Die Urologie
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Verfasst von:
Winfried Vahlensieck und Dirk-Henrik Zermann
Publiziert am: 14.01.2023

Rehabilitation der interstitiellen Zystitis

Bei der interstitiellen Zystitis, einer chronischen abakteriellen Harnblasenentzündung mit bis zu 100 Harnblasenentleerungen pro Tag und starken Harnblasenschmerzen, gibt es zahlreiche Therapieansätze. Aber auch in kontrollierten Studien erfolgreich geprüfte Therapiemodalitäten helfen oft nur einem kleinen Teil der Patienten. Hier bietet die multimodale, fachspezifische, stationäre urologische Rehabilitation vor invasiveren Verfahren wie der sakralen Neuromodulation oder der Zystektomie mit Harnableitung bei etwa der Hälfte der Patienten die Möglichkeit einer auch länger anhaltenden relevanten Besserung.

Allgemeines

Die interstitielle Zystitis (IC) ist eine polyätiologische, sterile, chronische Harnblasenentzündung unklarer Genese mit vermehrtem Nachweis von Makrophagen und Nervenendungen in der Muskelschicht der Harnblase. Ein Teil der Patienten weist Hunnersche Ulzerationen in der Harnblase auf. Im Vordergrund stehen für die Patienten starke, häufig brennende Schmerzen der Harnblase und ein imperativer Harndrang mit Pollakisurie und Nykturie bis zu 100 Mal pro Tag. Charakteristisch ist der undulierende Verlauf der Beschwerden („Schmerzattacken“).
Dabei kann die IC eine Einschränkung der Lebensqualität verursachen, die der bei Tumorpatienten, Dialysepatienten oder massiv Herzinsuffizienten entspricht. Die Angaben über die Prävalenz liegen je nach Land und Erhebung zwischen 52 und 500 pro 100.000 Einwohner. Das heißt, in Deutschland, wo es keine aktuellen Daten zur Häufigkeit gibt, können zwischen 43.000 und 410.000 Menschen betroffen sein (Bschleipfer et al. 2018; Bschleipfer et al. 2019).
Eine Theorie zur Pathophysiologie geht von einer gesteigerten Permeabilität der Harnblasenwand durch defekten Mucus aus, so dass Urininhaltsstoffe in tiefere Wandschichten der Harnblase eindringen. Dort lösen sie Schmerzen durch Depolarisation der Nervenendigungen, Ödeme, eine Verringerung der Durchblutung und eine Zunahme der Mastzellen sowie der sensorischen Nervenendigungen aus (Engeler et al. 2022; Hanno et al. 2011; Homma et al. 2009; Jocham et al. 2013) (weitere Details Kap. „Blasen- und Harnröhreninfektionen“).

Indikationen zur Rehabilitation

Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (fehlende Besserung der Beschwerden bei ambulanter Behandlung mit Schleimhautprotektiva, Myotonolytika, Analgetika u. a.; evtl. drohender Verlust der Arbeitsfähigkeit) soll über die Rentenversicherungsträger (Berufstätige) oder Krankenkasse (Rentner) eine stationäre Rehabilitation beantragt werden (starker Konsens in der S2-Leitlinie zur interstitiellen Zystitis) (Bschleipfer et al. 2018, 2019). Eine operative Harnblasenentfernung ist nämlich in diesen Fällen häufig noch nicht angezeigt, insbesondere, wenn durch die Zystoskopie in Narkose eine Harnblasenkapazität von mehr als 150 ml festgestellt wird.
Auch nach Zystektomie mit Harnableitung wegen IC sollte eine stationäre Anschlussheilbehandlung oder Rehabilitation angeboten werden (Bschleipfer et al. 2018).
Die stationäre Rehabilitationsbehandlung in einer für dieses Krankheitsbild ausgewiesenen urologischen Rehabilitationsklinik stellt bei diesen Fällen eine Möglichkeit dar, die Beschwerden oft doch noch deutlich zu lindern (Bschleipfer et al. 2018; Vahlensieck 2005).

