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Die Urologie
Info
Verfasst von:
Raimund Stein und Joachim Wilhelm Thüroff
Publiziert am: 23.03.2022

Neurogene Blasen- und Sphinkterdysfunktion

Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit neurogener Blase hat in den letzten 40 Jahren einen deutlichen Wandel erfahren. Die Etablierung der Pharmakotherapie, des intermittierenden Einmalkatheterismus (Clean intermittent catheterization, CIC) und ggf. einer Infektionsprophylaxe und deren Einsatz bereits im Säuglingsalter hat die Prognose der Patienten deutlich verbessert. Die häufigsten Ursachen der neurogenen Blase im Kindesalter stellen die dysraphischen Hemmungsfehlbildungen von Rückenmark und Wirbelsäule dar. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen hat zur Optimierung der individuellen Therapie geführt.

Epidemiologie und Prävalenz

Die Etablierung des Ultraschall-Screenings, die Bestimmung von Alpha-Fetoprotein sowie die perikonzeptionelle Einnahme von Folsäure bei Frauen haben zur Reduktion der Prävalenz der dysraphischen Hemmungsfehlbildungen bei Neugeborenen geführt. Die Prävalenz ist jedoch regional unterschiedlich. Sie liegt beispielweise in Seattle (USA) derzeit bei 0,5/10.000 Geburten, bei 3 in England und Wales, 5,32 in Japan, 6,4 in Schweden und 7,41 in Sachsen-Anhalt.

Ätiologie und Lokalisation

Zwischen dem 16. und 20. Schwangerschaftstag verschließt sich die Neuralrinne zum Neuralrohr. Dieser Vorgang ist in der 4. Schwangerschaftswoche abgeschlossen. Die häufigsten Neuralrohrdefekte sind der Anenzephalus und die Spina bifida. Der ursächliche Mechanismus ist bisher unbekannt. Ernährung (Folsäuremangel), genetische Faktoren und Umwelteinflüsse spielen eine Rolle. Weiterhin ist das Risiko, ein zweites Kind mit Spina bifida zu gebären, erhöht (2–5 %).
Studien zeigten, dass die Gabe von Folsäure die Inzidenz von Neuralrohrdefekten senkt. Als Konsequenz wird empfohlen, dass Frauen mit Kinderwunsch täglich 0,4 mg Folsäure einnehmen sollten, und Frauen, die schon ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt haben, täglich 4 mg Folsäure erhalten. Die Umsetzung dieser Empfehlung erfolgt jedoch nur mangelhaft. Dies bestätigt sich in einer aktuellen Übersicht, welche zeigte, dass die Inzidenz sich in Europa zwischen 1991 und 2011 trotz intensiver Aufklärung in Bezug auf Folsäure und pränatale Diagnostik nicht hat reduzieren lassen.
Die dysraphischen Entwicklungsstörungen weisen ein breites Spektrum auf – von der Spina bifida occulta über Spina bifida apertus bis hin zur totalen Kraniorhachischisis, wobei die Meningomyelozele mit über 90 % die häufigste Form der spinalen Dysraphien ist. In fast der Hälfte liegt auf neurologischem Level eine Spina bifida lumbosakral vor (Tab. 1).
Tab. 1
Lokalisationen der spinalen Dysraphie
Zervikothorakal
1 %
Thorakolumbal
20 %
Lumbal
20 %
Lumbosakral
50 %
Sakrokokkzygeal
9 %

Klinik

Die Höhe der neurologischen Symptomatik korreliert nicht exakt mit der Höhe der knöchernen Läsion. Insbesondere während der Wachstumsphase kann sich der Typ der neurogenen Blasenfunktionsstörung jederzeit ändern. Diese Veränderungen treten vor allen in den ersten 2 Jahren auf; so steigt bis zum Ende des 2. Lebensjahres der Anteil der Kinder mit Veränderungen und konsekutiven Komplikationen auf bis zu 80 % an, wenn keine Therapie stattfindet. Die urologischen Probleme (u. a. Harnwegsinfektionen, Pyelonephritiden, Reflux, Dilatation des oberen Harntraktes bis hin zur Einschränkung der renalen Funktion) korrelieren nicht unbedingt mit den neurologischen und orthopädischen Problemen. So können Patienten mit einer guten Funktion der Extremitäten (Geher) urologische Probleme haben oder im Verlauf entwickeln.
Nur ein sehr geringer Anteil der Kinder mit spinaler Dysraphie werden spontan kontinent (deutlich <10 %). Die Urininkontinenz ist meist durch die Überaktivität des Detrusors bedingt. Bei einigen Patienten besteht eine Belastungsinkontinenz aufgrund eines inkompetenten Sphinkters und in sehr seltenen Fällen kommt es zu einer Überlaufinkontinenz bei Detrusorarreflexie.

Diagnostik

In den aktuellen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der neurogenen Blasenfunktionsstörungen bei Patienten mit Meningomyelozele werden insbesondere in den ersten 2 Lebensjahren sehr engmaschige Untersuchungen empfohlen (Tab. 2).
Tab. 2
Empfohlene Untersuchungen und Untersuchungszeitpunkte
 
Neugeborene
Im Alter von 6–12 Wochen
Im Alter von 6 Monaten
Im Alter von 9 Monaten
Im Alter von 12 Monaten
Danach 6-monatlich bis Einschulung
Nach der Einschulung jährlich
Urologische Anamnese
 
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
Sonographie (Nieren, Blase, Restharn)
×
×
×
(×)
×
×
×
Labor (Kreatinin, Cystatin C, GFR)
 
