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Die Urologie
Info
Publiziert am: 19.06.2015

Iatrogene Läsionen der ableitenden Harnwege der Frau

Verfasst von: H. Heers und P. Olbert
Gerade im Bereich der gynäkologischen (Tumor-)Chirurgie sind Läsionen des Ureters durch Inzision/Durchtrennung, Clipping und diathermiebedingte Ischämie häufig. Verletzungen des Ureters führen zu Urinomen, (Knick-)Stenosen mit Harnstauungsniere und Fistelbildung. Eine präoperative Harnleiterschienung vermindert das Verletzungsrisiko nicht, erleichtert aber das Auffinden des Ureters und seine Versorgung nach Verletzungseintritt. Abhängig vom Ausmaß der Läsion und dem Zeitpunkt der Diagnose reicht das therapeutische Spektrum von der reinen Harnleiterschienung über die Segmentresektion mit End-zu-End-Anastomose oder Ureterozystoneostomie bis hin zur Nephroureterektomie. Extraperitoneale Verletzungen der Harnblase werden in aller Regel unter Katheterableitung konservativ behandelt, intraperitoneale Läsionen müssen operativ versorgt werden mittels Übernähung oder Blasenteilresektion.

Ureter

Vorkommen und Mechanismen

Knapp 1 % aller Operationen im Becken- und Abdominalbereich haben eine Verletzung des Ureters zur Folge. Das Risiko ist bei laparoskopischen Eingriffen wahrscheinlich höher, jedoch stehen definitive Daten zu dieser Fragestellung bislang aus. Gynäkologische Operationen verursachen 50 % der Fälle. Nur in einem Drittel der Fälle wird der Schaden intraoperativ erkannt; langfristig erleiden 25 % der betroffenen Patienten einen funktionellen oder tatsächlichen Verlust der entsprechenden Niere .
Natürlich prädisponieren bestimmte Eingriffe mehr als andere zu dieser Komplikation. So trägt die abdominelle Hysterektomie ein zehnfach höheres Risiko einer Harnleiterverletzung als die vaginale Hysterektomie. Die Anfälligkeit des Harnleiters für Verletzungen erklärt sich durch seine Lage direkt hinter dem parietalen Blatt des Peritoneums, die zu einem Übersehen oder der Verwechslung mit einer Peritonealfalte führen kann, sowie an seiner Nähe zu den ovariellen und uterinen Blutgefäßen.
Jegliche Veränderung der normalen Anatomie erhöht das Verletzungsrisiko, sei es eine Anomalie der ableitenden Harnwege im Sinne eines Doppelsystems, Kinkings oder einer Beckenniere, oder auch eine Vielzahl anderer Veränderungen: Tumoren des Beckens oder des Retroperitoneums können den Harnleiter durch ihr Wachstum in seiner Lage verdrängen ebenso wie große Ovarialzysten oder auch eine Schwangerschaft, insbesondere nach der 12. Woche. Besondere Vorsicht ist geboten bei vorangegangenen Operationen und Radiatio des Beckens oder Retroperitoneums in der Vorgeschichte. Es ist mit Adhäsionen und fibrotischen Veränderungen zu rechnen; zudem kann die Harnleiterwand vulnerabler sein als bei gesunden Individuen.
Kommt es intraoperativ zu einer stärkeren Blutung, geht leicht die Übersicht verloren und das Risiko einer akzidentellen Ureterläsion ist hoch.
Eine Vielzahl von Verletzungsmechansimen ist vorstellbar, die sich letztlich in drei Gruppen einteilen lassen: Obstruktion, Diskontinuität und Ischämie.
Eine Obstruktion entsteht durch versehentliche Ligatur oder Clipping des Ureters und durch sein Abknicken als Folge von Adhäsionen oder Nähten mit konsekutiver Zugwirkung.
Die direkte scharfe oder stumpfe Verletzung des Ureters mit Eröffnung des Lumens hat eine Diskontinuität zur Folge.
Ischämie kann relativ leicht entstehen, wenn zu nah am Ureter koaguliert wird. Ursächlich ist die besondere Blutversorgung des Organs aus kleinen Gefäßen in der Adventitia, die für Kriechstrom sehr vulnerabel sind. Es empfiehlt sich also, in der Umgebung des Ureters die Koagulation zu vermeiden und besser Clips und Ligaturen zu gebrauchen.

