatektomie
0,5–32 % Blasenhalsengen
Strahlentherapie (Brachytherapie oder externe Radiatio) (Hindson et al. 2013)
6–8 % HR-Strikturen
0,3–3 % HR-Fisteln
Kryotherapie (Shelley et al. 2007)
2,2–17 % HR-Strikturen
2–55 % Blasenhalsengen
HIFU (Palermo et al. 2013)
4–14 % HR-Strikturen
Radikale Zystoprostatektomie mit Anlage einer Neoblase (Hautmann et al. 2011)
3,1 % Neoblasenhalsengen
1,2 % Anastomosenstrikturen
0,9 % HR-Strikturen
HR Harnröhre, TURB transurethrale Elektroresektion der Blase, TURP transurethrale Elektroresektion der Prostata, HIFU hochintensiver fokussierter Ultraschall
Empfehlungen zur Vermeidung iatrogener Harnröhrenverletzungen
  • Strenge Indikationsstellung zur Kathetereinlage
  • Harnröhre beim Katheterisieren komplett strecken und Blockung des Katheters erst nach Aspiration von Urin als Zeichen der korrekten Lage in der Harnblase
  • Ausreichende Menge an Gleitgel verwenden (sowohl bei Endoskopie als auch bei Dauerkatheter-Einlage)
  • Katheter so kurz wie möglich belassen
Die Indikation zur Kathetereinlage sollte daher immer sehr streng gestellt werden, die Zeit der Katheterversorgung so kurz wie möglich gehalten werden. Die Notwendigkeit der Bilanzierung rechtfertigt beim wachen Patienten nicht prinzipiell die Kathetereinlage, da das Messen der Urinausscheidung auch mit Hilfe einer Urinflasche möglich ist. Das Risiko für das Entstehen entzündlich bedingter Harnröhrenstrikturen ist bei der Verwendung von Silikonkathetern möglicherweise etwas geringer. Im Rahmen der TUR (transurethrale Elektroresektion) sollte stets ausreichend Gleitmittel in der Harnröhre verwendet werden, da es ansonsten zu Kriechströmen im Bereich der bulbären Urethra mit nachfolgender Strikturbildung kommen kann.
Symptome der akuten Harnröhrenverletzung, z. B. im Rahmen einer traumatischen Katheterisierung, sind sofortige penile oder perineale Schmerzen (in 100 %) und Blutung aus der Harnröhre (in 86 %).
Therapie der akuten Harnröhrenverletzung
  • Passagere Harnröhrenschienung mittels transurethralem Katheter (z. B. nach Via falsa) unter radiologischer oder endoskopischer Kontrolle
  • Ggf. Einlage einer suprapubischen Zystostomie (falls transurethrale Katheterisierung nicht möglich)
  • Antibiotikabehandlung und Antibiotikaprophylaxe
Empfehlungen zur Vermeidung iatrogener Harnröhrenverletzungen
  • Strenge Indikationsstellung zur Kathetereinlage
  • Harnröhre beim Katheterisieren komplett strecken und Blockung des Katheters erst nach Aspiration von Urin als Zeichen der korrekten Lage in der Harnblase
  • Ausreichende Menge an Gleitgel verwenden (sowohl bei Endoskopie als auch bei Dauerkatheter-Einlage)
  • Katheter so kurz wie möglich belassen

Harnröhrenverletzungen und -strikturen im Rahmen der Behandlung eines Prostatakarzinoms

Die Inzidenz für eine iatrogene traumatische Verletzung der Harnröhre im Rahmen einer operativen Therapie beim Prostatakarzinom reicht von 1,1–8,4 %, abhängig von der Behandlungsmethode. Das höchste Risiko besteht nach radikaler Prostatektomie mit nachfolgender externer Bestrahlung (Elliott et al. 2007).
Anastomosenstrikturen nach radikaler Prostatektomie können erfolgreich mittels endoskopischer Schlitzung oder Resektion behandelt werden. Allerdings sind häufig Rezidiveingriffe erforderlich und es besteht ein hohes Risiko für eine Sphinkterläsion mit nachfolgender Harninkontinenz.
Alternativ besteht die Möglichkeit zum regelmäßigen Selbstkatheterismus und Bougierung der Anastomosenenge oder der Dauerableitung mittels transurethralem oder suprapubischem Katheter.
Im Anschluss an eine Brachytherapie oder eine radikale Prostatektomie kommt es gelegentlich zur Ausbildung einer Harnröhrenfistel zum Rektum (Inzidenz 0,3–3,0 % nach Brachytherapie und 0–0,6 % nach radikaler Prostatektomie).