×
  
×
 
×
Orientierende Zystomanometrie a
 
×
×
 
×
x
×
Videourodynamik inkl. MCU a
 
×
  
a)
 
a)
Blutdruck
   
×
 
×
×
Szintigramm (MAG-III/DMSA)
Optional bei Verdacht auf Harntransportstörung/Nierenparenchymschädigung
aEine Zystomanometrie und ein MCU (separat oder als videourodynamische Untersuchung durchgeführt) sollte als Basisdiagnostik innerhalb des 1. Lebensjahres – vorzugsweise in den ersten 3 Lebensmonaten – angestrebt werden. Eine orientierende Zystomanometrie kann zur Verlaufskontrolle dienen.DMSA Dimercapto-Bernsteinsäure, GFR glomeruläre Filtrationsrate, MAG-III Mercaptoacetyltriglycerin, MCU Miktionszysturethrogramm
Neben der urologischen Anamnese (Übersicht „Inhalt der urologischen Anamnese“) erfolgt eine Urindiagnostik mittels eines in der Regel durch den Katheter gewonnen Urin (Kap. „Harnwegsinfektionen bei Kindern“). Die Sonographie (Kap. „Spezifische Diagnostik in der Kinderurologie“) gibt einen Anhalt über die Morphologie des oberen und unteren Harntraktes und ist insbesondere im Verlauf sehr hilfreich bei der Dokumentation von Veränderungen. Der frühzeitige Einsatz einer kindgerechten urodynamischen Funktionsdiagnostik (mit der Option einer Videourodynamik) hat bei der urologischen Diagnostik einen zentralen Stellwert. Die konsequenten, regelmäßigen Verlaufskontrollen sind bei Patienten mit einer neurogenen Blase unerlässlich und sollten die in der folgenden Übersicht aufgeführten Parameter erfassen. Bezüglich der spezifischen Durchführung und deren möglichen Fehlerquellen sei auf die entsprechenden Lehrbücher bzw. Leitlinien verwiesen.
Inhalt der urologischen Anamnese bei Patienten mit einer neurogenen Blase
  • Kathetertagebuch mit Katheter- und Trinkmenge
  • Wenn kein IK/ISK durchgeführt wird: Miktionsfrequenz und Miktionsvolumina
  • Trocken- (Kontinenz-) intervalle
  • Einlage eines Katheters über Nacht
  • Harnwegsinfektionen
    • (asymptomatisch/symptomatisch, febril/afebril/Nachweismethode)
  • Aktuelle Medikation
  • Änderungen des neurologischen Befundmusters
  • Gewichtsveränderungen
Parameter die im Rahmen der Urodynamik nach den Leitlinien des Arbeitskreises Funktionsdiagnostik und der Children’s Continence Society (ICCS) erhoben werden sollten
  • Funktionelle Blasenkapazität (ml) unter Berücksichtigung des intravesikalen Druckes (23)
  • Compliance der Blase (ml/cm H2O)
  • Blasenkapazität zum Beginn der Überaktivität des Detrusors
  • Maximaler intravesikaler Druck (cm H2O)
  • Detrusor leak point pressure (DLPP) (cm H2O)
  • Radiologischer Befund (Blasenwandmorphologie, Reflux, Blasenhalsöffnung, Urethrakonfiguration)
Anhand der urodynamischen Befunde lassen sich 4 Typen der Detrusor- und Sphinkterdysfunktion unterscheiden (Abb. 1), wobei die Höhe der dysraphischen Störung nicht den Typ der neurogenen Detrusor- und Sphinkterfunktionsstörung definiert.
  • Typ 1: Detrusorunteraktivität und Sphinkterunteraktivität
  • Typ 2: Detrusorunteraktivität und Sphinkterüberaktivität
  • Typ 3: Detrusorüberaktivität und Sphinkterunteraktivität
  • Typ 4: Detrusorüberaktivität und Sphinkterüberaktivität (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie)
Bei vielen Patienten liegt teilweise eine sehr ausgeprägte Skoliose vor, sodass die sonographische Beurteilung der Nieren bei einigen Patienten nur stark eingeschränkt möglich ist. Bei diesen Patienten kann mittels der Diureseszintigraphie mit 99mTc-MAG-III (99mTechnetium-Mercaptoacetyltriglycerin) eine relevante Harntransportstörung und die seitengetrennte Nierenfunktion zuverlässig diagnostiziert werden. Bei jeder sonographisch detektierten Nierenbeckenkelchdilatation sollte mit der Diureseszintigraphie eine relevante Harntransportstörung ausgeschlossen werden. Die statische Nierenszintigraphie (DMSA-Scan) dient zur Erfassung von Perfusionsstörungen des Nierenparenchyms, die z. B. bei segmentaler Pyelonephritis oder etablierten (pyelonephritischen) Parenchymdefekten auftreten.
Für die Beurteilung der Gesamtnierenfunktion bei Patienten mit Myelomeningozele (MMC) eignet sich die Bestimmung von Cystatin C, da dieser Parameter weder durch Geschlecht, Alter (ab dem Ende des 1. Lebensjahres) oder Muskelmasse beeinflusst wird. Der häufig verwendete Kreatininwert ist alters-, geschlechts- und von der Muskelmasse abhängig, was dazu führt, dass die Nierenfunktion häufig überschätzt wird.
Wesentlich bei Kindern mit einer neurogenen Blase sind die regelmäßigen Verlaufskontrollen. Derzeit werden in Deutschland die in Tab. 2 dargestellten Untersuchungszeitpunkte empfohlen. Die Anzahl der Kontrollen kann bei unkompliziertem klinischem Verlauf und Inkontinenz ohne Restharnbildung in Folge eines unteraktiven Sphinkters individuell modifiziert werden. Insbesondere bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr bis hin zum Beginn der Pubertät treten seltener Veränderungen des Harntraktes auf (eine gute Patientencompliance vorausgesetzt). Kommt es jedoch zu den in den folgenden Übersichten aufgeführten Veränderungen, müssen wieder engmaschigere Kontrollen angestrebt werden.
Indikationen zu einer intensivierte Verlaufsdiagnostik (erhöhtes Risiko für die Nierenfunktion)
  • Rezidivierende, symptomatische (und/oder fieberhafte) Harnwegsinfektionen
    Nachweis eines vesikorenalen Refluxes
    Assoziierte Harnwegsfehlbildungen (ureteropelvine Stenose, Einzelniere)
    Beginnende Low-Compliance-Blase (bei Kindern gibt es keine Normwerte, sodass hier die Compliance im zeitlichen Verlauf betrachtet werden muss)
    Ausgeprägte Detrusorüberaktivität (Kontraktionen >40 cm H2O bei geringer Füllung)
  • Rückenmarkveränderungen: Tethered cord, Syringo(hydro)myelien, Rückenmarkzysten u. a. sowie nach deren operativen Versorgung
Faktoren, die eine Modifikation der Verlaufskontrollen und -intervalle erfordern
  • Compliance des Patienten bzw. der Eltern
  • Psychosoziales Umfeld
  • Assoziierte ZNS-Veränderungen und deren Dynamik
  • Veränderungen nach ZNS-Operationen
  • Umstellung der bisherigen Therapie
  • Veränderungen der urologischen Symptomatik (z. B. rezidivierende Harnwegsinfektionen, Pyelonephritis)
  • Veränderungen von Miktionsmuster/Harninkontinenz
  • Erhebliche Veränderungen peripher-neurologischer Befunde (z. B. Zunahme einer muskulären Hypertonie)
Folgende Parameter haben sich zur Beurteilung des Risikos bei Patienten mit neurogener Blase bewährt:
  • Detrusor leak point pressure (DLPP): Ein DLPP von >40 cm H2O führt ohne entsprechende Therapie in bis zu 80 % zur Verschlechterung der Nierenfunktion, wobei bei Säuglingen und Kleinkindern die genaue und reproduzierbare Bestimmung des DLPP schwierig ist.
  • Blasencompliance: Eine Reduktion der Compliance (Maß für die Dehnbarkeit der Blase in ml/cm H2O) von <20 ml/cm H2O kann zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Hierbei ist allerding zu berücksichtigen, dass es bei Säuglingen und Kleinkindern bisher keine Normwerte gibt. Hier muss die Blasencompliance individuell und im Verlauf beurteilt werden.
  • Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD): Ein Großteil der Patienten mit einer DSD entwickelt ohne entsprechende Therapie eine Verschlechterung der Nierenfunktion.
  • Detrusordruck und Kapazität: Autonome Detrusorkontraktionen während der Füllungsphase und/oder ein früher Anstieg des Detrusordrucks während der Speicherphase (geringe funktionale Blasenkapazität) im Rahmen der urodynamischen Messung gehen mit einem erhöhten Risiko für den oberen Harntrakt einher. Für die Beurteilung muss der gesamte Verlauf der Messkurve betrachtet werden (u. a. Anzahl, Höhe und Dauer der Detrusorkontraktionen). Bei der Bewertung der Blasenkapazität ist in dieser Patientengruppe nicht nur das Alter, sondern auch Größe und Gewicht zu berücksichtigen, die auch in den verschiedenen Altersgruppen stark schwanken können.

