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Die Urologie
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Publiziert am: 21.10.2022

Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS)

Verfasst von: Stephan Korn, Nicolai Hübner und Shahrokh F. Shariat
Der Begriff Lower urinary tract symptoms (LUTS, Symptome des unteren Harntraktes) ist ein unspezifischer Terminus, der ein Spektrum an urologischen Beschwerden beschreibt, die sich aus Symptomen der Speicher- und Entleerungsphase zusammensetzen.

Definition

Unter dem Begriff Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS, Symptome des unteren Harntrakts) versteht man ein klinisch-symptomatisches Bild, welches Miktionsbeschwerden unterschiedlichster Ätiologie beschreibt. Die Symptome können sich hierbei aus Symptomen der Speicher- Miktions- und post-Miktionsphase zusammensetzen (Abrams et al. 2002).

Ätiologie und Epidemiologie

Die Ursachen von LUTS sind vielfältig und umfassen unter anderem eine Über- sowie Unterfunktion des Detrusors, Detrusor-Sphinkter-Dysregulation, neurogene Blasenentleerungsstörungen, Chronic Pelvic Pain, Nykturie, Infektionen, Blasentumore, Blasensteine und Harnröhrenstrikturen. Eine der Hauptursachen für LUTS bei Männern ist eine vergrößerte Prostata (BPE, benign prostatic enlargement) auf Basis einer benignen Prostatahyperplasie (BPH), die eine subvesikale Obstruktion und somit eine Blasenauslassobstruktion (bladder outlet obstruction, BOO) zur Folge hat. Eine durch BPE verursachte BOO wird benigne Prostataobstruktion (benign prostate obstruction – BPO) genannt. Im deutschsprachigen Raum spricht man auch vom benignen Prostatasyndrom (BPS).
Die Folge dieser Störung sind vornehmlich Speicherbeschwerden („storage symptoms“). Eine chronische BOO kann konsekutiv zu einer Detrusordysfunktion führen. Durch die morphologische Obstruktion kommt es zur Detrusorhypertrophie und einem erhöhtem Sauerstoffbedarf des Blasengewebes. Diese hypoxisch-ischämischen Umstände spielen eine zentralen Rolle und können in einer Überaktivität des Detrusormuskels (detrusor overactivity, DO) resultieren.
Viele Risikofaktoren, die für BPE/BPH/BPS, BOO oder OAB verantwortlich sind, spielen bei der Pathophysiologie der LUTS eine entscheidende Rolle. Neben diesen Ursachen gibt es weitere Hinweise, dass Alter, metabolischen Komorbiditäten, Atherosklerose des Urogenitaltrakts, Depressionen, Medikamentenabusus, Leberzirrhose und erektile Dysfunktion im Zusammenhang mit LUTS stehen (Raheem et al. 2013).
Wie bei der BPH spielen sympathisch-adrenerge Signalwege eine entscheidende Rolle in der Pathogenese der LUTS. Diese Erkenntnis macht man sich auch bei der pharmakologischen Therapie zu nutzen (Abschn. 5).
Wichtig
In etwa 30–60 % der Fälle findet sich eine Kombination aus BOO und Detrusorüberaktivität.
Eine der größten Prävalenzstudien in westlichen Ländern ergab eine LUTS-Gesamtprävalenz (zumindest ein LUTS-Symptom) von 64 % in der Bevölkerung >18-Jahren, wovon Nykturie als häufigstes Symptom angegeben wurde. Etwa jeder 4. Mann (26 %) in seiner 5. Lebensdekade leidet an moderater bis schwerer LUTS. Ähnlich wie die benigne Prostatahyperplasie (BPH) erhöht sich auch bei LUTS die Prävalenz mit fortgeschrittenem Alter. Bei den 70- bis 80-Jährigen ist fast jeder 2. Mann betroffen (Parsons et al. 2008). Alternde Frauen weisen ähnliche hohe Beschwerde-Scores (IPSS, international prostate symptom score) im Vergleich zu Männern auf, obwohl diese seltener durch BOO bedingt sind (Madersbacher et al. 1999).

