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Die Urologie
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Publiziert am: 03.09.2022

Tumoren der Blase und der Prostata beim Kind

Verfasst von: Norbert Graf, Rhoikos Furtwängler und Raimund Stein
Tumoren der Blase und Prostata zeigen im Kindes- und Jugendalter eine völlig andere Histologie als im Erwachsenenalter. Die häufigste maligne Neoplasie ist das Rhadbdomysoarkom (RMS) das meist in den ersten Lebensjahren auftritt. Im Jugendalter kommt vermehrt die Polypöse Urotheliale Neoplasie niedrigen malignen Potenzials (PUNLMP) vor. Urothelkarzinome sind eine Rarität mit guter Prognose und sollten an ein Tumorprädispositionssyndrom denken lassen. Die Gruppe der Weichteilsarkome im Kindesalter enthält unterschiedliche histologische Entitäten mit unterschiedlichem biologischem Verhalten. Die Therapie ist multimodal, stadien- und risikoadaptiert. Sie hat immer in kinderonkologischen Zentren zu erfolgen. Patienten mit einem Blasen- oder Prostatatumor zählen zur Hochrisikogruppe. Lokalisierte Tumoren weisen nach intensiver Radio-Chemotherapie und Resektion eine Überlebensrate von über 80 % auf.

Einleitung

Tumoren der Blase und Prostata zeigen im Kindes- und Jugendalter eine völlig andere Histologie als im Erwachsenenalter. Die häufigste maligne Neoplasie ist das Rhabdomyosarkom (RMS) das meist in den ersten Lebensjahren auftritt. Differenzialdiagnostisch sind eine Reihe benigner und semimaligner Tumore zu nennen, die in Tab. 1 orientierend dargestellt sind. Im Jugendalter kommt vermehrt die Polypöse Urotheliale Neoplasie niedrigen malignen Potenzials (PUNLMP) vor. Urothelkarzinome sind eine Rarität und haben aufgrund ihres meist niedrigen Gradings in der Regel eine gute Prognose, sollten jedoch an ein Tumorprädispositionssyndrom denken lassen (z. B. Li-Fraumeni oder HNPCC). Die Gruppe der Weichteilsarkome im Kindes- und Jugendalter enthält unterschiedliche histologische Entitäten mit unterschiedlichem biologischem Verhalten.
Tab. 1
Übersicht der Blasenraumforderungen im Kindes- und Jugendalter
Entität
Steckbrief
Symptomatik
Behandlung
Rhabdo-myosarkome (RMS)
Häufigste Neoplasie der Blase/Prostata mit Prädilektion am Blasenboden und typischem Auftreten in den ersten Lebensjahren
Harnverhalt & Dys-/Algurie
Multimodal
Inflammatorischer myofibro-blastischer Tumor
Seltene Neoplasie mit typischerweise T2 Wasser isointensem Bild. Häufig ALK 1 Überexpression
Hämaturie
Harnverhalt
Chirurgisch
Tyrosinkinase-Inhibitoren
Papilläre Neoplasie mit niedrig malignem Potenzial (PUNLMP)
Bei Adoleszenten auftretende kleine (1–2 cm) solitäre Läsionen. Nicht invasiv wachsend
Hämaturie
Chirurgie
Fibroepithelialer Polyp
Gelegentlich eher in den oberen Harnwegen auftretende benigne Läsion
Hämaturie, Dysurie, Flankenschmerzen
Biopsie, Beobachtung ggf. TUR
Vaskuläre Tumoren
Selten. Treten auch systemisch als Hämangiomatose oder im Rahmen eines Syndroms auf (Klippel-Trénaunay-Weber-, Sturge-Weber-Syndrom)
Makrohämaturie
Beta-Blocker-Therapie bei Säuglings-High-Flow Angiom
Chirurgie
Sklerotherapie
Urotheliales Papillom
Sehr selten
Hämaturie
TUR
Eosinophile Zystitis
Seltene meist diffuse Verdickung der Blase mit deutlicher Flusssteigerung in der Duplexsonografie, meist im Säuglingsalter
Oligosymptomatisch
Konservativ, in der Regel selbstlimitierend
Urothelkarzinom
Rarität
bei Adoleszenten. Prädispositionssyndrom ausschließen
Hämaturie
Chirurgie
Nephrogene Adenome
Rarität nach Operationen des Urogenitaltrakts bzw. chronischen Entzündungen
Häufige Miktion, Dysurie
Chirurgie
Einzelfälle im Jugendalter
Harnverhalt
Häufige Miktion
Chirurgie
Maligner Rhabdoid Tumor
Einzelfälle, meist im ersten oder zweiten Lebensjahr kann synchron in ZNS und Niere auftreten
Sehr schnelles Wachstum – oft schon metastasiert
Multimodal einschließlich Hochdosistherapie
Ewing Sarkom
Einzelfälle oder sekundär infiltrierend
Oft systemische Inflammation
Multimodal einschließlich Hochdosistherapie
Neurogene Tumoren:
Neurofibrom
<0,5 % aller Blasentumoren – Syndromale Genese (MEN 2/NF1)
Asymptomatischer Zufallsbefund, Miktionsbeschwerden
Chirurgie

