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Die Urologie
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Publiziert am: 13.01.2015

Hodentumor: Therapie des Primärtumors

Verfasst von: Tobias Pottek
Seit der Erstbeschreibung vor über 300 Jahren hat sich an der Primärtherapie des Hodentumors wenig geändert. Bei der Ablatio testis geht es um die Eradikation des potenziell metastasierenden maligne entarteten Organs auf der einen und um die histologische Beweisführung für die weiterführende Therapie auf den anderen Seite. So werden weiterhin tradierte chirurgische Prinzipien eingesetzt, um hier eine schnelle und sichere diagnostische und therapeutische Maßnahme anbieten zu können.
Seit der Erstbeschreibung vor über 300 Jahren hat sich an der Primärtherapie des Hodentumors wenig geändert. Bei der Ablatio testis geht es um die Eradikation des potenziell metastasierenden maligne entarteten Organs auf der einen und um die histologische Beweisführung für die weiterführende Therapie auf den anderen Seite. So werden weiterhin tradierte chirurgische Prinzipien eingesetzt, um hier eine schnelle und sichere diagnostische und therapeutische Maßnahme anbieten zu können.

Klinik

Das Kardinalsymptom des Hodentumors ist die schmerzlose Schwellung. Große Tumoren können aufgrund ihres Gewichts schmerzhafte Zugkräfte auf den Samenstrang entwickeln. Kleine Tumoren werden von Patienten oder Partnern als Verhärtungen getastet. Die Schamhaftigkeit in Bezug auf die Genitalorgane führt auch heute noch zu längerfristigen Verdrängungsmechanismen, wodurch großvolumige Raumforderungen „gezüchtet“ werden können. Manch ein Patient landet mit Rückenschmerzen beim Orthopäden, bevor die retroperitoneale Metastasierung seines Hodentumors als Ursache detektiert wird. Der einstmals vor Aufdeckung seiner Dopingpraxis hochangesehene US-amerikanische Radrennprofi Lance Armstrong hat in seinem Buch beschrieben, dass erst blutiger Auswurf beim Training zur Untersuchung geführt hat und dass er den vergrößerten Hoden nicht richtig wahrgenommen hatte (Armstrong und Jenkins 2001). Es gibt auch Fälle, bei denen Krampfanfälle zur Detektion von Hirnmetastasen geführt haben, deren Primärtumor bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Licht gesehen hatte.
Häufiger werden in den letzten Jahren Zuweisungen von Männern mit sehr kleinen, nicht tastbaren Tumoren, die bei Sonographien im Rahmen der Abklärung eines unerfüllten Kinderwunsches entdeckt wurden. Nicht selten handelt es sich hierbei um endokrin aktive Tumoren, die die Spermiogenese bis zur Azoospermie supprimieren. Bei diesen Patienten ist es im weiteren Verlauf von wesentlicher Bedeutung, den primären Untersuchungsgrund nie aus den Augen zu verlieren.

Diagnostik

Nach der Palpation hat die Sonographie die höchste Bedeutung bei der Untersuchung des Hodens. Schallköpfe ab 7,5 MHz mit hoher Auflösung haben heute immer unterschiedliche Modi der digitalen Bildverarbeitung und sind in der Regel gut geeignet, auch kleinste Tumoren zu detektieren. Gelegentlich lassen sich durch das Echomuster allein schon Hinweise auf die Entität eines Tumors gewinnen (Abb. 1).

