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Die Urologie
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Publiziert am: 31.03.2022

Hypospadie

Verfasst von: Raimund Stein
Der aus dem Griechischen kommende Begriff Hypospadie leitet sich von „hypo“ – „unten bzw. zu wenig“ und „spadon“ – „Spalte, Rinne bzw. Riss“ ab. Sie stellt die häufigste kongenitale Hemmungsfehlbildung des Penis dar. 1995 prägte John Duckett den Begriff „Hypospadiologie“. Die mehr als 400 Operationsmethoden und ihre Modifikationen zeigen, dass es nicht die ideale Hypospadieoperation gibt. Die Hypospadiekorrektur hat eine sehr flache Lernkurve und häufig muss die Operation den lokalen Verhältnissen Rechnung tragen. Die mehr als 250 Publikationen pro Jahr zeigen das stetige Interesse an der Fehlbildung, allerdings sind Langzeitstudien sehr rar, aber nur durch sie kann eine Operationsmethode langfristig beurteilt werden.

Prävalenz, Epidemiologie und Ätiologie

Etwa 1 von 200–300 Kindern ist betroffen. Neuere Studien zeigen, dass in den letzten 20 Jahren die Inzidenz relativ konstant ist. Eine gewisse familiäre Häufung deutet auf einen möglichen genetischen Hintergrund. So findet sich bei 6–8 % der Knaben eine Hypospadie, wenn der Vater betroffen war, und in bis zu 14 % bei Geschwistern. Bei monozygoten Zwillingen ist das Risiko für den Bruder um das 8,5-Fache erhöht, wobei hier insbesondere der mit dem geringeren Geburtsgewicht betroffen ist.
Als Ursache für die Hypospadie vermutete bereits 1842 Mettauer eine Unterbrechung in der Entwicklung der Urethra und seit Mitte der 1950er-Jahre wird eine multifaktorielle Genese angenommen – daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Neuere Studien weisen auf endokrine Störungen (z. B. Störungen der Testosteronsynthese, Mutationen/Veränderungen der 5α-Reduktase Typ 2 oder des Androgenrezeptors), eine Störung des Peniswachstums, eine Störung der Interaktion zwischen Mesenchym und Epithel, Veränderungen des Fibroblast growth factor 10 (FGF-10) bzw. Mutationen des Hoxa13-Gens hin, die letztlich den Arrest der Urethralentwicklung im Sinne einer Hemmungsmissbildung bedingen. Ein geringes Geburtsgewicht stellt neben Umweltfaktoren (Pestiziden, z. B. Dioxin [z. B. nach Seveso]) einen Risikofaktor dar. Mütter, die während der Schwangerschaft Vegetarierinnen waren, haben einen erhöhtes Risiko (Odds Ratio 4,99), einen Sohn mit Hypospadie zur Welt zu bringen (Phytoestrogene). Andererseits konnten bisher trotz umfangreicher Untersuchungen eine Störung im Androgenhaushalt, ein Rezeptor- oder Gendefekt in weniger als 5 % als Ursache verantwortlich gemacht werden.

Klinik: Definition, Klassifikation und Anatomie

Die Hypospadie ist häufig mit 3 Anomalien des Penis assoziiert:
1.
ventrale Öffnung der Urethra, die an jeder Stelle zwischen der Glans und dem Perineum liegen kann,
 
2.
ventrale Deviation des Penisschaftes (Chorda),
 
3.
dorsale Vorhautschürze in Assoziation mit dem ventralen Defizit an Vorhaut.
 