Weichteilsarkome

Die zu den Weichteilsarkomen zählenden Rhabdomyosarkome (RMS) sind in 20–25 % im Urogenitaltrakt lokalisiert; vor allem in Blase, Blasenhals und Prostata, in Vagina und Vulva sowie paratestikulär. Die „Intergroup Rhabdomyosarcoma Study Group“ (IRSG) unterscheidet drei histologische Typen. Etwa 2/3 der Tumoren sind embryonale RMS, wobei die botryoiden und spindelzellig-embryonalen RMS eine günstige Prognose haben und im Bereich der Blase zu 90 % vorliegen. Die klassischen embryonalen RMS sind von intermediärer Prognose. Die zweithäufigste Form, die alveolären RMS, kommen häufiger am Körperstamm und Extremitäten als im Urogenitaltrakt vor. In Blase und Prostata treten sie in unter 10 % der Fälle auf. Sie haben eine schlechtere Prognose und neigen eher zu Rezidiven oder Metastasen. Die dritte Kategorie beinhaltet die undifferenzierten RMS, welche ebenfalls eine schlechte Prognose haben. Der IRSG unterscheidet 4 Stadien (Tab. 2). In Abhängigkeit der Lokalisation und der Histologie ergeben sich unterschiedliche diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Es sollte immer eine multimodale Therapie, bei der Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie eine unterschiedliche Bedeutung besitzen, angestrebt werden.
Tab. 2
Stadieneinteilung der Rhabdomyosarkome nach IRSG (Lawrence et al. 1997)
Stadium
Lokalisation des Primärtumors
T
Tumorgröße
N
M
I
Orbita
Kopf-Hals-Bereich (nicht parameningeal)
Urogenitaltrakt (ausser Blase/Prostata)
Gallenwege
T1/T2
a/b
N0, N1, Nx
M0
II
Blase/Prostata
Extremitäten
Kopf-Hals-Bereich (parameningeal), kleines Becken, Abdomen, Stamm, Retroperitoneum, (ausser Gallenwege)
T1/T2
a
N0, Nx
M0
III
Blase/Prostata
Extremitäten
Kopf-Hals-Bereich (parameningeal), kleines Becken, Abdomen, Stamm, Retroperitoneum, (ausser Gallenwege)
T1/T2
a
b
N1
N0, N1, Nx
M0
IV
Alle
T1/T2
a/b
N0, N1
M1
Definitionen zu Tab. 2:
Tumor
  