Verletzungen der vorderen männlichen Harnröhre durch Penisringe oder Penisbänder:

Die Gefahr besteht bei Penisklemmen oder Penisbändern zur Versorgung einer Inkontinenz bei Paraplegiern oder durch Penisringe, welche zur Aufrechterhaltung einer Erektion oft stundenlang belassen werden und den Penis und die Urethra strangulieren. Aufgrund eines länger bestehenden Drucks auf die Urethra kann es dort durch eine Ischämie zu einer Drucknekrose der Urethra und nachfolgend zur Ausbildung einer Striktur kommen. Die wird dann entsprechend den Standards zur Therapie der Harnröhrenstrikturen behandelt (Kap. „Harnröhrenstrikturen“).

Verletzung der weiblichen Harnröhre

Die Verletzung der weiblichen Harnröhre im Rahmen eines Verkehrsunfalls ist selten und meist kombiniert mit einer Blasenruptur und einer Beckenfraktur. Prinzipiell ist eine frühe oder verzögerte Rekonstruktion der Harnröhre möglich (Tab. 7). Aufgrund der geringeren Komplikationsrate wird die frühzeitige Rekonstruktion bevorzugt (≤ 7 Tage), sobald die Patientin hämodynamisch stabil ist. Das verzögerte Vorgehen erfordert häufig eine komplexe Rekonstruktion (kombiniert abdominal-vaginales Vorgehen) mit erhöhtem Risiko einer Harninkontinenz und einer Vaginalstenose (Patel et al. 2017).
Tab. 7
Komplikationsrate der verschiedenen Behandlungsstrategien zur Behandlung der weiblichen Harnröhrenverletzung (Patel et al. 2017; Kitrey et al. 2020)
Behandlungsart
Striktur
(%)
Fistel
(%)
Inkontinenz
(%)
Vaginalstenose
(%)
Notwendigkeit der
Harnableitung (%)
Primäres Realignment durch Kathetereinlage
59
13
0
0
0
Frühe Rekonstruktion
3
6
9
0
3
Verzögerte Rekonstruktion
3
4
31
4
7
Mittels transvesikalem Zugang erfolgt die operative Versorgung der proximalen Harnröhre und des Blasenhalses. Die distale Harnröhre der Frau ist einem operativen transvaginalen Vorgehen zugänglich (Koraitim 1999).
In seltenen Fällen ist nach kompletter Harnröhrenzerreißung (im Rahmen eines Unfalls, einer Geburt oder iatrogen), wenn eine Wiederherstellung der funktionellen und anatomischen Verhältnisse nicht möglich ist, eine Harnableitung erforderlich.
Iatrogene Verletzungen durch Inkontinenzbänder im Bereich der mittleren Harnröhre (TVT tension free vaginal tape, TOT transobturator tape) erfordern eine (Teil-)Resektion des Bandes und die Naht der Urethra über einen transvaginalen Zugang.
Urethrovaginale Fisteln (Harnröhren-Scheidenfisteln) – entstanden primär im Rahmen traumatischer Geburten oder sekundär nach primärer Versorgung einer Harnröhrenverletzung – erfordern eine operative Sanierung. Hierbei besteht die Möglichkeit eines meist transabdominellen oder transvaginalen Vorgehens. Wichtige Faktoren für einen erfolgreichen Fistelverschluss sind die gute Exposition mit kompletter Exzision des Fistelkanals, sicherer Verschluss der Vagina und der Blase und Interpositionierung von gut durchblutetem Gewebe (Peritoneallappen, Omentum majus) zwischen die Nahtreihen.

