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Die Urologie
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Publiziert am: 20.10.2022

Traumatologie des oberen Harntrakts

Verfasst von: Michael Staehler
Die Versorgung von Verletzungen der Nieren ist n Deutschland eine seltene urologische Herausforderung. Die Therapie hat sich dabei in den letzten Jahren von einer überwiegend chirurgischen zu einer überwiegen konservativen hin entwickelt. Nur noch in seltenen Fällen ist eine sofortige chirurgische Intervention beim Nierentrauma notwendig. Die vorliegende Übersicht soll anhand der Leitlinien der American und der European Association of Urology und der Societé International d´Urologie sowie klinischer Erfahrungen eine praktische Hilfestellung bei der Therapie des Nierentraumas bieten (Staehler M, Nuhn P, Haseke N, Tullmann C, Bader M, Graser A et al., Urologe A 49(7):837–841, 2010; Lynch TH, Martinez-Pineiro L, Plas E, Serafetinides E, Turkeri L, Santucci RA et al., Eur Urol 47(1):1–15, 2005; Kitrey ND, Djakovic N, Hallscheidt P, Kuehhas FE, Lumen N, Serafetinidis E et al (2021) EAU guidelines on urological trauma: EAU Guidelines Office, Arnhem, the Netherlands. http://uroweb.org/guidelines/compilations-of-all-guidelines/; Morey AF, Broghammer JA, Hollowell CMP, McKibben MJ, Souter L, J Urol 205(1):30–35, 2021).

Epidemiologie

In Deutschland und Europa gehören Nierentraumata zu den seltenen Erkrankungen. In Mitteleuropa ebenso wie in einem Großteil der industrialisierten Staaten präsentieren sich Patienten mehrheitlich mit stumpfem Nierentrauma, wobei die Verletzung durch Schuss- Stich und Hiebwaffen in den Schwellenländern der Industriestaaten und in USA deutlich höher ist. Weltweit werden pro Jahr etwa 250.000 Verletzungen der Nieren registriert, wobei die Dunkelziffer stumpfer niedriggradiger Nierenkontusionen sicherlich höher liegt. Der Anteil der Patienten mit einer Beteiligung der Nieren an der Gesamtzahl der Traumapatienten wird mit etwa 2–5 % angegeben (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Al-Qudah und Santucci 2006; Santucci und Fisher 2005; Buse et al. 2005).

Einteilung

Nierentraumata werden nach dem Umfang der Organschädigung eingeteilt. Die Klassifikation erfolgt nach dem System der Amerikanischen Gesellschaft für Traumachirurgie (AAST) (Tab. 1). Je höher eine Verletzung klassifiziert wird, desto wahrscheinlicher wird die Notwendigkeit der Intervention.
Tab. 1
Klassifikation der Nierentraumata nach der AAST (Moore et al. 2021)
Grad
Typ der Läsion
Beschreibung
I
Contusion
Mikro- oder Makrohämaturie, stationäres subkapsuläres Hämatom, keine Parenchymläsion
II
Hämatom
Stationäres perirenales Hämatom auf das Retroperitoneum beschränkt, Parenchymlazeration <1 cm, keine Urinextravasation
III
Lazeration
Parenchymlazeration >1 cm, keine Urinextravasation
IV
Lazeration
Parenchymlazeration mit Beteiligung des Hohlsystems
 
Vaskulär
Verletzung der A. oder V. renalis
V
Lazeration
„Crush“-Niere, Parenchymsequester, Multifragmentation
 