 
T1
Tumor auf Ausgangsorgan oder -gewebe beschränkt
 
T2
Tumor nicht auf Ausgangsorgan oder -gewebe beschränkt
Tumorgröße
  
 
a
≤5 cm
 
b
>5 cm
Regionale Lymphknoten
  
 
N0
Klinisch keine vergrößerten Lymphknoten
 
N1
Klinisch befallene Lymphknoten
 
Nx
Klinischer Lymphknotenstatus unbekannt bzw. nicht zu beurteilen
Metastasen
  
 
M0
Keine Metastasen
 
M1
Metastasen
Die Stadieneinteilung nach IRSG von 1997 berücksichtigt die vor der definitiven Therapie gewonnenen klinischen, radiologischen und Biopsie-Befunde. Sie orientiert sich an der TNM-Klassifikation und an der Prognose, wobei die Weichteilsarkome der Blase und Prostata zu einer eigenen Gruppe zusammengefasst werden, da eine Entfernung von Blase oder Prostata ein verstümmelnder Eingriff darstellt, eine suffiziente Bestrahlung dieser Region mit schweren Spätfolgen einhergeht und überdurchschnittlich häufig Lymphknotenmetastasen gefunden werden.
Die Lokalisation Blase und Prostata stellt für Weichteilsarkome eine Risikolokalisation dar.

Klinik

Im Vordergrund der Symptomatik stehen Miktionsstörungen bis hin zum Harnverhalt. Eine Makrohämaturie ist selten und eher typisch für im Kindesalter deutlich seltenere urotheliale Neoplasien (Vgl. Tab. 1). Die Symptomentrias bestehend aus Harnverhalt, bzw. Miktionsstörung, Hochstand des Blasenausgangs und tastbarer Tumor bei der rektalen Untersuchung sprechen für einen Tumor der Prostata. Ausgedehnte Prostatatumoren können auch zu Lymphabflussstörungen der Beine mit ödematösen Schwellungen führen. Bei Fernmetastasen können weitere und unterschiedliche Symptome in Abhängigkeit der Metastasen auftreten.

Diagnostik

Im Vordergrund der Diagnostik steht eine suffiziente Bildgebung mittels Ultraschall und CT oder MRT vor der Biopsie. Die Verdachtsdiagnose muss immer histologisch gesichert werden. In aller Regel erfolgt dies über eine transurethrale Biopsie.
Bei dem Verdacht einer Blasen-Prostata-Neoplasie im Kindesalter ist niemals eine primär mutilierende Operation indiziert, da die vorherrschenden RMS gut auf Strahlen- und Chemotherapie ansprechen. Es muss daher zunächst eine transurethrale Biopsie einschließlich nativem Material für molekulare Untersuchung entnommen werden.
Zum weiteren Staging ist eine CT-Untersuchung der Lunge obligat. Zusätzlich sind Knochenmetastasen durch eine Skelettszintigraphie auszuschließen. Zum initialen Staging gehört eine Knochenmarkzytologie an 2 Stellen. Ein Knochenmarkbefall kommt vor allem bei alveolären RMS vor (Abb. 1). Die weitere Therapie muss dann Risiko adaptiert im interdisziplinären Tumorboard beschlossen werden.