Therapie

Die eigentliche Primärtherapie bei dem Verdacht auf oder dem schon durch weitergehende Diagnostik bewiesenen Hodentumor ist nach wie vor die inguinale Hodenfreilegung. Im sprachlichen Kontext finden sich auch die Begriffe „Ablatio testis“ oder „Semikastration“. In einer Zeit, die sich im Medizinbetrieb dadurch auszeichnet, dass ablative Therapien nur für wirklich lebensgefährliche Zustände vorbehalten sein sollten, erscheinen diese Begriffe nicht mehr zeitgemäß. Zu keiner Zeit darf im Behandlungsprozess außer Acht gelassen oder vergessen werden, mit welchem Problem oder welcher Fragestellung sich der Patient ratsuchend an den Arzt gewandt hat. So muss der Operateur, der einen kleinen Hodentumor vorfindet, in der Lage sein, eine organschonende Tumorresektion vorzunehmen (Abb. 2).
Die erste Durchführung einer hodentumorbedingten Ablatio testis wird dem Jahr 1697 zugeordnet (Wheeler 1923). Seinerzeit hatte der Operateur es mit einem gigantischen Tumor zu tun, der in einer für seine Zeit schwierigen Operation erfolgreich abladiert werden konnte. Aus dieser Zeit stammt die bis heute als Standard geltende Regel, dass ein tumortragender Hoden über einen inguinalen Zugang freizulegen sei (Wheeler 1923).
Wirklich hochgradig evidenzbasiert existiert keine Empfehlung, über welchen Zugang und wie genau ein tumorverdächtiger Hoden freigelegt werden soll. Die allgemeine Lehrmeinung, man solle inguinal vorgehen, beruht auf der seit Kocher bestehenden Sorge um die frühzeitige Kontrolle der das tumortragende Organ versorgenden Gefäße. Diese Idee ist grundsätzlich nicht zu verwerfen, hat aber für den weiteren Behandlungsverlauf und die Prognose des Patienten höchstwahrscheinlich keinerlei Konsequenz – zumindest gibt es in dieser Hinsicht keine verwertbaren wissenschaftlich wertvollen Publikationen.
Nach gleichlautender bisheriger sog. Lehrmeinung sprach gegen einen skrotalen Zugang für die Freilegung der Hodentumors die Ansicht, dass hierdurch die Metastasierungswege der Tumorzellen verändert würden. Die Eröffnung der Skrotalhaut könne dazu führen, dass es Metastasen in inguinalen Lymphknoten gäbe, die ansonsten den anatomisch gegebenen Metastasierungswegen ausgenommen wären.
Die Lösung dieses Paradigmas ergibt sich indirekt aus der TNM-Klassifikation der Union internationale contre le cancer (UICC). Hier wird für jeden Tumor – soweit ermittelbar – beschrieben, welche Lymphknoten zum regionalen Metastasierungsweg gehören. Im Fall des Hodentumors wird angegeben, dass die inguinalen Lymphknoten nach skrotalen Operationen zu den regionalen Lymphknoten gerechnet werden sollen. Diese Angabe erscheint in Kenntnis der lymphatischen Anatomie in der Region auch logisch. Die Drainage des Skrotalinhalts – inklusive der Hoden – erfolgt durch Lymphgefäße, die mit dem Samenstrang durch den Leistenkanal in Richtung der retroperitonealen „Lymphstraßen“ verlaufen. Dieser Weg liegt in der Region der Leiste eine Ebene tiefer als die inguinalen Lymphknoten. Diese erhalten ihre Zufuhr aus den Beinen, aber auch von der Haut des Genitales. Daher sind sie beim Peniskarzinom häufig betroffene regionale Lymphknoten.
Der klassische operative Weg zur Hodentumorentfernung muss vor dem Schnitt geplant werden. Wichtig ist die anatomische Orientierung, um den Samenstrang rasch auffinden zu können. Die Hautinzision wird im mittleren Drittel einer Linie zwischen Spina iliaca anterior superior und Symphyse vorgenommen (Abb. 3).
Nach der Durchtrennung der Scarpa-Faszie und der Eröffnung der Externusaponeurose wird der von Muskelfasern eingescheidete Samenstrang sichtbar (Abb. 4). Der Samenstrang wird digital vor die Wunde luxiert und von den Muskelfasern befreit (Abb. 5).
Dann wird ein Tourniquet oder ein Vessel Loop platziert, um den Abfluss des potenziell tumorzellkontaminierten Blutes aus dem Organ für die Zeit der Manipulation zu verhindern oder zumindest zu vermindern. Es gibt keine validen Studien, die den Wert dieses Schrittes beweisen, dennoch wird er meistens „traditionell“ vorgenommen. Welchen Wert er im Rahmen einer organschonenden Operation hat, ist nicht studiert. Sollte aufgrund eines unklaren Befundes eine Schnellschnittuntersuchung angestrebt werden und dadurch eine längere Wartezeit entstehen, sollte sich der Operateur darüber Gedanken machen, wie lange das Hodenparenchym eine iatrogene Ischämie verkraftet.