Vaskulär
Gefäßabriss, Devaskularisation

Stumpfes Nierentrauma

90 % der renalen Taumata sind durch stumpfe Gewalteinwirkung verursacht: Schläge, Stürze, Unfälle, Sportverletzungen, Tritte. Dabei lässt meist der Unfallhergang nicht sicher auf die auftretende Gewalt rückschließen, so dass eine genaue Diagnose nur durch die Schnittbildgebung erfolgen kann. Das größte Problem stellen Beschleunigungsverletzungen dar, bei denen es zum Dezelerationstrauma oder zu Gefäßverletzungen kommt. Unterschieden werden können Gefäßverletzungen des arteriellen und venösen Stromgebiets mit Einriss, Abriss oder intramuraler Intimaläsion. Das Problem vaskulärer Ereignisse ist immer eine Parenchymschädigung durch die Minderperfusion, wobei hier keine Erfahrungswerte vorliegen, in welchem Umfang die Perfusion verringert sein muss, bevor eine irreversible Parenchymschädigung eintritt. Lediglich bei Gefäßabrissen kann der Analogieschluss zur partiellen Nephrektomie gemacht werden, wobei von einem kompletten Verlust der Nierenfunktion im undurchbluteten Areal erst nach mindestens einer Stunde auszugehen ist.

Penetrierendes Nierentrauma/Hieb- und Stichverletzungen

Bei penetrierenden Verletzungen sollte versucht werden, den Verletzungsmechanismus, durch den penetrierenden Gegenstand zu rekonstruieren. Dazu sollte, wenn möglich dieser Gegenstand inspiziert werden. Oftmals sind jedoch bei penetrierenden Verletzungen mit Beteiligung der Niere auch andere Organe betroffen, so dass eine operative Exploration unumgänglich erscheint (Abb. 1).

Schussverletzungen

Die klinische Untersuchung von Patienten mit akuten Schussverletzungen sollte immer darauf abzielen, den Verlauf des Projektils im Körper festzustellen (Abb. 2). Sollte trotz einer Eintrittswunde (oftmals klein, glatt begrenzt und mit kleinem Verbrennungsrand) keine Austrittswunde (diese kann sehr groß, oder aber auch ähnlich klein wie die Eintrittswunde sein) zu finden sein ist eine klare Indikation zur chirurgischen Exploration gegeben (Abb. 3).
Bei den Schussverletzungen kann unterschieden werden zwischen Schussverletzungen, die eine geringe Penetrationstiefe mit hoher Gewebedestruktion nach sich ziehen und Verletzungen, bei denen eine hohe Penetration bei geringer Gewebedestruktion entsteht. Sogenannte Vollmantelgeschosse wie sie von Behörden (Polizei, Militär, Sportschützen) eingesetzt werden, durchdringen den Körper und verursachen eine geringe Destruktion, da sich das Geschoss nicht aufpilzt oder zerlegt. Diese Munition zielt nicht primär auf die Tötung des Beschossenen ab, sondern auf dessen Immobilisierung und Verletzung. Davon zu unterscheiden sind Teilmantelgeschosse und Bleigeschosse, die sich beim Durchtritt durch den Körper zerlegen oder aufweiten und damit Ihre Energie meist vollständig im Körper abgeben und dabei eine starke Gewebedestruktion bei geringer Penetration bewirken. Verwendet werden diese Geschosse vor allem mit Jagdwaffen. Bei letztgenannten Projektilen kann davon ausgegangen werden, dass eine chirurgische Exploration erfolgen muss. Das destruierte Gewebe soll dabei abgetragen werden und ggf. Organschäden rekonstruiert werden. Eine Exploration der Niere sowie des Schusskanals wird nicht unterbleiben können. Zudem ist zu bedenken, dass durch den Eintrag des Projektils die Verletzung als hochgradig infiziert anzusehen ist, so dass eine breite langfristige (7–10 Tage) antibiotische Therapie notwendig ist. Bei Vollmantelgeschossen, und dem „glatten“ Durchschuss muss die operative Revision nicht zwingend erfolgen, hier kann zunächst die weiterführende Diagnostik erfolgen. Auch bei Faustfeuerwaffen kann unter Umständen die konservative Therapie gerechtfertigt sein (Santucci et al. 2004; Brandes und McAninch 2004).