Therapie und Prognose

Nur bei den seltenen Tumoren des Blasendaches kann eine initiale sichere R0-Resektion nach vollständigem Staging möglich sein, wenn eine Chemotherapie ggf. in Kombination mit einer Radiotherapie die Operabilität und Sicherheit nicht verbessern kann. In allen anderen Fällen ist zunächst eine Biopsie zur histologischen Abklärung zwingend notwendig. Die Therapie ist stadien- und risikoadaptiert, wobei die RMS eine hohe Chemosensibilität und Radiosensitivität besitzen. In der Regel erfolgt zunächst eine neoadjuvante Chemotherapie mit Ifosfamid, Vincristin, Actinomycin-D, und evtl. Anthrazyklinen, die bei Ansprechen mit dem Ziel des Organerhalts verlängert werden kann. Bei fehlender kompletter Remission in der Bildgebung ist eine sekundäre Resektion indiziert, wobei eine erneute zystoskopische Biopsie vitalen Tumorrest beweisen kann. Abb. 2 gibt einen exemplarischen Überblick über einen typischen Therapieablauf im Rahmen der CWS-Studie wieder. Beim RMS der Blase und Prostata haben Rezidive eine ungünstige Prognose, weswegen die R0-Entfernung des Tumors anzustreben ist. Bei den etwas günstigeren Tumoren im Bereich der Blase kann eine orthotope Blasensubstitution angestrebt werden. Durch den perioperativen Einsatz der Strahlentherapie (perkutan oder als Brachytherapie) kann eine organerhaltende Therapie erreicht werden. Bei Inoperabilität kann auch durch die alleinige Radiochemotherapie ein rückfallfreies Überleben von über 60 % erreicht werden. Das Zielvolumen einer Strahlenbehandlung ist nach der initialen Tumorausdehnung im diagnostischen CT oder MRT mit einem Sicherheitsabstand von mindestens 2 cm festzulegen. Die Bestrahlung des Lymphabflusses wird in das Zielvolumen des Primärtumors integriert. Die Spätfolgen der Strahlentherapie (Inkontinenz, Impotenz, Fistelbildungen, sekundäre Malignome, usw.) treten teilweise erst nach 20–30 Jahren auf., sollten aber bei der Therapieplanung mit den Patienten/Eltern besprochen werden. Letztlich sollte nach Abschluss der gesamten Behandlung eine Kontinenz für Urin und auch Stuhl angestrebt werden.
Patienten mit einem Blasen- oder Prostatatumor zählen in die Hochrisikogruppe der Weichteilsarkome. Patienten mit lokalisierten Tumoren weisen nach intensiver Radio-Chemotherapie und Resektion eine Überlebensrate von über 76–89 % auf (Seitz et al. 2011; Jenney et al. 2014). Das Hauptproblem sind Lokalrezidive, die meistens bereits im ersten Jahr nach Therapie auftreten. Patienten mit einem alveolären Rhabdomysarkom oder solche mit initialen Metastasen haben eine deutlich schlechtere Prognose (Dantonello et al. 2009; Rodeberg et al. 2011; Stein et al. 2013). Die Strahlentherapie ist ein wesentlicher Bestandteil der multimodalen Therapie, um Lokalrezidive zu vermeiden, kann aber in Fällen einer R0 Resektion und gutem Ansprechen entfallen (Seitz et al. 2016; Fuchs et al. 2016; Castagnetti et al. 2019).
Patienten mit diesen seltenen Tumoren sollten immer an hoch spezialisierten Zentren mit entsprechender Erfahrung behandelt werden, da die Therapie in der Regel individuell modifiziert werden muss. Das Ziel einer definitiven Operation muss eine R0-Resektion sein, da Patienten mit sekundär R1 resezierten und extern bestrahlten Tumoren eine signifikant schlechtere Prognose (39 %) haben (Seitz et al. 2011). Mit der Hybridtherapie aus Resektion mit sequenzieller Brachytherapie können auch bei Tumoren des Trigonums bzgl. des Überlebens gute Ergebnisse erzielt werden.

Zusammenfassung

  • Blasen- und Prostatatumoren meist Rhabdomyosarkome, selten benigne oder semimaligne Tumoren
  • Klinik: Miktionsstörungen bis hin zum Harnverhalt, selten Makrohämaturie
  • Diagnostik: Bildgebung (Ultraschall, MRT, CT); Histologie
  • Therapie: abhängig von Histologie und Stadium; multimodal mit Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie in hoch spezialisierten Zentren
  • Prognose: Hochrisikotumoren; Prognose abhängig von Histologie, Stadium und Therapieansprechen; Spätfolgen: Inkontinenz, Impotenz, Fistelbildungen, sekundäre Malignome
Literatur
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Rodeberg DA, Anderson JR, Arndt CA, Ferrer FA, Raney RB, Jenney ME, Brecht IB, Koscielniak E, Carli M, Bisogno G et al (2011) Comparison of outcomes based on treatment algorithms for rhabdomyosarcoma of the bladder/prostate: combined results from the Children’s Oncology Group, German Cooperative Soft Tissue Sarcoma Study, Italian Cooperative Group, and International Society of Pediatric Oncology Malignant Mesenchymal Tumors Committee. Int J Cancer 128:1232–1239
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