Harnblasenverletzungen

Ätiologie

Ursachen für Verletzungen der Harnblase
  • Beckenfraktur (80–90 % der Fälle)
    • Risiko der Blasenruptur direkt korreliert mit Zahl der frakturierten Schambeinäste
    • 75 % der Blasenrupturen assoziiert mit Sprengung der Symphyse oder des Iliosakralgelenks
  • Stumpfes Trauma gegen den Unterleib bei voller Blase (z. B. Beckengurtverletzung beim Auffahrunfall)
  • Iatrogen im Rahmen von Operationen
    • Von außen bei offenen oder laparoskopischen abdominellen sowie transvaginalen Eingriffen (Hysterektomie, Leistenhernien-OP, Sakropexie, Blasensuspension, Harnröhrenschlingen)
    • Von innen bei transurethralen Eingriffen (TURB, TURP, Blasensteinlithotripsie)
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass traumatische Blasenrupturen in 80–90 % der Fälle mit einer Beckenfraktur assoziiert sind (Morey et al. 2001; Gomez et al. 2004; Lynch et al. 2005). Es fand sich eine direkte Korrelation zwischen der Anzahl der frakturierten Schambeinäste (1, 2–3 oder 4) und der Häufigkeit von Blasenrupturen (4 %, 12 % oder 40 %). Bei 75 % der Blasenrupturen liegt ein stumpfes Beckentrauma mit Sprengung der Symphyse oder des Iliosakralgelenks vor. Der Umkehrschluss ist jedoch nicht erlaubt. Nur bei 20 % der Patienten mit Sprengung der Symphyse oder des Iliosakralgelenks liegt eine Blasenruptur vor (Aihara et al. 2002). Insgesamt liegt lediglich in 3 % aller Beckenfrakturen eine begleitende Blasenverletzung vor. Bei schwerer Beckenverletzungen kann dieser Anteil allerdings bis zu 26,5 % betragen (Kitrey et al. 2020).
in 5–20 % der traumatischen Blasenverletzungen liegt eine zusätzliche Urethraverletzung vor (Figler et al. 2012).

Stumpfes Trauma

Stumpfe Traumata sind für 67–86 % der traumatischen Blasenverletzungen verantwortlich. Die häufigste Ursache (90 %) sind hierbei Verkehrsunfälle (S3-Leitlinie Polytrauma 2016). Circa 70 % der Patienten mit stumpfen Harnblasenverletzungen weisen begleitende Beckenfrakturen (vor allem Beckenringfrakturen, Symphysensprengung, Fraktur der Rami ossis pubis) und ca. 44 % der Patienten weisen mindestens eine intraabdominelle Verletzung auf (Gomez et al. 2014). Penetrierende Harnblasenverletzungen durch Schusswunden oder Pfählungsverletzungen sind eher selten.
Entsprechend der American Association for Surgery of Trauma (AAST) werden 5 Grade der Blasenverletzung unterschieden (Moore et al. 1992):
Wichtig für die Therapieentscheidung ist die Differenzierung zwischen intraperitonealer und extraperitoneale Blasenverletzung sowie die Kenntnis begleitender Verletzungen von Blasenhals oder Urethra (Tab. 8).
Tab. 8
Klassifikation Harnblasenverletzung (mod. nach Moore et al. 1992)
Grad
Typ
Klinisches Erscheinungsbild
Therapie
I
Blasenkontusion,
intramurales Hämatom Kein KM-Austritt im Zystogramm
Keine Therapie erforderlich
II
Extraperitoneale Blasenverletzung < 2 cm
im Zystogramm KM-Austritt ins kleine Becken
Konservative Therapie: suprapubische Zystostomie oder transurethraler Katheter
III
Extraperitoneale Blasenverletzung (>2 cm) oder intraperitoneale Blasenverletzung (<2 cm)
im Zystogramm KM-Austritt
Extraperitoneal:
Konservative Therapie durch Harnableitung
Intraperitoneal: Blasenübernähung
IV
intraperitoneale Blasenverletzung (>2 cm)
zuvor verspürter Harndrang ist verschwunden, peritonealer Reizung
im Zystogramm KM-Austritt in den freien Bauchraum
Primäre operative Versorgung
V
Extraperitoneale oder intraperitoneale Blasenverletzung mit Ausdehnung bis in den Blasenhals oder das Ostium (Trigonum)
im Zystogramm KM-Austritt
Extravasation am Blasenhals
Primäre operative Versorgung
KM: Kontrastmittel
Die extraperitoneale Blasenverletzung ist fast immer mit einer Beckenfraktur verbunden. Das höchste Risiko zeigen dabei haben Beckenringfrakturen mit Dislokation >1 cm, Auseinanderweichen der Symphyse >1 cm und Frakturen der Rami ossis pubis. Selten liegt ein direktes penetrierendes Blasentrauma vor (Figler et al. 2012; Kitrey et al. 2020).
Intraperitoneale Verletzungen entstehen durch plötzliche Druckerhöhung von aussen auf die gefüllte Harnblase. Der typische Verletzungsmechanismus ist z. B. ein plötzlicher Zug des Sicherheitsgurtes auf den Unterbauch mit Druckerhöhung auf die intrapelvinen Organe, alternativ die direkte stumpfe Gewalteinwirkung auf den Unterleib im Rahmen eines Aufpralls/Fußtritts üblicherweise bei voller Blase. Der schwächste Bereich der vollen Blase ist der Blasendom, an dem sie folglich dann aufreißt. Es kommt zu einer intraperitoneale Blasenruptur (Abb. 10). Ein zuvor verspürter Harndrang ist sofort verschwunden und eine Miktion nicht mehr möglich.
Die Blase ist im leeren Zustand durch den Beckenring knöchern geschützt und kann folglich ohne gleichzeitiges Vorliegen einer Beckenfraktur im Rahmen eines stumpfen Traumas nicht verletzt werden.