Klinische Einteilung traumatisierter Patienten

Traumata im Bereich der hinteren Axiliarlinie gehen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Nierenverletzung einher, insbesondere wenn zusätzlich Rippen- oder Wirbelkörperfrakturen vorliegen. Derartige knöcherne Läsionen erhöhen das Risiko eines Nierentraumas um das Dreifache. Hinweise auf einen derartigen Verletzungsmechanismus liegen bei entsprechend lokalisierten Hämatomen oder Wunden vor.
Eine Makrohämaturie ist der ein sicherer Indikator für eine Beteiligung des Urogenitaltraktes im Rahmen eines Trauma-Ereignisses, wobei die Stärke der Blutung keinen Hinweis auf den Grad des Nierentraumas erlaubt. Allerdings ist ein Nierenschädigung auch ohne das Vorliegen einer Makrohämaturie möglich, so dass ein klarer Urin noch kein Beweis für das Fehlen der Nierenbeteiligung ist.
Prinzipiell müssen die Patienten eingeteilt werden in klinisch stabile und klinisch instabile Patienten. Fulminant klinisch instabile Patienten bedürfen der sofortigen Intervention. Diese hängt vom Grad der Instabilität ab und von der Möglichkeit der Stabilisierung durch Volumengabe und oder Transfusion. Ist die klinische Stabilisierung, nicht möglich muss die sofortige chirurgische Intervention erfolgen. Gelingt eine Stabilisierung kann die weitere Therapie zunächst wie beim stabilen Patienten geplant werden.
Bei klinisch stabilen Patienten ergeben sich wesentlich Aspekte durch die anatomische Situation, die durch das Trauma verändert wurde. Wichtig ist dabei die Funktion der Gerota-Fascie. Solange diese intakt ist, ist ein zunächst konservatives Vorgehen gerechtfertigt, da die Möglichkeit einer retroperitonealen Auto-Tamponade innerhalb der Gerota-Fascie besteht. Dabei ist es unerheblich, ob es zu einer primären Urinextravasation kommt oder nicht. Eine Ausnahme ist dabei die komplette Zerreißung des Nierenstils, wobei diese meist auch mit einer Läsion der Gerota-Fascie vergesellschaftet ist. Extrarenale kleinere Segmentarterien oder Venen die traumatisiert sind, bedürfen dabei jedoch nicht zwingend der Intervention. Ebenso gilt dies für intrarenale Segmentgefäße.
Ist die Gerota-Fascie nicht intakt, ist die Wahrscheinlichkeit einer retroperitonealen Autotamponade der Blutung äußerst gering und die chirurgische Therapie zu erwägen.
Eine einfache Entscheidungshilfe gibt Abb. 4.

Diagnostik

Neben der klinischen körperlichen Untersuchung unter Rekonstruktion des traumatischen Moments und Bewertung der zu erwartenden Folgen, sind eine Urinanalyse mittels Urinstix und die Erhebung des Hämatokrits sowie Serum-Hämoglobins unerlässlich. Zur Urinanalyse sollte der erste zu erhaltende Urin verwendet werden (Spontan- oder Katheterurin), da durch die eine ggf. nachfolgende Volumentherapie der Urinstatus verfälscht werden kann (Grill et al. 2010a). Zudem muss die hämodynamische Stabilität des Patienten fortlaufend überprüft werden.
Sollte der Patient hämodynamisch instabil sein und eine weitere Diagnostik klinisch nicht weiter möglich sein, da der Patient sich im hämorrhagischen Schock befindet, ist die akute diagnostische Laparatomie ohne weitere Bildgebung gerechtfertigt. Die weiteren Schritte sind dann intraoperativ zu entscheiden, ggf. kann eine verfeinerte Diagnostik postoperativ nach Stabilisierung des Patienten erfolgen (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Buse et al. 2005; Dobrowolski et al. 2002).
Generell lässt sich die Indikation zur weiteren Diagnostik klinisch ableiten. Bei stabilen Patienten mit Mikrohämaturie wird in einer erweiterten Bildgebung mittels CT in 2/3 der Fälle keine klinische Intervention aus der Bildgebung abgeleitet werden müssen. Bei Patienten mit Schock-Symptomatik und jedweder Form der Hämaturie wird in etwa 20 % der Fälle in der Diagnostik eine schwere Nierenverletzung bewiesen werden, die in der Hälfte Fälle dann auch eine weiterführende Therapie nach sich zieht (Miller und McAninch 1995).