Für die Diagnose „Hypospadie“ ist das 2. und 3. Merkmal jedoch nicht zwingende Voraussetzung. Die „hypospadia sine hypospadie“ stellt eine Sonderform dar, bei welcher der Meatus orthotop liegt, aber eine ausgeprägte Deviation des Penisschaftes sowie eine mehr oder weniger ausgeprägte dorsale Vorhautschürze vorliegt. Der Megalomeatus (koronar gelegener Meatus, offene Fossa navicularis und meist intaktes Präputium) stellt eine weitere Sonderform dar.
Die Hypospadien werden in die distalen (glandulär, koronar, subkoronar), mittleren (distal penil, mittlerer Penisschaft und proximal penil) sowie proximalen (penoskrotal, skrotal, perineal) Formen eingeteilt (Abb. 1). Die häufigste Form stellen die distalen Hypospadien mit 70–80 % dar, gefolgt von den mittleren Hypospadien mit ca. 15–20 %; proximale Hypospadien sind relativ selten.
Aus dem Zeitpunkt des Stillstands der Entwicklung der Urethra zwischen der 9. und 14. Schwangerschaftswoche (SSW) ergibt sich die pathologische Anatomie. Der Meatus kann somit an jeder Stelle zwischen der Glans und dem Perineum zu liegen kommen. Vorhaut, Penisschafthaut, Raphe und Urethralplatte sind von dem Arrest betroffen und mehr oder minder gut ausgebildet. Es liegt eine dorsale Präputialschürze vor, die ventrale Penisschafthaut ist häufig dystroph und unelastisch. Teilweise ist sie bindegewebig mit der Fascia penis profunda (Buck-Faszie) und dem Corpus spongiosum verbunden (Abb. 2).
Nach dem „Degloving“ des Penis bei Patienten mit einer Hypospadie können 3 verschiedene Ursachen oder ihre Kombination für eine weiter bestehende Deviation verantwortlich sein:
1.
die verkürzte Urethralplatte,
 
2.
fibrosiertes mesenchymales Gewebe bzw. rudimentäres Corpus spongiosum am und distal des Meatus,
 
3.
eine Wachstumsdifferenz zwischen dem normalen dorsalen Gewebe der Corpora cavernosa und dem zu kurzen ventralen Anteil.
 
Bei ca. 9–16 % der Knaben mit einer Hypospadie findet sich ein offener Processus vaginalis, bei 7–9 % ein Hodenhochstand, bei denen mit einer proximalen Hypospadie in bis zu 12 %. Insbesondere bei den proximalen Formen – aber auch bei distalen Formen, die mit einem Kryptorchismus assoziiert sind – finden sich in bis zu 30 % Anzeichen einer Störung der sexuellen Differenzierung, beim bilateralen Kryptorchismus in Assoziation mit einer Hypospadie sogar in fast 50 %.

Diagnostik

Bei den distalen Formen genügt die reine körperliche Untersuchung, bei welcher die Position des Meatus, die Konfiguration der Vorhaut und der Glans, die Beschaffenheit der Urethralplatte sowie das Vorhandensein einer Penisschaftdeviation und/oder -torsion und die Lage der Hoden vermerkt werden muss. Sowohl bei einem Kryptorchismus als auch bei den proximalen Formen der Hypospadien sollte auf weitere Anzeichen einer Störung der sexuellen Differenzierung geachtet werden und bei denen mit dem Verdacht auf eine sexuelle Differenzierungsstörung (proximale Hypospadie, kleiner Penis, Kryptorchismus) eine weitere Abklärung eingeleitet werden (Kap. „Varianten der sexuellen Differenzierung/DSD“).

