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Die Urologie
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Publiziert am: 07.05.2022

Hodendystopie: Korrekturstrategien

Verfasst von: Raimund Stein und Joachim Wilhelm Thüroff
Bei der Hodendystopie kann der Hoden hoch intraabdominal, unmittelbar vor dem inneren Leistenring, im Leistenkanal oder präskrotal liegen. Die unmittelbar präoperativ dokumentierte Hodenlage bestimmt das operative Vorgehen. Bei den intraabdominellen Hoden ist die Laparoskopie das Verfahren der Wahl. Bei den Leistenhoden bzw. den im Bereich des inneren Leistenringes liegenden Hoden erfolgt der Zugang über einen Leistenschnitt. Bei präskrotal liegenden Hoden bzw. Gleithoden kann ein skrotaler Zugang angewandt werden. Im Folgenden werden die operativen Techniken und ihre anatomischen Besonderheiten dargestellt.

Zugangswege, Zeitpunkt und Indikationen

Die erste erfolgreiche Orchidopexie wurde von Annandale 1879 im The British Medical Journal publiziert. In den 30er-Jahren beschrieben Petrivalsky und Schoemaker unabhängig voneinander die elastische Fixierung des Hodens in einer Dartostasche unter der Skrotalhaut. In den 50er-Jahren wurden dann operative Details und die Ergebnisse der Techniken in englischen Journals veröffentlicht und zu Beginn der 80er-Jahre kam die Laparoskopie beim Kryptorchismus zunehmend zum Einsatz (Stein und Schröder 2011). Wegen der Reifung der Keimzellen wird die Verlagerung des Hodens ins Skrotum bis zum Ende des 1. Lebensjahres empfohlen (Stein und Schröder 2011; Radmayr et al. 2016; Ludwikovski et al. 2016). Zur Planung der operativen Therapie hat sich der in Abb. 1 dargestellte Algorithmus bewährt.

Operative Zugangswege

Nicht tastbarer Hoden (Abdominalhoden)