Indikation zur Bildgebung der Niere

Eine Bildgebung ist indiziert bei allen penetrierenden Traumata, sofern die Patienten stabil genug sind. Bei Patienten mit stumpfen Traumata empfiehlt sich dies in folgenden Situationen:
  • Signifikante Akzelaration/Dezeleration z. B. Fall aus großer (>70 cm) Höhe, KFZ-Unfälle mit höherer Geschwindigkeit
  • Makrohämaturie nach dem Trauma
  • Mikrohämaturie und Hypotension (Systolischer Blutdruck <90 mmHg)
  • Pädiatrische Patienten mit mehr Mikrohämaturie
Patienten, die nicht in diese Gruppen fallen, dürfen auch ohne Bildgebung überwacht werden, da ihr Risiko eines schwerwiegenden und klinisch relevanten Nierentraumas sehr gering ist (Miller und McAninch 1995).
Die Bildgebung sollte auf Schnittbildverfahren basieren, wobei in der Notfallsituation eine kontrastmittelgestützte Computertomographie in Mehrphasentechnik mit arterieller, venöser und Sekretionsphase anzustreben ist. Lediglich bei bekannter Kontraindikation für eine kontrastmittelgestützte CT kann auf ein MRT ausgewichen werden. Die Diagnostik mittels Ultraschalles kann sicherlich rasch einen Hinweis auf eine eventuelle Schädigung der Niere liefern. Bei höhergradigen Traumata lässt sich der Schaden bzgl. des Nierenparenchyms, der Gefäße und des Hohlsystems nicht, oder nur schlecht quantifizieren. Insbesondere Wiederholungsuntersuchungen lassen sich in der Regel nicht objektivieren, da die Sonographie stark vom Untersucher-abhängig ist (Grill et al. 2010b).
Im amerikanischen Schrifttum wird zudem diskutiert, ob routinemäßige Nachuntersuchung nach der Akutphase des Nierentraumas in niedrigen Stadien (< Grad III) sinnvoll sind oder nicht, da lediglich in 1–3 % der Fälle durch die erneute Diagnostik eine Änderung des klinischen Procedere erfolgte (Shirazi et al. 2010). Bei höhergradigen (> Grad III) Nierentraumata sollte jedoch 2–4 Tage nach initialer Bildgebung eine erneute Kontrolle mittels CT/MRT erfolgen, da sich in etwa 33 % hieraus klinische Konsequenzen i.S.e. Intervention ergeben (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Baverstock et al. 2001). Bei unerklärlichem Fieber, Flankenschmerzen oder persitierender Blutung ist ebenfalls eine erneute Bildgebung indiziert.
Die initiale Diagnostik mittels Mehrphasen-CT ist sicherlich mittlerweile die beste Möglichkeit eine genaue Einteilung der Nierenverletzungen vorzunehmen und sollte neben einer Ultraschalluntersuchung zum Standard gehören. Andere Untersuchungsverfahren, wie etwa ein Ausscheidungsurogramm, retrograde Pyelogramm oder auch ein renales Arteriogramm sind in ihrer Aussagekraft der CT erheblich unterlegen und sollten daher nur noch Verwendung finden, wenn ein CT nicht zur Verfügung steht. Ansonsten können diese Verfahren als obsolet angesehen werden. Die Verlaufskontrolle mittels Ultraschalles ist vor allem für die Beurteilung von Urinomen oder Grad I/II Nierentraumata geeignet (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004).
Die klinische Erfahrung zeigt, dass der Nierenschaden im CT durch die Überlagerung mit dem austretenden Blut und oder Urin oftmals höher eingeschätzt wird, als er tatsächlich ist. Daher sollte eine eher zurückhaltende Beurteilung der Bilder erwogen werden und ggf. eine Verlaufskontrolle erfolgen.

Therapie

Das primäre Ziel ist es ein Sistieren der Blutung zu erreichen. Sekundär soll die renale Funktion erhalten werden und tertiär sollen Komplikationen vermieden werden, die eine indirekte Folge des Traumas sind oder sich als Spätkomplikationen (Hypertonus, durch Schrumpfniere, Arteriovenöse Fistel, Urinom, Niereninsuffizienz) manifiestieren können (Staehler et al. 2010; Kitrey et al. 2021; Morey et al. 2021).