Therapie

Bei der Indikation muss man zwischen einer funktionellen Indikation (Miktion im Stehen mit nach vorne gerichtetem Strahl, befriedigender Geschlechtsverkehr, das Zeugen von Nachkommen) und den ästhetischen Aspekten unterscheiden. Bei der Indikationsstellung ist zu berücksichtigen, dass heutzutage der Anspruch auf Ästhetik deutlich zunimmt und z. B. für erwachsene Patienten nach einer Hypospadiekorrektur die Lage des Meatus ein wichtiges subjektives Kriterium darstellt. Diejenigen mit einer penilen oder koronaren Lage des Meatus sind deutlich unzufriedener. Jedoch müssen trotz der heutzutage guten postoperativen Ergebnisse die ästhetischen Indikationen zur Hypospadiekorrektur kritisch gesehen und die Eltern explizit über die Risiken aufgeklärt werden.
Elektive Eingriffe am äußeren männlichen Genitale sollten laut der Empfehlung der American Academy of Pediatrics (AAP) von 1996 im Alter zwischen 6 und 12 Monaten erfolgen. Psychologen sehen den optimalen Zeitpunkt, wenn die emotionale Entwicklung, die Entwicklung der sexuellen Identität und der kognitiven Fähigkeiten berücksichtigt werden, in dem „psychologischen Fenster“ zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat. Viele Kinderurologen vertreten die Meinung, dass die Korrektur um den 15.–18. Lebensmonat abgeschlossen sein sollte. Unter der Berücksichtigung der psychologischen Entwicklung der Kinder sollte laut Woodhouse eine frühzeitige Korrektur angestrebt werden und die chirurgische Therapie vor dem Eintritt in den Kindergarten (<30 Monate) abgeschlossen sein. Solange die Kinder noch im Windelalter sind, ist die postoperative Versorgung (Katheter/Verband) einfacher als bei älteren Kindern. Andererseits zeigte eine Schweizer Studie, dass bei Kindern, bei denen eine Hypospadiekorrektur vor dem 18. Lebensmonat durchgeführt wurde, gegenüber einer Gruppe von Kindern, die nach dem 18. Lebensmonat operiert wurden, kein signifikanter Unterschied bezüglich der chirurgischen Ergebnisse, der Komplikationsraten, dem HRQoL („health-related quality of life“)-Index und der psychologischen Entwicklung bestand. Allerdings sind Hypospadieoperationen bei Adoleszenten und Erwachsenen mit einer deutlich höheren Komplikationsrate behaftet. Letztlich ist jedoch für den einzelnen Patienten weniger die Anzahl der Operationen wichtig, die notwendig ist, um ein kosmetisch akzeptables Ergebnis zu erzielen, als vielmehr die Qualität und das Aussehen inklusive der Lage des Meatus.
Ob eine präoperative hormonelle Stimulation sinnvoll ist, kann anhand der Literatur derzeit nicht beurteilt werden. Kinder mit einem Mikropenis, kleiner Glans und/oder sehr unzureichenden Hautverhältnissen profitieren am ehesten von der Anwendung. Wenn eine Stimulation erwogen wird, dann sollte Dihydrotestosteron verwendet und spätestens 6 Wochen vor der Operation aufgrund des möglichen negativen Einflusses auf die Wundheilung – besser 3 Monate vorher – abgesetzt werden. Ob Östrogene, die einen positiven Effekt auf die Wundheilung haben, besser sind, werden zukünftige Studien zeigen.

Operative Technik

„There is nothing new in surgery not previously described“ – dies trifft auf die Hypospadiekorrektur besonders zu, da bereits vor mehr als 100 Jahren die wesentlichen Prinzipien beschrieben wurden. Die heutigen Techniken sind meist Variationen oder Modifikationen der damaligen Ideen. Die Resultate sind heute jedoch aufgrund von modernen Anästhesieverfahren und Nahtmaterialien, Verwendung der Lupenbrille, Antibiotika, Sterilität, Kathetermaterial, Verbandsmaterial, besserem Verständnis vom Gewebe und nicht zuletzt größeren Fallzahlen und damit mehr Routine wesentlich verbessert.
Die Hypospadiekorrektur verfolgt 4 Ziele:
  • Gliedaufrichtung
  • Urethrarekonstruktion
  • Glansrekonstruktion
  • plastische Korrektur des Penisaspekts.

