Definition
Der Begriff „Prune-Belly-Syndrom“ (PBS) bezeichnet eine Symptomentrias, die von Lungen- und Herz-Kreislauf-Missbildungen sowie von orthopädischen und gastrointestinalen Anomalien begleitet sein kann. Eine Aplasie oder Hypoplasie der Bauchwandmuskulatur gibt dem Abdomen der betroffenen Kinder ein Aussehen, das an eine runzlige, getrocknete Pflaume erinnert. Bilateraler Kryptorchismus und ein fehlgebildeter Harntrakt mit dilatierten Ureteren, Megazystis und dilatierter prostatischer Urethra vervollständigen die klassische Trias.
Erscheinungsformen
Das PBS weist eine Vielzahl von Erscheinungsformen auf. Bei einigen Kindern ist die Erkrankung so erheblich, dass die Nierenentwicklung in utero gestört ist und Oligohydramnion mit folgender Lungenhypoplasie und schließlich Abort oder Totgeburt daraus resultieren. In vielen Fällen bestehen ausgeprägte morphologische Veränderungen des ableitenden Harntraktes ohne Nierenfunktionsstörung, und diese Kinder können ohne einschneidende therapeutische Maßnahmen aufwachsen.
Einige Patienten haben die typischen radiologischen Zeichen im Bereich des Harntraktes ohne begleitenden Kryptorchismus oder ohne ausgeprägte Bauchwandanomalie. Bei weiblichen Neugeborenen findet sich gelegentlich eine Aplasie der Abdominalmuskulatur in Kombination mit Harntraktanomalien
(Reinberg et al.
1991). Alle diese Fälle, in denen nur zwei von den drei klassischerweise betroffenen Systemen involviert sind, werden als „Pseudoprune
“ bezeichnet.
Epidemiologie
Die Inzidenz des PBS wird mit 1 auf 35.000 bis 1 auf 50.000 Lebendgeborene angegeben und liegt damit etwa gleich hoch wie die der
Blasenekstrophie. In Anbetracht des unterschiedlich stark ausgeprägten Erscheinungsbildes können diese Werte nur Schätzungen sein. Etwa 5 % der Betroffenen sind Mädchen.
Es bestehen Hinweise auf genetische Disposition. So wurde in einigen Fällen eine Mutation des HNF1 Gens gefunden (Granberg et al.
2012). Mehrere Autoren berichten über das familiär gehäufte Auftreten des PBS sowie beschreiben die Assoziation von PBS mit
Trisomie 21 und 18, sahen zwei Geschwister mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom und Prune-Belly-Syndrom. Obwohl dies Einzelfälle sind, sollten Eltern über das Risiko des wiederholten Auftretens aufgeklärt werden und
Chromosomenanalysen bei PBS-Patienten durchgeführt werden.
Die Inzidenz von Zwillingsschwangerschaften ist bei PBS deutlich erhöht (1:23 für PBS, 1:80 für normale Zwillingsschwangerschaft). In der Mehrzahl der Fälle waren die Zwillingsgeschwister für PBS diskordant, und dies spricht gegen eine genetische Ätiologie. Die Ursache mag in solchen Fällen in der ungleichen Verteilung des Mesenchyms zu einem kritischen Zeitpunkt in der frühen Embryogenese zu suchen sein.
Diagnostik
Ein Neugeborenes mit schlaffer Abdominalwand und beidseitigem Kryptorchisrnus sollte unter der Verdachtsdiagnose Prune-Belly-Syndrom auf Harntraktfehlbildungen hin untersucht werden. Die sorgfältige Palpation des Abdomens erlaubt typischerweise den Nachweis von Megaureteren und großer Harnblase, die Nierengröße kann evaluiert werden. Laboruntersuchungen sollten Serumelektrolyte, Harnstoff- und Kreatininwerte erfassen, ein Harnstatus und eine
Urinkultur sollten zunächst ohne Instrumentation gewonnen werden.