Therapie

Die Therapieziele umfassen in der Reihenfolge ihrer medizinischen Priorität die Protektion bzw. Verbesserung der Nierenfunktion, die Optimierung der Blasenentleerung und erst an dritter Stelle die Therapie der Harninkontinenz.
Die Therapie richtet sich nach der Pathogenese der 4 verschiedenen Typen der Detrusor- und Sphinkterdysfunktion, wobei man zwischen der Primärstrategie und Sekundärstrategie unterscheiden kann (Tab. 3).
Tab. 3
Typen der Detrusor- und Sphinkterdysfunktion und primäre bzw. sekundäre Therapieziele
Typ
Primärstrategie(n)
Sekundärstrategie(n)
Typ 1
Detrusor unteraktiv
Sphinkter unteraktiv
Blasenentleerung ↑
Auslasswiderstand ↑
Typ 2
Detrusor unteraktiv
Sphinkter überaktiv
Blasenentleerung ↑
 
Typ 3
Detrusor überaktiv
Sphinkter unteraktiv
Blasendruck ↓
Blasenkapazität ↑
Auslasswiderstand ↑
Typ 4
Detrusor überaktiv
Sphinkter überaktiv
Blasendruck ↓
Blasenentleerung ↑
Blasenkapazität ↑
Compliance ↑
Die Primärtherapie orientiert sich an dem Typ der Blasenentleerungsstörung, die Sekundärtherapie an den therapeutischen Zielen (Tab. 4). Das therapeutische Vorgehen inklusive der Therapieeskalation sollte immer individuell angepasst werden.
Tab. 4
Typen der Detrusor- und Sphinkterdysfunktion, Ziele und primäre bzw. sekundäre Therapieoptionen
Typ
Primärstrategie
Primärtherapie
Sekundärstrategie
Sekundärtherapie
Therapieeskalation
Typ 1
Detrusor unteraktiv
Sphinkter unteraktiv
Blasenentleerung ↑
IK
Auslasswiderstand ↑
Duloxetin bei Erwachsenen?
Bulking agents?
FZP, AUS
+/− kontinente Vesikostomie/Mitrofanoff-Stoma
Typ 2
Detrusor unteraktiv
Sphinkter überaktiv
Blasenentleerung ↑
IK
  