Überaktive Blase (OAB)

Die International Continence Society (ICS) definiert die überaktive Blase (OAB) als Drangsymptomatik mit erhöhter Harnfrequenz bei Tag und Nacht mit oder ohne Dranginkontinenz (unwillkürlicher Harnverlust, der mit einem plötzlichen Harndrang assoziiert ist). (Kap. „Pathophysiologie von Blasenfunktionsstörungen“). Unterschieden werden muss der symptomatische Begriff OAB von einer Detrusorüberaktivität (Detrusor overactivity, DO), ein urodynamisch messbares Ereignis. Die größte Prävalenzstudie zur OAB zeigte eine Prävalenz von 12 % bei Frauen und 11 % bei Männern über 18-Jahren. Männer haben eine höhere Rate an OAB mit Kontinenz, Frauen eine höhere Rate an OAB mit Dranginkontinenz. Zunehmendes Alter ist assoziiert mit dem Auftreten einer OAB. Die Inzidenz liegt je nach Studie und Region bei 10–18 % in der Gruppe der 45- bis 54-jährigen Männer. Unterschieden werden neurogene von nichtneurogenen Ursachen.
Ursachen der OAB
Idiopathisch
Neurogene
Nichtneurogene
  • Sekundäre DO in Folge von BOO bzw. BPH
  • Blasensteine oder Fremdkörper
  • Operationen im Becken

Symptomatik

Die Symptome des unteren Harntraktes (Tab. 1) werden in 3 Kategorien eingeteilt (Abrams et al. 2002):
  • Speicherbeschwerden („storage symptoms“),
  • Miktionsbeschwerden („voiding symptoms“)
  • Post-Miktionsbeschwerden („post micturition symptoms“).
Weitere Folgen der LUTS können sexuelle Dysfunktionen sein (Oelke et al. 2013).
Tab. 1
Übersicht der Beschwerden bei LUTS (lower urinary tract symptoms)
Art
Speicherbeschwerden (irritative Symptome)
Miktionsbeschwerden (obstruktive Symptome)
Post-Miktionsbeschwerden
Wann?
Beim Speichern des Harns inklusive der Miktionsfrequenz bei Tag und Nacht
Symptome treten während des Urinieren auf
Symptome treten nach der Miktion auf
Symptomatik
Pollakisurie: vermehrte Miktionsfrequenz untertags
Dysurie: Schmerzen bei der Miktion
Gefühl der unvollständigen Miktion
Nykturie: aufwachen nachts um Harn zu lassen
Schwacher Harnstrahl: reduzierter Urinfluss im Vergleich zu früheren Miktionen
Post-Miktionstropfen: Nach dem Urinieren kommt es zu unwillkürlichem Harnverlust
Dranginkontinenz: plötzliches Bedürfnis des Harnlassens, ohne es unterdrücken zu können
Splitting and Spraying: Harnstrahl ist geteilt oder schwer kontrollierbar
 
Stressinkontinenz: unwillkürliche Miktion bei Stress und Anstrengung, Husten, Niesen
Intermittierende Miktion: Urinstrahl beginnt und stoppt während der Miktion
 
Mischinkontinenz: ein Mischbild
Verzögerte Miktion: Trotz Initiation der Miktion wird erst verspätet uriniert
 
Blasensensibilität: normal, erhöht, reduziert, absent, unspezifisch
Straining: Zur Miktion wird zusätzlich die abdominale Muskulatur gebraucht
 
 
Terminales Tropfen: Das Ende der Miktion ist durch tropfenden Urin verlängert
 

Diagnostik

Bei Angabe von Symptomen sollte eine ausführliche Diagnostik entsprechend dem nachfolgenden diagnostischen Algorithmus durchgeführt werden (Oelke et al. 2013; Berges et al. 2009; Abrams et al. 2009) (Abb. 2).
Diagnostischer Algorithmus bei LUTS
  • Anamnese
  • Evaluierung des Schweregrad der LUTS
  • Körperliche Untersuchung, inklusive DRU (digitale rektale Untersuchung)
  • Labor
  • Miktionsprotokoll
  • Ultraschall
  • Uroflowmetrie

Anamnese

Der erste Schritt sollte die Erhebung einer allgemeinen und urologischen Anamnese inklusive Miktionsanamnese, früherer urologischer Operationen oder Erkrankungen sein. Insbesondere sollten Hinweise auf Trigger für Beschwerden, Dauer, Schweregrad der Symptome und Risikofaktoren (metabolische oder neurologische Erkrankungen) sowie Medikamente mit urologischen Nebenwirkungen (Anticholinergika, Antidepressiva, Neuroleptika oder Sympathomimetika) abgefragt werden.