Gliedaufrichtung

Zur Beurteilung des Ausmaßes der Deviation erfolgt nach dem Degloving des Penis (hierdurch kann bei einigen Patienten eine geringe Deviation schon korrigiert sein) eine Erektionsprüfung durch die Injektion von 0,9 % NaCl in einen der beiden Corpora cavernosa. Um das Ausmaß der Deviation besser beurteilen zu können, sollte kein Tourniquet angelegt werden. Alternativ kann durch die intrakavernöse Injektion von Prostaglandin E 1 eine pharmakologisch induzierte Erektion erreicht werden. Eine bindegewebige, leicht derbe Platte, die aus einer Fehlbildung des Corpus spongiosum, aber auch der Buck- und Colle-Faszie entsteht, findet sich häufig distal und lateral des Meatus; sie wird möglichst vollständig reseziert (Chordektomie), ohne die Integrität der Urethralplatte zu gefährden. Bei weiter bestehender Deviation ist das weitere Vorgehen von dem Ausmaß der Penisverkrümmung, der Urethralplatte und der Penisgröße abhängig. Die weiter bestehende Verkrümmung ist häufig durch die Pathologie der Schwellkörper und sehr selten durch eine verkürzte Urethra („short urethra“) bedingt. In diesen sehr seltenen Fällen wird sie quer durchtrennt und es erfolgt eine ein- bzw. aufgrund der niedrigeren Komplikationsraten vorzugsweise eine zweizeitige Rekonstruktion der Urethra (Abschn. 5.5.2). Eine mäßige Restverkrümmung kann durch eine Raffnaht (fraglicher Effekt im Langzeitverlauf), eine Längsinzision der Tunica albuginea und quere Vernähung (Abb. 3), ausgeglichen werden; bei einer ausgeprägten Deviation kann eine Plikation, Inzision (fairy cuts) oder Exzision eines kleinen Fensters der Tunica albuginea in verschiedenen Variationen erfolgen. Um eine Verkürzung des Penis zu vermeiden, kann bei kleinem Penis und ausgeprägter Deviation ein Korium-, Faszien- oder Tunica-vaginalis-Patch nach Inzision der Tunica ventral eingenäht werden. Die Rekonstruktion der Urethra wird nach dem ventralen Einnähen eines freien Transplantats in die Schwellkörper in einzeitiger Technik erschwert. Hier sollte ein zweizeitiges Verfahren angestrebt werden (Abschn. 5.5.2).

Korrektur distaler Hypospadien ohne Rekonstruktion der Harnröhre

Vor der Korrektur einer glandulären bzw. sehr distalen Hypospadie müssen in einem ausführlichen Gespräch mit den Eltern die Erwartungen an die Operation eruiert und besprochen werden, wobei eine korrekturbedürftige Deviation der distalen Formen der Hypospadien seltener ist.
Die dorsale Meatotomie nach dem Heineke-Mikulicz-Prinzip und die Resektion der redundanten Vorhautschürze unter Belassung des leicht hypospaden Meatus stellt die einfachste Operationstechnik dar, wobei die Komplikationsrate immerhin 3,8 % beträgt. Auch zeigte sich in einer Langzeituntersuchung mit einer Nachbeobachtungszeit von durchschnittlich 18 Jahren (13–23), dass nur 24 von 43 Patienten (56 %) mit dem Ergebnis vollständig zufrieden waren, 25 % partiell, und 19 % waren mit dem chirurgischen Ergebnis unzufrieden. Keiner berichtete über ein funktionelles Defizit, 32 der 43 Patienten hatten eine nach vorne gerichtete Miktion.
Die Korrektur in der MAGPI-Technik („meatal advancement and glanuloplasty“) hatte in den Händen von Duckett und Snyder einer Komplikationsrate von 1,2 % bei 1111 Fällen, in den Händen anderer Autoren war die Komplikationsrate etwas höher (2,5–5,6 %). Um insbesondere bei den koronaren bzw. subkoronaren Hypospadien eine Meatusretraktion zu verhindern, wurden einige Modifikationen entwickelt.
Das komplette Herauslösen des Meatus aus der Eichel mit Mobilisation der distalen Urethra und Verlagerung des Meatus in die Glans wurde bereits von Beck und Hacker 1898 beschrieben und später modifiziert. Da durch die Mobilisation der Urethra und deren Verlagerung in die Glans die Gefahr der iatrogenen Deviation groß ist, sollte dieses Verfahren nur bei distalen Hypospadien zur Anwendung kommen. Bei sehr distal gelegenen Fisteln kann dieses Verfahren ebenfalls verwendet werden.