Symptomatik und Diagnostik

Wird die Verletzung nicht intraoperativ bemerkt, kann es je nach Ausmaß einen relativ langen asymptomatischen Verlauf geben. Kleinere Verletzungen können spontan verheilen, ohne dass es zu einer bleibenden Schädigung kommt. Entsteht eine Obstruktion durch Abknicken des Ureters oder auch durch Strikturbildung, entwickelt sich eine Harnstauungsniere, die sich mit Flankenschmerzen bemerkbar machen kann, aber nicht muss. Im Falle einer hinzukommenden Entzündung droht als Komplikation die Pyonephrose.
Eine Kontinuitätsunterbrechung und auch eine Wandnekrose führen zur Ausbildung eines retroperitonealen Urinoms. Besteht Anschluss an das Peritoneum, droht eine Peritonitis. Über lange Zeit kann ein retroperitoneales Urinom auch eine Fistelbildung, insbesondere nach vaginal, zur Folge haben.
Folgende Symptome sollten postoperativ die Aufmerksamkeit des Arztes erregen und eine Abklärung hinsichtlich einer Harnleiterverletzung nach sich ziehen: Flankenschmerzen, Fieber, prolongierter Ileus, Anstieg der Retentionsparameter, wässriger vaginaler Ausfluss. Im seltenen Falle einer beidseitigen Harnleiterverletzung kann es zur Anurie kommen.
Neben Kreatinin und Harnstoff im Serum ist auch die Bestimmung aus Wunddrainagesekret wegweisend, um eine Leckage nachzuweisen. Sonographisch sollten eine Harntransportstörung sowie größere Ansammlungen freier Flüssigkeit im Harnleiterverlauf untersucht werden. Bildgebende Verfahren der Wahl sind die Kontrastmittel-CT (jedoch mit nur eingeschränkter Aussagekraft) und das i.v.-Urogramm, das neben einer Paravasation auch den Abfluss und orientierend die seitengetrennte Nierenfunktion einschätzen lässt.
Wird eine Fistel nach vaginal vermutet, ist ein orientierender Bedside-Test möglich: Die Patientin wird mit einem transurethralen Katheter sowie mit einem Tampon versorgt. Nach Einnahme von Phenazopyridin p.o., das den Urin orange färbt, kann bei Vorliegen einer ureterovaginalen Fistel eine entsprechende Verfärbung des Tampons beobachtet werden. Eine vesikovaginale Fistel lässt sich im gleichen Setting durch Instillation von Methylenblau über den Blasenkatheter nachweisen; auch hier würde sich eine Verfärbung des Tampons zeigen.
Besteht bereits intraoperativ der Verdacht auf eine Ureterverletzung, ist eine retrograde Ureteropyelographie am zielführendsten (Abb. 1). Der Ureterkatheter kann zur besseren Darstellung vorsichtig bis zur vermuteten Läsion vorgeschoben werden unter Palpation im Situs. Auch die antegrade Applikation von Methylenblau und Lasix kann hilfreich sein.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine frühe Detektion und Reparatur bessere Heilungschancen ermöglicht, zahlreiche Komplikationen verhindert und auch psychischen Stress für die Patientin verhindert.