Typ 3
Detrusor überaktiv
Sphinkter unteraktiv
Blasendruck ↓
Antimuskarinika
Blasenkapazität ↑
Auslasswiderstand ↑
Botulinum-A-Toxin – Detrusor
Blasenaugmentation
+/− FZP, AUS
Harnableitung
Typ 4
Detrusor überaktiv
Sphinkter überaktiv
Blasendruck ↓
Blasenentleerung ↑
Antimuskarinika
IK
Blasenkapazität ↑
Compliance ↑
Botulinum-A-Toxin – Detrusor
Blasenaugmentation
Sphinkter/Sphinkterotomie
Harnableitung
AUS „artificial urinary sphincter“, FZP Faszienzügelplastik, IC „intermittent catheterization“

Hochdruckblase (Überaktiver Detrusor/Low-Compliance-Blase)

Um das Risiko für die Nierenfunktion zu minimieren, sollte der Blasendruck auf Werte wesentlich unter 30–40 cm H2O gesenkt werden, hohe Spitzendrücke vermieden und die Blasenkapazität sowie die Compliance gesteigert werden.

Antimuskarinika

Antimuskarinika/Anticholinergika vermindern bzw. verhindern eine Detrusorüberaktivität und senken den Blasendruck. Bereits im Säuglingsalter besteht die initiale Therapie in der oralen Gabe von Antimuskarinika. Die größten Erfahrungen bei Kindern liegen für Oxybutynin und Propiverin vor. Nach Aufklärung der Eltern über den „off-label use“, können weitere Antimuskarinika zum Einsatz kommen (s. Übersicht). Bei bis zu 93 % der Patienten zeigt sich bei frühzeitigem Einsatz von Oxybutynin ein positiver Effekt auf den überaktiven Detrusor, allerdings treten hierbei Nebenwirkungen nicht selten auf. Kommt es bei oraler Gabe zu symptomatischen Nebenwirkungen, so kann Oxybutynin intravesikal verabreicht werden. Bei unzureichender oraler Wirkung kann die intravesikale und orale Verabreichung kombiniert und der Effekt gesteigert werden. Auch kann durch die Kombination zweier Antimuskarinika die Effektivität erhöht werden, ohne die Nebenwirkungsrate zu steigern. Bisher liegen allerdings nur Erfahrungen bei Erwachsenen vor.
Applikationsmöglichkeiten und Dosierung der einzelnen Antimuskarinika
Applikation
  • Oral (Oxybutynin, Propiverin, Darifenacin, Fesoterodin, Solifenacin, Tolterodin, Trospiumchlorid)
  • Intravesikal (Oxybutynin)
  • Transdermal (Oxybutynin)
Medikamente
  • Oxybutynin (bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr zugelassen, jedoch aufgrund der langjährigen Erfahrung kann ist ein Off-label-Einsatz ab dem 1. Lebensjahr üblich) Dosierung:
  • Kinder: 0,2–0,4 (intravesikal 0,7–0,9) mg/kg KG/Tag verteilt auf 3 Gaben
  • Erwachsene: 2-mal 2,5 mg bis 3-mal 5 mg (maximal auch 4-mal 5 mg, cave: Nebenwirkung)
  • Intravesikal bis 0,9 mg/kg KG/Tag
  • Transdermal (1,3–3,9 mg/Tag)
  • Propiverin (bei Kindern zugelassen) Dosierung: 0,4–0,8 mg/kg KG (12-stündlich)
  • Darifenacin (Bei Kindern bisher nicht zugelassen) Dosierung: 1-mal 7,5 mg bis max. 2-mal 7,5 mg/Tag
  • Fesoterodin (bei Kindern bisher nicht zugelassen) Dosierung: 4 mg bis max. 8 mg/Tag
  • Solifenacin (bei Kindern mit neurogener Blase nach dem 2ten LJ zugelassen) Dosierung: 1–10mg/Tag mg bis max. 10 mg/Tag
  • Tolterodin (bei Kindern bisher nicht zugelassen) Dosierung: bis zu 2-mal 2 mg oder 1-mal 4 mg ret./Tag
  • Trospiumchlorid (ab dem 12. Lebensjahr zugelassen) Dosierung: bis zu 3-mal 15 mg/Tag; Retardform bis zu 60 mg/Tag

ß3-Agonisten

ß3-Agonisten wie z. B. das Mirabegron stellen eine Alternative bei der Behandlung der neurogenen Überaktivität dar, da sie einen anderen Ansatzpunkt haben. Sie können z. B. auch in Kombination mit Antimuskarinka eingesetzt werden.

Alpha-Blocker

Selektive Alpha-Blocker können bei funktioneller subvesikaler Obstruktion z. B. bei überaktivem Sphinkter/Blasenhals zur Senkung des Leak point pressure (LPP) eingesetzt werden. Abgesehen vom Phenoxybenzamin sind bisher die selektiven Alpha-Blocker (z. B. Alfuzosin, Doxazosin oder Tamsulosin) bei Kindern mit neurogener Blase nicht zugelassen. Wird der LPP zu sehr gesenkt, kann es zur Inkontinenz kommen, sodass bei Patienten, die eine Kontinenz anstreben, der Einsatz der selektiven Alpha-Blocker kritisch gesehen werden muss. Bei Patienten mit hyperaktivem Detrusor und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie können Alpha-Blocker die Compliance der Blase verbessern, die Blasenkapazität steigern und den DLPP senken, allerdings deutlich geringer als die Antimuskarinika.

Urethradilatation

Ist die konservative Therapie zur Reduktion des intravesikalen Druckes (LPP weiterhin >40 cm H2O) nicht ausreichend, kann bei Kindern unter 6 Jahren in ausgewählten Fällen die Urethradilatation als vorübergehende Lösung erwogen werden. Der Stellenwert der Urethradilatation kann aufgrund der geringen Fallzahlen in der Literatur derzeit nicht beurteilt werden.