Diagnostik

Die Definition der interstitiellen Zystitis des National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (NIDDK) von 1987 erfasst nur ein Drittel aller Patienten mit entsprechenden Beschwerden. Sie ist deshalb nur für Studien sinnvoll einzusetzen. Auch Patienten mit Beschwerden einer IC außerhalb dieser Definition sollten behandelt werden. Ein spezifisches Diagnoseverfahren zum Nachweis der interstitiellen Zystitis gibt es bisher nicht. Die Beschwerden der Patienten können gut mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung, Miktionsprotokoll, Schmerzmessbogen und Fragebögen festgehalten werden. Urinstatus, Urinkultur und Urinzytologie schließen Harnwegsinfektionen und ein Harnblasenkarzinom aus. Für die interstitielle Zystitis konnte bisher kein reproduzierbarer Marker in Blut oder Urin gefunden werden.
Sonographie und Uroflowmetrie sind wichtig zum Ausschluss einer bei ca. 5 % der Fälle auftretenden Harnblasenentleerungsstörung. Der modifizierte Kaliumchloridtest nach Riedl, der eine vermehrte Sensibilität der Harnblase für instillierte Kaliumchloridlösungen nachweist, fällt auch bei radiogenen Veränderungen, akuter Harnwegsinfektion oder motorischer Dranginkontinenz positiv aus.
Der Nachweis von Glomerulationen in der Harnblasenwand nach Distension in Narkose über 2 min bei 80 cm Wassersäule Druck tritt zum Teil auch bei gesunden Probandinnen im Gefolge einer Sterilisation auf. Hunnersche Ulzerationen sind typische Befunde bei einem Teil der IC-Patienten. Funktionsröntgen (Miktionszystourethrographie), Urodynamik und Urethrozystoskopie mit Probeentnahme sollten speziellen Fragestellungen (z. B. Ausschluss eines Blasentumors) und Studien vorbehalten bleiben.
Andere mögliche, auch nicht urologische Ursachen von Blasenschmerzen und häufigem Wasserlassen wie z. B. bakterielle Entzündungen oder eine Krebserkrankung von Harnblase bzw. Prostata müssen vor dem Stellen der Diagnose ausgeschlossen werden (Engeler et al. 2022; Hanno et al. 2011; Homma et al. 2009; Jocham et al. 2013) (weitere Details Kap. „Blasen- und Harnröhreninfektionen“).

Therapie

Rehabilitationsziele

Zielsetzung der stationären Rehabilitation ist eine Verringerung der vorhandenen Schmerzen und eine bessere psychische Verarbeitung der Schmerzen, eine Verbesserung der Immunabwehr des Körpers und eine Verbesserung der Harnblasenregelkreismechanismen. Weiterhin sollte die Häufigkeit des Wasserlassens am Tag und in der Nacht verringert werden. Darüber hinaus sollten alle urologisch-onkologisch-nephrologischen, orthopädischen, internistischen und neurologischen Begleiterkrankungen, die durch eine stationäre Rehabilitation gebessert werden können, mitbehandelt werden.