Nun wird der Hoden aus dem Skrotum luxiert (Abb. 6).
Das Gubernaculum testis ist eine breite bindegewebige Verbindung zwischen den Hodenhüllen und der Skrotalhaut, die zur Hodenfreilegung durchtrennt werden muss. Man kann die Durchtrennung zwischen Ligaturen vornehmen, mit der elektrischen Schere oder, wie hier gezeigt, nach Koagulation mit der bipolaren Pinzette mit einigen Scherenschlägen (Abb. 7).
Nachdem der Hoden aus der Wunde luxiert wurde, wird er zur weiteren Inspektion in frische Bauchtücher gebettet (Abb. 8).
Über dem tastbaren Tumor wird der Hoden dann quer inzidiert, um das Gewebe makroskopisch zu beurteilen (Abb. 9). Der Operateur wird zu diesem Zeitpunkt in den meisten Fällen entscheiden können, ob eine organschonende Tumorresektion möglich und sinnvoll ist. Eine Schnellschnittuntersuchung kann in unklaren oder unsicheren Situationen weiterhelfen.
Sofern die Indikation zur Entfernung des Hodens entschieden ist, wird der Samenstrang nach proximal so weit verfolgt und von bindegewebigen Fasern befreit, bis die peritoneale Umschlagsfalte erscheint (Abb. 10).
In dieser Höhe wird das Vas deferens vom Ductus deferens, der im Wesentlichen die den Hoden ver- und entsorgenden Blut- und Lymphgefäße enthält, getrennt (Abb. 11). Auch die Notwendigkeit dieses Schrittes ist nicht evidenzbasiert, sondern traditionell. Man beruft sich hier auf das chirurgische Prinzip der Gefäßkontrolle bei abladierenden Operationen. Da sich an dieser Stelle das Vas deferens anatomisch vom Ductus deferens – dem Samenstrang – in Richtung der Samenblasen abwendet, könnte eine beide Strukturen umfassende Ligatur ineffektiv sein oder – bei resorbierbarem Material – werden und dann zu einer Nachblutung am Absetzungsrand führen. Beide Stümpfe werden mit Klemmen gesichert und durchtrennt (Abb. 12).
Will man das Risiko einer Nachblutung aus den Arterien des Samenstrangs minimieren, kann man hier eine Durchstechungsligatur anbringen (Abb. 13). Die Externusaponeurose wird über dem Stumpf des Samenstranges verschlossen (Abb. 14).
Sofern der Patient im Rahmen der präoperativen Beratung gewünscht hat, eine Hodenprothese implantiert zu bekommen, wird nun das in der Größe dem gesunden Hoden angemessene Implantat ausgewählt. Der anatomische Weg zur Implantation ist der gleiche, über den der kranke Hoden zuvor aus dem Skrotum luxiert wurde (Abb. 15, 16 und 17).
Die kontralaterale Hodenbiopsie zur Detektion der mit 5 % nicht ganz seltenen testikulären intraepithelialen Neoplasie (TIN) ist derzeit im internationalen Kontext nicht mehr unumstritten. Nach den ersten Publikationen von Skakkebaek in den 1970er-Jahren (Skakkebæk 1972) wurde die Biopsie in den meisten Zentren zum Standard. Der Aufwand wurde allerdings dann Ende der 1990er-Jahre zunehmend kritisiert. Die Kritik gipfelte in Ablehnung durch einen Artikel von Harry Herr, der konstatierte, dass mit sorgsamer Nachsorge der gleiche Effekt zu erreichen sei wie durch die Biopsie (Herr und Sheinfeld 1997). Für den deutschsprachigen Raum ist die multizentrische Datensammlung von Dieckmann richtungsweisend gewesen, weil sie eine Inzidenz der kontralateralen TIN von immerhin über 5 % beweisen konnte (Dieckmann et al. 2007). In der letzten europäischen Konsensuskonferenz gab es in der interdisziplinären Diskussion zu diesem Thema allerdings keinen eindeutigen Konsens. Hier wurde auf die Aufklärung der Patienten größter Wert gelegt und die Entscheidung vom Patientenwunsch abhängig formuliert (Beyer J et al. 2013). Sofern mit dem Patienten eine kontralaterale Hodenbiopsie vereinbart worden ist, erfolgt nun eine kleine Hautinzision über dem Hoden (Abb. 18).
Die Tunica albuginea wird auf einer Strecke von ca. 3 mm inzidiert und das Hodenparenchym durch digitalen Druck prolabiert. Mittels eines Scherenschlags kann jetzt eine reiskorngroße Gewebeprobe entnommen werden (Abb. 19). Wichtig ist, dass diese Probe schnell in fixierendes Agens verbracht wird und nicht auf textilem Material zwischengelagert wird, weil es sonst zu Gewebeveränderungen im weitesten Sinne kommt, die die Beurteilung erschweren.
Der Wundverschluss erfolgt nach Standard des Operateurs. Sofern der makroskopische Aspekt eindeutig ist, bedarf es keiner Schnellschnittuntersuchung. Das Präparat kann gemeinsam mit der kontralateralen Biopsie zur pathologischen Untersuchung abgegeben werden (Abb. 20).