Clostridium-botulinum-Toxin Typ A

Bei unzureichender Wirkung der konservativen Therapie bzw. bei ausgeprägten Nebenwirkungen der anticholinergen Therapie sollte als nächster Schritt die Injektion von Clostridium-botulinum-Toxin Typ A in den Detrusor erwogen werden. Nach der Bestimmung der anatomischen Blasenkapazität in Narkose erfolgen systematisch verteilte Injektionen von je 10 IE Botox (10–12 IE/kg KG bis max. 300 IE Botox) in den Detrusor. Bisher ist Clostridium-botulinum-Toxin Typ A für diese Indikation bei Kindern nicht zugelassen, es liegen jedoch etliche Berichte über die gute Wirksamkeit bei Kindern vor, wobei in den meisten Serien bei Kindern das Trigonum ausgespart wurde. Die Injektion von Clostridium-botulinum-Toxin Typ A in den Sphinkter bei Kindern mit neurogener Blase kann derzeit nicht beurteilt werden, da die publizierten Serien bisher nur Kinder mit nichtneurogener Detrusor-Sphinkter-Dysfunktion betreffen.

Blasenentleerung

Die Blasenentleerung sollte übereinkunftsgemäß unter aseptischen (keimfreien) Bedingungen erfolgen. Bei Patienten mit MMC kann in der täglichen Praxis die Sterilität des Eingriffs nur selten sichergestellt werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Patienten mit neurogener Blase aufgrund der MMC sich deutlich von Patienten mit neurogener Blase aufgrund einer traumatischen Querschnittlähmung unterscheiden. Letztere werden erst später im Leben mit dem Katheterismus konfrontiert, während bei Kindern mit MMC schon im Säuglings- bzw. Kleinkindesalter mit dem intermittierenden Katheterismus (IK) begonnen wird. In dieser Patientengruppe stellt der hygienische (saubere) intermittierende Katheterismus (CIC, „clean intermittent catheterization“) eine praktikable Alternative zum sterilen (aseptischen) Katheterismus dar. Der ISK, auch als sauberer intermittierender Katheterismus bezeichnet (SIK), kann durch den Patienten selbst als CISC („clean intermittent self-catheterization“ bzw. ISK: intermittierender Selbstkatheterismus) erfolgen oder durch Fremdpersonen. Die Einlage eines nächtlichen Dauerkatheters (sog. Nachtkatheter) verhindert in der zweiten Nachthälfte den Druckanstieg und hat sich auch zur Vermeidung von aufsteigenden Infektionen bewährt. Die dauerhafte Anlage eines transurethralen Dauerkatheters oder eines suprapubischen Katheters ist nur in Ausnahmefällen indiziert; z. B. wenn der IK aus anatomischen Gründen nicht durchführbar oder eine Harnableitung nicht möglich oder sinnvoll ist. Die Blasenentleerung mittels Crédé- oder Valsalva-Manöver ist obsolet.
Insbesondere bei der Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) hat sich der frühestmögliche Beginn des IK in Kombination mit der Gabe eines Antimuskarinikums bewährt. Hierdurch kann in der Hochrisikogruppe die Notwendigkeit einer späteren Blasenaugmentation um bis zu 50 % reduziert werden. Da >90 % der Patienten mit MMC im Laufe des Lebens einen IK durchführen müssen, stellt die frühe Initiierung einen weiteren Vorteil dar. Die frühe Gewöhnung der Eltern und der Kinder an den IK baut die Ängste bezüglich des Katheterismus schnell ab und erleichtert die Durchführung von Kontrollurodynamiken. Die Urotherapie (alle nicht chirurgischen und nicht pharmakologischen Behandlungsverfahren bei Harninkontinenz) ist hierbei ein wertvoller Bestandteil des therapeutischen Prozesses und beinhaltet bei der Betreuung der Patienten mit MMC Anleitungen zum IK, die Anwendung von Arzneimitteln (z. B. Antimuskarinika), aber auch zur Darmentleerung (sog. „bowel management“).
Die Inzidenz von Harnwegsinfektionen ist bei hygienisch und aseptisch (teils auch als steriler Katheterismus bezeichnet) zu Hause durchgeführtem Katheterismus identisch. Essenziell ist hierbei das adäquate Training von Mutter und Vater sowie weiterer Angehöriger und Betreuer. Die Akzeptanz und die Compliance wird durch die Anbindung der Patienten und ihrer Angehörigen an eine Einrichtung mit kompetenter Betreuung gefördert. Ängste bezüglich der Durchführung des ISK und Sorgen um die Gefährdung des sozialen Kontakts zu Gleichaltrigen können dadurch abgebaut werden. Der ISK ist bei ausreichender manueller Geschicklichkeit und intellektueller Fähigkeit ca. ab dem 6. Lebensjahr anzustreben. Vorher erfolgt der IK durch Eltern, Angehörige bzw. Betreuer.
Komplikationen sind beim IK relativ selten. In einer Langzeitstudie wurde eine Urethraläsion pro 49 Jahre IK. beobachtet. Eine Via falsa wurde in bis zu 14 %, eine Epididymitis bzw. Urethrastriktur bei Männern in bis zu 4 % und Prostatitiden nur vereinzelt beobachtet. Die asymptomatische Bakteriurie beim IK stellt keinen zusätzlichen Risikofaktor dar und bedarf keiner antibiotischen Therapie, wenn keine assoziierten Anomalien des oberen Harntaktes (Reflux, Harntransportstörung) vorliegen.