Evaluierung des Schweregrades der LUTS

Um die Beeinträchtigung im täglichen Leben bzw. der Lebensqualität zu quantifizieren, haben sich standardisierte Fragebögen etabliert. Neben den validierten Fragebögen The International Consultation on Incontinence Questionnaire (ICIQ-MLUTS) und Danish Prostate Symptom Score (DAN-PSS) hat sich vor allem der International Prostate Symptom Score (IPSS) durchgesetzt. Bei diesem Score (0–35 Punkte) wird die Häufigkeit und der Schweregrad der Erkrankung mittels 7 Fragen ermittelt. Pro Antwort werden 0–5 Punkte vergeben.
Die Klassifizierung erfolgt anhand einer Punkteskala:
  • 0–7: mild
  • 8–19: moderat
  • 20–35: schwer symptomatisch
Als Zusatzpunkt soll der Patient auf einer Skala von 0–6 angeben, wie er seine Lebensqualität einschätzen würde, wenn er diese Beschwerden ein Leben lang hätte. Nachteile des IPSS bestehen vor allem im mangelnden Abfragen von Inkontinenz- und post-Miktions-Symptomen.

Körperliche Untersuchung

Wie auch bei der Diagnostik des BPS ist neben einer gesamten physikalischen Untersuchung der Fokus auf mögliche urologisch-neurologische Erkrankungen gerichtet. Zur Evaluierung der Prostata und Größenabschätzung wird eine digitale rektale Untersuchung (DRU) durchgeführt.

Urinanalyse

Die Urinanalyse im Rahmen einer LUTS dient hauptsächlich zum Ausschluss eines Infekts, Hämaturie sowie Diabetes mellitus. Liegen pathologische Untersuchungsergebnisse vor, ist eine jeweilige spezifische Weiteruntersuchung indiziert. Bei der Urinanalyse werden mit Hilfe eines Harnteststreifen-Tests oder der Beurteilung des Harnsediments u. a. folgende Inhaltsstoffe untersucht:
  • Eiweiß (Proteinurie),
  • Erythrozyten (Mikro/Makrohämaturie), Leukozyten (Leukozyturie),
  • Zucker (Glukosurie),
  • Nitrit (Indikator für Bakterien; Harnwegsinfekt, HWI),
  • Bakteriennachweis im Sediment.

Blutuntersuchung

Hier seien vor allem Nierenfunktionsparameter und Blutzucker beispielhaft zu nennen. Prinzipiell gilt es mittels Blutuntersuchung etwaige Differenzialdiagnosen (Diabetes mellitus) oder Folgen (Nierenfunktionseinschränkungen) von LUTS auszuschließen. Die Messung des PSA (prostataspezifisches Antigen)-Werts spielt ebenso eine Rolle in der Abklärung (Kap. „Benigne Prostatahyperplasie (BPH) und benignes Prostatasyndrom (BPS)“).

Miktionsprotokoll und Miktionstagebuch

Mit Hilfe eines Miktionsprotokolls oder Miktionstagebuchs können Erkenntnisse über das Trink- und Miktionsverhalten erhalten werden. Es werden Miktionszeiten, Miktionsvolumen, Flüssigkeitseinnahmen sowie Inkontinenz-Episoden bzw. das Wechseln der Einlage erhoben. Alle Informationen sollten über 24 Stunden an mindestens 3 Tagen aufgezeichnet werden.