Spitzes, direkt penetrierendes Trauma

Schuss- oder Stichverletzungen im Unterleib können auch die Blase involvieren. In Europa findet sich hier ein Anteil von 0,6 % an den penetrierenden Verletzungen, in Südafrika ein Anteil von 56 %. Da in solchen Fällen meist noch begleitend weitere abdominelle Verletzungen, z. B. von Gefäßen vorliegen, findet sich eine Mortalitätsrate von 12–14 % (Hohenfellner und Santucci 2007).
Verletzungen der Harnblase (Gomez et al. 2004)
  • In 17–39 % intraperitoneal
  • In 56–78 % extraperitoneal
  • Kombiniert vorliegend in 10–20 % der Fälle einer hinteren Harnröhrenverletzung
Die kombinierte Verletzung von Blase und Urethra kommt in 10–20 % der Verletzungen der hinteren männlichen Harnröhre vor. Die Blasenverletzungen sind dabei in 17–39 % intraperitoneal und in 56–78 % extraperitoneal gelegen.

Symptomatik

Leitsymptome sind
  • Makrohämaturie (in 82–95 % vorhanden) oder Blut am Meatus urethrae
  • Harndrang vor dem Unfall, der danach nicht mehr besteht.

Diagnostik

Liegt die klassische Kombination von Makrohämaturie und Beckenfraktur vor, so besteht die absolute Indikation zur Durchführung eines retrograden Urethrogramms bzw. eines Zystogramms zum Ausschluss einer Harnröhren- bzw. Blasenverletzung (Rehm et al. 1991; Morey et al. 2001, 2014).
Merke
Bei Fehlen einer makroskopisch erkennbaren Hämaturie kann eine Blasenverletzung bereits weitgehend ausgeschlossen werden, da nur in 2–10 % aller Patienten mit Blasenruptur ausschließlich eine Mikrohämaturie vorliegt (Avey et al. 2006; Figler et al. 2012).
Ist durch das RUG eine Urethraverletzung ausgeschlossen, so erfolgt die Überprüfung der Intaktheit der Harnblase mittels KM-Darstellung (Zystogramm) über den eingelegten transurethralen Katheter.
Bei einer intraperitonealen Blasenruptur tritt das KM in den Bauchraum über. Bei der häufiger vorkommenden extraperitonealen Ruptur kommt es zu einer diffusen KM-Verteilung im Beckenbereich, im Perineum und evtl. auch im Skrotum.
Zur Durchführung des Zystogramms wird zunächst ein Leerbild des Beckens a. p. angefertigt und danach die Blase mit ca. 300 ml wasserlöslichem KM über den liegenden transurethralen Katheter gefüllt. Eine erneute Beckenübersichtsaufnahme sollte a. p. und, falls von der Lagerung her möglich, auch seitlich (um 30 % angehoben) erfolgen. Nach Ablassen des KM muss eine weitere Übersichtsaufnahme zur Dokumentation von KM-Resten im perivesikalen Gewebe als Zeichen eines KM-Austritts erstellt werden.
