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Die Urologie
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Publiziert am: 15.06.2022

Rehabilitation nach Zystektomie

Verfasst von: Guido Müller und Ullrich Otto
Patienten nach radikaler Zystektomie sollten eine fachurologische Rehabilitationsmaßnahme als Anschlussheilbehandlung (AHB) mit Beginn bis zu 2 Wochen nach der Entlassung aus der Akutklinik antreten. Nach diesem radikalchirurgischen Maximaleingriff stehen die Behandlung möglicher Frühkomplikationen, die Wiederherstellung der physischen Leistungsfähigkeit und eine psychische Stabilisierung der Patienten zunächst im Vordergrund. Daneben geht es – je nach Form der Harnableitung – um die Therapie der postoperativen Harninkontinenz oder um die Optimierung der Stoma-Versorgung. Die Therapie der postoperativen erektilen Dysfunktion hat häufig in der Phase der Frührehabilitation eine untergeordnete Bedeutung für diese Patienten. Die stationäre fachurologische AHB führt nachweislich zu hochsignifikanten Verbesserungen der postoperativen Funktionsstörungen und damit auch zu einer Zunahme der Akzeptanz gegenüber diesem radikalchirurgischen Eingriff.

Fachspezifische urologische Anschlussheilbehandlung (AHB)

Die häufigsten Harnableitungen stellen die orthotope Darmersatzblase (Neoblase), die heterotope kontinente Darmersatzblase (Pouch), das Ileum-Conduit und die Harnleiter-Haut-Implantation dar. Seltener sind Harnleiter-Darm-Implantationen (Stein et al. 2012). Trotz standardisierter Operationsverfahren bleibt die radikale Zystektomie mit Anlage einer Harnableitung ein komplikationsträchtiger uroonkologischer Maximaleingriff (Djaladat et al. 2017; Roghmann et al. 2014; Shabsigh et al. 2009).
Nach Zystektomie und Harnableitung soll den Patienten eine Anschlussheilbehandlung (AHB) angeboten werden. Die Rehabilitation sollte stationär und fachurologisch, bei entsprechender Komorbidität der Patienten multidisziplinär und mit Hilfe multimodaler Therapiekonzepte erfolgen.
Die Zielsetzung der Rehabilitation nach Zystektomie und Harnableitung besteht
  • in der Therapie der postoperativen Funktionsstörungen (insbesondere Harninkontinenz und Sexualfunktionsstörungen)
  • in der Wiederherstellung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit
  • in der Wiederbefähigung zur Teilhabe am Sozialleben
  • soweit der Patient noch im Berufsleben steht, im Erhalt oder der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit
Es soll ein breites Spektrum an therapeutischen Maßnahmen und psychosozial wirksamen Faktoren bereitgestellt werden (psychoonkologische Betreuung, Physiotherapie, Entspannungsverfahren, Vorträge, Sozialberatung).
Bei Aufnahme in die Rehabilitation sowie bei Entlassung aus der Rehabilitation soll für Patienten nach Zystektomie mit einer intestinalen Harnableitung ein umfassender Status erhoben werden:
  • Blut- und Urin-Untersuchung
  • Blutgas-Analyse
  • Sonografie
  • Evaluation von Verdauungsstörungen
  • Mucusbildung
  • psychische Belastung sowie
  • bei orthotoper Harnableitung Uroflowmetrie mit Restharn-Sonographie, Miktionsprotokoll, 24-Stunden-Vorlagen-Test (Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft DK, Awmf) 2020).