Sonographie der Harnblase/Restharnmessung sowie des oberen Harntrakts

Obwohl die Bestimmung des Restharns oftmals schon in der Basisdiagnostik vieler Urologen Platz findet, korreliert das Volumen nicht mit dem Schweregrad der LUTS oder der Therapie. Mit Hilfe des Ultraschalles wird die Blase morphologisch beurteilt und der Restharn gemessen. Ein großes Restharnvolumen kann ein Hinweis auf eine Obstruktion oder den dekompensierten Detrusormuskel sein. Große Restharnvolumina alleine sollten keine Indikation für eine spezifische Behandlung darstellen, sondern eher in Kontext mit der zugrunde liegenden Erkrankung und weiteren Untersuchungsergebnissen gestellt werden. Bei Männern mit BPE als Grund einer LUTS konnte jedoch ein initial hohes Restharnvolumen als Risikofaktor für eine symptomatische Progression (Harnverhalt, Notwendigkeit eines operativen Eingriffs) festgestellt werden.
Bei hohen Restharnvolumina sollte man auch immer an die Möglichkeit sekundärer Komplikationen (z. B. Reflux oder Hydronephrose) der oberen Harnwege denken und gegebenenfalls mittels Bildgebung überprüfen. (Bright et al. 2010).

Weiterführende Diagnostik

Nichtinvasive diagnostische Verfahren

Uroflowmetrie

Bei dieser Untersuchung uriniert der Patient in einen Behälter, wobei Volumen, Zeit und Flussrate der Miktion gemessen werden. Dadurch lässt sich dann der maximale Harnfluss (Q max) durchschnittlicher Harnfluss (Qavg), Miktionsvolumen, Zeit bis zum maximalen Harnfluss und Miktionsdauer errechnen sowie eine Flusskurve erstellen. Zur Komplettierung der Untersuchung wird im Anschluss eine Restharnuntersuchung durchgeführt. Die unterschiedlichen Kurvenverläufe können auf Harnröhrenstrikturen, BPO und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergien hinweisen (Abb. 1). Eine normale Untersuchung kann eine Obstruktion nicht ausschließen (High-Flow-Obstruktion), außerdem kann bei verminderten Harnflussraten nicht zwischen Obstruktion und Detrusorunterfunktion unterschieden werden. Zur korrekten Interpretation eines Uroflows sollte ein Miktionsvolumen von zumindest 150 ml erreicht werden.
Normwerte Qmax:
  • Männer: 20–25 ml/s
  • Frauen: 25–30 ml/s
Praxistipp
Ein verminderter Qmax alleine reicht nicht zur Diagnose einer BOO. In Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass Männer mit einem Qmax unter 10 ml/s und einem IPSS >6 in 85–90 % morphologisch obstruiert sind (Porru et al. 2002).

Invasive diagnostische Verfahren

Urodynamische Untersuchungen (Zystometrie, Druck-Fluss-Studien, Video-Urodynamik)

Die urodynamische Untersuchung (UD) ist das Mittel der Wahl um Symptome von Blasenentleerungsstörungen zu objektivieren. Indikationen einer UD stellen vorwiegend neurogene Blasenentleerungsstörungen dar, eine UD sollte bei LUTS nur in ausgewählten Fällen durchgeführt werden.
Dem Patienten werden in sitzender Lage mittels transurethraler und transrektaler Drucksonde/-katheter der intravesikale (Pves) und abdominelle (Pabd) Druck während des Miktionsvorganges gemessen. Der Detrusordruck (Pdet) wird dabei aus der Differenz des intravesikalen und abdominellen Drucks errechnet. Mittels perineal angebrachter Elektromyographie(EMG)-Elektroden wird die Beckenbodenaktivität bzw. die Sphinkteraktivität gemessen. In der Füllungsphase einer Druck-Fluss-Studie werden Blasencompliance, Kapazität und unwillkürliche Detrusorkontraktionen gemessen und die Sensibilität (subjektive Angababe von Empfindungen und Drang) angegeben. In der Entleerungsphase werden neben den beim Uroflow erhobenen Parametern auch der Detrusordruck sowie die Aktivität des Sphinkters gemessen.
Hinweise
Bei der Videourodynamik wird Kontrastmittel als Flüssigkeitsmedium verwendet, sodass gleichzeitig Röntgenaufnahmen und ein Miktionszystourethrogramm (MCU) durchgeführt werden kann.