Blasenaugmentation/Blasensubstitution

Kann durch die konservative Therapie inklusive der Gabe von Clostridium-botulinum-Toxin Typ A keine Drucksenkung erzielt werden, ist die Blasenaugmentation bei der überaktiven und/oder Low-Compliance-Blase mit unauffälligem oberem Harntrakt indiziert. Zur Augmentation können Dünndarm- und/oder Dickdarmsegmente verwendet werden. Eine altersentsprechende Nierenfunktion ist Voraussetzung (Ausnahme ist die Augmentation vor geplanter Nierentransplantation).
Bei der Autoaugmentation (Myotomie) ist die fehlende Inkorporation von Darmsegmenten mit den dadurch möglichen metabolischen Folgen theoretisch von Vorteil, sie kann aber derzeit aufgrund der vorwiegend negativen Langzeitergebnisse nicht empfohlen werden. Ebenso versucht die seromuskuläre Kolozystoplastik die metabolischen Folgen zu vermindern, aber nur ca. 40 % der Patienten konnten langfristig die Anticholinergika absetzen. Eine vergleichende Studie zeigte keinen Vorteil der seromuskulären Kolozystoplastik gegenüber den konventionellen Methoden. Ein stark dilatierter Ureter kann bei der seltenen Kombination einer Low-Compliance-Blase mit einer funktionslosen Niere zur Augmentation der Blase im Sinne einer Ureterozystoplastik verwendet werden.
Die Blasensubstitution (Blasenersatz nach subtotaler Blasenresektion) mit gleichzeitiger Ureterreimplantation kann bei hochgradigem Reflux und/oder einer signifikanten Stauung des oberen Harntraktes aufgrund der neurogenen Blase indiziert sein.
Bei der Indikationsstellung zur Augmentation sind revisionsbedürftige Komplikationsraten von bis zu 40 % im Langzeitverlauf zu berücksichtigen. Das Risiko einer persistierenden Harninkontinenz nach alleiniger Blasenaugmentation kann auch bei sorgfältiger Patientenselektion, d. h. klinischem und urodynamischem Ausschluss einer Belastungsinkontinenz, nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Bei inkompetentem Sphinktermechanismus können die Anlage eines artifiziellen Sphinkters, einer Faszienzügelplastik oder Blasenhalsplastik, alternativ der Blasenhalsverschluss mit Anlage eines kontinenten kutanen Stomas erwogen werden. Suburethrale Bänder sollten erst nach Abschluss des Längenwachstums zum Einsatz kommen, wobei deren Einsatz bei Patienten mit neurogener Blase und regelmäßigen IK sehr kritisch zu sehen ist. Bei Kindern liegen bisher keine ausreichenden Erfahrungen vor; einzelne kleine Serien bei erwachsenen Frauen weisen auf diese Option hin. Transobturatorische Bänder zeigten bei Frauen mit einer Para- bzw. Tetraplegie eine Verbesserung der Situation nur in 3 von 9 Fällen. Blasensteine stellen eine typische Komplikation bei 10–52 % der Patienten nach Blasenaugmentation dar. Durch regelmäßige Irrigation der augmentierten Blase (mit physiologischer Kochsalzlösung oder ggf. auch Wasser) kann die Inzidenz der Blasensteinbildung deutlich verringert werden. Die Blasenperforation ist eine der schwerwiegenden Komplikationen. Bei eingeschränkter bzw. fehlender Sensitivität der unteren Körperhälfte bei Patienten mit einer MMC können die Symptome einer Blasenperforation und Peritonitis larviert sein. Deswegen müssen Patienten und Eltern über die Möglichkeit dieser Komplikation und deren Symptome informiert werden. Das CT mit Kontrastmittelfüllung der Blase ist bei Verdacht auf eine Perforation das Diagnostikum der Wahl.
Für die an den Rollstuhl gebundenen und dann auch oft adipösen Patienten ist der transurethral durchgeführte IK der Blase u. U. problematisch und der Katheterismus durch ein kontinentes umbilikales Stoma stellt eine deutliche Erleichterung im täglichen Leben dieser Patienten dar. Hierüber kann dann entweder die Blase (kontinente Vesikostomie) oder ein heterotoper Pouch entleert werden. Bei >90 % der Patienten ist das Stoma kontinent; die Rate der Stomakomplikationen ist jedoch nicht unerheblich – in einigen Serien >25 %. Shuntinfektionen und/oder die Bildung von Liquorpseudozysten bei Patienten mit einem ventrikuloperitonealen Shunt (VP-Shunt) sind im Rahmen der Rekonstruktion des unteren Harntraktes unter der Verwendung von Darm selten (<2 %), und der VP-Shunt stellt keine Kontraindikation zur operativen Versorgung dieser Patienten dar.

Harnableitung

Ist der transurethrale ISK aufgrund anatomischer Verhältnisse nicht möglich und erscheint gleichzeitig der Erhalt der Blase aufgrund eines irreparablen Sphinkterdefizits und/oder fibrotischen Umbaus der Blase nicht sinnvoll, so sollte den Patienten die Anlage einer kontinenten kutanen Harnableitung mit einer Kontinenzrate von >95 % angeboten werden. In einem nicht zu vernachlässigenden Prozentsatz können Komplikationen (z. B. Stomastenose, Steinbildung, Ureterstenose) auftreten. Patienten und Eltern bedürfen der umfassenden Information. Der orthopädische und neurologische Status des Patienten und dessen potenzielle Veränderungen im Laufe der Zeit müssen bei der Wahl der Harnableitung mitberücksichtigt werden. Adipositas und eine meist ausgeprägte Kyphoskoliose können weitere Probleme dieser Patientengruppe darstellen.
Bei Patienten, welche aufgrund ihrer neurologischen Situation (mentale Retardierung/feinmotorische Störungen) nicht in der Lage sind, sich regelmäßig selbstständig zu katheterisieren, bzw. bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz sollte die Anlage einer inkontinenten Form der Harnableitung, z. B. die eines Conduits, diskutiert werden. Ähnliches gilt für Patienten, die eine dringende Indikation zur Harnableitung haben und deren Compliance nicht gewährleistet ist. Insbesondere bei Kindern sollte das Colon-Conduit mit einer Komplikationsrate von bis zu 33 % im Langzeitverlauf dem Ileum-Conduit mit Komplikationsraten von bis zu 86 % sowohl als temporäre als auch für die permanente inkontinente Harnableitung bevorzugt werden.
Die temporäre Anlage einer inkontinenten Vesikostomie kann bei Kleinkindern (insbesondere bei Knaben), bei denen die Durchführung des IK problematisch ist, erwogen werden, insbesondere dann, wenn ein dilatierter oberer Harntrakt vorliegt. Hierbei hat sich die Technik nach Blocksum bewährt, deren späterer Verschluss unkompliziert ist.

