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Die Urologie
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Verfasst von:
Frank A. Giordano und Katharina Heim
Publiziert am: 04.02.2022

Urothelkarzinom der Harnblase: Radiotherapeutische Verfahren

Wird der Organerhalt gewünscht stellt die trimodale Therapie (Combined Modality Treatment, CMT), bestehend aus transurethraler Resektion (TUR) gefolgt von einer Radiochemotherapie (RCT) eine zur Zystektomie äquieffektive Therapiealternative beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom dar. Die RCT sollte dabei mit einer platinhaltigen Chemotherapie durchgeführt werden. Bei Verwendung moderner Bestrahlungsmethoden wie IMRT und IGRT sind höhergradige Nebenwirkungen selten, insbesondere ist das Risiko für die Entwicklung einer Schrumpfblase heutzutage vernachlässigbar.

Indikation zur Radio(chemo)therapie

Vergleiche historischer Serien ließen einen Vorteil der radikalen Zystektomie gegenüber der definitiven Radiotherapie vermuten (Shelley et al. 2002). Dies war jedoch in erster Linie einem Selektionsbias, einem nicht vergleichbaren Staging (c-Staging bei RT, p-Staging bei Zystektomie) und einer suboptimalen Strahlentherapie (ohne IGRT/IMRT) zuzuschreiben. Die SPARE-Studie untersuchte randomisiert eine Zystektomie versus einer bimodalen Therapie (TUR-RT), sie wurde jedoch vorzeitig wegen mangelnder Rekrutierung abgebrochen (Huddart et al. 2017). Ein statistisch haltbares Ergebnis zu den Überlebensraten der wenigen randomisierten Patienten (n = 45) wurde daher nicht erhalten.
Heute gilt die trimodale Therapie (Combined Modality Treatment, CMT) als Benchmark, die jedoch nie in randomisierten Studien mit der Zystektomie (+/− Chemotherapie) verglichen wurde. In einer qualitativ hochwertigen Meta-Analyse von über 12.000 Patienten konnten keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf Gesamtüberleben und rezidivfreiem Überleben zwischen Zystektomie und CMT gefunden werden (Vashistha et al. 2017), sodass von Gleichwertigkeit ausgegangen werden kann.
Die R(C)T sollte vorwiegend im Rahmen eines CMT-Konzeptes zum Einsatz kommen. Nach radikaler Zystektomie sollten auch bei R+ und N+ Alternativen (Chemotherapie) diskutiert und eine Bestrahlung der Neoblase vermieden werden.
Allgemein sollten Patienten, die eine CMT erhalten eine möglichst geringe Zahl an Begleiterkrankungen und eine einwandfreie Harnableitung aufweisen (z. B. keine Hydronephrose), sodass sich der Blasenerhalt generell lohnt („a bladder worth sparing“). Vor allem aber sollte eine höchstmögliche Radikalität der TUR möglich sein (Resektionsausmaß: sichtbarer Tumor + 1 cm), da der R-Status der wichtigste prognostische Faktor nach CMT darstellt (5-JÜ nach R0: 80 % vs. 53 % nach R1, Rödel et al. 2002). Konsequenterweise sollten daher auch nur unifokale Tumore bis cT3a blasenerhaltend behandelt werden, sodass unmittelbar vor Beginn der RCT eine erneute TUR-B mit „Blasenmapping“ sinnvoll ist.
Die RCT sollte 4–6 Wochen nach TUR beginnen (bei R+ früher). Der heutige (europäische) Standard im Rahmen der CMT ist die Bestrahlung mit simultaner Gabe von Cisplatin.