Maßnahmen und Anwendungen

Urologische Beratungsgespräche
In der Rehabilitation wird den Patienten durch kompetente Gesprächspartner das Krankheitsbild verdeutlicht, erfolgsversprechende Verhaltensmodifikationen erwähnt und Unterstützung gewährt (Übersicht bei Vahlensieck 1999).
Psychologische Betreuung
Sehr wichtig ist eine ausführliche psychologische Betreuung des Patienten, da bei diesen oft durch die Schmerzen und häufigen Miktionen eine Verringerung ihrer Sozialkontakte und ihres Selbstbewusstseins sowie sexuelle Probleme auftreten. Außerdem treten häufig Depressionen und eine ausgeprägte Erschöpfung auf. In bis zu 42 % sind posttraumatische Belastungsstörungen, u. a. durch Missbrauch ausgelöst, zu erwarten. Insbesondere ein intaktes soziales Umfeld, Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe (IC-Netforum), psychologische Einzelgespräche und Muskelentspannungsübungen (PMR – progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) helfen bei psychischen Problemen von Patienten mit interstitieller Zystitis. Im Vordergrund steht dabei eine Verhaltenstherapie, die die Krankheitsverarbeitung und Schmerzbewältigung fördert (Bschleipfer et al. 2018; Übersicht bei Huffmann et al. 2019; McCormick 1997; McKernan et al. 2018; Übersicht bei Vahlensieck 2002b).
Entspannungsverfahren
Koziol et al. (1993) fanden bei 374 IC-Patienten einen substanziellen Einfluss von psychischem Stress auf die Schmerzempfindung (Koziol et al. 1993). Schmerz kann zu Muskelkontraktionen mit Ischämie und einer weiteren Schmerzzunahme führen. Dieses Phänomen wird auch als Schmerz-Kontraktion-Schmerz-Zyklus („pain-tension-pain cycle“) bezeichnet. Für eine limitierte Zeitspanne kann dieser Zyklus durch Entspannungsverfahren wie der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson oder Bauchatmung durchbrochen werden (Jacobson 1964; Übersicht bei Herwig und Oberpenning 2000). Hohlbrugger und Riedl wiesen darauf hin, dass Beckenbodenentspannungstraining erst nach erfolgreicher Instillationstherapie, Stabilisierung der C-Faserendigungen und der daraus resultierenden Schmerzreduktion sinnvoll ist (Hohlbrugger und Riedl 2000). Dies lässt sich auch durch andere Formen der Schmerztherapie erreichen.
Bei der progressiven Muskelrelaxation nach Edmund Jacobson (PMR) handelt es sich um eine stressreduzierende Technik. Die Patienten verbessern hierbei das Körpergefühl durch willentliches, gezieltes Anspannen und Entspannen spezifischer Muskelgruppen. Dabei treten eine tiefe Muskelentspannung und eine verringerte Aktivität des Sympathikus auf. Im Unterschied zum autogenen Training, das sich hauptsächlich im Kopf abspielt, wird hier viel Wert auf ein Erspüren des Körpers in der Peripherie, in den Armen und Beinen und eben auch in der Beckenregion gelegt. Die IC-Patienten von Mendelowitz und Moldwin, die das Verfahren erlernt hatten, führten dieses zu Hause zu 86 % weiter durch. 76 % hielten es für subjektiv wirksam, bei 43 % half es auch bei anderen Problemen als der IC und 93 % würden es anderen IC-Patienten empfehlen (Mendelowitz und Moldwin 1997). Da dieses Verfahren völlig nebenwirkungsfrei ist, ist es sicherlich eine sinnvoll einzusetzende Methode. Das Erlernen der PMR erfolgt im Gruppenkurs soweit, dass die Patienten dieses Verfahren zu Hause selbstständig weiterführen können.
Physiotherapie/Bewegungstherapie