Mit Hilfe des Zystogramms ist bei ausreichender Blasenfüllung und Ablaufbild nach Miktion in 85–100 % eine korrekte Diagnosestellung möglich. Befinden sich primär bei der Blasenfüllung oder nach Miktion bzw. nach Ablassen des KMs über den inliegenden Katheter noch KM-Reste außerhalb der Blase, so liegt eine Blasenruptur vor (Abb. 11). Anhand der Lokalisation des KM-Austritts erfolgt die Unterscheidung von intra- und extraperitonealer Läsion und in Abhängigkeit davon die entsprechende Therapieempfehlung.
Zur Diagnose von Blasenrupturen ist das Zystogramm der Computertomografie überlegen, da letztere üblicherweise mit abgeleiteter und somit leerer Harnblase erfolgt. Eine KM-Füllung der Blase im CT oder ein KM-CT mit Spätphase und abgeklemmtem Katheter ist jedoch ebenbürtig (s. Abb. 12). Ein polytraumatisierter Patient wird jedoch in der Regel unmittelbar nach dem KM-CT zum Ausschluss einer Blutung auf die Intensivstation verlegt, so dass meist eine CT-Spätphase mit Ausscheidung in die Hohlsysteme (urographische Phase) nicht abgewartet wird. Auf der Intensivstation kann dann das Zystogramm mit Hilfe des C-Bogens nachgeholt werden (Abb. 11).
Das Standard-CT beim polytraumatisierten Patienten mit früharterieller und venöser Phase erkennt lediglich Flüssigkeit im Abdomen oder perivesikal. Eine Differenzierung zwischen Urin oder Aszites ist nicht möglich. Ähnliches gilt für den primären Ultraschall des Abdomens. Er ermöglicht zwar die Erkennung freier Flüssigkeit im Abdomen. Eine genaue Zuordnung bzw. Differenzierung zwischen Blutung und Urinextravasation ist jedoch nicht möglich, so dass die Sonografie aufgrund ihrer geringen Spezifität beim polytraumatisierten Patienten oder bei Vorliegen einer Beckenfraktur nicht ausreichend ist.

Klassifikation

Blasenverletzungen können entsprechend ihrer anatomischen Lokalisation oder ihrer Ätiologie (stumpfes oder spitzes Trauma, externes oder iatrogenes Trauma) klassifiziert werden. Bezüglich der Lokalisation hat sich die Unterscheidung zwischen intra- und extraperitonealer Blasenverletzung etabliert, da dies im Hinblick auf die Therapie von essenzieller klinischer Bedeutung ist (Tab. 9).
Tab. 9
Klassifikation entsprechend dem radiologischen Befund im Zystogramm (Sandler et al. 1986)
Typ
Verletzungsart
Zystogramm
1
Blasenkontusion
Normalbefund
2
Intraperitoneale Ruptur
KM-Austritt nach intraperitoneal, Negativdarstellung der Darmschlingen
3
Interstitielle Blasenverletzung mit intramuraler Blutung
Submuköse KM-Extravasation ohne eigentliches Paravasat
4
Extraperitoneale Ruptur
KM-Austritt extraperitoneal, in den perivesikalen Raum, das skrotale oder perineale Weichgewebe
5
Kombinierte intra- und extraperitoneale Verletzung
KM-Austritt nach intra- und extraperitoneal
KM Kontrastmittel