Radiotherapie versus Radiochemotherapie

Die Radiochemotherapie war in allen Studien der alleinigen RT überlegen. Cisplatin gilt aufgrund der Radiosensibilisierung als effektivere Substanz. Die radiosensibilisierende Chemotherapie wird dabei vorrangig unter dem Aspekt der verbesserten lokalen Kontrolle eingesetzt.
In einer frühen kanadischen Studie wurden Patienten entweder in einen Arm mit alleiniger RT oder in einen Arm mit RT + Cisplatin randomisiert. Die kombinierte Radiochemotherapie resultierte dabei in einem signifikanten Vorteil hinsichtlich lokaler Kontrolle und einen Trend zu besseren Überlebensraten (Coppin et al. 1996).
Die deutschen Kliniken folgen seit den 2000er-Jahren weitgehend dem „Erlanger Protokoll“, das auf einem großen Kollektiv (n = 415) beruht, das nicht-randomisiert entweder mit alleiniger RT oder mit platinbasierter RCT behandelt wurden (Rödel et al. 2002;20(14):3061). Die RCT war dabei der alleinigen RT in der multivariaten Analyse hinsichtlich Gesamtüberleben überlegen. Nach Erlanger Protokoll erhalten Patienten 5-mal 25 mg/m2 KO Cisplatin an Tag 1–5 der 1. und der 5. Radiotherapiewoche (Abb. 1).
Bei einer Behandlung nach dem Boston/RTOG-Schema erhalten Patienten 70 mg/m2 KO Cisplatin alle 3 Wochen (d. h. 3-mal während der Radiotherapie). Dieses Regime scheint ähnlich effektiv wie das Erlanger Schema, birgt jedoch ein höheres Komplikationsrisiko (Efstathiou et al. 2012 Apr;61(4):705-11).
Für Patienten, die nicht mit Cisplatin behandelt werden können (z. B. aufgrund von Nierenfunktionseinschränkungen), kann eine simultane Therapie mit Mitomycin C und 5-FU durchgeführt werden. Dieses Schema zeigte sich in einer randomisierten Studie (BC2001) einer alleinigen RT überlegen (James et al. 2012).

Zielvolumen- und Dosiskonzepte

Das klassische Bestrahlungsfeld umfasst die (Rest-)Blase mit ausreichendem Sicherheitssaum. Die RT der regionalen Lymphabflusswege wird aktuell kontrovers diskutiert, da infiltrierte Lymphknoten fast immer unmittelbar der Blase anliegen (meist dorso-cranial und dorso-lateral) und in der Regel bereits vom Feld um die Blase erfasst werden. In der cN0-Situation ist daher eine elektive RT der regionalen Lymphabflusswege nicht erforderlich (Tunio et al. 2012).
Im Erlanger Protokoll wird die Blase mit täglicher Fraktionsdosis von 1,8 Gy bis 45–50 Gy bestrahlt (5x wöchentlich). Im Anschluss erfolgt die Dosisaufsättigung auf ein kleineres Strahlenfeld („Blasenboost“) bis 54 Gy bei R0 bzw. bis 60 Gy bei R+ oder befallenen Lymphknoten.

Bestrahlungstechnik

Mit Hilfe 3-dimensionaler Bestrahlungsplanung und Anwendung moderner Bestrahlungstechniken, wie der bildgestützten (IGRT, image guided radiotherapy) intensitätsmodulierten Bestrahlung (IMRT, intensitätsmodulierten Radiotherapie), kann eine Dosiseskalation im Zielvolumen (ZV) bei gleichzeitiger Schonung des benachbarten gesunden Gewebes erreicht werden. Daraus ergibt sich eine bessere lokale Kontrolle bei geringerer Nebenwirkungsrate.
In der modernen Bestrahlungsplanung werden Zielvolumina und Risikoorgane in einer Schichtbildgebung (CT, Computertomographie) 3-dimensional dargestellt. Die Bestrahlungsfelder und Bestrahlungswinkel werden computergestützt mit Hilfe komplexer Planungssysteme festgelegt. Mit Hilfe einer IMRT können auch komplizierte Zielvolumina punktgenau bestrahlt werden (Abb. 2).
Die Lagerungskontrolle erfolgt mittels niederenergetischer CT (Cone Beam CT) und Verifikationsaufnahmen (IGRT, Abb. 3).
Für eine Dosiseskalation im Tumorbett ist die Kenntnis der genauen Tumorlokalisation essentiell (Abb. 4). Eine aussagekräftige Bildgebung sowie detaillierte Unterlagen (z. B. OP Berichte) sind somit für die Planung von großer Bedeutung.