Durch Physiotherapie und Bewegungstherapie wird die Muskelfunktion insgesamt gebessert. Dadurch erfolgt auch eine Immunstimulation. Bei Betonung des Trainings der Bauch- und Beinmuskulatur können eine Verbesserung der Beckendurchblutung und oft eine Verringerung der Schmerzen erreicht werden. Beckenbodentraining kann die sensorischen Afferenzen und damit die Schmerzempfindung modifizieren und eine Entspannung des Beckenbodens insbesondere bei der Miktion erreichen. Das Beckenbodentraining mit besonderer Betonung der Entspannung wird in Form von Eigenübungen vermittelt, so dass die Patienten zu Hause weiter trainieren können. Spezielle Techniken sind hier das Erlernen von Relaxationsübungen wie der Kontraktions-Relaxations-Technik. Durch entspanntere Miktion wird das Wasserlassen oft weniger schmerzhaft.
Durch myofasziale Physiotherapie können Harnblasenschmerz und Miktionsfrequenz um 38 % bzw. 15 % gesenkt werden (Bschleipfer et al. 2018; FitzGerald et al. 2009; Übersicht bei Huffmann et al. 2019; Vahlensieck 2002b).
Miktionstraining/Verhaltensmodifikationen
Individuell angepasste Kleidung, Sexualität und sportliche Aktivitäten können helfen, die Beschwerden zu verringern. Unterkühlung und Stress sollten vermieden werden.
Bei Patienten mit erträglichen Symptomen können durch abwartende Beobachtung Remissionen von 11–50 % erreicht werden.
Beim Miktionstraining hält der Patient bei Harndrang ca. 15–30 min ein. Alle 3–4 Wochen werden erneut 15–30 min hinzugenommen, bis Miktionsintervalle von 3–4 h erreicht werden. Die Miktionsfrequenz sinkt dabei um 44–53 % und das Harnblasenfüllvolumen steigt um 65–92 ml an. Bei stärkeren Schmerzen ist nur eine Erfolgsrate von 43 % gegenüber 86 % bei Patienten mit geringen Schmerzen zu erwarten.
Circa ¾ der Patienten haben allerdings nach der oben genannten Therapie immer noch unveränderte Harnblasenschmerzen (Bschleipfer et al. 2018; Übersicht bei Huffmann et al. 2019; Parsons und Koprowski 1991; Übersicht bei Vahlensieck 2002b).
Bindegewebs-/Fußreflexmassagen
Die Patienten berichten durchgehend von einer Besserung ihrer Beschwerden bei Einsatz der Bindegewebs- und Fußreflexmassagen. Ergänzend können Triggerpunktmassagen bei Nachweis schmerzhafter Triggerpunkte durch die Therapeuten oder die Patienten selbst (30 % Reduktion der Triggerpunktempfindlichkeit) oder die Thielemassage eingesetzt werden. Allgemeine Massagen können Harnblasenschmerzen und die Häufigkeit des Wasserlassens um 26 % bzw. 10 % senken (Anderson et al. 2016; Bschleipfer et al. 2018; FitzGerald et al. 2009).
Mittelfrequenzelektrotherapie
Durch den aus Netzwechselstrom gewonnenen diadynamischen Strom sind schmerzlindernde Effekte zu erwarten. Der mittelfrequente Interferenzstrom (Frequenzdifferenz 0–100 Hz, Trägerfrequenz ca. 4000 Hz) dringt bei Elektrodenanlage an den Oberschenkeln und am Unterbauch tief in den Körper bis hin zur Harnblase ein und kann so eine schmerzverringernde Reizwirkung an Nerven und Muskeln auslösen. Umfassende Studienergebnisse bei interstitieller Zystitis liegen allerdings bisher noch nicht vor (Übersicht bei Vahlensieck 2002b).
Heublumen-, Mineral- und Sitzbäder
Bäder wirken allgemein entspannend. Heublumenbäder wirken muskelrelaxierend. Kohlensäurebäder führen zu einer Immunstimulation. Sitzbäder werden zur Therapie bei chronischem Beckenschmerz empfohlen (Übersicht bei Vahlensieck 2002b). Heiße Bäder wurden bei Webster und Brennan als eines der besser wirksamen Therapieverfahren bei der Eigentherapie genannt (Webster und Brennan 1995).
Mikrowelle (Hochfrequenzelektrotherapie)
Bei der perkutanen oder transrektalen Hochfrequenzelektrotherapie (Diathermie) steht die Wärmeentwicklung im behandeltem Gewebe und die Schmerzlinderung im Vordergrund. Als Wirkmechanismen werden dabei eine verbesserte Durchblutung und immunologische Reaktionen diskutiert (Übersicht bei Vahlensieck 2002b).
Vibrationsplatte
Durch Vibrationen mit 5–10 Hz auf einer Rüttelplatte wird die Entspannung des Beckenbodens unterstützt (Bschleipfer et al. 2018).