Therapie

Intraperitoneale Blasenrupturen stellen typischerweise eine Operationsindikation dar, da es sich meist um größere Einrisse handelt, welche dann zu Peritonitis und Urinomen führen können. Kleine Läsionen können versuchsweise konservativ mittels Harnableitung über Blasenkatheter (transurethral oder suprapubisch) therapiert werden. Überprüfung des Therapieerfolges nach 2–3 Wochen mittels Zystogramm.
Die meisten extraperitonealen Blasenrupturen können konservativ mittels Katheterdrainage therapiert werden. Die Erfolgsrate liegt hier bei 93 %. Ausnahmen sind Blasenrupturen mit Knochenfragmenten in der Harnblase oder in deren Wand bzw. Verletzungen des Blasenhalses. Hier wird ein operatives Vorgehen mit osteosynthetischer Versorgung der Beckenfraktur und offener Übernähung der Blase empfohlen (Gomez et al. 2004; Figler et al. 2012). Die primäre Rekonstruktion des Blasenhalses erhöht die Kontinenzrate.
Schlüsselempfehlungen (S3-Leitlinie Polytrauma 2011) (Tab. 10)
  • Intraperitoneale Harnblasenrupturen sollten chirurgisch exploriert werden (Empfehlungsgrad B)
  • Extraperitoneale Harnblasenrupturen ohne Beteiligung des Blasenhalses können konservativ durch suprapubische Harnableitung therapiert werden (Empfehlungsgrad 0)
Tab. 10
Untersuchung, Befund und Therapiemaßnahmen bei V. a. Blasenruptur
Untersuchung
Befund
Interpretation
Therapie
Anamnese (beim wachen Patienten)
Trotz Harndrang keine Miktion möglich
→ V. a. HR-Abriss
Keine transurethrale Katheterisierung ohne vorheriges RUG
KM-Extravasation im RUG
→ HR-Verletzung
→ Zystostomie! (kein transurethraler DK)
Kein Harndrang mehr bei ehemals voller Blase
→ V. a. Blasenruptur
Zystogramm (über DK oder Zystostomie, je nach HR-Status)
zusätzlich CT zur Beurteilung von Begleitverletzungen
KM-Extravasation extraperitoneal (s. o.)
→ konservative Therapie
KM-Extravasation intraperitoneal (s. u.)
→ operative Therapie
Inspektion
- Blut am Meatus
- Hämatom penil oder perineal
V. a. HR-Verletzung
→ Keine transurethrale Katheterisierung ohne vorheriges RUG !
- Prellmarke am Unterleib
- Beckenfraktur
Blasenruptur möglich
→ Sonografie (freie Flüssigkeit?)
→ Zystogramm (KM-Austritt?)
RUG
- KM-Extravasation
→ HR-Verletzung infradiaphragmal
→ Zystostomie
- Kein KM-Übertritt in die Blase
→ Kompletter HR-Abriss (supradiaphragmal)
→ Zystostomie oder primäres endoskopisches Realignment
Zystogramm
KM-Extravasation perivesikal oder ins Weichgewebe
→ Extraperitoneale Blasenruptur
Konservative Therapie
→ Harnableitung mittels DK oder Zystostomie
KM-Extravasation ins Abdomen
→ Intraperitoneale Blasenruptur
Operative Therapie!
→ Übernähung der Blase
konservativer Therapieversuch bei kleiner Läsion vertretbar
KM-CT mit Ausscheidungsphase
oder
CT-Zystogramm
KM-Extravasation perivesikal oder ins Weichgewebe
→ extraperitoneale Blasenruptur
Konservative Therapie
→ Harnableitung mittels DK oder Zystostomie
KM-Extravasation ins Abdomen
→ Intraperitoneale Blasenruptur
Operative Therapie!
→ Übernähung der Blase
konservativer Therapieversuch bei kleiner Läsion vertretbar
Sonografie
Freie Flüssigkeit und leere Blase
→ KM-CT mit Spätphase zur Differenzierung zwischen Blut und Urin
In Abhängigkeit von dem Ergebnis der CT (s. o.) operative oder konservative Therapie
HR Harnröhre, RUG retrogrades Urethrogramm, DK Dauerkatheter, CT Computertomografie, KM Kontrastmittel

Iatrogene Blasenverletzung

Die Blase ist das urologische Organ bei dem es am häufigsten zu iatrogenen Verletzungen kommt. Dabei ist diese Läsion als Perforation der kompletten Blasenwand definiert (Tab. 11).
Tab. 11
Häufigkeit von Blasenverletzungen im Rahmen chirurgischer Interventionen (mod. nach Rödder et al. 2005; Summerton et al. 2012 und Kitrey et al. 2020)
Art der Intervention
Prozentsatz der Blasenverletzungen (%)
0,0016–0,94
Laparoskopische/abdominelle Hysterektomie (benigne)
0,5–2,7
Vaginale Hysterektomie (benigne)
0,44–6,3
Lap./roboter-assist. radikale Hysterektomie (maligne)
4,19–4,59
Abominelle radikale Hysterektomie (maligne)
2,37
Leistenhernien-OP
0,08–0,3
Retropubische Schlinge bei Männern
8,0–50
Laparoskopische Sakropexie
1,9
Blasensuspension (Burch)
1,0–1,2
Mittleres Harnröhrenband (TVT, TOT)
1,6–6,6
TURB
1,3–58
TVT tension free vaginal tape, TOT transobturator tape bzw. transobturatorisches Band, TURB transurethrale Elektroresektion von Blasentumoren
Verletzungen von außen ereignen sich während operativer Eingriffe im kleinen Becken. Zu Verletzungen von innen kann es im Rahmen einer transurethralen Elektroresektion der Blase (TURB) oder Blasentamponadenausräumung kommen. Insgesamt sind extraperitoneale Verletzungen häufiger als die intraperitoneale.
Hauptrisikofaktoren für Verletzungen der Blase von außen sind vorangegangene Eingriffe im kleinen Becken (Narben) sowie maligne Tumorbefunde. Bei der TURB gelten Tumorgröße, Alter des Patienten, vorangegangene Blaseninterventionen (TURB, intravesikale Instillationen, Strahlentherapie) sowie Lokalisation des Tumors am Blasendom oder in einem Divertikel als die wesentlichen Risikofaktoren für eine Blasenperforation.