Jedes Kind mit einem nicht tastbaren und sonographisch nicht sicher darstellbaren Hoden sollte noch einmal in Narkose untersucht werden, bevor mit der Laparoskopie begonnen wird. Manchmal lässt sich der Hoden dann doch in der Leiste ertasten. In diesen Fällen wird er wie ein Leistenhoden operiert.
Ist der Hoden auch in Narkose nicht zu tasten, so erfolgt zunächst die diagnostische Laparoskopie.
  • Bei der sich in < 50 % der Fälle ein intraabdomineller Hoden findet, insbesondere dann, wenn vorher eine suffiziente Sonografie erfolgte (Abb. 2).
  • In >50 % ist er atroph (sog. vanishing testis, Abb. 3) oder fehlt gänzlich.
  • In <5 % liegt der Hoden im Leistenkanal, auch wenn er in Narkose nicht zu tasten und sonographisch ebenfalls nicht darstellbar war.
Zunächst erfolgt die diagnostische Laparoskopie, wobei heutzutage bei Säuglingen die offene Insertion der Optik (3 oder 5 mm) im Bereich des Nabels (supra- oder infraumbilikal) erfolgt, da die Verwendung der Veressnadel in diesem Alter eine höhere Komplikationsrate hat. Findet sich der Hoden und ist eine laparoskopische Orchidopexie oder eine Fowler-Stephens-Operation (Fowler und Stephens 1959) geplant, so erfolgt die Insertion zweier weiterer Trokare (Abb. 4).
Operation nach Fowler-Stephens, Verfahren nach Koff und Sethi
Bei einem hoch abdominal gelegenen Hoden, d. h. mehr als 2–3 cm vom inneren Leistenring entfernt (Abb. 2), oder wenn intraoperativ die Gefäße sich als zu kurz für eine skrotale Verlagerung erweisen, sollte ohne weitere Präparation die Operation nach Fowler-Stephens durchgeführt werden. Die Fowler-Stephens Technik für den Bauchhodens umfasst die intraperitoneale Unterbindung und ggf. Durchtrennung der testikulären Gefäße unter sicherer Schonung der Gefäße des Ductus deferens (Abb. 5a) (Fowler und Stephens 1959). Die Operation kann einzeitig durchgeführt werden, d. h. in gleicher Sitzung wird der von den Gefäßen des Ductus deferens versorgte Hoden ins Skrotum verlagert, oder zweizeitig (6 Monate nach Durchtrennung der testikulären Gefäße wird der Hoden ins Skrotum verlagert). Vorteil des zweizeitigen Verfahrens ist, dass genügend Zeit zur ungestörten Ausbildung der Kollateralkreisläufe besteht. Das einzeitige Verfahren nach Koff und Sethi unterscheidet sich von der Operation nach Fowler-Stephens dadurch, dass die Testikulargefäße unmittelbar vor ihrem Eintritt in den Hoden nach Abgang der Kollateralgefäße zum Nebenhoden durchtrennt werden (Abb. 5b). Dieses Verfahren ist nur dann sinnvoll, wenn Ductus deferens und Vasa testicularia eine Schleife bilden, durch die diese Form der Kollateralisierung gewährleistet ist (Koff und Sethi 1996). Die doppelte Länge der kollateralen Gefäßschleife entspricht dem Längengewinn den Weg ins Skrotum. Die Erfolgschancen bei der zweizeitigen Operation nach Fowler-Stephens liegen bei ca. 77 %, die der einzeitigen Operation bei ca. 50 %. Allerdings zeigt sich in Metanalysen kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Vorgehensweisen (Stein und Schröder 2011; Radmayr et al. 2016). Koff und Sethi berichten für ihre Modifikation der Operation Erfolgsraten von immerhin 93 % nach einem Jahr (Koff und Sethi 1996). Kann der Hoden bei einem laparoskopischen oder offenen Verfahren nicht in das Skrotum verlagert werden, und sind bereits Präparationen sowohl an den testikulären Gefäßen als auch am Ductus deferens erfolgt, sollten die Testikulargefäße nicht mehr durchtrennt werden. In diesen Fällen wird der Hoden soweit als möglich nach distal verlagert, um später eine zweizeitige Orchidopexie durchzuführen. In einer 2. Operation nach etwa 1 Jahr lässt sich der Hoden dann meist ins Skrotum verlagern (Stein und Schröder 2011). Nachdem der Hoden laparoskopisch mobilisiert wurde, kann er entweder durch den Leistenkanal oder medial der Plica umbilicalis medialis nach außen ins Skrotum verlagert werden (Abb. 6) und dort in einem Dartos-Pouch fixiert werden.
Inguinale Orchidopexie
Ein inguinal oder am inneren Leistenring lokalisierter Hoden kann bei ausreichend langem Gefäßstiel sicher im Skrotum fixiert bzw. in eine subkutane Tasche (sog. Dartos Pouch) verlagert werden.