Niederdruckblase (unteraktiver Detrusor)

Solange der intravesikale Druck niedrig, die Kapazität altersentsprechend und die Compliance unauffällig sind, bedarf die Niederdruckblase bis auf die Entleerung mittels IK keinerlei spezifischer Therapie. Besteht gleichzeitig eine Sphinkterinkompetenz, sollte dies therapiert werden.

Sphinkterinkompetenz (bei Niederdrucksituation)

Bei der Therapieplanung kann ein Problem entstehen, wenn Patienten Inkontinenzepisoden verschweigen. Neben der ausführlichen Anamnese ist für die erfolgreiche Therapie der Harninkontinenz bei Sphinkterinkompetenz eine Niederdrucksituation der Blase mit ausreichender Blasenkapazität essenziell (u. U. muss diese medikamentös oder operativ hergestellt werden). Nach der operativen Erhöhung des Blasenauslasswiderstands sind engmaschige Kontrollen zwingend, da die Entstehung einer sekundären Hochdruckblase bei Erhöhung des infravesikalen Widerstands möglich ist. Insbesondere nach Anlage eines artifiziellen Sphinkters oder einer Blasenhalsplastik kann die häufig notwendige Blasenentleerung mittels IK erschwert sein. Auch hier gelten Valsalva-Manöver und Crèdè-Handgriff als obsolet.
Wird keine operative Therapie gewünscht, können latexfreie Kondomurinale beim Mann als provisorische Lösung fungieren. Auf eine entsprechende Hygiene und adäquate Anpassung (Druckstellen) muss geachtet werden.

Bulking agents

Injektionen von sog. Bulking agents (Kollagen, Silikonpartikel, Dextranomer/Hyaluronsäure, Polyacrylat/Polyalcohol Polymer) haben sich mittelfristig nicht bewährt und können derzeit für Kinder und Jugendliche nicht empfohlen werden. Auch bei Erwachsenen mit neurogener Sphinkterinkompetenz sollten andere Verfahren bevorzugt werden.

Faszienzügelplastik und artifizieller Sphinkter

Die Kontinenzraten können durch die Verwendung einer Faszienzügelplastik oder die Implantation eines artifiziellen Sphinkters – auch in Verbindung mit oder nach einer Blasenaugmentation durchgeführt – deutlich verbessern. Bei selektionierten Patienten mit normaler Compliance und Kapazität der Blase sowie der Fähigkeit zur Bedienung des Sphinktermechanismus können durch die Implantation eines artifiziellen Sphinkters (z. B. AMS 800) Kontinenzraten von 70–90 % erzielt werden. Bei Knaben sollte die Manschette um den Blasenhals gelegt werden, da die Anlage um die bulbäre Harnröhre ein deutlich höheres Risiko der Erosion beim IK beinhaltet. Bei Mädchen wird die Manschette ebenfalls um den Blasenhals gelegt. Die Indikation muss bei Kindern zurückhaltend gestellt werden, da die Revisionsraten in einzelnen Serien mit entsprechend langer Nachbeobachtungszeit nahezu 100 % erreichen. Nach Anlage eines artifiziellen Sphinkters kann es zu gravierenden Veränderungen des Blasentyps kommen – eine zuvor areflexive Blase kann überaktiv mit all den daraus resultierenden Folgen für den oberen Harntrakt werden.
Die Faszienzügelplastik kann sowohl bei Mädchen als auch bei Knaben durchgeführt werden, wobei die Operation bei Knaben deutlich schwieriger ist. Die Erektionsfähigkeit blieb in den meisten Serien jedoch erhalten. Der IK ist postoperativ bei den meisten MMC-Patienten unabdingbar.

Blasenhalsplastik

Häufig müssen die zur Verfügung stehenden Verfahren der Blasenhalsplastik mit einer Augmentation der Blase kombiniert werden. Die Reoperationsraten betragen bis zu 20–30 % und Probleme bei IK treten in 20–40 % der Fälle auf. Kontinenzraten von bis zu 70–90 % können erreicht werden, wobei teilweise aufgrund von Schwierigkeiten beim transurethralen IK ein kontinentes kutanes Stoma angelegt werden musste. Bei einigen Techniken (z. B. bei der von Pippi-Salle) müssen Ureteren reimplantiert werden. Zusammenfassend kann die Verlängerung der Urethra und die dadurch bedingte Erhöhung des Auslasswiderstands bei ausgewählten Patienten eine Alternative zum AUS bzw. Blasenhalsverschluss darstellen.