Verlauf/Nachsorge und Prognose

Nach der Primärtumorentfernung werden die Untersuchungen zur Festlegung des klinischen Stadiums vorgenommen. Das Stadium wird nach der TNM-Klassifikation der UICC festgelegt. Das T-Stadium liefert der Pathologe mit seinem Untersuchungsergebnis. Die Lymphknoten für die N-Klassifikation und die Zielorgane für die M-Klassifikation werden mit der Schnittbildgebung untersucht. Für die S-Klassifikation braucht man weiterhin noch den Verlauf der Tumormarker α-Fetoprotein (AFP), humanes Choriongonadotropin (HCG) und Laktatdehydrogenase (LDH) im Serum. Es ist wichtig, diese Werte im Verlauf bis zu ihrem Nadir zu kontrollieren, um die richtige Klassifikation vorzunehmen.
Sofern eine kontralaterale Biopsie gewonnen wurde, ist deren Ergebnis in das Gesamtkonzept zu integrieren.

Zusammenfassung

  • Primärtherapie beim Hodentumor: Ablatio testis.
  • Kontralaterale Therapie: Option.
  • Hodenprothese: Option.
  • Eindeutige Histologie erzwingen.
  • Staginguntersuchungen durchführen.
  • Tumormarker messen!
Literatur
Armstrong L, Jenkins S (2001) Tour des Lebens. Wie ich den Krebs besiegte und die Tour de France gewann. Köln: Bastei Lübbe
Beyer J, Albers P, Altena R et al (2013) Maintaining success, reducing treatment burden, focusing on survivorship: highlights from the third European consensus conference on diagnosis and treatment of germ-cell cancer. Ann Oncol 24:878–888PubMedCentralCrossRefPubMed
Dieckmann KP, Kulejewski M, Pichlmeier U, Loy V (2007) Diagnosis of contralateral testicular intraepithelial neoplasia (TIN) in patients with testicular germ cell cancer: systematic two-site biopsies are more sensitive than a single random biopsy. Eur Urol 51:175–185CrossRefPubMed
Herr HW, Sheinfeld J (1997) Is biopsy of the contralateral testis necessary in patients with germ cell tumors? J Urol 158:1331–1334CrossRefPubMed
Skakkebæk NE (1972) Possible carcinoma-in-situ of the testis. Lancet 2:516CrossRefPubMed
Wheeler JE (1923) The history of teratomas. In: Damjanow I, Knowles BB, Solter D (Hrsg) The teratoms. Humana, Clifton, S 1–22