Nachsorge bei Darmersatzblase

Nach dem radikal-chirurgischen Eingriff sind zunächst besonders zu beachten:
  • Verdauungsstörungen
  • Gefahr der Azidose
  • Schleimbildung der Darmersatzblase
  • Harnwegsinfekte
  • Harnabflussstörungen
Verdauungsstörungen können sich als Obstipation oder Diarrhoe äußern. Die Obstipation resultiert aus der postoperativen Darmmotilitätsstörung und lässt sich durch rektale Einläufe und Einnahme von Abführmitteln beseitigen. Prinzipiell sollte eine leicht verdauliche, nicht blähende, fettarme Vollkost erfolgen. Die Patienten werden hierzu speziell diätetisch beraten.
Bei einer Diarrhoe sollten in der AHB zunächst durch Stuhlproben eine Antibiotika-assoziierte Clostridien-Enterocolitis und eine durch Noro-Viren ausgelöste Gastroenteritis, sowie eine paradoxe Diarrhoe ausgeschlossen werden.
Durch die Bildung einer Darmersatzblase geht ein Teil der physiologischen Resorptionsfläche des Gastrointestinaltrakts verloren. Für die Gallensäuren besteht normalerweise ein enterohepatischer Kreislauf. Kommt es wegen einer verminderten Rückresorption von Gallensäuren zu einer Erhöhung der Gallensäurekonzentration im Dickdarm, so führt dies zu einem starken Wassereinstrom in das Darmlumen und dadurch zur Diarrhoe. Therapieversuch ist die Bindung der Gallensäure durch die Gabe von Cholestyramin. Wird der Verlust an Gallensäuren nicht durch entsprechende Resynthese ausgeglichen, so können auch die Fette nicht in genügendem Maß verfügbar gemacht und resorbiert werden, womit vermehrt Fette im Dickdarm erscheinen und eine Steatorrhoe verursachen können. Ein Behandlungsversuch ist der Austausch von langkettigen durch mittelkettige Fettsäuren.
Der zur Harnableitung benutzte Darmabschnitt behält die absorbierenden und sezernierenden Eigenschaften bei. Bei Patienten mit einer Darmersatzblase kommt es häufig zur Entwicklung einer Azidose. Da die meisten Zellfunktionen von einem konstanten pH-Wert abhängen sind unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Übelkeit und Appetitlosigkeit hinweisend. Anfänglich ist eine wöchentliche Kontrolle (Blutgasanalyse) notwendig. Eine Therapie mit Natriumhydrogencarbonat erfolgt bei einem Base-Exzess unter -2,5 mmol/L.
Die Schleimbildung der Darmersatzblase kann zur Restharnbildung und Harnverhaltung führen und begünstigt Harnwegsinfekte. Die Harnausscheidungsmenge sollte 2 bis 2,5 Liter/Tag betragen. Anfänglich können regelmäßige Spülungen der Darmersatzblase notwendig sein. Sekretolytisch wirksam sind Acetylcystein und spezielle, gerbsäurehaltige Teemischungen (Galamatee). Die Schleimbildung reduziert sich meist nach einigen Wochen bis Monaten deutlich, wohl durch eine Atrophie der Microvilli der Enterocyten.
Symptomatische Harnwegsinfekte treten bei Patienten mit Darmersatzblase im Rahmen der AHB häufig auf. Sie werden begünstigt durch eine längere Dauerkatheterversorgung, durch die o. g. Schleimbildung und durch Reflux in den oberen Harntrakt. Symptome sind Unwohlsein, Bauchschmerzen, Schüttelfrost und Fieber. Neben der testgerechten antibiotischen Therapie ist bei Fieber immer eine passagere Katheterversorgung zur Harndauerableitung indiziert.
Harnabflussstörungen sind sowohl auf das Nierenhohlsystem als auch auf die Darmersatzblase bezogen anzutreffen. Die Ektasie des Nierenbeckenkelchsystems kann als chronische Ektasie vorbestehen oder die Folge einer Entleerungsstörung der Neoblase sein oder bei einer Harnleiterstenose – dann häufig im Bereich der Darmimplantationsstelle – auftreten. Es erfolgt eine sonografische Kontrolle nach Miktion. Nierenretentionswerte werden mit Vorbefunden verglichen und im Verlauf beurteilt. Eine radiologische oder szintigrafische Abklärung der Nierenfunktion kann hilfreich sein.
Bei Verwendung von terminalem Ileum zur Bildung der Darmersatzblase kann es infolge einer verminderten Resorption zu einem Vitamin-B12-Mangel kommen. Vitamin-B12 fördert die Nucleinsäuresynthese und Phospholipidsynthese. Aus einem Mangel können Störungen der Blutbildung und neurologische Defekte infolge der verminderten Myelinsynthese resultieren. Da die hepatische Kapazität für Vitamin-B12 für 2–3 Jahre ausreicht, wird eine Bestimmung nach 3 Jahren empfohlen und bei nachgewiesenem Mangel eine Substitution vorgenommen.
Infolge der chronischen Exposition gegenüber Urinbestandteilen besteht ein Risiko für Sekundärmalignome im Darmanteil der Harnableitung. Mit einer Latenzzeit von einigen Jahren können sekundäre Adenokarzinome entstehen. Bei einer Ileum-Neoblase ist dies wesentlich seltener (0,05 %) als bei einer Harnleiter-Darm-Implantation (2,58 %) zu beobachten (Kälble et al. 2011).