Zum Verständnis des Zugangsweges ist die Kenntnis der Anatomie des Leistenkanals grundlegend. Dabei unterscheidet sich die Anatomie der Leistenregion bei Säuglingen und Kleinkindern von der bei Erwachsenen. Die Fascia superficialis (Camper’sche Faszie) mit ihrem membranösen Anteil (Scarpa’sche Faszie) ist relativ dick und die Scarpa’sche Faszie kann mit der Aponeurose des M. obliquus externus verwechselt werden. Letztere ist bei Säuglingen im Verhältnis zur Camper/Scarper’schen Faszie relativ zart. Der Leistenkanal verläuft schräg von lateral innen kommend nach medial außen. Bei Erwachsenen ist der Verlauf jedoch deutlich schräger als bei Säuglingen bzw. Kleinkindern. Der Anulus inguinalis superficialis wird durch die Crura mediale und laterale gebildet – eine Verstärkung der Aponeurose des M. obliquus externus abdominis (Abb. 7). Bei Kindern sind die Crura relativ zart. Nach Spaltung der Fascia spermatica externa (Abb. 8), die bei Säuglingen bzw. Kleinkindern teilweise sehr dünn ist, wird der äußere Leistenring dargestellt. Die im oberen Wundwinkel verlaufenden kleinen superfiziellen epigastrischen Gefäße können meist geschont und mit einem Lidhaken zur Seite gehalten werden. Der Hoden liegt häufig unmittelbar in der Nähe des äußeren Leistenringes, entweder im Leistenkanal oder in der Schicht zwischen der Externusaponeurose und der Scarpa’sche Faszie. Das meist ektop inserierende Gubernaculum wird durchtrennt und hodenseitig an dieser Stelle mit einem kleinen Klemmchen gefasst, um den Hoden nach kranial zu mobilisieren.
Der Anulus inguinalis profundus (innere Öffnung des Leistenkanals) ist eine Ausstülpung der Fascia transversalis, welche von innen her von Peritoneum parietale bedeckt ist (Abb. 6). Die Vorderwand des Leistenkanals wird von der Aponeurosis M. obliquus externus abdominis gebildet, welche sich in die dünne Fascia spermatica externa fortsetzt. Am Dach liegen die kaudalen Muskelfasern des M. transversus abdominis. Die Fasern des M. obliquus internus, welcher an der Bildung des Leistenkanaldaches nicht beteiligt ist, setzen sich in den M. cremaster fort und bilden die mittlere Hülle des Samenstranges (Fascia cremasterica/M. cremaster). Die Fascia transversalis bildet die Hinterwand des Leistenkanals, wobei medial des inneren Leistenringes die Faszie von dem unterschiedlich ausgeprägten Lig. interfoveolare (Lig. Hesselbach) verstärkt wird, dessen Fasern aus der Transversusaponeurose entstammen. Der dorsale Anteil des Leistenkanals wird im am weitesten medial gelegenen Anteil durch die Falx inguinalis (Lig. Henle/Tendo conjunctivus) verstärkt. Deren Fasern kommen ebenso aus der Transversusaponeurose und strahlen in das Leistenband und Lig. lacunare ein. Bei Säuglingen und Kleinkindern liegt die relativ große Blase sehr nahe am inneren Leistenring bzw. am Funiculus spermaticus und kann bei der Präparation verletzt werden.
Der Hoden wird durch eine kleine inguinale Inzision freigelegt. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist eine kleine quere Inzision kosmetisch schöner als die dem Verlauf des Leistenkanals entsprechende schräge Inzision und aufgrund der Elastizität des Gewebes ist eine Präparation auch bis ins Retroperitoneum möglich, ohne den Zugang zu erweitern. Bei und nach der Spaltung der Externusaponeurose entlang ihrer Fasern muss auf den Verlauf der medialen und lateralen Äste des N. inguinalis geachtet werden (Abb. 8). Die Äste verlaufen unterhalb der Aponeurose des M. obliquus externus und oberhalb des M. obliquus internus und werden bei der Einkerbung des Muskels geschont (Abb. 8). Insbesondere in den ersten 2 Lebensjahren findet sich häufig ein offener Processus vaginalis. Dieser wird vom Samenstrang gelöst, durchtrennt, torquiert und verschlossen (Abb. 9). Die Fixation am Unterrand des M. internus nach Bastianelli fixiert den Bruchsack, reduziert das Risiko eins Rezidivs und erleichtert die weitere Präparation. Hierdurch lässt sich häufig eine gute Mobilisation des Hodens erreichen. Die Fasern des M. cremaster und Bindegewebsfasern (Ausläufer der Fascia transversalis), welche mit dem Samenstrang verlaufen, werden durchtrennt. Die Ausläufer der Fascia transversalis umhüllen die Gefäße und den Ductus deferens. Werden diese Schichten durchtrennt, sowie