Das Ausscheidungsurograrnm ist in der Erstdiagnostik vollkommen zugunsten einer Ultraschalluntersuchung vor und nach Miktion sowie einer nuklearmedizinischen Erfassung der Nierenfunktion verlassen worden. Das Miktionszystourethrogramm hat keinen Platz in der notfallmäßigen Diagnostik, es sollte, wenn überhaupt, nur unter völlig sterilen Bedingungen und nach Beginn einer antibiotischen Therapie durchgeführt werden. Eine iatrogene Infektion der dilatierten Hohlsysteme ist unbedingt zu vermeiden.
Therapie
Die in den frühen 50er-Jahren institutionalisierte sofortige Harnableitung geht von dem Konzept aus, dass die massive Dilatation des Harntraktes die Folge einer Obstruktion ist und dass der massive Reflux und die unvollständige Blasenentleerung zu zunehmender Nierenfunktionsstörung führen. Unserer Beobachtung nach ist die Dilatation des Harntraktes beim PBS nicht obstruktiv, der Reflux per se ohne Infektion führt nicht zu einer Nierenschädigung. Ein frühzeitiges Eingreifen in Form einer Harnableitung gefährdet unserer Ansicht nach das Gleichgewicht innerhalb des dilatierten Harntraktes, sodass in der Folge eine Rekonstruktion unvermeidbar wird. Wir geben diesen Kindern eine prophylaktische Antibiose und beobachten sie sorgfältig, in den ersten Lebenstagen sollten sich die Serumelektrolyte und harnpflichtigen Substanzen stabilisieren. Die Spontanmiktion wird beobachtet, falls nötig, wird die Blasenentleerung durch Blasenmassage unterstützt. Eine intermittierende Katheterisierung sollte unbedingt vermieden werden, falls nötig, ziehen wir die operative Anlage einer kutanen Vesikostomie vor. Eine hohe Ableitung ist nur sehr selten nötig. Kutane Ureterostomien sollten vermieden werden, da der obere Harnleiter in der Regel am wenigsten geschädigt ist und für später eventuell notwendige rekonstruktive Eingriffe geschont werden sollte. Eine Pyelostomie als hohe Harnableitung wäre vorzuziehen, wenn alle anderen Maßnahmen versagen.
Diejenigen, die für eine ausgedehnte, chirurgische Intervention in der neonatalen Periode plädieren, empfehlen dieses Vorgehen bei Patienten mit mäßiggradiger bis geringer Ausbildung der Harntraktveränderungen. Sie empfehlen die Exzision des distalen Ureters mit Modellage und Reimplantation der oberen, geringer betroffenen Ureteranteile in die Blase sowie zusätzliche Blasenreduktionsplastiken. Die Hoden werden ins Skrotum gebracht und pexiert. Die Resultate solchen extensiven Vorgehens weisen eine befriedigende Verbesserung der urographischen Morphologie auf. Für diese Patienten ist jedoch nicht das Ausmaß der Harntraktdilatation, sondern das Maß an renaler Dysplasie prognostisch entscheidend.
Wir schlagen in den meisten Fällen ein konservatives beobachtendes Verhalten vor. Dies beruht zum einen auf der Überzeugung, dass die Dilatation des Harntraktes bei PBS nicht auf Obstruktion beruht, wie dies bei hinteren Harnröhrenklappen der Fall ist. Hier liegt vielmehr ein angeborenes Fehlen von glatter Muskulatur in Nierenbecken, Harnleitern und Blase vor, das eine enorme Erweiterung des harnableitenden Systems erlaubt, aber in keiner Weise von einem pathophysiologisch bedeutsamen Druckanstieg begleitet ist. Sicherlich ist es verlockend, bei diesen Kindern mit ihren unter der dünnen Bauchwand leicht tastbaren Hohlsystemen den Harnabfluss durch einen chirurgischen Eingriff zu erleichtern. Man sollte dabei jedoch bedenken, dass technische Probleme infolge der Operation oder iatrogene Keimbesiedlung die oft schon ohnehin eingeschränkte Nierenfunktion zerstören können.