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Die Urologie
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Publiziert am: 13.12.2022

Rehabilitation bei Prostatitis

Verfasst von: Winfried Vahlensieck und Dirk-Henrik Zermann
Die Therapieerfolgsrate insbesondere bei der chronischen Prostatitis ist relativ gering. Außerdem treten häufig Rezidive auf. Hier bietet die multimodale, fachspezifische, stationäre urologische Rehabilitation die Möglichkeit, chronische Beschwerden zu lindern oder zu beseitigen. Eine Verringerung des Rezidivrisikos ist bisher zwar nicht wissenschaftlich belegt, jedoch zu erwarten.

Allgemeines

Etwa 30 % der 20- bis 40-jährigen Männer haben Symptome einer Prostatitis. Die lebenslange Prävalenz der chronischen Prostatitis (CP) liegt zwischen 2 und 16 %. Insbesondere bei den chronischen Verläufen tritt eine psychische Belastung wie bei Herzinfarkt, Angina pectoris oder Morbus Crohn auf. Von den Symptomen steht für die Patienten der Schmerz im Vordergrund. 8–44 % der Patienten mit chronischer Prostatitis sind impotent.
Die Prostatitis wird nach dem National Institute of Health (NIH) aktuell in 4 Stadien eingeteilt (Bschleipfer und Karl 2020; Holt et al. 2016; Übersicht bei Vahlensieck 2004a, b, c; Vahlensieck et al. 2013):
I
akute bakterielle Prostatitis
II
chronische bakterielle Prostatitis
IIIa
chronische abakterielle Prostatitis
IIIb
chronisches Beckenschmerzsyndrom
IV
asymptomatische Prostatitis
Prostatitispatienten haben bei lang anhaltender Nachsorge bis zu 41 % Rezidive (Naber et al. 2000).

Indikationen zur Rehabilitation

Bei nicht erfolgreich antibiotisch zu therapierender chronisch bakterieller Prostatitis (NIH II), bei abakterieller Prostatitis (NIH IIIa) und bei chronischem Beckenschmerzssyndrom und Prostatakongestion (NIH IIIb) kann eine stationäre Rehabilitation mit einer Kombinationsbehandlung möglicherweise die Rezidivrate senken bzw. die Beschwerden verringern (Vahlensieck 2004c; Kramer et al. 1990).

Diagnostik

Aufgrund einer möglichen Obstruktion oder eines Prostatakarzinoms sollte bei jedem Patienten mit CP in der Rehabilitation neben Anamnese, körperlicher Untersuchung und 2-Gläser-Probe IPSS (internationaler Prostatasymptomscore), Schmerzmessbogen, Messung des prostatspezifischen Antigens (PSA), Uroflowmetrie und Restharnbestimmung durchgeführt werden. Bei trotz medikamentöser Behandlung persistierenden Beschwerden sollten Miktionszystourethrographie, Urodynamik und Endoskopie angeschlossen werden.
Außerdem müssen andere Erkrankungen, allen voran ein Prostata- oder Harnblasenkarzinom ausgeschlossen werden. Diese Untersuchungsmöglichkeiten müssen alle von der stationären Rehabilitation vorgehalten werden.
Zwar wurden bei verschiedenen Untersuchungen Veränderungen verschiedener Entzündungsparameter im Exprimat oder Ejakulat beobachtet. Systematische Vergleichsuntersuchungen zu Leukozytenzahl und Klinik fehlen in der Regel, sodass diese Methoden (noch) nicht für die klinische Routine empfohlen werden.
Bei den Erregern der chronisch bakteriellen Prostatitis stehen gramnegative Keime im Vordergrund. Eine Tuberkulose findet sich in ca. 1 % der Fälle (Bschleipfer und Karl 2020; Übersicht bei Vahlensieck 2004a, b, c; Vahlensieck et al. 2013).
Verfahren zur Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf Prostatitis (Magistro et al. 2020)
  • Obligate Maßnahmen:
    • Anamnese
    • Symptomfragebogen/Schmerzscores (NIH-CPSI, IPSS, IIEF-5, SHIM, GAD-7, PHQ-2, PHQ-9, HADS, pain detect, VAS)
    • Digital-rektale Palpation, Untersuchung von Abdomen, Genitale und Perineum
    • PSA
    • 2-(oder 4-)Gläser-Probe
    • Uroflowmetrie
    • Ultraschall: Restharn
  • Weiterführende Diagnostik (Diagnose unklar; persistierende Beschwerden; Ausschluss von Tumoren, interstitieller Zystitis und Darmerkrankungen):
    • Ultraschall: Abdomen
    • Transrektaler Ultraschall (TRUS)
    • modifizierter Kaliumchloridtest nach Riedl
    • 3-mal Guajak-Test (z. B. Hämoccult)
    • Ausscheidungsurogramm
    • Urethrogramm, Miktionszystourethrogramm (MCU)
    • Urethrozystoskopie
    • Urodynamik
    • NMP22-Test oder Urinzytologie (extern)
    • MRT Becken oder CT (extern)
    • Proktoskopie/Rektoskopie (extern)
    • Prostatabiopsie (extern)
    • Harnblasen-Probeexzision (extern)