Korrektur distaler Hypospadien mit Rekonstruktion der Harnröhre

Tubularisierende Techniken

Bereits vor mehr als 140 Jahren beschrieben Thiersch und Duplay die Tubularisierung der Urethra. Bei einer ausreichend breiten urethralen Platte distal des hypospaden Meatus kann diese tubularisiert werden; die Komplikationsrate bei der Anwendung der GAP-Technik („glans approximation procedure “) betrug bei 512 Patienten 2,1 %. 1994 beschrieb Snodgrass eine weitere Modifikation, wobei die nicht ausreichend weite Urethralplatte dorsal inzidiert und anschließend tubularisiert („tubularized incised plate“: TIP-Procedure ) wird (Abb. 4a–e). Die Komplikationsraten bei primärer Korrektur liegen zwischen 1 % und 10 %, in einzelnen Serien allerdings auch bei 15–27 %, wobei die kosmetischen Ergebnisse in der Regel sehr gut sind. Die Technik fand auch bei mittleren Hypospadien sowie bei Revisionsoperationen Anwendung. Hier allerdings mit einer deutlich höheren Komplikationsrate.

Gestielte Lappen („Flaps“)

Bei dem Mathieu-Verfahren wird bei gut vaskularisierter ventraler Schafthaut ein nach distal zum Meatus hin gestielter Hautlappen („Flip-flap“) zur Augmentation der distalen Urethra verwendet, wobei auch hier die Komplikationsraten zwischen 1 % und 22 % liegen. Vergleichende bzw. randomisierte Studien zwischen den Mathieu-Verfahren und der TIP-Procedure zeigten bei annähernd gleicher Komplikationsrate ein besseres kosmetisches Ergebnis bei der TIP-Procedure.

Korrektur mittlerer Hypospadien mit Rekonstruktion der Harnröhre

Tubularisierende Techniken

Die Komplikationsraten sind bei den mittleren Hypospadien höher als bei den distalen, die Prinzipien jedoch dieselben.

Gestielte Lappen („Flaps“)

Sie können aus dem inneren, dem äußeren Vorhautblatt oder der nicht haartragenden Penisschafthaut gewonnen werden, wobei der gestielte Schwenklappen des inneren Vorhautblatts zur ventralen Deckung der Urethralplatte im Onlay-Verfahren mit einer Komplikationsraten von 6–32 % bevorzugt zur Anwendung kommt.

Freie Transplantate

Bereits vor mehr als 100 Jahren wurden freie Transplantate zur Rekonstruktion der Urethra eingesetzt. So kann beispielsweise ein freies Vorhauttransplantat als Inlay verwendet und die Urethra anschließend in der Technik nach Thiersch und Duplay verschlossen werden. Bei den mittleren Hypospadien kann ein freies Mundschleimhauttransplantat als Onlay oder Inlay verwendet werden. Langzeitergebnisse stehen bei beiden Optionen derzeit weiterhin aus.

Korrektur proximaler Hypospadien mit Rekonstruktion der Harnröhre

Zur der technisch anspruchsvollen Korrektur der proximalen Hypospadien gibt es eine Vielzahl von ein- und zweizeitigen Verfahren und ihre Modifikationen.

Einzeitige Verfahren

Kann die Urethralplatte erhalten bleiben, so finden Onlay-Techniken eine breite Anwendung. Der „Double-onlay-Vorhaut-Flap“ stellt eine Variante der Onlay-Vorhautlappen dar. Hierbei wird das innere und äußere Vorhautblatt nicht getrennt. Das innere wird als Onlay auf die Urethralplatte aufgebracht, während das äußere Vorhautblatt die Schafthaut ersetzt. Trotz der scheinbaren Vorteile beträgt die Komplikationsrate teilweise mehr als 25 %. Kann die Urethralplatte nicht erhalten werden, so stellt die „Onlay-Tube-Onlay-Technik“ eine Variante der Onlay-Verfahren dar, um den Defekt zu überbrücken.
1896 hatte Van Hook die Idee, die Urethra komplett als Rohr („tube“) zu ersetzen, wobei der 1980 publizierte „Duckett-Tube“ (ein tubularisierter, gestielter, transversaler Insellappen des inneren Vorhautblattes) der bekannteste ist. Fistel, Divertikelbildung und Strikturen sind die wesentlichen Komplikationen dieser Technik mit einer kumulativen Rate von bis zu 60 %. Unter der Verwendung der paraurethralen Haut beschrieb Koyanagi 1994 eine relativ komplexe einzeitige Rekonstruktion. Die Komplikationsraten der Originaltechnik und deren Modifikationen liegen zwischen 19 % und 50 %.