Verletzungen der Blase im Rahmen offener oder laparoskopischer Operationen

Die verlässlichste Methode zur Erkennung einer Blasenverletzung ist die genaue Inspektion. Hierbei sind Austritt von Urin oder das Freiliegen des Katheters untrügliche Zeichen. Auch ein gasgefüllter Urinbeutel während der Laparoskopie ist nur bei Vorliegen einer Blasenläsion möglich. Besteht Unsicherheit bezüglich einer Blasenverletzung, z. B. bei intraoperativer Blutbeimengung im Urinbeutel, so kann die intravesikale Gabe von Methylenblau (über den liegenden Katheter) zur Diagnosesicherung beitragen und erlaubt gleichzeitig die Lokalisation der Läsion.
Die Versorgung einer intraoperativ erkannten Blasenverletzung erfolgt üblicherweise 2-schichtig mit resorbierbarem Fadenmaterial und mittels Urinableitung über DK für 7–10 Tage. Vor Miktionsbeginn kann mittels Zystogramm die Intaktheit der Blase überprüft werden (Gomez et al. 2004).
Je nach Lokalisation der offenen Blasenverletzung (Blasenboden, Trigonum) sollte auch die Unversehrtheit der Ostien überprüft werden. Hierzu ist ggf. eine großzügige Eröffnung der Blase zur Inspektion von innen erforderlich, welche gleichzeitig eine Harnleiterschienung ermöglicht.

Verletzungen der Blase bei der Einlage von Inkontinenzbändern

Nach Einbringen einer Harnröhrenschlinge (TVT, TOT, männliche Harnröhrenschlinge) sollte noch in derselben Narkose eine Urethrozystoskopie erfolgen, um eine Perforation der Blase zu erkennen und das Band dann unmittelbar korrigieren zu können (Ford et al. 2017). Wird die Perforation noch vor Entfernen der Schutzhüllen des Bandes erkannt, so kann das Band zurückgezogen und in einem neuen Anlauf korrekt neben die Blase positioniert werden. Nach Ableiten der Blase mittels DK über 3 Tage heilt die Blasenverletzung (immer extraperitoneal) in der Regel problemlos ab.

Verletzungen der Blase im Rahmen eines transurethralen Eingriffs

Hierbei ist die Unterscheidung zwischen intra- und extraperitonealer Blasenverletzung für die weitere Therapie wesentlich. Tiefe Resektion eines Blasentumors an der Blasenhinterwand oder dem Blasendom oder spontane Rupturen der Harnblase im Rahmen der Ausräumung einer Blasentamponade oder bei Schrumpfblase können zu einer intraperitonealen Perforation führen. Diese erfordert fast immer eine Übernähung der Harnblase. Bei einer kleinen Läsion kann unter antibiotischer Abschirmung ein konservativer Therapieversuch mittels DK-Ableitung gerechtfertigt sein. Eine Blasenspülung oder gar Mitomycingabe intravesikal muss in diesem Fall unterbleiben. Bei klinischer Symptomatik (z. B. Unterbauchschmerzen, Peritonealreizung, zunehmende intraperitoneale Flüssigkeit, steigendes Kreatinin) muss die Blase operativ versorgt werden.
Verletzungen der Blasenseitenwand, z. B. bei einer Obturatoriusreizung im Rahmen der TURB sind in der Regel extraperitoneale Verletzungen und können als solche konservativ behandelt werden. Auch hier sollte von einer unmittelbar postoperativen Mitomycin-Installation abgesehen werden.