Therapie

Rehabilitationsziele
1.
Verringerung der chronischen Morbidität durch laufend akut wiederkehrende Schmerzen der Patienten, sexuelle Probleme, häufige Arztbesuche und Arbeitsunfähigkeit
 
2.
Normalisierung der Miktion
 
3.
Psychologische Stabilisierung und Verbesserung der zentralen Schmerzverarbeitung
 
4.
Verbesserung der körpereigenen Immunabwehr und Verringerung der Rezidivrate
 
5.
Wiederherstellung einer alltagsentsprechenden Belastbarkeit sowie eines guten Allgemein- und Trainingszustandes
 

Maßnahmen und Anwendungen

Generell ist durch einen multimodalen Therapieansatz ein besserer Therapieerfolg zu erwarten (Magistro et al. 2020). Zur Differenzierung der Therapie kann die UPOINTS-Klassifikation (Urin (Miktionsbeschwerden) – psychosozial – organspezifisch – Infektionen – neurologisch/systemisch- Tenderness (Muskelverspannungen) – sexuelle Dysfunktionen) herangezogen werden (Bschleipfer und Karl 2020; Holt et al. 2016; Magistro et al. 2020).
Medikation
Während der Rehabilitation wird die Therapie bei Bedarf und je nach Indikation um bisher noch nicht erprobte, bei Prostatitis potenziell wirksame Medikamente wie Antibiotika, 5-α-Reduktasehemmer, Alphablocker, Quercetin, Pollstimol®, Gabapentin, Pregabalin, Phosphodiesterase-5-Hemmer, trizyklische Antidepressiva oder Serotoninwiederaufnahmehemmer ergänzt (Holt et al. 2016; Magistro et al. 2020; Vahlensieck et al. 2013).
Ernährung und Trinken
Eine Ernährung mit reichlich Gemüse, Beerenobst, Joghurt mit lebenden Kulturen und wenig tierischen Fetten verringert die Häufigkeit von rezidivierenden Zystitiden der Frau und möglicherweise auch die der CP (Kontiokari et al. 2003).
Kalzium-Magnesium-Hydrogencarbonat-Säuerlinge hemmen die Bildung pathologischer Mukoproteine und verringern eine Leukozyturie. Eine Schleimhautschwellung wird reduziert und die Wirkung von Antibiotika bei chronischen Entzündungen verbessert sich (Gutenbrunner und Schultheis 1995; Leskovar 1976; Übelhör 1957). Darüber hinaus erfolgt durch die Erhöhung der Trinkmenge eine Stuhlregulation als wichtiger Begleitfaktor zur Beseitigung der prostatitischen Beschwerden (Baumüller et al. 1983).
Schmerztherapie
Falls die Schmerzen bei der Prostatitis im Vordergrund stehen, erfolgt eine multimodale Schmerztherapie mit Analgetika, Balneo- und Physiotherapie sowie psychologischer Betreuung.
Wärmepackungen
Wärmepackungen geben ihre Wärme über Konduktion an den Körper ab. Durch Gegenregulationsmechanismen wird keine tiefe Gewebserwärmung erreicht. Die Rückwirkung auf innere Organe erfolgt vielmehr durch kutanoviszerale Reflexe. Die Subkutantemperatur nimmt bei einer 45 °C warmen Packung nur vorübergehend um 10 °C zu, die Muskulatur erfährt sogar eine Abkühlung über 8 min (Gutenbrunner und Schultheis 1995; Hofstetter 1985).
Wannenbäder und Sitzbäder
Kohlensäurebäder, Heublumen- oder Melissenbäder wirken entspannend und immunstimulierend. Moorlaugebäder führen zu einer Muskelrelaxation und Immunstimulation. Auch Sitzbäder werden zur Therapie der Prostatitis empfohlen (Baumüller et al. 1983; Gutenbrunner und Schultheis 1995; Hofstetter 1985; Knauth und Reiners 1994).
Reizstromtherapie
Reizstromtherapie (Frequenz <1000 Hz) führt häufig zur Linderung der Beschwerden einer Prostatitis (Hofstetter 1985; Knauth und Reiners 1994).
Interferenzstromtherapie
Der mittelfrequente Interferenzstrom (Frequenz >1000 Hz) dringt bei Elektrodenanlage an den Oberschenkeln und am Unterbauch in die Prostata ein und führt so zu schmerzlindernden Effekten.
Kurzwellen -/Mikrowellentherapie
Bei kutanem Einsatz des Kurzwellenstroms (jeden 2. Tag) wird die aktive Elektrode über den Damm und die passive Elektrode über 2–5 min über dem Kreuzbein angelegt. Insgesamt erfolgen 6–12 Sitzungen. Als Wirkmechanismen werden eine verbesserte Durchblutung und immunologische Reaktionen diskutiert (Knauth und Reiners 1994).
Beckenbodentraining
Bei in bis zu 1/3 der Fälle nachgewiesener begleitender urodynamischer Störung des unteren ableitenden Harntraktes bei chronischer abakterieller und bakterieller Prostatitis kommt es durch Beckenbodentraining mit besonderer Betonung der Entspannung zu einer Änderung der neuronalen Erregungsmuster und häufig zur Besserung der Miktion und der Beschwerden (Hofstetter 1985; Holt et al. 2016; Knauth und Reiners 1994).
Biofeedback mit Rektalsonden
Durch instrumentelles Biofeedback kann die Beschwerdesymptomatik und der maximale Uroflow gebessert werden (Cornel et al. 2005; He et al. 2010).
Physiotherapie und medizinische Trainingstherapie
Durch Physiotherapie wird die Muskelfunktion insgesamt gebessert. Außerdem erfolgt eine Entspannung der Muskulatur, Immunstimulation und, bei bevorzugtem Training der Bauch- und Beinmuskulatur, eine Verbesserung der Beckendurchblutung (Bschleipfer und Karl 2020; Holt et al. 2016; Magistro et al. 2020).
Psychologische Betreuung
Sehr wichtig ist eine psychologische Betreuung des Patienten, da diese häufig sexuelle Versagensängste und eine Karzinomfurcht aufweisen (Baumüller et al. 1983). Insbesondere psychologische Einzelgespräche und Muskelentspannungsübungen (PMR – progressive Muskelrelaxation nach Jacobson ) sind dabei hilfreich.