Gefäße und Ductus deferens separiert, so lassen sich die Testikulargefäße bis weit ins Retroperitoneum mobilisieren, wobei das Peritoneum von Vasa testicularis und Ductus deferens gelöst wird. Auf diese Weise kann der Gefäßstiel links bis zur Aorta und rechts bis zu den Nierengefäßen mobilisiert werden. Die von lateral kommenden Bindegewebszüge (laterales Ligament nach Browne bzw. Prentiss), welche mit der den Funiculus spermaticus umgebenden Faszien verbunden sind, werden durchtrennt (Browne 1949; Prentiss et al. 1960). Durch dieses Manöver kann der Hoden meistens in das Skrotum verlagert werden. Ist der Gefäßstiel weiterhin zu kurz, so kann durch das Prentiss-Manöver (Prentiss et al. 1962) eine weitere kleine Strecke gewonnen werden. Hierbei werden der Boden des Leistenkanals (Fascia transversalis) eröffnet und der Samenstrang unter den epigastrischen Gefäßen durchgezogen (Abb. 10). Alternativ können die epigastrischen Gefäße durchtrennt werden, was die Option für eine Autotransplantation des Hodens eliminiert.
Die Bildung eines Dartos Pouch nach Petrivalsky und Schoemaker gilt heute als Standardmethode zur Orchidopexie (Stein und Schröder 2011). Hierbei wird über eine separate Inzision am Skrotum der Hoden spannungsfrei bzw. -arm in eine subkutane Tasche – sog. Dartos Pouch – verlagert (Abb. 11). Nachdem der Hoden in die subkutane Tasche verlagert wurde, wird der Eingang zur Tasche durch eine Naht etwas eingeengt, wobei die Faszie des Samenstranges mit gefasst werden kann. Die zusätzliche Fixation des Hodens am tiefsten Punkt mit einer Naht bewirkt eine Vernarbung und damit eine bessere Fixation im Skrotum (Stein und Schröder 2011).
Die Erfolgsraten der verschieden operativen Techniken variieren zwischen 74 % bei den initial intraabdominell gelegenen und 92 % bei den distal des äußeren Leistenringes gelegenen Hoden (Docimo 1995).
Präskrotale Orchidopexie
Ende der 80er-Jahre beschrieben Bianchi und Squire die präskrotale Orchidopexie (Bianchi und Squire 1989). Bei Gleithoden, am äußeren Leistenring gelegenen oder ektopen Hoden kann durch eine einzige hochskrotal gelegene Inzision der Hoden mobilisiert und in einen skrotalen Pouch verlagert werden. Bei dieser Technik wird der Leistenkanal nicht eröffnet. Ist die Mobilisation nicht ausreichend, so muss inguinal eine zusätzliche Inzision durchgeführt werden.
Autotransplantation
Bei diesem operativ aufwendigen Verfahren werden die Testikulargefäße mit den epigastrischen Gefäßen in mikrochirurgischer Technik (Operationsmikroskop) anastomosiert. Damit können Bauchhoden in bis zu 80 % erfolgreich ins Skrotum verlagert werden. Aufgrund ähnlicher Ergebnisse der laparoskopischen Fowler-Stephens-Technik, welche routinemäßig in kinderurologischen Zentren eingesetzt wird, kommt die Autotransplantation des Hodens heute kaum mehr zur Anwendung (Stein und Schröder 2011).
Orchiektomie
Wenn ein Hoden bei normalem Gegenhoden klein und dysplastisch ist oder bei einem älteren Kind hoch intraabdominal gelegen ist und/oder ein Beitrag der betroffenen Seite zur Spermienproduktion unwahrscheinlich ist (z. B. zusätzliche ausgeprägte Hoden-Nebenhodendissoziation), sollte die Orchiektomie erwogen werden. Insbesondere bei älteren Kindern (>6 Jahre) muss dies insbesondere bei Bauchhoden als mögliche Alternative mit den Eltern besprochen werden (Ludwikowski et al. 2016).

Zusammenfassung

  • Lage des dystopen Hoden: hoch intraabdominal, unmittelbar vor dem inneren Leistenring, im Leistenkanal oder präskrotal.
  • Operatives Vorgehen: durch unmittelbar präoperativ erneut eruierte Hodenlage bestimmt.
  • Nicht tastbarer Hoden: Versuch Hodenlage sonographisch zu bestimmen, anschließend ist die diagnostische Laparoskopie das Verfahren der Wahl.
  • Bei Leistenhoden bzw. im Bereich des inneren Leistenringes liegenden Hoden Zugang über queren Leistenschnitt.
  • Bei präskrotal liegendem Hoden bzw. Gleithoden kann skrotaler Zugang angewandt werden.
Literatur
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Stein R, Schröder A (2011) Maldeszensus testis und Leistenhernie. In: Stein R, Beetz R, Thüroff J (Hrsg) Kinderurologie in Klinik und Praxis, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 540–555