Zweizeitige Verfahren

In der ersten Sitzung erfolgt die Penisschaftaufrichtung mit dorsaler Plikatur oder ventralem Graft der Tunica und der ventrale Aspekt des Penisschafts wird mit dem inneren Vorhautblatt (Abb. 5), Spalthaut (bei Rezidivoperationen), paraaurikulärer Haut oder Mundschleimhaut ausgekleidet. In der zweiten Sitzung (3–6 Monate später) wird die Urethra tubularisiert oder durch einen Flap oder Graft als Onlay komplettiert. Die Rate der Rezidivoperationen im Langzeitverlauf beträgt bis zu 27 %.

Freie Transplantate („Grafts“)

Freie Transplantate werden seit Ende des 19. Jahrhunderts zur Urethrarekonstruktion eingesetzt. Nichthaartragende Haut, Blasen- oder Mundschleimhaut werden allein oder in Kombination bei ein- und zweizeitigen Verfahren verwendet.

Haut

1897 führte Nové-Josserand die Verwendung eines freien Hauttransplantats zur Rekonstruktion einer Harnröhre ein, das teilweise als „Tube“ verwendet wurde. 1989 führten Schreiter und Noll die zweizeitige Harnröhrenrekonstruktion unter der Anwendung von Spalthaut in das Armentarium der Urethralchirurgie ein. Heutzutage finden freie Hauttransplantate im zweizeitigen Verfahren Anwendung.

Blasenschleimhaut

Sie wurde erstmals 1947 zur Urethrarekonstruktion angewandt; die Entnahme ist relativ aufwendig und die Komplikationsraten (z. B. Meatusstenose, Meatusprolaps, Strikturen, nephrogenes Adenom in der Schleimhaut) waren mit bis zu 66 % sehr hoch, weswegen sie heutzutage nicht mehr verwendet werden sollte.

Mundschleimhaut

Sie wurde Anfang der 1990er-Jahre durch Bürger und Dessanti in das Armentarium der Harnröhrenchirurgie eingeführt, nachdem sie bereits 1941 erstmals zur Harnröhrenrekonstruktion nach fehlgeschlagener Hypospadiekorrektur erfolglos angewandt wurde. Die Mundschleimhaut kann entweder aus der Unterlippe oder der Wange entnommen werden (Abb. 6). Die Entnahme aus der Lippe ist zwar einfacher, aber insbesondere bei Jugendlichen und Erwachsenen mit einer deutlich höheren Morbidität behaftet. Wird die Mundschleimhaut als Onlay-Graft angewandt, so liegen die Erfolgsraten bei ca. 80 %; bei der Verwendung als Tube bei knapp 50 %. Bei den zweizeitigen Verfahren liegen die Erfolgsraten im Durchschnitt auch bei knapp über 80 %. Im Langzeitverlauf stellen proximale Harnröhrenstrikturen die häufigste Spätkomplikation dar.