Harnblasenkapazität

Die Harnblasenkapazität beträgt beim Mann etwa 350–550 ml, bei der Frau 250–550 ml. Bei Kindern wird der Normwert berechnet nach folgender Formel
$$ \textrm{Blasenkapazit}\ddot{\textrm{a}} \textrm{t}\ \left[\textrm{ml}\right]:\left(\textrm{Alter}+1\right)\times 30 $$
Verschiedene Ursachen können das Volumen der Harnblase vermindern oder erhöhen.
Ursachen einer veränderten Harnblasenkapazität
Erniedrigte Harnblasenkapazität
  • Inkontinenz
  • Entzündungen
  • Neurogene Blasenerkrankungen
  • Malignome
  • Operationen
Erhöhte Harnblasenkapazität
  • Chronische Obstruktion
  • Detrusorunterfunktion/akontraktiler Detrusor
  • Diabetes mellitus
  • Syphillis
  • Neuropathie

Harnblasensensibilität

Die Harnblasensensibilität wird durch verschiedene Erkrankungen beeinflusst. Unter Normbedingungen findet die erste Empfindung bei 100–200 ml Blasenvolumen statt.
  • Gesteigerte Sensibilität: hyperaktive Blase, Entzündungen, neurogene Blasenerkrankungen, Tumoren.
  • Verminderte Sensibilität: Neuropathien, z. B. bei Diabetes mellitus, Syphillis, Herpes genitalis.
  • Schmerzen bei der Blasenfüllung: interstitielle Zystitis, Bladder Pain Syndrome (Schmerzen im Bereich der Blase wobei andere Erkrankungen, die diese Beschwerden verursachen können, ausgeschlossen sein müssen).

Detrusordruck

Die Harnblasenaktivität wird durch den M. detrusor vesicae bestimmt (Detrusordruck). Als Normalwert in Ruhe gilt ein Detrusordruck von unter 5 cm H2O, bei Kontraktion bei Männern hingegen ein Wert von unter 50 cm H2O, bei Frauen von unter 40 cm H2O.
Eine veränderte Harnblasenaktivität kann auf eine neurogene oder idiopathische Detrusorüberaktivität zurückgeführt werden. Ursächlich für eine Detrusorschwäche bzw. hypokontraktilen oder akontraktilen Detrusor können myogene oder neurogene Harnblasenlähmungen, ein willkürliches Stoppen, eine Überdehnung der Blase oder Blasendivertikel sein.

Harnblasen-Compliance

Die Dehnbarkeit der Harnblase bzw. deren Compliance ergibt sich aus dem Quotienten der Volumenänderung (V) und der korrelierenden intravesikalen Druckänderung (Pves) am Start der Füllungsphase und nach Erreichen des ersten Harndrangs bzw. der ersten Detrusorkontraktion oder nach Urinverlust. Der Normwert liegt bei über 25 ml/cm H2O.

Urethraler Widerstand

Mögliche subvesikale Obstruktionen lassen sich mit dem maximalen Harnstrahl (Qmax) und dem Detrusordruck (Pdet) berechnen.
$$ \textrm{Urethraler}\ \textrm{Widerstand}={\textrm{P}}_{\textrm{det}}\ \textrm{bei}\ {\textrm{Q}}_{\textrm{max}}/{{\textrm{Q}}_{\textrm{max}}}^2 $$
Als Norm gilt bei Männern ein Wert von <0,6, bei Frauen von <0,2.
Alternativ kann auch der BOO-Index (BOOI) verwendet werden, der wie folgt berechnet wird:
$$ \textrm{BOOI}={\textrm{P}}_{\textrm{det}}\ \textrm{bei}\ {\textrm{Q}}_{\textrm{max}}\hbox{--} 2\times {\textrm{Q}}_{\textrm{max}} $$
Anhand der BOOI-Skala können die Ergebnisse gewertet werden:
  • >40 = höchstwahrscheinlich Obstruktion,
  • 20–40 = nicht eindeutig,
  • <20 = keine subvesikale Obstruktion.
Wichtig
Der BOOI gilt nur für Männer.

Detrusor leak point pressure (DLPP)

Der Detrusor leak point pressure (DLPP) ist definiert als niedrigster Detrusordruck, bei dem ohne Detrusorkontraktion Harnverlust auftritt. Dies ist insbesondere bei Blasenstörungen neurologischer Genese wichtig, um das Komplikationsrisiko für den oberen Harntrakt zu beurteilen.
Hinweis
Als Grenzwert für eine Gefährdung gilt ein DLPP von über 40 cm H2O.