Therapie

Verschiedene Maßnahmen können bereits zur Prävention von Harnleiterverletzungen ergriffen werden. Bei gynäkologischen Operationen sollten ovarielle und uterine Gefäße möglichst organnah ligiert werden. Im Bereich der sakrouterinen und kardinalen Bänder sollte möglichst auf Diathermie verzichtet und besser Ligaturen und Clips verwendet werden.
Der Ureter sollte stets frühzeitig identifiziert und dargestellt werden, ggf. mit Anzügelung. Das Beklopfen des Ureters mit einer Pinzette o. Ä. sollte eine peristaltische Welle auslösen. Besteht trotz allem Unsicherheit, ob der Harnleiter identifiziert wurde oder ein Blutgefäß, kann mit einer dünnen Nadel das Hohlorgan punktiert werden, um Urin oder Blut zu aspirieren (Abb. 2).
Bei Eingriffen mit einem erwartbar höheren Risiko einer Harnleiterverletzung kann eine präoperative Harnleiterschienung hilfreich sein. Sie mindert zwar nicht das Verletzungsrisiko, erlaubt aber ein leichteres Auffinden und eine verbesserte Behandlung von Läsionen. Im Falle einer laparoskopischen Operation gibt es Berichte über den Einsatz eines beleuchteten Splints zur sicheren Identifizierung.
In jedem Fall sollte gerade bei Routineeingriffen besondere Sorgfalt walten, da das Risiko einer iatrogenen Läsion hierbei gerne vernachlässigt wird.
Kommt es doch zu einer Harnleiterverletzung, ist der Zeitpunkt der Detektion prognostisch entscheidend. Fällt die Läsion noch intraoperativ auf, kann je nach Ausdehnung des Defektes eine Harnleiterschienung mittels Doppel-J-Katheter oder eine Resektion des Defekts mit End-zu-End-Anastomose durchgeführt werden. Ist dies nicht möglich, z. B. aufgrund einer Kreislaufinstabilität, wird die Einlage einer perkutanen Nephrostomie empfohlen.
Wenn eine akzidentelle Ligatur oder ein Clip auf den Ureter gesetzt wurde, sollte dieses Material zunächst wieder entfernt und der betroffene Harnleiterabschnitt beobachtet werden. Bei erhaltener Peristaltik und fehlendem Hinweis auf eine Eröffnung des Lumens besteht mitunter kein weiterer Handlungsbedarf. Ist keine peristaltische Welle erhalten, sollte die Segmentresektion angestrebt werden.
Im Falle einer kleinen penetrierenden Läsion oder einer kurzstreckigen Ischämie empfiehlt sich die Einlage eines Doppel-J-Katheters. Er soll die Ausbildung einer Striktur verhindern und die Heilung des Segments erleichtern. Bei der Einlage sollte eine adäquate Kontrastmitteldarstellung erfolgen und ein weicher hydrophiler Draht zur Passage der Läsion verwendet werden. Die Einlage einer Harnleiterschiene empfiehlt sich bei einem solchen Defekt jedoch in der Technik nach Davis mittels Ureterotomie. Der Ureter wird mit einer kleinen Inzision im Bereich der Läsion eröffnet. Mit einem weichen Draht erfolgt dann die Einlage der Schiene zunächst nach vesikal, dann vorsichtig nach Einführen des Drahtes durch eine kleine Inzision der Harnleiterschiene auf Defekthöhe in Richtung Nierenbecken. Diese Technik verringert das Risiko einer Vergrößerung des Defektes durch „blinde“ Manipulation in der endoskopischen retrograden Harnleiterschienung.
Alternativ kann eine Endoureterotomie durchgeführt werden: Unter Verwendung eines Führungsdrahtes wird eine starre Ureteroskopie bis zur Läsion durchgeführt. Hier wird, mit Kauter oder Holmium-Laser, ein Schnitt bis ins periureterale Fett gesetzt. Über diesen Zugang erfolgt dann die Einlage eines möglichst großlumigen (8 Ch.) Doppel-J-Katheters.
Die Harnleiterschiene sollte für 6 Wochen belassen werden. Beide Techniken haben eine Erfolgsrate von ca. 80 % nach 3 Jahren.
Ist eine alleinige Schienung nicht erfolgversprechend, empfiehlt sich bei kurzstreckigen Läsionen bis etwa 2 cm eine Segmentresektion mit End-zu-End-Anastomose. Hierfür ist ein trans- oder retroperitonealer Zugang möglich. Der Defekt wird adäquat dargestellt, anschließend wird der Ureter möglichst langstreckig mobilisiert, um eine zugfreie Anastomosierung zu ermöglichen. Ist dies nicht möglich, muss ein Dünndarminterponat erwogen werden.
Zur Durchführung der Ureteranastomose werden die Enden spatuliert und jeweils eine Naht (5–0 resorbierbar) im Apex der Spatulierung vorgelegt. Es wird jeweils eine halbe Zirkumferenz fortlaufend genäht. Nach der ersten Naht wird ein Doppel-J-Katheter in der oben beschriebenen Weise eingelegt. Nach Vollendung der Anastomose kann retroperitoneales Fett oder durch eine kleine Inzision Omentum zur Deckung benutzt werden. Eine Wunddrainage ist absolut empfehlenswert, um eine Paravasation von Urin frühzeitig aufzuspüren. Ein transurethraler oder suprapubischer Blasenkatheter (Nulldruckableitung) wird belassen, bis die Drainagefördermenge unter 30 ml/Tag sinkt.
Alternativ zur End-zu-End-Anastomose kann eine Transureteroureterostomie durchgeführt werden. Hierbei wird der betroffene Harnleiter auf Höhe der Läsion durchtrennt und das distale Ende ligiert. Der proximale Anteil wird mittels Haltenaht durch eine retroperitoneale Tunnelung auf die Gegenseite gezogen und dort in End-zu-Seit-Technik anastomosiert.
Bei blasennahen Läsionen ist meist eine Harnleiterneueinpflanzung mit Psoas-Hitch- oder Boari-Plastik notwendig. Nach 7–10 Tagen wird ein Zystogramm durchgeführt; so lange sollte eine Wunddrainage zur besseren Kontrolle belassen werden. Eine Harnleiterschiene wird für 14 Tage eingelegt.