Wärmepackungen
Durch die Ausbildung eines Temperaturgefälles zur Hautoberfläche können durch Wärmepackungen wesentlich höhere Temperaturanwendungen als mit Wasseranwendungen erzielt werden. Die Rückwirkung auf innere Organe erfolgt durch kutanoviszerale Reflexe, d. h. der Thermo-Reiz führt über einen Nervenimpuls und einen Reflexbogen zu Veränderungen der Beckendurchblutung und der Schmerzempfindung.
Webster und Brennan führten suprapubische Wärmeapplikationen als eine der wirkungsvollen Maßnahmen bei akuter Schmerzattacke bei interstitieller Zystitis auf, nachdem sie 138 IC-Patienten befragt hatten (Webster und Brennan 1995).
Wechselgüsse der Beine
Wechselgüsse der Beine wirken über kutanoviszerale Reflexe immunstimulierend (Übersicht bei Vahlensieck 1999).
Ernährung/Trinkkur
Eine einheitliche Diät bei interstitieller Zystitis gibt es nicht. 50 % bis 96 % der Patienten verspüren allerdings eine Linderung der Beschwerden, wenn sie Zitrusfrüchte, Tomaten, Meerrettich, Essig, Pfeffer, Glutamat, künstlichen Süßstoffe oder Zuckeraustauschstoffe, Tee oder Kaffee, kohlensäure- oder alkoholhaltige Getränken sowie scharfe Nahrungsmittel meiden. Nahrungsmittel, die fermentiert, vergoren oder mikrobiell gereift sind, sollten vermieden werden, da sie einen erhöhten Histamingehalt aufweisen und die Beschwerden oft verschlechtern. Diesbezüglich sollte während der Rehabilitation eine Ernährungsberatung erfolgen und eine entsprechende Ernährung angeboten werden.
Der Urin-pH wird durch eine Trinkkur mit Kalzium-Magnesium-Hydrogencarbonat-Säuerlingen alkalisch, was bei interstitieller Zystitis die Beschwerden lindern kann. Außerdem werden Faktoren im Urin, die die interstitielle Zystitis auslösen oder verstärken, bei Erhöhung der Trinkmenge verdünnt, auch wenn zunächst die Miktionsfrequenz zunimmt (Bschleipfer et al. 2018; Übersicht bei Gordon et al. 2015; Übersicht bei Vahlensieck 2002a).
Fakultative Rehabilitationsmethoden
Weitere fakultative Maßnahmen der Rehabilitation sind in Tab. 1 aufgeführt. Neben charakteristischen Therapien der Balneo- und Physiotherapie kann während einer stationären Rehabilitation natürlich auch immer eine begleitende orale oder intravesikale Therapie erfolgen, falls diese vor der Rehabilitation eingeleitet oder noch nicht optimal durchgeführt wurden (Kap. „Blasen- und Harnröhreninfektionen“). Eine formale oder abgewandelte Schmerztherapie nach dem WHO-Schema (Vahlensieck 2001) und auch der Einsatz des EMDA-Verfahrens („Electromotive Drug Administration“) ist während der stationären Rehabilitation möglich und oft sehr hilfreich (Loch und Stein 2004; Vahlensieck 2001).
Tab. 1
Rehabilitationskonzept bei interstitieller Zystitis
Obligat
Fakultativ
Urologische Beratungsgespräche
Optimierung der Analgetika und der weiteren Medikation
Harnblaseninstillationen, z. B. mit Hydroxyethylzellulose gebundenem Lidocain und Heparin
Psychologische Einzelgespräche
Akupunktur
Beckenbodentraining mit Betonung der Entspannung
Biofeedback des Beckenbodens
Bewegungstherapie: Ergometertraining liegend, Krafttraining, Wassertreten, Schwimmen (ohne Auskühlung)
Niederfrequenter Reizstrom, Electromotive Drug Administration (EMDA)
Miktionstraining
Bindegewebsmassage, Fußreflexzonenmassage
Bewegungstherapie: Rückenschule, Walking, Wirbelsäulengymnastik
Diadynamischer Strom
Physiotherapie
Heublumenwannenbäder
Massagen
Mikrowelle (Radiotherm)
Mittelfrequenzstrom (Interferenzstrom)
Vibrationsplatte
Sitzbäder, Kohlensäurebäder
Wärmepackungen Blase und Lendenwirbelsäule
Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Reizstrom
Wechselgüsse der Beine
 