Rehabilitation der Harninkontinenz nach Anlage einer Neoblase

Die Anlage einer Neoblase wurde durch Hautmann et al. (1988) inauguriert, ist mittlerweile eine etablierte kontinente Harnableitungsform alternativ zur Stomaanlage und erfolgte 2017 in Deutschland in 19,1 % der Fälle bei insgesamt 9830 radikalen Zystektomien (Shb 2017). Die postoperative Harninkontinenz nach Zystektomie und Anlage einer Neoblase ist eine häufige und ätiologisch komplexe Funktionsstörung (Hautmann et al. 2007). Sie hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und die psychosoziale Integrität. Daher ist eine fachspezifische urologische Anschlussrehabilitation (AHB) erforderlich und auch integraler Bestandteil der S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms der Deutschen Gesellschaft für Urologie (Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft DK, Awmf) 2020).
In der stationären fachspezifischen urologischen AHB erfolgt ein spezielles Neoblasen-Kontinenz-Training (3-Komponenten-Behandlungskonzept):
  • Physiotherapeutisches Kontinenztraining
  • neoblasenedukative Maßnahmen
  • Maßnahmen zur Vermeidung nächtlicher Neoblasenenuresis
Die Patienten erhalten physiotherapeutische Behandlungen mit osteopathischen viszeralen Techniken, um den intraabdominalen Druck zu senken und den arteriellen Blutfluss sowie die venöse und lymphatische Drainage zu verbessern. Craniosacrale Techniken bewirken eine neuronale Plastizität und damit eine schnellere Regeneration der für die Funktion des urethralen Sphinkters verantwortlichen neuronalen Strukturen. Insgesamt führt dies zu einer signifikanten Verbesserung der Harninkontinenz und einer Erhöhung der Neoblasen-Kapazität. Die Kontinenz verbessert sich in aller Regel während der ersten 6 bis 12 postoperativen Monate, da die Compliance der Neoblase zunimmt, was die Speicherung eines größeren Volumens bei niedrigerem Druck ermöglicht und schließlich ein Niederdruckreservoir mit einem gewünschten Reservoirvolumen von 400–500 ml ergibt.
Neben dem selektiven Sphinktertraining – beschrieben im Kap. „Rehabilitation nach radikaler Prostatektomie“ – erfolgen insbesondere neoblasenedukative Maßnahmen unter intensiver Verwendung von Miktionsprotokollen mit Ein- und Ausfuhrbilanzen. Nach Hautmann et al. (2013) hat das Reservoir ein Anfangsvolumen von ca. 150 ml. In der Frührehabilitation erfolgen ein vorsichtiger Kapazitätsaufbau der Neoblase, ein spezielles Sensibilitätstraining zur Förderung eines Gefühls für die Neoblasenfüllung und spezielle Maßnahmen zur Vermeidung nächtlicher Neoblasenenuresis. Während der ärztlichen Einzelgespräche und im Rahmen des intensiven physiotherapeutischen Kontinenztrainings wird dem Patienten das spezielle Neoblasenentleerungsmuster erörtert. Der Patient erhält spezielle Anweisungen zur Miktion (Beckenbodenrelaxation, Atemtechnik, manuelle Kompression, Rumpfbeugung) und wird angehalten, die Neoblase regelmäßig nach der Uhr alle 2–3 Stunden zu entleeren. Die Neoblasenvolumina sollten idealerweise zwischen 250 und 400 ml liegen. Bei einer Entleerungsstörung mit zu hohen Restharnwerten wird der Patient im intermittierenden Selbstkatheterismus geschult (Simon et al. 2006).
Häufig besteht auch eine ausgeprägte nächtliche Neoblasenharninkontinenz. In der Nacht wird die Urinproduktion durch die Ausschüttung von Vasopressin gedrosselt. Die Darmwand der Neoblase sezerniert jedoch Wasser in das Reservoir, um dort Iso-Osmolarität zu erreichen. Dadurch ist nach Anlage einer Neoblase das Harnvolumen über Nacht größer als vor der Zystektomie (Mills und Studer 1999). Während des Schlafs erhöht normalerweise ein Detrusor-Sphinkter-Reflex den Ausgangsdruck, da sich die Harnblasenwand während des Füllens dehnt. Dieser Reflex geht durch die Zystektomie verloren. Zudem kommt es phasenweise zu Druckspitzen im Reservoir durch eine vermehrte nächtliche Peristaltik der Darmwand des Reservoirs (El Bahnasawy et al. 2000). Daher kann versuchsweise eine antiperistaltische/anticholinerge Medikation zur Nacht vorgenommen werden (El-Bahnasawy et al. 2008). Während sich tagsüber mit der Zeit ein gewisses Harndrangersatzgefühl etabliert, werden diese sensorischen Meldungen zum Füllungszustand der Neoblase nachts nicht wahrgenommen, so dass es zum Urinverlust kommt, sobald der Druck in der Neoblase den Verschlussdruck übersteigt. Das Stellen eines Weckers zur Miktion in der Nacht ist deshalb dringend zu empfehlen. Eine nächtliche Polyurie ist generell mit zunehmendem Alter nicht selten. Das Trinkverhalten muss analysiert und angepasst werden. Bei auffälligen Beinödemen sollte eine kardiale Ursache abgeklärt werden. Durch die Einnahme eines Diuretikums am Vormittag kann die übermäßige Urinausscheidung aus der Nacht in die Tagesstunden verlegt werden.