Deckung der Neourethra

Zur Vermeidung einer Fistelbildung hat sich die Deckung der Neourethra mit einer subkutanen Bindegewebsschicht bewährt. Dies kann ein dorsal gestielter Scarpa-Lappen sein, der an der Basis geteilt und beidseits seitlich nach ventral geschlagen wird (Abb. 7), oder ein Scarpa-Lappen mit einer Öffnung an der Basis („button hole“), durch welche die Glans durchgezogen wird, sodass der Lappen nach ventral verlagert wird. Im Bereich des Skrotums kann ein skrotaler Tunica-dartos-Lappen verwendet werden. Weiterhin wurden und werden zur Deckung ein gestielter oder freier Tunica-vaginalis-Patch, deepitheliasierte Haut, ein skrotaler Tunica-dartos-Lappen oder auch ein Patch der Fascia spermatica externa verwendet.
Die Deckung des Penisschafts stellt bei den distalen Hypospadien kein wesentliches Problem dar, bei den proximalen Formen sind Rotationslappen häufig notwendig. Wenn möglich, sollte das innere Vorhautblatt zirkulär um die Eichel verschlossen werden („mucosal collar“), damit der Aspekt dem eines zirkumzidierten Penis ähnelt.

Zukunft

Trotz der nicht geringen Inzidenz von 1:200–300 Kindern stellt die operative Korrektur der Hypospadie keinen Routineeingriff dar. Sie ist eine anspruchsvolle plastisch-rekonstruktive Operation, die eine lange und flache Lernkurve hat; Geduld, Erfahrung und Enthusiasmus erfordert, um ein akzeptables Ergebnis zu erzielen.
Wesentlich sind Langzeituntersuchungen, um die Nachhaltigkeit der primären Resultate zu bestätigen bzw. die späten Komplikationen aufzudecken. Neue Materialien und Weiterentwicklungen im Tissue Engineering eröffnen langsamer als gedacht neue Wege zur Korrektur der Hypospadie, insbesondere bei Rezidiveingriffen.

Zusammenfassung

  • Hypospadie ist mit 3 Anomalien des Penis assoziiert, die nicht zusammen auftreten müssen
    • ventrale Öffnung der Urethra, die an jeder Stelle zwischen der Glans und dem Perineum liegen kann
    • ventrale Deviation des Penisschaftes (Chorda)
    • dorsale Vorhautschürze in Assoziation mit dem ventralen Defizit an Vorhaut
  • Unterteilung anhand der Lokalisation des Meatus in distale (glandulär, coronar, subcoronar), mittlere (distal penil, mittelere Penisschaft und proximal penil) und proximale (penoskrotal, skrotal, perineal) Formen. Lokalisation des Meatus ist nicht unbedingt mit dem Schweregrad der Hypospadie assoziiert
  • Inzidenz: ca. 1:200–300, distale Formen am häufigsten (70–80 %), in den letzten Jahrzehnten konstante Fallzahlen
  • Risikofaktoren: geringes Geburtsgewicht, Störungen im Androgenhaushalt, familiäre Disposition, Exposition mit Pestiziden während der Schwangerschaft
  • Multifaktorielle Genese wahrscheinlich, Störungen im Androgenhaushalt, in der Biosynthese der Androgene und/oder der Androgenrezeptoren spielen eine Rolle. Bei den proximalen Formen chromosomale Veränderungen in bis zu 9,5 %
  • Bei Assoziation mit Kryptorchismus sollte Störung der sexuellen Differenzierung ausgeschlossen werden
  • Bei distalen Hypospadien ohne funktionelles Defizit ist die Indikation zur kosmetischen Korrektur kritisch zu stellen, Eltern müssen darüber aufgeklärt werden
  • Durchführung der operativen Korrektur im Windelalter hat sich als vorteilhaft erwiesen, sollte beim Eintritt in den Kindergarten abgeschlossen sein
  • Präoperative topische Stimulation mit Dihydrotestosteron kann bei unzureichenden Hautverhältnissen hilfreich sein
  • Hypospadiekorrektur verfolgt 4 Ziele
    • Gliedaufrichtung
    • Urethrarekonstruktion
    • Glansrekonstruktion
    • plastische Korrektur des Penisaspekts
  • Distale Formen: Techniken ohne und mit Rekonstruktion der Urethra; proximale Formen: ein- und zweizeitige Techniken
  • Verwendung von Mundschleimhaut als Inlay oder Onlay hat sich insbesondere bei Rezidivoperationen bewährt
  • Langzeitverläufe (bis nach der Pubertät) sind wesentlich, um späte Komplikationen aufzudecken
Literatur
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