Konservative Therapie

Die konservative Therapie sollte Standard bei Grad I/II Nierentraumata sein. Durch die konservative Behandlung lässt sich die Rate an Nephrektomien von 44 % auf 27 % senken (Schmidlin 2005; Schmidlin et al. 1997). Auch bei Grad III/IV Traumata kann eine konservative Therapie versucht werden, wobei auch hier in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Nierenerhalt gelingt. (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Santucci und Fisher 2005; el Khader et al. 1998). Die konservative Therapie besteht in Bettruhe, wobei die Patienten die Toilette aufsuchen dürfen und i.v. Flüssigkeitszufuhr. Zudem sollte ein Breitspektrum-Antibiotikum, das Urin-gängig ist gegeben werden. Die Bettruhe empfehlen wir für mindestens 3 Tage, wobei bei persisitierenden Schmerzen diese verlängert werden sollte. Die Bettruhe kann nach sekundärer Bildgebung und stabiler Situation aufgehoben werden, wobei körperliche Schonung für einige Wochen empfohlen werden sollte.

Chirurgische Therapie

Es gibt nur wenige absolute OP-Indikationen in der Therapie des Nierentraumas. Einen Überblick gibt Tab. 2.
Tab. 2
Absolute und relative Indikationen zur chirurgischen Intervention renaler Traumata (nach (Lynch et al. 2005; Martinez-Pineiro et al. 2010))
Absolute Indikationen
• Persistierende lebensbedrohliche Blutung, die aus der Niere zu stammen scheint
• Abriss des Nierenstiels (Grad 5 Trauma)
• Expandierendes, pulsierendes retroperitoneales Hämatom (als Folge eines Nierenstielabrisses)
Relative Indikationen
• Große Lazeration des Nierenbeckens oder des pyelo-ureteralen Übergangs
• Mitbeteiligung anderen Abdominalorgane
• Persistentes Urinom nach frustraner perkutaner und endoskopischer Therapie
• Devitalisierte Nierenanteile mit Urinom
• Komplette Nierenarterienembolie beider Nieren oder einer solitären Niere bei erhaltender Nierenperfusion
• Nierengefäßverletzungen, die einem angiographischem interventionell radiologischem Management nicht weiter zugänglich sind
• Renovaskulärer Hypertonus
Absolute OP-Indikationen ergeben sich vor allem aus einer persistierenden lebensbedrohlichen Blutung, die aus der Niere zu stammen scheint, sowie einem Abriss des Nierenstiels (Grad 5 Trauma). Das in den Guidelines benannte expandierende, pulsierendes retroperitoneales Hämatom, ist nur eine OP-Indikation, wenn die Gerota’sche-Fascie nicht mehr intakt sein sollte und oder der Patient sich hämodynamisch nicht stabilisieren lässt.
Bei allen anderen Fällen ist sicherlich ein abwartendes Verhalten gerechtfertigt, da oftmals auch schwere Nierentraumata konservativ kontrolliert werden können und meist dann mit einem Erhalt der Nierenfunktion einhergehen. Allerdings ist bei einem operativen Vorgehen in der Akutsituation meist nur eine Nephrektomie durchführbar. Wir haben schon Fälle gesehen, bei denen die Niere komplett in der Mitte auseinandergerissen war unter Beteiligung nicht nur des Parenchyms, sondern auch des Hohlsystems und die Fragmente nach Monaten wieder zueinander gefunden haben, so dass selbst in der endourologischen Kontrolle kein Schaden mehr nachzuweisen war.
Die Operative Therapie zielt auf eine frühe Gefäßkontrolle und maximalen Parenchymerhalt ab. Als Zugangsweg wird der Abdominale Zugriff empfohlen, da hierdurch eine maximale Exploration der Abdominalorgane, aber auch die frühe und optimale Gefäßkontrolle gewährleistet ist. Selbst die frühzeitige Okklusion des Nierenstiels ist nicht mit einer erhöhten Nephrektomierate verbunden. Die vaskuläre Rekonstruktion ist vor allem venös gut möglich, bei größeren Arteriellen Verletzung kann lediglich in einem geringen Anteil die Niere erhalten werden. Bei Abriss der Nierengefäße ist davon auszugehen, dass sich die Niere nicht erhalten lässt und nephrektomiert werden muss, insbesondere da meist eine prolongierte Ischämie vorliegt, die eine komplette sekundäre Parenchymschädigung wahrscheinlich macht (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Al-Qudah und Santucci 2006; Brandes und McAninch 2004; Pfitzenmaier et al. 2008).