Valsalva leak point pressure (VLPP)

Der Patient wird aufgefordert, im Stehen ein Valsalva-Mänover durchzuführen, um den abdominellen Druck zu steigern. Dabei wird der niedrigste intravesikale Druck ohne dem Auftreten einer Detrusorkontraktion bei Harnverlust gemessen. Dieser gibt einen Hinweis auf die Ursache und Schweregrad einer Belastungsinkontinenz. Ein Wert unter 60 cm H2O ist hinweisend für einen intrinsischen Sphinkterdefekt bei Belastungsinkontinenz. Drücke über 90 cm H2O sprechen für einen intakten Sphinkter.

Therapie

Erweist sich mit der Basisdiagnostik die LUTS als mild, reichen therapeutisch häufig Lebensstilmodifikationen sowie regelmäßige urologische Kontrollen.
Bei moderaten bis schweren Beschwerden bzw. komplizierter LUTS-Diagnostik sollte auf weitere diagnostische Mittel zurückgegriffen werden. Ziel der weiteren Abklärung ist es, die Ursache der LUTS zu finden. Je nach Ursache und Schweregrad wird die Therapie entsprechend angepasst.

Verhaltenstherapie

Bei geringer Symptomatik reichen oftmals schon kleine Änderungen im täglichen Leben. Es wird empfohlen, die Einnahme von Flüssigkeiten vor dem Schlafen zu reduzieren und Nahrungsmittel mit diuretischem Effekt (Koffein und Alkoholprodukte) zu vermeiden. Ebenfalls können Biofeedbackübungen hilfreich für ein Beckenboden-Training sein.

Therapie von LUTS

Bei Patienten mit moderater bis schwerer Symptomatik ist eine medikamentöse oder chirurgische Therapie indiziert. Es sollte immer die Ursache der LUTS behandelt werden, diese entscheidet auch das jeweilige Vorgehen, z. B. Operation bei Harnröhrenstriktur, medikamentöse Therapie bei OAB.
Mittel der Wahl bei pharmakologischer Therapie sind α- Adrenorezeptorblocker, -Reduktasehemmer, beta3-Agonisten, PDE5-Hemmer, Anticholinergika oder eine Kombination.
Auf Wunsch des Patienten, bei Versagen der konservativen Therapie sowie einer Beschwerdeprogression trotz medikamentöser Therapie kann alternativ die BOO operativ saniert werden (Kap. „Operative Anatomie der Prostata“). Abgesehen hiervon ergeben sich Indikationen zur operativen Sanierung bei rezidivierenden Harnverhalten, Infektionen, Hämaturie sowie Beeinträchtigung des Urogenitaltrakts inklusive Nierenfunktionseinschränkung und Blasensteinen. Die chirurgischen Therapieoptionen reichen vom Goldstandard, der transurethralen Resektion der Prostata (TURP) über minimal invasive ablative Methoden bis hin zur Lasertherapie oder offenen Prostatektomie.

Therapie der überaktiven Blase (OAB)

Mittel der Wahl sind Anticholinergika oder der beta3-Agonist Mirabegron, die die unwillkürlichen Kontraktionen des Detrusormuskels reduzieren. Die Indikation für eine Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der hyperaktiven Blase, der Obstruktion und des Restharnvolumens.

Zusammenfassung

  • LUTS: urologisches Beschwerdespektrum von irritativen, obstruktiven und neurogenen Blasenfunktions- und Miktionsbeschwerden; jeder 4. Mann in der 5. Lebensdekade betroffen.
  • Mannigfaltige Ursachen, zum Beispiel vergrößerte Prostata mit konsekutiver subvesikaler Blasenauslassobstruktion. daneben auch neurogene Störungen, die zur Detrusordysfunktion und potenziellen OAB führen.
  • Symptomatik: Unterscheidung zwischen Speicher-, Entleerungs- und Post-Miktionsbeschwerden.
  • Diagnostik: ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung, Urinstatus, Labor und Bildgebung; optional nichtinvasive oder invasive Verfahren.
  • Therapie: richtet sich nach Ursache (BOO, Detrusorüberaktivität, Restharn); bei BOO aufgrund von BPH α-Adrenorezeptorblocker, 5α-Reduktasehemmer oder Kombination aus beidem. Anticholinergika bei neurogenen Detrusordysfunktionen.
Literatur
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