Durch eine physiotherapeutisch angeleitete medizinische Trainingstherapie sowie ergotherapeutische Mobilisierung soll die körperliche Leistungsfähigkeit der Patienten verbessert werden.
Im Urologischen Kompetenzzentrum für die Rehabilitation (UKR der Kliniken Hartenstein) wurde das frühfunktionelle Outcome nach radikaler Zystektomie und Anlage einer Neoblase in zwei großen Studien evaluiert (Müller et al. 2016a, b). Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die postoperative Harninkontinenz in der Phase der Frührehabilitation, d. h. 3–4 Wochen postoperativ, eine häufige und ausgeprägte Funktionsstörung darstellt. Der durchschnittliche Urinverlust verteilt sich dabei – im Gegensatz zur Post-Prostatektomie-Inkontinenz – etwa gleichermaßen auf den Tag (317 g) und die Nacht (329 g). Es ließ sich ein signifikant höherer Urinverlust im 24-Stunden-Vorlagen-Test nachweisen, je älter die Patienten waren (p < 0,05). Zudem zeigte sich ein statistisch signifikanter positiver Effekt der Nervschonung auf die Frühkontinenz von 20 % (p < 0,05). Im Zuge der fachspezifischen stationären AHB kommt es durch Anwendung des speziellen Neoblasen-Therapiekonzepts zu einer klinisch relevanten Verbesserung der Neoblasenkontinenz. Die Inkontinenz konnte im Zuge des 3 bis 4 Wochen dauernden AHB-Aufenthalts im Mittel um 52,6 % (OP nervschonend) bzw. 44,9 % (OP ohne Nervschonung) verbessert werden (p < 0,05). Das Miktionsvolumen in der Uroflowmetrie steigerte sich im Rehabilitationsverlauf signifikant (p < 0,05) und durchschnittlich um 88 % (OP nervschonend) bzw. 104 % (OP ohne Nervschonung).
Durch die rasche Verbesserung der Kontinenz resultiert eine längere Kontaktzeit des Urins mit der Darmschleimhaut der Neoblase. In der Folge steigt das Risiko für die Entwicklung einer korrekturbedürftigen metabolischen Azidose, da saure Valenzen des Urins über die Neoblasenwand dann vermehrt in den Blutkreislauf rückresorbiert werden. Die Entwicklung einer chronischen metabolischen Azidose nach Anlage einer Ileum Neoblase ist eine relevante Stoffwechselstörung mit einer hohen Inzidenz in der Phase der Frührehabilitation (86,7 % bis zum Ende der AHB). Engmaschige Blutgas-Analysen in den ersten Wochen nach dem operativen Eingriff sind daher dringend geboten, um eine metabolische Azidose zu identifizieren (Müller et al. 2020).
Im Follow-up erfolgt die Bewertung der Kontinenz in der Regel basierend auf der Anzahl der benötigten Vorlagen oder durch spezielle Inkontinenz-Fragebögen. In der Literatur finden sich abhängig vom Zeitpunkt des Follow-up und der Definition von Kontinenz deutlich unterschiedliche Angaben zu den Kontinenzraten. Nach Hautmann et al. geben bis zu 85–90 % der Patienten an, ein Jahr nach der Operation lediglich noch eine Vorlage pro Tag oder auch gar keine Vorlage mehr zu benötigen (Hautmann et al. 2007). In der Studie von Ahmadi et al. (2013) wurden Patienten, bei denen im Zeitraum 2002–2009 eine radikale Zystektomie mit Anlage einer Neoblase erfolgte, 12 Monate postoperativ postalisch nachbefragt. Bei einer Rücklaufquote von 68 % resultierten 179 auswertbare Patienten von denen nur 22 % angaben, keine Vorlagen zu benötigen. Clifford et al. (2016) berichten über 188 Patienten, die im Zeitraum 2012–2015 als Harnableitung eine Neoblase erhielten. 18–36 Monate postoperativ ergab sich eine Kontinenzrate von etwa 50 %. Dabei wurde Kontinenz definiert als kein Vorlagenbedarf bzw. das Tragen von Vorlagen, die überwiegend trocken sind. Novara et al. (2010) untersuchten 113 Patienten nach Zystektomie und Anlage einer Neoblase nach einem medianen Follow-Up von 44 Monaten. Die Patienten wurden im Zeitraum 2002–2006 operiert. Unter Verwendung des Inkontinenzfragebogens ICIQ wurde lediglich eine Kontinenzrate von 18 % berichtet, jedoch benutzten 68 % der Patienten keine Vorlagen. Nayak et al. (2018) evaluierten bei 158 Patienten (2006–2014) nach Zystektomie und Anlage einer Neoblase 3, 6 und 12 Monate postoperativ die Kontinenzsituation. 82 % waren Männer. 3 Monate postoperativ benötigten tagsüber 65 % der Patienten noch mehr als 1 Vorlage, nach 12 Monaten allerdings nur noch 9 %. Eine nächtliche Harninkontinenz gaben 3 Monate postoperativ 54 % und 12 Monate postoperativ 20 % der Patienten an. Geschlechtsunterschiede bzgl. der Kontinenz wurden nicht festgestellt, allerdings führten Frauen wesentlich häufiger als Männer einen intermittierenden Katheterismus zur Entleerung der Neoblase durch (59 % vs. 9 %).
Aufgrund der diskrepanten Kontinenzergebnisse in der Literatur wäre es für eine vergleichbare Bewertung der Kontinenz zukünftig wünschenswert, dass auch im Follow-up eine objektive Darstellung der Harnkontinenz mittels 24-Stunden-Vorlagen-Test und Angabe der durchschnittlichen Harnvolumina erfolgt.