Reflux

Bis zu 30 % der Neugeborenen mit MMC haben einen, in der Regel sekundären, vesikorenalen Reflux, welcher nach Senkung der intravesikalen Drücke (medikamentös oder operativ) und Initiierung des IK in mehr als 50 % sistiert. Abhängigkeit von rezidivierenden Infektionen, Dauer und Grad des Refluxes kann es jedoch zu einer fortschreitenden Einschränkung der Nierenfunktion kommen. In diesen Fällen der Refluxpersistenz und bei hochgradigem, symptomatischem Reflux sollte (z. B. im Rahmen der Blasenaugmentation/-substitution) eine Ureterreimplantation erfolgen. Die Erfolgsrate der endoskopischen Refluxkorrektur mittels Unterspritzung des Ostiums bei Patienten mit neurogener Blase sind deutlich schlechter als bei Patienten mit einem primären vesikorenalen Reflux.

Antibakterielle Prophylaxe

Neuere Studien zeigten, dass eine generelle antibakterielle Prophylaxe nicht zur wesentlichen Reduktion des Risikos für fieberhafte Harnwegsinfektionen führt. Insbesondere Jungen, Kinder mit lediglich afebrilen HWI-Rezidiven und solche ohne vesikorenalen Reflux (VUR) profitieren nicht davon. Andererseits stellen eine verminderte Blasencompliance, ein vesikorenaler Reflux und Detrusorhyperaktivität bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung Risikofaktoren für die Entwicklung einer Pyelonephritis dar. Rezidivierende Pyelonephritiden und hochgradiger VUR stellen jedoch nach wie vor eine Indikation für die antibakterielle Prophylaxe dar. Weiterhin sollte eine Infektionsprophylaxe in den ersten Lebensmonaten während des Erlernens des IK durch Eltern und Betreuungspersonen erwogen werden. Heutzutage werden Nitrofurantoin und Trimethoprim zur Infektionsprophylaxe eingesetzt, wobei das Resistenzmuster des die letzte symptomatische HWI verursachenden Keims bekannt und entsprechend berücksichtig werden sollte.
Zusätzlich müssen alle prädisponierenden Faktoren wie Obstipation, Restharnbildung, hygienische Probleme beim IK, nicht adäquat therapierte Blasenfunktionsstörung beseitigt werden. So führt z. B. regelmäßige retro- oder antegrade Darmirrigation zu einer Reduktion der Infektionshäufigkeiten. Eine unzureichende Behandlung der Blasenfunktionsstörung muss mittels videourodynamischer Verlaufskontrolle ausgeschlossen bzw. falls vorhanden, entsprechend therapiert werden.
Cranberry-Saft oder -Kapseln (Preiselbeerextrakt aus Vaccinium macrocarpon) mit einer relativ hohen Konzentration von Proanthocyanidin (PAC 37 %) bewirken u. a. eine Adhärenzhemmung uropathogener Escherichia coli am Uroepithel und zeigen in einigen Studien eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirksamkeit. Für evidenzbasierte Empfehlungen ist die Studienlage allerdings derzeit noch zu schwach.
Weiterhin wirkt die Erniedrigung des Urin-pH bakteriostatisch, insbesondere bei gramnegativen Erregern. Einige antibakterielle Substanzen entfalten ihr Wirkungsoptimum bei pH-Werten zwischen 5 und 6 wie z. B. Aminopenicilline, Nitrofurantoin, Trimethoprim. So kann es in ausgewählten Situationen insbesondre bei der Gabe von Nitrofurantoin oder Trimethoprim sinnvoll sein, die Behandlung durch urinansäuernde Maßnahmen zu optimieren. L-Methionin ist die einzige essenzielle Aminosäure, die Schwefel enthält. Bei ihrem Abbau zu Schwefelwasserstoff und Schwefelsäure werden H-Ionen frei, die zur Ansäuerung des Urins führen. Ammoniumchlorid (Extin) oder hohe Dosen von Ascorbinsäure (Vitamin C, allerdings keine Brausetabletten, da diese Bicarbonat enthalten) können ebenfalls zur Harnansäuerung angewandt werden.

Zusammenfassung

  • Verschluss der Neuralrinne zum Neuralrohr zwischen dem 16. und 20. Schwangerschaftstag.
  • Verschiedene Ausprägungen der dysraphischen Entwicklungsstörungen: von der Spina bifida occulta über Spina bifida apertus bis hin zur totalen Kraniorhachischisis.
  • Unterscheidung in 4 Typen der Detrusor-Sphinkter-Dysfunktion, wobei sich der Typ der neurogenen Blasenfunktionsstörung jederzeit ändern kann.
  • Frühzeitiger Einsatz der kindgerechten urodynamischen Funktionsdiagnostik und konsequente regelmäßige Verlaufskontrollen sind obligat.
  • Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärstrategien.
  • Therapieziele in der medizinischen Priorität sind: Protektion bzw. Verbesserung der Nierenfunktion, Optimierung der Blasenentleerung und Therapie der Harninkontinenz.
  • Typ 1 – Detrusor unteraktiv/Sphinkter unteraktiv: primär CIC und sekundär Erhöhung des Auslasswiderstands.
  • Typ 2 – Detrusor unteraktiv/Sphinkter überaktiv: Blasenentleerung mittels IK.
  • Typ 3 – Detrusor überaktiv/Sphinkter unteraktiv: primär Antimuskarinika (ggf. + IK) und sekundär Steigerung der Blasenkapazität und -compliance sowie Erhöhung des Auslasswiderstands.
  • Typ 4 – Detrusor überaktiv/Sphinkter überaktiv (häufigster Typ): primär Antimuskarinika und IK, sekundär Steigerung der Blasenkapazität und Blasencompliance.
  • Vesikorenaler Reflux meist sekundär: antibakterielle Prophylaxe, ebenso bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen.
  • Patienten mit spinaler Dysraphie bedürfen der lebenslangen Nachsorge.