Therapiekonzept

Das Rehabilitationskonzept der Prostatitis beinhaltet eine Kombinationstherapie mit den in der folgenden Übersicht aufgeführten Anwendungen. Daneben werden die Patienten zu ausgedehnten Spaziergängen, sportlichem Wandern und Schwimmen (ohne Auskühlung) angehalten. Falls nach 1–2 Wochen keine Linderung der Beschwerden auftritt, werden noch weitere der unter Abschn. 4.1 genannten Anwendungen hinzugefügt.
Obligatorische Therapie bei der Rehabilitation der Prostatitis
  • ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 2 l/d
  • gemüse-, obst- und ballaststoffreiche Kost
  • Ernährungsberatung
  • optimierte Pharmakotherapie
  • Kohlensäurebäder
  • Wechselgüsse der Beine
  • Wassertreten
  • Wärmepackung Beckenregion
  • Beckenbodentraining
  • Physiotherapie und medizinische Trainingstherapie
  • Psychologische Einzelgespräche
  • Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR)
Der bisherige Eindruck des Therapieerfolgs dieses multimodalen Konzepts ist auch ohne konkrete Studienergebnisse hervorragend.

Sozialmedizinische Beurteilung

Positives Leistungsbild
Bei einer chronischen Prostatitis sind auch bei hoher Rezidivrate in der Regel körperlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung 6 Stunden und mehr möglich.
Negatives Leistungsbild
Eine Kälte- und/oder Nässeexposition ohne ausreichende Schutzkleidung ist zu vermeiden. Das Aufsuchen der Toilette auch außerhalb betriebsüblicher Pausen muss möglich sein (Vahlensieck et al. 2011).

Zusammenfassung

  • Die medikamentöse Therapieerfolgsrate insbesondere der chronischen Prostatitis ist relativ gering. Außerdem treten häufig Rezidive auf.
  • Die multimodale, fachspezifische, stationäre urologische Rehabilitation bietet die Möglichkeit, chronische Beschwerden zu lindern oder zu beseitigen.
  • Eine Verringerung des Rezidivrisikos ist bisher zwar nicht wissenschaftlich belegt, jedoch zu erwarten.
Literatur
Baumüller A, Ungemach G, Sommerkamp H (1983) Leitlinien zur Therapie des vegetativen Urogenitalsyndroms. In: Brunner H, Krause W, Rothauge CF, Weidner W (Hrsg) Chronische Prostatitis. Schattauer, Stuttgart/NewYork, S 387–390
Bschleipfer T, Karl I (2020) Chronische Prostatitis und chronischer Beckenbodenschmerz beim Mann. Uro-News 24(6):36–40CrossRef
Cornel EB, van Haarst EP, Schaarsberg RW (2005) The effect of biofeedback physical therapy in men with chronic pelvic pain syndrome Type III. Eur Urol 47(5):607–611CrossRef
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