Blase

Vorkommen und Mechanismen

Verletzungen der Blase sind wesentlich häufiger als Verletzungen des Harnleiters. Das Risiko liegt bei der radikalen Hysterektomie bei bis zu 3 %. Der wesentliche Verletzungsmechanismus ist die Eröffnung des Lumens. Entscheidend für die Therapie ist hierbei die Lokalisation (intraperitoneal oder extraperitoneal) sowie die Größe der Läsion.
In seltenen Fällen kann bei einer langwierigen Geburt durch den fetalen Kopf eine Blasenwandnekrose entstehen.

Symptomatik und Diagnostik

Die Hämaturie ist ein obligates Symptom. Die Miktion des Patienten kann subjektiv erschwert sein. Bauchschmerzen oder eine Zunahme des Bauchumfangs deuten auf eine Verletzung nach intraperitoneal hin.
Zur Diagnostik ist neben der Sonographie ein Zystogramm wegweisend und erlaubt unter Hinzunahme der zweiten Ebene eine ausreichende Lokalisationsdiagnostik.

Therapie

Zur Risikominimierung sollte vor OP-Beginn die Blase komplett entleert oder entsprechend ein transurethraler Katheter eingebracht werden.
Besteht bereits intraoperativ der Verdacht auf eine Verletzung der Blase, kann zur Bestätigung Methylenblau über den transurethralen Katheter instilliert werden. Bestätigt sich der Verdacht, erfolgt eine Exzision des Defektes. Die Blase wird zweireihig übernäht. Abschließend sollte ein Füllungstest durchgeführt werden. Ein transurethraler Katheter bzw. ein suprapubischer Katheter zur Urinableitung ist postoperativ obligat, das Einlegen einer Wunddrainage ist sinnvoll. Die prophylaktische Abdeckung mit einem Antibiotikum wird in den Tagen nach der OP empfohlen. Nach 7–10 Tagen entscheidet ein Zystogramm über den Verbleib des Katheters und den Operationserfolg.
Extraperitoneale Läsionen müssen, sofern sie nicht sehr groß sind, in der Regel nicht operativ versorgt werden. Es reicht die Urinableitung mittels Katheter aus. Zur Kontrolle der Heilung sollte ein Zystogramm angefertigt werden.
Intraperitoneale Läsionen müssen in aller Regel wie beschrieben operativ mittels Übernähung der Blase versorgt werden, da sonst eine Peritonitis droht.
Je später die Läsion entdeckt und versorgt wird, desto größer ist die Gefahr eines Rezidivs. Mögliche Komplikationen der Übernähung sind eine kleinkapazitäre Blase und eine Urge-Symptomatik.
Ist die Blasenverletzung sehr ausgedehnt, kann ein größerer operativer Eingriff notwendig werden: die Blasenteilresektion, ggf. mit Einbringen eines Ileum-Augmentats zur Erhaltung der Füllungskapazität, oder als Ultima Ratio die Zystektomie mit Harnableitung.

Zusammenfassung

  • In der gynäkologischen (Tumor-)Chirurgie sind Läsionen des Ureters durch Inzision/Durchtrennung, Clipping und diathermiebedingte Ischämie häufig.
  • Verletzungen des Ureters führen zu Urinomen, (Knick-)Stenosen mit Harnstauungsniere und Fistelbildung.
  • Präoperative Harnleiterschienung vermindert Verletzungsrisiko nicht, erleichtert aber Auffinden des Ureters und Versorgung nach Verletzungseintritt.
  • Therapie: abhängig von Ausmaß der Läsion und Diagnosezeitpunkt Harnleiterschienung, Segmentresektion mit End-zu-End-Anastomose, Ureterozystoneostomie oder Nephroureterektomie.
  • Extraperitoneale Verletzungen der Harnblase: konservative Behandlung unter Katheterableitung. Intraperitoneale Läsionen: operative Versorgung mittels Übernähung oder Blasenteilresektion.
Literatur
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