Symptome, Diagnostik und Therapie primär intraoperativ nicht erkannter Blasenläsionen

Klinische Zeichen einer unerkannten oder erst später – aufgrund trophischer Störungen – aufgetretenen Blasenläsion können sein: Hämaturie, Unterbauchschmerzen, gespanntes Abdomen, Peritonealreizung, intraperitoneale Flüssigkeit, paralytischer Ileus, steigendes Kreatinin, steigende Infektparameter, Flüssigkeitsaustritt über die Wunde oder vermehrte Sekretion über intraperitoneal liegende Drainagen bei gleichzeitiger Abnahme der Urinausscheidung ohne Anstieg der Nierenretentionswerte.
Die Diagnose erfolgt standardmäßig mittels Zystogramm. Bei unklarem Abdomen oder septischer Laborkonstellation erfolgt in der klinischen Praxis meist jedoch ein CT mit Kontrastmittel. Dies ermöglicht erst im Rahmen der Spätphase (urographische Phase) oder bei gleichzeitiger KM-Gabe über den Blasenkatheter (CT-Zystogramm) die Diagnose der Blasenläsion.
Bei unklarer Flüssigkeit im Abdomen kann diese sonografisch gesteuert diagnostisch punktiert werden. Liegt der Kreatiningehalt darin deutlich über dem Serumwert, so besteht eine Urinleckage (Blase oder Ureter). Deren Lokalisation sollte mittels Zystogramm und/oder IVP (i.v. Pyelogramm) oder mittels CT Urogramm zügig gefunden werden, um schnellstmöglich eine adäquate Versorgung zu erreichen. Die Therapie einer Blasenläsion erfolgt analog zur deren Primärversorgung in Abhängigkeit von Größe und Lokalisation. Bezüglich der Versorgung einer Ureterläsion wird auf das entsprechende Kapitel verwiesen.
Empfehlungen zur Erkennung und Therapie der Blasenläsion:
  • Routinemässige Zystoskopie im Anschluß an die Einlage einer Inkontinenzschlinge oder nach einem großen gynäkologischen Eingriff (Ford et al. 2017; Vakili et al. 2005)
  • Zystoskopie ist die Methode der Wahl um post-op eine Blasenverletzung zu diagnostizieren, ggf. mit zeitgleichem Zystogramm
  • Verletzungen der Blase von aussen, welche intra-op bemerkt werden, sollten primär 2-schichtig verschlossen werden (Ausnahme extraperitoneale Stichverletzungen beim Einbringen eines Inkontinenzbandes, s. 3.6.2).
  • Extraperitoneale Blasenverletzungen, welche intra-op nicht erkannt wurden oder im Rahmen einer TURB entstanden sind, können konservativ behandelt werden (Harnableitung mittels Katheter, Überprüfung mittels Zystogramm).
  • Intraperitoneale Blasenverletzungen, welche intra-op nicht erkannt wurden, sollten sekundär chirurgisch versorgt werden (2-schichtige Naht),
  • Ausnahme: bei einer sehr kleinen Blasenläsion und elastischer Blasenwand ist evtl. ein konservativer Therapieversuch vertretbar.

Zusammenfassung

1.
Becken
  • In 6 % aller Beckenfrakturen liegen begleitende Verletzungen der Blase und/oder der Urethra vor
  • Eine Begleitverletzung der posterioren Harnröhre findet sich bei Männern in 3,5–19 % aller Beckenfrakturen, eine Verletzung der weiblichen Harnröhre in 0–6 %.
 
2.
Urethra
  • Bei Verdacht auf eine Urethraverletzung sollte vor einer transurethrale Blasenkathetrisierung immer ein retrograde Urethrogramm (RUG) durchgeführt werden.
 
3.
Harnblase
  • Extraperitoneale Blasenverletzungen können fast immer konservativ behandelt werden.
  • Intraperitoneale Blasenverletzungen sollten chirurgisch versorgt werden;
Ausnahme: bei einer sehr kleinen Blasenläsion und elastischer Blasenwand ist evtl. ein konservativer Therapieversuch vertretbar.
 
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