Harnableitung

In der akuten Blutungssituation kann es kontraproduktiv sein eine primäre Harnableitung herbeizuführen, da diese in der Regel entweder die Blutung unterhält oder früh gewechselt werden muss, da sie durch Koagel verstopft. Zudem birgt die frühe Harnableitung das Risiko eines Keimeintrages und einer konsekutiven Superinfektion einer zumindest im Rahmen eines geschlossenen Traumas zunächst als steril zu betrachtender innerer Wunde.
Besteht eine Harnabflussstörung oder ein Urinom sollte eine sekundäre Harnableitung nach Sistieren der Blutung innerhalb weniger Tage erfolgen, wobei zu überlegen ist, bei einem ausgeprägten Trauma das Risiko einer sekundären Nierenruptur zu minimieren. Dabei sollte die Harnableitung frühestens 3 Tage nach dem traumatischen Ereignis erfolgen.

Interventionelle radiologische Therapie

Äste der großen Nierengefäße können interventionell radiologisch effektiv embolisiert werden, um Blutungen zum Stillstand zu bringen. Dabei liegt die Erfolgsquote bei ca. 70–80 %. Ebenso können Intima-Schäden mittels Stents versorgt werden und Thrombosen und Embolien entweder lysiert oder gestentet werden. Die diagnostischen Möglichkeiten der Angiographie sind denen der Mehrphasen-CT weit unterlegen, so dass mittlerweile auf die rein diagnostische Angiographie zu Gunsten eines Mehrphasen-CTs verzichtet werden soll (Lynch et al. 2005; Santucci et al. 2004; Santucci und Fisher 2005; Breyer et al. 2008; Trottier et al. 2009; Sahai et al. 2009; Sternbergh 3rd et al. 2008; Garg et al. 2007; Hartung et al. 2005).

Komplikationen, Spätfolgen

Frühkomplikationen treten innerhalb der ersten 30 Tage nach dem Trauma auf. Dazu gehören: Blutung, Infektion, Pernephrischer Abszess, Sepsis, Urinfistel, Hypertension, Urinom und Urin-Extravasation. Zu den Spätkomplikationen gehören Blutung, Hydronephrose, Steinbildung, chronische Pyelonephritiden, Hypertension, Pseudeonaneurysem und arterio-venöse Fisteln. Auch eine verzögerte Blutung kann dabei Lebensbedrohlich sein.
Die Therapie der Komplikationen richtet sich nach den üblichen urologischen Kautelen, wobei Gefäßkomplikationen primär endovasculär interventionell radiologisch therapiert werden sollten (Al-Qudah und Santucci 2006; Starnes et al. 2010; Umbreit et al. 2009; Costantini et al. 2009; Schwartz et al. 2008; Dunfee et al. 2008; Aulakh et al. 2007; Chedid et al. 2006).

Zusammenfassung

  • Die Diagnostik der Nierentraumata basiert auf der Schnittbildgebung (CT oder MRT).
  • Der Organerhalt ist immer anzustreben
  • Bei kreislaufstabilen Patienten ist ein konservatives Vorgehen die Therapie der Wahl
  • Eine Harnableitung muss nicht primär, sondern kann nach Sistieren der Blutung erfolgen
  • Bei limitierten Blutungen kann eine interventionelle radiologische Versorgung erwogen werden
  • Bei einer rupturierten Gerota-Fascie oder kreislaufinstabileren Patienten ist fast immer eine sofortige chirurgische Exploration notwendig
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