Akute Nebenwirkungen

Akute strahlenbedingte Nebenwirkungen betreffen vor allem die Harnblase und den benachbarten Enddarm.
Eine akute radiogene Zystitis tritt meist nach der Hälfte (ca. 20–25 Gy) der Bestrahlung auf. Symptome können Pollakisurie und zunehmende Nykturie sowie Dysurie sein. Im Verlauf können auch Mikro- bzw. Makrohämaturien auftreten. Eine Prädisposition hierzu stellt z. B. eine vorangegangene intravesikale Chemotherapie dar.
Nebenwirkungen am Darm äußern sich durch Diarrhöen und Schleimbeimengungen im Stuhl. Starke akute Nebenwirkungen an Darm und Blase (Grad 3–4, das bedeutet z. B. >7 Durchfälle oder nicht mit Spasmolytika kontrollierbare Blasenspasmen) treten bei ca. 5–10 % der Patienten auf. Grad-4-Nebenwirkungen treten in ca. 1 % der Fälle auf.
Des Weiteren kann sich im Bestrahlungsgebiet eine Strahlendermatitis entwickeln.

Überwachung der Patienten

Während der Therapie sollten regelmäßige Anamnesen sowie klinische und laborchemische Untersuchungen (BB, Kreatinin) erfolgen. Bei simultaner Chemotherapie sollten Blutbild und Kreatinin mindestens 1-mal pro Woche kontrolliert werden. Nachgewiesene Harnwegsinfekte sollten frühzeitig nach Antibiogramm behandelt werden. Bei krampfartigen Darm- und Blasenschmerzen können Spasmolytika indiziert sein.
Generell ist beim Auftreten von stärkeren akuten Nebenwirkungen eine intensive, ggf. stationäre Behandlung der Symptome einer Therapiepause vorzuziehen.

Chronische Nebenwirkungen

Bei den angewandten Dosen sind chronische Spätfolgen nach Bestrahlung selten.
Im Erlanger Kollektiv wurden relevante Spätfolgen (Grad 3–4) bei 5 % der Patienten beobachtet. Langzeitnebenwirkungen treten v. a. in Form von chronischen Zystitiden (5 %) und seltener Enteritiden (3 %) auf. Das Risiko einer radiogenen Schrumpfblase ist gering, Zystektomien wegen Schrumpfblase wurden im Erlanger Kollektiv bei 3 % der Patienten mit erhaltener Blase durchgeführt. Etwa 75–80 % der Langzeitüberlebenden haben eine normale Blasenfunktion.
Die gute Lebensqualität nach Radiochemotherapie ist in anderen Nachuntersuchungen von Patienten bestätigt.

Nachsorge

Beginnend 6–8 Wochen nach komplettierter CMT sollten regelmäßig Kontrollzystoskopien mit Probenentnahmen aus dem Resektionsgebiet durchgeführt werden. Wird die Zystoskopie abgelehnt sollten zumindest Urinzytologien durchgeführt werden. Bei ungefähr 20 % aller Patienten treten im Verlauf weitere Karzinome des Harntraktes auf, eine Abklärung mittels Schnittbildgebung sollte daher ebenfalls Bestandteil der Nachsorge sein

Zusammenfassung

  • Die trimodale Therapie (Combined Modality Treatment, CMT), bestehend aus transurethraler Resektion (TUR) gefolgt von einer Radiochemotherapie (RCT) stellt eine zur Zystektomie äquieffektive Therapiealternative beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom dar
  • Die RCT sollte mit einer platinhaltigen Chemotherapie durchgeführt werden
  • Bei Verwendung moderner Bestrahlungsmethoden wie IMRT und IGRT sind höhergradige Nebenwirkungen selten, insbesondere ist das Risiko für die Entwicklung einer Schrumpfblase heutzutage vernachlässigbar.
Literatur
Coppin CM, Gospodarowisz MK, James K et al (1996) Improved local control of invasive bladder cancer by concurrent cisplatin and preoperative or definitive radiation. The National Cancer Institute of Canada Clinical Trials Group. J Clin Oncol 14:2901–2907CrossRef
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