Urostomien

Sogenannte inkontinente oder nasse Urostomien wie Conduits oder Ureterokutaneostomien sind durch mögliche Undichtigkeiten der Stomaversorgung und Hautirritationen belastet. Hier steht eine optimale Stomatherapie im Vordergrund, bei der eine exakte Ursachenanalyse (z. B. Technik der Stomaversorgung, lage- und bewegungsabhängige Hautfaltenbildung, hauttypgerechte Versorgung), individuelles Training und Finden des optimalen Versorgungssystems Voraussetzungen zur Entwicklung einer zufriedenstellenden Lebensqualität darstellen. Die systematische Ausbildung des Rehabilitanden zum kompetenten Selbstversorger wird intensivst verfolgt, Angehörige werden ebenfalls beraten und angelernt. Die Rehabilitationsmaßnahme dient im Besonderen auch der Förderung der psychischen Akzeptanz der Urostomaversorgung. Die praktische und psychosoziale Bewältigung der Stomaanlage wird in Kleingruppen mit Ärzten und Psychologen bearbeitet.

Zusammenfassung

  • Nach radikaler Zystektomie ist eine fachurologische stationäre Rehabilitation (AHB) erforderlich
  • Zunächst fokussiert die AHB auf das Erkennen/Behandeln von Frühkomplikationen, die Wiederherstellung der physischen Leistungsfähigkeit und eine psychische Stabilisierung der Patienten
  • Je nach Form der Harnableitung: Therapie der postoperativen Harninkontinenz oder Optimierung der Stoma-Versorgung
  • Konsolidierung des Informationsstands zur Krebserkrankung und zur Harnableitung
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