Reizstoffarme Kost und Einzelernährungsberatung
 
Trinkkur
 

Therapiekonzept

Da die meisten IC-Patienten bereits eine Vielzahl von Behandlungsverfahren erhalten haben, lässt sich kein Standardbehandlungsschema für die stationäre Rehabilitation aufstellen. Vielmehr wird bei der Aufnahmeuntersuchung nach eingehendem Gespräch mit dem Patienten und der Durchsicht der vorliegenden Vorbehandlungsberichte ein individueller Rehabilitationsplan zur weiteren Diagnostik und Behandlung zusammengestellt. Der Effekt der durchgeführten Maßnahmen wird in regelmäßigen Abständen überprüft und bei Bedarf eine Anpassung vorgenommen (Tab. 1).

Ergebnisqualität

61,9 % der Patienten erreichten durch eine stationäre Rehabilitation bei IC eine Besserung der Schmerzen, die bei 47,6 % auch über 1–17 Monate anhielt. Ähnlich verhielt es sich bei der Pollakisurie (66,7 %, 47,6 %). Bei der Nykturie persistierte die Besserung bei 71,4 % der Patienten auch im Verlauf (Bschleipfer et al. 2018; Vahlensieck 2005).

Sozialmedizinische Beurteilung

Positives Leistungsbild
Bei interstitieller Zystitis muss zur Feststellung einer zumindest leichten körperlichen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben von 6 h und mehr eine Normalisierung oder deutliche Verbesserung der Miktionshäufigkeit (≤12–16/Tag) und eine Verringerung der Schmerzen auf durchschnittlich <5 auf der 10-stufigen, analogen Schmerzskala in den erträglichen Bereich erreicht sein. Bei geeigneten Arbeitsplätzen ist auch bei Pollakisurie eine berufliche Tätigkeit möglich. Auch müssen die in ca. 40 % der Fälle auftretenden Begleiterkrankungen wie z. B. Fibromyalgie oder das Sjögren-Syndrom mitberücksichtigt werden. Gegebenenfalls ist der Zeitpunkt der Leistungsüberprüfung anzugeben (Vahlensieck et al. 2011).
Negatives Leistungsbild
Kälte- und Nässeexposition ohne geeignete Schutzkleidung sind zu vermeiden, da sie häufig zur Exazerbation der Beschwerden führen. Der Gang zur Toilette muss auch außerhalb betriebsüblicher Pausen möglich sein. Tätigkeiten mit längerer Zwangshaltung wie Bücken, Knien, Überkopfarbeiten und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie häufiges Treppensteigen sind in der Regel nicht möglich, da sie sehr häufig eine wesentliche Verschlechterung der Beschwerden herbeiführen (Vahlensieck et al. 2011).

Zusammenfassung

  • Die interstitielle Zystitis ist eine chronische abakterielle Harnblasenentzündung mit bis zu 100 Harnblasenentleerungen pro Tag und starken Harnblasenschmerzen. Bei einer Unterform treten in der Harnblase Hunnersche Ulzera auf.
  • Zahlreiche Therapieansätze, auch in kontrollierten Studien erfolgreich geprüfte Modalitäten, helfen oft nur einem kleinen Teil der Patienten.
  • Eine multimodale, fachspezifische, stationäre urologische Rehabilitation bietet vor invasiveren Verfahren wie der sakralen Neuromodulation oder der Zystektomie mit Harnableitung bei etwa der Hälfte der Patienten die Möglichkeit einer auch länger anhaltenden relevanten Besserung.
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